Generalaudienz 2003 55


Mittwoch, 16. Juli 2003



Lesung: Jesaja 66,10-14

10 Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart.
56 11 Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum! 12 Denn so spricht der Herr: Seht her: Wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach. Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln.
13 Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost.
14 Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen, und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras. So offenbart sich die Hand des Herrn an seinen Knechten, aber seine Feinde wird er bedrohen.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Hymnus, den wir soeben gehört haben, ist der letzten Seite des Buches Jesaja entnommen. Es ist ein Lied der Freude, das von dem mütterlichen Bild Jerusalems (vgl. 66,11) und dann von der liebevollen Sorge Gottes (vgl. V. 13) beherrscht wird. Die Bibelwissenschaftler meinen, daß dieser letzte Abschnitt, der auf eine glänzende und glückliche Zukunft ausgerichtet ist, das Zeugnis einer späteren Stimme ist, eines Propheten, der die Wiedergeburt Israels nach der dunklen Zeit des babylonischen Exils besingt. Wir befinden uns also im 6. Jahrhundert v. Chr., zwei Jahrhunderte nach der Sendung Jesajas, des großen Propheten, nach dem das ganze inspirierte Werk benannt ist.

Wir folgen jetzt dem frohen Fluß dieses kurzen Hymnus, der mit drei Imperativen beginnt, die eine Einladung zur Freude sind: »Freut euch«, »Jubelt«, »Seid fröhlich« (vgl. V. 10). Das ist ein goldener Faden, der die letzten Seiten des Buches Jesaja durchzieht: Die Trauernden Zions werden erfreut, ihnen wird »Schmuck« und »Freudenöl« gebracht (61,3); der Prophet selbst will sich »von Herzen freuen über den Herrn, seine Seele soll jubeln über seinen Gott« (61,10); »wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich Gott« über sein Volk (62,5). Auf der Seite, die der von uns jetzt betrachteten vorausgeht, hat der Herr selbst Anteil an der Freude Israels, das als Nation wiederentsteht: »Ihr sollt euch ohne Ende freuen und jubeln über das, was ich erschaffe. Ich will über Jerusalem jubeln und mich freuen über mein Volk« (65,18-19).

2. Die Quelle und der Grund dieser inneren Freude ist die wiedergefundene Lebenskraft Jerusalems, das wieder erstanden ist aus der Asche der Zerstörung, die auf die Stadt niederging, als die babylonischen Heere sie zerstörten. In der Tat ist die Rede von ihrer »Trauer« (66,10), die jetzt vorbei ist.

Wie es in vielen Kulturen geschieht, wird die Stadt in weiblichen, ja mütterlichen Bildern dargestellt. Wenn eine Stadt in Frieden lebt, gleicht sie einem sicheren und geschützten Schoß; ja, sie ist wie eine Mutter, die ihre Kinder an ihrer Brust mit ihrem mütterlichen Reichtum sättigt (V. 11). In diesem Licht wird die Wirklichkeit, die die Bibel mit der weiblichen Bezeichnung »Tochter Zion«, das heißt Jerusalem, nennt, zu einer Stadt und Mutter, die ihre Kinder, das heißt ihre Bewohner, aufnimmt, nährt und erfreut. Auf diese Szene voll Leben und Zärtlichkeit steigt dann das Wort des Herrn nieder, das wie ein Segen klingt (vgl. V. 12-14).

3. Gott bedient sich noch anderer Bilder, die mit der Fruchtbarkeit verbunden sind: Es ist die Rede von Strömen und Bächen, das heißt von Wassern, die das Leben, eine üppige Vegetation, den Wohlstand der Erde und ihrer Bewohner symbolisieren (vgl. V. 12). Der Wohlstand der Stadt Jerusalem, ihr »Frieden« (shalom), das großmütige Geschenk Gottes, wird ihren Kindern ein Leben sichern, das in mütterliche Zärtlichkeit eingebettet ist: »Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln« (ebd.), und diese mütterliche Zärtlichkeit wird die Zärtlichkeit Gottes sein: »Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch« (V. 13). Der Herr wendet die mütterliche Metapher an, um so seine Liebe zu seinen Geschöpfen zu beschreiben.

Schon zuvor ist im Buch Jesaja ein Passus zu lesen, der Gott mütterliche Züge zuschreibt: »Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht« (49,15). Die an Jerusalem gerichteten Worte des Herrn in unserem Hymnus enden mit einem Hinweis auf das Thema der inneren Lebenskraft, das durch ein anderes Bild der Fruchtbarkeit und Kraft ausgedrückt wird: durch den Vergleich mit frischem Gras, um das Aufblühen und die Kraft des Körpers und des Daseins anzuzeigen (vgl. 66,14).

4. Hier, angesichts der Stadt mit den mütterlichen Zügen ist es leicht, unseren Blick zu weiten auf das Profil der Kirche, der fruchtbaren Jungfrau und Mutter. Wir beschließen unsere Meditation über das wiedergeborene Jerusalem mit einer Reflexion des hl. Ambrosius, die seinem Werk Über die Jungfrauen entnommen ist: »So ist auch die heilige Kirche unbefleckt in ihrer bräutlichen Einheit, reich an Kindersegen: Jungfrau wegen ihrer Keuschheit, Mutter wegen ihrer Nachkommenschaft. Eine Jungfrau, nicht vom Manne, sondern vom Geiste erfüllt, schenkt uns das Leben. Eine Jungfrau gebiert uns, nicht unter leiblichen Wehen, sondern unter dem Jauchzen der Engel. Eine Jungfrau zieht uns auf, nicht mit leiblicher Milch, sondern mit jener, welche der Apostel dem noch schwachen Alter des heranwachsenden Volkes reichte.

57 Wo ist denn eine Vermählte, die mehr Kinder besäße als die heilige Kirche, die geheimnisvolle Jungfrau, die volkreiche Mutter, deren Fruchtbarkeit auch die Schrift mit den Worten bezeugt: ›Denn zahlreichere Kinder hat die Verlassene, mehr als jene‹ (Is 54,1 Ga 4,27) Unsere Mutter hat keinen Mann, wohl aber hat sie einen Bräutigam; denn die Kirche inmitten des Volkes, beziehungsweise die Seele in den einzelnen vereinigt sich bräutlich mit dem Worte Gottes wie mit ihrem ewigen Bräutigam ohne die leiseste Befleckung der Reinheit, unberührt von Verletzung, erfüllt von höherer Erkenntnis« (I, 31; BdK, Bd. 32, Kempten/München 1917, S. 327f.).

„Freut euch! Jubelt in der Stadt; seid fröhlich mit ihr!" (Is 66,10). Dieser dreifache Imperativ im 66. Kapitel des Prophetenbuches Jesaja gilt den Bewohnern der Gottesstadt Jerusalem. Sie trägt mütterliche Züge; wer in ihr Aufnahme findet, erfährt Geborgenheit, Trost und Freude.

Es fällt nicht schwer, mit dem heiligen Ambrosius das Bild von der mütterlich-sorgenden Gottesstadt auf die Kirche zu beziehen: Als reine Jungfrau gehört sie Christus, ihrem göttlichen Bräutigam. In ihrer übernatürlichen Fruchtbarkeit ist sie die Mutter der Völker und gebiert unaufhörlich neue Söhne und Töchter. Ihren Kindern bietet die Kirche höchsten Trost und unvergängliche Freude: das Heil in Gott.
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Sehr herzlich grüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Auf den Straßen der Welt sind wir unterwegs. Behalten wir das Ziel der Lebensreise fest im Auge: Die himmlische Stadt Gottes! - Gerne wünsche ich euch allen erholsame Urlaubstage. Der Herr segne euch!




Mittwoch, 23. Juli 2003



Lesung: Psalm 147,1.4-7.11

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der soeben vorgesungene Psalm ist der erste Teil einer Komposition, die auch den nachfolgenden Psalm 148 umfaßt und die im hebräischen Original als Einheit bewahrt ist. Die alte griechische und lateinische Version hingegen haben das Canticum in zwei Psalmen unterteilt.

Der Psalm beginnt mit der Einladung, Gott zu loben, und zählt dann eine lange Reihe von Gründen des Lobpreises auf, die alle im Präsens ausgedrückt werden. Es handelt sich um Gottes Taten, die als kennzeichnend und immer aktuell betrachtet werden; sie sind aber von sehr unterschiedlicher Art. Einige betreffen Gottes Eingreifen in das menschliche Dasein (vgl. Ps 147,3 Ps 147,6 Ps 147,11) und besonders zugunsten Jerusalems und Israels (vgl. V. 2); andere beziehen sich auf das geschaffene Universum (vgl. V. 4) und insbesondere auf die Erde mit ihrer Vegetation und den Tieren (vgl. V. 8-9).

Wenn am Schluß gesagt wird, an wem der Herr Gefallen findet, lädt uns der Psalm zu einer zweifachen Haltung ein: zur Gottesfurcht und zum Vertrauen (vgl. V. 11). Wir sind nicht uns selbst oder den kosmischen Kräften überlassen, sondern wir sind immer in den Händen des Herrn gemäß seinem Heilsplan.

58 2. Nach der feierlichen Einladung zum Lobpreis (vgl. V. 1) entfaltet sich der Psalm in zwei poetischen und geistlichen Abschnitten. Im ersten Abschnitt (vgl. V. 2-6) wird zunächst das geschichtliche Handeln Gottes durch das Bild eines Baumeisters eingeleitet, der das nach dem babylonischen Exil neu auflebende Jerusalem wieder aufbaut (vgl. V. 2). Aber dieser große Baumeister, der Herr, erweist sich auch als ein Vater, der sich über die seelischen und körperlichen Wunden beugt, von denen sein gedemütigtes und unterdrücktes Volk gezeichnet ist (vgl. V. 3).

Lassen wir den hl. Augustinus sprechen, der in seinem Kommentar über den Psalm 147, den er in Karthago im Jahr 412 gehalten hat, den Satz: »Er heilt die gebrochenen Herzen …« so kommentierte: »Wer kein gebrochenes Herz hat, wird nicht geheilt … Wer sind die mit gebrochenem Herzen? Die Einfachen. Und die, die kein gebrochenes Herz haben? Die Stolzen. Also wird das gebrochene Herz geheilt, das stolze, aufgeblähte Herz wird erniedrigt. Ja, wahrscheinlich wird es deshalb erniedrigt, damit es, wenn es gebrochen ist, wieder aufgerichtet und geheilt werden kann … ›Er heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre schmerzenden Wunden‹ … Mit anderen Worten, er heilt die von Herzen Demütigen, die bekennen, sich selbst Strafen auferlegen und ein strenges Urteil über sich fällen, um sein Erbarmen zu finden. Seht da, dieser heilt. Aber die vollkommene Gesundheit wird erst am Ende des derzeitigen sterblichen Zustandes erlangt werden, wenn unser hinfälliges Wesen mit Unverweslichkeit bekleidet und unser sterbliches Wesen mit Unsterblichkeit bekleidet sein wird« (5-8: Esposizioni sui Salmi, IV, Roma, 1977, SS. 772-779).

3. Aber Gottes Werk zeigt sich nicht nur darin, daß sein Volk von den Leiden befreit wird. Er, der für die Armen mit Zärtlichkeit sorgt, wird den Frevlern gegenüber zum strengen Richter (vgl. V. 6). Dem Herrn der Geschichte sind die Übergriffe der Gewaltsamen, die meinen, über das Schicksal der Menschen entscheiden zu können, nicht gleichgültig. Gott wirft diejenigen in den Staub, die den Himmel durch ihren Stolz herausfordern (vgl. 1 Samuel 2,7-8;
Lc 1,51-53).

Gottes Handeln erschöpft sich nicht in seiner Herrschaft über die Geschichte; er ist auch König der Schöpfung, das ganze Universum antwortet auf seinen Schöpferruf. Er kann nicht nur die unermeßliche Zahl der Sterne beziffern, sondern ist auch imstande, jeden einzelnen Stern zu benennen und damit seine Natur und seine Merkmale zu bestimmen (vgl. Ps 147,4).

Schon der Prophet Jesaja sang: »Hebt eure Augen in die Höhe, und seht: Wer hat die (Sterne) dort oben erschaffen? Er ist es, der ihr Heer täglich zählt und heraufführt, der sie alle beim Namen ruft« (40,26). Die »Heere« des Herrn sind also die Sterne. Und der Prophet Baruch fügte hinzu: »Froh leuchten die Sterne auf ihren Posten. Ruft er sie, so antworten sie: Hier sind wir. Sie leuchten mit Freude für ihren Schöpfer« (3,34-35).

4. Nach einer neuen frohen Einladung zum Lobpreis (vgl. Ps 147,7) beginnt der zweite Teil des Psalms 147 (vgl. V. 7-11). Im Mittelpunkt steht noch das schöpferische Handeln Gottes im Kosmos. In einer oft ausgetrockneten Landschaft wie der orientalischen ist der Regen, der die Erde befruchtet (vgl. V. 8), das erste Zeichen der göttlichen Liebe. Auf diese Weise deckt der Schöpfer den Tisch für die Tiere. Ja, er sorgt dafür, daß auch die kleinen Lebewesen wie die jungen Raben, die vor Hunger schreien (vgl. V. 9), ihre Nahrung bekommen. Jesus lädt uns ein, »die Vögel des Himmels anzusehen: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie« (Mt 6,26 vgl. auch Lc 12,24 mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die »Raben«).

Doch von der Schöpfung wird die Aufmerksamkeit wieder auf das menschliche Dasein gelenkt. Und so schließt der Psalm, indem er den Herrn zeigt, der sich über den beugt, der gerecht und demütig ist (vgl. Ps 147,10-11), wie schon im ersten Teil des Hymnus dargelegt wurde (vgl. V. 6). Mittels zweier Symbole der Macht, des Pferdes und des schnellen Laufes des Mannes, wird die Einstellung Gottes deutlich, der sich von der Kraft nicht erobern oder einschüchtern läßt. Ein weiteres Mal läßt die Logik des Herrn den Stolz und die Arroganz der Macht außer acht, denn sie stellt sich auf die Seite derer, die treu sind und »voll Vertrauen auf seine Huld warten« (V. 11), das heißt, die sich der Führung Gottes überlassen in ihrem Handeln und in ihrem Denken, in ihren Plänen und ihrem täglichen Leben. Unter diese soll sich auch der Beter einreihen, indem er seine Hoffnung auf die Gnade des Herrn gründet in der Gewißheit, vom Mantel der göttlichen Liebe umhüllt zu sein: »Das Auge des Herrn ruht auf allen, die ihn fürchten und ehren, die nach seiner Güte ausschaun; denn er will sie dem Tod entreißen und in der Hungersnot ihr Leben erhalten … Ja, an ihm freut sich unser Herz, wir vertrauen auf seinen heiligen Namen« (Ps 33,18-19.21).

Die Arroganz menschlicher Macht verbleicht vor der Allmacht Gottes. Er, der Schöpfer, ist der einzige Herr über Himmel und Erde. Darum ist es gut, im Psalm „unserem Gott zu singen; schön ist es, ihn zu loben!" (Ps 147,1).

Dank der ihnen verliehenen Gaben können Menschen Großes leisten. Doch nicht unsere Fähigkeiten beeindrucken Gott. Er schaut auf die Demut, mit der wir ihm begegnen: „Gefallen hat der Herr an denen, die ihn fürchten und ehren, die voll Vertrauen warten auf seine Huld!" (Ps 147,11).
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Frohen Herzens heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Gottes Macht und Güte waltet über uns. Dafür wollen wir ihm freudig danken. - Diese Urlaubszeit möge für euch alle reich an geistlicher Erbauung sein, damit ihr euren Lebensauftrag mit neuer Kraft erfüllen könnt. Frohe, gesegnete Ferien!




59

Mittwoch, 30. Juli 2003

Lesung: Psalm 51,3-4.15.17-19

3 Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen!
4 Wasch meine Schuld von mir ab, und mach mich rein von meiner Sünde!
15 Dann lehre ich Abtrünnige deine Wege, und die Sünder kehren um zu dir.
17 Herr, öffne mir die Lippen, und mein Mund wird deinen Ruhm verkünden.
18 Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie dir geben; an Brandopfern hast du kein Gefallen.
19 Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Zum vierten Mal hören wir in unseren Reflexionen über die Liturgie der Laudes den 51. Psalm, das berühmte »Miserere«. In der Tat ist er allwöchentlich am Freitag vorgegeben als eine Oase der Meditation, in der es gilt, das Böse, das sich im Gewissen einnistet, zu entdecken und vom Herrn Läuterung und Vergebung zu erbitten. Denn »keiner, der lebt, ist gerecht vor dir«, o Herr, bekennt der Psalmist in einem anderen Gebet (Ps 143,2). Im Buch Ijob ist zu lesen: »Wie wäre ein Mensch gerecht vor Gott, wie wäre rein der vom Weib Geborene? Siehe, selbst der Mond glänzt nicht hell, die Sterne sind nicht rein in seinen Augen, geschweige denn der Mensch, die Made, der Menschensohn, der Wurm« (25,4-6).

Ernste, dramatische Worte, die die Begrenztheit und Hinfälligkeit des Menschen sowie seine verkehrte Neigung, Böses, Gewalt, Unreinheit und Lüge zu säen, in aller Deutlichkeit und Schwere vor Augen führen wollen. Die Botschaft der Hoffnung des »Miserere«, die der Psalter dem bekehrten Sünder David in den Mund legt, lautet: Gott kann die reuigen Herzens bekannte Schuld tilgen, abwaschen und reinmachen (vgl. Ps 51,3-4). Der Herr spricht durch die Stimme Jesajas: »Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee. Wären sie rot wie Purpur, sie sollen weiß werden wie Wolle« (1,18).

60 2. Wir verweilen diesmal kurz am Schluß des 51. Psalms, am hoffnungsvollen Ende, wo der Beter erkennt, daß ihm Gott vergeben hat (vgl. V. 17-21). Sein Mund verkündet den Ruhm des Herrn vor der Welt und bezeugt so die Freude, die der vom Bösen und damit von Gewissensbissen befreite Mensch erfährt (vgl. V. 17).

Der Beter zeigt nun ganz deutlich eine andere innere Einstellung, indem er sich der wiederholten Lehre der Propheten anschließt (vgl.
Is 1,10-17 Am 5,21-25 Os 6,6): Das wohlgefälligste Opfer, das wie Wohlgeruch und beruhigender Duft zum Herrn aufsteigt (vgl. Gn 8,21), ist kein Brandopfer von Stieren und Lämmern, sondern das »zerbrochene und zerschlagene Herz« (Ps 51,19).

Die Nachfolge Christi, ein in der christlichen geistlichen Tradition so beliebter Text, wiederholt diese Mahnung des Psalmisten: »Diese Herzensreue des Sünders ist dir, o mein Gott, ein angenehmes Opfer, ein Wohlgeruch vor dir, lieblicher als aller Duft des angezündeten Weihrauchs! … hier wird abgewaschen, was die Sünde zerrüttet und befleckt hatte« (III, 52,4).

3. Der Psalm endet unerwartet mit einem ganz anderen Ausblick, der sogar widersprüchlich zu sein scheint (vgl. V. 20-21). Von der letzten Bitte eines einzelnen Sünders geht er über in ein Gebet für den Wiederaufbau der ganzen Stadt Jerusalem, so daß wir aus der davidischen Epoche in die um Jahrhunderte spätere Zeit der Zerstörung der Stadt versetzt werden. Nachdem der Psalm zuerst die göttliche Zurückweisung der Brandopfer von Tieren ausgesprochen hat, verkündet er im 21. Vers, daß diese Brandopfer Gott wohlgefällig sind.

Es ist klar, daß dieser Schlußsatz ein späterer Nachsatz ist, der in der Zeit des Exils hinzugefügt wurde und in gewissem Sinn die Perspektive des davidischen Psalms verbessern oder wenigstens vervollständigen wollte. Und zwar in zwei Punkten: Man wollte einerseits nicht, daß der ganze Psalm auf ein individuelles Gebet verkürzt wird; man mußte ja auch an die traurige Lage der ganzen Stadt denken. Andererseits wollte man die göttliche Zurückweisung der Opferriten herunterspielen; diese Zurückweisung durfte weder vollständig noch endgültig sein, weil es sich um einen von Gott selbst in der Torah vorgeschriebenen Kult handelte. Derjenige, der den Psalm vervollständigt hat, hatte eine überzeugende Eingebung: Er verstand das Bedürfnis, das die Sünder hatten, das Bedürfnis nach einem vermittelnden Opfer. Die Sünder sind nicht imstande, sich allein zu reinigen; gute Gefühle sind nicht genug. Es braucht eine wirksame Mittlerschaft von außen. Das Neue Testament offenbart den vollen Sinn dieser Intuition, indem es zeigt, daß Christus durch die Hingabe seines Lebens als Mittler ein vollkommenes Opfer dargebracht hat. Lobpreis ohne Ende

4. Der hl. Gregor der Große hat in seiner Homilie über Ezechiel die unterschiedlichen Perspektiven gut erfaßt, die zwischen Vers 19 und Vers 21 des »Miserere« bestehen. Er bietet eine Deutung an, die wir ebenfalls annehmen können und mit der wir unsere Reflexion beenden. Der hl. Gregor wendet Vers 19, der vom zerknirschten Geist spricht, auf die Existenz der Kirche auf Erden und den 21. Vers, der vom Brandopfer spricht, auf die Kirche im Himmel an.

Hier die Worte dieses großen Papstes: »Die Heilige Kirche hat zwei Leben: eines, das sie in der Zeit führt, das andere, das sie in Ewigkeit empfängt; eines, durch das sie sich auf Erden müht, das andere, das der Lohn im Himmel ist; eines, durch das sie die Verdienste sammelt, das andere, das bereits die gesammelten Verdienste genießt. Und in dem einen wie in dem anderen Leben bringt sie das Opfer dar: hier das Opfer der Reue und dort oben das Opfer des Lobes. Vom ersten Opfer wird gesagt: ›Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist‹ (Ps 51,19); von dem zweiten steht geschrieben: ›Dann hast du Freude an rechten Opfer, an Brandopfern und Ganzopfern‹ (Ps 51,21)… In beiden Fällen wird Fleisch geopfert, denn hier ist das Opfer des Fleisches die Kasteiung des Leibes, oben ist das Opfer des Fleisches die Herrlichkeit der Auferstehung im Lobpreis an Gott. Dort oben wird gleichsam als Brandopfer das Fleisch dargebracht, das in die ewige Unverweslichkeit verwandelt ist, es wird keinen Kampf und nichts Sterbliches mehr geben, weil es ganz in Liebe zu ihm im Lobpreis ohne Ende entbrannt ist« (Homilie über Ezechiel/ 2, Rom 1993, S. 271).

„Wasch meine Schuld von mir ab" (Ps 51,4). Die Reue des Sünders mündet in die Bitte um Erneuerung. Gott möge ihn reinigen und von seinen Fehlern befreien. Dazu muß der Mensch dem Herrn sein Inneres demütig öffnen. „Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist." (Ps 51,19).

Zugleich wissen wir Christen: Die Kreuzeshingabe des Gottessohnes macht uns dem Vater wohlgefällig. In Christus dürfen wir unsere Vollendung erwarten. Das reuige Opfer wandelt sich in den ewigen Lobpreis seiner Liebe.
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Mit Freude grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Der Herr ist die Quelle des Lebens und der Liebe. Seine Güte begleite euch in diesen Urlaubstagen und erquicke euch an Leib und Seele. Von Herzen wünsche ich euch erholsame Ferien!



61

August 2003


Mittwoch, 6. August 2003

Liebe Brüder und Schwestern!


1. Vor 100 Jahren, am 4. August 1903, wurde mein Vorgänger, der hl. Pius X., gewählt. Giuseppe Sarto kam in Riese, einem kleinen Ort in den Voralpen Venetiens, zur Welt, in einer Gegend, die tief christlich geprägt war, und er verbrachte sein ganzes Leben bis zur Papstwahl in Venetien. Herzlich begrüße ich die große Pilgergruppe aus Treviso, die in Begleitung ihres Bischofs angereist ist, um ihrem berühmten Landsmann die Ehre zu erweisen.

Eure Anwesenheit, liebe Brüder und Schwestern, bietet mir die Möglichkeit, die bedeutende Rolle dieses Nachfolgers Petri in der Geschichte der Kirche und der Menschheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts herauszustellen. Als Pius XII. ihn am 29. Mai des Marianischen Jahres 1954 zur Ehre der Altäre erhob, bezeichnete er ihn als »unbezwingbaren Kämpfer für die Kirche und von der Vorsehung geschenkten Heiligen unserer Zeit«; sein Werk glich »dem Kampf eines Giganten zur Verteidigung eines äußerst wertvollen Schatzes, nämlich der inneren Einheit der Kirche in ihrem tiefsten Fundament, dem Glauben« (vgl. Acta Apostolicae Sedis XLVI (1954), S. 308). Möge dieser heilige Papst, der uns ein Beispiel vollkommener Treue zu Christus und leidenschaftlicher Liebe zu seiner Kirche hinterlassen hat, auch in Zukunft über der Kirche wachen.

2. Auch eines weiteren großen Papstes möchte ich gedenken, denn heute sind 25 Jahre seit jenem 6. August 1978 vergangen, an dem der Diener Gottes Paul VI. hier in der Sommerresidenz von Castelgandolfo starb. Es war der Abend jenes Tages, an dem die Kirche das lichtreiche Geheimnis der Verklärung Christi, der »nie untergehenden Sonne« (Liturgischer Hymnus), feiert. Es war ein Sonntag, das wöchentliche Ostern, der Tag des Herrn und des Geschenkes des Geistes (vgl. Apostolisches Schreiben Dies Domini, 19).

Bereits vor einiger Zeit hatte ich bei der Generalaudienz die Gelegenheit, anläßlich des 40. Jahrestages seiner Wahl zum Bischof von Rom die Person Pauls VI. zu würdigen. Heute möchte ich - an dem Ort, an dem er sein Erdenleben beschloß - mit euch, liebe Brüder und Schwestern, im Geiste erneut sein geistliches Testament hören, jenes letzte und äußerste Wort, das in seinem Sterben enthalten war.

Bei der letzten Generalaudienz am Mittwoch, dem 2. August 1978, vier Tage vor seinem Tod, hatte er zu den Pilgern vom Glauben als Kraft und Licht der Kirche gesprochen (vgl. Insegnamenti di Paolo VI, XVI 1978, S. 586). Und in dem Text, den er für den Angelus am 6. August vorbereitet hatte, dann aber nicht mehr verlesen konnte, hatte er seinen Blick auf den verklärten Christus gerichtet und geschrieben: »Das Licht, das ihn umflutet, ist jetzt und künftig auch unser Anteil an seiner Hinterlassenschaft und Herrlichkeit. Wir sind berufen, solche Herrlichkeit zu teilen, um »an der göttlichen Natur Anteil« (2P 1,4) zu erhalten (vgl. ebd., S. 588).

3. Paul VI. verspürte die Notwendigkeit, seine täglichen Taten und Entscheidungen an dem »großen Übergang« zu messen, auf den er sich nach und nach vorbereitete. Das belegen beispielsweise seine Aussagen im Pensiero alla Morte. Darin können wir unter anderem einen Abschnitt lesen, der an das heutige Fest der Verklärung des Herrn denken läßt: »Es würde mir gefallen « - so schrieb er -, »am Ende im Licht zu sein […] In dieser letzten Phase meines Lebens merke ich, daß diese faszinierende und geheimnisvolle Szenerie [der Welt] ein Abglanz, ein Widerschein des ersten und einzigen Lichtes ist […] eine Einladung zur Schau der unsichtbaren Sonne, quem nemo vidit umquam (vgl. Jn 1,18): unigenitus Filius, qui est in sinu Patris, Ipse enarravit. So sei es, so sei es« (vgl. ebd., 24-25).

Für die Glaubenden ist der Tod gleichsam das abschließende »Amen« ihres irdischen Daseins. So war es mit Sicherheit für den Diener Gottes Paul VI., der im »großen Übergang« sein höchstes Glaubensbekenntnis zum Ausdruck brachte. Er, der zum Abschluß des Jahres des Glaubens feierlich das Credo des Gottesvolkes verkündet hatte, besiegelte es mit dem endgültigen, persönlichen »Amen« als Krönung eines Einsatzes für Christus, der seinem ganzen Leben Sinn verliehen hatte.

4. »Das Licht des Glaubens soll keinen Untergang kennen.« So singen wir in einem liturgischen Hymnus. Heute danken wir Gott, weil diese Worte in meinem verehrten Vorgänger Wirklichkeit geworden sind. 25 Jahre nach seinem Heimgang wird seine große Bedeutung als Lehrer und Verteidiger des Glaubens in einer dramatischen Stunde der Geschichte der Kirche und der Welt immer deutlicher erkennbar. Wenn wir an das zurückdenken, was er selbst über unser Zeitalter geschrieben hat, daß man nämlich heutzutage lieber auf Zeugen als auf Gelehrte hört (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi EN 41), wollen wir ihn mit ehrfürchtiger Dankbarkeit in Erinnerung halten als wahren Zeugen unseres Herrn Christus, der von tiefer Liebe zur Kirche erfüllt war und der stets mit Aufmerksamkeit die Zeichen der Zeit in der modernen Kultur erforscht hat.

62 Möge jedes Mitglied des Gottesvolkes - ja ich möchte sagen jeder Mann und jede Frau guten Willens - das Gedenken an ihn durch eine aufrichtige und unablässige Suche nach der Wahrheit in Ehren halten, nach jener Wahrheit, die auf dem Antlitz Christi in ganzer Fülle erstrahlt. Die Jungfrau Maria, so pflegte Paul VI. zu sagen, hilft uns durch ihre mütterliche und zuvorkommende Fürsprache, diese Wahrheit besser zu verstehen und zu leben.

Vorgestern jährte sich zum hundertsten Mal der Jahrestag der Papstwahl des heiligen Pius X. In seinem Leben und Wirken bezeugte er: Die Einheit der Kirche gründet auf der treuen Überlieferung des Glaubens.

Heute vor fünfundzwanzig Jahren schloß Papst Paul VI. seinen irdischen Lebensweg. Täglich hatte er an diesem „großen Übergang" Maß genommen. Im Hinscheiden krönte er sein hohes Bekenntnis des Glaubens.
***


Einen herzlichen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Stellt euer Leben in den Glanz der Wahrheit Christi! In seinem Licht schauen wir das Licht (vgl.
Ps 36,10). Gottes Gnade sei mit euch. Frohe und erholsame Ferien!




Mittwoch, 13. August 2003

Liebe Brüder und Schwestern!


1. Die Liturgie der Laudes hat unter ihre Cantica das Fragment eines Lobpreises aufgenommen, das die im biblischen Buch Tobit dargelegte Erzählung beschließt: Wir haben diesen Text soeben gehört. Der recht lange und feierliche Lobpreis ist ein typisches Beispiel für das jüdische Gebet und die jüdische Spiritualität, die sich aus anderen, früheren Bibeltexten nährt.

Das Canticum ist gekennzeichnet durch eine zweifache Anrufung. Zunächst erfolgt die wiederholte Einladung, Gott zu loben (vgl. V. 3.4.7) für die Läuterung, die er durch das Exil bewirkt. Die »Kinder Israels« werden ermahnt, diese Läuterung durch den aufrichtigen Willen zur Umkehr anzunehmen (vgl. V. 6.8). Wenn in den Herzen die Bekehrung erblüht, wird der Herr am Horizont die Morgenröte der Befreiung aufgehen lassen. In dieses geistige Klima gehört der Beginn des Canticum, das die Liturgie dem umfangreicheren Lobpreis aus dem 13. Kapitel des Buches Tobit entnommen hat.

2. Der zweite Teil des Textes aus dem Munde des betagten Tobit, der zusammen mit seinem Sohn Tobias die Hauptperson des ganzen Buches ist, stellt eine regelrechte Verherrlichung Zions dar. Sie spiegelt die tiefempfundene Sehnsucht und die brennende Liebe wider, die die Juden in der Diaspora für die Heilige Stadt empfinden (vgl. V. 9-18). Auch dieser Aspekt wird aus dem Ausschnitt ersichtlich, der für das Morgengebet der Liturgie der Laudes ausgewählt wurde. Beschäftigen wir uns also mit diesen beiden Themen, nämlich der Reinigung von der Sünde durch die Prüfung und dem Warten auf die Begegnung mit dem Herrn im Licht Zions und seines heiligen Tempels.

3. Tobit richtet einen eindringlichen Appell an die Sünder, damit sie sich bekehren und das Rechte tun: Diesen Weg gilt es einzuschlagen, um die göttliche Liebe wiederzufinden, die Zuversicht und Hoffnung schenkt (vgl. V. 8).

63 Die Geschichte Jerusalems ist in gewisser Hinsicht ein Gleichnis, das alle Menschen über die anstehende Entscheidung belehrt. Gott hat die Stadt bestraft, weil er angesichts der von seinen Kindern ausgeübten Missetaten nicht gleichgültig bleiben konnte. Jetzt aber hat er gesehen, daß viele sich bekehrt haben und zu gerechten und treuen Söhnen und Töchtern geworden sind, und er wird daher wieder seine barmherzige Liebe walten lassen (vgl. V. 10).

Im Canticum des 13. Kapitels des Buches Tobit wird diese Überzeugung mehrfach wiederholt: der Herr »züchtigt und hat auch wieder Erbarmen […] er züchtigt uns wegen unserer Sünden, doch hat er auch wieder Erbarmen […] Der Herr bestraft die Taten deiner Kinder, doch er hat wieder Erbarmen mit den Söhnen der Gerechten« (V. 2.5.10). Gott setzt die Strafe als Mittel ein, um die Sünder, die auf keine andere Ermahnung hören, auf den rechten Weg zurückzuführen. Das letzte Wort des gerechten Gottes bleibt jedoch das der Liebe und der Vergebung; sein tiefer Wunsch ist, die rebellischen Kinder, die mit reuigem Herzen zu ihm zurückkehren, erneut in die Arme zu schließen.

4. Beim auserwählten Volk wird sich die Barmherzigkeit Gottes im Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels zeigen, den Er selbst vollbringen wird, »damit sein Zelt von neuem errichtet wird, dir zur großen Freude« (V. 11). So kommt das zweite Thema zum Vorschein. Es betrifft Zion als geistigen Ort, zu dem nicht nur die Rückkehr der Juden, sondern auch die Pilgerreise aller Völker, die Gott suchen, führen muß. So eröffnet sich ein allumfassender Horizont: Nach dem Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels, Zeichen des Wortes und der Gegenwart Gottes, wird ein weltweites Licht erstrahlen, das die Dunkelheit durchbricht, damit »die Völker von weither kommen« (vgl. V. 13), ihre Geschenke herbeibringen und ihre Freude darüber, an dem vom Herrn über Israel ausgegossenen Heil Anteil zu haben, bekunden können.

Die Israeliten und alle Völker sind also gemeinsam zum einzigen Ziel des Glaubens und der Wahrheit unterwegs. Auf sie ruft der Sänger dieses Hymnus eine wiederholte Seligpreisung herab, indem er zu Jerusalem sagt: »Wohl denen, die dich lieben; sie werden sich freuen über den Frieden, den du schenkst« (V. 15). Das wahre Glück stellt sich dann ein, wenn das Licht wiedergefunden wird, das am Himmel für all jene erstrahlt, die den Herrn mit geläutertem Herzen und mit dem Verlangen nach Wahrheit suchen.

5. An dieses freie und glorreiche Jerusalem, Zeichen der Kirche am endgültigen Ziel ihrer Hoffnung, das durch die Auferstehung Christi vorweggenommen wird, wendet sich der hl. Augustinus in seinen Bekenntnissen mit leidenschaftlichen Worten.

In Hinblick auf das Gebet, das er in seinem »Kämmerlein« sprechen möchte, beschreibt er uns »die Liebeslieder…, die unaussprechlichen Seufzer meiner Pilgerschaft und Jerusalems…, Jerusalems, meiner Vaterstadt, zu der ich mein Herz hoch erhebe, Jerusalems, meiner Mutter und deiner, ihres Herrschers, Lichtspenders, Vaters, Beschützers, und Bräutigams, der du ihre stete keusche Wonne, ihre unwandelbare Freude, die Fülle unbeschreiblicher Güter … bist«. Und er schließt mit einem Versprechen: »Nicht abwenden will ich mich, bis du mich dereinst einführst in ihren Frieden, den Frieden meiner liebsten Mutter, wo bereits meines Geistes Erstlinge sind, von wo mir alle sichere Erkenntnis zugeflossen ist, bis du mich und alles, was ich bin und habe, sammelst aus dieser Zerstreuung und Verderbnis und mich formst und festigst in Ewigkeit, du mein Gott und mein Erbarmer« (Bekenntnisse, XII,16,23, München 1992).

Die Gerechten suchen die Nähe des Herrn. Wo Gottes Haus ist, herrscht Heil und Frieden. Jerusalem wird zur Heimat aller Menschen. Einst wurde die heilige Stadt wegen der Sünder geprüft. Jetzt kündet sie Gottes treues Erbarmen.

Christus errichtet die neue Stadt der Erlösten. Er stiftet die Kirche als Ort göttlicher Gegenwart. In ihr sammelt er die Gemeinschaft der Heiligen aus allen Völkern. „Wohl denen, die dich lieben; sie werden sich freuen über deinen Frieden." (
Tb 13,15).
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Von Herzen heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Schreitet voran auf dem Weg der Liebe und der Gerechtigkeit! Gottes Güte leite euch. Allen wünsche ich frohe, gesegnete Ferien.




Generalaudienz 2003 55