Predigten 1978-2005 76


APOSTOLISCHE REISE IN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

EUCHARISTIEFEIER FÜR DIE GLÄUBIGEN DER DIÖZESE ESSEN


Parkstadion in Gelsenkirchen - Samstag, 2. Mai 1987




77 Verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Friede des auferstandenen Herrn sei mit euch allen!

Es ist mir eine große Freude, den alljährlich zahlreichen Rompilgern aus dem Bistum Essen nun ihren Besuch in der Heimat erwidern zu können. Vom Hubschrauber aus habe ich die gewaltige Konzentration von Wohnungen und Fabriken, von Verkehrswegen und Verwaltungshochhäusern, von Sportanlagen und Erholungsparks in eurem Land gesehen. Darunter habe ich auch viele Kirchen entdeckt, die von eurer christlichen Vergangenheit und eurem heutigen Glauben zeugen. Das Ruhrgebiet als am dichtesten besiedelte Gegend Europas bietet dazu noch zahlreichen Bürgern aus anderen Ländern Gastfreundschaft und neue Lebensgrundlage. Mögen diese besonders in eurer Ortskirche, in euren Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften heimatliche Geborgenheit und brüderliche Solidarität finden.

In aufrichtiger Dankbarkeit für die herzliche Aufnahme, die ihr heute auch mir und meiner Begleitung in eurer Mitte gewährt, begrüße ich euch alle in der Liebe Jesu Christi zu dieser festlichen Vorabendmesse des 3. Ostersonntags: vor allem euren verehrten Oberhirten, Bischof Hengsbach, zusammen mit den anderen anwesenden Bischöfen, die Priester und Ordensleute, die Familien und jeden einzelnen Gläubigen ganz persönlich. Einen besonderen brüderlichen Gruß richte ich an die ausländischen Mitchristen, die mit uns die Eucharistie feiern und dadurch unserem Beten und Singen über alle Sprachgrenzen hinaus katholische Weite geben. In der Kirche Jesu Christi sind alle Menschen Brüder und Schwestern und bilden um den einen Altar die große Familie der ”Hausgenossen Gottes“. Im gemeinsamen Glauben vereint, rüsten wir uns als pilgerndes Volk Gottes nun zu einer neuen gemeinschaftlichen Begegnung mit Christus, unserem auferstandenen Herrn und Erlöser, in der Eucharistie.

2. Liebe Brüder und Schwestern! Wir befinden uns mitten in der Osterzeit, in der die Kirche Jahr für Jahr in der Liturgie zu jenen Ereignissen zurückkehrt, die ihren eigentlichen Anfang darstellen: der Tod Jesu Christi am Kreuz und seine machtvolle Auferstehung. Den Aposteln war es geschenkt, dem Auferstandenen zu begegnen. Gerade diese Begegnung macht sie zu seinen ersten Zeugen. Die entscheidende Aufgabe des Apostels ist, Christi Auferstehung zu bezeugen. Vom ersten Augenblick ihrer Berufung an hat Christus sie auf diese Sendung vorbereitet.

Das Ostergeschehen von Jerusalem leitet auf diesem Weg der Vorbereitung einen neuen und entscheidenden Abschnitt ein. Die Apostel und Jünger begegnen diesem Jesus, der gekreuzigt wurde, der wirklich gestorben ist und begraben wurde wie jeder andere Mensch - und siehe: Er lebt! Er lebt und hat vertrauten Umgang mit ihnen. Er ist verschieden, aber dennoch derselbe. Sie wagten ihn nicht einmal zu fragen: ”Wer bist du? Denn sie wußten, daß es der Herr war“ (
Jn 21,12). Diese erste Stufe der österliche Erfahrung ist von grundlegender Bedeutung.

Aus der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn erinnern sich die Apostel, die ja selbst noch in der geistigen Welt des Alten Bundes leben, auf neue Weise an verschiedene wichtige Aussagen der Heiligen Schriften. Sie hören und verstehen sie nun im Lichte Jesu Christi. Ihre wahre Bedeutung war ihnen vorher ”verborgen“ geblieben - nun wird ihr Sinn ihnen offenkundig und verständlich. So geschieht es auch mit den Worten von Psalm 16, einem der sogenannten ”messianischen Psalmen“: ”Ich habe den Herrn beständig vor Augen. Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht. Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele; und mein Leib wird wohnen in Sicherheit. Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis; du läßt deinen Frommen nicht das Grab schauen“ (Ps 16,8-10).

Von wem spricht der Psalmist, der König und Prophet David, in diesem Psalm? Etwa von sich selbst? Auf keinen Fall! Sagt doch Petrus in der Apostelgeschichte von David: ”Er starb und wurde begraben, und sein Grabmal ist bei uns erhalten bis auf den heutigen Tag“ (Ac 2,29). Im Licht der österlichen Ereignisse wird den Aposteln vielmehr klar, daß der Psalmist hier von Christus spricht. Er spricht ”vorausschauend über die Auferstehung Christi“ (ebd. 2, 31). Was unter dem Schleier der inspirierten Worte des Alten Bundes verborgen war, hat nun durch Christus seine wahre Bedeutung, seinen wollen Sinn erhalten. Er ist durch das neue Verständnis der Apostel und Jünger enthüllt worden.

3. Vor den versammelten Bewohnern von Jerusalem und den Besuchern aus vielen anderen Ländern erweist sich am Pfingsttag, daß Gottes Geist aus diesem neuen Bewußtsein der Gefährten Jesu endgültige Gewißheit gemacht hat: Christus ist wahrhaft auferstanden! Die erste öffentliche Predigt des Petrus ist ein wunderbarer Beweis für diese unerschütterliche Glaubensüberzeugung, die in ihm und in den anderen Aposteln aus der Begegnung mit dem auferstandenen Christus herangereift ist.

Petrus nimmt ausdrücklich Bezug auf den messianischen Psalm Davids; denn er spricht ja zu Menschen, die wir er mit diesem Heiligen Schriften groß geworden sind. Auf diesen gemeinsamen Boden gründet er sein Zeugnis über Christus, das den Anfang der gesamten Evangelisierung und Katechese in der apostolischen Kirche darstellt. Petrus sagt:

”Jesus von Nazaret, den Gott vor euch beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wißt - ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht.

78 Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt; denn es war unmöglich, daß er vom Tod festgehalten wurde“ (Ac 2,22-24).

Durch dieses Zeugnis der Apostel über Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, beginnt dann der Weg des Evangeliums in alle Welt. Es gelangt über alle Grenzen und Hindernisse hinweg schließlich auch in euer Land. Eure Vorfahren haben sich diesem weltweiten Pilgerweg des christlichen Glaubens angeschlossen. Sie haben das Zeugnis der Apostel und ihrer Nachfolger angenommen und sind in die Gemeinschaft der Gläubigen eingetreten. Wie schon in Jerusalem wurde auch hier aus derselben Wurzel des Ostergeschehens die Kirche geboren.

4. Die Anfänge der Kirche in eurem Land reichen zurück bis in die ersten christlichen Jahrhunderte. Die ältesten Märtyrergräber, die ihr in einigen Kirche eurer weiten Heimat hütet, stammen sogar schon aus der Römerzeit. Der christliche Glaube hat auch in eurem Volk bald tiefe Wurzeln geschlagen und reiche Früchte eines lebendigen religiösen Lebens und der Heiligkeit hervorgebracht. Eure heiligen Bischöfe Altfried und Ludgerus sind leuchtende Beispiele dafür. Ihr dürft stolz darauf sein, ihre Gräber in dieser Diözese verehren zu können. In allen Jahrhunderten haben sich aus eurer Mitte Männer und Frauen erhoben, die den Ruf Jesu angenommen und sich persönlich zu eigen gemacht haben: ”Ihr werdet meine Zeugen sein . . . bis an die Grenzen der Erde“ (Act. 1, 8) - und das bis in unsere Gegenwart.

Zeugen aus eurem Land, die euch den Weg zeigen, echte Jünger Christi in unserer Zeit zu sein, kann ich in diesen Tagen im Namen der Kirche besonders ehren. Gestern: die Karmelitin Edith Stein in Köln: morgen: den Jesuitenpater Rupert Mayer in München. Sodann galt mein Besuch auch dem Grab des mutigen Bekennerbischofs Clemens-August Graf von Galen in Münster. Aber auch aus eurer engeren Heimat sind Namen zu nennen, Männer aus der Welt der Arbeit, die sich durch ihr heroisches Glaubenszeugnis ausgezeichnet haben: der Bergmann, Journalist und Widerstandskämpfer Nikolaus Gross, der Duisburger Arbeitersekretär Gottfried Könzgen, der Gewerkschaftler und Schriftleiter Bernhard Letterhaus. Sie haben ihr Leben für ihren Glauben und ihre Kirche hingegeben. Zahlreiche Priester und Laien waren mit ihnen standhafte Zeugen gegen den Ungeist einer gottlosen und menschenverachtenden Diktatur. Diese Zeugen ermutigen jeden von uns, selbst für Christus unerschrocken Zeugnis zu geben in der Familie, im Wohnviertel, im Beruf, in der Schule, in Arbeit und Freizeit. Das Wort des Herrn: ”Ihr werdet meine Zeugen sein“ muß jede Generation von Christen neu beunruhigen und beflügeln.

5. Liebe Brüder und Schwestern! Der Aufruf, Zeugen Christi zu sein, erreicht uns aus dem Munde des auferstandenen Herrn. Vor seiner Himmelfahrt gibt er uns noch die feste Versicherung: ”Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Als österliche Menschen sind wir heute von dem in unserer Mitte anwesenden Herrn in unsere Welt und unsere Zeit gesandt, um von ihm und seiner erlösenden Wahrheit vor unseren Mitmenschen Zeugnis zu geben. Wie im heutigen Evangelium steht Jesus auch am Ufer unserer Zeit, am Ufer des Lebens eines jeden von uns. Er hat das Feuer schon angezündet. Viele haben ihn jedoch noch nicht erkannt. Es geht ihnen wie den Jüngern, die zunächst noch ”nicht wußten, daß es Jesus war“. Aber das Zeugnis und die Erkenntnis von seiner erlösenden Gegenwart sind nicht mehr aufzuhalten: Ohne ihn gibt es keinen Halt und keine Hoffnung. Ohne ihn ist alle menschliche Mühe vergeblich und wird der Hunger der Menschen nicht gestillt. Ohne ihn öffnet sich keine Tür jenseits des Todes. Christus ist in die Welt gekommen und als der auferstandene Herr unter uns gegenwärtig, ”damit wir das Leben haben und es in Fülle haben“ (Jn 10,10).

Um von Christus und seinem neuen Leben wirksam Zeugnis geben zu können, müssen wir uns zuerst selbst von ihm ganz ergreifen lassen. Wie die Jünger am See von Tiberias sind jedoch auch wir immer wieder versucht, kleingläubig zu werden und aufzugeben. Obwohl jene die Botschaft von der Auferstehung Jesu schon von Maria Magdalena gehört hatten, obwohl sie ihm selber verschiedene Male leibhaftig begegnet waren, kehrten sie wieder zu ihren Booten zurück, als ob nichts geschehen wäre. Es klingt nach Resignation: ”Ich gehe fischen . . . wir kommen auch mit“. Der Aufbruch zu neuen Ufern in der Nachfolge Christi scheint vorbei. Und selbst in ihrem kleinen begrenzten Erfahrungsbereich als Fischer am See bleiben sie ohne Erfolg: ”In dieser Nacht fingen sie nichts“. Obwohl die Jünger sich die ganze Nacht abgemüht hatten, blieb ihr Netz leer. Diese Erfahrung der Erfolglosigkeit, die leicht zu Mutlosigkeit führt, wird heute von vielen Menschen geteilt: in der Gesellschaft, in der Welt der Arbeit, aber auch in der Kirche. Trotz größter Anstrengungen für die Erhaltung der Arbeitsplätze im Kohlenbergbau muß eine Zeche nach der anderen geschlossen werden. Wie viele Bewerbungen mögen Jugendliche auf ihrer Suche nach Arbeit schreiben und erhalten nichts als Absagen! Und die Kirche? Es wurde in den letzten Jahren mehr für die Erneuerung des religiösen Lebens beraten und getan als zuvor, aber die Kirchen wurden leerer, das religiöse Interesse und das christliche Glaubenszeugnis gehen zurück.

Kreuzweg und Grablegung bleiben dem oft nicht erspart, der es lernen muß, seine ganze Hoffnung auf die Auferstehung durch Gott zu setzen. Es scheint, der Herr müsse uns unsere eigenen Mittel nehmen, damit unser Blick frei wird für ihn. Denn er sucht unsere Gemeinschaft. Wie es in der Frohen Botschaft des heutigen Evangeliums heißt: ”Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer“. Er braucht zuerst die ehrliche Antwort der Jünger, das Eingeständnis der eigenen Ausweglosigkeit und Ohnmacht: ”Habt ihr nicht etwas zu essen? Sie antworten ihm: Nein“. Dann folgt die göttliche Hilfe: ”Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet etwas fangen. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es“. Plötzlich tritt der auferstandene Herr als lebendige Wirklichkeit in ihr Leben und verwandelt es, gibt allem einen neuen Sinn und oft eine unerwartete, tiefere Erfüllung.

6. Laßt, liebe Mitchristen an der Ruhr, Christus, den Auferstandenen, auch in euren Lebensraum wieder machtvoll eintreten. Öffnet ihm erneut die Tore eurer Gesellschaft, eurer Gemeinden und Familien, eures persönlichen Lebens. Mut zur Zukunft, Zuversicht, Überwindung von Resignation und gemeinsames Handeln sind Tugenden, die wir von den Fischern aus ihrer Begegnung mit dem Herrn am See von Tiberias lernen können. Diese sind auch eine gute Voraussetzung für eine menschengerechte Zukunft des Ruhrgebietes. Lassen wir uns aber vor allem durch das Beispiel des Petrus begeistern und mitreißen. Er sprang in den See, um schneller beim Herrn zu sein. Ich möchte euch zurufen: Zögert auch ihr nicht, zu Christus, dem Herrn, zu kommen. Zu viele Menschen stehen da und ahnen vielleicht etwas von der neuen, weltverwandelnden Lebenskraft des Mannes am Ufer, aber sie zögern. Sie haben sich ihr Leben anders eingerichtet, sie scheuen den prüfenden Blick Jesu Christi. Zu viele stehen da und wissen schon etwas mehr vom Herrn und seinem geheimnisvollen Feuer, aber sie springen nicht. Gewiß haben viele junge Männer den Ruf zum Priestertum, zum Menschenfischersein gehört, aber sie sind unentschlossen, weil sie sich selbst oder dem Netz der Kirche oder der Erscheinung des Herrn am Ufer nicht trauen. Zu viele junge Mädchen fahren kreuz und quer auf dem See ihres Lebens umher, und während die Netze der Ordensgemeinschaften immer weitmaschiger werden, lassen sie den Herrn allein am Ufer stehen. Ihr Eltern, bekennt euch zu Christus durch eine christlich gelebte Ehe und Familie. Die Kirche zeigt euch dazu in ihrer Lehre den gottgewollten Weg. Werdet selbst Apostel für eure Kinder, indem ihr ihnen euren überkommenen Glauben gewissenhaft weitervermittelt. Ihr Verantwortlichen und Werktätigen, übt christliche Rücksichtnahme und Solidarität in der rauhen Welt der Arbeit, besonders mit den Arbeitslosen. Bekennt euch alle in tätiger Hilfsbereitschaft zu den kranken und alten Menschen, zu den Entrechteten und Ausgestoßenen in eurer Gesellschaft. Es ist Christus, der Herr, der euch als seine Zeugen der Botschaft der Liebe und Versöhnung in Dienst nehmen möchte.

Was ich über die Tugenden gesagt habe, die eurer Heimat eine verheißungsvolle Zukunft geben können, das gilt erst recht vom Glaubensmut. In solch gläubigem Einsatz hat die katholische Bevölkerung des Ruhrgebietes unter großen Opfern eine imponierende Zahl von Kirchen gebaut, ebenso von Krankenhäusern und karitativen Einrichtungen. Laßt diese nicht zu Denkmälern aus einer vergangenen Welt werden oder zu Institutionen, denen ihr christlicher Ursprung nicht mehr anzumerken ist. Füllt sie vielmehr mit Liebe und Leben. Laßt sie zu Knotenpunkten eines Netzes werden, das nicht zerreißt, zu Stätten der Offenbarung österlicher Lebenskraft, die auch heute die Welt zu verwandeln vermag. Wißt aber vor allem, daß vor aller Tüchtigkeit und Treue im Reich Gottes noch ein neues Gesetz gilt: Der Erfolg ist nicht Ergebnis von Tugend und Leistung, sondern Geschenk. Der reiche Fischfang der Jünger ist nicht ein Rekord, sondern eher ein Symbol. In der geheimnisvollen Zahl wird die Osterwirklichkeit anschaulich: Fülle statt Leere, Erfüllung statt Vergeblichkeit - und zwar in der Kraft des auferstandenen Herrn.

7. Liebe Brüder und Schwestern! Unser Blick auf das österliche Geschehen am See von Tiberias läßt uns unser eigenes Christsein tiefer verstehen. Christus, der Gekreuzigte und Gestorbene, der lebt, ist uns als der Auferstandene heute ebenso gegenwärtig wie damals seinen Jüngern, auch hier in der Welt der Rohstoff- und Energiegewinnung, der Produktion und des Handels an Rhein, Ruhr und Emscher. Es gilt nur, ihm unter uns wieder volles Heimatrecht zu gewähren und ihn erneut in unserer Mitte willkommen zu heißen.

Ebenso ist das im Evangelium Berichtete nicht ferne Vergangenheit, sondern lebendige Gegenwart. ”Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und eßt! . . . Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen (ebenso den Fisch)“. Das geschieht hier und jetzt. So imponierend die Kohlenfeuer des Ruhrgebietes sind, das geheimnisvolle Kohlenfeuer im Evangelium brennt weiter in allen Kontinenten und zu allen Zeiten. Es sorgt dafür, daß die Welt nicht erkaltet, weil die Liebe selbst sich hier verteilt in der unscheinbaren Gestalt von Brot. Sorgt, daß ihr nicht erfriert im Egoismus und Konkurrenzkampf, im Leerlauf der Betriebsamkeit und Vergnügungsjagd, sondern kommt zum Osterfeuer der heiligen Messe, laßt den Sonntag, den Tag des Herrn, nicht ausbluten, laßt das wärmende und leuchtende Kohlenfeuer am Ufer eures Lebens nicht erlöschen. Laßt Christus nicht allein am Ufer stehen. Ihr sorgt euch, daß die Förderbänder laufen und die Feuer in den Stahlwerken nicht erlöschen, weil euch die Sorge um die Arbeitsplätze drückt. Ich teile eure Sorge. Teilt ihr auch meine Sorge, daß die Feuer des Glaubens nicht herunterbrennen, daß nicht Asche bleibt statt Glut.

79 Petrus bekam vom Herrn den Auftrag: ”Stärke deine Brüder!“ (Lc 22,32). Hört heute auf die Stimme des Petrus unter euch: Glaubt an die Zukunft eurer Heimat! Glaubt an die Zukunft der Kirche! Glaubt an den auferstandenen Herrn und Heiland Jesus Christus, der uns versichert hat, immer bei uns zu sein, alle Tage bis zum Ende der Welt. Amen.

Bevor wir am Ende dieser Eucharistiefeier Gottes Segen erbitten, möchte ich noch ein besonderes Wort an die hier anwesenden Jugendlichen und an die ganze Jugend in eurem Land richten. Liebe junge Freunde!

Von Herzen grüße ich euch noch eigens bei diesem festlichen Gottesdienst und auch daheim in euren Gemeinden und Verbänden. Christus ist unsere gemeinsame Berufung. Er ist wirklich in unserer Mitte: in seiner Kirche, besonders in der Eucharistie. Er möchte sich ganz uns schenken, um uns zu seinen Freunden und Jüngern zu machen. Die innige Beziehung, die Christus mit uns eingehen will, ist die einzige Freundschaft, die nie enttäuschen kann. Jesus ist treu; er hält, was er verspricht. Deshalb ist Christus euer wahrer Freund. Ihr werdet keinen treueren Weggefährten finden. Laßt darum auch eure Antwort an ihn nicht kleinlich sein. Reicht ihm nicht nur euren kleinen Finger! Öffnet ihm weit die Türen eurer eigenen Freundschaft! Man zahlt Großes nicht mit kleiner Münze zurück. Gebt ihm euer Herz, euren Kopf, eure Hände! Und wenn er dich persönlich in seine engere Nachfolge ruft, so versage ihm deine Gefolgschaft nicht.

Mit Christus gibt es kein Verlustgeschäft! Er gibt euch so reichlich, daß ihr davon noch andere bereichern und mit ihm die Welt verändern könnt. Die Welt ist arm geworden in den menschlichen Beziehungen. Darum bemüht euch um Verläßlichkeit, Treue, Wahrhaftigkeit und Solidarität, auch wenn in der Gesellschaft oft Eigennutz, Gewinnstreben, Rücksichtslosigkeit und Egoismus das Leben bestimmen wollen. Denkt insbesondere auch an eure Kameraden ohne Ausbildungsplatz und ohne Arbeit, an die Ausländer, an Behinderte, an Jugendliche in schwierigen familiären Verhältnissen, aber auch an die Menschen in der Dritten Welt, die sich nach Gerechtigkeit und Frieden sehnen und dafür große Opfer bringen müssen.

Ich freue mich heute besonders, daß so viele Pfadfinder und Pfadfinderinnen zu dieser Eucharistiefeier gekommen sind. Euch möchte ich, wie letztes Jahr euren italienischen Freunden, sagen: ”Erweist euren Dienst immer und überall jedem Menschen, der ihn braucht, selbstlos und großzügig. So erfüllt ihr das Testament eures Gründers Sir Robert Powell, in dem es heißt: "Die echte Weise, glücklich zu sein, besteht darin, andere glücklich zu machen““.

Liebe Jugend! Freunde haben sich etwas zu sagen, es drängt sie immer wieder zum Gespräch. Das gilt auch in der Freundschaft mit Christus. Im Gebet suchen wir das Gespräch mit ihm. Christus können wir alles sagen, was uns bewegt; ihn dürfen wir um alles bitten, was wir nötig haben. Im Gebet bleibt unsere Freundschaft mit Christus lebendig.

Gleich nach der heiligen Messe wollen wir alle gemeinsam hier im Stadion den Rosenkranz beten. Dieses Gebet, das in seinen Ursprüngen auch auf den Raum des Bistums Essen zurückgeht, ist für unzählige Menschen bis auf den heutigen Tag Zeichen und Mittel inniger Verbundenheit mit Christus. Gerade in schweren Zeiten, in Bedrängnis, Verlassenheit, Krankheit und Todesnot haben Menschen immer wieder zum Rosenkranzgebet ihre Zuflucht genommen, in ihm Trost und neue Kraft gefunden. Wir wollen uns heute ganz bewußt in diese Kette der Beter durch die Jahrhunderte einreihen. Maria, die Mutter Jesu und unsere Mutter, hilft uns dabei, Jesus nicht aus den Augen zu verlieren, wenn wir uns – wie sie –, offen für das Wort Gottes und treu unserer Berufung, von Christus ergreifen lassen. Dabei begleite auch ich euch mit meinem besonderen Gebet und Segen.



APOSTOLISCHE REISE IN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

SELIGSPRECHUNG DES JESUITENPATERS RUPERT MAYER


Münchener Olympiastadion - Sonntag, 3. Mai 1987

”Seht, ich sende euch . . .“ (Mt 10,16). ”Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!“ (Ep 6,10)


Verehrte Mitbrüder, liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Aufruf des Apostels Paulus zur Stärke im Herrn ist gleichsam die angemessene Ergänzung jener Worte, die Jesus bei der ersten Aussendung der Apostel spricht. Die Kirche nimmt beide Texte heute als Lesungen für die Liturgiefeier, in der ich euren Landsmann, den Jesuitenpater Rupert Mayer, seligsprechen darf; hier in der Stadt München, mit der sein Leben und priesterlicher Dienst auf das engste verbunden sind.

80 Erst vor einem halb Jahren konnte ich in Rom die bayerische Ordensfrau Schwester Maria Theresia von Jesu Gerhardinger zur Ehre der Altäre erheben, die ebenfalls in dieser Stadt gelebt und weltweit gewirkt hat. Es ist mir deshalb eine besondere Freude, heute wiederum einen aus eurer Mitte im Namen der Kirche den Gläubigen zur Verehrung und Nachahmung vor Augen zu stellen. Pater Rupert Mayer wird zu Recht ”Apostel Münchens“ genannt. Aber das Licht seines Lebens und Wirkens leuchtet weit über diese Stadt hinaus in die weite Welt.

Von Herzen grüße ich alle, die sich hier eingefunden haben, um im festlichen Gottesdienst gemeinsam mit uns diesen Gnadentag zu begehen. Nicht wenige davon haben unseren neuen Seligen gewiß noch persönlich gekannt. Mein brüderlicher Gruß gilt vor allem dem verehrten Herrn Erzbischof in München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, sowie allen anwesenden Bischöfen, den Priestern und Ordensleuten; darunter besonders den Patres und Brüdern der Gesellschaft Jesu, der unser Seliger angehört hat, und den Schwestern der Heiligen Familie, deren Mitbegründer und langjähriger Spiritual er gewesen ist. Ich grüße ferner seine Landsleute aus der Heimatdiözese Rottenburg und die Mitglieder der Marianischen Männerkongregation, die in ihrem früheren Präses nun einen mächtigen himmlischen Fürsprecher erhalten; ebenso die Vertreter aus Staat und Gesellschaft sowie alle Gäste von nah und fern, die durch ihre Anwesenheit das Andenken dieses mutigen Glaubenszeugen ehren.

2. Die Worte des heutigen Evangeliums, die Christus bei der ersten Aussendung an die Apostel gerichtet hat, scheinen im Leben und Wirken des Dieners Gottes Rupert Mayer eine neue Aktualität zu gewinnen. Christus sagt: ”Ich sende euch die Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ Und darauf; ”Nehmt euch aber vor den Menschen in acht“ (
Mt 10,16-17). Wie vielsagend sind doch diese Worte: Ich sende euch zu den Menschen - und zugleich: Ich warne euch vor den Menschen. Und warum warnt Christus seine Jünger vor ihnen? ”Sie werden euch vor die Gerichte bringen . . . Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt . . .“.

Als Rupert Mayer sich im Jahre 1900 als junger Priester zum Eintritt in die Gesellschaft Jesu entschloß, galten die Jesuiten noch offiziell als ”Reichsfeinde“, die durch Gesetz des Landes verwiesen und verboten waren. Er selbst bezeichnet sie als ”Geächtete, Verbannte und Heimatlose“, da ihnen nicht gestattet war, im damaligen Reichsgebiet eigene Niederlassungen zu gründen und zu unterhalten. Die mächtig geschürte antikatholische Hetze und Aktivität gegen den Orden - statt ihn abzuschrecken - bestärkte ihn vielmehr noch in seinem Willen, sich dieser so geschmähten Gesellschaft Jesu anzuschließen. Durch seinen baldigen Ruf nach München wurde Pater Mayer in zunehmendem Maße mit antireligiösen und antikirchlichen Strömungen, mit einer Atmosphäre von Hohn und Haß gegen Christus und die Kirche konfrontiert, in der es immer mehr Mut und Tapferkeit erforderte, den katholischen Glauben frei zu bekennen. Je offenkundiger und brutaler in jenen Jahren der Kampf gegen Religion und Kirche wurde, ein um so entschiedener und unerschrockener Kämpfer für die Wahrheit des Glaubens und für die Rechte der Kirche wurde unser neuer Seliger.

Wir hörten in der Lesung aus dem Epheserbrief die Worte des Apostels: ”Legt die Rüstung Gottes an, damit ihr am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt . . . Gürtet euch mit Wahrheit . . . Vor allem greift zum Schild des Glaubens . . . Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes!“. Was der Apostel hier empfiehlt, hat Rupert Mayer in hervorragender Weise getan. Er hat Gottes Rüstung angezogen und sie bis zu seinem Tod nie mehr abgelegt. Unerschrocken und unbeugsam kämpfte er für die Sache Gottes. Als unbestechlicher Zeuge der Wahrheit widerstand er den Lügenpropheten jener Jahre ins Angesicht, immer bereit, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen, ausgerüstet mit dem Schild eines tiefen, unbeirrbaren Glaubens führte er in seinen berühmten Predigten das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes. Es gab Monate, in denen er bis zu siebzigmal predigte.

3. ”Wenn man euch vor Gericht stellt, macht euch keine Sorgen . . .“, sagt Jesus weiter zu den Aposteln. Rupert Mayer wußte, daß nach 1933 seine Predigten von der Polizei überwacht wurden. Trotzdem verkündete er die Wahrheit ungeschminkt und unverkürzt. Als er gefangengenommen wurde, gab er vor der Geheimen Staatspolizei zu Protokoll: ”Ich erkläre, daß ich im Falle meiner Freilassung trotz des gegen mich verhängten Redeverbotes nach wie vor sowohl in den Kirchen Münchens als auch im übrigen Bayern, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, predigen werde“. Er konnte nicht schweigen, ebensowenig wie der Apostel Paulus, der sagte: ”Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“.

Bereitwillig nahm unser Seliger dafür Gefängnis und Konzentrationslager auf sich. Er schrieb auf den Fragebogen, den er im Gefängnis auszufüllen hatte: ”Ich bin mit diesem Los keineswegs unzufrieden: ich empfinde es nicht als Schande, sondern als Krönung meines Lebens.“ Und aus der Gestapo-Haft vor der Einlieferung in das Konzentrationslager Sachsenhausen berichtet er: ”Als die Gefängnistür eingeschnappt war und ich allein in dem Raum war, in dem ich schon so viele Stunden zugebracht hatte, kamen mir die Tränen in die Augen, und zwar waren es Tränen der Freude, daß ich gewürdigt wurde, um meines Berufes willen eingesperrt zu werden und einer ganz ungewissen Zukunft entgegenzusehen.“ Das ist nicht die Stimme eines lediglich tapferen Menschen, sondern eines Christen, der stolz darauf ist, am Kreuz Christi teilzuhaben. Vorgestern habe ich in Köln die Karmelitin Schwester Teresia Benedicta a Cruce, die vom Kreuz Gesegnete, seliggesprochen. Beide Selige gehören zueinander. Denn auch eurer Münchener Seliger, Pater Rupert Mayer, war vom Kreuz gesegnet.

In einem Brief aus dem Gefängnis an seine betagte Mutter lesen wir: ”Jetzt habe ich wirklich nichts und niemanden mehr als den lieben Gott. Und das ist genug, ja übergenug. Wenn die Menschen doch einsehen wollten, es gäbe viel mehr Glückliche auf Erden“. In der Einsamkeit seiner Haft galt das ganze Mühen von Pater Rupert Mayer der Vertiefung seiner inneren Bindung an Gott. In völliger Hingabe an ihn suchte er alle Bedrängnisse und Nöte für seine innere Erneuerung und Heiligung fruchtbar zu machen. Als Angeklagter vor seinen Richtern erfuhr er die tröstende und stärkende Nähe Gottes, die Christus seinen Zeugen verheißen hat: ”. . . macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden“.

4. Diese Worte Jesu sind eine Vorankündigung der Lebensgeschichte der Apostel, der besonderen Gegenwart Gottes in Ihrem Wirken, vor allem in ihrem Glaubenszeugnis. Sie bewahrheiten sich schon in jener Begebenheit, von der die heutige erste Lesung spricht. Am Pfingstfest ”trat Petrus auf, zusammen mit den Elf“ und sprach zum ersten Mal zu den versammelten Bewohnern von Jerusalem und den Besuchern, die zum Fest gekommen waren. Er legte Zeugnis ab für Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Ist es aber wirklich nur Petrus, der an diesem bedeutungsvollen Tag spricht? Oder ist es vielleicht ”nicht nur Petrus“? In der Tat! Durch Petrus spricht zugleich der Geist des Vaters und des Sohnes.

Ebenso scheinen die Worte des Psalmisten und Königs David, die Petrus anführt, nicht nur von diesem, sondern auch von unserem neuen Seligen gesprochen zu werden: ”Du zeigst mir die Wege zum Leben, du erfüllst mich mit Freude vor deinem Angesicht“. Selbst inmitten großer Bedrängnis erfährt Pater Rupert Mayer Gott als die innere Kraft und beglückende Erfüllung seines Lebens, Zugleich wird er aus dieser tiefen Verbundenheit mit Gott in den Zeiten großer Not selbst für viele Menschen zum Quell des Trostes, zum Vermittler neuer Hoffnung und Zuversicht, zum Vater der Armen, die ihn ihren 15. Nothelfer nannten. Wie sich die Menschen einst um Jesus scharten und bei ihm Hilfe fanden, strömten sie mit allen ihren Nöten auch zu ihm. Sechzig, siebzig Hilfesuchende klopften täglich an seine Tür. Mit offenem Herzen nahm er sie alle auf. Viele Stunden verbrachte er auch im Beichtstuhl, zu dem sich die Menschen drängten, um Hilfe in ihrem geistlichen Nöten zu suchen.

”Es muß Wärme von uns ausgehen, den Menschen muß es in unserer Nähe wohl sein, und sie müssen fühlen, daß der Grund dazu in unserer Verbindung mit Gott liegt“. Mit diesem Wort sagt uns der neue Selige, worum es ihm im Dienst an den Armen ging: er wollte Gottes Liebe sichtbar und erfahrbar machen und die Menschen spüren lassen, daß sie von Gott geliebt sind. Seine Güte und Hilfsbereitschaft war von solcher Kraft, daß er es auch ertrug, wenn sie einmal mißbraucht wurden. Als man ihn darauf aufmerksam machte, gab er nur zur Antwort: ”Wer noch nicht angeschmiert wurde, hat nie etwas Gutes getan“. Die Torheit seiner Liebe ist Teilhabe an der Torheit des Kreuzes, in der sich der liebende Gott uns zugewandt hat, um uns alle an sich zu ziehen.

81 5. Der Grundsatz, dem Pater Rupert Mayer zeitlebens treu geblieben ist, lautet: ”Christus, der Mittelpunkt unseres Lebens. Zwischenlösungen gibt es nicht“. Was er war, das wollte er ganz sein. Diese seine Entschiedenheit in der Nachfolge Christi hat ihn auf den Weg der Heiligkeit geführt. Gemäß dem Wahlspruch seines Ordens: ”Alles zur größeren Ehre Gottes“ ging es ihm vor allem um Gottes Ehre und damit um die Rechte Gottes. ”Der Herrgott hat das erste Anrecht auf uns“, sagte er. Und er wußte, daß er damit auch für die Rechte und Würde des Menschen kämpfte.

Wir hören heute viel von Menschenrechten. In sehr vielen Ländern werden sie verletzt. Von Gottesrechten aber spricht man nicht. Und doch gehören Menschenrechte und Gottesrechte zusammen. Wo Gott und sein Gesetz nicht geehrt werden, erhält auch der Mensch nicht sein Recht. Wir sehen das deutlich am Verhalten der nationalsozialistischen Machthaber. Sie kümmerten sich nicht um Gott und verfolgten seine Diener: und so gingen sie auch unmenschlich mit den Menschen um, in Dachau vor; den Toren Münchens wie in Auschwitz vor den Toren meiner früheren Bischofsstadt Krakau. Auch heute gilt: Gottesrechte und Menschenrechte stehen und fallen miteinander. Unser Leben ist nur dann in Ordnung, wenn unser Verhältnis zu Gott in Ordnung ist. Deshalb sagte Pater Rupert Mayer in den weltweiten Bedrängnissen des letzten Krieges: ”Die heutige Zeit ist eine furchtbar ernste Mahnung für die Völker der Erde, zurückzukehren zu Gott. Es geht nicht ohne Gott!“. Dieses Wort unseres Seligen hat auch heute nichts an Gewicht verloren. Auch heute; gilt es, Gott zu geben, was Gottes ist. Dann wird auch dem Menschen gegeben werden, was des Menschen ist.

6. Liebe Brüder und Schwestern! Die Seligen und Heiligen der Kirche sind Gottes lebendige und gelebte Botschaft an uns. Deshalb stellt sie uns diese Zur Verehrung und Nachahmung vor Augen. Öffnen wir uns also heute jener Botschaft, die uns der neue Selige Rupert Mayer durch sein Wort und Wirken so anschaulich verkündet. Suchen wir wie er in Gott die Mitte und Quelle unseres Lebens. Auf Gott baute er in unerschütterlichem, kindlichem Vertrauen. ”Herr, wie du willst, soll mir geschehn, und wie du willst, so will ich gehn,, hilf deinen Willen nur verstehn“, so lautet der erste Vers seines Lieblingsgebetes. Gott, der Herr, war die Quelle, aus der er in langen Stunden des Gebetes, in der heiligen Messe und in der täglichen treuen Pflichterfüllung die Kraft schöpfte für sein erstaunliches Lebenswerk.

Suchen auch wir aus derselben Kraftquelle unser Leben und unsere Umwelt zu gestalten. Der selige Rupert Mayer ist für uns alle ein Vorbild und Anruf, ein heiliges Leben zu führen. Heiligkeit ist nicht eine Sache für einige auserwählte Seelen: zur Heiligkeit sind wir alle berufen, alle ohne Ausnahme. Und er selber sagt uns auch, was zu einem heiligen Leben gehört: ”Keine außergewöhnliche Arbeit, keine außergewöhnlichen religiösen Erlebnisse, keine Erscheinungen. Nur: Heroische Tugend“. Das heißt: Tag für Tag treu und unbeirrt Gottes Willen tun und aus seiner Gegenwart leben; jeder ganz persönlich und auch in der Familie. Wir wissen, wie unserem Seligen besonders die christliche Familie am Herzen lag und er zu ihrer Förderung mit zwei anderen Priestern sogar eine eigene Schwesterngemeinschaft gegründet hat. Die hohe Zahl der Ehescheidungen und die geringe Kinderzahl zeigen, welch großen Belastungen und Bedrohungen die Familie in der heutigen Gesellschaft ausgesetzt ist. In euren Familien aber entscheidet sich die Zukunft eures Volkes, auch die Zukunft der Kirche in eurem Volk. Haltet zusammen, daß die Familien gestärkt werden. Haltet die Ehe heilig und laßt die eheliche Liebe fruchtbar werden in den Kindern, die Gott euch schenken will.

7. Sein Leben heiligen heißt aber auch, sich für das öffentliche Leben mitverantwortlich zu fühlen und es aus dem Geiste Christi mitzugestalten. Keinem Christen darf es gleichgültig sein, wie es in der Welt zugeht. Männer, Frauen und meine jungen Freunde, euch alle rufe ich auf: Setzt euch wie Rupert Mayer für Gottes Rechte und Gottes Ehre auch in der Öffentlichkeit ein. Laßt nicht zu, daß die Entchristlichung weiter um sich greift. Seid Salz der Erde und tragt das Licht der Wahrheit Gottes in alle Bereiche des Lebens hinein. Das ist der Dienst, den wir der Welt schulden. Es geht nicht ohne Gott! Habt nach dem Vorbild unseres Seligen vor allem auch ein Herz für die Armen. Ihr lebt in einem Land, das zu den wohlhabendsten Ländern der Erde gehört. Laßt euer Herz durch euren Besitz nicht stumpf werden für die Not der Hilfsbedürftigen und Vergessenen am Rande eurer Gesellschaft und in aller Welt. Macht auch ihr durch eure Güte Gottes Liebe sichtbar und erfahrbar unter euren Mitmenschen.

Liebe Schwestern von der Heiligen Familie, eure Gemeinschaft wurde durch Pater Rupert Mayer nicht nur mitgegründet, sondern vor allem auch geistig geformt. Haltet seinen Geist lebendig. Euer Ideal veraltet nicht. Die Aufgabe, für die eure Gemeinschaft gegründet wurde, ist noch immer zeitgemäß.

Liebe Sodalen der Marianischen Männerkongregation, ihr hütet in eurer Kongregationskirche als kostbaren Schatz das Grab des neuen Seligen, an dem ich nach diesem Gottesdienst beten werde. Hütet auch das geistige Erbe, das er euch hinterlassen hat: die Liebe zu Maria und die Bereitschaft zum Dienst an der Welt.

Liebe Patres und Brüder des Gesellschaft Jesu, euch beglückwünsche ich zu eurem Mitbruder, den wir von heute an als Seligen verehren. Er ist eine Zierde eures Ordens. Möge er euch auch Vorbild und Ansporn sein, treu dem hohen Ideal des heiligen Ignatius von Loyola euren Dienst in Kirche und Welt zu erfüllen. Euer seliger Mitbruder hat nach diesem hohen Ideal gelebt. Er stehe euch bei, seinem Beispiel zu folgen.

8. ”Seht, ich sende euch . . . werdet stark durch den Herrn!“.

Liebe Brüder und Schwestern! Sagt nicht auch der selige Rupert Mayer diese Worte am heutigen Tag seiner Seligsprechung zu uns, die wir hier versammelt sind? Zu euch, seinen Landsleuten, hier in dieser Stadt und im ganzen Land? Zur Kirche von München? Zur ganzen Gesellschaft?

”Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!

82 Zieht die Rüstung Gottes an . . . Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern . . . gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister . . .“ (Ep 6,10-12).

Es gibt Zeiten, in denen die Existenz des Bösen unter den Menschen in der Welt in einer besonderen Weise in Erscheinung tritt. Dann wird noch offenkundiger, daß die Mächte der Finsternis, die in den Menschen und durch die Menschen wirken, größer sind als der Mensch. Sie übersteigen ihn, sie kommen von außen über ihn.

Der heutige Mensch scheint dieses Problem fast nicht sehen zu wollen. Er tut alles, um die Existenz jener ”Beherrscher dieser finsteren Welt“, jene ”listigen Anschläge des Teufels“, von denen der Epheserbrief spricht, aus dem allgemeinen Bewußtsein zu verbannen. Dennoch gibt es solche Zeiten in der Geschichte, in denen diese - nur widerwillig angenommene - Wahrheit der Offenbarung und des christlichen Glaubens ihre volle Ausdruckskraft und fast handgreifliche Bestätigung findet.

9. Der geistige Sieg von Pater Rupert Mayer erklärt sich vollkommen vor dem Hintergrund einer` solchen Epoche, einer solchen geschichtlichen Erfahrung. Die Worte: des Apostels beziehen sich in einem gewissen Sinn auf den konkreten Lebensverlauf dieses Dieners Gottes. Es war einer von jenen, die in diesem geistigen Kampf, in diesem Ringen mit den Mächten der Finsternis ”die Rüstung Gottes angelegt, sich mit der Wahrheit gegürtet, den Panzer der Gerechtigkeit und als Schuhe die Bereitschaft, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen, angezogen haben“ (Ep 6,12-15). Der Glaube war für ihn wirklich der Helm, und das Wort Gottes war das Schwert des Geistes. Er kämpfte fortwährend mit diesem ”Schwert“ und ”hörte nicht auf zu beten und zu flehen“. Nein, er vertraute nicht auf seine eigenen Kräfte. Er erinnerte sich an die Worte des Meisters an die Apostel im Abendmahlssaal: ”Der Geist eures Vaters wird durch euch reden“ (Mt 10,20). Und deshalb hörte er auch nicht auf zu bitten, daß Gott ihm ”das rechte Worte schenke . . ., um das Geheimnis des Evangeliums zu verkünden“ (Ep 6,19).

Die Worte des Epheserbriefes hat der Apostel Paulus geschrieben, als er nur noch als ”Gefangener“ seiner Sendung nachkommen konnte (ebd. 3, 1;4, 1). So hat auch Pater Rupert Mayer gesprochen und bezeugt, so hat auch er sich verhalten und für Christus Verfolgung erduldet - als ”Gefangener“ in Landsberg und im Konzentrationslager Sachsenhausen, und so ist er uns in Erinnerung geblieben, im Gedächtnis der Kirche: als mutiger Zeuge der Wahrheit und Apostel der Gottes- und Nächstenliebe. Diesem seinen Andenken erweist die Kirche nun ihre besondere Verehrung, damit es von Generation zu Generation fortdauert.

Heute spricht dieser ”Gefangene Christi“ im Lager Sachsenhausen noch einmal zu uns - und die Kirche nimmt seine Worte auf in ihr geistiges Erbe:

”Bete jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus . . .

Legt die Rüstung Gottes an“ (Ep 6,18 Ep 6,13).

Nehmt, liebe Brüder und Schwestern, an diesem Festtag das Zeugnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe eures großen Landsmannes an! Möge das geistige Erbe seines Lebens und seines apostolischen Dienstes immer, besonders in Zeiten der Prüfung, mit euch sein und euch stets neue Kraft und Zuversicht schenken in Christus, unserem Herrn. Amen.





Predigten 1978-2005 76