Generalaudienz 2002 53


Mittwoch, 11. September 2002



Liebe Brüder und Schwestern!

1. In aller Welt sind die Menschen heute mit ihren Gedanken in New York, wo am 11. September des vergangenen Jahres die Zwillingstürme des Welthandelszentrums infolge eines grausamen Attentats eingestürzt sind und viele unserer unschuldigen Brüder und Schwestern unter den Trümmern begraben haben.

Ein Jahr danach wollen wir dieser Opfer des Terrorismus wieder gedenken und sie der Barmherzigkeit Gottes empfehlen. Wir möchten zugleich ihren Familien und Angehörigen unsere geistliche Nähe bekunden. Wir wollen aber auch die Gewissen derer befragen, die einen so grausamen und barbarischen Plan entwickelt haben und durchführen ließen.

Ein Jahr nach dem 11. September 2001 wiederholen wir, daß keine Situation von Ungerechtigkeit, kein Gefühl von Frustration, keine Philosophie oder Religion eine solche Abirrung rechtfertigen können. Jede menschliche Person hat das Recht auf Achtung des eigenen Lebens und der eigenen Würde, weil sie unantastbare Güter sind. Das sagt Gott, das ist vom internationalen Recht festgelegt, das wird vom menschlichen Gewissen verkündet, das wird vom bürgerlichen Zusammenleben gefordert.

2. Der Terrorismus ist und wird immer Ausdruck der unmenschlichen Grausamkeit sein, die gerade als solche nie die Konflikte unter den Menschen wird lösen können. Unterdrückung, bewaffnete Gewalt und Krieg sind Entscheidungen, die nur Haß und Tod säen und gebären. Nur die Vernunft und die Liebe sind gültige Mittel, um die Auseinandersetzungen zwischen den Personen und Völkern zu überwinden und zu lösen.

Deshalb ist eine einmütige und entschlossene Anstrengung dringend erforderlich, um neue politische und ökonomische Initiativen in Gang zu setzen, die imstande sind, die skandalösen Situationen von Unrecht und Unterdrückung zu beheben, die so viele Glieder der Menschheitsfamilie belasten und die Voraussetzungen für einen unkontrollierbaren Wutausbruch schaffen. Wenn die Grundrechte verletzt werden, kann man den Versuchungen zu Haß und Gewalt leichter nachgeben. Es ist notwendig, gemeinsam eine globale Kultur der Solidarität aufzubauen, die den jungen Menschen die Hoffnung auf die Zukunft wiedergibt.

3. Ich möchte alle an das Bibelwort erinnern: Der Herr »kommt, um die Erde zu richten. Er richtet den Erdkreis gerecht und die Nationen nach seiner Treue« (Ps 96,13). Freiheit und Frieden können nur aus der Wahrheit und Gerechtigkeit entspringen. Auf diesen Werten ist es möglich, ein des Menschen würdiges Leben zu bauen. Außerhalb von ihnen gibt es nur Niedergang und Zerstörung.

An diesem traurigen Gedenktag erheben wir unser Gebet zu Gott, damit die Liebe den Haß verdränge und die Eintracht und Solidarität sich durch den Einsatz aller gutwilligen Personen auf der ganzen Welt festigen.

FÜRBITTEN


Brüder und Schwestern,

54 die Erinnerung an die tragischen Ereignisse der Menschheitsgeschichte mindert nicht das Vertrauen auf die unendliche Güte und Treue Gottes. Sein unabänderlicher Wunsch nach Liebe und Frieden, der in Christi Tod und Auferstehung offenbar wurde, ist der Grund der sicheren Hoffnung für alle Menschen und alle Völker.

[Anschließend sprach der Papst folgende Fürbitten:]

Rit. Dominum deprecemur. Te rogamus, audi nos.

[Englisch]

1. Für die Opfer von Terror und Gewalt, besonders für alle, die vor einem Jahr ihren Lieben grausam entrissen wurden: daß sie am Hochzeitsmahl des Lebens teilnehmen, wo es keine Tränen, keine Trauer und keine Angst mehr geben wird. Laßt uns auch darum bitten, daß die Lebenden Trost im Glauben und brüderlichen Beistand finden.

[Französisch]

2. Für die Kirche, das Zeichen und Werkzeug für die Einheit der Menschheit:daß sie durch die Predigt und das Zeugnis des Evangeliums die Hoffnung der Menschen guten Willens, die ihre Schritte auf die Wege der Gerechtigkeit und des Friedens lenken, erfüllt, nährt und stützt.

[Arabisch]

3. Für die Glaubenden aller Religionen:daß sie im Namen des barmherzigen und friedliebenden Gottes jede Form von Gewalt entschieden abwehren und sich bemühen, die Konflikte durch einen aufrichtigen und geduldigen Dialog unter Achtung der verschiedenen geschichtlichen, kulturellen und religiösen Erfahrungen zu lösen.

[Spanisch]

4. Für die Kinder und Jugendlichen, die die Hoffnung des neuen Millenniums sind: daß ihnen angesichts beispielgebender Vorbilder der authentischen Menschenwürde geholfen wird, die Zivilisation der Liebe und des Friedens in einer Welt aufzubauen, in der die Rechte aller Menschen geschützt und die Güter allerorts gleichermaßen verteilt werden.

55 [Nach dem Gesang des Pater noster sprach der Papst das Schlußgebet:]

Heiliger Vater,

barmherziger Gott, erbarme dich angesichts der vielen Ungerechtigkeiten, die das Gewissen der Menschheit beflecken. Gieße in das Herz jedes Mannes und jeder Frau den mächtigen Atem deines Heiligen Geistes ein, damit sie gemeinsam Tag für Tag einträchtig wachsen und eine große Familie bilden, in der alle als deine Kinder ufnahme und Anerkennung finden. Darum bitten wir dich durch Jesus Christus, den Sohn der Unbefleckten Jungfrau, unsern Herrn, der lebt und herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Der 11. September ruft die Grauen erregenden Attentate in Erinnerung, durch die vor einem Jahr viele unschuldige Menschen ihr Leben verloren haben. Wir beten für die Opfer des sinnlosen und barbarischen Terrorismus sowie für ihre Familien. Keine Philosophie, keine Religion und auch keine Unrechtserfahrung können tödliche Anschläge rechtfertigen, die sich gegen das Leben und die unveräußerliche Würde des Menschen richten.

Eine weltumfassende Kultur der Solidarität tut Not. Nur aus Wahrheit und Gerechtigkeit entspringen Freiheit und Frieden. Die Heilige Schrift gibt uns dabei eine Perspektive: „Der Herr richtet den Erdkreis gerecht, und die Nationen nach seiner Treue" (vgl. Psalm 96, 13).
***


Einen herzlichen Gruß richte ich an die Besucher und Pilger aus den deutschsprachigen Ländern sowie aus Belgien und den Niederlanden. Gott gebe euch die Kraft zu einem Leben aus Gerechtigkeit, Versöhnung und Liebe! Von Herzen erteile ich euch und euren Lieben daheim sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 18. September 2002



Liebe Brüder und Schwestern!

1. »Verkündet bei den Völkern: Der Herr ist König!« Diese soeben wiederholte Aufforderung von Psalm 96 (V. 10) gibt im ganzen Hymnus gleichsam den Ton an. Denn er gehört zu den sogenannten »Königsliedern«, die Ps 46 und 92 sowie Ps 95 -98 umfassen.

Wir hatten früher schon Gelegenheit, auf Ps 92 zu stoßen und ihn zu kommentieren, und wissen, daß die einzigartige Gestalt Gottes, der über das ganze Universum herrscht und die Menschheitsgeschichte lenkt, im Mittelpunkt dieser Cantica steht.

56 Auch Ps 95 lobt sowohl den Schöpfer allen Lebens als auch den Erlöser der Völker: Gott »hat den Erdkreis gegründet, so daß er nicht wankt. Er richtet die Nationen so, wie es recht ist« (V. 10). Ursprünglich bedeutet das mit »richten« übersetzte hebräische Wort »herrschen«: Also hat man die Gewißheit, daß wir nicht unbekannten Mächten des Chaos oder Zufalls ausgeliefert sind, sondern uns schon immer in den Händen eines gerechten und barmherzigen Herrschers befinden.

2. Der Psalm beginnt mit einer festlichen Einladung, Gott zu loben, einer Einladung, die sofort einen weltweiten Ausblick bietet: »Singt dem Herrn alle Länder der Erde!« (V. 1). Die Gläubigen werden eingeladen, »bei den Völkern von seiner Herrlichkeit« und »bei allen Nationen von seinen Wundern zu erzählen« (V. 3). Ja, der Psalmist ruft direkt die »Stämme der Völker« auf (V. 7), dem Herrn Lob und Ehre darzubringen. Er bittet die Gläubigen, »bei den Völkern« zu verkünden: »der Herr ist König« (V. 10), und er erklärt, daß der Herr »die Nationen« (V. 10), »die Erde« richtet (V. 13). Diese weltweite Öffnung von seiten eines kleinen Volkes, das von den großen Mächten fast erdrückt wird, ist äußerst bedeutsam. Dieses Volk weiß, daß sein Herr der Gott des Weltalls ist und daß »alle Götter der Heiden nichtig sind« (V. 5).

Der Psalm besteht im wesentlichen aus zwei Bildern. Der erste Teil (vgl. V. 1 -9) betrifft eine feierliche Erscheinung des Herrn »in seinem Heiligtum« (V. 6), das heißt im Tempel von Zion. Ihr sind Lieder und Opferriten in der Versammlung der Gläubigen vorausgegangen. Die Lobgesänge im Angesicht der göttlichen Majestät werden immer eindringlicher: »Singet dem Herrn ein neues Lied …singt …singt …verkündet sein Heil … erzählt von seiner Herrlichkeit, …von seinen Wundern … bringt dar dem Herrn Lob und Ehre …Bringt dar dem Herrn … Werft euch nieder vor dem Herrn!« (V. 1 -3. 7 -9). Die grundsätzliche Haltung vor dem König, dem Herrn, der seine Herrlichkeit in der Heilsgeschichte offenbart, ist also das Canticum der Anbetung, des Lobes und der Verkündigung. Diese Haltungen sollten auch in unserer täglichen Liturgie und in unserem persönlichen Gebet vorherrschen.

3. Im Zentrum dieses vielstimmigen Canticum finden wir eine gegen den Götzendienst gerichtete Erklärung. Das Gebet erweist sich also als ein Weg, die Glaubensreinheit nach dem bekannten Wort lex orandi, lex credendi zu erlangen. Die wahre Gebetsregel ist auch Glaubensregel, ist Lehre von der göttlichen Wahrheit. Das kann man gerade durch die im Gebet verwirklichte enge Gemeinschaft mit Gott erfahren.

Der Psalmist verkündet: »Groß ist der Herr und hoch zu preisen, mehr zu fürchten als alle Götter. Alle Götter der Heiden sind nichtig, der Herr aber hat den Himmel geschaffen« (V. 4 -5). Durch die Liturgie und das Gebet reinigt man den Glauben von jeder Verstümmelung, verwirft man die Götzen, denen man im täglichen Leben leicht etwas von uns opfert, und geht man von der Angst vor der transzendenten Gerechtigkeit Gottes über zur lebendigen Erfahrung seiner Liebe.

4. Aber jetzt sind wir beim zweiten Bild angelangt, das mit der Verkündigung der Königsherrschaft des Herrn beginnt (vgl. V. 10-13). Nun ist das Weltall an der Reihe, zu singen, auch in seinen verborgensten und dunkelsten Elementen, wie es z.B. das Meer nach der alten biblischen Auffassung ist: »Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke, es brause das Meer und alles, was es erfüllt. Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst. Jubeln sollen alle Bäume des Waldes vor dem Herrn, wenn er kommt, wenn er kommt, um die Erde zu richten« (V. 11-13).

Wie der Apostel Paulus sagt, wartet auch die Natur zusammen mit dem Menschen »sehnsüchtig …, von der Sklaverei und Verlorenheit befreit zu werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes« (
Rm 8,19 Rm 8,21).

Und jetzt möchten wir der christlichen Lektüre der Kirchenväter von diesem Psalm Platz machen, die in ihm eine vorweggenommene Darstellung der Menschwerdung und der Kreuzigung, das Zeichen der paradoxen Königsherrschaft Christi, sehen.

5. Der hl. Gregor von Nazianz begann seine Weihnachtsansprache im Jahr 379 oder 380 in Konstantinopel mit folgenden dem Psalm 96 entnommenen Worten: »Christus ist geboren: Lobsingt ihm! Christus kommt vom Himmel herab: Eilt ihm entgegen! Christus ist auf Erden: Erhebt euch! ›Singt dem Herrn, alle Länder der Erde!‹ (V. 1), und um die beiden Gedanken miteinander zu verbinden: ›Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke‹ (V. 11) auf Grund dessen, der himmlisch ist, aber dann irdisch geworden ist« (Omelie sulla natività, Discorso 38, 1, Roma 1983, S. 44).

So wird das Geheimnis der göttlichen Königsherrschaft in der Menschwerdung offenbar. Ja, er, der herrscht, indem er irdisch wird, herrscht gerade in der Erniedrigung am Kreuz. Es ist bedeutsam, daß im frühen Christentum viele den Vers 10 dieses Psalms mit einer bemerkenswerten christologischen Vervollständigung lasen: »Der Herr herrschte vom Kreuz aus.«

Deshalb lehrte schon der Brief des Barnabas, daß »Jesu Reich am Kreuz ist« (VII, 5:I Padri Apostolici, Roma 1984, S. 198). Der Märtyrer Justinian zitiert in seiner Prima Apologia den Psalm beinahe vollständig und lädt alle Völker zur Freude ein, weil «der Herr vom Holz des Kreuzes aus herrscht« (Gli apologeti greci, Roma 1986, S. 121).

57 Auf diesem Boden ist der Hymnus Vexilla regis des christlichen Dichters Venanzio Fortunato entstanden, wo Christus, der vom Kreuz aus herrscht, dem Thron der Liebe und nicht der Vorherrschaft, gerühmt wird: Regnavit a ligno Deus. In der Tat hatte Jesus schon während seines Lebens auf Erden gemahnt: »Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein, denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mc 10, 43-45).

Nach den Kriegswehen,die die ganze nahöstliche Region in den vergangenen Tagen zu erschüttern drohten, ist die gute Nachricht von der Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Zusammenarbeit des Irak mit der internationalen Gemeinschaft eingetroffen. Ich fordere euch auf, im Gebet fortzufahren, damit der Herr die Führer der Nationen erleuchte, die Lichtblicke des guten Willens erweitere und unterstütze und die von so vielen Übeln betroffene Menschheit zu einem Zusammenleben führe, das frei von Krieg und unterdrückender Gewalt ist.

Psalm 96 gehört zu den Liedern des Alten Testamentes, die Gott als Schöpfer des Weltalls und König der Völker preisen: „Den Erdkreis hat er fest gegründet und er richtet die Menschen so, wie es recht ist" (vgl. Ps 96,10). Diese Einsicht im Glauben führt uns zu Lobpreis und Anbetung.

Die Vorstellung von der Königsherrschaft Gottes erlangt im Licht der Botschaft Jesu Christi eine neue Bedeutung: Gott herrscht vom Holz des Kreuzes. Der König erniedrigt sich und bringt den Menschen das Heil: Christus, der Sohn Gottes, „ist gekommen, um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele" (vgl. Mc 10,45). Auch unsere Bereitschaft zu dienen verherrlicht Gott!
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Mit einem frohen Gruß heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache sowie aus Belgien und den Niederlanden willkommen. Mögen Lob und Dank für Gottes Güte eure Herzen und die Welt erfüllen! Gerne erteile ich euch und euren Lieben daheim sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.




Mittwoch, 25. September 2002



Lesung: Psalm 85, 2-3. 9. 13-14
Einst hast du, Herr, dein Land begnadet und Jakobs Unglück gewendet, hast deinem Volk die Schuld vergeben, all seine Sünden zugedeckt, … Ich will hören, was Gott redet: Frieden verkündet der Herr seinem Volk und seinen Frommen, den Menschen mit redlichem Herzen … Auch spendet der Herr dann Segen, und unser Land gibt seinen Ertrag. Gerechtigkeit geht vor ihm her, und Heil folgt der Spur seiner Schritte.



Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der soeben gesungene Psalm 85 ist ein froher Gesang, voll Hoffnung auf das kommende Heil. Er spiegelt den Augenblick des Jubels wider, als Israel aus dem babylonischen Exil in das Land seiner Väter zurückkehrte. Das Volk konnte wieder am geliebten heimischen Herd leben, der bei der Eroberung Jerusalems durch das Heer des Königs Nebukadnezzar im Jahr 586 v. Chr. erloschen und zerstört worden war.

58 In der Tat ist im hebräischen Original des Psalms wiederholt das Wort shub zu hören, das die Heimkehr der Verschleppten, aber auch eine geistliche »Rückkehr«, eine »Umkehr« bedeutet. Die Wiedergeburt betrifft also nicht nur das Volk, sondern auch die Gemeinschaft der Gläubigen, die die Verbannung als eine Strafe für die begangenen Sünden empfunden hatten und jetzt die Heimkehr und die wiedergewonnene Freiheit als einen göttlichen Segen für die vollbrachte Umkehr betrachteten.

2. Der Psalm kann in seinem Verlauf entsprechend den beiden Hauptthemen gelesen werden. Das erste Thema ist die »Rückkehr« mit allem, was damit verbunden ist, worauf wir hingewiesen haben.

Es wird vor allem die physische Rückkehr Israels gefeiert: »Einst hast du, Herr, … Jakobs Unglück gewendet« (V. 2); … »Gott, unser Retter, richte uns wieder auf, …Willst du uns nicht wieder beleben …?« (V. 5. 7). Es ist ein wertvolles Geschenk Gottes, denn er sorgt dafür, daß seine Söhne und Töchter von der Unterdrückung befreit werden, und er kümmert sich um ihr Wohlergehen. Er »liebt alles, was ist, …er schont alles, weil es sein Eigentum ist, der Herr, der Freund des Lebens« (vgl.
Sg 11,24 Sg 11,26).

Aber neben dieser »Rückkehr«, die die Verstreuten wieder sammelt, gibt es eine andere innere und geistliche »Rückkehr«. Ihr gibt der Psalmist viel Raum, indem er ihre besondere Bedeutung hervorhebt, die nicht nur für das alte Israel, sondern für die Gläubigen aller Zeiten gilt.

3. In dieser »Rückkehr« handelt und wirkt der Herr;er offenbart seine Liebe, indem er seinem Volk die Schuld vergibt, dessen Sünden zudeckt, seinen Grimm zurückzieht und seinen Zorn dämpft (vgl. Ps 85, 3-4).

Gerade die Befreiung vom Bösen, die Vergebung der Schuld, die Reinigung unserer Sünden erschaffen das neue Volk Gottes. Das wird durch eine Anrufung ausgedrückt, die auch in die christliche Liturgie eingegangen ist: »Erweise uns, Herr, deine Huld und gewähre uns dein Heil«

(V. 8).

Dieser »Rückkehr« zu Gott, der vergibt, soll aber die »Rückkehr«, das heißt die Umkehr des Menschen, entsprechen, der bereut. Denn im Psalm heißt es, daß Frieden und Heil »den Menschen mit redlichem Herzen« angeboten wird (V. 9). Wer entschlossen den Weg der Heiligkeit geht, empfängt die Geschenke der Freude, der Freiheit und des Friedens.

In der Bibel wird die Sünde meist als eine falsche Richtung, ein Verfehlen des Zieles, ein Abweichen vom rechten Weg beschrieben. Die Umkehr ist eine »Rückkehr« auf den geraden Weg, der zum Haus des Vaters führt, der uns mit offenen Armen erwartet, um uns zu vergeben und uns glücklich zu machen (vgl. Lc 15, 11-32).

4. Wir sind nun beim zweiten Teil des Psalms angelangt (vgl. Ps 85, 10-14), der in der christlichen Tradition so beliebt ist. Hier wird eine neue Welt beschrieben, in der die Liebe Gottes und seine Treue, als wären sie Personen, sich umarmen; auch Gerechtigkeit und Frieden begegnen einander und küssen sich. Die Wahrheit sprießt hervor wie ein neuer Frühling, und die Gerechtigkeit, die für die Bibel auch Heil und Heiligkeit ist, blickt vom Himmel hernieder und tritt ihren Weg unter der Menschheit an.

Alle Tugenden, die zuvor wegen der Sünde von der Erde verbannt worden waren, treten jetzt wieder in die Geschichte ein und zeichnen, indem sie sich treffen, den Plan für eine Welt des Friedens. Barmherzigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden werden gleichsam die vier Himmelsrichtungen dieser Geographie des Geistes. Auch Jesaja singt: »Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, laßt Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der Herr, will es vollbringen« (Is 45,8).

5. Die Worte des Psalmisten wurden schon im 2. Jahrhundert von Irenäus von Lyon als Ankündigung der »Geburt Christi von der Jungfrau« (Adversus haer eses, III, 5, 1) gelesen. Die Ankunft Christi ist in der Tat die Quelle des Erbarmens, das Aufkeimen der Wahrheit, das Erblühen der Gerechtigkeit, der Glanz des Friedens.

59 Die christliche Tradition liest deshalb den Psalm, vor allem den Schluß, unter weihnachtlichem Aspekt. Augustinus legte ihn in seiner Weihnachtsansprache wie folgt dar, und zum Abschluß unserer Reflexion geben wir ihm das Wort: »›Die Wahrheit sprießt aus der Erde hervor‹: Christus, der gesagt hat: ›Ich bin die Wahrheit‹ (Jn 14,6), wird von einer Jungfrau geboren. Wer an den, der geboren ist, glaubt, wird nicht von sich selbst, sondern von Gott gerecht gemacht. ›Die Wahrheit sprießt aus der Erde hervor‹ :weil ›das Wort Fleisch geworden ist‹ (vgl. Jn 1,14). Die ›Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder‹, weil ›jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben kommt‹ (Jc 1,17). ›Die Wahrheit sprießt aus der Erde hervor‹, das heißt, sie hat von Maria einen Leib angenommen. Die ›Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder‹: denn ›kein Mensch kann sich etwas nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist‹ (Jn 3,27)« (Discorsi, IV/1, Roma 1984, S. 11).

Psalm 84 ist ein froher Gesang des Dankes und der Hoffnung. Er hat die Heimkehr Israels aus der Babylonischen Gefangenschaft zum Thema. Der Psalmist erwartet die ewige Heimat, die neue Welt, in der Gerechtigkeit, Frieden und Heil walten.

Im Wort „Heimkehr" klingt auch die Umkehr an. Sie meint ein Innehalten und Hören auf das, was Gott sagt. Ein neues Gottesvolk entsteht: Menschen, die sich unter Seinem Wort sammeln. Wir sind eingeladen, gemeinsam auf Jesus Christus, das fleischgewordene Wort Gottes, zu hören, um in seiner Gnade ein Segen für die Welt zu sein.
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Herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich heute die Wallfahrergruppe „Rom im Rollstuhl" des Schönstatt-Werkes aus der Schweiz willkommen. Gott mache euch alle zu Boten seiner Langmut und Liebe!



Oktober 2002


Mittwoch, 2. Oktober 2002

Lesung: Jes 26, 1-2. 4. 7. 9

60 Is 26,1-2 Is 26,4 Is 26,7 Is 26,9

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Im Buch des Propheten Jesaja vereinen sich verschiedene Stimmen, die auf eine weite Zeitspanne verteilt und unter den Namen und die Inspiration dieses außergewöhnlichen Zeugen des Wortes Gottes gestellt sind, der im 8. Jahrhundert vor Christus gelebt hat.

In dieser umfangreichen Schriftrolle der Prophetien, die auch Jesus in der Synagoge seines Heimatortes Nazaret öffnete und las (vgl. Lc 4,17-19), gibt es eine Reihe von Kapiteln (24-27), die die Wissenschaftler im allgemeinen die »große Jesaja-Apokalypse« nennen; in den Kapiteln 34-35 findet sich eine zweite, die kürzer ist. Auf spannenden und symbolreichen Seiten wird das Gericht Gottes über die Geschichte poetisch beschrieben und die Heilserwartung der Gerechten gepriesen.

2. Wie in der späteren Apokalypse von Johannes stehen sich oft zwei gegensätzliche Städte gegenüber:die aufständische Stadt, die von den damaligen Hauptstädten dargestellt wird, und die Heilige Stadt, in der sich die Gläubigen versammeln.

Das Canticum, das wir soeben gehört haben und das dem 26. Jesaja-Kapitel entnommen ist, bezieht sich auf die frohe Feier der Stadt des Heils. Diese erhebt sich befestigt und ruhmvoll, denn der Herr selbst hat die Mauern und Wälle gebaut und sie zu einer sicheren und ruhigen Wohnstatt gemacht (vgl. V. 1). Jetzt öffnet er die Tore, um das Volk der Gerechten aufzunehmen (vgl. V. 2), die die Worte des Psalmisten zu wiederholen scheinen, der vor dem Tempel auf dem Zion ausruft: »Öffnet mir die Tore zur Gerechtigkeit, damit ich eintrete, um dem Herrn zu danken. Das ist das Tor zum Herrn, nur Gerechte treten hier ein« (Ps 118, 19-20).

3. Wer in die Stadt des Heils eintritt, muß folgende Grundeigenschaften haben: »einen festen Sinn … und stetes Vertrauen auf den Herrn, er muß sich auf ihn verlassen« (vgl. Is 26, 3-4). Der Glaube an Gott, ein fester, auf ihm gegründeter Glaube, ist der »ewige Fels« (V. 4).

Es ist das Vertrauen, das schon in der ursprünglich hebräischen Wurzel des Wortes »amen«, dem knappen Bekenntnis des Glaubens an Gott, zum Ausdruck kommt, der - wie König David gesungen hat - »meine Stärke, mein Fels, meine Burg, mein Retter, mein Gott, meine Feste, in der ich mich berge, mein Schild und sicheres Heil, meine Zuflucht« ist (Ps 17, 2-3; vgl. 2S 22, 2-3).

Das Geschenk, das Gott den Gläubigen anbietet, ist der Frieden (vgl. Is 26,3), das messianische Geschenk schlechthin, die Synthese des Lebens in Gerechtigkeit, Freiheit und Freude der Gemeinschaft.

4. Es ist ein Geschenk, das auch im letzten Vers des Jesaja-Canticum betont wird: »Herr, du wirst uns Frieden schenken, denn auch alles, was wir bisher erreichten, hast du für uns getan« (V. 12). Dieser Vers erweckte die Aufmerksamkeit der Kirchenväter. In dieser Friedensverheißung sahen sie die Worte Christi, die Jahrhunderte später erklingen sollten: »Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch« (Jn 14,27).

In seinem Kommentar zum Johannesevangelium erinnert der hl. Cyrill von Alexandrien daran, daß Jesus, indem er Frieden schenkt, seinen Geist schenkt. Er läßt uns also nicht als Waisen zurück, sondern bleibt mit Hilfe des Geistes bei uns. Und der hl. Cyrill von Alexandrien kommentiert: Der Prophet »bittet darum, daß der göttliche Geist gegeben wird, durch den wir in die Freundschaft mit Gott, dem Vater, aufgenommen wurden, wir, die wir ihm wegen der Sünde, die in uns herrschte, fernstanden«. Der Kommentar wird dann zum Gebet: »Gib uns den Frieden, Herr. Dann werden wir erkennen, daß wir alles haben, und uns wird scheinen, daß es dem, der die Fülle Christi empfangen hat, an nichts mangelt. In der Tat ist die Fülle alles Guten, daß Gott durch den Geist in uns wohnt (vgl. Col 1,19)« (vol. III, Rm 1994, S. 165).

5. Werfen wir einen letzten Blick auf den Jesaja-Text. Er bietet eine Reflexion über den »Weg des Gerechten« (vgl. V. 7) und eine Zustimmungserklärung zu den gerechten Entscheidungen Gottes (vgl. V. 8-9). Das vorherrschende Bild ist das klassische biblische Bild des Weges, wie schon Hosea, ein prophetischer Vorgänger von Jesaja, erklärt hatte: »Wer weise ist, begreife dies alles … die Wege des Herrn sind gerade; die Gerechten gehen auf ihnen, die Treulosen aber kommen auf ihnen zu Fall« (14, 10).

Im Jesaja-Canticum gibt es eine andere Komponente, die auch für den liturgischen Gebrauch, wie z.B. in der Liturgie der Laudes sehr bedeutsam ist. Es wird die Morgendämmerung erwähnt, die man nach einer in der Gottsuche verbrachten Nacht herbeisehnt: »Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, auch mein Geist ist voll Sehnsucht nach dir« (26, 9).

Und bei Tagesanbruch beginnt die Arbeit und das pulsierende tägliche Leben in den Straßen der Stadt. Der Gläubige muß erneut »auf das Kommen deines Gerichts, Herr, vertrauen« (V. 8), indem er auf ihn und auf sein Wort hofft, die einzige Quelle des Friedens.

Es kommen ihm dann die Worte des Psalmisten über die Lippen, der schon am frühen Morgen seinen Glauben bekennt: »Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir … denn deine Huld ist besser als das Leben« (Ps 62,2 Ps 62,4). Innerlich gestärkt, kann er nun den neuen Tag beginnen.

61 Kapitel 26 des Propheten Jesaja beschenkt uns mit einem Lied auf die Gerechtigkeit Gottes: „Das Volk, das dem Herrn die Treue bewahrt" (Is 26,2) ist voll Sehnsucht nach Gottes Kommen in Herrlichkeit. Denn sein Gericht ist ein Licht für die Welt! (vgl. Is 26,9).

Schon der Gerechte im Alten Testament vertraut: „Herr, du wirst uns Frieden schenken" (Is 26,12). Diese trostreiche Aussicht erfüllt sich im Wort Christi: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch" (Jn 14,27). Mit dem Frieden Christi, der Gabe der Erlösung, im Herzen ist unser innerer Weg gerade und führt uns zum Heil.
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Sehr herzlich grüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Insbesondere heiße ich heute die Wallfahrer aus dem Bezirk Oldenburg sowie die Schüler und Lehrer verschiedener katholischer Schulen in Deutschland willkommen. Bringt die Botschaft von Gottes Gerechtigkeit und Frieden unter die Menschen. Der allmächtige und gütige Gott bestärke euch mit seiner Gnade!




Mittwoch, 9. Oktober 2002



Lesung: Psalm 67, 2-4. 7-8

1 Dank für den Segen Gottes [Für den Chormeister. Mit Saitenspiel. Ein Psalm. Ein Lied.]
2 Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, [Sela]
3 damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil.
4 Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle.
5 Die Nationen sollen sich freuen und jubeln. Denn du richtest den Erdkreis gerecht. Du richtest die Völker nach Recht und regierst die Nationen auf Erden. [Sela]
62 6 Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle.
7 Das Land gab seinen Ertrag. Es segne uns Gott, unser Gott.
8 Es segne uns Gott. Alle Welt fürchte und ehre ihn.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Soeben erklang das Wort des Psalmisten, der ein frohes Danklied an Gott gerichtet hat. Es ist ein kurzer, nüchterner Text, der aber einen weiten Horizont umfaßt und ideell alle Völker der Erde miteinbezieht.

Diese universale Öffnung spiegelt wahrscheinlich den prophetischen Geist der Epoche wider, die auf das babylonische Exil folgte. Damals hoffte man, daß Gott auch die Fremden auf seinen heiligen Berg führen werde, um sie mit Freude zu erfüllen. Ihre Brand- und Schlachtopfer waren willkommen, denn der Tempel des Herrn sollte das »Haus des Gebets für alle Völker« werden

(@IS 56,7@).

Auch in unserem Psalm 67 wird der universale Chor der Völker dazu eingeladen, in den Lobpreis einzustimmen, den Israel im Tempel von Zion zu Gott erhebt. Zweimal erklingt diese Antiphon: »Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle« (V. 4 und 6).

2. Auch diejenigen, die nicht zu der von Gott auserwählten Gemeinschaft gehören, erhalten von ihm einen Auftrag: Sie sind nämlich dazu berufen, den »Weg« zu erkennen, der Israel geoffenbart wurde. Der »Weg« ist der göttliche Heilsplan, das Reich des Lichtes und des Friedens, in dessen Verwirklichung auch die Heiden einbezogen sind, die eingeladen werden, Jahwes Spruch zu hören (vgl. V. 3). Ergebnis dieses gehorsamen Hörens ist die Furcht des Herrn in »aller Welt« (V. 8), die nicht so sehr Angst, sondern respektvolle Anbetung des transzendenten und glorreichen Geheimnisses Gottes zum Ausdruck bringen soll.

3. Zur Eröffnung und zum Abschluß des Psalms wird das ständige Verlangen nach dem göttlichen Segen ausgedrückt: »Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten …Es segne uns Gott, unser Gott. Es segne uns Gott« (V. 2. 7-8).

In diesen Worten ist leicht das Echo des bekannten priesterlichen Segens zu erkennen, den Mose im Namen Gottes Aronne und die Nachkommen des Priesterstammes gelehrt hat. »Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil« (Nb 6, 24-26).

Nach den Worten des Psalmisten wird dieser über Israel ausgegossene Segen gleichsam ein Samen der Gnade und des Heils sein, der in das Erdreich der ganzen Welt und Geschichte mit der Bereitschaft eingesenkt wird, zu sprießen und ein üppiger Baum zu werden.

63 Wir denken auch an die Verheißung des Herrn an Abraham am Tag seiner Erwählung: »Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen« (Gn 12, 2-3).

4. In der biblischen Tradition ist das Geschenk des Lebens, der Fruchtbarkeit und Ertragsfähigkeit eine der spürbaren Auswirkungen des göttlichen Segens.

In unserem Psalm wird ausdrücklich auf diese konkrete Wirklichkeit hingewiesen, die für das Dasein wertvoll ist: »Das Land gab seinen Ertrag« (V. 7). Diese Feststellung zwang die Wissenschaftler dazu, den Psalm mit dem Ritus der Danksagung für eine reiche Ernte zu verbinden, die das Zeichen der göttlichen Gunst und das Zeugnis der Nähe des Herrn zu Israel gegenüber den anderen Völkern war.

Derselbe Satz zog die Aufmerksamkeit der Kirchenväter auf sich, die von der landwirtschaftlichen Sichtweise auf die symbolische Ebene übergegangen sind. So hat Origenes den Vers auf die Jungfrau Maria und auf die Eucharistie bezogen, das heißt auf Christus, der aus der Blüte der Jungfrau hervorgeht und Frucht wird, damit er gegessen werden kann. Demnach »ist die Erde die heilige Maria, die von unserer Erde, aus unserem Samen, aus diesem Schlamm, aus diesem Lehm, von Adam stammt«. Diese Erde brachte ihre Frucht hervor: Das, was sie im Paradies verloren hatte, hat sie im Sohn wiedergefunden. »Die Erde gab ihre Frucht: Zuerst brachte sie eine Blume hervor …, diese Blume wurde dann zur Frucht, damit wir sie essen können, damit wir ihr Fleisch essen. Wollt ihr wissen, was diese Frucht ist? Es ist der Jungfräuliche aus der Jungfrau, der Herr aus der Magd, Gott aus dem Menschen, der Sohn aus der Mutter, die Frucht aus der Erde«
(74 Omelie sul libro dei Salmi, Milano 1993, S. 141).

5. Wir schließen mit den Worten des hl. Augustinus aus seinem Kommentar zu diesem Psalm. Er identifiziert die auf Erden keimende Frucht mit der Neuheit, die durch das Kommen Christi in den Menschen entsteht, eine Neuheit der Umkehr und eine Frucht des Gotteslobes.

In der Tat sagt Augustinus: »Erde war sie; voll Dornen war sie, da nahte des Rodenden Hand, nahte der Ruf Seiner Majestät und Erbarmung, die Erde begann zu bekennen. Jetzt gibt die Erde ihre Frucht.« Gewiß gäbe sie ihre Frucht nicht, »wenn sie nicht zuvor [vom Regen] getränkt worden wäre, wenn nicht zuvor Gottes Erbarmen aus der Höhe gekommen wäre«. Aber nunmehr haben wir eine reiche Frucht in der Kirche, dank der Verkündigung der Apostel: »Indem er durch seine Wolken den Regen sandte, das heißt durch die Apostel, die die Wahrheit verkündeten, ›gab die Erde ihre Frucht‹; und diese Ernte hat bereits die ganze Erde erfüllt« (Über die Psalmen, Johannes Verlag Einsiedeln, 1983. )

Gottes Heilsplan umfaßt alle Menschen und Nationen. Über das alttestamentliche Israel hinaus will der Herr sein Reich des Friedens und des Lichtes in allen Teilen der Erde errichten. Psalm 67 antwortet auf Gottes ausgestreckte Segenshand: „Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle!" (Ps 67,4).

Alles hängt von Gottes gnädigem Willen ab: Das Leben, unser Bestehen und Wohlergehen, der Friede in der Welt. Deshalb bitten wir täglich um den Segen: „Es segne uns Gott, unser Gott! Alle Welt fürchte und ehre ihn!" (Ps 67,7-8). Der Herr behüte uns, er wende uns sein Angesicht zu und schenke uns das Heil! (vgl. Nb 6,24-26).
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Von Herzen heiße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern willkommen. Besonders begrüße ich heute die Schwestern vom göttlichen Erlöser sowie die Rom-Wallfahrer aus Anlaß der Priesterweihe des „Collegium Germanicum et Ungaricum". Euch alle bitte ich: Strebt nach Heiligkeit und werdet ein Segen für die Menschen, damit sie durch euch Gottes Heilsplan erfahren!




Generalaudienz 2002 53