Generalaudienz 2003






1

Januar 2003


Mittwoch, 8. Januar 2003





Lesung aus Psalm 100:

1 Lobgesang des Volkes beim Einzug ins Heiligtum [Ein Psalm zum Dankopfer.] Jauchzt vor dem Herrn, alle Länder der Erde!/
2 Dient dem Herrn mit Freude! Kommt vor sein Antlitz mit Jubel!
3 Erkennt: Der Herr allein ist Gott. / Er hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum, sein Volk und die Herde seiner Weide.
4 Tretet mit Dank durch seine Tore ein! / Kommt mit Lobgesang in die Vorhöfe seines Tempels! Dankt ihm, preist seinen Namen!
5 Denn der Herr ist gütig, / ewig währt seine Huld, von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue.



Liebe Brüder und Schwestern!

1. In der freudigen und festlichen Atmosphäre, die sich in der letzten Woche der Weihnachtszeit fortsetzt, wollen wir unsere Betrachtung über die Liturgie der Laudes wieder aufnehmen. Wir verweilen heute bei dem soeben verkündeten Psalm 1, der eine frohe Einladung zum Lob des Herrn, des Hirten seines Volkes, ist.

Sieben Imperative prägen die ganze Komposition und drängen die Gemeinschaft der Gläubigen, im Gottesdienst den Gott der Liebe und des Bundes zu feiern: »jauchzt«, »dient«, »kommt«, »erkennt«, »tretet durch die Tore ein«, »dankt ihm«, »preist seinen Namen«. Man könnte an eine liturgische Prozession denken, die sich anschickt, in den Tempel von Zion einzutreten, um eine Liturgie zu Ehren des Herrn zu feiern (vgl. Ps 15 Ps 24 Ps 95).

2 In dem Psalm häufen sich einige charakteristische Worte, die den Bund herausstellen sollen, der zwischen Gott und Israel besteht. Daraus ergibt sich vor allem die Bekräftigung der vollen Zugehörigkeit zu Gott: »Wir sind sein Eigentum, sein Volk« (Ps 100,3), die stolze und zugleich demütige Bekräftigung, weil Israel sich als »die Herde seiner Weide« präsentiert (ebd.). In anderen Texten wird die damit verbundene Beziehung ausgedrückt: »… er ist unser Gott« (vgl. Ps 95,7). Dann finden wir den Wortschatz der Liebesbeziehung, jene »Güte«, »Huld« und »Treue« (vgl. Ps 100,5), die im hebräischen Original mit Worten dargestellt wird, die bezeichnend sind für den Bund, der Israel an seinen Gott bindet.

2. Auch die Koordinaten von Raum und Zeit kommen zur Sprache. Denn auf der einen Seite stellt sich uns die ganze mit ihren Bewohnern in das Lob Gottes einbezogene Erde vor (vgl. V. 2); dann verengt sich der Horizont bis auf den heiligen Bereich des Tempels in Jerusalem mit seinen Vorhöfen und Toren (vgl. V. 4), in denen die betende Gemeinde versammelt ist. Auf der anderen Seite bezieht man sich auf die Zeit in ihren drei Grunddimensionen: die Vergangenheit der Schöpfung (»er hat uns geschaffen«, V. 3), die Gegenwart des Bundes und des Kultes (»wir sind sein Eigentum, sein Volk und die Herde seiner Weide«, ebd.) und schließlich die Zukunft, in der die »von Geschlecht zu Geschlecht« erwiesene Huld und Treue des Herrn »ewig« währt (V. 5).

3. Werfen wir jetzt einen Blick auf die sieben Imperative, die eine ausführliche Einladung zum Lob Gottes bilden und fast den ganzen Psalm füllen (vgl. V. 2-4); sie finden dann im letzten Vers ihre Begründung in der Verherrlichung Gottes, der in seiner inneren und tiefen Identität betrachtet wird.

Zunächst wird zum lauten Jubel eingeladen, der die ganze Erde in das Lob des Schöpfers einbezieht. Wenn wir beten, sollen wir uns mit allen Betern im Einklang fühlen, die in verschiedenen Sprachen und Ausdrucksformen den einen Herrn verherrlichen. »Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang steht mein Name groß da bei den Völkern, und an jedem Ort wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht und eine reine Opfergabe; ja, mein Name steht groß da bei den Völkern, spricht der Herr der Heere«, heißt es beim Propheten Maleachi (1, 11).

4. Dann folgen der Liturgie und dem Ritus entsprechende Aufforderungen: »dienen«, »vor Gottes Angesicht kommen« und »durch die Tore des Tempels eintreten«. Diese Verben sind eine Anspielung auf die königlichen Audienzen und beschreiben die verschiedenen Gesten, die die Gläubigen ausführen, wenn sie in das Heiligtum von Zion eintreten, um am gemeinschaftlichen Gebet teilzunehmen. Nach dem kosmischen Gesang wird vom Volk Gottes, das die »Herde seiner Weide«, »sein Eigentum unter allen Völkern« ist (vgl. Ex 19,5), die Liturgie gefeiert.

Die Einladung, »mit Lobgesang« und »mit Dank durch seine Tore einzutreten«, erinnert uns an einen Abschnitt aus dem Werk Über die Mysterien des hl. Ambrosius, in dem die Getauften beschrieben werden, die zum Altar treten: »So gereinigt, eilt die Schar … zu Christi Altar und spricht: ›Und ich darf hintreten zum Altare Gottes, zu Gott, der meine Jugend erfreut‹ (Ps 42,4). Sie hat das Kleid der alteingewurzelten Sündenschuld ausgezogen, und verjüngt von der Jugend des Adlers tritt sie eilends zu jenem himmlischen Mahl hinzu mit dem lauten Jubelruf: ›Du hast einen Tisch bereitet vor meinem Angesicht: … Der Herr weidet mich, und nichts wird mir mangeln. Auf einem Weideplatz, da hat er mich gelagert, am Wasser der Erquickung mich aufgezogen‹ (Ps 22,1-2)« (in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 32, Kempten-München 1917, S. 294 f.).

5. Die anderen Imperative, die den Psalm ausschmücken, stellen religiöse Grundhaltungen des Betenden vor: das Anerkennen, Lobsingen und Danken. Das Verb »anerkennen« drückt den Inhalt des Bekenntnisses des Glaubens an den einen Gott aus. Denn wir sollen bekennen: »Der Herr allein ist Gott« (Ps 100,3), und jeden Götzendienst und Stolz und jede Ihm entgegengesetzte menschliche Kraft bekämpfen.

Die übrigen Verben, das heißt »danken« und »preisen«, beziehen sich ebenso auf »den Namen« des Herrn (vgl. V. 4), das heißt auf seine Person, seine wirksame und heilbringende Gegenwart.

In diesem Licht führt der Psalm am Schluß zu einer feierlichen Verherrlichung Gottes, die eine Art Glaubensbekenntnis ist: Der Herr ist gütig, und seine Huld verläßt uns nie, denn er ist immer bereit, uns mit seiner barmherzigen Liebe zu stützen. In diesem Vertrauen überläßt sich der Beter ganz der Umarmung seines Gottes: »Kostet und seht, wie gut der Herr ist - sagt der Psalmist an anderer Stelle - ; wohl dem, der zu ihm sich flüchtet« (Ps 34,9 vgl. 1P 2,3).

Das Lob Gottes setzt Menschen in Bewegung. „Jauchzt vor dem Herrn, kommt vor sein Antlitz mit Jubel" (Ps 100,2). Psalm 100 stellt den heutigen Beter in den freudigen und dankerfüllten Gebetsruf der Israeliten hinein, die gemeinsam zum Tempel des Herrn pilgern. Der Blick auf Gott gibt ihnen neues Vertrauen. Gottes Güte kennt keine Grenzen. „Ewig währt seine Huld" (Ps 100,5).

Das Weihnachtsgeheimnis läßt uns in diesen Lobpreis einstimmen. Aus nah und fern kamen die Menschen zur Krippe, um dem Gottessohn zu huldigen. Im Vertrauen auf die Nähe des Herrn schreitet das Volk der Erlösten durch die Zeit und seiner himmlischen Vollendung entgegen.
***


3 Herzlich grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich heute die Pilgergruppe „Sankt Klaus von der Flüe" aus Büttelborn willkommen. Weihnachten darf nicht im Alltag untergehen. Lebt in der Erlöserliebe Gottes und tragt sie in die Welt! Die Freude am Herrn sei dabei eure Stärke (vgl. Neh Ne 8,10)!




Mittwoch, 15. Januar 2003



Liebe Brüder und Schwestern!

Lesung: Psalm 119, 145 -148. 151 -152
145 (Qof) Erhöre mich, Herr, ich rufe von ganzem Herzen; deine Gesetze will ich halten.
146 Ich rufe zu dir; errette mich, dann will ich deinen Vorschriften folgen.
147 Schon beim Morgengrauen komme ich und flehe; ich warte auf dein Wort.
148 Meine Augen eilen den Nachtwachen voraus; denn ich sinne nach über deine Verheißung.
151 Doch du bist nahe, Herr, und alle deine Gebote sind Wahrheit.
152 Aus deinen Vorschriften weiß ich seit langem, daß du sie für ewig bestimmt hast.

1. Auf unserem schon weit fortgeschrittenen Weg im Licht der Psalmen, den die Liturgie der Laudes anbietet, gelangen wir zu einer Strophe - genauer gesagt der 19. Strophe - des umfangreichsten Gebets des Psalters, des Psalms 119. Es handelt sich um einen Teil dieses langen alphabetischen Canticums: Durch Wortspiele hat der Psalmist sein Werk in 22 Strophen unterteilt, die den 22 aufeinanderfolgenden Buchstaben des hebräischen Alphabets entsprechen: Jede Strophe besteht aus acht Versen, die mit hebräischen Worten beginnen, die ihrerseits alle mit demselben Buchstaben des Alphabets anfangen.

4 Die Strophe, die wir soeben gehört haben, ist eine vom hebräischen Buchstaben qôf geprägte Strophe und stellt den Beter vor, der Gott sein ganzes Leben im Glauben und Gebet darbringt (vgl. V. 145 -152).

2. Das Rufen zum Herrn ist ohne Unterlaß, weil es ein fortwährendes Antworten auf das ständige Angebot des Wortes Gottes ist. In der Tat häufen sich auf der einen Seite die Bitten: »erhöre mich«, »ich rufe zu dir«, »ich flehe«, »höre auf meine Stimme«. Auf der anderen Seite wird das Wort des Herrn gepriesen, das die Gesetze, die Vorschriften, das Wort, die Verheißung, die Entscheide, die Weisung, die Gebote und die Zeichen Gottes darlegt. Alle zusammen bilden einen Kreis, der gleichsam der Polarstern des Glaubens und der Zuversicht des Psalmisten ist. Das Gebet erweist sich deshalb als ein Dialog, der schon beim Morgengrauen beginnt (vgl. V. 147) und den ganzen Tag über anhält, besonders in den Schwierigkeiten des Daseins. Denn der Ausblick ist manchmal düster und gefahrvoll: »Mir nähern sich tückische Verfolger; sie haben sich weit von deiner Weisung entfernt« (V. 150). Aber der Beter hat die felsenfeste Sicherheit der Nähe Gottes durch sein Wort und seine Gnade: »Doch du bist nahe, Herr« (V. 11). Gott läßt den Gerechten nicht in die Hände der Verfolger fallen.

3. Jetzt, nachdem der einfache, aber wirksame Spruch der Strophe des Psalms 119 beschrieben worden ist, ein für den Tagesanfang geeigneter Spruch, wenden wir uns, um genau die Strophe zu erklären, die wir gehört haben, in unserer Betrachtung an einen großen Kirchenlehrer, den hl. Ambrosius, der in seinem Kommentar zu Psalm 119 diesem ganze 44 Paragraphen gewidmet hat.

Während er die ideelle Einladung aufgreift, von den ersten Morgenstunden an Gott zu loben, verweilt er insbesondere bei den Versen 147-148: »Schon beim Morgengrauen komme ich und flehe … Meine Augen eilen den Nachtwachen voraus.« Ambrosius ahnt in diesen Worten des Psalmisten die Idee eines ständigen Gebets, das allezeit fortdauert: »Wer den Herrn beschwört, tue so, als ob er keinen bestimmten Zeitpunkt kennt, der dem Gebet zum Herrn zu widmen ist, sondern bleibe immer in dieser Gebetshaltung. Ob wir essen, ob wir trinken, wir verkünden Christus, wir bitten Christus, wir denken an Christus, wir sprechen von Christus! Christus sei immer in unserem Herzen, immer auf unseren Lippen!« (Commento al Salmo 118/2. SAEMO 10, S. 297).

Indem er dann die Verse auf den Morgen bezieht und auch auf die Worte des Buchs der Weisheit anspielt, das vorschreibt, daß man, um Gott »zu danken, der Sonne zuvorkommen muß« (16, 28), kommentiert Ambrosius: »Es wäre in der Tat schlimm, wenn die aufgehenden Sonnenstrahlen dich unverfroren und schamlos faulenzend im Bett überraschten und ein grelles Licht dir die verschlafenen und noch ganz benommenen Augen verletzte. Ein so langer Zeitraum, ohne geringste Andacht und ohne Darbringung eines geistlichen Opfers in einer vergeudeten Nacht verbracht, ist für uns eine Anklage« (ibidem, op. cit., S. 303).

4. Während er die aufgehende Sonne betrachtet - wie er es in einem anderen berühmten Gesang »beim Hahnenschrei«, Aeterne rerum conditor, getan hat, der in das Stundengebet eingegangen ist -, rüttelt Ambrosius uns mit folgenden Worten auf: »Weißt du denn nicht, o Mensch, daß du Gott an jedem Tag die Erstlingsfrüchte deines Herzens und deiner Stimme schuldest? Jeden Tag reift die Ernte; jeden Tag reift ihre Frucht. Lauf also der aufgehenden Sonne entgegen … die Sonne der Gerechtigkeit will, daß man ihr zuvorkommt, und sie erwartet nichts anderes …Wenn du dieser Sonne bei ihrem Aufgehen zuvorkommst, wirst du Christus als Licht empfangen. Er wird das erste Licht sein, das im Innersten deines Herzens erstrahlen wird. Er wird es sein, der für dich in den nächtlichen Stunden, wenn du über die Worte Gottes nachsinnst, das Morgenlicht scheinen läßt. Während du nachdenkst, wird es hell … Dann eile frühmorgens zur Kirche, und bringe dort ihm zu Ehren die Erstlingsfrüchte deiner Frömmigkeit dar. Und wenn dich dann weltliche Verpflichtungen rufen, wird dich nichts daran hindern zu sprechen: ›Meine Augen eilen den Nachtwachen voraus; denn ich sinne nach über deine Verheißung‹, und mit gutem Gewissen kannst du dich deinen Geschäften widmen. Wie schön ist es, bei den Hymnen und Cantica, den Seligpreisungen, die du im Evangelium liest, anzufangen! Wie heilsam ist es, daß der Spruch des Herrn auf dich herabkommt und dich segnet; daß du, während du singend die Segnungen des Herrn wiederholst, dir vornimmst, die Tugenden zu entfalten, damit du auch in deinem Innern spürst, daß du dieses göttlichen Segens würdig bist« (ibidem, op. cit., SS. 303.309.311.313).

Nehmen wir die Mahnung des Ambrosius auf, und öffnen wir jeden Morgen den Blick auf das tägliche Leben, auf seine Freuden und seine Ängste, während wir Gott bitten, er möge uns nahe sein und uns führen durch sein Wort, das Gelassenheit und Gnade einflößt.

Im Gebet vollzieht sich unsere Treue zu Gott und seinen Geboten: „Erhöre mich, Herr, ich rufe von ganzem Herzen; deine Gesetze will ich halten" (
Ps 119,145). Die Psalmen lehren uns: Gottes Wort und die Antwort des Menschen gehören zusammen. Das Gebet ist ein Dialog mit Gott, der unser ganzes Leben umfassen und prägen muß.

Noch ehe der Tag anhebt, weiß sich der Glaubende der Weisung Gottes bedürftig: „Schon beim Morgengrauen komme ich und flehe; ich warte auf dein Wort" (Ps 119,147). Der Beter ordnet seine Gedanken auf den Willen Gottes hin. Sein Vertrauen ist unerschütterlich: „Du bist nahe, Herr, und alle deine Gebote sind Wahrheit!" (Ps 119,151).
***


Von Herzen begrüße ich die Pilger und Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verbindet euch im Gebet an jedem Tag eures Lebens mit Gott, der in Jesus Christus das endgültige Wort des Heils zu uns Menschen gesprochen hat! Die Gnade Gottes, dessen Treue niemals endet, begleite euch alle!




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Mittwoch, 22. Januar 2003



Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Herr hat die »eine« und »einzige« Kirche gegründet. Das bekennen wir im nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis: »Ich glaube … die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.« »Und doch« - so ruft das II. Vatikanische Konzil in Erinnerung - »erheben mehrere christliche Gemeinschaften vor den Menschen den Anspruch, das wahre Erbe Jesu Christi zu sein; sie alle bekennen sich als Jünger des Herrn, aber sie weichen in ihrem Denken voneinander ab und gehen verschiedene Wege, als ob Christus selber geteilt wäre« (Unitatis redintegratio UR 1).

Die Einheit ist ein großes Geschenk, aber ein Geschenk, das wir in zerbrechlichen Gefäßen tragen. Wie realistisch diese Sichtweise ist, zeigen die Wechselfälle der christlichen Gemeinschaft im Laufe der Jahrhunderte.

Kraft des Glaubens, der uns eint, sind wir alle, die Christen, jeder entsprechend seiner jeweiligen Berufung, gehalten, die volle Gemeinschaft, den uns von Christus hinterlassenen wertvollen »Schatz«, wiederherzustellen. Wir müssen uns mit reinem und ehrlichem Herzen für diese im Evangelium verankerte Aufgabe einsetzen, ohne zu ermüden. Die Gebetswoche für die Einheit der Christen ruft uns zu diesem grundlegenden Bemühen auf und gibt uns Gelegenheit, in der Versammlung der einzelnen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften wie auch in gemeinsamen Treffen von Katholiken, Orthodoxen und Protestanten zu beten, um mit einer Stimme und einem Herzen das wertvolle Geschenk der Einheit zu erbitten.

2. »Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen« (1Co 4,7). Der Apostel Paulus sagt das im Hinblick auf den apostolischen Dienst, der darin besteht, unter den Menschen den Glanz des Evangeliums erstrahlen zu lassen, und betont: »Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen« (ebd., 5). Er kennt die Last und die Schwierigkeiten der Evangelisierung wie auch die menschliche Gebrechlichkeit;er weist darauf hin, daß der Schatz des christlichen »Kerygma«, der uns in »zerbrechlichen Gefäßen« anvertraut ist, durch schwache Werkzeuge weitergegeben wird, »so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt« (ebd., 7). Und kein Gegner wird die Verkündigung des Evangeliums je auslöschen und ebensowenig die Stimme des Apostels zum Verstummen bringen können: »Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum …«, bekennt der Apostel Paulus (V. 8). Und weiter bekräftigt er: »Wir glauben, und darum reden wir« (V. 13).

3. Beim Letzten Abendmahl bittet Jesus für seine Jünger: »Alle sollen eins sein:Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin« (Jn 17,21). Die Einheit ist also der »Schatz«, den er ihnen geschenkt hat. Ein Schatz, der zwei besondere Eigenschaften hat: Einerseits drückt die Einheit Treue zum Evangelium aus, anderseits ist sie, wie der Herr selbst betont hat, eine Voraussetzung dazu, daß alle glauben, daß er der Gesandte des Vaters ist. Die Einheit der christlichen Gemeinschaft ist deshalb auf die Evangelisierung aller Völker ausgerichtet.

Trotz der Erhabenheit und Größe dieses Geschenks hat die menschliche Schwachheit dazu geführt, daß es nicht mehr voll angenommen und zur Geltung gebracht wird. Die Beziehungen unter den Christen waren manchmal von Gegensätzen und in einigen Fällen sogar von gegenseitigem Haß gekennzeichnet. Und all das - so nennt es das II. Vatikanische Konzil - »ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die Verkündigung des Evangeliums« (vgl. Unitatis redintegratio UR 1).

4. Ja, das Geschenk der Einheit ist in »zerbrechlichen Gefäßen« enthalten, die auseinanderbrechen können, und deshalb ist höchste Sorgfalt geboten. Es ist notwendig, unter den Christen eine Liebe zu pflegen, die danach strebt, die Spaltungen zu überwinden; man muß sich anstrengen, jede Schranke durch unablässiges Gebet, durch den beharrlichen Dialog und durch eine brüderliche und konkrete Zusammenarbeit zugunsten der Armen und Notleidenden abzubauen.

Die Sehnsucht nach der Einheit darf im täglichen Leben der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht nachlassen, ebensowenig im Leben der einzelnen Gläubigen. In dieser Hinsicht schien es mir nützlich, eine allgemeine Reflexion über das Amt des Bischofs von Rom vorzuschlagen, der »das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit« ist (Lumen gentium LG 23), mit dem Ziel, »eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet« (Ut unum sint UUS 95). Der Heilige Geist erleuchte die Hirten und die Theologen unserer Kirchen in diesem geduldigen und gewiß fruchtbringenden Dialog.

5. Wenn ich den Blick weite auf das ganze ökumenische Panorama, fühle ich mich verpflichtet, dem Herrn zu danken für den bis jetzt zurückgelegten Weg sowie für die Qualität der brüderlichen Beziehungen, die unter den verschiedenen Gemeinschaften entstanden sind, und ebenso für die Ergebnisse, die durch die theologischen Dialoge erzielt wurden, obwohl sie je nach Form und Ebene unterschiedlich sind. Wir können sagen, daß die Christen heute mehr zusammenhalten und solidarischer sind, auch wenn der Weg zur Einheit noch bergauf führt, über Hindernisse und Engpässe hindurch. Indem sie dem vom Herrn gewiesenen Weg folgen, gehen sie zuversichtlich voran, denn sie wissen, daß sie wie die Jünger von Emmaus vom auferstandenen Herrn zum Ziel der vollen kirchlichen Gemeinschaft begleitet werden, die dann zum gemeinsamen »Brotbrechen« führen wird.

6 6. Liebe Brüder und Schwestern! Der Apostel Paulus lädt uns zur Wachsamkeit ein, zur Ausdauer, zur Zuversicht, die unerläßliche Dimensionen des ökumenischen Einsatzes sind.

Zu diesem Zweck wenden wir uns in dieser Gebetswoche gemeinsam an den Herrn mit dem Gebet, das den dazu vorbereiteten Texten entnommen ist: »Heiliger Vater, trotz unserer Schwachheit hast du uns zu Zeugen der Hoffnung, zu treuen Jüngern deines Sohnes gemacht. Wir tragen diesen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen und fürchten, angesichts der Leiden und des Bösen nicht ans Ziel kommen zu können. Manchmal zweifeln wir sogar an der Macht des Wortes Jesu, der gesagt hat: ›Alle sollen eins sein.‹ Gib uns wieder die Erkenntnis dieser Herrlichkeit, die auf dem Antlitz Christi erstrahlt, damit wir durch unser Handeln, unseren Einsatz und unser ganzes Leben der Welt verkünden, daß er lebt und daß er unter uns wirkt.« Amen.

Die Einheit und Einzigkeit der Kirche Jesu Christi sind in der Geschichte den Schwächen und Zweifeln der Glieder des Gottesvolkes ausgesetzt. Diese Einheit gleicht einem „Schatz, den wir in zerbrechlichen Gefäßen tragen" (
2Co 4,7). Nur zu oft hat menschlicher Eigensinn in die Entzweiung geführt.

Die Spaltungen unter den Christen sind eine offene Wunde am Leib Christi. In der Gebetswoche für die Einheit der Christen sind wir erneut eingeladen, die bestehenden Trennungen durch die Kraft des beharrlichen Gebetes überwinden zu helfen. Die Sehnsucht nach der sichtbaren Einheit der Kirche darf im Alltag der Christen nicht geringer werden. Diesem hohen Ziel fühlt sich der Bischof von Rom als „immerwährendes, sichtbares Prinzip und Fundament für die Einheit" (LG 23) besonders verpflichtet.
***


Mit einem frohen Gruß heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Dankt Gott für die Früchte einer erneuerten Gemeinschaft unter den Christen! Bittet den Herrn, daß er in allen Gläubigen die Liebe zur Einheit in der Wahrheit vertiefe! Dabei führe euch der Heilige Geist!




Mittwoch, 29. Januar 2003



Lesung: Buch der Weisheit 9, 1-6. 9-11

1 Die Bitte um Weisheit: Gott der Väter und Herr des Erbarmens, du hast das All durch dein Wort gemacht.
2 Den Menschen hast du durch deine Weisheit erschaffen, damit er über deine Geschöpfe herrscht. 3 Er soll die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten und Gericht halten in rechter Gesinnung.
4 Gib mir die Weisheit, die an deiner Seite thront, und verstoß mich nicht aus der Schar deiner Kinder!
7 5 Ich bin ja dein Knecht, der Sohn deiner Magd, ein schwacher Mensch, dessen Leben nur kurz ist, und gering ist meine Einsicht in Recht und Gesetz.
6 Wäre einer auch vollkommen unter den Menschen, er wird kein Ansehen genießen, wenn ihm deine Weisheit fehlt.
9 Mit dir ist die Weisheit, die deine Werke kennt und die zugegen war, als du die Welt erschufst. Sie weiß, was dir gefällt und was recht ist nach deinen Geboten.
10 Sende sie vom heiligen Himmel, und schick sie vom Thron deiner Herrlichkeit, damit sie bei mir sei und alle Mühe mit mir teile und damit ich erkenne, was dir gefällt.
11 Denn sie weiß und versteht alles; sie wird mich in meinem Tun besonnen leiten und mich in ihrem Lichtglanz schützen.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Das soeben erklungene Canticum stellt uns den Hauptteil eines großen Gebets vor, das Salomo in den Mund gelegt wird, der in der biblischen Tradition als der gerechte und weise König schlechthin galt. Angeboten wird es uns im 9. Kapitel des Buches der Weisheit, einer Schrift des Alten Testaments, die kurz vor Beginn der christlichen Zeitrechnung vermutlich in Ägypten, in Alexandria, in griechischer Sprache verfaßt wurde. Aus ihr gewinnt man ein Bild vom lebendigen und offenen Judentum der jüdischen Diaspora in der hellenistischen Welt.

Das Buch der Weisheit bietet uns im wesentlichen drei theologische Gedankengänge an: die glückselige Unsterblichkeit als Endziel des Daseins des Gerechten (vgl. Kap. 1-5); die Weisheit als göttliches Geschenk und Führerin des Lebens und der Entscheidungen des Gläubigen (vgl. Kap. 6-9); die Heilsgeschichte, vor allem das entscheidende Ereignis des Auszugs aus der ägyptischen Unterdrückung als Zeichen des Kampfes zwischen Gut und Böse, der in eine vollständige Rettung und Erlösung mündet (vgl. Kap. 10-19).

2. Salomo lebte einige Jahrzehnte vor dem inspirierten Verfasser des Buches der Weisheit, wurde aber als Stammvater und geistiger Urheber der ganzen späteren Weisheitsschriften betrachtet. Der Gebetshymnus, der ihm zugeschrieben wird, ist ein feierlicher Ruf an den »Gott der Väter und des Erbarmens« (9, 1), daß er das wertvolle Geschenk der Weisheit gewähre.

Offensichtlich wird in unserem Text auf die im Ersten Buch der Könige geschilderte Szene angespielt, als Salomo sich zu Beginn seiner Regierungszeit in die Hochebene von Gibeon begab, wo die bedeutendste Kulthöhe war, und wo er, nachdem er ein großes Opfer dargebracht hatte, nachts im Traum eine Offenbarung erhielt. Auf die Frage Gottes, der ihn einlud, ihn um ein Geschenk zu bitten, antwortete er: »Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht« (
1R 3,90).

3. Von Salomos Gebet angeregt, wird in unserem Canticum eine Reihe von Anrufungen an den Herrn gerichtet, damit er den unersetzlichen Schatz gewähre, der die Weisheit ist.

8 In dem der Liturgie der Laudes entnommenen Abschnitt finden wir diese zwei Bitten: »Gib mir die Weisheit …Sende sie vom heiligen Himmel, und schick sie vom Thron deiner Herrlichkeit« (Sg 9,4 Sg 9,10). Ohne diese Gabe hat man das Gefühl, ohne Führung zu sein, ohne einen Leitstern, der die moralischen Entscheidungen des Daseins lenkt: »Ich bin … ein schwacher Mensch, dessen Leben nur kurz ist, und gering ist meine Einsicht in Recht und Gesetz … ich werde kein Ansehen genießen, wenn mir deine Weisheit fehlt« (vgl. V. 5-6).

Es ist leicht verständlich, daß diese »Weisheit« nicht einfach Intelligenz oder praktische Fähigkeit ist, sondern Teilhabe am Geist Gottes, der »den Menschen durch seine Weisheit erschaffen hat« (vgl. V. 2). Es ist also die Fähigkeit, den tiefen Sinn des Daseins, des Lebens und der Geschichte zu erkennen, indem man über die Oberfläche der Dinge und Ereignisse hinausgeht, um ihre vom Herrn gewollte eigentliche Bedeutung zu erfassen.

4. Die Weisheit gleicht einem Licht, das uns in unseren täglichen moralischen Entscheidungen erleuchtet und das uns den rechten Weg weist, damit wir »erkennen, was Gott gefällt und was recht ist nach seinen Geboten« (vgl. V. 9). Deshalb läßt uns die Liturgie mit den Worten des Buches der Weisheit am Tagesanfang beten, damit Gott mit seiner Weisheit bei uns sei und »die tägliche Mühe mit uns teile« (vgl. V. 10), indem er uns das Gute und das Böse, das Rechte und das Unrechte erkennen läßt.

Hand in Hand mit der göttlichen Weisheit gehen wir voll Zuversicht in die Welt hinaus. Wir halten uns fest an der Weisheit, indem wir sie mit bräutlicher Liebe lieben, wie Salomo, der dem Buch der Weisheit zufolge bekannte: »Sie (die Weisheit) habe ich geliebt und gesucht von Jugend auf, ich suchte sie als Braut heimzuführen und fand Gefallen an ihrer Schönheit« (8, 2).

5. Die Kirchenväter haben Christus als die Weisheit Gottes identifiziert, der Spur des Apostels Paulus folgend, der Christus »Gottes Kraft und Gottes Weisheit« nennt (1Co 1,24).

Wir schließen jetzt mit einem Gebet des hl. Ambrosius, der sich an Christus mit folgenden Worten wendet: »Lehre du mich Worte der Weisheit, denn du bist die Weisheit! Öffne du mein Herz, denn du hast das Buch aufgeschlagen! Öffne du die Tür, die im Himmel ist, denn du bist die Tür! Wer durch dich dort eintritt, nimmt das ewige Reich in Besitz;wer durch dich eintritt, wird nicht enttäuscht, denn wer in die Wohnung der Wahrheit eingetreten ist, kann nicht fehlgehen« (Commento al Salmo 118 1: SAEMO 9, S. 377).

Alle Weisheit kommt von Gott. Wer die Welt und den Menschen verstehen will, ist auf den Plan des Schöpfers verwiesen. Weisheit ist Teilhabe am Geist Gottes. Ohne sie gibt es keine Unterscheidung der Geister.

Diese Erkenntnis liegt dem Gebet Salomos im Buch der Weisheit zugrunde. Aus dem göttlichen Auftrag, „die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit zu leiten" (Sg 9,3), folgt für den Menschen die Bitte um Weisheit. Ohne sie kann er Gottes Willen nicht erkennen und noch viel weniger erfüllen. Die Weisheit führt uns zum Wesentlichen und läßt uns in den Sinn der Geschichte eindringen. Sie hebt uns heraus aus der Oberflächlichkeit dieser Welt. Daher lautet unser Gebet: „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht" (vgl. 1R 3,9).
***


Herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich eine Gruppe aus der Erzbischöflichen Kurie Köln sowie Schüler der Europaschule Hanau willkommen. Bittet den Herrn um die Gabe der Weisheit! Sie sei euch Licht und Kraft, um nach dem Willen Gottes zu leben! Der Herr segne euch alle!



Februar 2003


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Mittwoch, 5. Februar 2003



Lesung: Psalm 117

1 Aufruf an alle Völker zum Lob Gottes Lobet den Herrn, alle Völker, preist ihn, alle Nationen!
2 Denn mächtig waltet über uns seine Huld, die Treue des Herrn währt in Ewigkeit. Halleluja!

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Während wir unsere Meditation über die Texte der Liturgie der Laudes fortsetzen, nehmen wir uns noch einmal einen bereits behandelten Psalm vor, den kürzesten der Texte des Psalters. Es ist der soeben gehörte Psalm 117, eine Art kleiner Hymnus, einem Stoßgebet ähnlich, das zu einem weltumspannenden Lobpreis des Herrn wird. Was verkündet wird, ist in zwei wichtigen Worten ausgedrückt: Liebe und Treue (vgl. V. 2).

Mit diesen Worten faßt der Psalmist kurz den Bund zwischen Gott und Israel zusammen und stellt die tiefe, treue und vertrauensvolle Beziehung heraus, die zwischen dem Herrn und seinem Volk besteht. Wir hören hier den Widerhall der Worte, die Gott selbst auf dem Sinai gesprochen hat, als er an Mose vorüberging: »Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue« (Ex 34,6).

2. Trotz seiner knappen und bündigen Worte erfaßt Psalm 117 den Kern des Betens, das in der Begegnung und im lebendigen, persönlichen Dialog mit Gott besteht. In diesem Ereignis wird Gottes Geheimnis als Treue und Liebe offenbar.

Der Psalmist fügt einen besonderen Aspekt des Betens hinzu: Die Gebetserfahrung soll in die Welt ausstrahlen und sich in Zeugnis gegenüber den Menschen verwandeln, die unseren Glauben nicht teilen. Zu Beginn weitet sich der Horizont zu »allen Völkern« und »allen Nationen« (vgl. Ps 117,1), damit auch sie angesichts der Schönheit und der Freude über den Glauben den Wunsch verspüren, Gott zu erkennen, ihm zu begegnen und ihn zu loben.

3. In einer technologischen Welt, die von der Verdunkelung des Heiligen untergraben wird, in einer Gesellschaft, die sich in einer gewissen Selbstzufriedenheit gefällt, ist das Zeugnis des Beters wie ein Lichtstrahl in der Finsternis.

Am Anfang mag das Beten nur Neugier erregen, aber mit der Zeit kann es einen nachdenklichen Menschen dazu bewegen, nach dem Sinn des Gebetes zu fragen, und es kann schließlich immer mehr den Wunsch wecken, die gleiche Erfahrung zu machen. Deshalb ist das Gebet nie ein Ereignis für sich allein, sondern es will sich weiten und die ganze Welt miteinbeziehen.

10 4. Wir betrachten jetzt den Psalm 117 mit den Worten eines großen Kirchenvaters des Ostens, des hl. Ephräm des Syrers, der im 4. Jahrhundert gelebt hat. In einem seiner Hymnen über den Glauben, im 14., bringt er den Wunsch zum Ausdruck, den Lobpreis Gottes nie verstummen zu lassen, und bezieht auch »alle, die die (göttliche) Wahrheit verstehen«, mit ein. Hier sein Zeugnis:

»Herr, wie könnte meine Harfe dich nicht mehr lobpreisen? / Wie könnte meine Zunge dir untreu werden? / Deine Huld hat mir aus meiner Verlegenheit geholfen, aber mein Wille ist noch unbeugsam (9. Strophe).

Es ist recht, daß der Mensch deine Gottheit anerkennt, / es ist recht für die himmlischen Wesen, deine Menschheit zu preisen; / die himmlischen Wesen staunten, als sie sahen, wie sehr du dich erniedrigt hast, / und die auf Erden staunten, wie sehr du dich erhöht hast« (10. Str.: L’arpa dello Spirito, Roma 1999, SS. 26-28).

5. In einem anderen Hymnus (Nisibenische Hymnen, 50) bekräftigt der hl. Ephräm diese Aufgabe des unablässigen Lobes und nennt als Grund, so wie es unser Psalm empfiehlt, Gottes Liebe und Erbarmen für uns.

»In dir, Herr, möge mein Mund aus dem Schweigen Lob hervorbringen. / Unser Mund möge nicht versäumen, dich zu loben, / unsere Lippen mögen nicht versäumen zu bekennen; / dein Lob möge in uns erbeben! (2. Str.).

Denn es ist der Herr, in den die Wurzel unseres Glaubens eingepflanzt ist; / er ist fern, aber dennoch nahe in der Vereinigung der Liebe. / Mögen die Wurzeln unserer Liebe an ihn gebunden sein, / möge das Vollmaß seines Erbarmens über uns ausgegossen werden« (6. Str.: ebd., SS. 77. 80).

Wie ein Stoßgebet erklingt Psalm 117 - das kurze und kraftvolle Lied des Alten Bundes: „Lobet den Herrn alle Völker, preist ihn alle Nationen. Denn mächtig waltet über uns seine Huld, die Treue des Herrn währt in Ewigkeit".

Gerne legt uns die Kirche diesen Psalm in den Mund. Denn wir Christen sind Zeugen des barmherzigen, gnädigen und langmütigen Gottes (vgl.
Ex 34,6). Seine Huld und Treue der hochtechnisierten und oft sinnentleerten Welt zu verkünden, gehört zu unseren vornehmsten und humansten Aufgaben. Unser Lobund Dankgebet will alle Menschen einladen, Gott, dem Herrn über Zeit und Leben, die Ehre zu erweisen.
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Mit einem herzlichen Gruß heiße ich die Besucher und Pilger aus den deutschsprachigen Ländern willkommen. Im Gebet durchbricht der Mensch die lähmende Macht falscher Selbstzufriedenheit. Der Kern des Betens ist die persönliche Begegnung mit dem lebendigen Gott. Geben wir ein frohes Zeugnis von Gottes Liebe und Treue zu uns Menschen! Seine Gnade erleuchte eure Herzen und begleite euch!




Generalaudienz 2003