Generalaudienz 2004 23

23 Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Schaut auf den Erlöser am Kreuz und folgt ihm mit Taten der Liebe! Maria, seine und unsere treue Mutter, führe euch zur befreienden Begegnung mit dem Auferstandenen. Der Friede Christi bleibe stets bei euch.






Mittwoch, 14. April 2004



Singt das Lob dem Osterlamme,
bringt es ihm dar, ihr Christen.
Das Lamm erlöst’ die Schafe:
Christus, der ohne Schuld war,
versöhnte die Sünder mit dem Vater.

Tod und Leben, die kämpften
unbegreiflichen Zweikampf;
des Lebens Fürst, der starb,
herrscht nun lebend.

Maria Magdalena,
24 sag uns, was du gesehen.
Sah Engel in dem Grabe,
die Binden und das Linnen.

Das Grab des Herrn sah ich offen
und Christus von Gottes Glanz umflossen.
Er lebt, der Herr, meine Hoffnung,
er geht euch voran nach Galiläa.

Laßt uns glauben, was Maria den Jüngern verkündet.
Sie sah den Herren, den Auferstandenen.
Ja, der Herr ist auferstanden, ist wahrhaft erstanden.
Du Sieger, König, Herr, hab Erbarmen! (Amen. Halleluja.)

25 1. Die Ostersequenz wiederholt und betont die hoffnungsvolle Nachricht, die in der Feier der Osternacht erklungen ist: »… des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend.« Über diese Worte wollen wir bei unserer heutigen Begegnung nachdenken, die in der frohen Atmosphäre der Osteroktav stattfindet.

Christus siegt über das Böse und den Tod, lautet der Freudenruf, der in diesen Tagen aus dem Herzen der Kirche aufsteigt. Als Sieger über den Tod schenkt Jesus das Leben, das für diejenigen, die Ihn aufnehmen und an Ihn glauben, nicht vergeht. Sein Tod und seine Auferstehung sind deshalb das Glaubensfundament der Kirche.

2. Die Evangelien berichten manchmal in allen Einzelheiten über die Begegnungen des auferstandenen Herrn zunächst mit den Frauen, die zum Grab geeilt waren, und dann mit den Aposteln. Als Augenzeugen werden sie als erste das Evangelium von seinem Tod und seiner Auferstehung verkünden. Nach Pfingsten werden sie ohne Furcht bekräftigen, daß sich die Schriften über den verheißenen Messias in Jesus von Nazaret erfüllt haben.

Die Kirche, Hüterin dieses universalen Heilsgeheimnisses, gibt es von Generation zu Generation weiter an die Männer und Frauen allerorts und aller Zeiten. Es ist notwendig, daß auch in unserer Zeit dank des Einsatzes der Gläubigen die Botschaft kraftvoll erklingt, daß Christus tot war und durch die Kraft seines Geistes jetzt lebt und herrscht.

3. Damit die Christen diesen ihnen erteilten Auftrag vollkommen erfüllen, ist es unerläßlich, daß sie dem auferstandenen Gekreuzigten persönlich begegnen und sich von der Kraft seiner Liebe verwandeln lassen. Wenn das geschieht, verwandelt sich die Trauer in Freude, die Angst weicht dem missionarischen Eifer.

Der Evangelist Johannes zum Beispiel erzählt uns das ergreifende Treffen des Auferstandenen mit Maria Magdalena, die frühmorgens zum Grab geeilt war und es offen und leer fand. Sie fürchtet, der Leib des Herrn sei entwendet worden, deshalb weint sie bitterlich. Aber plötzlich ruft sie jemand, den sie zunächst »für den Gärtner « hielt, beim Namen: »Maria!« Da erkennt sie den Meister - »Rabbuni«. Nachdem Trostlosigkeit und Verunsicherung überwunden sind, läuft sie sogleich, um den Elf zu verkünden: »Ich habe den Herrn gesehen« (vgl.
Jn 20,11-18).

4. »Er lebt, der Herr, meine Hoffnung.« Mit diesen Worten unterstreicht die Sequenz einen Aspekt des Ostergeheimnisses, den die Menschheit von heute noch besser erfassen sollte. Die Menschen, gezeichnet von den drohenden Gefahren der Gewalt und des Todes, sind auf der Suche nach jemandem, der ihnen Gelassenheit und Sicherheit gibt. Wo ist Frieden zu finden, wenn nicht in Christus, der ohne Schuld ist, der die Sünder mit dem Vater versöhnt hat?

Auf dem Golgota der göttlichen Barmherzigkeit hat er sein Antlitz der Liebe und Vergebung für alle kundgetan. Im Abendmahlssaal, nach seiner Auferstehung, hat Jesus den Aposteln die Aufgabe anvertraut, Diener dieser Barmherzigkeit und Quelle der Versöhnung unter den Menschen zu sein.

Die hl. Faustyna Kowalska wurde in ihrer Einfachheit erwählt, um diese frohe, für die Welt von heute besonders geeignete Nachricht zu verkünden. Es ist eine Botschaft der Hoffnung, die einlädt, sich den Händen des Herrn zu überlassen. »Jesus, ich vertraue auf dich!«, pflegte die Heilige zu sagen.

Maria, die Frau der Hoffnung und Mutter der Barmherzigkeit, erwirke uns, ihrem Sohn, der tot war und auferstanden ist, persönlich zu begegnen. Sie mache uns zu unermüdlichen Arbeitern seiner Barmherzigkeit und seines Friedens.

Des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend" (Sequenz) singt die Kirche in der Osteroktav. Der Tod und die Auferstehung Christi sind das Fundament des christlichen Glaubens. Diese Osterbotschaft ist der Kirche anvertraut: das Heilsgeheimnis schlechthin, das sie den Menschen zu jeder Zeit und an jedem Ort verkündigt. Wir sind eingeladen, dem auferstandenen Gekreuzigten zu begegnen und uns von der Kraft seiner Liebe formen zu lassen.

26 Angesichts von Haß und Gewalt müssen wir Menschen heute tiefer verstehen, daß allein der Sieger über Sünde und Tod unsere Hoffnung und unser Friede ist. Er hat die Apostel zu Dienern der Versöhnung unter den Menschen bestellt. Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, helfe uns, der Welt den Frieden des Auferstandenen zu bringen.
***


In österlicher Freude heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Christus, unsere Hoffnung, lebt und stirbt nicht mehr!



Mittwoch, 21. April 2004

Lesung: Ps 27,1.3-4

Ps 27,1 Ps 27,3-4

1 Die Gemeinschaft mit Gott
[Von David.] Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist die Kraft meines Lebens: Vor wem sollte mir bangen?
3 Mag ein Heer mich belagern: Mein Herz wird nicht verzagen. Mag Krieg gegen mich toben: Ich bleibe dennoch voll Zuversicht.
4 Nur eines erbitte ich vom Herrn, danach verlangt mich: Im Haus des Herrn zu wohnen alle Tage meines Lebens, die Freundlichkeit des Herrn zu schauen und nachzusinnen in seinem Tempel.

1. Unsere Betrachtungen über die Vesper setzen sich heute mit Psalm 27 fort, den die Liturgie in zwei Abschnitte aufteilt. Wir folgen jetzt dem ersten Teil dieses poetischen und geistlichen Diptychons (vgl. V. 1-6), das als Hintergrund den Tempel von Zion hat, den Ort für den Gottesdienst von Israel. In der Tat spricht der Psalmist ausdrücklich vom »Haus des Herrn«, vom »Tempel« (V. 4), vom »Haus« und »Zelt« (vgl. V. 5-6). Ja, diese Worte bezeichnen im hebräischen Original genauer den »Tabernakel« und das »Zelt«, das heißt das innerste Heiligtum des Tempels, wo sich der Herr durch seine Gegenwart und sein Wort offenbart. Es wird auch an den »Felsen« von Zion erinnert (vgl. V. 5), den sicheren Zufluchtsort, und es wird die Feier des Dankopfers angedeutet (vgl. V. 6).

Wenn also die Liturgie die geistliche Atmosphäre bildet, in die der Psalm eingebettet ist, dann stellt das Vertrauen in Gott am Tag der Freude wie auch in der Zeit der Angst den Leitfaden des Gebets dar.

27 2. Der erste Teil des Psalms, über den wir jetzt nachdenken, ist von einer großen Gelassenheit gekennzeichnet, die in dem Vertrauen auf Gott am finsteren Tag des Angriffs der Frevler gründet. Zwei Bilder werden verwandt, um die Gegner zu beschreiben, die Zeichen des Bösen sind, das in der Geschichte Verwirrung stiftet. Einmal wird anscheinend eine wilde Jagd dargestellt: Die Frevler sind wie wilde Tiere, die vorrücken, um ihre Beute zu packen und zu zerfleischen, aber sie straucheln und fallen (vgl. V. 2). Dann ist hier das militärische Bild eines Angriffs, vorgenommen von einem ganzen Herr: Es ist ein Kampf, der auflodert und Schrecken und Tod sät (vgl. V. 3).

Das Leben des Gläubigen ist oft Spannungen, Widersprüchen, manchmal auch Ablehnung und sogar Verfolgung ausgesetzt. Das Verhalten des Gerechten irritiert, weil es wie eine Mahnung gegenüber den anmaßenden und niederträchtigen Menschen wirkt. Die im Buch der Weisheit beschriebenen Frevler kennen den Gerechten: »Er ist unserer Gesinnung ein lebendiger Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig; denn er führt ein Leben, das dem der andern nicht gleicht, und seine Wege sind grundverschieden« (Weish 2,14-15).

3. Der Gläubige weiß, daß sein konsequentes Verhalten Isolation und sogar Verachtung und Feindschaft hervorruft in einer Gesellschaft, die oft den persönlichen Vorteil, den äußeren Erfolg, den Reichtum und den zügellosen Genuß als Ziel wählt. Dennoch ist der glaubende Mensch nicht allein, und sein Herz bewahrt einen erstaunlichen inneren Frieden, denn - so heißt es in der herrlichen »Antiphon« des Psalms- »Der Herr ist mein Licht und Heil … Der Herr ist die Kraft (des) Lebens« des Gerechten (
Ps 27,1). Er wiederholt ständig: »Vor wem sollte ich mich fürchten? … Vor wem sollte mir bangen? … Mein Herz wird nicht verzagen … Ich bleibe dennoch voll Zuversicht « (V. 1.3).

4. In der Tat, der Beter legt sein Leben in Gottes Hände, ja, sein Wunschtraum findet auch in einem anderen Psalm Ausdruck (vgl. 23,6): »…im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.« Dort wird er »die Freundlichkeit des Herrn schauen« (Ps 27,4), das göttliche Geheimnis betrachten und bewundern, am liturgischen Opfer teilhaben und sein Lob zu Gott, dem Befreier (vgl. V. 6), erheben. Der Herr schafft um seinen Gläubigen einen Horizont des Friedens, der den Lärm des Bösen nicht eindringen läßt. Die Gemeinschaft mit Gott ist Quelle der Gelassenheit, der Freude, der Ruhe; sie ist gleichsam eine Oase des Lichts und der Liebe.

5. Hören wir jetzt zum Abschluß unserer Reflexion die Worte des Mönchs Jesaja des Syrers, der in Ägypten in der Wüste gelebt hat und in Gaza um 491 n. Chr. gestorben ist. In seinem Asceticon wendet er unseren Psalm auf das Gebet in der Versuchung an: »Wenn wir sehen, daß uns die Feinde mit ihren Schlichen bedrängen, das heißt mit der Trägheit, sei es, daß sie unsere Gesinnung durch den Genuß schwächen, oder weil wir unseren Ärger gegen den Nächsten nicht zügeln, wenn dieser gegen seine Pflichten verstößt; oder wenn sie unsere Augenlider schwer machen, um sie zur Begierde zu verführen; oder wenn sie uns dazu verleiten wollen, die Gaumenfreuden zu verkosten; wenn sie die Rede des Nächsten uns gegenüber vergiften; wenn sie uns die Worte anderer herabwürdigen lassen; wenn sie uns verleiten, Unterschiede zwischen den Brüdern zu machen, indem sie sagen: Dieser ist gut, der andere ist schlecht. Wenn uns also alle diese Dinge umgeben, dürfen wir nicht den Mut verlieren, sondern vielmehr wie David mit festem Herzen rufen: ›Der Herr ist die Kraft meines Lebens!‹ (Ps 27,1)« (Recueil ascétique, Bellefontaine 1976, S. 211).

„Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten?" (Ps 27,1). Der Beter des Alten Bundes findet Zuflucht im Haus des lebendigen Gottes. Inmitten des Ansturms der Feinde birgt ihn die Gegenwart Jahwes wie in einer Oase des Lichtes und der Liebe.

Mit Psalm 27 dankt auch die Christenheit für das Heilsgeschenk des Friedens, das ihr durch den Auferstandenen zuteil wird. Das Herz des Gläubigen ist in Situationen der Bedrängnis Prüfungen ausgesetzt. Doch Christus, der Sieger über Sünde und Tod, bleibt den Seinen nahe. Der Friede der Seele ist ein Widerschein unserer Erlösung.
***


Von Herzen heiße ich die Pilger und Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz willkommen. Besonders grüße ich die Schulgemeinschaft Marienhain aus Vechta. Festigt eure Freundschaft mit Gott im treuen und beständigen Gebet! Christus ist die Quelle unseres Friedens. Sein Heiliger Geist begleite euch allezeit.




Mittwoch, 28. April 2004

Lesung: Psalm 27, 7-9.13-14


28 7 Vernimm, o Herr, mein lautes Rufen; sei mir gnädig, und erhöre mich!
8 Mein Herz denkt an dein Wort: »Sucht mein Angesicht!« Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.
9 Verbirg nicht dein Gesicht vor mir; / weise deinen Knecht im Zorn nicht ab! Du wurdest meine Hilfe. Verstoß mich nicht, verlaß mich nicht, du Gott meines Heiles!
13 Ich aber bin gewiß, zu schauen die Güte des Herrn im Land der Lebenden.
14 Hoffe auf den Herrn, und sei stark! Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn!

1. Die Liturgie der Vesper hat Psalm 27 in zwei Abschnitte untergliedert, wobei sie der Struktur des Textes folgt, der einem Diptychon ähnelt. Wir haben soeben den zweiten Teil dieses vertrauensvollen Liedes verkündet, das zum Herrn am dunklen Tag des Angriffs des Bösen aufsteigt. Es handelt sich um die Verse 7-14 des Psalms. Sie beginnen mit einem Bittruf an den Herrn: »Sei mir gnädig, und erhöre mich!« (V. 7), dann drücken sie die intensive Suche nach dem Herrn aus und die große Angst, von ihm verlassen zu werden (vgl. V. 8-9). Am Ende zeigen sie uns einen dramatischen Ausblick, in dem sogar die familiären Bindungen aufhören (vgl. V. 10), während sich die »Feinde« (V. 11), die »Gegner« und die »falschen Zeugen« nähern (V. 12).

Wie im ersten Teil des Psalms ist auch jetzt das entscheidende Element das Vertrauen des Betenden auf den Herrn, der ihn rettet in der Prüfung und stützt im Sturm. Sehr schön ist diesbezüglich die Ermutigung, die der Psalmist am Ende an sich selbst richtet: »Hoffe auf den Herrn, und sei stark! Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn!« (V. 14; vgl.
Ps 42,6 Ps 42,12 Ps 43 Ps 5).

Auch in anderen Psalmen war die Gewißheit lebendig, daß man vom Herrn Kraft und Hoffnung empfängt: »Seine Getreuen behütet der Herr, doch den Hochmütigen vergilt er ihr Tun mit vollem Maß. Euer Herz sei stark und unverzagt, ihr alle, die ihr wartet auf den Herrn« (Ps 31,24-25). Auch der Prophet Hosea ruft Israel auf: »Bewahre die Liebe und das Recht, und hoffe immer auf deinen Gott!« (Os 12,7).

2. Jetzt begnügen wir uns damit, drei symbolische Elemente von tiefer Spiritualität zu beleuchten. Das erste, negative, ist die Bedrohung durch die Feinde (vgl. Ps 27,12). Sie werden als wildes Tier, das »gierig« seiner Beute auflauert, und dann etwas deutlicher als »falsche Zeugen« beschrieben, die aus ihren Nasenflügeln Gewalt zu pusten scheinen, genau wie die wilden Tiere angesichts ihrer Opfer.

Es gibt also in der Welt ein aggressives Böses, das den Teufel zum Führer und Anstifter hat, wie der hl. Petrus schreibt: »Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann« (1P 5,8).

3. Das zweite Bild zeigt klar die Gelassenheit und das Vertrauen des Gläubigen, obwohl er sogar von den Eltern verlassen wurde: »Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf« (Ps 27,10).

29 Auch in der Verlassenheit und im Verlust der nächsten Angehörigen ist der Betende nie ganz allein, weil sich der barmherzige Gott zu ihm niederbeugt. Ein bekanntes Wort des Propheten Jesaja kommt uns in den Sinn, das Gott Gefühle des Mitleids und der Zärtlichkeit zuschreibt, die tiefer sind als bei einer Mutter: »Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde, ich vergesse dich nicht« (Is 49,15).

Wir wollen die alten, kranken und verlassenen Personen, die nie eine Liebkosung erhalten, an diese Worte des Psalmisten und des Propheten erinnern, damit sie die väterliche und mütterliche Hand des Herrn spüren, die still und voll Liebe ihre leidenden und vielleicht tränenbenetzten Gesichter berührt.

4. So kommen wir zum dritten und letzten Sinnbild, das der Psalm mehrmals wiederholt: »Sucht mein Angesicht! Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. Verbirg nicht dein Gesicht vor mir« (V. 8-9). Gottes Antlitz ist also das Ziel der geistlichen Suche des Beters. Am Ende tritt eine unbestrittene Gewißheit hervor, nämlich »die Güte des Herrn … schauen« zu können (vgl. V. 13).

In der Sprache der Psalmen bedeutet »das Angesicht des Herrn suchen« oft den Eintritt in den Tempel, um die Gemeinschaft mit dem Gott Zions zu feiern und zu erfahren. Aber dieser Ausdruck schließt auch das mystische Erfordernis der göttlichen Vertrautheit durch das Gebet ein. In der Liturgie und im persönlichen Gebet wird uns also die Gnade geschenkt, das Antlitz zu erahnen, das wir in unserem Leben auf Erden nie unmittelbar sehen werden (vgl. Ex 33,20). Aber Christus hat uns in erreichbarer Form das göttliche Antlitz geoffenbart und uns versprochen, daß wir bei der endgültigen Begegnung in der Ewigkeit - so schreibt der hl. Johannes - »ihn sehen (werden), wie er ist« (1Jn 3,2). Und der hl. Paulus fügt hinzu: »… dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht« (1Co 13,12).

5. Der große christliche Schriftsteller des 3. Jahrhunderts, Origenes, merkt dazu an: »Wenn ein Mensch das Angesicht des Herrn suchen will, wird er die Herrlichkeit des Herrn unverhüllt schauen, und er wird, nachdem er den Engeln gleich geworden ist, immer das Angesicht des himmlischen Vaters schauen« (). Und der hl. Augustinus setzt in seinem Kommentar zu den Psalmen das Gebet des Psalmisten so fort: »Ich habe keinen Lohn außerhalb von dir gesucht, sondern dein Antlitz. ›Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.‹ Beharrlich will ich diese Suche fortsetzen. Denn ich will nicht etwas Unbedeutendes suchen, sondern dein Angesicht, Herr, um dich ungeschuldet zu lieben, da ich nichts Wertvolleres finde … ›Kehr dich nicht ab im Zorn von deinem Knecht‹, damit ich auf der Suche nach dir nicht auf etwas anderes stoße. Gäbe es denn für den, der liebt und die Wahrheit deines Angesichtes sucht, eine schwerere Strafe als diese?« (Esposizioni sui Salmi, 26,1, 8-9, Roma 1967, Ss. 355.357).

Gott ist der Grund der Hoffnung und die Quelle der Kraft. Aus diesem Wissen betet der Psalmist: „Hoffe auf den Herrn und sei stark!" (Ps 27,14). Angriffe des Bösen bleiben nicht aus, doch das Vertrauen auf Gott gibt Halt und Mut. Auch in Verlassenheit und Einsamkeit ist der gläubige Mensch nie allein. Die Zusage Gottes gilt. Der Herr nimmt seine Liebe nicht zurück.

„Gottes Angesicht schauen" ist das Ziel unseres geistlichen Weges. Wir sind eingeladen, die Gemeinschaft mit Gott in der Vertrautheit des Gebets zu erfahren und zu leben. Dabei trägt uns die Gewißheit, einst die Güte des Herrn im Land der Lebenden schauen zu dürfen (vgl. Ps 27,13). Denn Jesus Christus hat uns das Antlitz Gottes des Vaters offenbart und den Weg zu ihm erschlossen.
***


Sehr herzlich grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Christus hat uns verheißen, den Vater zu sehen. Er schenkt uns die Gnade, ihm schon hier auf Erden im Gebet und in der Liturgie zu begegnen. In seinem Reich werden wir Gott schauen von Angesicht zu Angesicht. Gottes Geist stärke und führe euch alle Tage eures Lebens!



Mai 2004


Mittwoch, 5. Mai 2004



30

Lesung: Brief an die Kolosser\i 1,3.12-20

3 Wir danken Gott, dem Vater Jesu Christi, unseres Herrn, jedesmal, wenn wir für euch beten.
12 Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind.
13 Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes.
14 Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.
15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.
18 Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang.
19 Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen,
20 um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.

31 1. Wir haben den wunderbaren christologischen Hymnus des Briefes an die Kolosser gehört. Er kommt in allen vier Wochen vor, in denen sich die Liturgie der Vesper entfaltet, und wird den Gläubigen als Canticum angeboten. Dabei wird er in der Fassung vorgestellt, die der Text wahrscheinlich von Anfang an besaß. In der Tat sind viele Bibelgelehrte der Meinung, der Hymnus könnte das Zitat eines Liedes der Kirchen von Kleinasien sein, das von Paulus im Brief an die Christengemeinde von Kolossä verwendet wurde, einer damals blühenden und dicht bevölkerten Stadt.

Der Apostel hat sich jedoch niemals an diesen Ort in Phrygien, einer Region der jetzigen Türkei, begeben. Die Ortskirche war von Epaphras, einem seiner Jünger, gegründet worden, der von dort stammte. Er wird am Ende des Briefes kurz erwähnt zusammen mit dem Evangelisten und »Arzt Lukas«, dem »lieben Freund«, wie Paulus ihn nennt (4,14), und mit Markus, dem »Vetter des Barnabas« (4,10), vielleicht dem gleichnamigen Begleiter von Barnabas und Paulus (vgl.
Ac 12,25 Ac 13,5 Ac 13,13) und späteren Evangelisten.

2. Da wir noch mehrmals Gelegenheit haben werden, auf dieses Canticum zurückzukommen, begnügen wir uns für heute mit einem Überblick und einem geistlichen Kommentar, der von einem bekannten Kirchenvater, dem hl. Johannes Chrysostomus (4. Jh. n. Chr.), einem berühmten Redner und Bischof von Konstantinopel, verfaßt wurde. In dem Hymnus erscheint die großartige Gestalt Christi, des Herrn des Kosmos. »Er ist vor aller Schöpfung« wie die vom Alten Testament als Gabe Gottes gerühmte Weisheit (vgl. z. B. Pr 8,22-31), »in ihm hat alles Bestand«; ja, »alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen« (Col 1,16-17).

Es entfaltet sich also im Universum ein transzendenter Plan, den Gott durch das Werk des Sohnes verwirklicht. Das verkündet auch der Prolog des Evangeliums nach Johannes, wenn dieser bekräftigt: »Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist« (Jn 1,3). Auch die Materie mit ihrer Energie, das Leben und das Licht tragen die Spuren des Wortes Gottes, »seines geliebten Sohnes« (Col 1,13). Die Offenbarung des Neuen Testaments wirft neues Licht auf die Worte des Weisen aus dem Alten Testament, der erklärt hatte, »von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen« (Sg 13,5).

3. Das Canticum des Briefes an die Kolosser zeigt eine andere Rolle Christi auf: Er ist auch Herr der Heilsgeschichte, die in der Kirche offenbar wird (vgl. Col 1,8) und sich »am Kreuz durch sein Blut« vollendet (V. 20), der Quelle von Frieden und Harmonie für die ganze Menschheitsgeschichte.

Deshalb ist nicht nur der für uns äußere Horizont von der wirksamen Gegenwart Christi gekennzeichnet, sondern auch die ganz spezifische Wirklichkeit des Menschen, das heißt die Geschichte. Sie ist nicht blinden und vernunftwidrigen Kräften preisgegeben, sondern wird - trotz der Sünde und des Bösen - durch das Werk Christi gestützt und auf die Vollendung ausgerichtet. So wird durch das Kreuz Christi die ganze Wirklichkeit mit dem Vater versöhnt (vgl. V. 20).

Der Hymnus zeichnet auf diese Weise ein wunderbares Bild vom Universum und von der Geschichte, wobei er uns einlädt, Zuversicht zu haben. Wir sind kein unnützes, sinnlos in Raum und Zeit verstreutes Staubkörnchen, sondern Teil eines weisen Planes, der aus der Liebe des Vaters hervorgegangen ist.

4. Wie wir angekündigt haben, geben wir jetzt dem hl. Johannes Chrysostomus das Wort, damit er diese Reflexion eindrucksvoll abschließen kann. In seinem Kommentar zum Brief an die Kolosser spricht er ausführlich über dieses Canticum. Zu Beginn unterstreicht er das ungeschuldete Geschenk Gottes, »der uns fähig gemacht hat, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind« (V. 12). »Warum spricht er von Los?«, fragt sich Chrysostomus und antwortet: »Um zu zeigen, daß niemand durch die eigenen Werke in das Reich Gottes gelangen kann. Wie so oft hat auch hier ›Los‹ die Bedeutung von ›Glück‹. Niemand kann sich so verhalten, daß er das Reich verdient, sondern alles ist Geschenk des Herrn. Deshalb sagt er: ›Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan‹« ().

Diese gütige und mächtige Ungeschuldetheit taucht später wieder auf, wenn wir lesen, daß in ihm alles erschaffen wurde (vgl. Col 1,16). »Von ihm hängt das Wesen von allem ab«, erklärt der Bischof. »Er hat es nicht nur ins Dasein gerufen, sondern er trägt es noch, und wenn es seiner Vorsehung entzogen würde, ginge alles unter und löste sich auf … Alles hängt von ihm ab: In der Tat, schon das Hinneigen zu ihm genügt, um es zu stützen und zu stärken« ().

Um so mehr ist das, was Christus für die Kirche, deren Haupt er ist, vollbringt, Zeichen einer ungeschuldeten Liebe. An dieser Stelle (vgl. V. 18), erklärt Chrysostomus, »erwähnt der Apostel, nachdem er über die Würde Christi gesprochen hatte, auch seine Liebe zu den Menschen: ›Er ist das Haupt seines Leibes, der die Kirche ist‹, und er wollte seine enge Gemeinschaft mit uns zeigen. Er, der so erhaben und allen überlegen ist, vereinigte sich mit denen, die unten sind« ().



Christus ist Herr über Raum und Zeit. „Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand" (Col 1,17). In ihm sehen wir das ewige Wort, das die Geschöpfe durch die Zeiten trägt. Im irdischen Leben stehen wir im Kampf mit dem Bösen und der Sünde. Doch wir wissen: Der Gottessohn gewährt uns Anteil „am Los der Heiligen, die im Licht sind" (Col 1,12). Das Blut Christi am Kreuz schenkt Frieden und Heil.

32 Kreuz und Licht gehören zusammen. Wo das Kreuz aufstrahlt, hat es den Glanz der Liebe Gottes. Die Kirche lebt vom Kreuz her. Wer sich an den Gekreuzigten hält, darf in der Gemeinschaft seiner Liebe ruhen. In ihm, Christus, der das Haupt seiner Kirche ist, findet unsere Existenz ihre Vollendung.
***


Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Heute heiße ich besonders die Eltern und Freunde der Rekruten der Päpstlichen Schweizergarde willkommen, die morgen feierlich vereidigt werden. Ebenso grüße ich die Teilnehmer an der Wallfahrt des Bistums Hildesheim. Lebt als frohe Zeugen der Liebe Christi unter den Menschen! Sein Friede begleite euch!




Mittwoch, 12. Mai 2004



Lesung: Psalm 30, 2-3.9.11-13

2 Ich will dich rühmen, Herr, / denn du hast mich aus der Tiefe gezogen und läßt meine Feinde nicht über mich triumphieren.
3 Herr, mein Gott, ich habe zu dir geschrien, und du hast mich geheilt.
9 Zu dir, Herr, rief ich um Hilfe, ich flehte meinen Herrn um Gnade an.
11 Höre mich, Herr, sei mir gnädig! Herr, sei du mein Helfer!
12 Da hast du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet.
13 Darum singt dir mein Herz und will nicht verstummen. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.

33 1. Eine tiefe und aufrichtige Dankbarkeit steigt zu Gott auf aus dem Herzen des Beters, nachdem sich in ihm der Alptraum des Todes verflüchtigt hat. Dieses Gefühl tritt eindrucksvoll im Psalm 30 zutage, der jetzt nicht nur in unseren Ohren, sondern zweifellos auch in unseren Herzen erklungen ist.

Dieses Danklied besitzt eine bemerkenswerte literarische Feinheit und stützt sich auf eine Reihe von Gegensätzen, die symbolisch die vom Herrn erlangte Befreiung zum Ausdruck bringen. Den »Todgeweihten« stehen jene gegenüber, die »herausgeholt [werden] aus dem Reich des Todes« (V. 4); Gottes »Zorn dauert nur einen Augenblick«, »doch seine Güte ein Leben lang« (V. 6); wer am Abend »weint«, kann am Morgen in »Jubel« ausbrechen (ebd.); dem »Klagen« folgt das »Tanzen«, dem »Trauergewand« das Kleid der »Freude« (V. 12).

Nachdem also die Nacht des Todes vorüber ist, bricht am Morgen der neue Tag an. Darum hat die christliche Tradition diesen Psalm als Osterlied verwendet. Das beweist auch der Vorspann, den die Ausgabe des liturgischen Textes der Vesper dem großen monastischen Schriftsteller des 4. Jahrhunderts, Johannes Cassiodor, entnimmt: »Nach seiner glorreichen Auferstehung sagt Christus dem Vater Dank.«

2. Der Beter wendet sich wiederholt an den »Herrn« - nicht weniger als acht Mal -, um zu sagen, daß er ihn lobpreisen will (vgl. V. 2 und 13); um an seinen Hilferuf in der Zeit der Prüfung (vgl. V. 3 und 9) und an Gottes befreiendes Eingreifen zu erinnern (vgl. V. 2.3.4.8.12); ferner, um erneut seine Barmherzigkeit anzurufen (vgl. V. 11). An anderer Stelle lädt der Beter die Gläubigen ein, dem Herrn zu singen und zu danken (vgl. V. 5).

Die Gefühle schwanken ständig zwischen der schrecklichen Erinnerung an den überstandenen Alptraum und der Freude über die Rettung. Die überstandene Gefahr ist sicher groß und läßt noch erschauern; das überstandene Leiden ist noch klar und lebendig im Gedächtnis; die Tränen wurden erst vor kurzem aus den Augen gewischt. Aber jetzt ist die Morgenröte eines neuen Tages aufgegangen; an die Stelle des Todes ist der Ausblick auf das Leben getreten, das weitergeht.

3. So zeigt der Psalm, daß wir uns nie im dunklen Knäuel der Verzweiflung verstricken dürfen, wenn alles verloren zu sein scheint. Gewiß, ebensowenig darf man sich der Illusion hingeben, sich allein, aus eigenen Kräften retten zu können. In der Tat wird der Psalmist vom Stolz und von der Überheblichkeit versucht: »Im sicheren Glück dachte ich einst: Ich werde niemals wanken« (V. 7).

Auch die Kirchenväter kommentierten diese Versuchung, die sich in der Zeit des Wohlergehens einschleicht, und sie sahen in der Prüfung eine göttliche Mahnung zur Demut. Das tut zum Beispiel Fulgentius, Bischof von Ruspe (467-532) in seinem Brief 3, der an die Klosterschwester Proba gerichtet ist, wenn er den Psalmvers mit folgenden Worten kommentiert: »Der Psalmist bekannte, daß er manchmal stolz auf seine Gesundheit war, als wäre sie eine Tugend von ihm, und daß er darin die Gefahr einer schweren Krankheit erkannt hatte. Denn er sagt: ›Im sicheren Glück dachte ich einst: Ich werde niemals wanken.‹ Und weil er durch diesen Ausspruch die Hilfe der Gnade Gottes verloren hatte und darüber erschrocken und erkrankt war, fährt er fort: ›Herr, in deiner Güte stelltest du mich auf den schützenden Berg. Doch dann hast du dein Gesicht verborgen. Da bin ich erschrocken.‹ Und um zu zeigen, daß die Hilfe der göttlichen Gnade, auch wenn man sie schon besitzt, immer noch demütig und ohne Unterbrechung zu erbitten ist, fügt er hinzu: ›Höre mich, Herr, sei mir gnädig! Herr, sei du mein Helfer!‹ Im übrigen betet niemand und trägt niemand sein Anliegen vor, ohne zuzugeben, daß er Fehler hat; ebensowenig meint er, das, was er besitzt, behalten zu können, indem er nur auf die eigenen Kräfte vertraut« (Fulgenzio di Ruspe, Le lettere, Roma 1999, S. 113).

4. Nachdem er von der Versuchung des Hochmuts in Zeiten des Wohlergehens berichtet hat, denkt der Psalmist an die nachfolgende Prüfung zurück, indem er zum Herrn spricht: »Doch dann hast du dein Gesicht verborgen. Da bin ich erschrocken.«

Der Beter erinnert nun daran, auf welche Weise er zum Herrn gebetet hat (vgl. V. 9-11): Er hat geschrien, um Hilfe gerufen und um Gnade gefleht, wobei er als Grund die Tatsache anführte, daß der Tod keinen Nutzen für Gott bringe, da die Toten nicht mehr fähig seien, Gott zu loben und keinen Grund mehr hätten, Gottes Treue zu verkünden, da sie von ihm verlassen worden seien.

Denselben Gedankengang finden wir in Psalm 87, in dem der Beter, dem Tod nahe, sich an Gott wendet: »Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich?« (
Ps 88,12). Ähnlich König Hiskija, der von einer schweren Krankheit geheilt, zu Gott sagte: »Ja, in der Unterwelt dankt man dir nicht, die Toten loben dich nicht… Nur die Lebenden danken dir« (Is 38,18-19).

So brachte das Alte Testament den sehnlichen Wunsch des Menschen nach dem Sieg Gottes über den Tod zum Ausdruck und zählte verschiedene Fälle auf, in denen dieser Sieg errungen worden war: Menschen, die vom Hungertod in der Wüste bedroht, Gefangene, die der Todesstrafe entflohen waren; geheilte Kranke, vor dem Schiffbruch gerettete Seeleute (vgl. Ps 107,4-32). Aber es handelte sich nicht um endgültige Siege. Früher oder später gewann immer der Tod die Oberhand.

34 Das Streben nach dem Sieg wurde dennoch, trotz allem, stets beibehalten und ist schließlich zur Hoffnung auf die Auferstehung geworden. Die Erfüllung dieses mächtigen Strebens wurde vollkommen zugesichert durch die Auferstehung Christi, für die wir Gott nicht genug danken können.

Gott rettet seine Getreuen aus jeder Not und Gefahr. Diese Erfahrung liegt dem alttestamentlichen Danklied in Psalm 30 zugrunde: „Ich habe zu dir geschrien, und du hast mich geheilt ... Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit" (
Ps 30,3 Ps 30,13).

Weder Verzweiflung angesichts drohenden Unheils noch die Illusion einer Rettung aus eigener Kraft dürfen uns überkommen. In Zeiten des Wohlergehens neigt der Mensch zur Überheblichkeit. Die Prüfungen des Lebens werden darum zu einem Anruf Gottes an unsere Demut. Als schwache Menschen bitten wir unablässig um seine Hilfe. Die Hoffnung auf Befreiung durch Gott im Alten Bund findet in Christus ihre Gewißheit: Seine Auferstehung ist der endgültige Sieg über den Tod.
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Mit Freude heiße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Die Nacht des Todes ist vergangen. In Christus erstrahlt der Sieg des neuen Lebens. Seine Auferstehung ist der Grund unserer Hoffnung. Dankt Gott für seine große Gnade! Der Herr schenke euch seinen Frieden!




Generalaudienz 2004 23