Predigten 1978-2005 225

FEIER DER ZWEITEN VESPER ANLÄSSLICH DER ÖFFNUNG DER HEILIGEN PFORTE DER KATHEDRALE VON ROM

Basilika St. Johann im Lateran - Samstag, 25. Dezember 1999

226 1.»Was von Anfang an war, […] was unsere Hände angefaßt haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens« (1Jn 1,1).

Liebe Brüder und Schwestern!

An diesem Hochfest, an dem wir das Gedenken an die Geburt unseres Herrn Jesus Christus begehen, spüren wir die Wahrheit, die Kraft und die Freude dieser Worte des Apostels Johannes.

Wahrhaftig, im Glauben haben unsere Hände das Wort des Lebens berührt, haben Den berührt, der – wie im Loblied ausgedrückt – das Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Durch ihn und auf ihn hin ist alles geschaffen (vgl. ). Dies ist das Geheimnis von Weihnachten, das wir mit innerer Bewegung aufnehmen, vor allem heute, zum Beginn des Großen Jubiläums des Jahres 2000. Gott ist in die Menschheitsgeschichte eingetreten, und er ist gekommen, um über die Straßen dieser Welt zu gehen und um allen das Einfühlungsvermögen zu vermitteln, Kinder Gottes zu werden.

Von Herzen wünsche ich, daß dieses Geheimnis der Heiligkeit und der Hoffnung durch seinen stetigen Glanz einströme in den Geist der ganzen Diözesangemeinschaft von Rom, die sich im Geiste in dieser Basilika zur festlichen Eröffnung der Heiligen Pforte eingefunden hat.

In diesem Moment starker geistlicher Kraft möchte ich meinen herzlichen und wohlwollenden Gruß an den Kardinalvikar richten, meinen ersten Mitarbeiter in der Sorge für die Gläubigen der Kirche dieser Stadt. Mit ihm begrüße ich seinen Stellvertreter und die Weihbischöfe, die ihm in seinem Seelsorgsdienst in der Diözese zur Seite stehen. Einen weiteren herzlichen Gruß richte ich an das Kapitel des Laterans, an die Pfarrer, an den gesamten römischen Klerus, an das Seminar und an alle Ordensmänner und -frauen sowie an die Laienmitarbeiter im pastoralen Dienst. Sie machen einen auserwählten Teil dieser unserer Kirche Roms aus, berufen, in Liebe vorzustehen und sich in der Treue zum Evangelium auszuzeichnen.

Mein Gruß gilt dem Herrn Bürgermeister, den Obrigkeiten und den Vertretern der öffentlichen Verwaltung, die unter uns sind. Ich grüße die Römer, die Pilger und alle, die durch das Fernsehen mit uns verbunden sind zu diesem Ereignis von großer geschichtlicher und geistlicher Bedeutung.

2. Nachdem ich diese Nacht in der Basilika des Vatikans die Öffnung der Heiligen Pforte vornahm, habe ich eben die Heilige Pforte dieser Basilika des Laterans geöffnet, »omium Ecclesiarum Urbis et Orbis Mater et Caput«, Mutter und Haupt aller Kirchen Roms und der Welt sowie Kathedrale des Bischofs von Rom. Hier hat im Jahre 1300 Papst Bonifaz VIII. feierlich den Beginn für das erste Heilige Jahr der Geschichte verkündet. Hier hat beim Jubiläum des Jahres 1423 Papst Martin V. zum ersten Mal die Heilige Pforte geöffnet. Hier ist das Herz dieser besonderen Dimension der Heilsgeschichte, verbunden mit der Gnade der Jubiläen und dem geschichtlichen Gedächtnis der Kirche von Rom.

Wir sind durch diese Pforte eingetreten, die Christus selbst darstellt: Er allein ist tasächlich der von Gott Vater gesandte Erlöser, der uns von der Sünde zur Gnade gehen läßt und uns hinführt zur vollen Gemeinschaft, die ihn mit dem Vater im Heiligen Geist vereint.

Danken wir Gott, reich an Erbarmen, daß er seinen eingeborenen Sohn als Erlöser des Menschen hingegeben hat.

3. Wir können sagen, daß der Ritus dieses Abends eine besonders familiäre Dimension annimmt. Es ist wirklich die Diözesanfamilie, die ihren eigenen Weg des Jubiläums in besonderer Einheit mit den in der ganzen Welt verbreiteten Kirchen beginnt. Auf dieses große Ereignis hat sie sich lange Zeit vorbereitet, zunächst durch die Synode und dann durch die Stadtmission. Die aufrichtige Teilnahme der Stadt und der ganzen Diözese ist Zeugnis dafür, daß Rom sich seiner von der göttlichen Vorsehung anvertrauten Sendung der universalen Sorge und der Beispielhaftigkeit im Glauben und in der Liebe bewußt ist. Rom weiß sehr wohl, daß es um einen Dienst geht, der seine Wurzeln im Martyrium der Apostel Petrus und Paulus hat und daß er immer neue Stärkung fand im Zeugnis der Vielzahl von Märtyrern, von heiligen Männern und Frauen, die die Geschichte dieser unserer Kirche geprägt haben.

Liebe Brüder und Schwestern! Das heute beginnende Heilige Jahr ruft auch uns, auf diesem Wege weiterzugehen. Es ruft uns auf, mit Freude und Großherzigkeit auf den Ruf zur Heiligkeit zu antworten, um immer mehr Zeichen der Hoffnung in der heutigen Gesellschaft zu sein, die auf dem Weg ins dritte Jahrtausend ist.

4. Im Verlauf des Heiligen Jahres wird es nicht wenige Gelegenheiten geben, die es den Gläubigen ermöglichen, diese eng mit dem Stationsweg des Jubiläums verbundene religiöse Verpflichtung noch weiter zu vertiefen. Allem voran die Jubiläumsfeier der Diözese, die am Sonntag, dem 28. Mai, auf dem Petersplatz stattfinden wird. Ein weiteres in besonderer Weise der Diözese Rom anvertrautes Ereignis ist der Internationale Eucharistische Kongreß, der, so Gott will, vom 18. bis 25. Juni begangen wird.

5. Die dritte Begegnung auf hohem Niveau ist der XV. Weltjugendtag. Neben den Jugendlichen dann die Familien. Meine Gedanken gehen zum Welttreffen der Familien, das am 14. und 15. Oktober des Jahres 2000 gefeiert werden soll.

Wirklich zahlreich und bedeutsam sind die Veranstaltungen, die euch erwarten. Wir vertrauen sie alle der mütterlichen Fürbitte Mariens, »Heil des Römischen Volkes«, an. Möge Sie uns begleiten und unsere Schritte leiten, damit dieses Jahr eine ganz besondere Zeit geistlicher Gnaden und sozialer Erneuerung sei.

227 6. Kirche von Rom, heute besucht dich der Herr, um vor dir dieses Jahr der Gnade und der Barmherzigkeit zu eröffnen! Überschreite in demütiger Pilgerschaft die Schwelle der Heiligen Pforte und empfange die Geschenke der Versöhnung und der Liebe. Wachse im Glauben und in missionarischer Begeisterung: Das ist das erste Erbe der Apostel Petrus und Paulus. Wie wiele Male hast du im Lauf deiner zweitausendjährigen Geschichte die Wundertaten des Kommens Christi verspürt, der dich zur Mutter des Glaubens und zum leuchtenden Vorbild der Zivilisation für viele Völker erwählt hat. Das Große Jubiläum, mit dem du dich dem Beginn des nächsten Jahrtausends näherst, bestärke dich, Rom, wieder in der Freude, deinem Herrn in Treue zu folgen, und schenke dir ein immer glühendes Verlangen, sein Evangelium zu verkünden. Das ist dein ureigener Beitrag zum Aufbau eines Zeitalters der Gerechtigkeit, des Friedens und der Heiligkeit.

Amen!



TE DEUM UND DANK AM JAHRESENDE

Freitag, 31. Dezember



1. »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau« (Ga 4,4).

Worum geht es bei der »Fülle der Zeit« (vgl. Tertio millennio adveniente TMA 10), von der der Apostel spricht? Die Erfahrung läßt uns greifbar spüren, daß die Zeit unerbittlich vergeht. Dem Lauf der Zeit sind alle Geschöpfe unterworfen. Jedoch allein der Mensch ist sich über das eigene Vergehen in der Zeit im klaren.

Er wird sich bewußt, daß das Vergehen der Tage an seine persönliche Geschichte gebunden ist. Im Bewußtsein um das eigene »Vergehen« schreibt die Menschheit ihre eigene Geschichte: die Geschichte der einzelnen Menschen, die Geschichte der Staaten und der Kontinente, die Geschichte der Kulturen und der Religionen. Hier wollen wir uns an diesem Abend fragen: Was hat das zu Ende gehende Jahrtausend vor allem gekennzeichnet? Wie hat sich vor tausend Jahren die Geographie der Länder, die Situation der Völker und der Nationen dargestellt? Wer hat damals schon von der Existenz eines weiteren großen Kontinents im Westen des Atlantischen Ozeans gewußt? Die Entdeckung Amerikas, die den Anfang gesetzt hat für einen neuen Zeitabschnitt der Menschheitsgeschichte, macht zweifellos ein kennzeichnendes Merkmal in der Bewertung des Jahrtausends aus, das zum Abschluß kommt.

Auch dieses letzte Jahrhundert ist gekennzeichnet von tiefen und manchmal rasanten Erschütterungen, die auf die Kultur und die Beziehungen zwischen den Völkern eingewirkt haben. Schließlich ist an die zwei unerträglichen Ideologien zu denken, verantwortlich für unzählige Opfer, die dabei gefordert wurden. Welche Qualen, was für Schicksalsdramen? Aber auch welche lobenswerte Errungenschaften! Diese Jahre, vom Schöpfer der Menschheit anvertraut, tragen Zeichen von Anstrengungen des Menschen, von seinen Niederlagen und seinen Siegen (vgl. Gaudium et spes GS 2).

Die in dieser Zeitenwende vielleicht zu große Gefahr ist, daß »sich viele unserer Zeitgenossen schwer[tun], die ewigen Werte recht zu erkennen und mit dem Neuen, das aufkommt, zu einer richtigen Synthese zu bringen« (GS 4). Folglich ist es eine große Herausforderung für uns, Männer und Frauen, die sich hier anschicken, in das Jahr Zweitausend einzutreten.

2. »Als aber die Zeit erfüllt war!« Die Liturgie spricht von der »Fülle der Zeit« und erhellt uns den Zusammenhang einer solchen »Fülle«. Gott wollte sein Ewiges Wort in die Geschichte der großen Menschheitsfamilie einführen, indem er es Ihm möglich machte, ein Menschsein, wie das unsrige, anzunehmen. Es ist durch das erhabene Ereignis der Menschwerdung, daß die menschliche und kosmische Zeit ihre Fülle erreicht hat: »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau […] damit wir die Sohnschaft erlangen« (). Das also ist das große Geheimnis: Das Ewige Wort Gottes, Wort des Vaters, wurde gegenwärtig in den Geschehnissen, aus denen die irdische Geschichte des Menschen sich bildet. Mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes ist die Ewigkeit in die Zeit eingetreten, und die Geschichte der Menschen hat sich geöffnet für eine transzendente Erfüllung im Absoluten Gottes.

Für den Menschen ist dieses Angebot eine unvorstellbare Perspektive: Er kann erwarten, Kind im Sohn zu sein, mit Ihm Erbe desselben Ziels der Herrlichkeit. Die Pilgerschaft des irdischen Lebens ist deshalb ein Weg, der in die Zeit Gottes führt. Das Ziel ist Gott selbst, Fülle der Zeit in der Ewigkeit.

3. In den Augen des Glaubens bezieht sich die Zeit also auf eine religiöse Bedeutung – und dies noch mehr im Verlauf des eben begonnenen Jubeljahres. Christus ist der Herr der Zeit. Jeder Augenblick der menschlichen Zeit steht unter dem Zeichen der Erlösung durch den Herrn, der erschienen ist, einmal für immer, in der »Fülle der Zeit« (vgl. Tertio millennio adveniente TMA 10). In dieser Sichtweise sagen wir Gott Dank für das, was sich im Laufe dieses Jahres, dieses Jahrhunderts und dieses Jahrtausends ereignet hat. In besonderer Weise wollen wir danken für die beständigen Fortschritte in der Welt des Geistes. Wir wollen danken für die Heiligen dieses Jahrhunderts: für diejenigen, die zur Ehre der Altäre erhoben wurden, und für jene, zahlenmäßig viel mehr, uns unbekannten, welche die Zeit geheiligt haben durch ihre treue Hingabe an den Willen Gottes. Laßt uns auch danken für alle durch die Menschheit erzielten Gewinne und Erfolge im Bereich von Wissenschaft und Technik, von Kunst und Kultur.

228 Was die Diözese Rom betrifft, wollen wir danken für den geistlichen Weg in den vergangenen Jahren und für den Abschluß der Stadtmission im Hinblick auf das Große Jubiläum. Ich denke an den Abend des 22. Mai zurück, den Vorabend von Pfingsten, als wir gemeinsam den Heiligen Geist angerufen haben, damit diese einzigartige pastorale Erfahrung im neuen Jahrhundert Form und Gestalt für das Leben und für die Seelsorge der Kirche werde, in Rom und in vielen anderen Städten und Orten der Welt, zum Dienst an der Neuevangelisierung.

Während wir unseren Dank zu Gott erheben, spüren wir die Notwendigkeit, zu gleicher Zeit das Erbarmen für das Jahrtausend zu erflehen, das zu Ende geht. Wir bitten um Vergebung, weil leider nicht selten die Errungenschaften von Technik und Wissenschaft, so bedeutsam für den wirklichen menschlichen Fortschritt, gegen den Menschen eingesetzt wurden: Erbarme dich unser, Herr, erbarme dich unser!

4. Zweitausend Jahre sind vergangen, seit »das Wort […] Fleisch geworden [ist] und […] unter uns gewohnt [hat ], und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit« (
Jn 1,14). Dafür steigt einhellig der Gesang unseres dankbaren Lobes empor: Dich, Gott, loben wir.

Dich, Gott des Lebens und der Hoffnung, loben wir.

Dich, Christus, König der Herrlichkeit, ewiger Sohn des Vaters, loben wir.

Du, geboren von der Jungfrau und Mutter, bist unser Erlöser, du bist unser Bruder geworden zum Heil der Menschen, und du wirst kommen in Herrlichkeit, die Welt zu richten am Ende der Zeiten.

Du, Christus, bist bis zum Ende der Menschheitsgeschichte das Ziel der Erwartungen aller Menschen.

Dein sind die Jahre und die Jahrhunderte. Dein ist die Zeit, Christus, der du derselbe bist, gestern, heute und für immer.

Amen!


                                                            Giubileo 2000

ÖFFNUNG DER HEILIGEN PFORTE IN DER BASILIKA SANTA MARIA MAGGIORE

Samstag, 1. Januar 2000

229
Hochfest der Gottesmutter Maria

XXXIII. Weltfriedenstag




1. »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau« (
Ga 4,4).

Gestern abend haben wir innegehalten, um über den Sinn dieser Worte des Paulus aus dem Brief an die Galater nachzudenken, und wir haben uns gefragt, worin »die Fülle der Zeit« besteht, von der er im Blick auf die Geschehnisse spricht, die den Weg des Menschen durch die Geschichte kennzeichnen. Der Zeitpunkt, den wir gerade erleben, ist von großer Bedeutsamkeit: Um Mitternacht ist das Jahr 1999 zur Vergangenheit geworden, hat den Weg für ein neues Jahr freigemacht. Jetzt sind wir seit wenigen Stunden im Jahr Zweitausend.

Was bedeutet das für uns? Man beginnt, eine weitere Seite der Geschichte zu beschreiben. Gestern abend haben wir unseren Blick in die Vergangenheit gerichtet, darauf, wie die Welt war, als das zweite Jahrtausend begann. Wie könnten wir uns am heutigen Tage, zu Beginn des Jahres Zweitausend, nicht Fragen über die Zukunft stellen: Welche Richtung wird die große Menschheitsfamilie in diesem neuen Abschnitt ihrer Geschichte einschlagen?

2. Zur Vorgabe eines neues Jahres, das seinen Weg nimmt, drückt die heutige Liturgie für alle Menschen guten Willens die Glückwünsche mit den Worten aus: »Der Herr wende dein Angesicht dir zu und schenke dir Heil« (Nb 6,26).

Der Herr schenke dir Frieden! Das ist der Festtagswunsch, den die Kirche an die gesamte Menschheit richtet, am ersten Tag des neuen Jahres, welcher der Feier des Weltfriedenstages gewidmet ist. In der Botschaft zu diesem Festtag habe ich einige notwendige Voraussetzungen in Erinnerung gerufen, um auf internationaler Ebene den Weg zum Frieden zu festigen. Ein leider immer gefährdeter Weg, wie die schmerzvollen Ereignisse bezeugen, die so häufig die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gezeichnet haben. Darum sollen wir uns noch mehr den Frieden im Namen Gottes wünschen: Der Herr schenke dir Frieden!

In diesem Augenblick denke ich an die Begegnung beim Gebet um den Frieden, die im Oktober 1986 in Assisi Vertreter der wichtigsten Weltreligionen vereint sah. Wir waren noch in der Periode des sogenannten »Kalten Krieges«: Gemeinsam verbunden, beteten wir, um die große Gefahr eines Konfliktes zu beschwören, der die Menschheit zu bedrohen schien. In gewissem Sinn machten wir uns zum Anwalt für das Gebet aller, und Gott erhörte die flehentlichen, von seinen Kindern erhobenen Bitten. Wenn wir auch den Ausbruch von gefahrvollen lokalen und regionalen Konflikten zu verzeichnen hatten, so blieb uns doch ein am Horizont erkennbarer großer weltweiter Konflikt erspart. Gerade darum richten wir mit noch größerem Bewußtsein an der Schwelle des neuen Jahrhunderts einer an den anderen den Friedenswunsch: Der Herr wende dein Angesicht dir zu.

Jahr Zweitausend, das auf uns zukommt: Christus schenke dir Frieden!

3. »Die Fülle der Zeit!« Der hl. Paulus bekräftigt, daß diese »Fülle« sich verwirklichte, als »Gott seinen Sohn [sandte], geboren von einer Frau« (Ga 4,4). Acht Tage nach Weihnachten, gerade heute, am ersten Tag des neuen Jahres, gedenken wir besonders der »Frau«, über die der Apostel sich äußert, der Mutter Gottes. Maria brachte den ewigen Sohn des Vaters zur Welt und leistete damit ihren Beitrag zur Erreichung der Fülle der Zeit. Sie hat in einzigartiger Weise dazu beigetragen, daß die Zeit für die Menschen das Maß ihrer Fülle in der Menschwerdung des Wortes erlangt hat.

An diesem so bedeutsamen Tag hatte ich die Freude, die Heilige Pforte in dieser ehrwürdigen, liberianischen, der ersten im Abendland der Jungfrau und Mutter Christi geweihten Basilika zu öffnen. Eine Woche nach dem feierlichen, in der Petersbasilika vollzogenen Ritus ist es heute, als ob sich die kirchlichen Gemeinschaften aller Nationen und Kontinente im Geiste hier, unter dem Blick der Mutter, zusammenfänden, um die Schwelle der Heiligen Pforte zu überschreiten, die Christus ist.

230 Und wir wollen wirklich Ihr, der Mutter Christi und der Kirche, das eben eröffnete Heilige Jahr anvertrauen, daß sie alle, die sich als Pilgerin dieser Zeit der Gnade und der Barmherzigkeit auf den Weg machen, beschütze und ermutige (vgl. Incarnationis mysterium, 14).

4. Die Liturgie des heutigen Hochfestes hat eine tiefe, marianische Eigenheit, auch wenn sie sich in den biblischen Texten eher nüchtern erweist. Der Bericht des Evangelisten Lukas nimmt gleichsam wieder auf, was wir in der Weihnachtsnacht gehört haben. Es wird berichtet, daß die Hirten sich nach Betlehem aufmachten und Maria, Josef und das Kind in der Krippe fanden. Nachdem sie es gesehen hatten, verkündeten sie das, was ihnen darüber gesagt worden war. Und alle waren erstaunt über den Bericht der Hirten. »Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen« (
Lc 2,19).

Es ist der Mühe wert, bei diesen Worten zu verweilen, die einen wunderbaren Aspekt der Mutterschaft Marias ausdrücken. Das ganze liturgische Jahr folgt in einem gewissen Sinn den Spuren dieser Mutterschaft, angefangen beim Fest der Verkündigung am 25. März, genau neun Monate vor Weihnachten. Am Tag der Verkündigung hörte Maria die Worte des Engels: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben […] Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden« (). Und sie antwortete: »Mir geschehe, wie du es gesagt hast« (ebd., 38).

Maria empfing durch das Wirken des Heiligen Geistes. Wie jede Mutter trug sie das Kind im Schoß, von dem allein sie wußte, das es der eingeborene Sohn Gottes war. Sie brachte ihn in der Nacht von Betlehem zur Welt. So nahm das irdische Leben des Sohnes Gottes seinen Anfang und seine Sendung zur Rettung in der Weltgeschichte.

5. »Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.«

Wie kann man sich darüber wundern, daß die Mutter Gottes all das in einer besonderen und einzigartigen Weise in Erinnerung behielt? Jede Mutter hat ein ähnliches Bewußtsein von dem Beginn eines neuen Lebens. Die Geschichte eines jeden Menschen ist vor allem in das Herz der eigenen Mutter eingeschrieben. So erstaunt es nicht, daß dieser Sachverhalt sich auch in den irdischen Ereignissen des Sohnes Gottes bestätigt. »Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.« Gerade heute, am ersten Tag des neuen Jahres des neuen Millenniums, an der Schwelle eines neuen Jahres, gedenkt die Kirche dieser inneren Erfahrung der Gottesmutter. Nicht nur durch erneutes Nachdenken über die Ereignisse von Betlehem, Nazaret und Jerusalem, an den verschiedenen Stationen also des irdischen Daseins des Erlösers, sondern auch weil sie alles, was sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung in der Geschichte der Menschen ausgelöst hat, neu bedenkt.

Maria war mit den Aposteln am Pfingstfest dabei; sie nahm direkten Anteil am Entstehen der Kirche. Von da an begleitete ihre Mutterschaft die Geschichte der erlösten Menschheit, den Werdegang der großen Menschheitsfamilie: Empfängerin des Wirkens der Erlösung.

Zu Beginn des Jahres Zweitausend, während wir in dieser Zeit des Jubiläums weitergehen, vertrauen wir auf dieses dein mütterliches »Gedenken«, Maria! Wir begeben uns auf diese einmalige Wegstrecke der Heilsgeschichte, die in deinem Herzen als Mutter Gottes lebendig bleibt. Dir überlassen wir voll Vertrauen die Tage des neuen Jahres, die Zukunft der Kirche, die Zukunft der Menschheit und die Zukunft des ganzen Universums.

Maria, Muttergottes, Königin des Friedens, beschütze uns.

Maria, »Salus Populi Romani« [Heil des Römischen Volkes], bitte für uns.

Amen!



HOCHFEST DER ERSCHEINUNG DES HERRN UND BISCHOFSWEIHE IM PETERSDOM


231
6. Januar 2000

1.»Auf, [Jerusalem], werde licht, denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir« (
Is 60,1).

Der Prophet Jesaja richtet den Blick auf die Zukunft. Es handelt sich jedoch weniger um die rein weltliche Zukunft, die er betrachtet. Erleuchtet vom Heiligen Geist, lenkt er seinen Blick auf die Erfüllung des Heilsplanes Gottes in der messianischen Zeit.

Die Voraussage, die der Prophet hier ausspricht, betrifft die Heilige Stadt, die er im Lichte aufstrahlen sieht: »Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht leuchtend der Herr auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir« (Is 60,2). Eben dies hat sich in der Menschwerdung des Wortes Gottes ereignet. Mit ihm »[kam] das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, […] in die Welt« (Jn 1,9). Nunmehr entscheidet sich das Schicksal eines jeden einzelnen aufgrund der Annahme oder aber der Zurückweisung dieses Lichtes: denn in ihm war das Leben (vgl. Jn 1,4).

2. Das Licht, das uns an Weihnachten erschienen ist, weitet heute seine Strahlkraft aus: es ist das Licht der Erscheinung des Herrn. Jetzt sind es nicht nur die Hirten von Betlehem, die dieses Licht sehen und ihm folgen, sondern auch die Sterndeuter, die Könige, die im Orient aufgebrochen sind und sich nach Jerusalem begeben haben, um den König, der dort geboren wurde, anzubeten (vgl. ). Und mit den Königen machen sich die verschiedenen Nationen auf den Weg hin zum göttlichen Licht.

Die Kirche feiert heute diese heilsbringende Erscheinung des Herrn, indem sie die Schilderung anhört, die sich im Evangelium nach Matthäus findet. Die berühmte Erzählung von den Sterndeutern, die aus dem Morgenland kamen, um Jenen zu suchen, der geboren werden sollte, hat seit jeher die Volksfrömmigkeit beeinflußt und wurde zu einem traditionellen Bestandteil der Weihnachtskrippe.

Die Erscheinung des Herrn ist ein Ereignis und gleichermaßen ein Symbol. Dieses Ereignis wird vom Evangelisten mit aller Genauigkeit beschrieben. Seine symbolische Bedeutung hingegen wurde schrittweise erkannt, insofern als dieses Ereignis von der Kirche nach und nach immer mehr Thema der Betrachtung und der liturgischen Feier wurde.

3. Zweitausend Jahre später schöpft die kirchliche Gemeinschaft überall dort, wo die Erscheinung des Herrn feierlich begangen wird, aus dieser wertvollen liturgischen und spirituellen Tradition stets neue Elemente der Reflexion.

Hier in Rom feiern wir mit einem alten Brauch, dem ich seit Beginn meines Pontifikates treu bleiben wollte, dieses Geheimnis, indem wir einige neue Bischöfe weihen. Es handelt sich hierbei um eine Tradition, die eine eigene, ihr innewohnende theologische und pastorale Sprache spricht, und diese Tradition bringen wir heute voller Freude ins dritte Jahrtausend ein.

Liebe Brüder, die Ihr in Kürze geweiht werdet, Ihr stammt aus verschiedenen Nationen und repräsentiert die Universalität der Kirche, welche das Wort anbetet, das zu unserem Heil Mensch geworden ist. Auf diese Weise erfüllen sich die Worte des Antwortpsalms: Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen.

Unsere liturgische Versammlung bringt diesen katholischen, allumfassenden Wesenszug der Kirche auch durch Euch, liebe erwählte Bischöfe, auf einzigartige Weise zum Ausdruck. Um Euch scharen sich in geistlicher Verbundenheit Gläubige aus allen Teilen der Welt, in welche Ihr als Nachfolger der Apostel entsandt werdet.

232 4. Einige von Euch werden die Aufgabe von Apostolischen Nuntien übernehmen: Du, Msgr. Józef Wesolowski, in Bolivien; Du, Msgr. Giacomo Guido Ottonello, in Panama; Du, Msgr. George Panikulam, auf Honduras und Du, Msgr. Alberto Bottari de Castello, in Gambia, Guinea, Liberia und Sierra Leone. Ihr werdet in diesen Ländern die Repräsentanten des Papstes sein, im Dienste der Ortskirchen und des wahren menschlichen Fortschrittes der jeweiligen Völker stehend.

Du, Msgr. Ivo Baldi, wirst die Diözese von Huaraz in Peru leiten. Du, Msgr. Gabriel Mbilingi, wurdest zum Bischofskoadjutor von Lwena in Angola auserwählt; und Du, Msgr. David Laurin Ricken, zum Bischofskoadjutor von Cheyenne in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Bischofsweihe bestärkt Dich, Msgr. Anton Cosa, als Apostolischer Administrator in Moldawien und Dich, Msgr. Giuseppe Pasotto, als Apostolischer Administrator im Kaukasus. Du, Msgr. András Veres, wirst Weihbischof des Erzbischofs von Eger, in Ungarn; und Du, Msgr. Péter Erdö, wirst Weihbischof des Oberhirten von Székesfehérvár.

Du, Msgr. Franco Croci, wirst Deine Aufgabe als Sekretär der Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Hl. Stuhls fortführen.

Seid beständig der Gnade des heutigen Tages der Erscheinung des Herrn eingedenk! Das Licht Christi strahle stets in Euren Herzen und in Eurem pastoralen Dienst auf.

5. Die heutige Liturgie ermutigt uns zur Freude. Und hierfür gibt es einen Grund: das Licht, das im Stern der Heiligen Nacht aufstrahlte, um die Weisen aus dem Morgenland nach Betlehem zu führen, schenkt auch heute den Völkern und Nationen der ganzen Welt, die sich auf dem selben Weg befinden, Orientierung.

Sagen wir Dank für die Männer und Frauen, die in den vergangenen zweitausend Jahren diesen Weg des Glaubens beschritten haben. Loben wir Christus, das »Lumen gentium« [Licht der Völker], das die Völker auf dem Weg durch die Geschichte führte und auch weiterhin führen wird!

An ihn, den Herrn der Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, richten wir vertrauensvoll unsere Bitte. Sein Stern, der Stern der Epiphanie, möge auch weiterhin in unseren Herzen aufstrahlen und den Menschen und Völkern im dritten Jahrtausend den Weg der Wahrheit, der Liebe und des Friedens aufzeigen. Amen.



FEST DER TAUFE DES HERRN

TAUFFEIER IN DER SIXTINISCHEN KAPELLE

Sonntag, 9. Januar 2000

1.»Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden« (Mc 1,11).

Diese vom Evangelisten Markus wiedergegebenen Worte führen uns direkt zum Kern des heutigen Fests der Taufe des Herrn, das die Weihnachtszeit beschließt. Heute gedenken wir jener Offenbarung des Geheimnisses der dreifaltigen Liebe, die sich ganz zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu ereignete.

233 In Betlehem wurde Jesus in der Heiligen Nacht inmitten der Armut einer Grotte unter uns Menschen geboren; am Tag der Erscheinung haben die Weisen ihn als den von den Völkern erwarteten Messias erkannt, und heute ist die Aufmerksamkeit ganz auf seine Person und Sendung konzentriert. Der Vater wendet sich unmittelbar an ihn: »Du bist mein geliebter Sohn«, während der Himmel sich öffnet und der Heilige Geist in Gestalt einer Taube auf ihn herabkommt (vgl. ). Die Szene am Jordanufer stellt uns also die feierliche Verkündung Jesu als Sohn Gottes vor Augen: So beginnt – öffentlich – seine Heilssendung.

2. Die Taufe, die der Herr empfängt, ist in den Zusammenhang der Bußpredigten Johannes des Täufers eingefügt. Die rituelle Geste des Eintauchens ins Wasser, wie der Wegbereiter sie vorschlägt, war ein äußerliches Zeichen der Reue für begangene Sünde und des Wunsches nach einer geistigen Erneuerung.

All das verweist auf das christliche Sakrament der Taufe, die ich nachher und mit großer Freude diesen Kindern spenden werde und die wir selbst schon vor geraumer Zeit empfangen haben. Die Taufe hat uns in das Leben Gottes selbst hineingenommen und uns in seinem eingeborenen, »geliebten Sohn« zu seinen Adoptivkindern gemacht.

Wie sollten wir dem Herrn nicht danken, der heute diese achtzehn Kinder zur Gotteskindschaft in Christus beruft? Wir umgeben sie mit unserem Gebet und unserer Liebe. Sie kommen aus Italien, Brasilien, Spanien, den Vereinigten Staaten und der Schweiz. Mit großer Freude nehmen wir sie in die christliche Gemeinschaft auf, die ab heute auch wirklich ihre Familie ist. Gerne richte ich einen ganz herzlichen Gruß an sie und auch an ihre Eltern, Paten und Patinnen, die diese Kinder zum Altar bringen. Wir danken dem Herrn für das Geschenk ihres Lebens und noch mehr für das ihrer spirituellen Wiedergeburt.

3. Es ist besonders stimmungsvoll, das Sakrament der Taufe in der Sixtinischen Kapelle zu spenden, wo phantastische Meisterwerke der Kunst uns an die Wundertaten der Heilsgeschichte erinnern, von den Ursprüngen des Menschen bis hin zum Jüngsten Gericht. Noch bedeutsamer ist es, diese Zeichen des göttlichen Wirkens in unserem Leben im Laufe des Jubeljahrs zu betrachten, das ganz auf das Geheimnis Christi, der für uns geboren wurde, starb und auferstand, ausgerichtet ist.

Ich wünsche diesen Kindern, in dem Glauben zu wachsen, den sie heute empfangen, damit sie sich bald aktiv am Leben der Kirche beteiligen können.

Euch, liebe Eltern, die ihr diese wichtige Stunde mit großer Ergriffenheit erlebt, bitte ich, die Versprechen eurer Berufung in der Taufe zu erneuern. Auf diese Weise werdet ihr besser auf eure Aufgabe als erste Erzieher im Glauben für eure Kinder vorbereitet sein. Sie sollen in euch wie auch in ihren Paten und Patinnen eine Stütze und Führung auf dem Weg der Treue zu Christus und zum Evangelium finden. Seid für sie Vorbilder festen Glaubens, tiefen Gebets und aktiven Engagements im Leben der Kirche.

Maria, Mutter Gottes und Mutter der Kirche, begleite die ersten Schritte der Neugetauften, und beschütze sie allezeit zusammen mit ihren Eltern, ihren Paten und Patinnen. Sie helfe jedem, in der Liebe zu Gott und in der Freude des Dienstes für das Evangelium zu wachsen, um auf diese Weise dem Leben seinen vollen Sinn zu geben.





ÖFFNUNG DER HEILIGEN PFORTE IN DER BASILIKA ST. PAUL VOR DEN MAUERN


Dienstag, 18. Januar 2000



Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Apostel Paulus hat an die Gemeinde von Korinth geschrieben: »Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen« (1Co 12,13). Diese Worte scheinen einen Kontrapunkt zum Gebet Christi zu bilden: »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein« (Jn 17,21).

234 Es ist das Gebet Christi um die Einheit! Das Gebet, das er im Angesicht seines Leidens und Sterbens an den Vater richtete. Ungeachtet unserer Widerstände bringt es weiterhin, wenn auch auf geheimnisvolle Weise, seine Früchte hervor. Entspringt nicht vielleicht aus diesem Gebet die Gnade der »ökumenischen Bewegung«? Denn das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt: »Der Herr der Geschichte […] hat in jüngster Zeit begonnen, über die gespaltene Christenheit ernste Reue und Sehnsucht nach Einheit reichlicher auszugießen. « So »ist unter der Einwirkung der Gnade des Heiligen Geistes eine sich von Tag zu Tag ausbreitende Bewegung zur Wiederherstellung der Einheit aller Christen entstanden« (Unitatis redintegratio UR 1). Wir waren und sind dafür die Zeugen. Wir alle wurden bereichert durch die Gnade des Geistes, der unsere Schritte auf die Einheit und die volle und sichtbare Gemeinschaft hin lenkt.

Die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen findet heute in Rom ihren Auftakt mit dieser Feier, die wir gemeinsam begehen. Mein Wunsch war es, damit die Öffnung der Heiligen Pforte in dieser dem Völkerapostel geweihten Basilika zu verbinden. So wollte ich die ökumenische Dimension hervorheben, die das Jubiläumsjahr 2000 auszeichnen muß. Zu Beginn eines neuen christlichen Jahrtausends, in diesem Gnadenjahr, das uns einlädt, noch entschiedener zum Evangelium umzukehren, müssen wir uns mit noch inständigerem Gebet an den Heiligen Geist wenden, um die Gnade unserer Einheit zu erflehen.

»Durch den einen Geist wurden in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen«: Wir sind in der Basilika versammelt, die den Namen des hl. Paulus trägt. Als Vertreter verschiedener Völker und Nationen, verschiedener Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften fühlen wir uns von diesen Worten des Völkerapostels persönlich angesprochen. Wir wissen, daß wir noch getrennte Brüder und Schwestern sind. Dennoch haben wir uns überzeugt und entschlossen auf den Weg gemacht, der zur vollen Einheit des Leibes Christi führt.

2. Liebe Brüder und Schwestern, seid alle herzlich willkommen! Jedem einzelnen von euch entbiete ich meinen Friedensgruß im Herrn, der uns versammelt hat. Zugleich danke ich euch von Herzen für eure Anwesenheit, die ich sehr zu schätzen weiß. In jedem von euch will ich mit dem »heiligen Kuß« (Rm 16,16) alle Mitglieder der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften grüßen, die ihr würdig vertretet.

Willkommen zu diesem Treffen, das einen Schritt nach vorn bedeutet im Hinblick auf die Einheit im Heiligen Geist, in dem wir getauft sind. Es gibt nur eine Taufe, die wir empfangen haben. Sie knüpft ein sakramentales Band der Einheit unter allen, die durch sie wiedergeboren wurden. Sie ist Wasser, das reinigt, »Wasser des Lebens«. Sie macht es uns möglich, die einzigartige »Tür« zu durchschreiten, die Christus ist: »Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden« (Jn 10,9). Christus ist die Tür zu unserem Heil. Sie führt zu Versöhnung, Frieden und Einheit. Christus ist das Licht der Welt (vgl. Jn 8,12). Wir sind gerufen, uns ihm völlig gleich zu gestalten. Wir sollen dieses Licht in das neue Jahrhundert und neue Jahrtausend tragen.

Das Symbol einer Tür, die sich öffnet, ist schlicht. Doch es birgt einen außerordentlichen Reichtum an Bedeutung: Es verkündet allen, daß Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (vgl. Jn 14,6). Er ist es für jeden Menschen. Diese Verkündigung wird mit umso größerer Kraft ankommen, je mehr wir geeint sind und als Jünger Christi dadurch erkennbar werden, daß wir einander lieben, so wie er uns geliebt hat (vgl. Jn 13,35 Jn 15,12). Treffend hat das Zweite Vatikanische Konzil daran erinnert, daß die Spaltung ganz offen dem Willen Christi widerspricht, ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen ist (vgl. Unitatis redintegratio UR 1).

3. Die Einheit, die Jesus für seine Jünger gewollt hat, ist Teilhabe an der Einheit, die er mit dem Vater hat und die der Vater mit ihm hat. Beim Letzten Abendmahl hat er gesagt: »Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein« (Jn 17,21). Deshalb muß die Kirche als »in der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes verbundenes Volk« (Cyprian, De dominica oratione, 23) beständig auf das höchste Vorbild und das Prinzip der Einheit blicken, das im Geheimnis der Dreifaltigkeit erstrahlt.

Vater und Sohn sind mit dem Heiligen Geist eins in der Unterschiedenheit der Personen. Der Glaube lehrt uns, daß der Sohn Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und Mensch geworden ist (Credo). Vor den Toren von Damaskus erfährt Paulus in der Kraft des Heiligen Geistes auf einzigartige Weise den menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus. So wird er zum Apostel dessen, der sich »entäußerte« und »wie ein Sklave« wurde, »den Menschen gleich« (Ph 2,7).

Wenn Paulus schreibt: »Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen«, dann will er seinen Glauben an die Menschwerdung des Gottessohnes ausdrücken und die besondere Analogie des Leibes Christi entfalten: die Analogie zwischen dem Leib des Gottmenschen, einem physischen Leib, der zum Subjekt unserer Erlösung wurde, und seinem mystischen und sozialen Leib, der die Kirche ist. In ihr lebt Christus und wird durch den Heiligen Geist in allen gegenwärtig, die in ihm einen einzigen Leib bilden.

4. Kann ein Leib gespalten sein? Kann die Kirche, der Leib Christi, gespalten sein? Von den ersten Konzilien angefangen, haben die Christen gemeinsam die »eine, heilige, katholische und apostolische« Kirche bekannt. Sie wissen mit Paulus, daß es nur einen einzigen Leib und einen einzigen Geist wie auch nur eine einzige Hoffnung gibt, zu der sie berufen sind: »Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist« ().

Gegenüber diesem Geheimnis der Einheit, das ein Geschenk des Himmels ist, stellen die Spaltungen eine historische Erscheinung dar, die von der menschlichen Schwäche der Christen zeugt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat anerkannt, daß sie »oft nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten« (Unitatis redintegratio UR 3) entstanden sind. In diesem Gnadenjahr muß in jedem einzelnen von uns das Bewußtsein der eigenen persönlichen Verantwortung wachsen angesichts der Brüche, die die Geschichte des mystischen Leibes Christi kennzeichnen. Ein solches Bewußtsein ist unerläßlich, um voranzuschreiten auf dem Weg zu jenem Ziel, dem das Konzil die Bezeichnung unitatis redintegratio, Wiederherstellung unserer Einheit, gegeben hat.

235 Die Wiederherstellung der Einheit ist indes nicht möglich ohne innere Umkehr. Die Sehnsucht nach Einheit wächst und reift ja aus der Erneuerung des Denkens, der Liebe zur Wahrheit, der Verleugnung seiner selbst und der Freiheit, mit der die Liebe sich verströmt. Bekehrung des Herzens und Heiligkeit des Lebens, persönliches und gemeinschaftliches Gebet um die Einheit sind der Kern, aus dem die ökumenische Bewegung Kraft und Gehalt bekommt.

Der Wunsch nach Einheit geht mit einer tiefen Fähigkeit einher, Persönliches zu opfern, um das Herz für eine immer größere Treue zum Evangelium zu bereiten. Uns für das Opfer der Einheit bereit zu machen bedeutet, unseren Blick zu wandeln, unseren Horizont zu weiten, das Wirken des Heiligen Geistes in unseren Brüdern und Schwestern anzuerkennen, neue Gesichter der Heiligkeit zu entdecken und uns bislang unbekannten Weisen der christlichen Tat zu öffnen.

Wenn es uns gelingt, vom Gebet getragen unsere Sinne und Herzen zu erneuern, dann wird der Dialog, den wir gegenwärtig untereinander führen, die Grenzen eines Gedankenaustauschs überschreiten und ein Austausch von Gaben werden. Er wird zu einem Dialog der Liebe und Wahrheit, indem er uns herausfordert und antreibt, weiterzugehen, bis wir Gott »das größere Opfer« des Friedens und unserer brüderlichen Eintracht darbringen können (vgl. Cyprian, De dominica oratione, 23).

5. In dieser Basilika, die zur Ehre des hl. Paulus erbaut wurde, denken wir an die Worte, mit denen der Apostel heute unseren Glauben und unsere Hoffnung angesprochen hat: »Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen.« Zugleich bitten wir Christus um Vergebung für alles, was in der Geschichte der Kirche seinem Plan der Einheit geschadet hat. Mit Zuversicht rufen wir ihn an, der die Tür des Lebens, die Tür des Heils und die Tür des Friedens ist: Er möge unsere Schritte unterstützen, die bereits erzielten Fortschritte festigen und uns den Beistand seines Geistes gewähren, damit unser Einsatz stets wahrhaftig und wirksam sei.

Liebe Brüder und Schwestern, der Wunsch, den ich in diesem feierlichen Augenblick zum Ausdruck bringe, besteht darin, daß das Gnadenjahr 2000 für alle Jünger Christi eine Gelegenheit sei, um dem ökumenischen Bemühen neuen Auftrieb zu geben und es als Imperativ des christlichen Gewissens aufzufassen. Von ihm hängt zum großen Teil die Zukunft der Evangelisierung ab, die Verkündigung des Evangeliums an die Männer und Frauen unserer Zeit.

Von dieser Basilika aus, wo wir heute so hoffnungsfroh versammelt sind, richte ich den Blick in das neue Jahrtausend hinein. Ein Wunsch, der mir aus dem Herzen kommt, wird zum eindringlichen Gebet vor dem Thron des Ewigen: In nicht allzu ferner Zukunft mögen die endlich ausgesöhnten Christen wieder gemeinsam als ein einziges Volk, dem Plan des Vaters gehorsam, ihren Weg gehen können. Sie sollen ein Volk sein, das in der Freude erneuerter Brüderlichkeit mit einer Stimme wiederholen kann: »Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel« (
Ep 1,3).

Unser Herr Jesus Christus erhöre unsere Gebete und unsere brennende Bitte. Amen!
[Auf Rufe aus der Menge antwortend, fügte der Papst noch hinzu:]

»Unitade, Unitade – Einheit, Einheit«, dieser Ruf, den ich während meines Besuchs in Bukarest vernommen habe, begegnet mir wieder als starkes Echo. »Unitade, Unitade«, rief das zur Eucharistiefeier versammelte Volk. Alle Christen – Katholiken, Orthodoxe und Protestanten –, alle haben miteinander gerufen: »Unitade, Unitade.« Danke für diese Stimme, für die so tröstliche Stimme unserer Brüder und Schwestern.

Vielleicht können auch wir uns, wenn wir aus dieser Basilika hinausgehen, ihren Ruf zu eigen machen: »Einheit, Einheit!«

Danke.






Predigten 1978-2005 225