Generalaudienz 2000 47

47 Was oder besser wen suchen diese Jugendlichen, wenn nicht Jesus Christus? Was ist der Weltjugendtag, wenn nicht eine persönliche und gemeinschaftliche Begegnung mit dem Herrn, der dem menschlichen Dasein Sinn verleiht? In Wirklichkeit ist Er es, der sie als erster gesucht und gerufen hat, so wie Er jeden Menschen sucht und ruft, um ihn zum Heil und zum vollkommenen Glück zu führen. Und zum Schluß des Treffens ist es wiederum Er, der die Jugendlichen mit dem besonderen Auftrag betraut, in jedem Winkel der Erde seine Zeugen zu sein. Diese Tage waren geprägt von der Entdeckung einer freundschaftlichen und treuen Gegenwart: der Gegenwart Jesu Christi, von dem wir den 2000. Jahrestag der Geburt feiern.

3. Mit dem für ihr Alter charakteristischen Enthusiasmus haben die Jugendlichen geantwortet, daß sie Jesus nachfolgen wollen. Sie wollen dies tun, weil sie sich als lebendiger Teil der Kirche fühlen. Sie wollen es tun, indem sie den Weg zusammen gehen, weil sie sich als pilgerndes Gottesvolk fühlen.

Ihre Schwächen machen ihnen keine Angst, weil sie auf die Liebe und Barmherzigkeit des himmlischen Vaters bauen, der sie im täglichen Leben unterstützt. Jenseits von Rasse und Kultur fühlen sie sich als Geschwister, vereint durch einen einzigen Glauben, eine einzige Hoffnung und dieselbe Sendung: die Welt mit der Liebe Gottes zu entzünden. Die Jugendlichen haben deutlich gezeigt, daß sie auf der Suche nach Sinn sind. Sie suchen nach Gründen für die Hoffnung und sehnen sich nach echten spirituellen Erfahrungen.

Möge die Botschaft des Weltjugendtages aufgenommen und vertieft werden, und zwar sowohl von den Teilnehmern als auch von ihren Altersgenossen, die dessen verschiedene Etappen und Veranstaltungen über Zeitung, Radio und Fernsehen verfolgt haben!

Es ist nötig, daß die vom Evangelium inspirierte Atmosphäre jener Tage nicht verlorengeht, sondern im Gegenteil künftig in Jugendgemeinschaften und Verbänden, in Pfarreien und Diözesen vorherrscht - insbesondere in diesem Jubiläumsjahr, das alle Menschen zu einer Begegnung mit dem für uns gestorbenen und auferstandenen Christus einlädt.

Allen Jugendlichen möchte ich erneut zurufen: Seid stolz auf den Auftrag, den der Herr euch gegeben hat, und erfüllt ihn mit demütiger und großherziger Ausdauer. Dabei unterstütze euch die mütterliche Hilfe Marias, die während der Tage eurer Heiligjahrfeier über euch gewacht hat. Christus und seine Kirche zählen auf euch!

Mein Herz ist noch so voll von den tiefen und guten Eindrücken, die der Weltjugendtag in mir hinterlassen hat. Deshalb möchte ich heute aufrichtig Dank sagen: den unzähligen Organisatoren, besonders aber den Jugendlichen, die dieses große Treffen gelingen ließen. Es hat alle meine Erwartungen weit übertroffen. Ob bei den Veranstaltungen für die Menge oder bei den geistlichen Angeboten an den einzelnen: Immer stand die persönliche Begegnung mit Jesus Christus im Mittelpunkt.

Jetzt geht es darum, den Geist des Weltjugendtages in jeden Winkel der Erde zu tragen. Die Jugend der Welt hat eine hohe Mission: Sie steht im Dienst der Zivilisation der Liebe.

Als ich mit dem Hubschrauber aus Castel Gandolfo nach Tor Vergata geflogen bin, war ich tief bewegt von dem bunten Teppich der jungen Leute. Am liebsten hätte ich jeden einzeln umarmt. Jetzt bringe ich alle im Gebet vor den Herrn: Er mache sie zu Christus-Trägern für das neue Jahrhundert.

Gern begrüße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Besonders heiße ich die großen Wallfahrtsgruppen willkommen, die aus den Diözesen Eisenstadt und Graz-Seckau in die Ewige Stadt gereist sind. Der Gang durch die Heilige Pforte sei euch ein Ansporn, euren Lebensweg immer mehr auf Christus auszurichten! Dazu erteile ich Euch, Euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.


Mittwoch, 30. August 2000

48

Die »metánoia« als Folge der Begegnung mit Christus

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Der Psalmist verkündet: »Mein Elend ist aufgezeichnet bei dir« (Ps 56,9). Dieser kurze und prägnante Satz beinhaltet die Geschichte des Menschen, der in der Wüste der Einsamkeit, des Bösen und der geistlichen Trockenheit umherirrt. Durch die Sünde hat er die wunderbare Harmonie zerstört, mit der Gott die Schöpfung ursprünglich ausgestattet hatte: »Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut«, so gibt es uns eine bekannte Stelle aus dem Buch Genesis zu verstehen (Gn 1,31). Dennoch steht Gott seinem Geschöpf nie fern, sondern er bleibt in seinem Innersten gegenwärtig, nach einem schönen Ausspruch des hl. Augustinus: »Wo also warest du nur damals und in welcher Ferne? Weit von dir zog ich in der Fremde umher…Du aber warst innerlicher als mein Innerstes und höher als mein Höchstes« (Bekenntnisse, III,6; Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 18, Kempten/München 1914, S. 48).

Doch bereits der Psalmist hatte in einem großartigen Hymnus die vergebliche Flucht des Menschen vor seinem Schöpfer beschrieben: »Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist, wohin mich vor deinem Angesicht flüchten? Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen. Nehme ich die Flügel des Morgenrots und lasse mich nieder am äußersten Meer, auch dort wird deine Hand mich ergreifen und deine Rechte mich fassen. Würde ich sagen: ›Finsternis soll mich bedecken, statt Licht soll Nacht mich umgeben‹, auch die Finsternis wäre für dich nicht finster, die Nacht würde leuchten wie der Tag, die Finsternis wäre wie Licht« (Ps 139,7-12).

2. Mit besonderer Beharrlichkeit und Liebe macht sich Gott auf die Suche nach dem widerspenstigen Sohn, der versucht, seinem Blick weit zu entfliehen. Gott hat sich durch seinen Sohn Jesus Christus, der sich bei seinem Eintritt in die Geschichte als »das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt«, zu erkennen gab, auf die verschlungenen Wege der Sünder begeben. Die ersten Worte, die er in der Öffentlichkeit sprach, lauteten: »Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe« (Mt 4,17). Es taucht hier ein wichtiger Begriff auf, den Jesus wiederholt durch Worte und Taten veranschaulichen wird: »Kehrt um«, auf griechisch »metanoéite«, d.h. vollzieht in euch eine »metánoia«, also einen radikalen Wandel der Gesinnung und des Herzens. Hierzu muß man das Böse hinter sich lassen und in das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und der Wahrheit, das sich uns eröffnet, eintreten.

Die Trilogie der Parabeln von der göttlichen Barmherzigkeit, die Lukas in Kapitel 15 seines Evangeliums anführt, stellt am eindrucksvollsten die aktive Suche und die liebevolle Erwartung Gottes gegenüber der durch die Sünde verwundeten Kreatur dar. Der Mensch vollzieht die »metánoia«, also die Umkehr. So kehrt er wie der verlorene Sohn zurück, um den Vater zu umarmen, der ihn niemals vergessen oder gar verlassen hätte.

3. Der hl. Ambrosius verweist in seinem Kommentar zu dieser Parabel über den Vater, der verschwenderisch ist in seiner Liebe zum Sohn, der sich in Sünde verloren hat, auf die Gegenwart der Dreifaltigkeit: »Steh denn auf, eile zur Kirche! Hier weilt der Vater, hier weilt der Sohn, hier weilt der Heilige Geist. Da kommt dir der Vater entgegen, der dich heimlich im Geiste überlegen und sprechen hörte. Und schon von ferne sieht er dich und eilt herbei: er sieht sich in deinem Herzen um, eilt herbei, daß niemand dir wehre, daß niemand ihn hindere, und schließt dich desgleichen in seine Arme… Um den Hals fällt er ihm, um den am Boden Liegenden aufzuheben, den von Sündenlast Beschwerten und zum Irdischen Niedergebeugten wiederum gen Himmel aufzurichten, wo selbst er seinen Schöpfer suchen soll. Um den Hals fällt dir Christus, um deinen Nacken vom Joch der Knechtschaft zu befreien und deinem Hals ein süßes Joch aufzulegen« (Lukaskommentar, VII., 229-230; BKV, Bd. 21, Kempten/ München 1915, S. 746f.).

4. Die Begegnung mit Christus verändert die Existenz eines Menschen. Dies lehrt uns die Geschichte des Zachäus, von der wir zu Beginn gehört haben. Vergleichbares widerfuhr auch den Sündern und Sünderinnen, die Jesus auf ihren Wegen begegnet sind. Vom Kreuz herab wird dem Verbrecher ein letzter Akt des Verzeihens und der Hoffnung zuteil, als er - an der äußersten Grenze zwischen Leben und Tod angelangt - seine »metánoia« vollbringt und zu seinem Gefährten spricht: »Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten« (Lc 23,41). Jesus gibt ihm, als er ihn anfleht: »Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst«, zur Antwort: »Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein« (Lc 23,42-43). Somit endet die Sendung Christi auf Erden, die mit der Einladung begonnen hatte, umzukehren, um ins Reich Gottes gelangen zu können, mit der Bekehrung und dem Eingehen eines Menschen in sein Reich.

5. Auch die Sendung der Apostel nahm ihren Anfang mit einer eindringlichen Einladung zur Umkehr. Petrus gab den Hörern seiner ersten Rede, die sich von seinen Worten ins Herz getroffen fühlten und ängstlich fragten: »Was sollen wir tun?«, zur Antwort: »Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen« (Ac 2,37-38). Diese Antwort des Petrus wurde bereitwillig aufgenommen: »etwa dreitausend Menschen« bekehrten sich an jenem Tag (vgl. Ac 2,41). Nach der wunderbaren Heilung eines Gelähmten erneuerte Petrus seine Ermahnung. Er erinnerte die Bürger Jerusalems an ihre schreckliche Sünde: »Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet…Den Urheber des Lebens habt ihr getötet…« (Ac 3,14-15), jedoch minderte er ihre Schuld ab, als er sagte: »Nun, Brüder, ich weiß, ihr habt aus Unwissenheit gehandelt« (Ac 3,17). Dann rief er sie zur Umkehr auf (vgl. 3,19) und sprach ihnen eine grenzenlose Hoffnung zu: »Für euch zuerst hat Gott seinen Knecht erweckt und gesandt, damit er euch segnet und jeden von seiner Bosheit abbringt« (3,26).

Auf ähnliche Weise verkündete der Apostel Paulus die Umkehr. In seiner Verteidigungsrede vor König Agrippa beschreibt er sein Apostolat mit folgenden Worten: bei allen, und auch »bei den Heiden [habe ich] verkündet, sie sollten umkehren, sich Gott zuwenden und der Umkehr entsprechend handeln« (Ac 26,20, vgl. 1Th 1,9-10). Paulus lehrte, »daß Gottes Güte…[uns] zur Umkehr treibt?« (Rm 2,4). In der Offenbarung ist es Christus selbst, der uns wiederholt zur Umkehr aufruft. Diese Ermahnung, die aus Liebe ausgesprochen wird (vgl. Ap 3,19), ist kraftvoll und läßt die ganze Dringlichkeit der Umkehr erkennen, obgleich sie begleitet wird von wunderbaren Verheißungen der Vertrautheit mit dem Heiland (vgl. 3,20-21).

Somit steht allen Sündern stets eine Pforte der Hoffnung offen: »…der Mensch wird nicht allein gelassen, wenn er auf tausenderlei Weise und oft vergebens eine ihm unmögliche Erklimmung des Himmels versucht: da gibt es einen ruhmreichen Tabernakel, nämlich die allerheiligste Person Jesu, des Herrn, wo sich Göttliches und Menschliches in einer Umarmung begegnen, die niemals aufgelöst werden kann: das Wort ist Fleisch geworden, in allem uns ähnlich außer der Sünde. Er senkt die Gottheit in das kranke Herz der Menschheit und, indem es den Geist des Vaters ausgießt, befähigt es sie, durch Gnade Gott zu werden« (Orientale lumen, 15).

49 Friedensappell des Papstes für Burundi

Am vergangenen Montag, dem 28. August, wurde in Arusha in Tansania ein Teilabkommen zur Friedenssicherung in der geliebten Nation Burundi unterzeichnet, die sieben absurde Jahre des Bürgerkrieges hindurch mit Blut befleckt wurde.

Ich lade euch ein,dafür zu beten,daß der Wunsch jener Bevölkerungsgruppen nach Wiederversöhnung von allen Beteiligten sowie von den Nachbarstaaten angenommen werde und man bald zu einem stabilen und dauerhaften Frieden gelangen möge.

Wer auf seinem Lebensweg Jesus Christus begegnet, bei dem muß sich etwas ändern: Bekehrt euch! Diese Einladung durchzieht die Verkündigung Jesu und der Kirche von Anfang an.

Wir haben vorher von der Bekehrung des Zachäus gehört. Jesus ruft ihn vom Baum herunter. Das Leben des Zöllners bekommt eine neue Richtung. Die Umkehr durchkreuzt alle menschlichen Pläne und streicht den Egoismus durch. Bei Jesus gibt es keinen hoffnungslosen Fall. Selbst dem Verbrecher, der neben Jesus am Kreuz hängt, schlägt die Stunde der göttlichen Gnade. Da er Reue zeigt, verspricht Jesus ihm das Paradies.

Gerade jetzt im Heiligen Jahr steht das Tor der Hoffnung weit offen. Die Kirche lädt uns zur Umkehr ein in das Haus Gottes, wo der Vater uns mit offenen Armen entgegenkommt.
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Gern grüße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Besonders heiße ich die Wallfahrtsgruppe willkommen, die von der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben und vom Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring organisiert wurde. Ebenso grüße ich die Ministranten vom Münchener Liebfrauendom sowie die Pilger aus Leutkirch, die sich mit dem Fahrrad auf den Weg nach Rom gemacht haben. Die Türen zum Haus Gottes stehen allen offen! Wir brauchen nur einzutreten. Für diesen Schritt erteile ich Euch, Euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.



                                                                            September 2000

Mittwoch, 6. September 2000

Der Christ als Jünger Christi

50 Liebe Schwestern und Brüder!

1. Die Begegnung mit Christus verändert das Leben einer Person von Grund auf, drängt sie zur »metanoia«, einer tiefgehenden Bekehrung des Verstandes und Herzens, und stellt eine Lebensgemeinschaft her, die zur Nachfolge wird. In den Evangelien findet die Nachfolge ihren Ausdruck in zwei Einstellungen: Die erste besteht darin, mit Christus »Weg zurückzulegen« (»akolouthein«), und die zweite darin, »hinter ihm«, der den Weg weist, zu gehen und seinen Spuren und seiner Richtung zu folgen (»erchesthai opiso«). Daraus ergibt sich die Gestalt des Jüngers, die sich auf verschiedene Weise realisiert. Manche folgen noch auf allgemeine und oft oberflächliche Art nach, so wie die Menge (vgl.
Mc 3,7 Mc 5,24 Mt 8,1 Mt 8,10 Mt 14,13 Mt 19,2 Mt 20,29). Es gibt auch Sünder (vgl. Mc 2,14-15), und mehrfach werden die Frauen erwähnt, die die Sendung Jesu durch ihren tatkräftigen Dienst unterstützen (vgl. Lc 8,2-3 Mc 15,41). Einige erhalten von Christus einen spezifischen Aufruf, und unter ihnen gebührt den Zwölf eine besondere Stellung.

Die Typologie der Berufenen ist also sehr vielfältig: Fischer und Steuereinnehmer, Gerechte und Sünder, Eheleute und Alleinstehende, Arme und Wohlhabende wie Josef von Arimatäa (vgl. Jn 19,38), Männer und Frauen. Es findet sich darunter sogar der Zelot Simon (vgl. Lc 6,15), also ein Mitglied der revolutionären anti-römischen Opposition. Noch fehlt es an denen, die die Einladung zurückweisen, wie der junge Reiche, der auf die fordernden Worte Christi betrübt reagiert und traurig weggeht, »denn er hatte ein großes Vermögen« (Mc 10,22).

2. Die Bedingungen, um den gleichen Weg wie Jesus gehen zu können, sind zwar nur wenige, dafür aber wesentlich. Wie wir im soeben verlesenen Abschnitt aus dem Evangelium gehört haben, muß man die Vergangenheit hinter sich lassen, einen Schlußstrich ziehen und eine »metanoia« im wahren Sinne des Wortes, nämlich als Verwandlung des Geistes und Lebens, vollziehen. Der Weg, den uns Christus vorschlägt, ist eng und erfordert Opfer und vollkommene Selbsthingabe: »Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Mc 8,34). Dieser Weg ist mit den Dornen von Prüfungen und Verfolgungen vertraut: »Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen« (Jn 15,20). Es ist ein Weg, der zu Missionaren und Zeugen des Wortes Christi macht, aber auch von den Aposteln fordert, »nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel« (Mc 6,8 vgl. Mt 10,9-10).

3. Die Nachfolge ist also keine bequeme Reise auf ebener Straße. Es kann in deren Verlauf auch Augenblicke der Verzagtheit geben - bis zu dem Punkt, daß bei einer Gelegenheit »sich viele Jünger zurückzogen und nicht mehr mit ihm [d.h. mit Jesus] umherwanderten« (vgl. Jn 6,66). Jesus sah sich gezwungen, den Zwölf eine entscheidende Frage zu stellen: »Wollt auch ihr weggehen?« (Jn 6,67). Bei einem anderen Anlaß wird Petrus selbst brüsk zurechtgewiesen, als er sich gegen die Aussicht des Kreuzes auflehnt: Dazu werden Worte verwandet, die nach einer Nuancierung des Originaltexts eine Einladung sein könnten, sich wieder »hinter« Jesus zu stellen, nachdem er versucht hat, das Ziel des Kreuzes von sich zu weisen: »Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen« (Mc 8,33).

Die Gefahr des Verrats wird für Petrus weiter lauern; zuletzt jedoch wird er seinem Meister und Herrn in sehr großherziger Liebe folgen. An den Ufern des Sees Tiberias wird Petrus sein Liebesbekenntnis ablegen: »Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich liebhabe.« Und Jesus wird ihm andeuten, »durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde«, und er sagt zweimal zu ihm: »Folge mir nach!« (Jn 21,17 Jn 21,19 Jn 21,22).

Die Nachfolge findet ihren besonderen Ausdruck im geliebten Jünger, der eine innige Verbindung mit Christus eingeht, seine Mutter als Geschenk erhält und ihn als Auferstandenen erkennt (vgl. Jn 13,23-26 Jn 18,15-16 Jn 19,26-27 Jn 20,2-8 Jn 21,2 Jn 21,7 Jn 21,20-24).

4. Das letztendliche Ziel der Nachfolge ist die Herrlichkeit. Der Weg ist der der »Nachfolge Christi«, der in der Liebe lebte und aus Liebe am Kreuz starb. Der Jünger »muß sozusagen mit seinem ganzen Selbst in ihn eintreten, muß sich die ganze Wirklichkeit der Menschwerdung und der Erlösung ›aneignen‹ und assimilieren, um sich selbst zu finden« (Redemptor hominis RH 10). Christus muß in sein Ich eindringen, um ihn von Egoismus und Stolz zu befreien, wie uns in diesem Zusammenhang der hl. Ambrosius sagt: »Christus trete in deine Seele ein, Jesus wohne in deinen Gedanken, damit der Sünde im heiligen Zelt der Tugend jeder Raum genommen sei« (vgl. Kommentar zum Psalm 118, Daleth, 26).

5. Das Kreuz, als Zeichen vollkommener Liebe und Hingabe, ist also das Emblem des Jüngers, der dazu berufen ist, eine dem glorreichen Christus gleiche Gestalt anzunehmen. Roman »der Sänger«, einer der Väter der Ostkirche, der auch ein begnadeter Dichter war, spricht so zum Jünger: »Du hast das Kreuz als Stab, stütze deine Jugend darauf. Trage es in dein Gebet, bringe es zum gemeinsamen Mahl, trage es in dein Bett und überallhin als dein Ehrentitel […] Sag deinem Bräutigam, der sich nun mit dir vereint hat: Ich werfe mich dir zu Füßen. In deiner großen Barmherzigkeit schenke deinem Universum Frieden, deiner Kirche deine Hilfe, den Hirten Fürsorge, der Herde Eintracht, damit wir alle jederzeit unsere Auferstehung lobpreisen« (vgl. Hymne 52 »An die Neugetauften«, Strophen 19 und 22).

Die Begegnung mit Christus verändert den Menschen von Grund auf. Geist und Herz erfahren eine tiefe Bekehrung. Es entsteht eine neue Lebensgemeinschaft, die zur Nachfolge wird.

Der Jünger Jesu kann diese Nachfolge auf verschiedene Weise leben. In den Evangelien finden wir dazu vielfältige Beispiele.

51 Das Leben des wahren Christen ist kein Spaziergang auf einer ebenen Straße. Es gibt durchaus Momente der Mutlosigkeit und der Resignation. Doch alles kann man überwinden, wenn man nur glaubt.

Letztes Ziel der Nachfolge ist die Herrlichkeit Gottes. Der Schlüssel dazu ist die "Nachahmung Jesu", der die Liebe lebte und aus Liebe am Kreuz starb. Das Kreuz ist also das Zeichen, an dem man den Jünger erkennt, der dem verherrlichten Christus gleich werden will.
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Gern begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Insbesondere heiße ich die Teilnehmer an der Bistumswallfahrt der Diözese Eichstätt in Begleitung ihres Bischofs Walter Mixa willkommen. Desweiteren grüße ich die Missionsschwestern "Dienerinnen des Heiligen Geistes“. Der Gang durch die Heilige Pforte helfe Euch, Christus immer ähnlicher zu werden. So erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.


Mittwoch, 13. September 2000

Der Christ - vom Heiligen Geist beseelt

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Im Abendmahlssaal, in der letzten Nacht seines Erdenlebens, verspricht Jesus fünfmal die Gabe des Heiligen Geistes (vgl. Jn 14,16-17 Jn 14,26 Jn 15,26-27 Jn 16,7-11 Jn 16,12-15). Am selben Ort erscheint der Auferstandene am Osterabend vor den Aposteln und vermittelt den zugesagten Geist mit der symbolischen Geste des Anhauchens und mit den Worten: »Empfangt den Heiligen Geist!« (Jn 20,22). Fünfzig Tage später dringt der Heilige Geist mit seiner Macht ebenfalls in den Abendmahlssaal ein, um die Herzen und das Leben der ersten Zeugen des Evangeliums zu verwandeln.

Seitdem ist die gesamte Geschichte der Kirche bis auf die Fundamente von der Gegenwart und dem Wirken des Geistes durchdrungen, der denen, die an Christus glauben, »unbegrenzt« gegeben wird (vgl. Jn 3,34). Die Begegnung mit Christus zieht die Gabe des Heiligen Geistes nach sich; der große Kirchenvater Basilius sagt von ihm: »Er verteilt sich, ohne selbst Teilung zu erleiden; … er ist bei jedem, der für ihn empfänglich ist, als gäbe es nur ihn allein, und doch schenkt er allen die hinreichende Gnade« (De Spiritu Sancto IX, 22, zitiert nach: Die Feier des Stundengebetes, Lektionar, Heft 3, Freiburg/Basel/ Wien 1979, S. 197).

2. Im Abschnitt aus dem Galaterbrief, den wir soeben gehört haben (vgl. 5,16-18.22-25), umreißt der Apostel Paulus »die Frucht des Geistes« (5,22) durch die Aufzählung einer vielfältigen Reihe von Tugenden, die sich im Dasein des Gläubigen entfalten. Der Heilige Geist ist an der Wurzel der Glaubenserfahrung. In der Taufe werden wir nämlich durch diesen Geist zu Kindern Gottes: »Weil ihr aber Söhne seid - schreibt Paulus weiter -, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater!« (Ga 4,6). Am eigentlichen Ursprung der christlichen Existenz, wenn wir als neue Geschöpfe geboren werden, steht der Hauch des Geistes, der uns zu Söhnen im Sohn macht und uns auf seinen Wegen der Gerechtigkeit und des Heils gehen läßt (vgl. Ga 5,16).

3. Das ganze Dasein des Christen soll also unter dem Einfluß des Geistes seinen Verlauf nehmen. Wenn Er uns erneut das Wort Christi vorstellt, dann erstrahlt in uns das Licht der Wahrheit, wie Jesus versprochen hatte: »Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und an alles erinnern, was ich euch gesagt habe« (Jn 14,26 vgl. 16,12-15). Der Geist ist an unserer Seite in Zeiten der Prüfung, er wird zu unserem Verteidiger und unserer Stütze: »Wenn man euch vor Gericht stellt, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden« (Mt 10,19-20). Der Geist steht an der Wurzel der Freiheit des Christen, die die Beseitigung vom Joch der Sünde ist. Das sagt der Apostel Paulus ganz deutlich: »Denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes« (Rm 8,2). Gerade weil es vom Heiligen Geist erleuchtet ist, bringt das sittliche Leben - der hl. Paulus erinnert uns daran - Früchte der »Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung« hervor (Ga 5,22).

52 4. Der Geist beseelt die ganze Gemeinschaft der Christgläubigen. Wiederum ist es der Apostel, der mit dem Bild des menschlichen Leibes die Vielfalt und den Reichtum, aber auch die Einheit der Kirche als Werk des Heiligen Geistes preist. Einerseits zählt Paulus die Vielzahl der Charismen, d. h. der besonderen, den Mitgliedern der Kirche gegebenen Gaben auf (vgl. 1Co 12,1-10); andererseits bestätigt er: »Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu, wie er will« (1Co 12,11). Denn »durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen; Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt« (1Co 12,13).

Dem Geist verdanken wir schließlich auch das Erreichen unseres Ziels in der Herrlichkeit. In diesem Zusammenhang verwendet Paulus die Bilder vom »Siegel« und vom »ersten Anteil«: »Durch ihn habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr den Glauben annahmt. Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen, der Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden, zum Lob seiner Herrlichkeit« (Ep 1,13-14; vgl. 2Co 1,22 2Co 5,5). In wenigen Worten ausgedrückt, steht das ganze Leben des Christen - von seinem Ursprung bis zum letztendlichen Ziel - unter dem Banner und Werk des Heiligen Geistes.

5. Während dieses Jubiläumsjahres möchte ich an das erinnern, was ich in der dem Heiligen Geist gewidmeten Enzyklika schrieb: »Das Große Jubiläum des Jahres 2000 enthält also eine Botschaft der Befreiung durch das Wirken des Geistes, der allein den Menschen und Gemeinschaften helfen kann - indem er sie mit dem ›Gesetz des Geistes, der in Jesus Christus lebendig macht‹, führt -, sich aus den alten und neuen Zwängen zu befreien, wobei sie auf diese Weise das volle Maß der wahren Freiheit des Menschen entdecken und verwirklichen. Denn, so schreibt der hl. Paulus, ›wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit‹« (Dominum et vivificantem DEV 60).

Überlassen wir uns also dem befreienden Wirken des Geistes, indem wir uns das Staunen Simeons, des Neuen Theologen, zu eigen machen. Er wendet sich folgendermaßen an die dritte göttliche Person: »Ich sehe die Schönheit deiner Gnade und versenke mich in ihr Licht; ich betrachte voll Staunen diesen unsagbaren Glanz; ich bin außer mir, während ich doch über mich selber nachdenke: was ich war und was ich geworden bin. O Wunder! Ich bin aufmerksam, erfüllt von heiligem Respekt vor mir selbst, von Ehrfurcht, von Angst, als stünde ich vor dir, und weiß nicht, was ich tun soll, denn mich hat die Angst ergriffen; ich weiß nicht, wo ich mich niederlassen, wohin ich mich wenden soll, wohin diese Glieder legen, die deine sind; für welche Taten, für welche Werke sie verwenden, diese überraschenden göttlichen Wunder« (Hymnen II, vv. 19-27; vgl. Vita consecrata VC 20).

Appell für den zum Tode verurteilten Derek Rocco Barnabei

Im Geist der Gnade, die dem Jubiläumsjahr eigen ist, schließe ich meine Stimme noch einmal all jenen an, die darum bitten, dem jungen Mann Rocco Derek Barnabei nicht das Leben zu nehmen.

Grundsätzlich ist mein Wunsch, daß auf die Anwendung der Todesstrafe verzichtet werden möge, da der Staat heute über andere Mittel verfügt, um Verbrechen wirksam zu bekämpfen, ohne dem Verurteilten endgültig die Möglichkeit zur Umkehr zu nehmen.

Jesus Christus hat seinen Jüngern immer wieder die Gabe des Heiligen Geistes verheißen, der seit Pfingsten die Geschichte der gesamten Kirche leitet. Aber auch das Leben des einzelnen Christen wird von Anfang an vom Geist Gottes gelenkt und geformt. Er begleitet uns von unserer Geburt bis zum Erreichen unseres letzten Zieles in Gott.

Der Heilige Geist schenkt den Menschen die wahre Freiheit. Denn wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Daran habe ich schon in meiner Enzyklika über den Heiligen Geist erinnert, als ich schrieb: „Das Große Jubiläum des Jahres 2000 enthält eine befreiende Botschaft durch das Wirken des Geistes, der allein den Menschen und Gemeinschaften helfen kann, sich aus den alten und neuen Zwängen zu befreien. Auf diese Weise entdecken und verwirklichen sie das volle Maß der wahren Freiheit“ (Dominum et vivificantem DEV 60).
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Gern begrüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Insbesondere heiße ich die Teilnehmer an der Bistumswallfahrt der Diözese Dresden-Meißen in Begleitung ihres Bischofs Joachim Reinelt willkommen. Ich grüße die Wallfahrer des Bistumsblattes Paulinus der Diözese Trier und die Tertiarschwestern des heiligen Franziskus aus Hall und Brixen. Der Heilige Geist stärke Euren Glauben durch den Besuch der heiligen Stätten in Rom. So erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.



53

Mittwoch, 20. September 2000

Die Erfahrung Gottes als »Abba« - in Christus und im Heiligen Geist

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wir haben unsere heutige Begegnung unter dem prägenden Eindruck der Dreifaltigkeit begonnen, die von den Worten des Apostels Paulus im Galaterbrief (vgl. 4,4-7) eindrucksvoll und klar dargestellt wird. Durch die Sendung des Heiligen Geistes in die Herzen der Christen verwirklicht und offenbart der Vater die Adoption als Kinder, die Christus für uns erwirkt hat. Der Geist nämlich »bezeugt […] selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind« (Rm 8,16). Wir werden auf diese Wahrheit wie auf den Polarstern des christlichen Glaubens schauen und über einige wesentliche Aspekte unserer Gemeinschaft mit dem Vater durch den Sohn und im Heiligen Geist nachdenken.

2. Die unverkennbare christliche Art der Anschauung Gottes führt immer über Christus. Er ist der Weg, und niemand kommt zum Vater außer durch ihn (vgl. Jn 14,6). Dem Apostel Philippus, der ihn beschwört: »Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns«, erklärt Jesus: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen« (Jn 14,8-9). Christus, der geliebte Sohn (vgl. Mt 3,17 Mt 17,5), ist auf ganz besondere Weise der, der den Vater offenbart. Das wahre Antlitz Gottes wird uns nur von demjenigen enthüllt, der »am Herzen des Vaters ruht«. Der griechische Originaltext im Johannesevangelium (vgl. 1,18) zeigt ein inniges und dynamisches Verhältnis von Wesen, Liebe und Leben zwischen Vater und Sohn. Dieses Verhältnis des ewigen Wortes umschließt auch die Menschennatur, die der Sohn bei der Menschwerdung angenommen hat. In der christlichen Sichtweise kann sich daher weder die Gotteserfahrung beschränken auf einen allgemeinen »Sinn für das Göttliche« noch die Mittlerschaft der Menschheit Christi als überholbar betrachtet werden. Das haben sehr gut unter Beweis gestellt sowohl die größten Mystikern, darunter der hl. Bernhard, der hl. Franz von Assisi, die hl. Katharina von Siena, die hl. Theresa von Avila, als auch viele, die Christus in unserer Zeit liebten, von Charles de Foucauld bis hin zur hl. Teresia Benedicta vom Kreuz (Edith Stein).

3. In jeder echten christlichen Erfahrung spiegeln sich verschiedene Elemente des Zeugnisses Jesu vom Vater wider. Er hat in erster Linie bezeugt, daß der Vater am Ursprung seiner Lehre steht: »Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat« (Jn 7,16). Was er bekannt gemacht hat, ist dasselbe, was er vom Vater »gehört« hat (vgl. Jn 8,26 Jn 15,15 Jn 17,8 Jn 17,14). Die christliche Gotteserfahrung kann sich also nur in vollkommenem Einklang mit dem Evangelium entfalten.

Christus hat auch für die Liebe des Vaters wirksam Zeugnis abgelegt. In dem schönen Gleichnis vom verlorenen Sohn stellt Jesus den Vater dar immer in Erwartung des sündigen Menschen, der in seine Arme zurückkehrt. Im Johannesevangelium hebt er den Vater als denjenigen hervor, der die Menschen liebt: »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab« (Jn 3,16). Und weiter: »Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen« (Jn 14,23). Wer die Liebe Gottes wirklich erfährt, kann nicht umhin, den Ausruf aus dem Ersten Johannesbrief mit immer neuer Rührung zu wiederholen: »Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es« (1Jn 3,1). In diesem Licht können wir uns mit der zärtlichen, spontanen, innigen Anrede an Gott wenden: »Abba«, Vater. So spricht stets der Gläubige, der sich als Sohn fühlt, wie der hl. Paulus in dem Text, der unsere Begegnung eröffnet hat, uns ins Gedächtnis ruft (vgl. Ga 4,4-7).

4. Christus schenkt uns das Leben Gottes selbst, ein Leben, das über die Zeit hinausreicht und uns in das Geheimnis des Vaters einführt, in seine Freude und in sein unendliches Licht. Das bezeugt der Evangelist Johannes, der uns diese einzigartigen Worte Jesu übermittelt: »Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben« (Jn 5,26). »Denn es ist der Wille meines Vaters, daß alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben und daß ich sie auferwecke am Letzten Tag […] Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich ißt, durch mich leben« (Jn 6,40 Jn 6,57).

Diese Teilhabe am Leben Christi, die uns zu »Söhnen im Sohn« macht, wird durch die Gabe des Heiligen Geistes ermöglicht. Der Apostel stellt uns deshalb unsere Gotteskindschaft in enger Verknüpfung mit dem Heiligen Geist dar: »Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes« (Rm 8,14). Der Geist setzt uns in Beziehung zu Christus und zum Vater. »In diesem Geist, der das ewige Geschenk ist, öffnet sich der dreieinige Gott dem Menschen, dem menschlichen Geist. Das verborgene Hauchen des göttlichen Geistes bewirkt, daß der menschliche Geist sich seinerseits der heilbringenden und heiligmachenden Selbsteröffnung Gottes öffnet [. . .] In der gnadenhaften Gemeinschaft mit der Dreifaltigkeit erweitert sich der ›Lebensraum‹ des Menschen, indem er auf die übernatürliche Ebene des göttlichen Lebens erhöht wird. Der Mensch lebt in Gott und aus Gott: Er lebt ›nach dem Geist‹ und ›trachtet nach dem, was dem Geist entspricht‹« (Dominum et vivificantem DEV 58).

5. Dem von der Gnade des Geistes erleuchteten Christen erscheint Gott dann auch wirklich mit seinem väterlichen Antlitz. An ihn kann er sich mit dem Vertrauen wenden, das die hl. Therese von Lisieux in diesem eindrucksvollen autobiographischen Text bezeugt: »Der kleine Vogel möchte dieser strahlenden Sonne, die seine Augen entzückt, entgegenfliegen; er möchte es den Adlern, seinen Brüdern, gleichtun, die sich aufschwingen vor seinem Blick bis zum göttlichen Herd der Heiligen Dreifaltigkeit […] Ach! alles, was er vermag, ist, seine kleinen Flügel zu heben, aber aufzufliegen, das steht nicht in seiner kleinen Macht! […] In einem verwegenen Sichüberlassen will er im Anblick seiner göttlichen Sonne verharren; nichts kann ihn erschrecken, weder Wind noch Regen.« (Therese vom Kinde Jesus, Selbstbiographische Schriften, Ins Deutsche übertragen von O. Iserland und C. Capol, [Lectio spiritualis, Bd. 1], 4. Aufl. Einsiedeln 1962, S. 204f.)

Wir haben unsere Begegnung mit dem Kreuzzeichen begonnen, dem Grundsymbol unseres Glaubens an den dreifaltigen Gott.


Generalaudienz 2000 47