Generalaudienz 2000 17


April 2000


Mittwoch, 5. April 2000

Die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit in der Menschwerdung

18
1. »Eine einzige Quelle und eine einzige Wurzel, eine einzige Form strahlt im dreifachen Glanz. Dort, wo die Tiefe des Vaters leuchtet, bricht die Macht des Sohnes hervor, die Weisheit, Urheberin des ganzen Universums, diese vom Vaterherzen geschaffene Frucht! Und dort strahlt das einende Licht des Heiligen Geistes.« So sang zu Beginn des 5. Jahrhunderts Synesios von Kyrene im II. Hymnus, um beim Morgengrauen eines neuen Tages die göttliche Dreifaltigkeit zu verherrlichen, die in ihrem Ursprung einzig und in ihrem Glanz dreifach ist. Diese Wahrheit des einen Gottes in drei gleichen und voneinander unterschiedenen Personen ist nicht in den Himmel verbannt; sie darf nicht als eine Art »arithmetisches Himmelstheorem« gedeutet werden, aus dem sich für das menschliche Dasein nichts ergibt, wie der Philosoph Immanuel Kant angenommen hatte.

2. In Wirklichkeit, wie wir im Bericht des Evangelisten Lukas gehört haben, vergegenwärtigt sich die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit in Zeit und Raum; sie findet ihre höchste Epiphanie in Jesus, in seiner Menschwerdung und in seiner Geschichte. Das Gezeugtsein Christi wird von Lukas eben deshalb im Lichte der Dreifaltigkeit verstanden: Die Worte des Engels belegen das; er richtet sie an Maria im Innern des bescheidenen Hauses im galiläischen Dorf Nazaret, das die Archäologen wieder ans Licht gebracht haben. In der Verkündigung Gabriels offenbart sich die transzendente Gegenwart Gottes: Durch Maria und in der Abstammungsfolge Davids schenkt Gott, der Herr, der Welt seinen Sohn: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben« (
Lc 1,31-32).

3. Der Begriff »Sohn« besitzt in diesem Falle einen doppelten Wert, denn in Christus werden die Sohnesbeziehung zum himmlischen Vater und die zur irdischen Mutter aufs engste miteinander verbunden. Aber auch der Heilige Geist ist an der Menschwerdung beteiligt, und es ist sein Eingreifen, das jene Zeugung einzigartig und unwiederholbar macht: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden« (Lc 1,35). Die vom Engel verkündeten Worte sind wie ein kleines Credo, das Licht auf die Identität Christi in bezug auf die anderen Personen der Dreifaltigkeit wirft. Es ist der umfassende Glauben der Kirche, den Lukas schon an den zeitlichen Anfang der Fülle des Heils stellt: Christus ist der Sohn des allerhöchsten Gottes, der Große, der Heilige, der König, der Ewige, dessen Zeugung im Fleisch sich durch den Heiligen Geist vollzieht. Deshalb wird Johannes in seinem ersten Brief schreiben: »Wer leugnet, daß Jesus der Sohn ist, hat auch den Vater nicht; wer bekennt, daß er der Sohn ist, hat auch den Vater« (1Jn 2,23).

4. Im Mittelpunkt unseres Glaubens steht die Menschwerdung, in der sich die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit und ihre Liebe zu uns offenbart: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen« (Jn 1,14). »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab« (Jn 3,16). »Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, daß Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben« (1Jn 4,9). Durch diese Abschnitte aus den johanneischen Schriften können wir verstehen, daß die Offenbarung der trinitarischen Herrlichkeit in der Menschwerdung nicht eine einfache Erleuchtung ist, die einen Moment lang die Finsternis zerreißt, sondern ein Samen göttlichen Lebens, der für immer in die Welt und in das Menschenherz eingepflanzt ist.

Sinnbildhaft ist in dieser Hinsicht eine Erklärung des Apostels Paulus in seinem Brief an die Galater: »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott« (Ga 4,4-7; vgl. Rm 8,15-17). Vater, Sohn und Geist sind also gegenwärtig, und sie wirken in der Menschwerdung, um uns in ihr eigenes Leben einzubeziehen. »Alle Menschen - so hat das II. Vatikanische Konzil bestätigt - werden zu dieser Einheit mit Christus gerufen, der das Licht der Welt ist: Von ihm kommen wir, durch ihn leben wir, zu ihm streben wir hin« (Lumen gentium LG 3). Und der hl. Cyprian betont: Die Gemeinschaft der Kinder Gottes ist ein Volk, das in »der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes verbunden ist« (De Dominica oratione, 2 3 ; i n : Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 34, Kempten/ München 1918, S. 186).

5. »Gott und seinen Sohn erkennen heißt, das Geheimnis der Liebesgemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes im eigenen Leben anzunehmen, das sich schon jetzt in der Teilhabe am göttlichen Leben dem ewigen Leben öffnet. Das ewige Leben ist also das Leben Gottes selbst und zugleich das Leben der Kinder Gottes. Immer neues Staunen und grenzenlose Dankbarkeit müssen den Gläubigen angesichts dieser unerwarteten und aussprechlichen Wahrheit erfassen, die uns von Gott in Christus zuteil wird« (Evangelium vitae, 37-38).

In diesem Staunen und in dieser lebendigen Annahme müssen wir das Mysterium der Heiligsten Dreifaltigkeit verehren. Es ist »das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens und Lebens. Es ist das Mysterium des inneren Lebens Gottes, der Urgrund aller anderen Glaubensmysterien und das Licht, das diese erhellt« (Katechismus der Katholischen Kirche CEC 234).

19 In der Menschwerdung betrachten wir die trinitarische Liebe, die sich in Jesus entfaltet; eine Liebe, die nicht in einem perfekten Kreis von Licht und Herrlichkeit eingeschlossen bleibt, sondern in das Fleisch der Menschen und in ihre Geschichte ausstrahlt; sie durchdringt den Menschen, regeneriert ihn und macht ihn im Sohn zum Sohn. Deshalb - wie der hl. Irenäus gesagt hat - ist Gottes Ruhm der lebendige Mensch: »Gloria enim Dei vivens homo, vita autem hominis visio Dei«; er ist dies nicht nur wegen seines leiblichen Lebens, sondern besonders deshalb, weil »das Leben des Menschen […] die Anschauung Gottes« ist (Adversus haereses, IV, 20,7; in: BKV, Bd. 4, Kempten/München 1912, S. 66). Gott sehen bedeutet (wiederum), in ihm verklärt zu werden: »Wir wissen, daß wir ihm ähnlich sein werden, […] denn wir werden ihn sehen, wie er ist« (1Jn 3,2).

Am Samstag, den 8. April wird der Internationale Tag der Sinti und Roma gefeiert, der in diesem Jahr der Situation der Roma gewidmet ist, die Opfer des Kosovo- Konfliktes geworden sind.

Mein Wunsch ist, daß dieser Tag den Respekt für die Menschenwürde dieser unserer Brüder und ihre angemessene Integration in die Gesellschaft fördere. Mit besonderer Freude blicke ich zudem auf die Begegnungen, die ich anläßlich der Heiligjahrfeier für die Migranten und Menschen unterwegs zu Beginn des kommenden Monats Juni haben werde.

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Lesung aus dem Evangelium nach Lukas sagt uns, daß der dreieinige Gott sich nicht nur in Zeit und Raum offenbart, sondern sogar Mensch wird in Jesus Christus. In der Menschwerdung findet die Heilige Dreifaltigkeit ihren höchsten Ausdruck.

Durch den Besuch des Engels bei Maria kündigt Gott Vater die Menschwerdung des Sohnes durch den Heiligen Geist an. Die Beziehung des Sohnes zu den anderen beiden Personen der Dreifaltigkeit wird hier deutlich.

Die Mitte unseres Glaubens ist die Menschwerdung, in der sich Gott in seiner Liebe offenbart. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist wirken so zusammen, daß auch wir in ihre Liebesbeziehung eintreten können. Diese Liebe öffnet sich. Sie strahlt in unsere Leiblichkeit aus und wirkt in die Geschichte hinein. Somit tritt der Mensch durch den Sohn im Heiligen Geist in eine einzigartige Beziehung zu Gott ein. Mit Recht wird er deshalb Sohn Gottes genannt.
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Von Herzen grüße ich alle Pilger und Besucher, die aus Österreich, der Schweiz, aus der Provinz Bozen und aus Deutschland nach Rom gekommen sind. Insbesondere heiße ich die Benediktinischen Familien um die Abteien Eibingen und Ottobeuren willkommen sowie die Mitglieder des Blindenapostolats und der Kamillianischen Familie Südtirols. Gern erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.


Mittwoch, 12. April 2000

Die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit in der Taufe Christi

20 1. Die eben vorgetragene Lesung führt uns ans Jordanufer. Heute halten wir im Geiste am Ufer des Flusses inne, der die beiden Testamente der Bibel berührt. Wir betrachten jene große Epiphanie der Dreifaltigkeit an dem Tag, an dem Jesus in eben diesem Fluß ins Rampenlicht der Geschichte eintritt, um sein öffentliches Wirken zu beginnen.

Die christliche Kunst wird diesem Fluß die Gestalt eines alten Mannes geben. Er sieht mit großem Erstaunen der Erscheinung zu, die sich in seinen Wassern vollzieht. Dort nämlich, wie die byzantinische Liturgie uns sagt, »wäscht sich die Sonne Christus«. In der Matutin des Festes der Theophanie oder der Epiphanie Christi nimmt diese Liturgie einen Dialog mit dem Fluß auf: »Jordan, was hast du gesehen, das dich so erschüttert hat? - Ich habe den Unsichtbaren unbekleidet gesehen und wurde von einem Beben gepackt. Wie sollte man auch vor ihm nicht zittern und weichen? Die Engel zitterten, als sie ihn sahen, der Himmel geriet in Verwirrung, die Erde bebte, das Meer zog sich zurück mit allen sichtbaren und unsichtbaren Wesen. Christus erschien im Jordan, um alle Wasser zu heiligen!«

2. Die Gegenwart der Dreifaltigkeit in jenem Ereignis ist in allen Fassungen des Evangeliums klar bestätigt. Vorhin haben wir die ausführlichere Darstellung von Matthäus gehört, die auch einen Dialog zwischen Jesus und dem Täufer enthält. Im Mittelpunkt der Szene erhebt sich die Gestalt Christi, der Messias, der die Gerechtigkeit ganz erfüllt (vgl.
Mt 3,15). Er ist derjenige, der den göttlichen Heilsplan zur Vollendung bringt, indem er sich in Demut mit den Sündern solidarisch zeigt.

Seine freiwillige Erniedrigung erwirkt ihm eine wunderbare Erhöhung: Über ihm erklingt die Stimme des Vaters, die verkündet: »Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe« (Mt 3,17). In diesem Satz sind zwei Aspekte des Messianismus Jesu miteinander verbunden: der davidische Aspekt, durch den Bezug auf ein Königsgedicht (vgl. Ps 2,7), und der prophetische, durch das Zitat aus dem ersten Lied vom Gottesknecht (vgl. Is 42,1). Es handelt sich also um die Offenbarung der tiefen Liebesvereinigung Jesu mit dem himmlischen Vater, verknüpft mit seiner Investitur als Messias vor der ganzen Menschheit.

3. In die Szene bricht auch der Heilige Geist in Gestalt einer Taube ein, die auf Christus herabkommt. Es gibt verschiedene Bezugspunkte in der Bibel, die man zur Erklärung dieses Bildes heranziehen kann: von der Taube, die das Ende der Sintflut und den Anfang eines neuen Zeitalters anzeigt (vgl. Gn 8,8-12 1P 3,20-21), über die Taube des Hohenliedes als Symbol für die geliebte Frau (vgl. Ct 2,14 Ct 5,2 Ct 6,9), bis hin zur Taube, die in manchen alttestamentlichen Texten gewissermaßen zum Wappentier Israels wird (vgl. Hos Os 7,11 Ps 68,14).

Ein altjüdischer Kommentar zu den Worten aus dem Buch Genesis (vgl. 1,2), die das Schweben des Geistes mit mütterlicher Zärtlichkeit über der Urflut beschreiben, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls bezeichnend: »Der Geist Gottes schwebte über der Oberfläche des Wassers wie eine Taube, die über ihren Kleinen schwebt, ohne sie zu berühren« (vgl. Talmud, Hagigah, 15a). Der Heilige Geist kommt auf Jesus als überfließende Kraft der Liebe herab. Und im Zusammenhang mit der Taufe Jesu lehrt der Katechismus der Katholischen Kirche: »Der Geist, den Jesus schon seit seiner Empfängnis in Fülle besitzt, kommt herab, um auf ihm zu ›ruhen‹. Jesus wird für die ganze Menschheit der Quell des Geistes sein« (CEC 536).

4. Am Jordan ist also die gesamte Dreifaltigkeit gegenwärtig, um ihr Geheimnis zu offenbaren, um die Sendung Christi zu bestätigen und zu unterstützen und um zu zeigen, daß die Heilsgeschichte mit ihm in ihre zentrale und endgültige Phase eintritt. Sie beinhaltet Raum und Zeit, die menschlichen Gegebenheiten und die kosmische Ordnung, in erster Linie aber die drei göttlichen Personen. Der Vater beauftragt den Sohn, die »Gerechtigkeit«, das heißt das göttliche Heil, im Heiligen Geist zur Erfüllung zu bringen.

Chromatius, der im 4. Jahrhundert Bischof von Aquileia war, betont in einer seiner Predigten über die Taufe und den Heiligen Geist: »Wie unsere erste Schöpfung das Werk der Dreifaltigkeit war, so ist auch unsere zweite Schöpfung das Werk der Dreifaltigkeit. Der Vater tut nichts ohne den Sohn und den Heiligen Geist, denn das Werk des Vaters ist auch das des Sohnes, und das Werk des Sohnes ist auch das des Heiligen Geistes. Es gibt nur eine einzige, gleiche Gnade der Dreifaltigkeit. Wir werden also von der Dreifaltigkeit gerettet, weil wir ursprünglich auch nur von der Dreifaltigkeit erschaffen wurden« (vgl. Sermo 18A).

5. Nach der Taufe Christi wurde der Jordan auch zum Fluß der christlichen Taufe: Nach einer von den Ostkirchen geschätzten Tradition ist das Wasser im Taufbecken ein »Miniatur-Jordan«. Das beweist dieses liturgische Gebet: »Darum bitten wir dich, Herr, die reinigende Wirkung der Dreifaltigkeit komme auf das Taufwasser herab und gebe ihm die Gnade der Erlösung und des Segens des Jordanflusses in der Kraft, im Wirken und in der Gegenwart des Heiligen Geistes« (vgl. Große Vesper der hl. Theophanie unseres Herrn Jesus Christus, Segnung des Taufwassers).

Eine ähnliche Vorstellung scheint auch den hl. Paulinus von Nola zu einigen Versen zu inspirieren, die er als Aufschrift für das Taufbecken verfaßte: »Dieses Becken, Erzeuger der Seelen, die des Heils bedürfen, läßt einen lebendigen Fluß göttlichen Lichts ausströmen. Der Heilige Geist kommt vom Himmel auf diesen Fluß herab und verbindet seine heiligen Wasser mit der himmlischen Quelle; die Welle wird von Gott erfüllt und zeugt mit ihrem fruchtbaren Wasser aus dem ewigen Samen ein heiliges Geschlecht« (vgl. Brief 32,5). Wenn er aus dem neu machenden Wasser des Taufbeckens hervorgegangen ist, beginnt der Christ seinen Weg des Lebens und Zeugnisgebens.

Liebe Schwestern und Brüder!

21 Die heutige Lesung führt uns an das Ufer des Jordan. Wir erinnern uns an die Taufe Jesu, an den entscheidenden Tag, als der Lauf der Geschichte gewendet wurde. Es geschah im Wasser des Jordan. In seiner Taufe hat Jesus sein öffentliches Wirken begonnen.

Die Taufe Jesu war ein Augenblick der Theophanie. Gott, der Eine und Dreifaltige hat sich geoffenbart, indem sich der Himmel öffnete und der Geist Gottes wie eine Taube auf Christus herabkam. Im selben Moment sprach eine Stimme aus der Wolke: “Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe” (
Mt 3,5-17). Das war die Stimme Gottes des Vaters.

Diese Aussage verbindet die zwei Seiten der messianischen Sendung Jesu: Der Messias ist König und Prophet. Wie sich bei Jesu Taufe das innige Band der Liebe zwischen Vater und Sohn gezeigt hat, so ist dieses Ereignis gleichzeitig die öffentliche Einsetzung in sein messianisches Amt.

Am Jordan hat unsere christliche Geschichte begonnen, in der Taufe Jesu offenbart sich die Heilige Dreifaltigkeit.
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Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Besonders heiße ich willkommen: die Pilgergruppe aus Niederösterreich und die zahlreichen Jugendlichen, unter ihnen die Gruppe des Gymnasiums in Essen-Werden. Euch, Euren Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.





Mittwoch, 19. April 2000

22
1.Der Weg der Fastenzeit, den wir am Aschermittwoch begonnen haben, erreicht seinen Höhepunkt in dieser Woche. Sie wird zu Recht als »heilig« bezeichnet, denn wir bereiten uns darauf vor, in den nächsten Tagen die heiligsten Ereignisse unserer Erlösung aufs neue zu erleben: die Passion, den Tod und die Auferstehung Christi.

Vor uns steht in diesen Tagen das Kreuz, als beredtes Symbol der Liebe Gottes zur Menschheit. Zugleich hört man in der Liturgie den flehentlichen Ruf des sterbenden Erlösers: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (
Mt 27,46 Mc 15,34). Diesen Aufschrei des Leids empfinden wir sehr oft auch als den unseren, in den verschiedenen leidvollen Situationen unseres Daseins, die inneres Betrübtsein, Sorge und Unsicherheit verursachen können. In den Augenblicken von Einsamkeit und Ohnmacht, an denen es im Menschenleben nicht fehlt, kann im Innern der Gläubigen der Ruf aufkommen: Der Herr hat mich verlassen!

Das Leiden Christi und seine Verherrlichung am Holz des Kreuzes bieten uns aber eine andere Deutungsmöglichkeit dieser Ereignisse. Auf dem Höhepunkt des Opfers seines eingeborenen Sohnes verläßt ihn der Vater auf dem Golgota keineswegs, im Gegenteil: Er bringt seinen Heilsplan für die gesamte Menschheit zur Vollendung. In Passion, Tod und Auferstehung wird uns offenbart, daß nicht der Tod das letzte Wort menschlicher Existenz ist, sondern der Sieg Gottes über den Tod. Die Liebe Gottes, die sich im Ostergeheimnis in ihrer ganzen Fülle äußert, überwindet den Tod und die Sünde, die dessen Ursache ist (vgl. Rm 5,12).

2. In diesen Tagen der Karwoche dringen wir zum Mittelpunkt des göttlichen Heilsplans vor. Die Kirche möchte alle Menschen - besonders in diesem Jubeljahr - daran erinnern, daß Christus für jeden Mann und jede Frau gestorben ist, denn das Geschenk des Heils ist universal. Die Kirche verweist auf das Antlitz eines gekreuzigten Gottes, der niemandem Angst einflößt, sondern allein Liebe und Barmherzigkeit vermittelt. Es ist unmöglich, vor dem Opfer Christi unbeteiligt zu bleiben! Im Innern eines Menschen, der zur Betrachtung der Passion des Herrn innehält, erwachsen ganz spontan Empfindungen tiefer Dankbarkeit. Wenn man im Geiste mit ihm auf den Kalvarienberg geht, kann man in gewisser Weise das Licht und die Freude, die aus seiner Auferstehung hervorquellen, selbst erfahren.

Das werden wir mit der Hilfe Gottes während des österlichen Triduums aufs neue erleben. Durch die Ausdruckskraft der Riten der Karwoche zeigt uns die Liturgie die untrennbare Kontinuität zwischen Leiden und Auferstehung. Der Tod Christi trägt den Samen der Auferstehung schon in sich.

3. Eingeleitet wird das österliche Triduum mit der Feier der heiligen Chrisam-Messe am morgigen Vormittag, dem Gründonnerstag. Dazu werden sich in den Kathedralen der Diözesen die Priester um ihre Hirten versammeln. Es werden das Krankenöl, das Katechumenenöl und der Chrisam zur Spendung der Sakramente geweiht. Dieser bedeutungsreiche Ritus wird begleitet von der genauso wichtigen Erneuerung der Verpflichtungen und Versprechen der Priester. Es ist der Tag der Priester, der jedes Jahr uns Amtsträger der Kirche dazu bringt, den Wert und Sinn unseres Priesteramts - als Geschenk und Geheimnis der Liebe - neu zu entdecken.

Am Abend feiern wir dann das Gedächtnis der Einsetzung der Eucharistie, des Sakraments der unendlichen Liebe Gottes zur Menschheit. Judas verrät Jesus. Petrus verleugnet ihn trotz aller seiner Beteuerungen. Die anderen Apostel suchen in der Stunde der Passion das Weite. Nur wenige bleiben an seiner Seite. Und doch vertraut der Herr sein Testament gerade diesen schwachen Menschen an, indem er sich selbst in seinem Leib und Blut, gegeben und vergossen für das Leben der Welt, hingibt (vgl. Jn 6,51). Welch unermeßliches Geheimnis des Entgegenkommens und der Güte!

Am Karfreitag wird der Bericht von der Passion vorgetragen, und wir sind eingeladen, das Kreuz, dieses einzigartige Symbol der göttlichen Barmherzigkeit, zu verehren. Dem Menschen, der nicht selten in der Unterscheidung zwischen Gut und Böse unsicher ist, zeigt der Gekreuzigte den einzigen Weg, der dem menschlichen Dasein Sinn gibt. Es ist der Weg der vollkommenen Annahme des göttlichen Willens und der großzügigen Selbsthingabe für die Brüder.

Am Karsamstag, einem Tag tiefer Stille in der Liturgie, werden wir über den Sinn dieser Ereignisse nachdenken. Die Kirche wird mit Maria, der Schmerzensmutter, aufmerksam wachen und mit ihr die Morgenfrühe der Auferstehung erwarten. In der Tat wird die Stille mit Anbruch des »ersten Tages der Woche« durch die frohe Osterbotschaft gebrochen, die während der feierlichen Osternachtsliturgie im festlichen Gesang des »Exultet« verkündet wird. Der Triumph Christi über den Tod wird - wie am Stein seines Grabes - an den Herzen und Gewissen der Gläubigen rütteln. Er wird sie mit der gleichen Freude überfluten, die von Maria Magdalena, von den frommen Frauen, von den Aposteln und von allen jenen empfunden wurde, denen der Auferstandene am Ostertag erschien.

4. Liebe Brüder und Schwestern! Bereiten wir unser Herz darauf vor, dieses heilige Triduum ganz intensiv zu erleben. Lassen wir uns von der Gnade dieser heiligen Tage durchdringen, und folgen wir der Aufforderung des heiligen Bischofs Athanasius: Folgen wir »also dem Herrn und feiern wir sein Fest nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten« (Festbriefe, 14,2; Lektionar zum Stundenbuch I,2, Freiburg 1991, S. 121).

Mit diesen Empfindungen wünsche ich euch allen und euren Angehörigen ein fruchtbringendes heiliges Triduum und ein frohes Osterfest der Auferstehung.

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit dem Palmsonntag sind wir in die Karwoche eingetreten. Während dieser heiligen Woche gedenken wir der zentralen Ereignisse der Erlösung. Im Herzen dieser Woche stehen die heiligen drei Tage sowie die Nacht der Auferstehung des Herrn. Mit der Feier dieser Tage erreicht das Kirchenjahr seinen Höhepunkt. Das Erlösungswerk und die Verherrlichung Gottes in Jesus Christus vollziehen sich im Ostermysterium. Es ist das große Geheimnis des Glaubens: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.

In der Geschichte der Menschheit kommt keinem Ereignis größere Bedeutung zu. Kein Geschehen hat höheren Wert.

So erleben wir am Ende der Fastenzeit die wichtigsten Ereignisse unseres Glaubens. Diese Tage mögen ein Anlaß sein, um uns für die Nachfolge Christi Kraft zu holen.
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23 Mit diesen Gedanken grüße ich die zahlreichen Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Euch allen, Euren lieben Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen. Ich wünsche euch allen gesegnete Ostern.




Mittwoch, 26. April 2000

Die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit in der Verklärung

1. In dieser Osteroktav, die als ein einziger, großer Tag betrachtet wird, wiederholt die Liturgie unermüdlich die Botschaft der Auferstehung: »Jesus ist wirklich auferstanden!« Diese Verkündigung eröffnet der ganzen Menschheit einen neuen Horizont. In der Auferstehung wird das Wirklichkeit, was in der Verklärung auf dem Tabor schon geheimnisvoll angedeutet war. Damals offenbarte der Erlöser Petrus, Jakobus und Johannes das Wunder der Herrlichkeit und des Lichtes. Es wurde von der Stimme des Vaters bestätigt: »Das ist mein geliebter Sohn« (Mc 9,7).

Am Osterfest erscheinen uns diese Worte in ihrer Fülle an Wahrheit. Der geliebte Sohn des Vaters, der gekreuzigte und gestorbene Christus, ist für uns auferstanden. In seinem Licht sehen wir Gläubigen das Licht, und »vom Geist erhoben - wie die Liturgie der Ostkirche sagt - preisen wir die wesensgleiche Dreifaltigkeit durch alle Jahrhunderte« (vgl. Große Vesper der Verklärung Christi). Mit von österlicher Freude erfülltem Herzen ersteigen wir heute in Gedanken den heiligen Berg, der die Ebene Galiläas überragt, um über das Ereignis nachzudenken, das sich dort oben vollzog und das Ostergeschehen vorwegnahm.

2. Christus ist der Mittelpunkt der Verklärung. Auf ihn sind zwei Zeugen des Alten Testaments ausgerichtet: Mose, Vermittler des Gesetzes, und Elija, Prophet des lebendigen Gottes. Die von der Stimme des Vaters verkündete Gottheit Christi wird auch von den Symbolen verdeutlicht, die Markus in seinen malerischen Zügen zeichnet. Er spricht in der Tat vom Licht und vom strahlenden Weiß, die Ewigkeit und Transzendenz darstellen: »Seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann« (Mc 9,3). Dann ist dort die Wolke, das Zeichen der Gegenwart Gottes beim Auszug des Volkes Israel und im Zelt des Bundes (vgl. Ex 13,21-22 Ex 14,19 Ex 14,24 Ex 40,34 Ex 40,38).

Und in der Matutin der Verklärung setzt die orientalische Liturgie den Lobpreis fort: »Unveränderliches Licht vom Licht des Vaters, o Wort, in deinem strahlenden Licht haben wir heute am Tabor das Licht gesehen, das der Vater ist, und das Licht, das der Geist ist; ein Licht, das jedes Geschöpf erleuchtet.«

3. Dieser liturgische Text unterstreicht die trinitarische Dimension der Verklärung Christi auf dem Berg. Denn hier ist die Gegenwart des Vaters durch sein offenbarendes Wort deutlich geworden. Die christliche Überlieferung erkennt mit einbezogen auch die Gegenwart des Heiligen Geistes in Anbetracht des vergleichbaren Geschehens bei der Taufe im Jordan, wo der Geist in Gestalt einer Taube auf Christus herabkam (vgl. Mc 1,10). Das Gebot des Vaters: »Auf ihn sollt ihr hören« (Mc 9,7) setzt in der Tat voraus, daß Jesus vom Heiligen Geist erfüllt ist, so wie seine Worte »Geist und Leben« sind (vgl. Jn 6,63 3,34-35).

So kann man einen Berg ersteigen, um innezuhalten, um zu betrachten und um sich in das Geheimnis des Lichtes Gottes zu versenken. Nach einem Bild, das die Mystiker besonders lieben, sind im Tabor alle Berge, die uns zu Gott führen, dargestellt. Ein weiterer Text der Ostkirche fordert uns zu diesem Aufsteigen nach oben und zum Licht auf: »Kommt, Völker, folgt mir! Steigen wir auf den heiligen und himmlischen Berg, bleiben wir geistlich in der Stadt des lebendigen Gottes und betrachten wir im Geiste die Gottheit des Vaters und des Geistes, die im eingeborenen Sohn erstrahlt« (vgl. Troparion zum Schluß des Kanons des hl. Johannes von Damaskus).

4. Wir betrachten in der Verklärung nicht nur das Geheimnis Gottes, indem wir von Licht zu Licht gehen (vgl. Ps 36,10), sondern wir sind auch eingeladen, das an uns gerichtete Wort Gottes zu hören. Über dem Wort des Gesetzes bei Mose und der Weissagung bei Elija ist das Wort des Vaters zu hören, der auf das des Sohnes verweist, wie ich vorhin andeutete. Der Vater stellt seinen »geliebten Sohn« vor mit der Aufforderung, auf ihn zu hören (vgl. Mc 9,7).

In der Auslegung des Verklärungsgeschehens stellt der Zweite Petrusbrief die Stimme Gottes ganz besonders heraus. Jesus Christus »hat von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit empfangen; denn er hörte die Stimme der erhabenen Herrlichkeit, die zu ihm sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe. Diese Stimme, die vom Himmel kam, haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren. Dadurch ist das Wort der Propheten für uns noch sicherer geworden, und ihr tut gut daran, es zu beachten; denn es ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen« (2P 1,183).

24 5. Anschauen und Zuhören, Betrachten und Folgsamsein sind also die Wege, die uns zum heiligen Berg führen, auf dem sich die Dreifaltigkeit in der Herrlichkeit des Sohnes offenbart. »Die Verklärung gibt uns eine Vorahnung der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit, ›der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes‹ (Ph 3,21). Sie sagt uns aber auch, daß wir ›durch viele Drangsale … in das Reich Gottes gelangen‹ müssen (Ac 14,22)« (CEC 556).

Wie uns die Spiritualität der orientalischen Kirche nahelegt, stellt uns die Liturgie von der Verklärung in den drei Aposteln Petrus, Jakobus und Johannes eine »Dreiheit« vor Augen, die die göttliche Dreifaltigkeit betrachtet. Wie die drei Jünglinge im Feuerofen aus dem Buch Daniel (vgl. 3,5190) preist die Liturgie »Gott, Vater und Schöpfer, sie besingt das Wort, das ihnen zur Hilfe herabkam und das Feuer in Tau verwandelte, und lobpreist den Heiligen Geist, der durch die Jahrhunderte allen das Leben gibt« (vgl. Matutin am Fest der Verklärung).

Auch wir beten nun zum verklärten Christus mit den Worten des Kanons des hl. Johannes von Damaskus: »Du hast mich durch die Sehnsucht nach dir an dich gezogen, o Christus, und mich mit deiner göttlichen Liebe verwandelt. Verbrenne meine Sünden im unangreifbaren Feuer und erfülle mich mit deiner Sanftheit, damit ich vor Freude schaudere und deine Offenbarungen lobpreise.«

Liebe Schwestern und Brüder!

In der Osterwoche wird die Kirche nicht müde, die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi in die Welt hinauszurufen: Jesus ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden!

Diese Botschaft öffnet der Menschheit einen neuen Horizont. Was in Jesu Verklärung auf Tabor schon schattenhaft angedeutet war, das wird an Ostern Wirklichkeit.

Ich lade euch, liebe Pilger, ein zu einer geistlichen Wanderung auf den Berg Tabor. Dieser Berg steht für alle heiligen Berge, die uns näher zu Gott hinführen. Im Mittelpunkt der Verklärung sehen wir Jesus Christus selbst. Doch letztlich ist sie ein Geschehen des dreifaltigen Gottes. Auch Gott-Vater und der Heilige Geist sind beteiligt. Denn aus der Wolke erklingt eine Stimme: "Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören" (Mc 9,7).

Schauen und Lauschen, Betrachtung und Gehorsam sind die beiden Wege, die uns am Heiligen Berg die Herrlichkeit Gottes erleben lassen. Diese Erfahrung schenkt uns österliche Zuversicht. Wir dürfen darauf hoffen, daß auch wir einmal "transfiguriert" werden. Selbst im Tod wird uns das Leben nicht genommen, sondern vielmehr umgestaltet in der Kraft des Auferstandenen.
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Mit einem frohen Osterwunsch begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich die Seminaristen des Priesterseminars in Salzburg und den Domchor von Speyer willkommen. Unter den vielen Jugend- und Ministrantengruppen grüße ich vor allem die Teilnehmer der 50. Jugendwallfahrt des Bistums Regensburg. Euch allen, Euren Lieben daheim und jenen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.




Mai 200o


25

Mittwoch, 3. Mai 2000

Die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit in der Passion

1. Am Ende des Berichts über Christi Tod läßt das Evangelium den römischen Zenturio zu Wort kommen, der das Glaubensbekenntnis der Kirche vor wegnimmt: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn« (Mc 15,39). In den letzten Stunden des irdischen Lebens Jesu verwirklicht sich in der Finsternis die höchste Epiphanie der Dreifaltigkeit. Trotz des abgrundtiefen Leids registriert die Erzählung im Evangelium über die Passion und den Tod Christi nämlich das Fortdauern seiner innigen Beziehung zum himmlischen Vater.

Alles beginnt beim Letzten Abendmahl, in den stillen Mauern des Saales, wo aber der Schatten des Verrats schon zu spüren ist. Johannes hat uns diese Abschiedsreden überliefert, in denen die tiefe Verbindung und die gegenseitige Immanenz zwischen Jesus und dem Vater herausgestellt wird: »Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen […] Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen […] Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. Glaubt mir doch, daß ich im Vater bin und daß der Vater in mir ist« (Jn 14,7 Jn 14, .

Wenn er dies sagt, nimmt Jesus die Worte wieder auf, die er kurze Zeit vorher gesprochen hat, als er kurz und bündig erklärte: »Ich und der Vater sind eins […] In mir ist der Vater, und ich bin im Vater« (vgl. Jn 10,30 Jn 10,38). Und in dem Gebet, das die Worte im Abendmahlssaal besiegelt und an den Vater in Betrachtung seiner Herrlichkeit gerichtet ist, betont er: »Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir« (Jn 17,11). Mit diesem grenzenlosen Vertrauen in den Vater macht sich Jesus auf den Weg zu seinem äußersten Liebesakt (vgl. Jn 13,1).

2. In der Passion zeigt sich das Band, das ihn mit dem Vater vereint, auf ganz eindringliche und gleichzeitig dramatische Weise. Der Sohn Gottes lebt seine Menschlichkeit in ihrer ganzen Fülle, indem er in das Dunkel von Leid und Tod eingeht, die zu unserer Bedingtheit als Menschen gehören. Während eines Gebets, das einem Kampf, ja einem »Todeskampf« ähnelt, wendet sich Jesus in Getsemani an den Vater mit der vertraulichen aramäischen Anrede eines Kindes: »Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst [soll geschehen]« (Mc 14,36).

Kurz darauf, als die Feindseligkeit der Menschen gegen ihn losbricht, erinnert er Petrus daran, daß diese Stunde der Finsternis Teil eines göttlichen Plans des Vaters ist: »Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte? Wie würde dann aber die Schrift erfüllt, nach der es so geschehen muß?« (Mt 26,53-54).

3. Auch das Gespräch mit dem Hohenpriester während des Prozesses verwandelt sich in eine Offenbarung der messianischen und göttlichen Herrlichkeit, die den Sohn Gottes umgibt. »Darauf sagte der Hohepriester zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, sag uns: Bist du der Messias, der Sohn Gottes? Jesus antwortete: Du hast es gesagt. Doch ich erkläre euch: Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen« (Mt 26,63-64).

Am Kreuz werden ihn die Umstehenden mit Sarkasmus an diese Äußerung erinnern: »Er hat auf Gott vertraut: der soll ihn jetzt retten, wenn er an ihm Gefallen hat; er hat doch gesagt: Ich bin Gottes Sohn« (Mt 27,43). Für jene Stunde aber war ihm das Schweigen des Vaters vorbehalten, damit er vollkommen mit den Sündern solidarisch werden und sie erlösen konnte. Der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt: »Jesus ist nicht [von Gott] verworfen worden, als hätte er selbst gesündigt. Vielmehr hat er uns in seiner Erlöserliebe, die ihn immer mit dem Vater verband, […] angenommen in der Gottferne unserer Sünde« (CEC 603).

4. Am Kreuz führt Jesus in Wirklichkeit seinen innigen Dialog mit dem Vater weiter und »lebt« ihn in seiner ganzen gequälten und leidenden Menschlichkeit, ohne je die vertrauensvolle Einstellung des Sohnes, der »eins« ist mit dem Vater, aufzugeben. Einerseits nämlich besteht dieses geheimnisvolle Schweigen des Vaters, begleitet von kosmischem Dunkel und verstärkt von dem Aufschrei: »Eli, Eli, lema sabachtani?, das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mt 27,46).

Andererseits mündet der Psalm 22, der an dieser Stelle von Jesus zitiert wird, in eine Hymne an den Herrn als Herrscher über die Welt und über die Geschichte. Dieser Aspekt wird im Bericht des Evangelisten Lukas verdeutlicht. Nach ihm sind die letzten Worte des sterbenden Christus ein herausragendes Psalmenzitat mit dem zusätzlichen Anruf an den Vater: »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist« (Lc 23,46 vgl. Ps 31,6).


Generalaudienz 2000 17