Generalaudienz 2005






1

Januar 2005


Mittwoch, 5. Januar 2005

1.Liebe Brüder und Schwestern, es ist mir eine Freude, euch zur ersten Generalaudienz des Jahres 2005 willkommen zu heißen. In diesen Tagen haben wir das große Geheimnis der Geburt Jesu betrachtet. In ihm ist Gott endgültig in die Geschichte eingetreten, um den Menschen an allen Orten und zu allen Zeiten das Heil anzubieten.

Gerade diese Universalität des Heils wird uns durch das Fest der Epiphanie, das wir morgen feiern, in Erinnerung gerufen. Der Sohn Gottes, in Betlehem geboren, wird von den Sterndeutern, die aus dem Orient kommen und die ganze Menschheit angemessen repräsentieren, anerkannt und angebetet.

2. Die frohe Botschaft vom Heil zielt also von Anfang an auf alle Völker der Welt. Wir vertrauen Maria, der Mutter der Kirche, diese missionarische Aufgabe des christlichen Volkes an. Unter ihren Schutz stellen wir das soeben begonnene Jahr, das auch aufgrund der dramatischen Lage, in der sich die Bevölkerung Südostasiens befindet, von großer Besorgnis geprägt ist.

Die heilige Jungfrau möge über die ganze Welt wachen. Wir bitten darum mit den Worten des alten marianischen Hymnus, der am Anfang der Audienz erklungen ist.

3. Erhabene Mutter des Erlösers,
Königin des Friedens,
komm deinem Volk zu Hilfe,
schütze es vor jeder Gefahr,
und begleite die Kirche
2 auf ihrem Weg in das ewige Vaterhaus.
Amen.

In diesen Tagen haben wir das Geheimnis der Geburt Jesu betrachtet. In Ihm ist Gott endgültig in die Geschichte eingetreten, um Menschen jeglicher Herkunft und aller Zeiten die Gabe der Erlösung zuzuwenden. Der allgemeine Heilswille Gottes erstrahlt am Hochfest der Erscheinung des Herrn, das wir morgen feiern: Die drei Weisen aus dem Orient, die den neugeborenen Gottessohn von Bethlehem anbeten, repräsentieren dabei die gesamte Menschheit.

Von Anfang an zielt die frohe Kunde vom Heil Gottes auf alle Menschen und Völker. Daraus folgt der Missions-Auftrag des Gottesvolkes, den wir Maria, der Mutter der Kirche, anvertrauen. Unter ihren himmlischen Schutz stellen wir das gerade begonnene Jahr: Du erhabne Mutter des Erlösers und Pforte des Himmels, hilf deinem Volke!
***


Mit großer Freude begrüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher zu dieser ersten Audienz im neuen Jahr! Christus, der Herr, ist erschienen. Sein Heil werde allen Menschen und Völkern zuteil! Maria, die Königin des Friedens, helfe und begleite uns auf all unseren Wegen. - Euch allen ein gesegnetes, glückliches Neues Jahr!




Mittwoch, 12. Januar 2005

Lesung: Offenbarung\i 11,16-18; 12,10-12

11,16 Und die vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf ihren Thronen sitzen, warfen sich nieder, beteten Gott an
17 und sprachen: Wir danken dir, Herr, Gott und Herrscher über die ganze Schöpfung, der du bist und der du warst; denn du hast deine große Macht in Anspruch genommen und die Herrschaft angetreten.
18 Die Völker gerieten in Zorn. Da kam dein Zorn und die Zeit, die Toten zu richten: die Zeit, deine Knechte zu belohnen, die Propheten und die Heiligen und alle, die deinen Namen fürchten, die Kleinen und die Großen, die Zeit, alle zu verderben, die die Erde verderben.
3 12,10 Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte.
11 Sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch ihr Wort und Zeugnis; sie hielten ihr Leben nicht fest, bis hinein in den Tod.
12 Darum jubelt, ihr Himmel und alle, die darin wohnen. Weh aber euch, Land und Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen; seine Wut ist groß, weil er weiß, daß ihm nur noch eine kurze Frist bleibt.

1. Der soeben erklungene Hymnus kommt gleichsam aus dem Himmel. Denn das Buch der Offenbarung, das ihn uns vorlegt, verbindet ihn in seinem ersten Teil (vgl. 11,17-18) mit den »vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf ihren Thronen sitzen« (11,16) und in seiner zweiten Strophe (vgl. 12,10-12) mit »einer lauten Stimme im Himmel« (12,10).

So sind wir in das großartige Bild des göttlichen Hofes einbezogen, wo Gott und das Lamm, das heißt Christus, umgeben vom »Kronrat«, über das Gute und Böse in der menschlichen Geschichte Gericht halten, wobei sie aber auch deren endgültiges Ziel, das Heil und die Herrlichkeit, aufzeigen. Die Lieder, die das Buch der Offenbarung durchziehen, haben den Zweck, das Thema der Gottesherrschaft zu veranschaulichen, die den oft erschütternden Verlauf der menschlichen Geschicke lenkt.

2. Bedeutsam ist in dieser Hinsicht der erste Abschnitt des Liedes, der den vierundzwanzig Ältesten in den Mund gelegt wird, die das von Gott auserwählte Volk in seinen beiden geschichtlichen Etappen zu verkörpern scheinen, die zwölf Stämme Israels und die zwölf Apostel der Kirche.

Gott, der allmächtige und ewige Herr, hat nun »seine große Macht in Anspruch genommen und die Herrschaft angetreten« (11,17), und sein Eintritt in die Geschichte hat den Zweck, nicht nur die heftigen Reaktionen der Aufständischen aufzuhalten (vgl.
Ps 2,1 Ps 2,5), sondern vor allem die Gerechten zu erhöhen und zu belohnen. Sie werden mit einer Reihe von Namen bezeichnet, die man verwendet, um die geistliche Physiognomie der Christen zu beschreiben. Sie sind »Knechte«, die das göttliche Gesetz treu befolgen; sie sind »Propheten« und vom geoffenbarten Wort erfüllt, das die Geschichte auslegt und richtet; sie sind »Heilige«, Gottgeweihte, die seinen Namen fürchten, das heißt, sie sind bereit, ihn anzubeten und seinen Willen zu tun. Unter ihnen sind »die Kleinen und die Großen«, ein Ausdruck, der dem Autor des Buches der Offenbarung besonders lieb ist (vgl. 13,16; 19,5.18; 20,12), wenn er die Einheit und Vielfalt des Volkes Gottes beschreibt.

3. Wir gehen nun zum zweiten Teil unseres Liedes über. Nach der dramatischen Szene der »mit der Sonne bekleideten« schwangeren Frau und des feuerroten Drachens (vgl. 12,1-9) stimmt eine geheimnisvolle Stimme ein frohes Danklied an.

Die Freude entspringt der Tatsache, daß der alte Feind, der Satan, der im Himmel als »Ankläger unserer Brüder« (12,10) aufgetreten ist, wie wir im Buch Ijob lesen (vgl. 1,6-11; 2,4-5), dann vom Himmel auf die Erde »gestürzt« wurde und keine so große Macht mehr hatte. Er weiß, »daß ihm nur noch eine kurze Frist bleibt« (12,12), denn durch die Befreiung vom Bösen wird die Geschichte bald eine radikale Wendung nehmen, und deshalb »ist seine Wut groß«.

Auf der anderen Seite erscheint der auferstandene Christus, dessen Blut die siegreiche Rettung ist (vgl. 12,11). Er hat vom Vater die Königsherrschaft über das ganze Universum erhalten; in ihm wird »der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes« vollendet.

An seinem Sieg haben die christlichen Märtyrer teil, die den Weg des Kreuzes gewählt und dem Bösen und seiner Bosheit nicht nachgegeben haben, sondern sich dem Vater überließen; durch ihr mutiges Zeugnis der Hingabe, das sie veranlaßt hat, »ihr Leben nicht festzuhalten, bis hinein in den Tod« (ebd.), haben sie sich mit dem Tod Christi vereint. Man scheint das Echo von Christi Worten zu hören: »Wer an seinem Leben hängt, verliert es, wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren ins ewige Leben« (Jn 12,25).

4 4. Die Worte der Offenbarung über diejenigen, die den Teufel und das Böse »durch das Blut des Lammes« besiegt haben, finden Widerhall in einem herrlichen Gebet, das Simon, dem Katholikos von Seleukia Ktesiphon in Persien, zugeschrieben wird. Bevor er mit seinen Gefährten am 17. April 341 während der Verfolgung unter König Sapor II. den Märtyrertod starb, richtete er an Christus folgendes Gebet:

»Herr, gib mir diese Krone. Du weißt, wie sehr ich nach ihr verlange, denn ich habe dich mit meinem ganzen Herzen und Dasein geliebt. Ich werde glücklich sein, dich zu schauen, und du wirst mir Ruhe schenken … Ich möchte in meiner Berufung heroisch ausharren, die mir anvertraute Aufgabe mutig erfüllen und deinem Volk im Osten ein Vorbild sein … Ich werde das Leben empfangen, das keine Mühe, keine Sorgen, keine Angst, keinen Verfolger, keinen Verfolgten, keinen Unterdrücker, keinen Unterdrückten, keinen Tyrannen und keine Opfer kennt. Ich werde dort von keinem König mehr bedroht noch von Präfekten eingeschüchtert. Niemand wird mich vor Gericht ziehen und ständig erschrecken, niemand wird mich fortreißen und ängstigen. In dir, dem Weg aller Pilger, werden meine wunden Füße heilen. In dir, Christus, unserem Salböl, werden meine müden Glieder Ruhe finden. In dir, dem Kelch unseres Heils, wird die Traurigkeit meines Herzens schwinden. In dir, unserer Stärkung und Freude, werden die Tränen in meinen Augen trocknen« (A. Hamman, Preghiere dei primi cristiani, Milano 1955, S. 80-81).

Gott ist der Herr der menschlichen Geschichte. Durch die Auferstehung seines Sohnes hat uns der Vater die Gewißheit geschenkt, daß das Gute am Ende siegen wird. Am Sieg Christi nehmen die Märtyrer teil, die in ihrem Leben den Weg des Kreuzes gewählt haben, um ihren Glauben und ihre Liebe zum Herrn zu bezeugen.

Die Offenbarung des Johannes stellt uns in einer Vision diese Wahrheit vor Augen: Umgeben vom himmlischen Hof halten Gott Vater und Jesus Christus über das Gute und Böse der Geschichte Gericht. Diese findet ihr letztes Ziel in Gottes Heil und Herrlichkeit.
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Sehr herzlich heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Gott lenkt und leitet Zeit und Welt. Legt in seine Hände euer ganzes Leben! Der Geist des Herrn führe euch auf all euren Wegen in diesem neuen Jahr!






Mittwoch, 19. Januar 2005

1.Gestern hat die »Gebetswoche für die Einheit der Christen« begonnen. Es handelt sich um Tage des Betens und Nachdenkens, die mehr denn je angebracht sind, um die Christen daran zu erinnern, daß die Wiederherstellung der vollen Einheit unter ihnen, nach dem Willen Jesu, jeden Getauften angeht, die Hirten und alle Gläubigen (vgl. Unitatis redintegratio UR 5).

Die »Gebetswoche« findet einige Monate nach dem 40. Jahrestag der Veröffentlichung des Dekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils, Unitatis redintegratio, statt, des Schlüsseltextes, der die katholische Kirche fest und unwiderruflich auf den Weg der ökumenischen Bewegung geführt hat.

2. In diesem Jahr stellt das Thema uns eine Grundwahrheit für jedes ökumenische Bemühen vor, das heißt, daß Christus das Fundament der Kirche ist. Das Konzil hat das Gebet für die Einheit als Seele der ganzen ökumenischen Bewegung empfohlen (vgl. Unitatis redintegratio UR 8). Weil die Wiederversöhnung der Christen »die menschlichen Kräfte und Fähigkeiten übersteigt« (UR 24), bringt das Gebet die Hoffnung, die nicht zugrunde gehen läßt, die Zuversicht, daß der Herr alles neu macht (vgl. Rm 5,5 Ap 21,5), zum Ausdruck. Aber mit dem Gebet muß eine Läuterung der Gesinnung, der Gefühle und des Gedächtnisses einhergehen. So wird es Ausdruck der »inneren Bekehrung«, ohne die es keine echte Ökumene gibt (vgl. UR 7). Schließlich ist die Einheit ein Geschenk Gottes, ein Geschenk, das es zu erbitten gilt, unermüdlich, in Demut und Wahrheit.

3. Der Wunsch nach Einheit breitet sich aus und vertieft sich, indem er neue Bereiche und Situationen berührt und den Eifer für Werke, Initiativen und Reflexionen weckt. Auch jüngst hat der Herr seinen Jüngern gewährt, wichtige Kontakte des Dialogs und der Zusammenarbeit zu knüpfen. Der Trennungsschmerz wird immer spürbarer angesichts der Herausforderungen einer Welt, die von allen Christgläubigen ein klares und einstimmiges, dem Evangelium gemäßes Zeugnis erwartet.

5 4. Wie gewohnt wird in Rom die »Gebetswoche« am 25. Januar mit der Feier der Vesper in der Basilika St. Paul vor den Mauern beendet. Ich danke Herrn Kardinal Walter Kasper, der mich in dieser liturgischen Versammlung, an der Repräsentanten anderer christlicher Kirchen und Bekenntnisse teilnehmen, vertreten wird. Ich werde mich ihnen im Geiste anschließen und bitte euch ebenfalls zu beten, daß die ganze Familie der Glaubenden bald zur vollen, von Christus gewollten Gemeinschaft gelange.

Christus ist der einzige Grund der Kirche. Die Wiederversöhnung aller Christen „übersteigt die menschlichen Kräfte und Fähigkeiten" (Unitatis redintegratio
UR 24). Daher ist die ersehnte Einheit eine Gottesgabe, um die wir unermüdlich in Demut und Aufrichtigkeit bitten müssen.
Unser Beten muß mit einer persönlichen Läuterung einhergehen. „Es gibt keine echte Ökumene ohne innere Bekehrung" (Unitatis Redintegratio UR 7). Daraus entspringt der Eifer für neue Initiativen. Die Einheit wiederzugewinnen ist für jeden Getauften ein bleibender Auftrag.
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Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Beten wir darum, daß die Familie der Christen bald wieder zusammenfindet. Die Wahrheit macht frei und ist das Fundament der Einheit. Der Heilige Geist stärke und führe euer Streben nach Einheit.






Mittwoch, 26. Januar 2005

Lesung: Psalm 116, 1-2.5-7.9.

6 Ps 116,1-2 Ps 116,5-7 Ps 116,9
1 Ich liebe den Herrn; denn er hat mein lautes Flehen gehört
2 und sein Ohr mir zugeneigt an dem Tag, als ich zu ihm rief.
3 Mich umfingen die Fesseln des Todes, / mich befielen die Ängste der Unterwelt, mich trafen Bedrängnis und Kummer.
4 Da rief ich den Namen des Herrn an: »Ach Herr, rette mein Leben!«
5 Der Herr ist gnädig und gerecht, unser Gott ist barmherzig.
6 Der Herr behütet die schlichten Herzen; ich war in Not, und er brachte mir Hilfe.
7 Komm wieder zur Ruhe, mein Herz! Denn der Herr hat dir Gutes getan.
8 Ja, du hast mein Leben dem Tod entrissen, / meine Tränen (getrocknet), meinen Fuß (bewahrt vor) dem Gleiten.
9 So gehe ich meinen Weg vor dem Herrn im Land der Lebenden.

1. In Psalm 116, der soeben verkündet wurde, drückt der Psalmist, nachdem seine inständige Bitte erhört worden ist, seine dankbare Liebe zum Herrn aus: »Ich liebe den Herrn; denn er hat mein lautes Flehen gehört und sein Ohr mir zugeneigt an dem Tag, als ich zu ihm rief« (V. 1-2). Gleich nach dieser Liebeserklärung folgt eine genaue Beschreibung der Todesgefahr, die das Leben des Betenden bedroht hatte (vgl. V. 3-6).

Das Drama wird durch die in den Psalmen gebräuchlichen Symbole dargestellt. Die Stricke, die das Dasein umschlingen, sind die des Todes; die Fesseln, die es bedrücken, sind die Windungen der Unterwelt, die die Lebenden unaufhörlich hinunter ziehen wollen (vgl. Pr 30,15-16).

2. Der Mensch wird mit einer Beute verglichen, die dem unerbittlichen Jäger in die Falle gegangen ist. Der Tod umfängt ihn wie eine Fessel (vgl. Ps 116,3). Der Betende befand sich in Todesgefahr, in einer schmerzlichen psychischen Lage. »Mich trafen Bedrängnis und Kummer« (V. 3). Aber aus dem tiefen Abgrund kam ein lauter Hilferuf an den einzigen, der die Hand ausstrecken und den angsterfüllten Beter aus dem unentwirrbaren Durcheinander befreien konnte: »Ach Herr, rette mein Leben!« (V. 4).

Es ist ein kurzes, flehentliches Gebet des Menschen, der sich in einer verzweifelten Lage befindet und sich an den einzigen Rettungsanker klammert. So schrien die Jünger im Sturm (vgl. Mt 8,25), so flehte Petrus, als er über das Wasser ging und begann unterzugehen (vgl. Mt 14,30).

3. Nachdem er gerettet worden ist, verkündet der Betende, daß der Herr »gnädig und gerecht«, ja »barmherzig« ist (Ps 116,5). Das letzte Eigenschaftswort deutet im hebräischen Original die Zärtlichkeit der Mutter an und erinnert an deren »Innerstes«.

Das wahre Vertrauen empfindet Gott den Herrn immer als Liebe, auch wenn es manchmal schwer ist, den Verlauf seines Handelns zu erahnen. Jedenfalls ist es sicher, daß »der Herr die schlichten Herzen behütet« (V. 6). In Not und Verlassenheit kann man immer auf ihn, den »Vater der Waisen und Anwalt der Witwen« (Ps 68,6), zählen.

7 4. Jetzt beginnt der Psalmist in seinem Herzen ein Gespräch, das im nachfolgenden Psalm wiedergegeben wird und mit unserem Psalm verbunden wurde. Das geschah in der jüdischen Tradition, so daß nach der hebräischen Numerierung des Psalteriums ein einziger Psalm 116 entstanden ist. Der Psalmist versucht, nach der tödlichen Gefahr wieder innerlich zur Ruhe zu kommen (vgl. Ps 116,7).

Der Herr, der mit Glauben angerufen wurde, hat die Hand ausgestreckt, hat die Fesseln durchschnitten, die den Beter gefangen hielten, hat die Tränen in seinen Augen getrocknet und hat seinen raschen Absturz in die Tiefe der Unterwelt verhindert (vgl. V. 8). Die Wende ist jetzt klar, und das Lied endet mit einem leuchtenden Bild: Der Betende kehrt in das »Land der Lebenden« zurück, das heißt auf die Straßen der Welt, um seinen »Weg vor dem Herrn« zu gehen. Er vereint sich mit der betenden Gemeinschaft im Tempel, eine Vorwegnahme der Gemeinschaft mit Gott, die am Ende seines Lebens auf ihn wartet (vgl. V. 9).

5. Wir möchten zum Schluß die wichtigsten Stellen des Psalms wiederholen, indem wir uns von einem großen christlichen Schriftsteller des 3. Jahrhunderts, Origenes, führen lassen, dessen griechischer Kommentar zu Psalm 116 in der lateinischen Version des hl. Hieronymus auf uns gekommen ist.

Während er liest, daß der Herr »sein Ohr zugeneigt« hat, kommentiert er: »Wir sind klein und niedrig, aber wir können uns nicht größer machen und in die Höhe strecken; deshalb neigt der Herr sein Ohr und läßt sich herab, uns anzuhören. Schließlich sind wir Menschen und können keine Götter werden; Gott ist Mensch geworden und hat sich uns zugeneigt, wie es geschrieben steht: ›Er neigte den Himmel und fuhr herab‹ (Ps 18,10).«

In der Tat, so fährt der Psalm fort, »der Herr behütet die schlichten Herzen« (Ps 116,6). »Wenn jemand groß ist, erhebt er sich und wird stolz. Diesen beschützt der Herr nicht; und wenn jemand sich für groß hält, hat der Herr kein Erbarmen mit ihm; aber wenn sich jemand erniedrigt, erweist sich der Herr barmherzig ihm gegenüber und behütet ihn. So daß er sagt: ›Seht, ich und die Kinder, die der Herr mir geschenkt hat‹ (Is 8,18). Und weiter: ›Ich habe mich erniedrigt, und er hat mich gerettet‹.«

So kann derjenige, der klein und in Not ist, zur Ruhe kommen, wie es im Psalm heißt (vgl. Ps 116,7) und wie Origenes kommentiert: »Wenn es heißt: ›Komm wieder zur Ruhe‹, dann bedeutet das, daß dieser Mensch zuerst ruhig war, aber dann die Ruhe verloren hat … Gott hat uns gut erschaffen, und er hat uns zu Herren über unsere Entscheidungen gemacht, und er hat uns alle mit Adam ins Paradies gesetzt. Aber auf Grund unserer freien Entscheidung sind wir von dieser Seligkeit hinabgestürzt und in diesem Tal der Tränen gelandet; deshalb fordert der Gerechte sein Herz auf, dorthin zurückzukehren, von wo er abgestürzt ist … ›Komm wieder zur Ruhe, mein Herz! Denn der Herr hat dir Gutes getan‹. Wenn du, Herz, ins Paradies zurückkehrst, dann nicht, weil du dessen würdig bist, sondern weil es Werk der göttlichen Barmherzigkeit ist. Wenn du aus dem Paradies ausgezogen bist, dann aus eigener Schuld; deine Rückkehr hingegen ist Werk der Barmherzigkeit des Herrn. Laßt auch uns zu unserem Herzen sagen: ›Komm wieder Ruhe‹. Unsere Ruhe ist Christus, unser Gott« (Origene-Gerolamo, 74 Omelie sul libro dei Salmi, Milano 1993, Ss. 409.412-413).

Psalm 116 bringt die große Bedeutung des Gebets zum Ausdruck. In Not und Gefahr ruft der gläubige Mensch zum Herrn. Er klammert sich an Gott, sein einziges Heil. Ihm erweist er dankbare Liebe für alle Hilfe, die er erfahren darf.

Wahrer Glaube erkennt Gott als Liebe, auch wenn die tiefsten Gründe der Geschehnisse oftmals schwer zu begreifen sind. Das Gebet ist eine sichere Hilfe, um das liebevolle Antlitz des Herrn neu zu entdecken. Gott verläßt seine Gläubigen nicht. Er bürgt dafür, daß trotz aller Prüfungen und Leiden am Ende das Gute siegen wird.
***


Von Herzen grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Gott hört das Rufen der Gläubigen und ist den Seinen nahe. Wendet euch mit Zuversicht an ihn und vertraut auf die Kraft des Gebets! Der Herr zeige euch allezeit seine Güte und Liebe.





Februar 2005


8

Mittwoch, 23. Februar 2005



Liebe Brüder und Schwestern!

Mein liebevoller Gruß geht an euch alle, die ihr euch zur gewohnten Mittwochsaudienz in dieser Halle versammelt habt. Von Herzen danke ich euch für eure Anwesenheit.

Wir gehen den fastenzeitlichen Weg, unterstützt und angespornt von der Liturgie, die uns zu besonderem Eifer im Gebet, im Fasten und in der Buße sowie zu größerer Solidarität gegenüber unseren Nächsten, besonders den Armen und Bedürftigen aufruft.

Öffnen wir unser Herz für die inneren Eingebungen der Gnade. Der Egoismus weiche der Liebe, damit wir die Freude über die Vergebung und über die tiefe Versöhnung mit Gott und den Brüdern verspüren können.

[Der Papst grüßte anschließend die Pilger auf englisch:]Ich grüße alle englischsprachigen Pilger, die heute hier anwesend sind, und danke ihnen für ihre Gebete. Euer Aufenthalt in Rom erfülle euch mit Freude und vertiefe eure Liebe zur Weltkirche. Gott segne euch alle!

[… auf französisch:] Herzlich grüße ich die Pilger französischer Sprache. Eure Pilgerfahrt nach Rom mehre eure Liebe zu Christus und seiner Kirche!

[… auf deutsch:] Von Herzen grüße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Unsere Hilfe kommt vom Herrn. Der Segen Gottes begleite euch! Alles Gute!

[… auf spanisch:] Mein herzlicher Gruß geht an alle spanischsprachigen Pilger. Eure Pilgerfahrt nach Rom helfe euch, eure Liebe zu Christus und seiner Kirche zu vertiefen.

[… und auf italienisch:] Herzlich begrüße ich die Pilger italienischer Sprache, besonders die Gruppe von italienischen Missionaren im Ausland, die zu einer Studientagung zusammengekommen sind; die Gläubigen aus der Diözese Faenza-Modigliana, in Begleitung ihres Bischofs; die zahlreichen auf dem Platz anwesenden Jugendlichen. Allen wünsche ich alles erdenklich Gute.

[Abschließend sagte der Heilige Vater auf polnisch:] Ich grüße meine Landsleute und segne sie alle von Herzen.



März 2005



9

Mittwoch, 30. März 2005



Als Papst Johannes Paul II. zum letzten Mal am Fenster seines Arbeitszimmers erschien und die auf dem Petersplatz versammelten Pilger segnete, wurden Grußworte verlesen.

In Deutsch: An alle Pilger und Besucher deutscher Sprache richte ich einen österlichen Gruß. Der Friede des Auferstandenen sei allezeit mit euch!

In Polnisch: Ich grüße die Pilger aus Polen. Ich danke euch für eure Anwesenheit, für den Ausdruck eurer Zuneigung und für die Begleitung im Gebet. Mit Dankbarkeit denke ich an alle Landsleute in Polen und im Ausland. Von Herzen segne ich euch alle.

In Italienisch: Ich grüße die Pilger italienischer Sprache, besonders die Jungen und Mädchen der Diözese Mailand, die zum Petrusgrab gekommen sind, um ihren Glauben an den gestorbenen und auferstandenen Christus zu bekunden. Meine Lieben, die Freundschaft mit Jesus, unserem Heiland, erleuchte stets euer Leben! Bleibt mit ihm verbunden durch das Hören seines Wortes und durch die aktive Teilnahme am Eucharistischen Mahl. Seid seine treuen Zeugen, besonders im Kreis eurer Altersgenossen.

Allen erneuere ich mit Zuneigung die österlichen Wünsche.





Generalaudienz 2005