Generalaudienz 2000 8

Februar 2000

Mittwoch, 9. Februar 2000

Die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit in der Geschichte

Liebe Schwestern und Brüder!

9 1. Wir ihr von den Lektoren gehört habt, wurde diese Begegnung mit dem »Großen Hallel« aus Psalm 135 eröffnet, einer feierlichen Litanei für einen Solisten und Chor: Sie erhebt sich zum »hesed« Gottes, das heißt zu seiner treuen Liebe, die in den Ereignissen der Heilsgeschichte offenbar wird, besonders in der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten und im Geschenk des Gelobten Landes. Das Credo von Gottes Israel (vgl. Dt 26,5-9 Jos 24,1-13) verkündet die Taten Gottes in der Menschheitsgeschichte: Der Herr ist nicht ein unbeteiligter Herrscher in einer Lichtaureole, der in vergoldeten Himmeln zurückgezogen wohnt. Er betrachtet das Elend seines Volkes in Ägypten, er hört seine Klage und steigt herab, um es zu befreien (vgl. Ex 3,7-8).

2. Wir werden also nun versuchen, diese Gegenwart Gottes in der Geschichte, im Lichte der trinitarischen Offenbarung zu erläutern; zwar wird diese Gegenwart erst im Neuen Testament voll realisiert, im Alten Testament wird sie aber doch in gewisser Weise vorweggenommen und angedeutet. Wir werden also mit dem Vater beginnen: Seine Eigenschaften sind schon im Wirken Gottes ersichtlich, der als liebevoller und fürsorglicher Vater der Gerechten, die sich an ihn wenden, in die Geschichte eingreift. Er ist »ein Vater der Waisen, ein Anwalt der Witwen« (Ps 68,6); und er erweist sich auch gegenüber dem widerspenstigen und sündigen Volk als Vater.

Zwei Stellen von außergewöhnlicher Schönheit und Intensität aus den Büchern der Propheten dienen als Einleitung zu einem einfühlsamen Selbstgespräch Gottes über diejenigen, »die nicht mehr seine Söhne sind« (Dt 32,5). Darin äußert Gott seine stete und liebende Gegenwart im Gewirr der Menschheitsgeschichte. Im Buch Jeremia ruft der Herr: »Ich bin Israels Vater […] Ist mir denn Efraim ein so teurer Sohn oder mein Lieblingskind? Denn sooft ich ihm auch Vorwürfe mache, muß ich doch immer wieder an ihn denken. Deshalb schlägt mein Herz für ihn, ich muß mich seiner er barmen« (Jr 31,9 Jr 31,20). Das andere wunderbare Bekenntnis Gottes ist im Buch Hosea zu lesen: »Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten […] Ich war es, der Efraim gehen lehrte, ich nahm ihn auf meine Arme. Sie aber haben mich nicht erkannt, daß ich sie heilen wollte. Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Fesseln der Liebe. Ich war da für sie wie die (Eltern), die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen […] Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf« (Os 11,1 Os 11, Os 8).

3. Aus diesen Bibelzitaten müssen wir den Schluß ziehen, daß Gott-Vater unseren menschlichen Ereignissen ganz und gar nicht gleichgültig gegenübersteht. Im Gegenteil: Er geht so weit, seinen eingeborenen Sohn genau in den Mittelpunkt der Geschichte zu senden, wie Christus selbst in seinem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus bestätigt: »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Jn 3,16-17). Der Sohn bringt sich in Zeit und Raum ein als lebendiges und lebenspendendes Zentrum, das dem Fluß der Geschichte seinen letztendlichen Sinn gibt und sie vor Zersplitterung und Banalität rettet. Zum Kreuz Christi, der Quelle des Heils und des ewigen Lebens, strebt die ganze Menschheit mit ihren Freuden und Tränen, mit ihrer leidvollen Geschichte des Guten und Bösen: »Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde [ich] alle zu mir ziehen« (Jn 12,32). Mit einer (geradezu) umwerfenden Feststellung wird im Hebräerbrief die ewige Gegenwart Christi in der Geschichte verkündet: »Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (He 13,8).

4. Um diese heimliche und wirksame Gegenwart unter dem Fluß der Ereignisse zu entdecken, um das Reich Gottes zu erahnen, das schon jetzt mitten unter uns ist (vgl. Lc 17,21), muß man hinter die Oberfläche der einfachen historischen Daten und Ereignisse gehen. Hier tritt der Heilige Geist in Aktion. Obwohl das Alte Testament uns noch keine ausdrückliche Offenbarung seiner Person bietet, können doch bestimmte Initiativen der Heilsgeschichte ihm zugeschrieben werden. Er leitet die Richter Israels (vgl. Ri Jg 3,10), David (vgl. 1S 16,13), den König und Messias (vgl. Is 11,1-2 Is 42,1), vor allem aber ergießt er sich in die Propheten, die beauftragt sind, die in der Geschichte verhüllte Herrlichkeit Gottes und den unseren menschlichen Schicksalen zugrundeliegenden Plan des Herrn zu offenbaren. Der Prophet Jesaja spricht sehr eindrucksvolle Worte, die Christus in seiner programmatischen Rede in der Synagoge von Nazaret wiederaufnehmen wird: »Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe« (Is 61,1-2 Lc 4,18-19).

5. Der Geist Gottes enthüllt nicht nur den Sinn der Geschichte, sondern er gibt auch Kraft, um beim göttlichen Plan, der sich darin erfüllt, mitzuarbeiten. Im Lichte des Vaters, des Sohnes und des Geistes hört die Geschichte auf, eine Abfolge von Ereignissen zu sein, die sich im Abgrund des Todes auflösen, und sie wird zu einem vom Samen der Ewigkeit befruchteten Boden, zu einem Weg zu jenem höchsten Ziel, wo Gott »über alles und in allem« ist (1Co 15,28). Das Jubiläumsjahr, das sich auf das von Jesaja verkündete und von Christus eröffnete »Gnadenjahr« beruft, möchte eine Epiphanie dieses Samens und dieser Herrlichkeit sein, damit alle, von der Gegenwart und Hilfe Gottes gestützt,eine neue, wirklich christlichere und menschlichere Welt erhoffen.

Wenn wir also etwas vom Geheimnis der Dreifaltigkeit, das in unserer Geschichte wirkt, stammeln, soll sich jeder von uns das Staunen des hl. Gregor von Nazianz, des Theologen und Dichters, zu eigen machen, der sang: »Ehre sei Gott dem Vater und dem Sohn, König des Universums. Ehre sei dem Geist, lobwürdig und ganz heilig. Die Dreifaltigkeit ist ein einziger Gott, der alles erschaffen und erfüllt hat […] und alle Dinge mit seinem Geist belebte, damit jedes Geschöpf seinen weisen Schöpfer, die einzige Ursache des Lebens und Seins, lobpreist. Mehr als jede andere soll die denkende Kreatur ihn allezeit als großen König und gütigen Vater feiern« - (Poemi dogmatici, XXI, Hymnus alias: PG 37,510-511).

Was uns der Lektor am Anfang zu Gehör brachte, hat wie eine große Litanei geklungen: "Denn seine Huld währt ewig" (Ps 136).

In der Tat spiegelt diese Litanei das Credo Israels wieder, den Glauben an die Großtaten Gottes, der die Geschichte lenkt. Wieder treffen wir auf die drei göttlichen Personen.

Da ist Gott-Vater: Auf fast jeder Seite des Alten Testamentes begegnen wir der Liebe, mit der Gott wie ein Vater für Israel sorgt. Mit väterlichen Armen trägt er sein Volk durch das Auf und Ab der Geschichte.

Gott geht noch weiter: Er hat uns seinen Sohn gesandt. Gottes Sohn wird zum Angelpunkt der Geschichte. Deshalb feiern wir das Große Jubiläum: Jesus Christus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit.

Gott läßt uns Menschen nicht allein. Er schenkt uns seinen Geist. Ausgestattet mit den Gaben des Heiligen Geistes, haben wir die hohe Ehre und die heilige Pflicht, Mitarbeiter am Heilsplan Gottes zu sein.

Im Licht des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes wird die Geschichte neu. Sie zerbricht nicht mehr an den Abgründen des Todes, sondern wird zum fruchtbaren Boden für das Leben in Fülle. Gerade im Heiligen Jahr soll manches Samenkorn aufgehen: Wir hoffen auf eine neue Welt, eine Welt, die christlicher und menschlicher ist.
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Mit dem Wunsch, an dieser neuen Welt mitzubauen, grüße ich alle Wallfahrer und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich die große Gruppe junger Menschen von der Marienhain-Schule aus Vechta willkommen. Ihr seid ein "Senfkorn Hoffnung" für die Kirche! Gern erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.


Mittwoch, 16. Februar 2000

Geistliche Pilgerreise zu Stätten der Heilsgeschichte

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Liebe Schwestern und Brüder!

1. Nach der Öffnung der Heiligen Pforte in den vier römischen Basiliken schreiten wir nun rasch auf dem von der Kirche für das Jubiläumsjahr vorgeschlagenen Weg der Umkehr und Versöhnung voran. Wie allgemein bekannt, ist die Wallfahrt einer der bedeutendsten und tiefsten geistlichen Aspekte des Heiligen Jahrs, denn sie steht für den Zustand jedes Menschenwesens als »homo viator«. Wie ich in der Verkündigungsbulle für das Große Jubiläum betonte, ist sie »eine Übung tätiger Askese, der Reue über die menschlichen Schwächen […] und der inneren Vorbereitung auf die Erneuerung des Herzens« (vgl. Incarnationis mysterium, 7).

Diese innere Bedeutung der Wallfahrt wird weiter vertieft und vervollständigt vom Inhalt des Glaubens und der Spiritualität, die von jenen heiligen Stätten strömt, die nach alter Tradition Ziel von persönlichen und gemeinschaftlichen Pilgerreisen sind. Der Raum - wie die Zeit - ist nämlich vom besonderen, heilbringenden Eingreifen Gottes gezeichnet, und aufgrund dieser Tatsache können manche Orte einen speziellen Kontakt zum Göttlichen fördern (vgl. Brief über die Pilgerfahrt zu den Stätten, die mit der Heilsgeschichte verbunden sind; an alle, die sich einstimmen, im Glauben das Große Jubiläum zu feiern, vom 29.6.1999, Nr. 2; in O.R. dt., Nr. 28, 1999, S. 7).

2. Im Bewußtsein um diese grundlegende geistliche Bedeutung der Wallfahrt habe ich mich entschlossen, mit Bezug auf die Feierlichkeiten zum Heiligen Jahr jenes Land zu besuchen, das vom Einwirken Gottes in die Heilsgeschichte ganz einzigartig geprägt ist. So Gott will, habe ich also vor, in den nächsten Wochen eine Pilgerreise an verschiedene Stätten zu unternehmen, die eine besondere Verbindung zur Menschwerdung des Wortes Gottes aufweisen.

Ich hätte gewünscht, zuallererst Ur in Chaldäa zu besuchen (vgl. Brief über die Pilgerfahrt, 5); heute heißt es Tal al Muqayyar und liegt im südlichen Irak. Es ist der Herkunftsort Abrahams, der später mit seiner Familie nach Haran zog (vgl.
Gn 11,31); dort, so berichtet uns die Bibel, erreichte ihn das Wort Gottes. Er forderte ihn auf, sein Land zu verlassen und in das Land zu ziehen, das der Herr ihm zeigen würde (vgl. Gn 12,1-3).

Durch diese Aufforderung wurde Abraham zum Werkzeug eines Heilsplans, der sich auf das künftige Volk des Bundes, ja auf alle Völker der Welt erstrecken sollte. Er gehorchte und machte sich auf den Weg. Mit ihm begann das Heil Gottes seine Reise durch die Straßen der Menschheitsgeschichte.
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3. Es ist daher wichtig, »den Spuren Abrahams zu folgen«, um die Zeichen der liebevollen Gegenwart Gottes an der Seite des Menschen wiederzuentdecken und die Glaubenserfahrung dieses Menschen aufs neue zu erleben, den Paulus als Vater aller, beschnittenen und unbeschnittenen, Glaubenden bezeichnen wird (vgl.
Rm 4,11-12). In seinem Glauben, der sich in konkreten und zuweilen sogar dramatischen Entscheidungen äußerte - denken wir nur an die Aufgabe der Sicherheit in der Heimat oder an das Opfer seines einzigen Sohnes Isaak -, wurde Abraham jene Gerechtigkeit zuteil, die ihn zu Gottes Freund machte, er gab sich ganz hinein in den Plan Gottes für ihn selbst und für seine Nachkommenschaft und wurde zum Stammvater einer großen Schar von Gläubigen.

»Auf den Spuren Abrahams« lernt man also, die Bedürfnisse einer wahren Einstellung zum Glauben konkret einzuschätzen, und man erfährt die Dynamik der göttlichen Initiative, die in Christus ihren Zielpunkt haben wird.

Die Christen sind sich ihrer unauflöslichen Verbindung zum Volk des alten Bundes bewußt; sie erkennen in Abraham den »Vater im Glauben« schlechthin und nehmen sich gerne ein Beispiel an ihm, indem sie seinen Spuren folgen.

4. Aus diesen Gründen hätte ich mich gerne - im Namen der ganzen Kirche - zum Beten und Nachdenken an den Ort, nämlich Ur in Chaldäa, begeben, von dem Abraham auszog. Da mir dies nun nicht möglich ist, möchte ich eine solche Wallfahrt zumindest im Geiste unternehmen. Deshalb werden wir am kommenden Mittwoch im Laufe einer besonderen Feier in der Audienzhalle die wichtigsten Momente der Glaubenserfahrung Abrahams gemeinsam durchgehen; wir wissen wohl, daß auf diesen großen Patriarchen nicht nur diejenigen schauen, die sich seiner leiblichen Nachkommenschaft rühmen, sondern auch all jene, die sich als seine geistigen Nachkommen fühlen.

Nach diesem ersten Anhalten kann man dann die Reise mit dem Herz voller Dankbarkeit zu den anderen Stationen fortsetzen, an denen sich die Heilsgeschichte ereignet hat, angefangen beim Berg Sinai, wo Mose der heiligste Name Gottes offenbart und er in die Kenntnis seines Mysteriums eingeführt wurde.

Ich lade euch schon jetzt ein, mich im Gebet auf diese meine Wallfahrt zu den mit der Heilsgeschichte verknüpften Orten zu begleiten; sie beginnt bereits am nächsten Mittwoch mit der besonderen Feier, die Abraham, dem Vater aller Gläubigen, gewidmet sein wird.

Unterwegs zu sein, gehört zur menschlichen Befindlichkeit. Deshalb zählen die Wallfahrten an die Stätten des christlichen Glaubens zu den wesentlichen Bestandteilen der Feier des Großen Jubiläums. Die Bedeutung der Wallfahrt wird vom Glauben und der Spiritualität, die von den Stätten selbst ausgehen, bereichert und ergänzt. Die Pilgerstätten begünstigen eine ganz besondere Begegnung mit dem Göttlichen.

Es war mein Wunsch, die wichtigsten biblischen Orte der Heilsgeschichte zu besuchen. Den Anfang wollte ich in Ur setzen, der Heimat des Patriarchen Abraham. Da diese Reise in den Süden des Irak leider nicht möglich ist, will ich mich doch wenigstens im Geiste dorthin begeben und so den Spuren unseres Vaters im Glauben folgen. Aus diesem Grund findet nächsten Mittwoch in der Audienzhalle eine Feier statt, die uns die Höhepunkte der Glaubenserfahrung Abrahams noch einmal erleben läßt. Danach will ich zum Berg Sinai pilgern und die neutestamentlichen Stätten des Heiligen Landes aufsuchen. Dazu bitte ich Euch um Eure Begleitung im Gebet.
* * * * *


Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher, die aus Österreich, der Schweiz und aus Deutschland als Wallfahrer nach Rom gekommen sind, um durch Umkehr und Buße Jesus Christus neu zu begegnen. Gern erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.
* * * * *


12 Aufruf für den Erzbischof von Bukavu:

Es erreichen uns weiterhin besorgniserregende Nachrichten aus der Demokratischen Republik Kongo. In den vergangenen Tagen wurde Msgr. Emmanuel Kataliko, Erzbischof von Bukavu, von den örtlichen Behörden an der Rückkehr in seine Diözese gehindert. Dies ist ein schwerer Rechtsbruch, der alle Katholiken schmerzlich berührt!

Ich fühle mich solidarisch mit den Priestern und Gläubigen von Bukavu und spreche den Wunsch aus, daß der verdiente Bischof unverzüglich zu der ihm anvertrauten Herde zurückkehren kann. In diesem Zusammenhang möchte ich auch nachdrücklich zu einer rascheren Anwendung der Friedensverträge von Lusaka aufrufen, und ich bitte den Herrn um Einheit und Versöhnung für dieses geliebte Land.


Mittwoch, 23. Februar 2000



Die Generalaudienz am 23. Februar auf dem Petersplatz fand in verkürzter Form statt. Papst Johannes Paul II. begrüßte die anwesenden Pilgergruppen und sagte abschließend:

Nun begebe ich mich in die »Aula Paul VI.« Dort leite ich eine liturgische Feier in Erinnerung an den Patriarchen Abraham, unseren Vater im Glauben. Dies wird die erste Station jener Pilgerreise zu einigen mit der Heilsgeschichte in enger Verbindung stehenden Stätten sein, die ich morgen mit meiner Abreise nach Ägypten und zum Berg Sinai fortsetze.

Der Petersplatz ist über das Fernsehen mit der »Aula Paul VI.« verbunden: wer hier bleiben möchte, kann über die Großbildschirme, die auf dem Platz aufgestellt sind, mitverfolgen, was in der nahegelegenen Audienzhalle geschieht. Man kann sich so in geistlicher Weise, »den Spuren Abrahams folgend«, auf den Weg machen. Man kann das Ausgangsgeschehen jener Heilsgeschichte erleben, die ihren Höhepunkt erreichte, als in der Fülle der Zeiten der Sohn Gottes von der Jungfrau Maria geboren wurde. Abrahams Geschichte hat grundlegende Bedeutung für die Gläubigen aller Epochen, und somit auch für uns, die wir auf ihn schauen als ein Vorbild des bedingungslosen Unterwerfens unter den Willen Gottes.

Liebe Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache!

Ich begrüße Euch sehr herzlich zu dieser Generalaudienz. Gern heiße ich Euch beim Grab des heiligen Petrus willkommen. Im gemeinsamen Blick auf Gott möge unsere Gemeinschaft untereinander wachsen und auch die Einheit mit allen, die an ihn glauben.

Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die mit uns verbunden sind, erteile ich den Apostolischen Segen.



März 2000


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Mittwoch, 1. März 2000

Liebe Schwestern und Brüder!


1. Groß war meine Freude, als ich letzte Woche auf den Spuren Mose meine Pilgerreise nach Ägypten unternehmen konnte. Höhepunkt dieser einzigartigen Erfahrung war mein Aufenthalt am Fuße des Berges Sinai, des heiligen Berges: heilig, weil Gott sich dort seinem Diener Mose offenbarte und ihm seinen Namen kundtat; heilig auch deshalb, weil Gott dort seinem Volk sein Gesetz, die Zehn Gebote, schenkte; heilig schließlich auch, weil die Gläubigen durch ihre ständige Gegenwart den Berg Sinai zu einem Ort des Gebets gemacht haben.

Ich bin Gott dankbar dafür, daß es mir gegeben war, an jenem Ort im Gebet innezuhalten, an dem er Mose einen klareren Einblick in sein Geheimnis verlieh, als er aus dem brennenden Dornbusch zu ihm sprach und ihm sowie dem auserwählten Volk das Gesetz des Bundes gab, ein Gesetz des Lebens und der Freiheit für jeden Menschen. Gott machte sich selbst zum Fundament und Bürgen dieses Bundes.

2. Wie ich schon am vergangenen Samstag sagte, erschließen uns die Zehn Gebote die einzige wahrhaft menschliche Zukunft, denn sie sind nicht der willkürliche Befehl eines tyrannischen Gottes. Jahwe hat sie in Stein gemeißelt, aber ins Menschenherz eingeschrieben als universales Sittengesetz, das überall und zu jeder Zeit gültig und aktuell ist. Dieses Gesetz verhindert, daß Egoismus und Haß, Lüge und Verachtung den Menschen zerstören. Mit ihrem ständigen Verweis auf den Bund mit Gott unterstreichen die Zehn Gebote, daß der Herr unser einziger Gott ist und daß jede andere Gottheit falsch ist und zu guter Letzt nur zur Versklavung des Menschen und zu einer Herabsetzung seiner Menschenwürde führt.

»Höre, Israel! [. . .] Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen« (Dt 6,4-7). Diese Worte, die von frommen Juden jeden Tag wiederholt werden, erklingen auch im Herzen jedes Christen: »Höre! Diese Worte sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen!« Es ist undenkbar, Gott treu zu sein, wenn man sein Gesetz nicht befolgt. Gott treu sein bedeutet übrigens auch, sich selbst, der eigenen, wahren Natur und ihrem tiefsten und ununterdrückbaren Streben treu bleiben.

3. Erzbischof Damianos, Hegumenos des Katharinenklosters, und seinen Mönchen bin ich für die große Herzlichkeit dankbar, mit der sie mich aufgenommen haben. Der Erzbischof, der mich am Eingang des Klosters erwartete, zeigte mir die kostbaren »biblischen Reliquien«, die dort aufbewahrt werden: den Jitro-Brunnen und vor allem die Wurzeln des brennenden Dornbuschs. Ich bin neben ihm niedergekniet und habe an die Worte gedacht, mit denen Gott Mose das Geheimnis seines Wesens offenbarte: »Ich bin der ›ich-bin-da‹ « Außerdem konnte ich die einzigartigen Kunstwerke bewundern, die im Laufe der Jahrhunderte aus der Kontemplation und dem Gebet der Mönche hervorgegangen sind.

Vor dem Wortgottesdienst erinnerte Erzbischof Damianos daran, daß genau über uns sich der Berg Horeb erhob - mit dem Gipfel des Sinai, dem Höhepunkt des Dekalogs, dem Ort, an dem Gott »im Feuer und in der Finsternis« zu Mose sprach. Seit Jahrhunderten folgt an dieser Stätte eine Gemeinschaft von Mönchen dem Ideal der christlichen Vollkommenheit in einer »ständigen Beherrschung der Natur und einer unermüdlichen Kontrolle der Sinne« mit den überlieferten Wegen des geistlichen Dialogs und der Askese. Nach dem Treffen hat mich der Erzbischof mit einigen seiner Mönche freundlicherweise bis zum Flughafen begleitet.

4. Gerne ergreife ich diese Gelegenheit, um Präsident Mubarak, den ägyptischen Behörden und allen, die zur Durchführung der Reise beigetragen haben, erneut meinen Dank auszusprechen. Ägypten ist die Wiege einer uralten Kultur. Der christliche Glaube erreichte dieses Land schon zur Zeit der Apostel, besonders durch den hl. Markus, den Jünger von Petrus und Paulus und Gründer der Kirche von Alexandrien.

Während der Pilgerreise hatte ich Gespräche mit Seiner Heiligkeit Patriarch Shenouda III., dem Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche, und mit Mohamed Sayed Tantawi, dem Großscheich von Al-Azhar und religiösem Oberhaupt der muslimischen Gemeinschaft. Ihnen gilt der Ausdruck meiner Dankbarkeit, den ich auch an Seine Seligkeit Stephanos II. Ghattas, Patriarch der katholischen Kopten, und an die anderen anwesenden Erzbischöfe und Bischöfe richte.

Ich erneuere meinen Gruß an die kleine, aber aktive katholische Gemeinde, der ich anläßlich der feierlichen hl. Messe in Kairo begegnet bin; an dieser Eucharistiefeier haben alle in Ägypten vertretenen katholischen Kirchen teilgenommen: die koptische, die lateinische, die maronitische, die griechische, die armenische, die syrische und chaldäische. Um den Tisch des Herrn versammelt, haben wir unseren gemeinsamen Glauben gefeiert und das Engagement der ägyptischen Brüder und Schwestern in ihrem Leben und Apostolat dem Herrn anvertraut. Mit großer Opferbereitschaft und Hochherzigkeit bezeugen sie ihre Treue zum Evangelium in dem Land, in dem die Heilige Familie vor zweitausend Jahren Zuflucht fand.

14 Das wichtige Treffen mit den Vertretern und Gläubigen der nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften Ägyptens werde ich in dankbarer Erinnerung behalten. Mögen die Fortschritte im ökumenischen Bereich, die durch die Gnade des Hl. Geistes im 20. Jahrhundert erreicht werden konnten, noch weitere Impulse erfahren, die das Ziel der vollen Einheit, für das unser Herr Jesus so inständig gebetet hat, immer näherrücken lassen.

5. Der Berg Sinai erinnert mich heute auch an einen anderen Berg, zu dem ich - so Gott will - am Ende dieses Monats reisen werde: der Berg der Seligpreisungen in Galiläa. In der Bergpredigt sagte Jesus, er sei nicht gekommen, um das alte Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen (vgl.
Mt 5,17). Seitdem das Wort Gottes Mensch wurde und für uns am Kreuz starb, hören wir die Zehn Gebote durch seine Stimme. Er verankert sie durch das neue Gnadenleben im Herzen der Menschen, die an ihn glauben. Deshalb fühlt sich der Jünger Christi nicht von einer Vielzahl von Vorschriften erdrückt: Von der Kraft der Liebe getrieben, empfindet er die Gebote Gottes als ein Gesetz der Freiheit: die Freiheit zu lieben, durch das Wirken des Heiligen Geistes in seinem Innern.

Die Seligpreisungen des Evangeliums vervollkommnen das Gesetz vom Berg Sinai. Der Bund, der damals mit dem jüdischen Volk geschlossen wurde, findet seine Vervollkommnung im neuen und ewigen Bund, der im Blut Christi beschlossen wurde. Christus ist das neue Gesetz, und in ihm wird allen Völkern das Heil angeboten.

Christus Jesus empfehle ich die nächste Station meiner Pilgerreise zum Heiligen Jahr, die mich ins Heilige Land führen wird. Ich bitte alle, mich bei der - vor allem spirituellen - Vorbereitung dieses bedeutenden Ereignisses im Gebet zu begleiten.

Von Herzen grüße ich alle Pilger und Besucher, die aus Südtirol, der Schweiz und Deutschland nach Rom gekommen sind. Gern erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.


Mittwoch, 8. März 2000

15 1. Die Fastenzeit stellt den Höhepunkt jenes Weges der Umkehr und Versöhnung dar, den das Jubiläumsjahr als geeignete Zeit der Gnade und Barmherzigkeit allen Gläubigen anbietet, auf daß sie ihre Zugehörigkeit zu Christus, dem einzigen Erlöser des Menschen, erneuern. Das schrieb ich in meiner Botschaft zur Fastenzeit 2000, und mit dieser Überzeugung beginnen wir am heutigen Aschermittwoch den Bußweg der Fastenzeit. Die heutige Liturgie lädt uns zum Beten ein, damit der himmlische Vater dem Christenvolk gewähre, mit dem Fasten einen Weg wahrer Umkehr einzuschlagen, um mit den Waffen der Buße den Kampf gegen den Geist des Bösen siegessicher aufnehmen zu können.

Dies ist die Botschaft des Großen Jubiläumsjahres, die in der Fastenzeit noch aussagekräftiger wird. Der Mensch, jeder Mensch, ist zu Umkehr und Buße aufgefordert, er wird zur Freundschaft mit Gott angetrieben, damit ihm das über natürliche Leben geschenkt wird, das seine tiefsten Herzenswünsche erfüllt.

2. Wenn uns heute die Asche aufs Haupt gelegt wird, werden wir daran erinnert, daß wir Staub sind und zu Staub zurückkehren werden. Dieser Gedanke, eine Gewißheit des Menschen, wird nicht deshalb wiederholt, damit er in uns ein passives Abfinden mit dem eigenen Schicksal wecke. Im Gegenteil: Während die Liturgie uns einerseits an unsere Natur als sterbliche Geschöpfe erinnert, verweist sie uns andererseits auf die barmherzige Initiative Gottes, der uns an seinem eigenen, ewigen und seligen Leben Anteil geben möchte.

Im stimmungsvollen Ritus des Auflegens der Asche erklingt für den Gläubigen die Einladung, sich nicht von den materiellen Wirklichkeiten einengen zu lassen, die zwar schätzenswert, aber doch vergänglich sind. Er muß sich vielmehr von der Gnade der Umkehr und Buße verwandeln lassen, um zu den kühnen und versöhnenden Gipfeln des übernatürlichen Lebens zu gelangen. Nur in Gott findet der Mensch vollkommen zu sich selbst und entdeckt den letztendlichen Sinn seiner Existenz.

Die Pforte des Jubiläumsjahres steht allen Menschen offen! Wer sich von Schuld erdrückt und arm an Verdiensten weiß, trete ein; auch wer sich wie vom Winde verwehter Staub fühlt, trete ein; es komme der Schwache und Mutlose, um aus dem Herzen Christi neue Kraft zu schöpfen.

3. Das Auflegen der Asche ist heute von der traditionellen Praxis der Enthaltsamkeit und des Fastens begleitet. Es handelt sich dabei gewiß nicht um rein äußerliche, rituelle Pflichterfüllung, sondern um beredte Zeichen einer notwendigen Änderung des Lebens. Fasten und Enthaltsamkeit stärken zuallererst den Gläubigen für seinen Kampf gegen das Böse und für seinen Dienst am Evangelium.

Mit Fasten und Buße wird vom Gläubigen gefordert, auf seine Güter und die Befriedigung berechtigter materieller Ansprüche zu verzichten, um eine größere innere Freiheit zu gewinnen und sich für ein aufmerksames Hören des Wortes Gottes und eine großzügige Hilfe für seine Brüder und Schwestern in Not bereitzumachen.

Abstinenz und Fasten müssen also begleitet sein von Gesten der Solidarität gegenüber den Menschen, die leiden oder schwere Zeiten durchmachen. So wird die Buße zum Teilen mit Ausgegrenzten und Bedürftigen. Das ist auch der Geist des Jubiläumsjahres, der alle dazu anregt, die Liebe Christi zu den Brüdern, denen es am Nötigsten fehlt, und zu den Opfern von Hunger, Gewalt und Ungerechtigkeit konkret zum Ausdruck zu bringen. In der Botschaft zur Fastenzeit schrieb ich in diesem Zusammenhang: »Wie können wir um die Gnade des Jubiläums bitten, wenn wir für die Nöte der Armen unempfänglich sind, wenn wir uns nicht einsetzen, um allen die Mittel zu gewährleisten, die sie für ein Leben in Würde brauchen?« (Nr. 5).

4. »Kehrt um, und glaubt an das Evangelium« (
Mc 1,15). Öffnen wir unser Herz für diese Worte, die in der Fastenzeit immer wieder zu hören sind. Der Weg der Umkehr und der Treue zum Evangelium, den wir heute einschlagen, soll uns allen das Gefühl geben, Kinder des einen Vaters zu sein, und das Streben nach Einheit der Christen und nach Eintracht zwischen den Völkern stärken. Ich bitte den Herrn, daß jeder Christ in dieser Fastenzeit des Heiligen Jahres die Verpflichtung der Versöhnung mit Gott, mit sich selbst und mit den Brüdern tiefinnerlich empfinde. Das ist der Weg zur Realisierung der ersehnten, vollen Gemeinschaft aller Jünger Christi. Möge doch bald die Zeit kommen, in der - dank des Gebets und des treuen Zeugnisses der Christen - die Welt Jesus als einzigen Erlöser anerkennt und durch den Glauben an ihn den Frieden erlangt.

Die selige Jungfrau Maria leite uns auf unseren ersten Schritten auf dem Weg der Fastenzeit, damit wir im Durchschreiten der Heiligen Pforte der Umkehr alle die Gnade erfahren, zum Abbild Christi verklärt zu werden.

Zu den Pilgern und Besuchern deutscher Sprache sagte der Heilige Vater:

Mit diesen Gedanken grüße ich die Wallfahrer und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gepilgert sind. Besonders heiße ich willkommen: die Oberinnen der Dillinger Franziskanerinnen der Bamberger Provinz. Euch, Euren Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.


Mittwoch, 29. März 2000

16 1. Nach dem Gedenken an Abraham und dem kurzen, aber intensiven Besuch in Ägypten und auf dem Berg Sinai hat mich meine Jubiläumspilgerreise zu den Heiligen Stätten in das Land geführt, wo sich Geburt, Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi ereigneten und wo die Kirche ihre ersten Schritte tat. Die Freude und Dankbarkeit, die ich für dieses von mir so lange ersehnte Geschenk des Herrn in meinem Herzen hege, sind nicht in Worte zu fassen. Nachdem ich schon während des II. Vatikanischen Konzils im Heiligen Land gewesen war, hatte ich jetzt die Gnade, mit einigen meiner Mitarbeiter dorthin zurückzukehren - genau im Jubiläumsjahr, zur 2000-Jahr-Feier der Geburt des Erlösers. Es war wie eine Rückkehr zu den Ursprüngen, zu den Wurzeln des Glaubens und der Kirche.

Mein Dank gilt dem lateinischen Patriarchen und den Bischöfen der verschiedenen katholischen Ostkirchen, die im Heiligen Land vertreten sind, wie auch den Franziskanern der Kustodie für ihre herzliche Aufnahme und die großartige Arbeit, die sie geleistet haben. Aufrichtig danke ich den jordanischen, israelischen und palästinensischen Behörden, die mich auf meinem religiösen Weg empfangen und begleitet haben. Ich habe ihren Einsatz für den Erfolg meiner Reise gewürdigt und sie erneut des Engagements des Hl. Stuhls für einen gerechten Frieden zwischen allen Bevölkerungsgruppen dieser Region versichert. Ich bin den Völkern jener Länder dankbar für die große Herzlichkeit, die sie mir gegenüber gezeigt haben.

2. Die erste Station - am Berg Nebo - stand in ideeller Kontinuität zu der am Sinai: Von jenem Berg aus betrachtete Mose das Gelobte Land, nachdem er den Auftrag erfüllt hatte, der ihm von Gott übertragen war, und bevor seine Seele zum Herrn zurückkehrte. In gewissem Sinne habe ich meinen Weg genau bei diesem Blick Mose begonnen, und ich habe seinen tiefinnerlichen Eindruck gespürt, der durch die Jahrhunderte und Jahrtausende erhalten bleibt.

Dieser Blick ging zum Jordantal und zur Wüste Juda, dorthin, wo in der Fülle der Zeit die Stimme von Johannes, dem Täufer, widerhallen sollte: Er war von Gott als neuer Elija gesandt, um dem Messias den Weg zu bereiten. Jesus wollte sich von ihm taufen lassen und offenbarte dabei, daß er selbst das Lamm Gottes war, das die Sünde der Welt auf sich nahm. Die Gestalt des Täufers hat mich auf die Spur Christi geführt. Mit großer Freude habe ich im Stadion von Amman eine feierliche heilige Messe für die dort ansässige christliche Gemeinschaft zelebriert. Ich fand sie reich an religiösem Engagement und gut in das Sozialgefüge des Landes eingegliedert.

3. Nach meiner Abreise aus Amman fand ich Unterkunft in der Apostolischen Delegation in Jerusalem. Von dort aus war mein erstes Ziel Betlehem, die Stadt, in der vor dreitausend Jahren David zur Welt kam und wo der Schrift zufolge tausend Jahre später der Messias geboren wurde. In diesem Jahr 2000 steht Betlehem im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der christlichen Welt: Dort nämlich strahlte das Licht der Völker auf, der Herr Christus; von dort erging die Friedensbotschaft an alle Menschen, die Gott liebt.

Gemeinsam mit meinen Mitarbeitern, den katholischen Ordinarien, einigen Kardinälen und zahlreichen weiteren Bischöfen habe ich die heilige Messe auf dem Hauptplatz der Stadt gefeiert; er befindet sich neben der Grotte, wo Maria Jesus zur Welt brachte und ihn in eine Krippe legte. Die weihnachtliche Freude, die Freude des Jubeljahrs erneuerte sich im Geheimnis. Es schien uns, als würden wir die Prophezeiung des Jesaja noch einmal vernehmen: »Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt« (
Is 9,5), zusammen mit der Botschaft der Engel: »Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr« (Lc 2,10-11).

Tief ergriffen bin ich am Nachmittag in der Geburtsgrotte niedergekniet, wo ich im Geiste die Gegenwart der ganzen Kirche und aller Armen der Welt spürte, unter denen Gott sein Zelt aufgeschlagen hat. Um uns in sein Haus zurückzuführen, hat sich dieser Gott zum Vertriebenen und Flüchtling gemacht. Diese Gedanken begleiteten mich, als ich - vor meiner Abreise aus den Palästinensischen Autonomiegebieten - in Betlehem eines der vielen Lager besuchte, wo über drei Millionen palästinensischer Flüchtlinge seit viel zu langer langer Zeit leben. Möge der gemeinsame Einsatz aller endlich zur Lösung dieses schmerzlichen Problems führen.

4. Die Erinnerung an Jerusalem ist nicht mehr aus meiner Seele zu löschen. Groß ist das Geheimnis dieser Stadt, wo die Fülle der Zeit sozusagen zur »Fülle des Raums« wurde.Jerusalem war nämlich Schauplatz des zentralen Ereignisses und des Höhepunkts der Heilsgeschichte: des Ostergeheimnisses Christi. Dort offenbarte und verwirklichte sich das Ziel der Menschwerdung des Wortes: In seinem Tod am Kreuz und in seiner Auferstehung »ist alles vollbracht« (vgl. Jn 19,30). Auf dem Kalvarienberg hat sich die Menschwerdung nach dem ewigen Plan Gottes als Erlösung kundgetan.

Die Steine von Jerusalem sind stumme und doch beredte Zeugen dieses Mysteriums, angefangen beim Abendmahlssaal, wo wir die heilige Eucharistie am selben Ort gefeiert haben, wo sie von Christus eingesetzt wurde. Dort, wo das christliche Priestertum seinen Anfang nahm, habe ich an alle Priester gedacht und den Brief unterzeichnet, den ich zum kommenden Gründonnerstag an sie gerichtet habe.

Zeugen dieses Geheimnisses sind die Ölbäume und der Fels von Getsemani, wo Christus, von Todesangst gepackt, vor seinem Leiden zum Vater betete. Ganz besonders aber legen der Kalvarienberg und das leere Heilige Grab für jene dramatischen Stunden Zeugnis ab. Am vergangenen Sonntag, dem Tag des Herrn, habe ich gerade dort die Heilsbotschaft wiederholt, die Jahrhunderte und Jahrtausende durchzieht: Christus ist auferstanden! Das war der Augenblick, an dem meine Pilgerreise ihren Höhepunkt erreichte. Deshalb empfand ich das Bedürfnis, am Nachmittag noch einmal im Gebet am Kalvarienberg innezuhalten, wo Christus sein Blut für die Menschheit vergossen hat.

5. In Jerusalem, der Stadt, die Juden, Christen und Muslimen heilig ist, habe ich die beiden Oberrabbiner von Israel und den Großmufti von Jerusalem getroffen. Außerhalb hatte ich ein Treffen mit den Vertretern der beiden anderen monotheistischen Religionen: Judentum und Islam. Trotz großer Schwierigkeiten ist Jerusalem dazu aufgerufen, zum Symbol des Friedens zwischen all jenen, die an den Gott Abrahams glauben und sich seinem Gesetz unterwerfen, zu werden. Mögen die Menschen die Erfüllung dieses Projekts beschleunigen!

In Yad Vashem, der Gedenkstätte für die Shoah, habe ich den Millionen Juden, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, die Ehre erwiesen. Ich habe erneut tiefes Bedauern für jene schreckliche Tragödie geäußert und bestätigt, daß »wir uns erinnern wollen«, um uns - Juden, Christen und alle Menschen guten Willens - gemeinsam dafür einzusetzen, das Böse mit dem Guten zu besiegen, um zusammen den Weg des Friedens zu gehen.

Zahlreiche Kirchen, Erben jahrhundertealter Traditionen, leben heute ihren Glauben im Heiligen Land. Die Verschiedenheit ist ein großer Reichtum, solange sie mit dem Geist der Gemeinschaft in voller Treue zum Glauben der Väter einhergeht. Das ökumenische Treffen, das im griechisch-orthodoxen Patriarchat von Jerusalem mit aufrichtig empfundener Teilnahme aller stattgefunden hat, war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur vollen Einheit unter den Christen. Es hat mich sehr gefreut, mich mit Seiner Seligkeit Diodoros, dem griechisch-orthodoxen Patriarchen, und mit Seiner Seligkeit Torkom Manoogian, dem armenischen Patriarchen von Jerusalem, unterhalten zu können. Ich lade alle ein, dafür zu beten, daß der Prozeß der Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den Christen der verschiedenen Kirchen sich festige und weiterentwickle.

6. Eine einzigartige Gnade dieser Pilgerreise war die Feier der heiligen Messe auf dem Berg der Seligpreisungen in der Nähe des Sees Gennesaret mit vielen tausend Jugendlichen aus dem Heiligen Land und aus der ganzen Welt. Es war ein so hoffnungsvoller Moment! Als ich den jungen Leuten die Gebote Gottes und die Seligpreisungen verkündete und weitergab, sah ich in ihnen die Zukunft der Kirche und der Welt.

17 Am Ufer des Sees habe ich tief bewegt zuerst Tabgha besucht, wo Christus die Brote vermehrte, dann den »Ort des Primats«, wo Er Petrus die pastorale Leitung der Kirche übertrug, und schließlich in Kafarnaum die Überreste sowohl des Hauses Petri als auch der Synagoge, wo Jesus sich als das Brot offenbarte, das vom Himmel herabkommt, um der Welt das Leben zu geben (vgl. Jn 6,26-58).

Galiläa! Heimatland Marias und der ersten Jünger; Heimat der Kirche, die missionarisch unter den Völkern gegenwärtig ist! Ich glaube, sie lag Petrus immer sehr am Herzen; und dasselbe gilt für seinen Nachfolger!

7. Am liturgischen Fest Mariä Verkündigung bin ich gewissermaßen zur Quelle des Geheimnisses des Glaubens zurückgegangen. In der Grotte der Verkündigung in Nazaret sind wir niedergekniet, wo, im Schoße der Jungfrau Maria, »das Wort Fleisch geworden« ist und dann unter uns gewohnt hat (vgl. Jn 1,14). Dort kann man in anbetender Stille das liebevolle »Ja« Gottes zum Menschen, das sich im »Fiat« Marias widerspiegelt, hören, sowie das »Amen« des ewigen Sohnes, der jedem Menschen den Weg zum Heil eröffnet. Im gegenseitigen Schenken von Christus und Maria liegen dort die Angelpunkte jeder »heiligen Pforte«. Dort, wo Christus Mensch wurde, findet der Mensch seine Würde und seine erhabenste Berufung wieder.

Ich danke allen, die in den verschiedenen Diözesen, den Ordenshäusern und den kontemplativen Gemeinschaften den Schritten meines Pilgerwegs im Geiste gefolgt sind; ich versichere ihnen, daß ich an die von mir besuchten Orte das Gebet der ganzen Kirche gebracht habe. Noch einmal danke ich dem Herrn für dieses unvergeßliche Erlebnis, und ich bitte ihn demütig und vertrauensvoll, er möge daraus reiche Früchte erwachsen lassen zum Wohl der Kirche und der Menschheit.

Einen besonderen Gedanken möchte ich an das liebe Volk der Philippinen richten, wo sich auf der großen Insel Mindanao die Spannungen leider verschärft haben und nun zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen.

Ich bete für alle Einwohner jener Region, besonders für die politisch und militärisch Verantwortlichen. Der Herr erleuchte sie und bewege sie dazu, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um der Gewalt ein Ende zu bereiten und friedliche Lösungen zu den bestehenden Problemen zu suchen.

Den Familien, die unter diesen Mißständen leiden, spreche ich meine Nähe und Solidarität aus.

Liebe Schwestern und Brüder!

Tief beeindruckt von meiner Wallfahrt ins Heilige Land begrüße ich Euch, die Ihr zur Heiligen Pforte nach Rom gepilgert seid. Auf die Angeln jeder Heiligen Pforte treffen wir an den Stätten, die Jesus Christus vor zweitausend Jahren berührt hat. Was sich damals in der "Fülle der Zeit" ereignet hat, ist dort zur "Fülle des Raumes" geworden. Dank sei Gott, daß ich als Pilger diese Orte besuchen durfte. Obwohl sie stumm sind, sprechen die Steine der heiligen Stätten eine lebendige Sprache. Gerade die Grabeskirche läßt uns nicht nur an Jesu Tod denken, sondern besonders an seine Auferstehung. Hier entdecken wir das Grundgesetz unseres Glaubens: Der Stein des Anstoßes "Tod" wird zum Eckstein "Leben".

Heiliger Boden verpflichtet. Viele Anliegen und Bitten habe ich ins Heilige Land getragen, um sie im Gebet vor den Herrn zu bringen. Heute fasse ich sie so zusammen: Möge Jerusalem das Symbol des Friedens werden für alle, die an den Gott Abrahams glauben! Möge meine Pilgerfahrt Früchte tragen für die Kirche und die ganze Menschheit!
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Unter den zahlreichen Gruppen aus den Ländern deutscher Sprache begrüße ich besonders die Pilger aus den Diözesen Linz und Sankt Pölten, die mit ihren Bischöfen Maximilian Aichern und Kurt Krenn nach Rom gekommen sind. Euch, Euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.



Generalaudienz 2000 8