Generalaudienz 2001 9

Mittwoch, 14. Februar 2001

1. Der Heilsplan Gottes, »das Geheimnis seines Willens« (Ep 1,9) hinsichtlich jedes Geschöpfes, wird im Epheserbrief mit einem besonderen Begriff zum Ausdruck gebracht: in Christus alles, was im Himmel und auf Erden ist, zu »vereinen« (Ep 1,10). Dieses Bild könnte auch auf den Stab hindeuten, um den die Pergament-oder Papyrusrolle des »volumen« gewickelt war mit der Aufschrift: Christus verleiht allen Silben, Worten und Werken der Schöpfung und der Geschichte einen einheitlichen Sinn.

Der erste, der dieses Thema der »Rekapitulation« erkannte und auf wunderbare Weise entwickelte, war der hl. Irenäus, Bischof von Lyon, ein bedeutender Kirchenvater aus dem 2. Jahrhundert. Gegen jede Fragmentierung der Heilsgeschichte, gegen jede Trennung zwischen Altem und Neuem Bund, gegen jede Zersplitterung der Offenbarung und des göttlichen Wirkens preist Irenäus den einen Herrn Jesus Christus, der in der Menschwerdung die ganze Heilsgeschichte, die Menschheit und die gesamte Schöpfung in sich vereint: »der ewige König […], der in sich alles rekapitulieren würde« (Adversus haereses, III, 21,9 - Bibliothek der Kirchenväter, Kempten/München 1912).

10 2. Wenden wir uns nun einem Textabschnitt zu, in dem dieser Kirchenvater die Worte des Apostels über die Zusammenfassung aller Dinge in Christus kommentiert. Zum Begriff »alles« - so betont Irenäus - gehört auch der Mensch, der berührt wurde vom Geheimnis der Menschwerdung, indem der Sohn Gottes, »der Unsichtbare, sichtbar wurde, der Unbegreifbare begreifbar, der Leidensunfähige leidensfähig, das Wort Mensch. So faßte er in sich das All zusammen, damit er, wie das Wort in den überhimmlischen und geistigen Dingen Herrscher ist, ebenso in den sichtbaren und körperlichen Dingen herrsche, indem er auf sich die Herrschaft nahm und sich zum Haupte der Kirche einsetzte, und damit er alles an sich ziehe zu der passenden Zeit« (Adversus haereses III, 16,6). Dieses Zusammenfließen allen Seins in Christus, Mittelpunkt von Raum und Zeit, vollzieht sich in der Geschichte schrittweise, indem es die Hindernisse und die Widerstände der Sünde und des Bösen überwindet.

3. Zur Veranschaulichung dieser Spannung bedient sich Irenäus des schon von Paulus dargestellten Gegensatzes zwischen Christus und Adam (vgl.
Rm 5,12 -21): Christus ist der neue Adam, das heißt der Erstgeborene der treuen Menschheit, die den von Gott als Seele und Ziel der Geschichte festgelegten Erlösungsplan in Liebe und Gehorsam aufnimmt. Christus muß also das Werk der Verwüstung, die schrecklichen Götzenkulte, die Gewalttaten und jede Sünde, die der ungehorsame Adam in den Jahrhunderten der Menschheitsgeschichte und im Gesichtskreis der Schöpfung verbreitet hat, beseitigen. Durch seinen vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Vater eröffnet Christus die Epoche des Friedens mit Gott und zwischen den Menschen und versöhnt in sich die versprengte Menschheit (vgl. Ep 2,16). In sich »rekapituliert« er Adam, in dem sich die ganze Menschheit wiedererkennt, er verwandelt ihn in einen Sohn Gottes und führt ihn zur vollen Gemeinschaft mit dem Vater zurück. Gerade durch seine Verwandtschaft mit uns im Fleisch und Blut, im Leben und Tod wird Christus »das Haupt« der geretteten Menschheit. An anderer Stelle schreibt der hl. Irenäus: »Die Rekapitulation des von Anfang an vergossenen Blutes aller Gerechten und der Propheten, sowie die Rückforderung dieses Blutes werde durch ihn [Christus] selber erfolgen« (Adversus haereses, V, 14,1; vgl. V, 14,2).

4. Gut und Böse werden also im Licht des Erlösungswerks Christi betrachtet. Wie uns Paulus nahelegt, betrifft dieses Werk die gesamte Schöpfung in der Vielfalt ihrer Bestandteile (vgl. Rm 8,18 -30). So wie die Natur selbst der Sinnwidrigkeit, dem Verfall und der von der Sünde verursachten Zerstörung unterworfen ist, so hat sie auch Anteil an der Freude der Befreiung, die Christus im Heiligen Geist erwirkt hat.

Auf diese Weise zeichnet sich die volle Verwirklichung des ursprünglichen Plans des Schöpfers ab: der Plan einer Schöpfung, in der Gott und Mensch, Mann und Frau, Menschheit und Natur sich im Einklang, im Dialog und in Gemeinschaft befinden. Christus hat diesen von der Sünde durcheinandergeworfenen Plan auf noch wunderbarere Weise wiederaufgenommen, und er führt ihn aus - geheimnisvoll, aber tiefwirkend in der gegenwärtigen Wirklichkeit -, in der Erwartung, ihn zu vollenden. Jesus selbst hat sich selbst als Kern und Konvergenzpunkt dieses Heilsplans vorgestellt, als er sagte: »Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen« (Jn 12,32). Der Evangelist Johannes stellt dieses Werk als eine Art »Zusammenfassung« dar, »um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln« (Jn 11,52).

5. Dieses Werk wird - wie wiederum Paulus uns in Erinnerung ruft - am Ende der Geschichte zur Vollendung kommen, nämlich dann, wenn Gott »alles und in allem« (1Co 15,28) sein wird.

Der letzte Abschnitt der Offenbarung, der zu Beginn unserer Begegnung vorgelesen wurde, beschreibt sehr anschaulich dieses Ziel. Die Kirche und der Geist sind in Erwartung und erflehen den Augenblick, an dem Christus, »wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat […] seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt […] Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod. Sonst hätte er [Gott] ihm [seinem Sohn] nicht alles zu Füßen gelegt« (1Co 15,24 1Co 15,26).

Zum Schluß dieses Kampfes, der in der Offenbarung wundervoll dargestellt ist, wird Christus die »Rekapitulation« vollziehen. Die mit Christus Vereinten werden die Gemeinschaft der Erlösten bilden. »Diese wird nicht mehr unter der Sünde, den Unreinheiten, der Eigenliebe, die die irdische Gemeinschaft der Menschen zerstören oder verwunden, zu leiden haben. Die beseligende Schau, in der sich Gott den Auserwählten unerschöpflich öffnet, wird die nie versiegende Quelle von Glück, Frieden und Gemeinschaft sein« (Katechismus der Katholischen Kirche CEC 1045).

Die Kirche, die liebende Braut des Lammes, richtet ihren Blick fest auf jenen Tag des Lichtes und erhebt ihre flehentliche Anrufung: »Marànatha!«(1Co 16,22), »Komm, Herr Jesus!« (Ap 22,20).

Liebe Schwestern und Brüder!

Gottes Heilsplan, wie er im voraus bestimmt hat, lautet: in Christus alles vereinen, was im Himmel und auf Erden ist (vgl. Ep 1,9-10). Diesen Gedanken, aus dem Epheserbrief, hat der Heilige Iräneus von Lyon weiterentwickelt. Obwohl die Heilsgeschichte mitunter Fragment ist und die göttliche Offenbarung bisweilen gleichsam gebrochen ist, preist Iräneus den einzigen Herrn Jesus Christus. Er ist es nämlich, der in der Menschwerdung die ganze Heils- und Schöpfungsgeschichte in sich vereint: “Er, der König in Ewigkeit, vereint alles in sich” (Adversus haereses III, 21, 9). Dieses Werk der Vereinigung ist vollendet, wenn Gott alles in allem ist.

Die mit Christus Vereinten werden die Gemeinschaft der Erlösten bilden, “die heilige Stadt” (Ap 21,2). Sie leidet nicht mehr unter Sünde und Eigenliebe. “Die beseligende Schau, in der sich Gott den Auserwählten unerschöpflich öffnet, wird die nie versiegende Quelle von Glück, Frieden und Gemeinschaft sein.” (vgl. KKK, CEC 1045).
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11 Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Ich grüße auch alle Hörer von “young radio”, der neuen Internetseite von Radio Vatikan. Möge Euch das Hören Freude am Glauben bereiten. Euch, Euren Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.



Mittwoch, 28. Februar 2001

1. »Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht!« (He 4,7).

Im unserem Geist erklingt diese Einladung der Liturgie, während heute, am Aschermittwoch, der Weg der Fastenzeit beginnt. Er wird uns zum österlichen Triduum führen, zum lebendigen Gedenken an das Leiden, den Tod und die Auferstehung des Herrn, dem Mittelpunkt des Geheimnisses unseres Heils.

Die heilige Fastenzeit, die seit jeher im Bewußtsein des Christenvolkes so tief verwurzelt ist, erinnert an biblische Ereignisse, wie etwa an die vierzig Tage der Sintflut, die Vorzeichen des Bündnisses war, das Gott mit Noach besiegelte; an die vierzig Jahre der Pilgerreise des Volkes Israel durch die Wüste ins Gelobte Land; an den vierzigtägigen Aufenthalt des Mose auf dem Berg Sinai, wo er von Jahwe die Gesetzestafeln empfing. Die Fastenzeit lädt uns vor allem ein, mit Jesus die vierzig Tage wiederzuerleben, die er betend und fastend in der Wüste verbrachte, bevor sein öffentliches Wirken begann, das auf dem Kalvarienberg mit dem Kreuzesopfer, als endgültigem Sieg über Sünde und Tod, seinen Höhepunkt finden wird.

2. »Bedenke, Mensch, daß du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.« Der traditionelle Ritus der Austeilung der Asche, der sich heute wiederholt, ist immer sehr aussagekräftig, und ebenso eindrucksvoll sind auch die begleitenden Worte. In seiner Einfachheit erinnert er an die Hinfälligkeit des Erdenlebens: Alles vergeht und ist zum Sterben bestimmt. Wir sind Wanderer auf dieser Erde, Wanderer, die ihr wahres und endgültiges Ziel, den Himmel, nicht vergessen dürfen. Zwar sind wir Staub und werden auch zum Staub zurückkehren, aber trotzdem endet damit nicht alles. Der Mensch, geschaffen nach dem Abbild und Gleichnis Gottes, ist für das ewige Leben bestimmt. Durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus den Zugang zum ewigen Leben für jeden Menschen geöffnet.

Die gesamte Liturgie des Aschermittwochs hilft uns, diese grundsätzliche Glaubenswahrheit besser zu erkennen, und spornt uns dazu an, entschlossen den Weg der persönlichen Erneuerung einzuschlagen. Wir müssen unsere Art zu denken und zu handeln ändern, indem wir unseren Blick auf das Antlitz des gekreuzigten Christus richten und sein Evangelium zur täglichen Lebensregel machen. »Kehrt um, und glaubt an das Evangelium«: Das sei unser Programm für die Fastenzeit, während wir in ein Klima gläubigen Hörens auf den Heiligen Geist eintreten.

3. »Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« (Mt 26,41). Lassen wir uns von diesen Worten des Herrn leiten - in einer entschiedenen Anstrengung zur Bekehrung und spirituellen Erneuerung. Im alltäglichen Leben läuft man Gefahr, von materiellen Beschäftigungen und Interessen vollständig in Anspruch genommen zu werden. Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit für ein Wiedererwachen eines echten Glaubens, eine wohltuende Wiederaufnahme der Beziehung zu Gott und einen großherzigeren Einsatz für das Evangelium. Die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, sind immer dieselben, aber in diesen Wochen müssen wir noch öfter auf sie zurückgreifen: Gebet, Fasten und Buße sowie Almosen, also das Teilen unseres Besitzes mit den Bedürftigen. Es handelt sich um einen individuellen sowie gemeinschaftlichen Weg der Askese, der wegen unseres säkularisierten Umfelds mitunter besonders schwierig erscheint. Gerade deshalb müssen unsere Bemühungen noch stärker und entschlossener sein.

»Wacht und betet.« Wenn dieses Gebot Christi zu jeder Zeit gültig ist, so erscheint es doch zu Beginn der Fastenzeit noch vielsagender und eindringlicher. Nehmen wir es in demütiger Fügsamkeit auf. Bereiten wir uns, es in konkrete Gesten der Bekehrung und Versöhnung mit unseren Brüdern und Schwestern umzusetzen. Nur auf diese Weise wird der Glauben stärker, die Hoffnung fester und die Liebe zu einem Lebensstil, der den Gläubigen auszeichnet.

4. Das Ergebnis eines so mutigen asketischen Weges kann nur eine größere Offenheit für die Bedürfnisse des Nächsten sein. Wer den Herrn liebt, darf seine Augen vor Personen und Völkern, die von Leid und Elend heimgesucht werden, nicht verschließen. Wie kann man, wenn man das Antlitz des gekreuzigten Herrn betrachtet hat, ihn nicht in jenen, die in Schmerz und Verlassenheit leben, erkennen und ihm in ihnen dienen? Jesus selbst, der uns auffordert, betend und wachend bei ihm zu bleiben, verlangt auch von uns, ihn in unseren Brüdern zu lieben, und er erinnert uns: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25,40). Die Frucht einer intensiv gelebten Fastenzeit wird also eine größere und universalere Liebe sein.

Maria, die uns Vorbild im fügsamen Hören auf die Stimme des Heiligen Geistes ist, leite uns auf dem Weg der Buße, den wir heute beginnen. Sie helfe uns, alle Gelegenheiten wahrzunehmen, die uns die Kirche für eine würdige Vorbereitung auf die Feier des Ostergeheimnisses bietet.



12 Liebe Schwestern und Brüder!

Memento homo ...! Gedenke, Mensch, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst. Dieses eindringliche Wort wird uns heute zugesprochen. Die Liturgie unterstreicht es noch dadurch, daß dem einzelnen Gläubigen das Aschenkreuz aufgelegt wird.

Dennoch ist mit dem memento homo noch nicht alles gesagt. Die letzte Bestimmung des Menschen ist nicht Asche und Staub auf dieser Erde, sondern Leben und Freude im Himmel. Denn durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus uns den Zugang zum ewigen Leben erschlossen.

Diese Hoffnung ist anspruchsvoll. Sie verlangt, daß wir unser Denken, Fühlen und Handeln von Grund auf ändern. Neben Fasten und Gebet wird auch das Almosengeben genannt. Wenn die Seele sich wieder neu zu Gott erhebt, kann der Christ seine Hände nicht in den Schoß legen. So ist die Fastenzeit auch eine Gelegenheit, Herz und Hand denen zu öffnen, die im Staub dieser Erde ihr Leben fristen müssen.
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Eine gesegnete österliche Bußzeit mit reichen geistlichen Früchten wünsche ich allen Pilgern und Besuchern aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders grüße ich die Behindertengruppe aus der Diözese Mainz und die Wallfahrer, die Missio Aachen großzügig unterstützen. Euch, Euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.



Appell für humanitäre Hilfe in Afghanistan:

Eine schwere humanitäre Notlage zeichnet sich in Afghanistan ab. Es erreichen uns alarmierende Nachrichten über unzählige Opfer unter den Evakuierten aufgrund der Trockenheit und des Bürgerkrieges. Tausende von Personen sind in Gefahr, an Hunger und Kälte zu sterben, insbesondere die Kinder, Kranken und alten Menschen. Ich bringe meine tiefe Wertschätzung zum Ausdruck für die Anstrengungen der humanitären Organisationen, die sich bemühen, dem afghanischen Volk die dringend benötigte Hilfe zukommen zu lassen. Während ich die internationale Gemeinschaft dazu aufrufe, diese tragische Situation nicht zu vergessen, äußere ich den Wunsch, daß die gegeneinander kämpfenden Parteien in diesem zu lange dauernden blutigen Krieg einen sofortigen Waffenstillstand erwirken mögen, damit die Hilfsleistungen die am meisten gefährdeten Gebiete rechtzeitig erreichen können.



März 2001

Mittwoch, 14. März 2001

Maria - eschatologische Ikone der Kirche


13 1. Wir haben zu Beginn dieser Begegnung einen der bekanntesten Abschnitte aus der Offenbarung des Johannes gehört. In der schwangeren Frau, die einen Sohn zur Welt bringt, während ein feuerroter Drache gegen sie und gegen denjenigen, den sie geboren hat, wütet, erkennt die liturgische und künstlerische christliche Tradition das Bild Marias, der Mutter Christi. Gemäß der ursprünglichen Absicht des heiligen Autors allerdings verkörpert die Frau - wenn die Geburt des Kindes das Kommen des Messias darstellen soll - ganz offensichtlich das Volk Gottes, und zwar sowohl das biblische Volk Israel als auch die Kirche. Die marianische Deutung steht nicht im Gegensatz zum kirchlichen Sinn des Textes, denn Maria ist der »Typus der Kirche« (Lumen gentium LG 63 vgl. hl. Ambrosius, Lukaskommentar, II, LG 7).

Vor dem Hintergrund der gläubigen Gemeinde zeichnet sich also das Bild der Mutter des Messias ab. Gegen Maria und die Kirche erhebt sich der Drache, der an den Satan und das Böse erinnert, wie es bereits die Symbolik des Alten Testaments anzeigt. Die rote Farbe ist ein Zeichen für Krieg, Gemetzel und vergossenes Blut; die »sieben Köpfe« mit Diademen stehen für eine unermeßliche Macht, während die »zehn Hörner« auf die erschreckende Kraft des vom Propheten Daniel beschriebenen Tiers verweisen sollen (vgl. Dan Da 7,7), das wiederum Bild einer auf Machtmißbrauch gründenden Herrschaft ist, die in der Geschichte zerstörerisch um sich greift.

2. Gut und Böse stehen also einander gegenüber. Maria, ihr Sohn und die Kirche vertreten die scheinbare Schwäche und Kleinheit der Liebe, der Wahrheit und Gerechtigkeit. Gegen sie entfesselt sich die abscheuliche Zerstörungswut der Gewalt, Lüge und Ungerechtigkeit. Doch der Gesang, der diesen Abschnitt beschließt, erinnert uns daran, daß »der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten« (Ap 12,10) das endgültige Urteil fällen werden.

Gewiß kann die Kirche im Verlauf der Geschichte gezwungen sein, in die Wüste zu fliehen, so wie seinerzeit das Volk Israel unterwegs ins Gelobte Land war. Die Wüste ist im übrigen der traditionelle Zufluchtsort der Verfolgten, sie ist der verborgene und ruhige Bereich, wo einem der Schutz Gottes gewährt wird (vgl. Gn 21,14 -19; 1R 19,4 -7). Wie die Offenbarung herausstellt (vgl. 12,6.14), bleibt die Frau jedoch nur für eine begrenzte Zeit an diesem Zufluchtsort. Die Zeit der Bedrängnis, der Verfolgung und Prüfung ist also nicht unbegrenzt: Die Befreiung wird letztlich kommen, und dann wird die Stunde der Herrlichkeit sein. Wenn wir dieses Geheimnis in einer marianischen Perspektive betrachten, können wir folgendes sagen: »An der Seite ihres Sohnes [ist Maria] das vollkommenste Bild der Freiheit und der Befreiung der Menschheit und des Kosmos. Auf Maria muß die Kirche, deren Mutter und Vorbild sie ist, schauen, um den Sinn ihrer eigenen Sendung in vollem Umfang zu verstehen« (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über christliche Freiheit und Befreiung »Libertatis conscientia« (22. März 1986), 97; vgl. Redemptoris mater, 37).

3. Richten wir also unseren Blick auf Maria: Sie ist Ikone der Kirche, die durch die Wüste der Geschichte pilgert, aber letztlich auf das glorreiche Ziel des himmlischen Jerusalems zustrebt, wo sie als Braut des Lammes, des Herrn Jesus Christus, erstrahlen wird. Die Ostkirche feiert die Muttergottes als »Hodegetria«, als diejenige, die »den Weg aufzeigt«: Christus, der einzige Mittler, um dem Vater in Fülle zu begegnen. Ein französischer Dichter sieht in ihr »das Geschöpf in seiner ursprünglichen Ehre und seiner letzten Blüte, so wie es am Morgen seines ursprünglichen Glanzes aus Gott hervorgegangen ist« (vgl. Paul Claudel, La Vierge à midi, Ed. Pléiade, S. 540).

In ihrer Unbefleckten Empfängnis ist Maria das vollkommene Vorbild des Menschen, der - von Anbeginn an erfüllt mit der göttlichen Gnade, die das Geschöpf stützt und verklärt (vgl. Lc 1,28) - sich in seiner Freiheit immer für den Weg Gottes entscheidet. In ihrer glorreichen Aufnahme in den Himmel hingegen ist Maria die Darstellung des Geschöpfs, das vom auferstandenen Christus dazu gerufen wird, am Ende der Geschichte die Fülle der Gemeinschaft mit Gott in der Auferstehung zu einer seligen Ewigkeit zu erlangen. Für die Kirche, die oft die Last der Geschichte und die Bedrohung durch das Böse erfährt, ist die Mutter Christi das leuchtende Emblem der erlösten und von der rettenden Gnade umgebenen Menschheit.

4. Das letztendliche Ziel der menschlichen Ereignisse ist dann erreicht, wenn »Gott […] über alles und in allem« (1Co 15,28) und - wie das Buch der Offenbarung verkündet - »das Meer […] nicht mehr« (Ap 21,1) sein wird, wenn also das Zeichen des zerstörerischen Chaos und des Bösen endlich aus der Welt geschafft ist. Dann wird die Kirche »wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat« (Ap 21,2), vor Christus treten. Dann wird es zum Augenblick der Vertrautheit und der makellosen Liebe kommen. Schon jetzt aber kann die Kirche, wenn sie auf die in den Himmel aufgenommene Jungfrau schaut, die Freude vorauskosten, die ihr am Ende der Zeiten in Fülle gegeben wird. Maria begleitet die Kirche auf ihrer Wallfahrt des Glaubens durch die Geschichte als »Vorbild der kirchlichen Gemeinschaft im Glauben, in der Liebe und in der Vereinigung mit Christus. ›Ewig im Geheimnis Christi gegenwärtig‹, ist sie inmitten der Apostel anwesend im Herzen der Urkirche und der Kirche aller Zeiten. Denn es ›versammelte sich die Kirche im Obergemach des Abendmahlssaales mit Maria, die die Mutter Jesu war, und mit seinen Brüdern. Es kann also nicht von der Kirche die Rede sein, ohne daß dort Maria, die Mutter des Herrn, anwesend wäre mit seinen Brüdern‹« (Kongregation für die Glaubenslehre, Communionis notio (28. Mai 1992), 19; vgl. Chromatius von Aquileia, Sermo 30,1).

5. Singen wir also unseren Lobgesang auf Maria, das Abbild der erlösten Menschheit und Zeichen der Kirche, die im Glauben und in der Liebe lebt und dadurch die Fülle des himmlischen Jerusalem vorwegnimmt. »Die dichterische Kunst des hl. Ephräm des Syrers, der ›Zither des Heiligen Geistes‹ genannt worden ist, hat unermüdlich Maria besungen und in der Tradition der syrischen Kirche eine noch heute vorhandene Spur hinterlassen« (Redemptoris Mater RMA 31). Er stellt Maria als Urbild der Schönheit dar: »Sie ist heilig in ihrem Leib, schön in ihrem Geist, rein in ihren Gedanken, aufrichtig in ihrer Intelligenz, vollkommen in ihren Gefühlen, keusch, standhaft in ihren Vorsätzen, makellos in ihrem Herzen, hervorragend und mit allen Tugenden erfüllt« (vgl. Hymnen an die Jungfrau Maria, 1,4). Dieses Bild soll im Mittelpunkt jeder kirchlichen Gemeinschaft erstrahlen als vollkommener Widerschein Christi, es sei wie ein unter den Völkern erhobenes Zeichen, wie »eine Stadt, die auf einem Berg liegt«, und wie ein Licht, das man auf den Leuchter stellt; »dann leuchtet es allen im Haus« (vgl. Mt 5,14 -15).

Liebe Schwestern und Brüder!

Maria ist Mutter der Kirche und zugleich auch deren Vorbild. Deswegen müssen wir auf sie schauen, um den tiefen Sinn unserer Sendung als Christen in der Welt zu verstehen.

In ihrer unbefleckten Empfängnis ist Maria das vollkommene Beispiel der menschlichen Schöpfung, denn von Anfang an wird sie von der göttlichen Gnade ganz und gar durchdrungen. Auf diese Weise wählt sie in Freiheit den direkten Weg zu Gott.

14 Maria stellt gleichsam das Abbild der Kirche dar, die wie eine Pilgerin durch die Wüste der Geschichte zum himmlischen Jerusalem unterwegs ist. Dabei zeigt uns die Muttergottes den Weg: Jesus Christus, den einzigen Mittler, der uns zum Vater führt.
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Herzlich begrüße ich alle Anwesenden aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders willkommen heiße ich die Marianische Kongregation Augsburg und die Musikkapelle Allhartsberg. Laßt euch in kindlichem Vertrauen von Maria an der Hand nehmen. Wo sie euch hinführt, da werdet ihr Gott begegnen. Gerne erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.



Mittwoch, 21. März 2001



1. Der Abschnitt aus dem Lukasevangelium, den wir soeben gehört haben, stellt uns Maria als Pilgerin der Liebe vor. Elisabet aber lenkt die Aufmerksamkeit auf Marias Glauben und spricht ihr gegenüber die erste Seligpreisung des Evangeliums aus: »Selig ist die, die geglaubt hat« (Lc 1,45). Dieser Ausdruck ist gleichsam ein Schlüssel, »der uns die innerste Wirklichkeit Marias erschließt« (Redemptoris Mater RMA 19). Um die Katechese des Großen Jubiläumsjahres 2000 zu vervollkommnen, möchten wir also die Mutter des Herrn als Pilgerin im Glauben vorstellen. Als Tochter Zion folgt sie den Spuren Abrahams, der aufgrund seines Glaubens dem Ruf Folge leistete, »wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde« (He 11,8).

Dieses Symbol des Pilgerns im Glauben erhellt den inneren Werdegang Marias, der Glaubenden in höchster Vollendung, wie schon das II. Vatikanische Konzil ausführte: »So ging auch die selige Jungfrau den Pilgerweg des Glaubens. Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt sie in Treue bis zum Kreuz « (Lumen gentium LG 58). Die Verkündigung ist »der Ausgangspunkt, an dem ihr ganzer Weg zu Gott [….] beginnt« (Redemptoris Mater RMA 14): Ein Weg des Glaubens, der auch die Vorahnung des Schwertes, das durch die Seele dringen wird, kennt (vgl. Lc 2,35). Er führt durch die gewundenen Straßen der ägyptischen Verbannung und der inneren Dunkelheit, als Maria die Haltung des zwölfjährigen Jesus im Tempel zwar »nicht verstand«, aber doch »alles, was geschehen war, in ihrem Herzen bewahrte« (Lc 2,51).

2. Im Halbdunkel verläuft auch das verborgene Leben Jesu. Während dieser Zeit muß Maria die Seligspreisung Elisabets durch eine echte »Mühe des Herzens« (Redemptoris Mater RMA 17) in ihrem Inneren erklingen lassen.

Gewiß fehlt es im Leben Marias nicht an lichten Augenblicken, wie etwa bei der Hochzeit in Kana, als Christus - trotz einer scheinbaren Distanziertheit - der Bitte der Mutter entspricht und das erste Zeichen der Offenbarung vollbringt, durch das er den Glauben der Jünger anregt (vgl. Jn 2,1 -12).

Im gleichen Gegensatz von Licht und Schatten, Offenbarung und Geheimnis stehen die beiden von Lukas berichteten Seligpreisungen:die Seligpreisung, die von einer Frau aus der Menge an die Mutter Christi gerichtet wird, und jene andere, von Jesus gegenüber all denjenigen ausgesprochen, »die das Wort Gottes hören und es befolgen« (Lc 11,28).

Der Gipfel dieser irdischen Pilgerreise im Glauben ist der Golgota, auf dem Maria das Ostermysterium des Sohnes tiefinnerlich erlebt: Sie stirbt gewissermaßen als Mutter im Tod des Sohnes und öffnet sich der »Auferstehung« mit einer neuen Mutterschaft gegenüber der Kirche (vgl. Jn 19,25 -27). Dort, auf dem Kalvarienberg, erfährt Maria die Nacht des Glaubens - ähnlich wie Abraham auf dem Berg Moria - und nach der Erleuchtung an Pfingsten ist sie weiter unterwegs im Glauben bis zur Aufnahme in den Himmel, als der Sohn sie in die ewige Seligkeit aufnimmt.

3. »Die selige Jungfrau Maria [geht] immer noch dem Gottesvolk voran […]. Ihr außergewöhnlicher Pilgerweg des Glaubens stellt so einen bleibenden Bezugspunkt dar für die Kirche, für die einzelnen und für die Gemeinschaften, für die Völker und Nationen und in gewissem Sinne für die ganze Menschheit« (Redemptoris Mater RMA 6). Sie ist der Stern des dritten Jahrtausends, so wie sie zu Beginn der christlichen Ära die Morgenröte war, die Jesus am Horizont der Geschichte vorausstrahlte, denn Maria wurde - chronologisch betrachtet - vor Christus geboren, sie hat ihn zur Welt gebracht und in unsere menschlichen Geschicke eingegliedert.

15 An sie wenden wir uns, damit sie uns auch in Zukunft zu Christus und zum Vater führt - auch in der finsteren Nacht des Bösen und in Zeiten des Zweifels, der Krise, der Stille und des Leids. Zu ihr erheben wir den Gesang, den die orientalische Kirche über alles liebt, jenen Hymnos »Akáthistos«, der die Person Mariens in 24 Strophen lyrisch preist. In der fünften Strophe, die dem Besuch bei Elisabet gewidmet ist, heißt es:

»Sei gegrüßt, Reis des nie verdorrenden Stammes; sei gegrüßt, reich bist du an lauterer Frucht. Sei gegrüßt, du ernährst den, der uns Nahrung gewährt; sei gegrüßt, du geleitest zum Leben den, der unser Leben leitet.

Sei gegrüßt, solchen Reichtum des Erbarmens ziehst du auf deiner Flur; sei gegrüßt, wie von einem Altar hebst du den Segen der Versöhnung.

Sei gegrüßt, daß du dem Leibe Stärkung in Fülle gewährst; sei gegrüßt, daß du den Seelen die bergende Hülle bereitest« (Hymnos »Akáthistos«, in: Düren, Peter Christoph: Der Ablaß in Lehre und Praxis. Die vollkommenen Ablässe der katholischen Kirche, Buttenwiesen 2000, S. 68f.).

4. Der Besuch bei Elisabet wird besiegelt mit dem Lobgesang des Magnifikat, einer Hymne, die alle christlichen Jahrhunderte wie eine immerwährende Melodie durchzieht: Eine Hymne, die die Gemüter der Jünger Christi vereint, und zwar jenseits aller Trennungen der Geschichte, die wir uns im Hinblick auf eine volle Gemeinschaft zu überwinden bemühen. In diesem ökumenischen Klima ist es schön, daran zu erinnern, daß Martin Luther diesem »heiligen Lied der hochgesegneten Mutter Gottes« - wie er sich ausdrückte - im Jahr 1521 einen berühmten Kommentar gewidmet hat. Darin betont er, daß dieser Lobgesang von allen »gut zu lernen und zu behalten ist«, denn »im Magnifikat lehrt uns Maria,wie man Gott lieben und loben soll«. Sie will das größte Beispiel der Gnade Gottes sein, um alle zum Vertrauen und zum Lobpreis der göttlichen Gnade anzuspornen« (vgl. M. Luther, Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt, in: M.Luther, Ausgewählte Schriften, II, Insel-Verlag, Frankfurt 1995, S.115 -196).

Maria lobpreist den Primat Gottes und seiner Gnade,die sich für die Geringsten und Verachteten entscheidet, für die »Armen des Herrn«, von denen das Alte Testament spricht. Er kehrt ihr Schicksal um und führt sie als Protagonisten in die Heilsgeschichte ein.

5.Von dem Augenblick an, als Gott voller Liebe auf Maria schaut, wird sie zum Zeichen der Hoffnung für die Schar der Armen und Geringsten der Erde, die im Reich Gottes die Ersten sein werden. Treu ahmt sie die Entscheidung Christi, ihres Sohnes, nach, der gegenüber allen Bedrängten der Geschichte wiederholt: »Kommt alle zur mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen« (
Mt 11,28).Auf den gewundenen Straßen der Geschichte unterwegs, folgt die Kirche Maria und dem Herrn Jesus, um die riesige Prozession von armen und hungrigen, erniedrigten und gekränkten Frauen und Männern (vgl. Lc 1,52 - 53) wieder aufzurichten, zu fördern und aufzuwerten. Die bescheidene Jungfrau von Nazaret ist - wie der hl. Ambrosius anmerkt - nicht »der Gott des Tempels, sondern der Tempel Gottes« (vgl. De Spiritu Sancto, III, 11,80). Als solcher leite sie alle, die sich auf dem Weg zur Begegnung mit dem dreifaltigen Gott - dem Vater, Sohn und Heiligen Geist - an sie wenden.

Liebe Schwestern und Brüder!

In dieser Katechese möchte ich die Gottesmutter als Pilgerin des Glaubens vorstellen. Als Tochter Abrahams machte sie sich auf den Weg, ohne zu wissen, wohin dieser Weg führen sollte (vgl. He 11,8).

Die Pilgerfahrt im Glauben beginnt für Maria mit einer Verheißung. Im Glauben geht sie ihren Weg auch in der inneren Dunkelheit, als sie das Verhalten ihres zwölfjährigen Sohnes im Tempel "nicht versteht". Dennoch bewegt sie alles in ihrem Herzen. Selbst wenn manches im verborgenen Leben Jesu verschattet bleibt, blitzen immer wieder Strahlen auf, die der Gottesmutter geschenkt werden. So wird ihr Wunsch bei der Hochzeit zu Kana erhört: Jesus tut sein erstes Wunder.

Die irdische Pilgerreise Marias gipfelt auf Golgota, wo sie das Ostergeheimnis ihres Sohnes im Inneren miterlebt. Wenn der Sohn den Tod erleidet, stirbt im gewissen Sinn auch die Mutter mit. Doch gleichzeitig öffnet sie sich der Auferstehung. Ihr Mutterschoß weitet sich auf die ganze Kirche hin. Die Mutter der Kirche leuchtet als Stern ins dritte Jahrtausend.
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16 Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Ich grüße besonders herzlich die Mitarbeiter der kirchlichen Gerichte von Wien und Salzburg. Euch, Euren Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.


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APPELL DES PAPSTES Internationaler Tag gegen Rassendiskriminierung


Heute, am 21. März, begehen wir den »Internationalen Tag der Vereinten Nationen für die Bekämpfung der Rassendiskriminierung«. Damit beginnt auch die Woche der Solidarität mit allen, die gegen diese Form von Ungerechtigkeit kämpfen.

Die international angewandten Rechtsmittel, die Weltkonferenzen, darunter insbesondere die nächste, die im kommenden September in Durban (Südafrika) stattfinden wird, sind wichtige Etappen auf dem Weg zur Durchsetzung der grundlegenden Gleichheit und Würde jeder Person und zu einem friedlichen Miteinander aller Völker. Trotz dieser Bemühungen sehen Millionen von Menschen ihr »Bürgerrecht« innerhalb der Menschheitsfamilie auch heute noch nicht anerkannt.

Die Kirche schließt sich dem Einsatz all jener an, die die Menschenrechte verteidigen, und fühlt sich mit allen solidarisch, die aus Gründen der Rasse oder der ethnischen, religiösen oder sozialen Zugehörigkeit Opfer von Diskriminierung sind. Die spirituellen und religiösen Werte tragen mit ihrem Erneuerungspotential wirksam zur Verbesserung der Gesellschaft bei. Zur lobenswerten Tätigkeit der Regierungen und der internationalen Organisationen in diesem Bereich muß auch die der Religionsgemeinschaften hinzukommen.

Deshalb möchte ich wiederholen, daß in der Kirche niemand fremd ist und alle sich in ihr zuhause fühlen sollen! Die Kirche »zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft« zu machen ist eine konkrete Antwort auf das Streben nach Gerechtigkeit in der heutigen Welt.



Mittwoch, 28. März 2001


1. Im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte brachte ich den Wunsch zum Ausdruck, daß die Kirche sich immer mehr durch die »Kunst des Gebets« auszeichne, indem sie es immer aufs neue gleichsam von den Lippen des göttlichen Meisters abliest (vgl. 32). Diese Verpflichtung muß vor allem in der Liturgie, als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens, erfahren werden. In dieser Hinsicht ist es wichtig, der Förderung des Stundengebets als Gebet des gesamten Gottesvolkes größere pastorale Fürsorge zu widmen (vgl. ebd., 34). Die Priester und Ordensleute haben einen besonderen Auftrag zur Feier des Stundengebets, doch auch den Laien wird es wärmstens empfohlen. Dieses Ziel hatte vor etwas mehr als dreißig Jahren mein verehrter Vorgänger Paul VI. mit der Konstitution Laudis canticum vor Augen, in der er das gültige Modell dieses Gebets festlegte, mit dem Wunsch, die Psalmen und Gesänge - die tragende Struktur des Stundengebets - möchten »vom Volk Gottes mit neuer Liebe« verstanden werden (vgl. AAS 63 [1971], 532).

Es ist eine ermutigende Tatsache, daß viele Laien sowohl in den Pfarreien als auch in den kirchlichen Vereinigungen gelernt haben, den Wert des Stundengebets zu erkennen. Es bleibt jedoch ein Gebet, das eine angemessene katechetische und biblische Bildung voraussetzt, um es voll auskosten zu können.

Zu diesem Zweck beginnen wir heute mit einer Reihe von Katechesen über die Psalmen und Cantica im Morgengebet der Laudes. Auf diese Weise möchte ich alle ermuntern und ihnen helfen, mit den gleichen Worten Jesu zu beten, die seit Jahrtausenden im Gebet des Volkes Israel und der Kirche gegenwärtig sind.

2. Wir haben verschiedene Möglichkeiten zur Einführung in das Verständnis der Psalmen. Die erste besteht in einer Darstellung ihrer literarischen Struktur, ihrer Verfasser, ihrer Entstehung und der unterschiedlichen Kontexte, in denen sie geschrieben wurden. Eindrucksvoll wäre darüber hinaus eine Lesart, die ihren poetischen Charakter herausstellt, der zuweilen das höchste Niveau an lyrischer Eingebung und symbolischer Ausdruckskraft erreicht. Nicht weniger interessant wäre eine Untersuchung der Psalmen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Empfindungen des menschlichen Gemüts, die sie zum Ausdruck bringen: Freude, Anerkennung, Dank, Zärtlichkeit, Begeisterung, aber auch tiefes Leid, Anklage, Bitte um Hilfe und Gerechtigkeit, die manchmal in Zorn und Fluch münden. In den Psalmen findet sich das menschliche Wesen in seiner Gesamtheit wieder.


Generalaudienz 2001 9