Generalaudienz 2000 67

Mittwoch, 29. November 2000

Glaube, Hoffnung und Liebe im Hinblick auf den interreligiösen Dialog

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Die überwältigenden Darstellung aus der Apokalypse, die uns soeben vor Augen geführt wurde, bezieht sich nicht nur auf das Volk Israel, das von den zwölf Stämmen symbolisiert wird, sondern auch auf jene unüberschaubare Vielzahl von Völkern aus allen Nationen und Kulturen, die alle in das makellose Gewand der lichten und seligen Ewigkeit gehüllt sind. Ausgehend von dieser beeindruckenden Schilderung möchte ich auf den interreligiösen Dialog zu sprechen kommen, denn dieses Thema ist in unserer Zeit sehr aktuell geworden.

Alle Gerechten der Erde erheben ihr Lob zu Gott, wenn sie - nachdem sie den steilen und mühsamen Weg des Erdenlebens gegangen sind - das Ziel der Herrlichkeit erreicht haben. Sie sind »aus der großen Bedrängnis« (Ap 7,14) gekommen und wurden gereinigt durch das Blut des Lammes, »das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden« (Mt 26,28). Alle haben also Anteil an derselben Heilsquelle, die Gott über die Menschheit ausgegossen hat. »Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird« (Jn 3,17).

68 2. Das Heil wird allen Nationen angeboten, wie schon der Bund mit Noach bestätigt (vgl. Gn 9,8-17), der die Universalität der göttlichen Offenbarung und der Antwort des Menschen im Glauben bezeugt (vgl. KKK CEC 58). In Abraham sollen dann »alle Geschlechter der Erde Segen erlangen« (Gn 12,3). Sie sind auf dem Weg zur heiligen Stadt, um den Frieden zu genießen, der das Antlitz der Welt verändern wird, wenn Pflugscharen aus Schwertern und Winzermesser aus Lanzen geschmiedet werden (vgl. Is 2,2-5).

Mit innerer Ergriffenheit liest man diese Worte im Buch Jesaja: »Ägypten wird zusammen mit Assur (dem Herrn) dienen […] Der Herr der Heere wird sie segnen und sagen: Gesegnet ist Ägypten, mein Volk, und Assur, das Werk meiner Hände, und Israel, mein Erbbesitz« (Is 19,23 Is 19,25). Der Psalmist betet: »Die Fürsten der Völker sind versammelt als Volk des Gottes Abrahams. Denn Gott gehören die Mächte der Erde; er ist hoch erhaben« (Ps 47,10). Der Prophet Maleachi spürt eine Welle der Verehrung und des Lobes von der gesamten Menschheit zu Gott hinaufsteigen: »Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang steht mein Name groß da bei den Völkern, und an jedem Ort wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht und eine reine Opfergabe; ja, mein Name steht groß da bei den Völkern, spricht der Herr der Heere« (Ml 1,11). Und derselbe Prophet fragt sich: »Haben wir nicht alle denselben Vater? Hat nicht der eine Gott uns alle erschaffen?« (Ml 2,10).

3. Eine bestimmte Form des Glaubens eröffnet sich also durch die Anrufung Gottes, wenn auch sein Gesicht »unbekannt« ist (vgl. Ac 17,23). Die ganze Menschheit strebt zur wahrhaften Verehrung Gottes und zur brüderlichen Gemeinschaft der Menschen unter dem Einfluß des Geistes der Wahrheit, »der über die sichtbaren Grenzen des mystischen Leibes [Christi] hinaus wirksam ist« (Redemptor hominis RH 6).

Der hl. Irenäus erinnert uns in diesem Zusammenhang daran, daß Gott viermal einen Bund mit den Menschen geschlossen hat: in Adam, in Noach, in Mose und in Jesus Christus (vgl. Adversus haereses, 3,11,8). Die ersten drei sind ideell auf die Vollkommenheit Christi ausgerichtet und zeigen den Dialog zwischen Gott und seinen Geschöpfen auf: eine Begegnung der Enthüllung und Liebe, der Erleuchtung und Gnade, die der Sohn in der Einheit sammelt, in der Wahrheit besiegelt und zur Vollkommenheit führt.

4. In diesem Licht blüht der Glaube aller Völker in der Hoffnung auf. Sie ist noch nicht von der Fülle der Offenbarung erleuchtet, die sie in Beziehung zu den Verheißungen Gottes stellt und aus ihr eine »theologische« Tugend macht. Und doch schaffen die heiligen Bücher der Religionen in dem Maße Raum für die Hoffnung, wie sie einen Horizont der göttlichen Gemeinschaft eröffnen, ein Ziel der Läuterung und des Heils für die Geschichte aufzeigen, die Suche nach der Wahrheit fördern und die Werte des Lebens, der Heiligkeit, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freiheit verteidigen. Mit dieser tiefen Spannung, die auch inmitten der menschlichen Widersprüche standhält, öffnet die religiöse Erfahrung die Menschen für das von Gott gemachte Geschenk der Liebe mit all ihren Anforderungen.

Vor diesem Hintergrund steht auch der interreligiöse Dialog, zu dem das Zweite Vatikanische Konzil uns ermutigt hat (vgl. Nostra Aetate NAE 2). Dieser Dialog wird ersichtlich im gemeinsamen Einsatz aller Glaubenden für Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden. Er zeigt sich in den kulturellen Beziehungen, die einen Samen der Geistigkeit und Transzendenz in den oft trockenen Boden der Politik, der Wirtschaft und des sozialen Lebens streuen. Er findet ein besonders bezeichnendes Moment im religiösen Dialog, in den die Christen das unversehrte Zeugnis des Glaubens an Christus, den einzigen Erlöser der Welt, einbringen. Aufgrund desselben Glaubens wissen sie, daß der Weg zur Fülle der Wahrheit (vgl. Jn 16,13) Demut im Zuhören erfordert, um jeden Lichtstrahl erkennen und zur Geltung bringen zu können, denn er ist immer eine Frucht des Geistes Christi, aus welcher Richtung er auch kommen mag.

5. »Es ist der Auftrag der Kirche, für das ›Reich unseres Herrn und seines Gesalbten‹ (Ap 11,15), zu dessen Dienst sie bestellt ist, Sorge zu tragen. Teilweise besteht ihre Aufgabe darin, zu erkennen, daß dieses Reich auch außerhalb der Grenzen der Kirche, wenn auch unvollständig, verwirklicht sein kann, z. B. in den Herzen der Anhänger anderer religiöser Traditionen, insofern sie Werte des Evangeliums leben und für das Wirken des Geistes offen sind« (Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog und Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Dialog und Verkündigung, 1991, Nr. 35). Dies gilt ganz besonders - wie das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung Nostra aetate bestätigt hat - für die monotheistischen Religionen des Judentums und des Islam. In diesem Geist habe ich in der Verkündigungsbulle des Großen Jubiläumsjahres folgenden Wunsch vorgebracht: »Möge uns das Jubiläum einen weiteren Schritt im wechselseitigen Dialog voranbringen, bis wir eines Tages alle - Juden, Christen und Muslime - miteinander in Jerusalem den Friedensgruß austauschen können« (Incarnationis mysterium, 2). Ich danke dem Herrn, der mir bei meiner jüngsten Pilgerreise zu den Heiligen Stätten die Freude dieses Grußes gewährte - als verheißungsvolles Zeichen für Beziehungen, die auf einen immer tieferen und universalen Frieden ausgerichtet sind.

Die Offenbarung des Johannes malt ein großartiges Bild der Anbetung aller Gerechten, die nach ihrem irdischen Weg endlich vor der Herrlichkeit Gottes stehen dürfen.

Die Erlösung wird allen Völkern zuteil, was schon im Alten Testament klar zum Ausdruck kommt. Wer Gott anruft, hat schon in gewisser Weise Glauben, auch wenn ihm Gottes Antlitz verborgen ist. Voller Hoffnung hält er nach der Wahrheit Ausschau und öffnet sich dadurch dem Geschenk der Liebe, die von Gott kommt.

Hier beginnt der Dialog insbesondere mit den drei monotheistischen Religionen. Alle sind eingeladen, das Heil aus derselben Quelle zu schöpfen: "Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird" (Jn 3,17).

So besteht die Aufgabe der Kirche darin, das Reich Gottes, dem sie dient, zu fördern und auszubreiten.

69 Mit dieser Einladung begrüße ich alle, die aus den Ländern deutscher Sprache hier anwesend sind. Gleichzeitig wünsche ich euch, daß euer Romaufenthalt im Heiligen Jahr euren Glaube stärke. Dazu erteile ich euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.





Dezember 2000

Mittwoch, 6. Dezember 2000

Am Kommen des Reiches Gottes in die Welt mitwirken

Liebe Schwestern und Brüder!

1. In diesem Jahr des Großen Jubiläums ist das Grundthema unserer Katechesen die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit, so wie sie uns in der Heilsgeschichte offenbart worden ist. Wir haben Überlegungen angestrengt über die Eucharistie als höchste Feier Christi, der unter den bescheidenen Zeichen von Brot und Wein gegenwärtig ist. Nun möchten wir einige Katechesen den Bemühungen widmen, die von uns abverlangt werden, damit die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit in der Welt in ihrer Fülle erstrahle.

Unsere Betrachtungen nehmen ihren Ausgang vom Markusevangelium, in dem wir folgendes lesen: Jesus ging »… nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!« (Mc 1,14-15). Dies sind die ersten Worte, die Jesus vor der Menge spricht: Sie enthalten den Kern seines Evangeliums der Hoffnung und des Heils, die Ankündigung des Reiches Gottes. Von diesem Augenblick an zog Jesus - wie die Evangelisten berichten - »in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden« (Mt 4,23 vgl. Lc 8,1). Seinen Spuren folgen die Apostel und mit ihnen Paulus, der Völkerapostel, der dazu berufen war, das Reich Gottes in verschiedenen Ländern bis zur Hauptstadt des Römischen Reiches zu verkünden (vgl. Ac 20,25 Ac 28,23 Ac 28,31).

2. Mit dem Evangelium vom Reich Gottes knüpft Christus an die Heiligen Schriften an, die durch das Bild des Königs die Herrschaft Gottes über den Kosmos und die Geschichte verherrlichen. So lesen wir in den Psalmen: »Verkündet bei den Völkern: Der Herr ist König. Den Erdkreis hat er gegründet, so daß er nicht wankt. Er richtet die Nationen so, wie es recht ist« (Ps 96,10). Das Reich ist also das wirksame, aber geheimnisvolle Wirken, das Gott im Universum und im Gewirr der menschlichen Angelegenheiten entfaltet. Er überwindet den Widerstand des Bösen mit Geduld, nicht mit Anmaßung und aufsehenerregenden Taten.

Deshalb vergleicht Jesus das Reich mit dem Senfkorn, dem kleinsten aller Samenkörner, das jedoch dazu bestimmt ist, ein dicht belaubter Baum zu werden (vgl. Mt 13,31-32), oder auch mit dem Samen, den ein Mann auf seinen Acker sät: »Dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie« (Mc 4,27). Das Reich ist Gnade, Liebe Gottes zur Welt, Quelle der Zuversicht und des Vertrauens für uns: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde!« - sagt Jesus - »denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben« (Lc 12,32). Die Ängste, Sorgen und Alpträume lösen sich in nichts auf, denn das Reich Gottes ist in der Person Christi mitten unter uns (vgl. Lc 17,21).

3. Dennoch ist der Mensch kein untätiger Zeuge des Eintritts Gottes in die Geschichte. Jesus lädt uns ein, aktiv nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zu suchen und diese Suche zu unserer hauptsächlichen Beschäftigung zu machen (vgl. Mt 6,33). Denen, die meinten, »das Reich Gottes werde sofort erscheinen« (Lc 19,11), schrieb er statt eines passiven Wartens eine aktive Haltung vor, indem er ihnen das Gleichnis der zehn Minen erzählte, die gewinnbringend angelegt werden sollen (vgl. Lc 19,12-27). Der Apostel Paulus erklärt seinerseits: »Das Reich ist nicht Essen und Trinken, es ist - vor allem - Gerechtigkeit« (Rm 14,17), und er fordert die Gläubigen eindringlich auf, im Hinblick auf die Heiligung ihre Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen (vgl. Rm 6,13 Rm 6,19).

Der Mensch ist also dazu berufen, mit seinen Händen, seinem Verstand und seinem Herzen am Kommen des Reiches Gottes in die Welt mitzuwirken. Das trifft vor allem für jene zu, die zum Apostolat berufen sind, und die, wie Paulus sagt, »mit mir für das Reich Gottes arbeiten« (Col 4,11); es trifft aber auch für jeden einzelnen Menschen zu.

70 4. In das Reich gehen die Personen ein, die den Weg der Seligpreisungen des Evangeliums eingeschlagen haben und als »Arme vor Gott« von materiellen Gütern losgelöst leben, um die Letzten der Erde aus dem Staub ihrer Demütigung zu erheben. »Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt« - so fragt Jakobus in seinem Brief - »um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?« (Jc 2,5). In das Reich treten diejenigen ein, die die Leiden des Lebens in Liebe ertragen: »Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen« (Ac 14,22 vgl. 2Th 1,4-5), wo Gott selbst »alle Tränen von ihren Augen abwischen [wird]; der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal« (Ap 21,4). In das Reich gehen die Menschen mit einem reinen Herzen ein, die den Weg der Gerechtigkeit wählen, das heißt den Weg der Befolgung des Willens Gottes, wie der hl. Paulus mahnt: »Wißt ihr denn nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch […] Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben« (1Co 6,9-10; vgl. 1Co 15,50 Ep 5,5).

5. Alle Gerechten der Erde, auch jene, die Christus und seine Kirche nicht kennen, die aber unter dem Einfluß der Gnade Gott mit ehrlichem Herzen suchen (vgl. Lumen gentium LG 16), sind also aufgerufen, das Reich Gottes aufzubauen, indem sie mit dem Herrn, der dessen erster und entscheidender Urheber ist, zusammenarbeiten. Deshalb müssen wir uns seinen Händen, seinem Wort und seiner Leitung anvertrauen - wie unerfahrene Kinder, die nur beim Vater Sicherheit finden: »Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind« - so hat Jesus gesagt - »der wird nicht hineinkommen« (Lc 18,17).

Aus dieser Gesinnung heraus müssen wir uns die Anrufung zu eigen machen: »Dein Reich komme!« Diese Anrufung hat sich in der Menschheitsgeschichte oft zum Himmel erhoben wie ein großer Atemzug der Hoffnung: »Dein Reich komme zu uns mit seinem Frieden …«, schreibt Dante in seiner Paraphrase des Vaterunsers (vgl. Die Göttliche Komödie, Fegefeuer, XI, 7; aus: Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, deutsch von Karl Vossler, Gütersloh). Dieses Flehen ist ausgerichtet auf die Wiederkunft Christi und nährt die Hoffnung auf das endgültige Kommen des Reiches Gottes. Ein solches Verlangen lenkt die Kirche allerdings nicht von ihrer Sendung in dieser Welt ab, sondern verpflichtet sie noch mehr dazu (vgl. KKK CEC 2818). Dies geschieht in der Erwartung, über die Schwelle des Reiches zu treten - dessen Keim und Anfang die Kirche ist (vgl. Lumen gentium LG 5) - wenn es in seiner Fülle in die Welt kommen wird. Dann, so versichert uns Petrus in seinem Zweiten Brief, »wird euch in reichem Maß gewährt, in das ewige Reich unseres Herrn und Retters Jesus Christus einzutreten« (2P 1,11).

Wir stehen im Advent des Großen Jubiläums. Die Botschaft, die vor fast zweitausend Jahren in Galiläa eine neue Zeit einläutete, erklingt im Heiligen Jahr in neuer Eindringlichkeit: "Die Zeit ist erfüllt. Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!"

Im Vater-Unser beten wir: Dein Reich komme! Dieses Reich können wir nicht selbst aufbauen. Wir können den Himmel nicht auf die Erde herunterziehen. Das Reich Gottes ist Gnade, Geschenk von oben.

Advent ist aber kein passives Warten, sondern aktive Wegbereitung. Wir haben vorher das Gleichnis vom Senfkorn gehört. Es ist das kleinste Korn, doch später wird es zum größten Baum. Das Reich Gottes folgt dem Gesetz des Senfkorns. Wenn unsere Mühen auch noch so gering aussehen, Gott ist im Kommen. Wenn das Licht, das wir anzünden, auch noch so klein ist, es trägt dazu bei, die große Dunkelheit zu vertreiben.

Dein Reich komme! Aus Gottes Gnade und durch unsere Mithilfe wird es Wirklichkeit. Im Advent des Heiligen Jahres ist Gott im Kommen.
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Mit dem Wunsch, dem Herrn den Weg zu bereiten, grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Besonders heiße ich die Gruppe der Schönstatt-Bewegung willkommen, die vom Generalrektor der Priestergemeinschaft angeführt wird. Der Advent des Großen Jubiläums werde für euch eine Zeit der Gnade und des Heils. Dazu erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 13. Dezember 2000

Der Stellenwert unseres Einsatzes in der Zeit

71 Liebe Schwestern und Brüder!

1. Der Apostel Paulus sagt: »Unsere Heimat […] ist im Himmel« (
Ph 3,20). Daraus zieht er aber nicht den Schluß, daß wir das Eintreten in die Heimat passiv erwarten sollen; er fordert uns im Gegenteil zu aktivem Einsatz auf. »Laßt uns nicht müde werden, das Gute zu tun« - so schreibt er - »denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Deshalb wollen wir, solange wir noch Zeit haben, allen Menschen Gutes tun, besonders aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind« (Ga 6,9-10).

Die biblische Offenbarung und die bedeutendste philosophische Weisheit sind sich einig in der Betonung der Tatsache, daß die Menschheit einerseits zum Unendlichen und zur Ewigkeit hinstrebt und andererseits ganz fest auf der Erde, innerhalb der Koordinaten von Raum und Zeit, steht. Es existiert also ein zu erreichendes transzendentes Ziel; dorthin gelangt man jedoch über einen Weg, der auf der Erde und in der Geschichte verläuft. Die Worte der Genesis erhellen dies: Das menschliche Geschöpf ist an den Staub der Erde gebunden; gleichzeitig jedoch hat es einen »Atem«, der es direkt mit Gott vereint (vgl. Gn 2,7).

2. Es ist ebenfalls das Buch Genesis, das hervorhebt, daß der Mensch - aus den Händen Gottes hervorgegangen - »in den Garten von Eden [gesetzt wurde], damit er ihn bebaue und hüte« (Gn 2,15). Die zwei Verben des hebräischen Originaltextes sind dieselben, die anderswo verwendet werden, um das Gott »Dienen « und die »Befolgung« seines Wortes zu bezeichnen, also die Verpflichtung des Volkes Israel gegenüber dem Bund mit dem Herrn. Diese Analogie scheint nahezulegen, daß ein primärer Bund den Schöpfer mit Adam und mit jedem Menschen vereint. Dieser Bund erfüllt sich in der Aufgabe, die Erde zu bevölkern und sie sich zu unterwerfen und über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Kriechtiere auf dem Land zu herrschen (vgl. Gn 1,28 Ps 8,7-9).

Leider erfüllt der Mensch diesen ihm von Gott anvertrauten Auftrag oft nicht wie ein weiser Anreger, sondern wie ein überheblicher Tyrann. Letztendlich befindet er sich in einer verwüsteten und feindlich gesinnten Welt, in einer zersplitterten und zerrütteten Gesellschaft, wie uns wiederum die Genesis im großen Bericht des dritten Kapitels lehrt, wo die Zerstörung der Harmonie zwischen dem Menschen und seinem Mitmenschen, der Erde und dem Schöpfer selbst beschrieben ist. Das ist das Ergebnis der Erbsünde, das heißt der von Anfang an erfolgten Auflehnung gegen den Plan, den Gott der Menschheit anvertraut hatte.

3. Mit der Gnade des Erlösers Christus müssen wir uns also den auf den ersten Seiten der Bibel angedeuteten Plan für Frieden und Entwicklung, Gerechtigkeit und Solidarität, Veränderung und Aufwertung der irdischen und zeitlichen Wirklichkeiten erneut zu eigen machen. Wir müssen das große Abenteuer der Menschheit im Bereich der Wissenschaft und Technik weiterführen, indem wir die Geheimnisse der Natur erforschen. Durch die Wirtschaft, den Handel und das soziale Leben muß man Wohlstand, Erkenntnisse und die Überwindung des Elends und jedweder Form von Erniedrigung der Menschenwürde entwickeln.

Gott hat den Menschen gewissermaßen zum Schöpfungswerk bevollmächtigt, damit es sich fortsetzt sowohl in den außerordentlichen Unternehmungen der Wissenschaft und Technik als auch in den täglichen Bemühungen der Arbeiter, der Forscher und der Menschen, die mit ihrem Verstand und ihren Händen danach streben, die Erde zu »bebauen und zu hüten« und Männer und Frauen in Solidarität miteinander zu vereinen. Gott ist seiner Schöpfung nicht entrückt, im Gegenteil: Er hat den Menschen »mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt« und ihn - mit seiner Autonomie und Freiheit - sozusagen zu seinem Vertreter in Welt und Geschichte gemacht (vgl. Ps 8,6-7).

4. Der Psalmist sagt: »Nun geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend« (Ps 104,23). Auch Christus stellt in seinen Gleichnissen die Tätigkeit des Mannes und der Frau auf dem Feld und auf dem Meer, im Haus und in den Versammlungen, in den Gerichten und Märkten heraus. Er bedient sich ihrer, um das Geheimnis des Reiches Gottes und seiner fortschreitenden Verwirklichung symbolisch darzustellen, obwohl ihm bewußt ist, daß diese Arbeit oft vom Bösen und der Sünde, von Egoismus und Ungerechtigkeit vereitelt wird. Die geheimnisvolle Gegenwart des Reiches in der Geschichte stützt und belebt den Einsatz des Christen in seinen irdischen Aufgaben.

Die Christen sind in dieses Werk und diesen Kampf einbezogen und zur Zusammenarbeit mit dem Schöpfer aufgerufen, um auf Erden »ein Haus des Menschen« zu errichten, das seiner Würde und dem göttlichen Plan besser entspricht, ein Haus, in dem Huld und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen (vgl. Ps 85,11).

5. In diesem Licht möchte ich euch erneut vorschlagen, über jene Texte nachzudenken, die das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes dem »menschlichen Schaffen in der Welt« und der »Aufgabe der Kirche in der Welt von heute« (vgl. Kap. III und IV) gewidmet hat. Das Konzil lehrt: »Eines steht für die Glaubenden fest: das persönliche und gemeinsame menschliche Schaffen, dieses gewaltige Bemühen der Menschen im Lauf der Jahrhunderte, ihre Lebensbedingungen stets zu verbessern, entspricht als solches der Absicht Gottes« (Gaudium et spes GS 34).

Die Komplexität der modernen Gesellschaft macht die Aufgabe, die oft seelenlosen politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und technologischen Strukturen zu beleben, immer schwerer. Vor diesem schwierigen und dennoch vielversprechenden Hintergrund ist die Kirche zur Anerkennung der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten aufgerufen (vgl. Gaudium et spes GS 36), aber auch zur wirksamen Verkündigung »des Vorrangs der Ethik vor der Technik, des Primats der Person vor den Dingen, der Überlegenheit des Geistes über die Materie« (vgl. Kongregation für das katholische Bildungswesen, In questi ultimi decenni, 30.12.1988, Nr. 44). Nur so wird die Ankündigung des hl. Paulus in Erfüllung gehen: »Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes […] Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes« (Rm 8,19 Rm 8,21).

72 Unsere Heimat ist im Himmel, schreibt der Apostel Paulus (vgl. Ph 3,20). Das heißt aber nicht, daß wir nur passiv diesen Zustand abzuwarten hätten. Die biblische Offenbarung wie auch die philosophische Weisheit wissen um die Hinwendung der Menschheit auf das Unendliche und Ewige ebenso wie um die irdische Gebundenheit des Geschaffenen in Raum und Zeit.

Der Mensch geht seinem göttlichen Ziel entgegen, indem er sich auf einen irdischen Pilgerweg macht. Mann und Frau haben der Welt gegenüber eine Aufgabe zu erfüllen, die sie Gott näherbringt. Sie sollen mit Weisheit am Werk der Schöpfung teilnehmen. Die Gnade des Erlösers Jesus Christus hilft den Gläubigen, sich für Friede, Fortschritt, Gerechtigkeit und Solidarität einzusetzen. Dies führt zur Behebung von Armut und Erniedrigung jeder Art. Denn der einzelne Mensch ist und bleibt Bild und Gleichnis Gottes.

Wir sind eingeladen, zusammen mit dem Schöpfer die Erde zu einem ‚Haus des Menschen’ so umzubauen, daß sie der Würde des Menschen als Kind Gottes entspricht. Die politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und technologischen Strukturen bedürfen dazu der Beseelung durch den Geist Gottes.
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Ich begrüße alle, die aus den Ländern deutscher Sprache hier anwesend sind. Gleichzeitig ermuntere ich euch, die Einladung des Schöpfers anzunehmen und der Welt ein menschliches Antlitz zu geben. Dazu erteile ich euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 20. Dezember 2000

73


Liebe Schwestern und Brüder!

In der Liturgie des heutigen Tages singt die Kirche:

O Schlüssel Davids, dessen Kraft,
uns kann entziehn der ewgen Haft.
Komm, führ uns aus des Todes Nacht,
wohin die Sünde uns gebracht.

Dieses Lied lenkt unseren Blick auf den Sohn Gottes, der Mensch wurde, um die Menschheit zu erlösen. Wer die Botschaft der Inkarnation ernst nimmt, der hat einen Schlüssel in der Hand, mit der sich die Tür ins Himmelreich öffnet.

Diese frohe Kunde dürfen wir nicht für uns behalten. Aus dem Evangelium der Weihnacht erwächst die Verpflichtung zu Versöhnung und Frieden. Öffnen wir einander die Türen unseres Herzens. Machen wir uns auf, um den Fürst des Friedens zu empfangen.
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In Vorfreude auf Weihnachten heiße ich die Pilger deutscher Sprache willkommen. Ich grüße das Kammerorchester des Musischen Gymnasiums Maria Stern aus Augsburg. Besonders freue ich mich, daß mir heute das Friedenslicht aus Betlehem übergeben wird. Die Initiative, die vom Österreichischen Rundfunk ausgeht, fügt sich ein in die nunmehr schon traditionelle Aktion "Licht ins Dunkel", ein Zeichen von Nächstenliebe und Solidarität. So lege ich euch eine zweifache Bitte ans Herz: das Gebet um den Frieden im Heiligen Land und den Einsatz für alle Menschen, die ein Schattendasein führen. Mit besten Wünschen für ein gesegnetes Christfest erteile ich allen den Apostolischen Segen.







Generalaudienz 2000 67