Generalaudienz 2004 64

Mittwoch, 29. September 2004

Lesung: Psalm 45,2-10

65
2 Mein Herz fließt über von froher Kunde, / ich weihe mein Lied dem König. Meine Zunge gleicht dem Griffel des flinken Schreibers.
3 Du bist der Schönste von allen Menschen, / Anmut ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich für immer gesegnet.
4 Gürte, du Held, dein Schwert um die Hüfte, kleide dich in Hoheit und Herrlichkeit!
5 Zieh aus mit Glück, kämpfe für Wahrheit und Recht! Furchtgebietende Taten soll dein rechter Arm dich lehren.
6 Deine Pfeile sind scharf, dir unterliegen die Völker, die Feinde des Königs verlieren den Mut.
7 Dein Thron, du Göttlicher, steht für immer und ewig; das Zepter deiner Herrschaft ist ein gerechtes Zepter.
8 Du liebst das Recht und haßt das Unrecht, / darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit dem Öl der Freude wie keinen deiner Gefährten.
9 Von Myrrhe, Aloe und Kassia duften all deine Gewänder, aus Elfenbeinhallen erfreut dich Saitenspiel.
10 Königstöchter gehen dir entgegen, die Braut steht dir zur Rechten im Schmuck von Ofirgold.

1. »Ich weihe mein Lied dem König.« Diese an den Anfang von Psalm 45 gestellten Worte informieren den Leser über die grundlegende Art dieses Hymnus. Der Hofschreiber, der ihn verfaßt hat, berichtet uns sogleich, daß es sich um ein Lied zu Ehren des jüdischen Herrschers handelt. Ja, beim Durchsehen der Verse dieser Komposition stellen wir fest, daß wir ein Epithalamion, das heißt ein Hochzeitslied, vor uns haben.

Die Experten bemühten sich, die geschichtlichen Daten des Psalms auf Grund irgendwelcher Anzeichen herauszufinden, wie etwa der Verbindung der Königin mit der phönizischen Stadt Tyrus (vgl. V. 13), aber es gelang ihnen nicht, das Königspaar genau zu identifizieren. Wichtig ist, daß es hier um einen jüdischen König geht, was der jüdischen Tradition erlaubt hat, den Text in ein Lied für den messianischen König zu verwandeln. Ebenso konnte die christliche Tradition den Psalm unter christologischem Aspekt und wegen des Auftretens der Königin auch in mariologischer Sicht entschlüsseln.

2. Die Liturgie der Vesper läßt uns diesen Psalm als Gebet benutzen, wobei er in zwei Teile untergliedert ist. Wir haben jetzt den ersten Teil gehört (vgl. V. 2-10), wo nach der genannten Einleitung des Autors und Schreibers des Textes (vgl. V. 2) ein wunderbares Bild von dem König, der seine Hochzeit feiern will, geboten wird.

Deshalb hat das Judentum in Psalm 45 ein Hochzeitslied gesehen, das die Schönheit und Intensität des Geschenkes der Liebe zwischen den Eheleuten hervorhebt. Vor allem die Frau kann mit dem Hohelied der Liebe sprechen: »Der Geliebte ist mein, und ich bin sein« (2,16). »Meinem Geliebten gehöre ich, und mir gehört der Geliebte« (6,3).

3. Das Profil des königlichen Bräutigams wird in erhabener Weise gezeichnet unter Zuhilfenahme der ganzen Begriffswelt der höfischen Szenerie. Er trägt die militärischen Ehrenzeichen (
Ps 45,4-6), zu denen kostbare, parfümierte Gewänder kommen, während im Hintergrund aus den Elfenbeinhallen der glänzenden Paläste Musik erklingt (vgl. V. 9-10). In der Mitte erhebt sich der Thron, und das Zepter wird erwähnt, zwei Zeichen der Macht und der Königswürde (vgl. V. 7-8).

An dieser Stelle möchten wir zwei Elemente hervorheben. Zunächst die Schönheit des Bräutigams, Zeichen eines inneren Glanzes und des göttlichen Segens: »Du bist der Schönste von allen Menschen« (V. 3). Die christliche Tradition hat gerade aufgrund dieses Verses Christus als vollkommenen und faszinierenden Mann dargestellt. In einer oft von Häßlichkeiten und Schandtaten gezeichneten Welt ist dieses Bild eine Einladung, die »via pulchritudinis« im Glauben, in der Theologie und im gesellschaftlichen Leben wiederzufinden, um zur göttlichen Schönheit aufzusteigen.

4. Aber die Schönheit ist nicht Selbstzweck. Die zweite Bemerkung möchten wir gerade im Bezug auf das Zusammentreffen von Schönheit und Gerechtigkeit machen. In der Tat, der König »zieht aus mit Glück, kämpft für Wahrheit und Recht« (vgl. V. 5); er »liebt das Recht und haßt das Unrecht« (V. 8), und das Zepter seiner Herrschaft ist »ein gerechtes Zepter« (V. 7). Die Schönheit muß mit der Güte und Heiligkeit des Lebens verbunden sein, damit in der Welt das leuchtende Antlitz Gottes erstrahlt, der gut, wunderbar und gerecht ist.

Die Anrede »Göttlicher« in Vers 7 gilt nach Meinung der Experten dem König, weil er vom Herrn gesalbt ist und deshalb in gewisser Weise dem göttlichen Bereich angehört: »Dein Thron, du Göttlicher, steht für immer und ewig.« Es könnte jedoch eine Anrufung an den einen höchsten König sein, den Herrn, der sich zum messianischen König herabneigt. Fest steht, daß der Brief an die Hebräer, indem er den Psalm auf Christus anwendet, nicht zögert, dem in seine Herrlichkeit eingegangenen Sohn nicht nur die symbolische, sondern die volle Gottheit zuzuerkennen (vgl. He 1,8-9).

66 5. Auf der Linie dieser christologischen Lektüre schließen wir, indem wir auf die Stimme der Kirchenväter verweisen, die jedem Vers noch weitere geistliche Bedeutung zuschreiben. Johannes Chrysostomus verstand die christologische Deutung des Psalmverses, in dem es heißt, daß Gott den messianischen König »für immer gesegnet« hat (vgl. Ps 45,3), so: »Der erste Adam wurde mit einem schweren Fluch, der zweite Adam hingegen mit reichem Segen bedacht. Jener hatte gehört: ›So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen‹ (Gn 3,17), und weiter: ›Verflucht, wer den Auftrag des Herrn lässig betreibt‹ (Jr 48,10), und ›Verflucht, wer nicht die Worte dieser Weisung stützt, indem er sie hält‹ (Dt 27,26), und ›ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter‹ (Dt 21,23). Siehst du, wie viele Verfluchungen? Von all diesen Verfluchungen hat dich Christus befreit, indem er zum Fluch geworden ist (vgl. Ga 3,13): Denn wie er sich erniedrigt hat, um dich zu erheben, und gestorben ist, um dich unsterblich zu machen, so ist er zum Fluch geworden, um dich mit Segen zu erfüllen. Was kannst du denn mit diesem Segen vergleichen, wenn er dir durch einen Fluch Segen schenkt? Er hatte in der Tat keinen Segen nötig, aber er schenkt ihn dir« (Expositio in Psalmum XLIV, 4: , S. 188-189).

Mit einem Lied zur Hochzeit des Königs preist der Psalmist seinen Herrn: „Du bist der Schönste von allen Menschen, Anmut ist ausgegossen über deine Lippen" (Ps 45,3). Die Wohlgestalt des Bräutigams ist Ausdruck inneren Glanzes und göttlichen Segens. Psalm 45 hat daher die Darstellung Christi als vollkommenen, reinen Menschen inspiriert. Dieses Bild lädt uns ein, die „via pulchritudinis" im Glauben und im Leben neu zu entdecken, um zur göttlichen Schönheit vorzudringen.

Die Schönheit ist aber nicht Selbstzweck. Zu ihr müssen sich Gerechtigkeit, Güte und Heiligkeit des Lebens gesellen. Dann bringt sie in der Welt das Antlitz des guten und gerechten Gottes zum Strahlen. In Jesus Christus, dem wahren Mensch und wahren Gott, schauen wir den Abglanz der Herrlichkeit des Vaters.
***


Sehr herzlich heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Einen besonderen Gruß richte ich an die Töchter der Heiligsten Herzen Jesu und Mariä. Verkündet mit eurem Leben die Freude und Schönheit des Glaubens! Gottes Liebe leite euch. Euch allen wünsche ich eine gesegnete Zeit hier in Rom!



Oktober 2004


Mittwoch, 6. Oktober 2004

Lesung: Psalm 45,11-12.14-15.18

11 Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr, vergiß dein Volk und dein Vaterhaus!
12 Der König verlangt nach deiner Schönheit; er ist ja dein Herr, verneig dich vor ihm!
14 Die Königstochter ist herrlich geschmückt, ihr Gewand ist durchwirkt mit Gold und Perlen.
67 15 Man geleitet sie in buntgestickten Kleidern zum König, Jungfrauen sind ihr Gefolge, ihre Freundinnen führt man zu dir.
18 Ich will deinen Namen rühmen von Geschlecht zu Geschlecht; darum werden die Völker dich preisen immer und ewig.

1. Das ansprechende Frauenbildnis, das uns vorgestellt wurde, ist das zweite Bild des Diptychons, aus dem Psalm 45 besteht, das heitere und frohe Hochzeitslied, das uns die Liturgie der Vesper zu lesen aufgibt. Nachdem wir also den König betrachtet haben, der Hochzeit feiert (vgl. V. 2-10), richtet sich unser Blick auf die Gestalt der Königin und Braut (vgl. V. 11-18). Der hochzeitliche Ausblick erlaubt uns, diesen Psalm allen Ehepaaren zu widmen, die mit Intensität und innerer Frische ihren Ehebund leben, das Zeichen eines »tiefen Geheimnisses«, wie der Apostel Paulus es nennt, das Zeichen der Liebe des himmlischen Vaters zur Menschheit und der Liebe Christi zu seiner Kirche (vgl.
Ep 5,32). Aber der Psalm eröffnet noch einen anderen Horizont.

Denn im Rampenlicht steht der jüdische König, und deshalb hat die spätere jüdische Tradition gerade in diesem Ausblick ein Profil des davidischen Messias gesehen, während das Christentum den Hymnus in ein Lied zu Ehren Christi verwandelt hat.

2. Jetzt aber konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit auf das Profil der Königin, die der Hofdichter, der Autor des Psalms (vgl. Ps 45,2), mit viel Feingefühl zeichnet. Der Hinweis auf die phönizische Stadt Tyrus (vgl. V. 13) legt die Vermutung nahe, daß es sich um eine fremdländische Prinzessin handelt. Besondere Bedeutsamkeit erhält also die Aufforderung, das Volk und Vaterhaus zu vergessen (vgl. V. 11), das die Prinzessin hat verlassen müssen.

Die eheliche Berufung bedeutet eine Wende im Leben und ändert das Dasein, wie es schon im Buch Genesis heißt: »Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch« (Gn 2,24). Die Königin und Braut schreitet also mit ihrem Hochzeitszug voran, der Gaben bringt, und geht auf den König zu, der von ihrer Schönheit fasziniert ist (vgl. Ps 45,12-13).

3. Bedeutsam ist der Nachdruck, mit dem der Psalmist die Frau vorstellt: Sie ist »herrlich geschmückt« (V. 14), und diese Pracht kommt im Hochzeitskleid zum Ausdruck, das ganz mit Gold und Perlen durchwirkt und mit bunten Stickereien verziert ist (vgl. V. 14-15).

Die Bibel liebt die Schönheit als Widerschein von Gottes Herrlichkeit; auch die Gewänder können zum Zeichen eines strahlenden inneren Lichtes, einer Reinheit des Herzens werden.

Man denkt einerseits an die wunderbaren Seiten des Hohenlieds der Liebe (vgl. Kapitel 4 und 7), und gleichzeitig an deren Wiederaufnahme in der Offenbarung des Johannes, welche die »Hochzeit des Lammes«, das heißt Christi, mit der Gemeinschaft der Erlösten beschreibt, indem sie den symbolischen Wert der Hochzeitsgewänder auf den Punkt bringt: »Gekommen ist die Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht. Sie durfte sich kleiden in strahlend reines Leinen. Das Leinen bedeutet die gerechten Taten der Heiligen« (Ap 19,7-8).

4. Neben der Schönheit wird die Freude hervorgehoben, die in dem Festzug der »Jungfrauen« herrscht, der Brautjungfern, die die Braut »mit Freude und Jubel« geleiten (vgl. Ps 45,15-16). Die reine Freude, viel tiefer als die einfache Fröhlichkeit, ist Ausdruck der Liebe, die am Wohl der geliebten Person mit reinem Herzen teilhat.

Jetzt wird gemäß den abschließenden Wünschen eine weitere der Ehe innewohnende Wirklichkeit offenbar: die Fruchtbarkeit. Denn es ist die Rede von »Söhnen« und von kommenden »Geschlechtern« (vgl. V. 17-18). Die Zukunft nicht nur der Dynastie, sondern der Menschheit wird gerade dadurch verwirklicht, daß das Ehepaar der Welt neue Menschenkinder schenkt.

68 Das ist in unseren Tagen ein brennendes Problem in der westlichen Welt, die oft unfähig ist, der Zukunft das eigene Dasein anzuvertrauen durch die Zeugung und den Schutz von jungen Menschen, die die Zivilisation der Völker fortsetzen und die Heilsgeschichte verwirklichen.

5. Bekanntlich haben viele Kirchenväter das Bild der Königin auf Maria angewandt, ausgehend von der anfänglichen Aufforderung: »Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr« (V. 11). So geschah es z. B. in der Homilie über die Mutter Gottes des Chrysippos von Jerusalem, der aus Kappadokien stammte, in Palästina zu den ersten Mönchen im Kloster des hl. Euthymios gehörte und später als Priester der Wächter des heiligen Kreuzes in der »Anastasis«-Basilika in Jerusalem war.

Er wendet sich an Maria und sagt: »An dich richtet sich meine Rede, an dich, der du die Braut eines großen Herrschers bist; an dich richtet sich meine Rede, an dich, die du das Wort Gottes in der ihm bekannten Weise empfangen wirst… ›Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr‹; denn die frohe Ankündigung der Erlösung der Welt ist eingetreten. Neige dein Ohr, und das, was du hören wirst, wird dein Herz erleichtern… ›Vergiß dein Volk und dein Vaterhaus‹: Achte nicht auf die irdische Verwandtschaft, denn du wirst in eine Königin des Himmels verwandelt. Und höre - so sagt er -, wie sehr dich der Schöpfer und Herr des Alls liebt. ›Denn der König - sagt er - sehnt sich nach deiner Schönheit‹: der Vater selbst wird dich zur Frau nehmen; der Heilige Geist wird alle Bedingungen schaffen, die für die Hochzeit notwendig sind … Glaube nicht, daß du ein Kind von Menschen gebären wirst, ›denn er ist dein Herr, und du wirst ihn anbeten‹. Dein Schöpfer ist dein Kind geworden; du wirst ihn empfangen und mit den anderen als deinen Herrn anbeten« (Testi mariani del primo millennio, I, Roma 1988, S. 605-606).

Mit einem Brautlied erklingt die Hoffnung Israels auf einen ewigen Bund mit Gott. Der Messias verlangt nach der Schönheit des bräutlichen Volkes (vgl.
Ps 45,12). Strahlend tritt die Braut im Psalm ihrem Geliebten entgegen. Auf dem Grund ihrer makellosen Seele erglänzt der Widerschein eines göttlichen Lichtes.

Wie das Alte Testament im Volk Israel die Braut des erhofften Messias erblickt, so singen die Kirchenväter mit Psalm 45 ihr Loblied auf Maria, die reine Magd des Herrn. Die Jungfrau aus Nazaret öffnet sich dem Willen des Schöpfers und nimmt das Ewige Wort in sich auf. Ihre reine Liebe bringt reiche Frucht: „Darum werden die Völker dich preisen immer und ewig" (Ps 45,18).
***


Von Herzen grüße ich die deutschprachigen Pilger und Besucher. Besonders heiße ich die Schwestern vom Göttlichen Erlöser willkommen, die ihr fünfundzwanzigjähriges Profeßjubiläum feiern. Folgt alle wie Maria stets dem Willen des Herrn! Sein lebendiges Wort weise euch den Weg!




Mittwoch, 13. Oktober 2004

Lesung: Epheserbrief\i 1,3.7-8

3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.
4 Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott;
69 5 er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen,
6 zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn;
7 durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade.
8 Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt
9 und hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im voraus bestimmt hat:
10 Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist.

1. Vor uns haben wir ein feierliches Loblied, das den Brief an die Epheser eröffnet, eine Seite von großer theologischer und geistlicher Dichte, einen wunderbaren Ausdruck des Glaubens und vielleicht der Liturgie der Kirche aus der Zeit der Apostel.

Ganze vier Mal, in allen Wochen, in die sich Liturgie der Vesper gliedert, wird der Hymnus angeboten, damit der Gläubige diese großartige Ikone Christi, den Kern der Spiritualität und des christlichen Kultes, aber auch das Prinzip der Einheit und des Sinnes des Universums und der ganzen Geschichte, betrachten und verkosten kann. Der Lobpreis steigt von der Menschheit zum Vater im Himmel auf (vgl. V. 3), ausgehend vom Heilswerk des Sohnes.

2. Der Lobpreis beginnt mit dem ewigen göttlichen Plan, den Christus zu vollenden gerufen ist. In diesem Plan leuchtet vor allem unsere Erwählung hervor, »heilig und untadelig« zu sein, nicht so sehr auf ritueller Ebene - wie es diese im Alten Testament für den Opferkult verwandten Adjektive anscheinend nahelegen -, sondern »aus Liebe« (vgl. V. 4). Es handelt sich also um eine Heiligkeit und eine moralische, existenzielle, innere Lauterkeit.

Für uns aber hat der Vater noch ein weiteres Ziel im Sinn: Durch Christus bestimmt er uns dazu, das Geschenk der Sohneswürde anzunehmen und Söhne im Sohn und Brüder Jesu zu werden (vgl.
Rm 8,15 Rm 8,23 Rm 9,4 Ga 4 Ga 5). Dieses Gnadengeschenk breitet sich durch »den geliebten Sohn« aus, den Eingeborenen schlechthin (vgl. V. 5-6).

3. Auf diesem Weg bewirkt der Vater in uns einen radikalen Wandel: eine volle Befreiung vom Bösen, »die Erlösung durch das Blut« Christi, »die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade« (vgl. V. 7). Christi Opfertod am Kreuz, höchster Akt der Liebe und Solidarität, gießt auf uns eine überreiche Welle von Licht, von »Weisheit und Einsicht« aus (vgl. V. 8). Wir sind verklärte Geschöpfe. Unsere Sündenschuld ist getilgt, wir erkennen den Herrn in Fülle. Und weil die Erkenntnis in der biblischen Sprache Ausdruck der Liebe ist, führt sie uns tiefer in das »Geheimnis« des göttlichen Willens ein (vgl. V. 9).

70 4. Ein »Geheimnis«, das heißt ein transzendenter und vollkommener Plan, der einen wunderbaren Heilsplan enthält: »Alles, was im Himmel und auf Erden ist, in ihm zu vereinen« (V. 10). Der griechische Text verrät, daß Christus der »kephalaion«, das heißt der Angelpunkt, die zentrale Achse geworden ist. Zu ihm strebt alles Geschaffene hin und erhält von ihm seinen Sinn. Das griechische Wort verweist auf ein anderes, das den Briefen an die Epheser und an die Kolosser lieb ist: »kephale«, »Haupt«, das die von Christus im Leib der Kirche übernommene Funktion deutlich macht.

Jetzt weitet sich der Blick auf den Kosmos, indem er auch die besondere kirchliche Dimension des Werkes Christi einschließt. Gott wollte »durch ihn alles versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut« (
Col 1,20).

5. Wir beenden unsere Betrachtung mit einem Gebet des Lobes und Dankes für die von Christus in uns gewirkte Erlösung. Wir tun es an Hand eines Textes, der in einem alten Papyrus des 4. Jahrhunderts enthalten ist.

»Herr und Gott, wir rufen zu dir. Du weißt alles, nichts entgeht dir, Lehrer der Wahrheit. Du hast das Universum geschaffen und wachst über jedes Lebewesen. Du führst alle, die in der Finsternis und im Schatten des Todes waren, auf den Weg der Wahrheit. Du willst alle Menschen retten und ihnen die Wahrheit bekannt machen. Alle zusammen bringen wir dir Lob- und Danklieder dar.« Der Beter fährt fort: »Du hast uns mit dem kostbaren und unbefleckten Blut deines einzigen Sohnes von jeder Verirrung und von der Knechtschaft erlöst. Du hast uns befreit vom Teufel und hast uns Herrlichkeit und Freiheit gewährt. Wir waren tot, und du hast uns mit Leib und Seele im Heiligen Geist wiedergeboren. Wir waren befleckt, und du hast uns rein gewaschen. Darum bitten wir dich, Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes: Stärke uns in unserer Berufung, in der Anbetung und in der Treue.« Das Gebet schließt mit der Bitte: »Stärke uns, gütiger Herr, mit deiner Kraft. Erleuchte unsere Seele mit deinem Trost… Gewähre uns, die Güter des Himmels und nicht die der Erde zu suchen und zu betrachten. So wird durch die Kraft deiner Gnade die allmächtige, heiligste und allen Lobes würdige Macht in Jesus Christus, dem vielgeliebten Sohn, mit dem Heiligen Geist verherrlicht in Ewigkeit. Amen« (A. Hamman, Preghiere dei primi cristiani, Milano 1955, Ss. 92-94).

Der paulinische Brief an die Epheser beginnt mit einem feierlichen Loblied auf den Heilsplan Gottes. Im Mittelpunkt steht Christus, der Grund unserer Erlösung. Er führt uns auf den Weg einer radikalen Umgestaltung, die Befreiung von der Macht des Bösen bedeutet. „Alles, was im Himmel und auf Erden ist" (V. 10), wird nach dem Willen des Vaters in Christus zur Vollendung geführt.

Durch sein Kreuzesopfer, den Akt höchster Liebe und Solidarität, hat Jesus Christus den Erlösten die Würde der Sohnschaft erworben. Dieses Gnadengeschenk beinhaltet zugleich einen Auftrag: heilig und untadelig zu leben vor Gott - denn dazu sind wir Christen erwählt (vgl. V. 4).
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Mit Freude heiße ich die Pilger und Besucher aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und aus Liechtenstein willkommen. Einen besonderen Gruß richte ich an die Gäste des Collegium Germanicum, die aus Anlaß der Priesterweihen nach Rom gepilgert sind, sowie an die Gläubigen aus dem Erzbistum Hamburg. Preist den Herrn mit eurem ganzen Leben! Gottes Geist geleite euch.



Mittwoch, 20. Oktober 2004

Lesung: Psalm 49,2-3.6-8.13

71 Ps 49,2-3 Ps 49,6-8 Ps 49,13

2 Hört dies an, ihr Völker alle, vernehmt es, alle Bewohner der Erde,
3 ihr Leute aus dem Volk und vom Adel, Reiche und Arme zusammen!
6 Warum soll ich mich in bösen Tagen fürchten, wenn mich der Frevel tückischer Feinde umgibt?
7 Sie verlassen sich ganz auf ihren Besitz und rühmen sich ihres großen Reichtums.
8 Loskaufen kann doch keiner den andern noch an Gott für ihn ein Sühnegeld zahlen.
13 Der Mensch bleibt nicht in seiner Pracht; er gleicht dem Vieh, das verstummt.

1. Unsere Betrachtung des Psalms 49 ist in zwei Abschnitte geteilt, so wie es die Vesperliturgie tut, die ihn uns in zwei Teilen anbietet. Wir kommentieren jetzt ausführlich den ersten Teil, in dem die Reflexion wie in Psalm 73 von einer Situation des Unbehagens ausgeht. Der Gerechte erlebt »böse Tage«, weil ihn »der Frevel tückischer Feinde umgibt«, die sich »ihres großen Reichtums rühmen« (vgl. Ps 49,6-7).

Der Schluß, zu dem der Gerechte kommt, wird als eine Art Weisheitsspruch formuliert, der auch am Ende des ganzen Psalms wiederkehrt. Er faßt ganz klar die vorherrschende Botschaft der dichterischen Komposition zusammen: »Der Mensch bleibt nicht in seiner Pracht; er gleicht dem Vieh, das verstummt« (V. 13). Mit anderen Worten, »der große Reichtum« ist kein Vorteil, nein! Besser ist es, arm und mit Gott verbunden zu sein.

2. In dem Weisheitsspruch scheint die ernste Stimme eines alten biblischen Weisen widerzuhallen, des Ekklesiastes oder Kohelet, der die für alle Lebewesen scheinbar gleiche Bestimmung beschreibt, den Tod, der das hektische Sichfesthalten an den irdischen Dingen völlig vergeblich macht. »Wie er aus dem Leib seiner Mutter herausgekommen ist - nackt, wie er kam, muß er wieder gehen. Von seinem Besitz darf er überhaupt nichts forttragen« (Qo 5,14). Menschen und Tiere »haben ein und dasselbe Geschick. Wie diese sterben, so sterben jene… Beide gehen an ein und denselben Ort« (Qo 3,19 Qo 3,20).

3. Eine tiefe Verstocktheit hält den Menschen gefangen, wenn er sich vortäuscht, dem Tod ausweichen zu können, indem er sich abmüht, materielle Güter anzuhäufen. Nicht umsonst spricht der Psalmist von einem beinahe tierischen »Unverständnis«.

Das Thema wurde von allen Kulturen und allen Geistesrichtungen erforscht und in seinem Kern von Jesus endgültig geklärt, als er sagte: »Gebt acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, daß der Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluß lebt« (Lc 12,15). Jesus erzählt dann das bekannte Gleichnis vom reichen Toren, der übermäßig viele Güter anhäuft, ohne daran zu denken, daß der Tod im Hinterhalt auf ihn lauert (vgl. Lc 12,16-21).

4. Der erste Teil des Psalms handelt gerade von dieser Illusion, die das Herz des reichen Mannes erobert hat. Dieser ist überzeugt, daß er auch den Tod »kaufen« kann, und versucht, ihn sozusagen zu bestechen, so wie er gewohnt war, alles andere zu erreichen, das heißt den Erfolg, den Triumph über die anderen im gesellschaftlichen und politischen Bereich, den ungestraften Machtmißbrauch, die Sattheit, die Bequemlichkeit, die Vergnügungen.

72 Aber der Psalmist zögert nicht, diesen Anspruch als töricht abzustempeln. Er nimmt ein Wort zu Hilfe, das auch finanzielle Bedeutung hat, den »Loskauf«: »Loskaufen kann doch keiner den anderen noch an Gott für ihn ein Sühnegeld zahlen - für das Leben ist jeder Kaufpreis zu hoch; für immer muß man davon abstehn - damit er auf ewig weiterlebt und niemals das Grab schaut« (Ps 49, 8-10).

5. Der reiche Mann, der sich an seine großen Reichtümer klammert, ist überzeugt, daß er auch den Tod beherrschen kann, so wie er sich gegenüber allem und allen durch das Geld als Herr aufgespielt hat. Aber wie hoch die Summe auch sein mag, die er sofort anbieten kann, seine letzte Bestimmung ist unabwendbar. Wie alle Männer und Frauen, ob reich oder arm, weise oder töricht, wird er zu Grab getragen werden, wie es auch mit den Mächtigen geschehen ist, und er wird das vielgeliebte Gold, die so sehr vergötterten materiellen Güter auf der Erde zurücklassen müssen (vgl. V. 11-12).

Jesus stellt seinen Zuhörern die beunruhigende Frage: »Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?« (Mt 16,26). Kein Tausch ist möglich, weil das Leben ein Geschenk Gottes ist, in dessen Hand »die Seele allen Lebens und jeden Menschenleibes Geist« ruht (Jb 12,10).

6. Unter den Kirchenvätern, die Psalm 49 kommentierten, verdient der hl. Ambrosius besondere Aufmerksamkeit, denn er vermehrt dessen Sinn gemäß einer weitreichenderen Vision, ausgehend von der anfänglichen Einladung des Psalmisten: »Hört dies an, ihr Völker alle, vernehmt es, alle Bewohner der Erde.«

Der einstmalige Bischof von Mailand schreibt: »Wir erkennen hier am Anfang die Stimme des Herrn und Erlösers, der die Völker zur Kirche ruft, damit sie die Sünde meiden, Anhänger der Wahrheit werden und den Vorteil des Glaubens erkennen. « Im übrigen »waren alle Herzen der einzelnen Generationen der Menschen vom Gift der Schlange verunreinigt, und das menschliche Gewissen, Sklave der Sünde, war nicht imstande, sich von ihr loszulösen«. Deshalb verheißt der Herr »aus freier Initiative in seinem großen Erbarmen die Vergebung, damit der Sünder keine Angst hat, sondern sich voll bewußt ist und sich freut, jetzt seine Dienste als Knecht dem guten Herrn anbieten zu dürfen, der es verstanden hat, die Sünden zu vergeben und die Tugenden zu belohnen « (Expositio super psalmos XII, Kommentar zu zwölf Psalmen, Nr. 1: SAEMO, VIII, Milano-Roma 1980, S. 253).

7. In diesen Psalmworten hört man das Echo der Einladung aus dem Evangelium: »Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch« (Mt 11,28). Ambrosius fährt fort: »Wie jemand, der die Kranken besucht, wie ein Arzt, der unsere schmerzhaften Wunden behandeln will, so führt er uns die Behandlung vor Augen, damit ihn die Menschen gut hören und alle voll Zuversicht und Eifer laufen, um das Heilmittel der Genesung zu empfangen. […] Rufe alle Völker zur Quelle der Weisheit und der Erkenntnis, verheiße allen die Erlösung, damit niemand in Angst und niemand in der Verzweiflung lebt« (Nr. 2: ebd., Ss. 253.255).

„Der Mensch bleibt nicht in seiner Pracht, er gleicht dem Vieh, das verstummt" (Ps 49,13). Dieses harte Psalmwort warnt vor einer materialistischen Weltsicht: Die irdischen Güter vermögen unser Sehnen nach Glück nicht zu erfüllen. Blindheit schlägt den Menschen, der meint, sich das Leben erkaufen zu können.

„Für das Leben ist jeder Kaufpreis zu hoch" (V. 9). Gott indessen will seinen Kindern das Leben schenken. Er ruft die Menschen auf, Christus nachzufolgen, der den Weg der Wahrheit weist. In ihm allein finden wir das Heil, die Fülle des Lebens.
***


Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Besonders heiße ich die Pilger aus dem Bistum Fulda willkommen, die aus Anlaß des Bonifatius-Jubiläums nach Rom gepilgert sind. Strebt nach den unvergänglichen Gütern! Sucht zuerst das Reich Gottes! Dazu gebe euch der Herr seine Gnade.




Mittwoch, 27. Oktober 2004

73

Lesung: Psalm 49,14-21

14 So geht es denen, die auf sich selbst vertrauen, und so ist das Ende derer, die sich in großen Worten gefallen. [Sela]
15 Der Tod führt sie auf seine Weide wie Schafe, sie stürzen hinab zur Unterwelt. Geradewegs sinken sie hinab in das Grab; ihre Gestalt zerfällt, die Unterwelt wird ihre Wohnstatt.
16 Doch Gott wird mich loskaufen aus dem Reich des Todes, ja, er nimmt mich auf. [Sela]
17 Laß dich nicht beirren, wenn einer reich wird und die Pracht seines Hauses sich mehrt;
18 denn im Tod nimmt er das alles nicht mit, seine Pracht steigt nicht mit ihm hinab.
19 Preist er sich im Leben auch glücklich und sagt zu sich: »Man lobt dich, weil du dir’s wohl sein läßt«,
20 so muß er doch zur Schar seiner Väter hinab, die das Licht nie mehr erblicken.
21 Der Mensch in Pracht, doch ohne Einsicht, er gleicht dem Vieh, das verstummt.

1. Die Liturgie der Vesper stellt uns in ihrem weiteren Verlauf wiederum Psalm 49 vor, ein Weisheitslied, dessen zweiter Teil soeben erklungen ist (vgl. V. 14-21). Wie der vorhergegangene Teil (vgl. V. 1-13), den wir schon behandelt haben, verurteilt auch dieser Abschnitt des Psalms die aus der Vergötterung des Reichtums entstandene Illusion. Sie gehört zu den ständigen Versuchungen der Menschheit: Indem man sich an das Geld klammert, das eine unbesiegbare Macht zu besitzen scheint, bildet man sich ein, »auch den Tod kaufen« und von sich fernhalten zu können.

2. In Wirklichkeit bricht der Tod über uns herein und zerstört alle Illusionen, indem er alle Schranken niederreißt, jegliches Selbstvertrauen erniedrigt (vgl. V. 14) und Reiche und Arme, Herrscher und Untergebene, Törichte und Weise ins Jenseits führt. Eindrucksvoll ist das vom Psalmisten gezeichnete Bild, das den Tod als einen Hirten darstellt, der die Herde der verweslichen Geschöpfe mit fester Hand führt (vgl. V. 15). Psalm 49 stellt uns also eine realistische und ernste Betrachtung des Todes vor, des unausweichlichen, endgültigen Ziels des menschlichen Daseins.

74 Wir versuchen oft und in jeder Weise, diese Wirklichkeit zu übersehen, indem wir den Gedanken an sie von unserem Horizont verdrängen. Aber dieses Bemühen ist nicht nur nutzlos, sondern auch unangemessen. Denn das Nachdenken über den Tod erweist sich als wohltuend, weil es viele zweitrangige Wirklichkeiten relativiert, die wir leider verabsolutiert haben, wie gerade den Reichtum, den Erfolg, die Macht… Ein Weiser des Alten Testaments, Jesus Sirach, mahnt: »Bei allem, was du tust, denk an das Ende, so wirst du niemals sündigen« (7,36).

3. Aber da tritt in unserem Psalm eine entscheidende Wende ein. Wenn das Geld uns nicht vom Tod »loskaufen« kann (vgl.
Ps 49,8-9), gibt es doch einen, der uns aus diesem dunklen und dramatischen Horizont retten kann. Denn der Psalmist sagt: »Doch Gott wird mich loskaufen aus dem Reich des Todes, ja, er nimmt mich auf« (V. 16).

Für den Gerechten öffnet sich so eine Perspektive der Hoffnung und Unsterblichkeit. Auf die am Anfang des Psalms gestellte Frage: »Warum soll ich mich … fürchten?« (V. 6) wird jetzt die Antwort gegeben: »Laß dich nicht beirren, wenn einer reich wird« (V. 17).

4. Der im geschichtlichen Verlauf arme und gedemütigte Gerechte hat an seinem Lebensende keinen Besitz mehr, er hat nichts, was er als »Lösegeld« geben könnte, um den Tod aufzuhalten und sich seinem eiskalten Griff zu entziehen. Aber jetzt kommt die große Überraschung: Gott selbst zahlt ein Lösegeld und entreißt seinen Getreuen den Händen des Todes, denn Er ist der einzige, der den für die Menschen unausweichlichen Tod besiegen kann.

Deshalb lädt der Psalmist ein, »sich nicht zu fürchten« und den Reichen nicht zu beneiden, der in seiner Pracht immer überheblicher wird (vgl. ebd.), denn er wird im Tod alles verlieren; er wird weder Gold noch Silber, weder Ruhm noch Erfolg mitnehmen können (vgl. V. 18-19). Der Gläubige hingegen wird nicht verlassen vom Herrn, der ihm »den Pfad zum Leben zeigt. Vor seinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, zu seiner Rechten Wonne für alle Zeit« (vgl. Ps 16,11).

5. An den Schluß der Weisheitsbetrachtung von Psalm 49 können wir also die Worte Jesu setzen, der uns den wahren Schatz zeigt, der dem Tod standhält: »Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz« (Mt 6,19-21).

6. Den Worten Christi folgend, betont der hl. Ambrosius in seinem Kommentar zu Psalm 49 ganz klar und entschieden die Gehaltlosigkeit des Reichtums: »Es sind alles vergängliche Dinge, und sie vergehen rascher als sie gekommen sind. Ein solcher Schatz ist nichts als ein Traum. Wenn du aufwachst, ist er schon verschwunden. Der Mensch, dem es gelingt, den Rausch dieser Welt zu überwinden und sich die Nüchternheit der Tugend anzueignen, verachtet all diese Dinge und legt keinen Wert auf Geld« (Commento a dodici salmi, Nr. 23: SAEMO, VIII, Milano-Roma 1980, S. 275).

7. Der einstige Bischof von Mailand lädt also ein, sich nicht einfältig von den Reichtümern und vom menschlichen Ruhm verführen zu lassen: »Fürchte dich nicht, auch nicht, wenn du hörst, daß der Reichtum einer mächtigen Familie sich mehrt! Verstehe es, aufmerksam auf den Grund zu sehen, und er wird dir leer erscheinen, wenn er nicht einen Funken von der Fülle des Glaubens in sich hat.« In der Tat, bevor Christus gekommen ist, war der Mensch verdorben und leer: »Der verderbliche Sündenfall des alten Adam hat uns entleert, aber die Gnade Christi hat uns erfüllt. Er hat sich selbst entleert, um uns zu erfüllen und im Fleisch des Menschen die Fülle der Tugend wohnen zu lassen.« Ambrosius sagt am Ende, daß wir aus diesem Grund jetzt mit Johannes ausrufen können: »Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade« (Jn 1,16) (vgl. ebd.).

Die Vergötterung des Reichtums ist eine bleibende Versuchung. Falsches Vertrauen auf Geld und Macht nährt die Illusion eines Paradieses von Menschen Hand.

Die mahnende Wirklichkeit des Todes wird heute oft verdrängt. Ein ernstes Nachdenken über die letzte Bestimmung des Menschen tut not. Nur im Glauben finden wir die Hoffnung, die nicht trügt: Unsterblichkeit in der ewigen Gemeinschaft Gottes und seiner Heiligen. „Ja, Gott wird mich loskaufen aus dem Reich des Todes, er nimmt mich auf" (Ps 49,16).
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75 Herzlich heiße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Besonders grüße ich die Stiftung „Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind". Gott ist der Urgrund und das Ziel unseres Lebens. Er allein besiegt den Tod und schenkt Rettung und Heil. Auf Ihn setzt eure Hoffnung! Der Herr sei euch nahe mit seinem Segen.




Generalaudienz 2004 64