Predigten 1978-2005 254


JUBILÄUMSPILGERREISE

VON PAPST JOHANNES PAUL II.

INS HEILIGE LAND (20.-26. MÄRZ 2000)

HEILIGE MESSE FÜR DIE JUGENDLICHEN


Korazim, Berg der Seligpreisungen

Freitag, 24. März 2000



»Seht doch auf eure Berufung, Brüder!« (1Co 1,26).

255 1. Heute sind diese Worte an uns alle gerichtet, die wir hierher zum Berg der Seligpreisungen gekommen sind. Wir haben auf dieser Anhöhe Platz genommen wie die ersten Jünger und hören Jesus zu. In Ruhe hören wir seine freundliche und eindringliche Stimme, so freundlich wie dieses Land um uns und so eindringlich wie ein Aufruf, sich zwischen Leben und Tod zu entscheiden.

Wie viele Generationen vor uns hat die Bergpredigt tief bewegt! Wie viele Jugendliche haben sich im Laufe der Jahrhunderte um Jesus versammelt, wie ihr heute hier versammelt seid, um von ihm die Worte des ewigen Lebens zu lernen! Wie viele junge Herzen wurden von der Kraft seiner Persönlichkeit und von der überzeugenden Wahrheit seiner Botschaft angeregt! Es ist großartig, daß ihr hier seid!

Vielen Dank an Sie, Erzbischof Boutros Mouallem, für Ihren herzlichen Empfang. Ich bitte Sie, meinen wohlmeinenden Segensgruß der ganzen griechisch-melkitischen Gemeinschaft, der Sie vorstehen, zu übermitteln. Meine brüderlichen guten Wünsche möchte ich zudem den vielen Kardinälen, Patriarch Sabbah sowie den vielen Bischöfen und allen Priestern, die hier anwesend sind, aussprechen. Mein Gruß gilt den Mitgliedern der Gemeinden des lateinischen Ritus, einschließlich der Hebräisch Sprechenden, den Gemeinden der Maroniten, der Syrer, der Armenier, der Chaldäer und allen unseren Brüdern und Schwestern der anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Ein besonderes Dankeswort richte ich an unsere muslimischen Freunde, an die Anhänger des jüdischen Glaubens und an die Gemeinschaft der Drusen.

Dieses große Treffen ist gewissermaßen eine Probe für den Weltjugendtag, der im kommenden August in Rom stattfinden soll! Der junge Mann, der vorhin zu Wort kam, versprach, daß ihr einen anderen Berg, den Berg Sinai, haben werdet!

2. Vor nur einem Monat war es mir gegeben, dorthin zu reisen, wo Gott zu Moses sprach und ihm das Gesetz gab, das »mit dem Finger Gottes« auf die steinernen Tafeln geschrieben war (vgl.
Ex 31,18). Diese beiden Berge – der Sinai und der Berg der Seligpreisungen – bieten uns die Landkarte unseres christlichen Lebens und eine Zusammenfassung unserer Verpflichtungen Gott und unserem Nächsten gegenüber. Das Gesetz und die Seligpreisungen stecken zusammen den Pfad der Nachfolge Christi und den Königsweg zu geistlicher Reife und Freiheit ab.

Die Zehn Gebote des Sinai könnten uns negativ erscheinen: »Du sollst neben mir keine anderen Götter haben […] Du sollst nicht morden. Du sollst nicht die Ehe brechen. Du sollst nicht stehlen. Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen« (Ex 20,3 Ex 20, . Tatsächlich aber sind sie zutiefst positiv, denn sie gehen über das von ihnen genannte Böse hinaus und zeigen den Weg zum Gesetz der Liebe, das das erste und wichtigste der Gebote ist: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken […] Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Mt 22,37 Mt 22,39). Jesus sagt, daß er nicht gekommen ist, um das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen (vgl. Mt 5,17). Seine Botschaft ist neu, aber sie zerstört das vorher Dagewesene keineswegs, sondern führt es zur vollen Entfaltung seiner Möglichkeiten. Jesus lehrt, daß der Weg der Liebe das Gesetz zur Erfüllung bringt (vgl. Gal 5,14). Und diese äußerst wichtige Wahrheit lehrte er hier, auf diesem Berg in Galiläa.

3. »Gesegnet seid ihr«, sagt er, »ihr alle, die ihr arm seid vor Gott, die ihr keine Gewalt anwendet, die ihr trauert, die ihr hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, die ihr ein reines Herz habt, die ihr Frieden stiftet oder verfolgt werdet! Selig seid ihr!« Die Worte Jesu könnten jedoch merkwürdig scheinen. Es ist sonderbar, daß Jesus gerade diejenigen preist, die die Welt im allgemeinen als schwach betrachtet. Er sagt ihnen: »Selig seid ihr, die ihr Verlierer zu sein scheint, denn ihr seid die wahren Gewinner, ihr seid die wahren Gewinner: Euch gehört das Himmelreich!« Von ihm gesprochen, der »gütig und von Herzen demütig« ist (Mt 11,29), stellen diese Worte eine Herausforderung dar, die eine tiefe und unvergängliche »metanoia« des Geistes und eine bedeutsame Umwandlung des Herzens verlangt.

Ihr Jugendlichen werdet verstehen, warum diese Verwandlung des Herzens nötig ist! Ihr hört nämlich auch eine weitere Stimme in euch und um euch, eine widersprüchliche Stimme. Diese Stimme sagt: »Selig die Stolzen und Gewalttätigen, die sich um jeden Preis bereichern, selig die Skrupellosen, Mitleidlosen und Hinterhältigen, die Krieg und nicht Frieden machen und diejenigen verfolgen, die ihnen im Weg stehen.« In einer Welt, wo die Gewalttätigen oft die Oberhand gewinnen und die Verschlagenen Erfolg haben, scheint diese Stimme Sinn zu haben. »Ja«, sagt die Stimme des Bösen, »sie sind die Gewinner. Glücklich sind sie!«

4. Jesus bietet uns eine ganz andere Botschaft. Nicht weit von diesem Ort, an dem wir uns jetzt befinden, berief Jesus seine ersten Jünger, so wie er euch jetzt ruft. Sein Aufruf forderte immer – auch jetzt auf dieser Anhöhe – eine Entscheidung zwischen den beiden Stimmen, die um unser Herz streiten, die Entscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod. Für welche Stimme werden sich die Jugendlichen des 21. Jahrhunderts entscheiden? Euren Glauben auf Jesus zu setzen bedeutet, das, was er sagt, zu glauben – gleichgültig, wie sonderbar es auch scheinen mag. Es bedeutet sich den Ansprüchen des Bösen zu widersetzen – gleichgültig, wie vernünftig oder attraktiv sie auch erscheinen mögen.

Letztendlich spricht Jesus die Seligpreisungen nicht einfach aus: Er lebt sie. Er verkörpert selbst die Seligpreisungen. Wenn ihr auf ihn schaut, werdet ihr erkennen, was es heißt, arm zu sein vor Gott, keine Gewalt anzuwenden, zu trauern, zu hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, ein reines Herz zu haben, Frieden zu stiften oder verfolgt zu werden. Darum hat er, Jesus, auch das Recht, zu sagen: »Komm, folge mir nach!« Er sagt nicht einfach: »Tu, was ich sage.« Er sagt: »Komm, folge mir nach!«

Ihr hört seine Stimme auf diesem Abhang, und ihr glaubt an das, was er sagt. Aber wie die ersten Jünger am Meer von Galiläa müßt auch ihr eure Boote und Netze zurücklassen; das ist nie einfach, besonders wenn ihr in eine ungewisse Zukunft schaut und versucht seid, das Vertrauen in euer christliches Erbe zu verlieren. Gute Christen zu sein scheint in der heutigen Welt über eure Kräfte zu gehen. Aber Jesus steht nicht einfach unbeteiligt daneben und läßt euch in dieser Herausforderung allein: Er ist immer bei euch, um eure Schwäche in Stärke umzuwandeln. Vertraut ihm, wenn er sagt: »Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit« (2Co 12,9)!

256 5. Die Jünger verbrachten viel Zeit mit dem Herrn. Sie lernten ihn gut kennen und lieben. Sie entdeckten den Sinn der Worte, die der Apostel Petrus einmal an Jesus richtete: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (Jn 6,68). Sie erkannten, daß die Worte des ewigen Lebens die Worte vom Berg Sinai und die der Seligpreisungen sind. Das ist die Botschaft, die sie überall verbreiteten.

Vor seiner Himmelfahrt gab Jesus seinen Jüngern einen Auftrag und eine Zusicherung: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern […] Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (). Zweitausend Jahre lang haben die Jünger Christi diesen Auftrag erfüllt. Jetzt, an der Schwelle des dritten Jahrtausends, seid ihr an der Reihe. Jetzt liegt es bei euch, in die Welt hinauszugehen und die Botschaft von den Zehn Geboten und den Seligpreisungen zu predigen. Wenn Gott spricht, dann spricht er von Dingen, die für jeden Menschen von größter Wichtigkeit sind, für die Menschen des 21. Jahrhunderts nicht weniger als für die des ersten Jahrhunderts. Die Zehn Gebote und die Seligpreisungen sprechen von Wahrheit und Güte, von Gnade und Freiheit: von allem, was zum Eintritt in Christi Reich nötig ist. Jetzt seid ihr an der Reihe, mutige Apostel dieses Reiches zu sein!

Jugendliche des Heiligen Landes, Jugendliche aus aller Welt: Antwortet dem Herrn, antwortet dem Herrn mit einem bereiten und offenen Herzen! Bereit und offen, wie das Herz der bedeutendsten Tochter Galiläas: Maria, die Mutter Jesu. Wie reagierte sie? Sie sagte: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lc 1,38).

Herr Jesus Christus! Höre auf diese großzügigen jungen Herzen an diesem Ort, den du so gut gekannt und geliebt hast! Lehre diese jungen Menschen auch in Zukunft die Wahrheit der Gebote und der Seligpreisungen! Mache sie zu freudigen Zeugen deiner Wahrheit und zu überzeugten Aposteln deines Reiches! Bleibe immer an ihrer Seite, besonders wenn es für sie schwer und anstrengend wird, dir und dem Evangelium zu folgen! Du wirst ihre Kraft; du wirst ihr Sieg sein!

O Herr Jesus, du hast diese jungen Leute zu deinen Freunden gemacht: Nimm dich ihrer immer an!

Amen.



JUBILÄUMSPILGERREISE

VON PAPST JOHANNES PAUL II.

INS HEILIGE LAND (20.-26. MÄRZ 2000)

HEILIGE MESSE IN DER BASILIKA DER VERKÜNDIGUNG


Nazaret, Israel

Samstag, 25. März 2000



»Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort« (Angelus).

Eure Seligkeit,
Mitbrüder im Bischofsamt,
Pater Kustos,
257 liebe Brüder und Schwestern!

1. Fünfundzwanzigster März des Jahres 2000, Hochfest der Verkündigung des Herrn im Jahr des Großen Jubiläums: An diesem Tag sind die Augen der ganzen Kirche auf Nazaret gerichtet. Es war mein sehnlicher Wunsch, in die Stadt Jesu zurückzukehren, im Kontakt mit dieser Stätte erneut die Gegenwart der Frau wahrzunehmen, über die der hl. Augustinus schrieb: »Er erwählte die Mutter, die er erschaffen hatte; er erschuf die Mutter, die er erwählt hatte« (vgl. Sermo 69, 3, 4). Hier ist besonders leicht zu verstehen, warum alle Geschlechter Maria seligpreisen (vgl.
Lc 1,48).

Herzlich begrüße ich Eure Seligkeit Patriarch Michel Sabbah und danke Ihnen für Ihre freundlichen Einführungsworte. Mit Erzbischof Boutros Mouallem und euch allen – Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen sowie Mitglieder des Laienstandes – freue ich mich in der Gnade dieses feierlichen Gottesdienstes. Ich bin froh, die Gelegenheit zu haben, den Generalminister der Franziskaner, Pater Giacomo Bini, zu grüßen, der mich bei meiner Ankunft empfangen hat, und dem Kustos, Pater Giovanni Battistelli, und den Franziskanern der Kustodie die Bewunderung der ganzen Kirche für die Hingabe auszusprechen, mit der sie ihre einzigartige Berufung erfüllen. Mit Dankbarkeit spreche ich eurer Treue zu der euch vom hl. Franziskus selbst übertragenen und von den Päpsten durch die Jahrhunderte immer wieder bestätigten Aufgabe Anerkennung aus.

2. Wir sind versammelt, um das große Geheimnis zu feiern, das sich vor zweitausend Jahren hier ereignet hat. Der Evangelist Lukas stellt die Begebenheit in einen klaren Zusammenhang von Zeit und Ort: »Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt […] Der Name der Jungfrau war Maria« (). Doch um zu verstehen, was vor zweitausend Jahren in Nazaret geschehen ist, müssen wir zu der Lesung aus dem Brief an die Hebräer zurückkehren. Dieser Text versetzt uns gleichsam in die Lage, einem Gespräch zwischen dem Vater und dem Sohn zuzuhören betreffend Gottes Plan von aller Ewigkeit her.»Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme […], um deinen Willen, Gott, zu tun« (10,5–7). Der Brief an die Hebräer zeigt uns, daß das Ewige Wort aus Gehorsam zum Willen des Vaters zu uns kommt, um das Opfer darzubringen, das alle unter dem alten Bund dargebrachten Opfer überragt. Seines ist das ewige und vollkommene Opfer, das die Welt erlöst.

Der göttliche Plan wird schrittweise im Alten Testament geoffenbart, insbesondere in den Worten des Propheten Jesaja, die wir soeben gehört haben: »Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel […] geben« (Is 7,14). Immanuel – Gott mit uns. In diesen Worten ist das einzigartige Ereignis vorausgesagt, das in der Fülle der Zeit in Nazaret stattfinden soll. Und dieses Ereignis ist es, das wir hier mit großer Freude und Fröhlichkeit feiern.

3. Unsere Jubiläumspilgerreise ist eine Reise im Geist, die in den Fußstapfen Abrahams, »unseres Vaters im Glauben« (vgl. Römischer Meß-Kanon; ), begonnen hat. Diese Reise hat uns heute nach Nazaret geführt, wo wir Maria, der treuesten Tochter Abrahams, begegnen. Mehr als irgend jemand anderer kann Maria uns lehren, was es bedeutet, den Glauben »unseres Vaters« zu leben. In mancherlei Hinsicht unterscheidet sich Maria deutlich von Abraham; doch tiefer gesehen, sind »der Freund Gottes« (vgl. Is 41,8) und die junge Frau aus Nazaret einander sehr ähnlich.

Abraham und Maria erhalten eine wunderbare Verheißung von Gott. Abraham sollte Vater eines Sohnes sein, aus dem eine große Nation hervorgehen würde. Maria soll Mutter eines Sohnes sein, der der Messias, der Gesalbte sein wird. Gabriel sagt: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären […] Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben […] und seine Herrschaft wird kein Ende haben« ().

Für beide, Abraham und Maria, kommt die göttliche Verheißung als etwas völlig Unerwartetes.Gott unterbricht den täglichen Ablauf ihres Lebens und bringt seine feststehenden Rhythmen und üblichen Erwartungen durcheinander. Für beide, Abraham und Maria, scheint die Verheißung unmöglich. Abrahams Frau Sara war unfruchtbar, und Maria ist noch nicht verheiratet: »Wie soll das geschehen«, fragt sie, »da ich keinen Mann erkenne?« (Lc 1,34).

4. Wie Abraham ist Maria aufgefordert, zu etwas ja zu sagen, das noch nie zuvor geschehen ist. Sara ist die erste in der Reihe unfruchtbarer Frauen in der Bibel, die durch Gottes Kraft empfangen, so wie Elisabet die letzte sein wird. Gabriel spricht von Elisabet, um Maria Gewißheit zu geben: »Auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen« (Lc 1,36).

Wie Abraham muß Maria durch Dunkelheit gehen, wobei sie einfach dem vertrauen muß, der sie berufen hat. Doch selbst ihre Frage »Wie soll das geschehen?« läßt vermuten, daß Maria bereit ist, ja zu sagen trotz ihrer Sorge und Ungewißheit. Maria fragt nicht, ob die Verheißung möglich ist, sondern nur, wie sie in Erfüllung gehen soll.Es kommt daher nicht überraschend, wenn sie schließlich ihr »fiat« sagt: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lc 1,38). Mit diesen Worten zeigt Maria selbst, daß sie die treue Tochter Abrahams ist, und sie wird Mutter Christi und Mutter aller Glaubenden.

5. Um tiefer in das Geheimnis einzudringen, wollen wir auf den Augenblick der Reise Abrahams zurückblicken, als er die Verheißung empfing. Das war, als er die drei geheimnisvollen Gäste bei sich zu Hause aufnahm (vgl. ) und ihnen die Gott geschuldete Verehrung entgegenbrachte: »Tres vidit et unum adoravit – Drei sah er, und einen betete er an.« Diese geheimnisvolle Begegnung weist auf die Verkündigung voraus, bei der Maria machtvoll in Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist gebracht wird. Durch das von Maria in Nazaret gesprochene »fiat« wurde die Menschwerdung zur wunderbaren Erfüllung der Begegnung Abrahams mit Gott. So sind wir, den Spuren Abrahams folgend, nach Nazaret gekommen, um den Lobpreis der Frau zu singen, »durch die der Welt das Licht erschienen ist« (Hymnus Ave Regina caelorum).

258 6. Aber wir sind auch gekommen, um sie zu bitten. Was wollen wir Pilger auf unserem Weg in das dritte christliche Jahrtausend von der Gottesmutter erbitten? Hier, in der Stadt, die Papst Paul VI., als er Nazaret besuchte, »die Schule des Evangeliums« nannte, wo »wir es lernen, auf die tiefe und geheimnisvolle Bedeutung des ganz einfachen, ganz demütigen und ganz schönen Erscheinens des Gottessohnes zu blicken und zu hören, diese Bedeutung zu erwägen und zu ergründen« (vgl. Ansprache in Nazaret, 5. Januar 1964), bete ich vor allem um eine große Erneuerung des Glaubens in allen Kindern der Kirche.Eine tiefe Erneuerung des Glaubens: nicht einfach als allgemeine Lebenshaltung, sondern als bewußtes und mutiges Bekenntnis des Credo: »Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est – [Er] hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.«

In Nazaret, wo Jesus »heranwuchs, an Weisheit zunahm und Gefallen fand bei Gott und den Menschen« (vgl.
Lc 2,52), bitte ich die Heilige Familie, alle Christen dazu zu inspirieren, daß sie die Familie gegen die vielen heutigen Bedrohungen ihrer Natur, ihrer Stabilität und ihrer Aufgabe verteidigen. Der Heiligen Familie vertraue ich die Anstrengungen der Christen und aller Menschen guten Willens an, das Leben zu verteidigen und die Achtung vor der Würde jedes Menschen zu fördern.

Maria, der »Theotòkos«, der großen Mutter Gottes, weihe ich die Familien des Heiligen Landes, die Familien der Welt.

In Nazaret, wo Jesus sein öffentliches Wirken begann, bitte ich Maria, der Kirche überall zu helfen, den Armen die »gute Nachricht« zu verkünden, so wie er es tat (vgl. Lc 4,18). In diesem »Gnadenjahr des Herrn« bitte ich sie, uns den Weg des demütigen und freudigen Gehorsams gegenüber dem Evangelium im Dienst an unseren Brüdern und Schwestern ohne Bevorzugungen und ohne Vorurteile zu lehren.

»Verschmähe nicht meine Worte, du Mutter des Wortes, sondern höre sie gnädig an, und erhöre mich. Amen« (Memorare).





JUBILÄUMSPILGERREISE

VON PAPST JOHANNES PAUL II.

INS HEILIGE LAND (20.-26. MÄRZ 2000)

EUCHARISTIEFEIER IN DER GRABESKIRCHE ZU JERUSALEM

Sonntag, 26. März 2000



»Ich glaube an Jesus Christus, […] empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben […] am dritten Tage auferstanden von den Toten.«

1. Dem Weg der Heilsgeschichte folgend, wie sie im Apostolischen Glaubensbekenntnis vorgezeichnet ist, hat mich meine Wallfahrt im Jubiläumsjahr ins Heilige Land geführt. Von Nazaret, wo Jesus von der Jungfrau Maria durch die Kraft des Heiligen Geistes empfangen wurde, habe ich Jerusalem erreicht, wo er »gelitten hat unter Pontius Pilatus, gekreuzigt wurde, gestorben ist und begraben wurde«. Hier, in der Grabeskirche, knie ich vor seiner Begräbnisstätte nieder: »Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte« (Mc 16,6).

Das Grab ist leer. Es ist ein stilles Zeugnis des zentralen Ereignisses der Menschheitsgeschichte: der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus. Seit fast zweitausend Jahren legt das leere Grab Zeugnis ab für den Sieg des Lebens über den Tod. Zusammen mit den Aposteln und Evangelisten, mit der Kirche aller Zeiten und aller Orte bezeugen und verkünden auch wir: »Christus ist auferstanden! Von den Toten auferweckt, wird er nie mehr sterben; der Tod hat keine Macht mehr über ihn« (Rm 6,9).

»Mors et vita duello conflixere mirando; dux vitae mortuus, regnat vivus – Tod und Leben, die kämpfen unbegreiflichen Zweikampf, des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend« (Lateinische Ostersequenz Victimae paschali laudes). Der Herr des Lebens war tot; jetzt herrscht er, siegreich über den Tod, über die Quelle des ewigen Lebens für alle, die glauben.

2. In dieser, der »Mutter aller Kirchen« (vgl. hl. Johannes von Damaskus), richte ich meinen herzlichen Gruß an Seine Seligkeit Patriarch Michel Sabbah, die Ordinarien der anderen katholischen Gemeinschaften, Pater Giovanni Battistelli und die Franziskanerbrüder der Kustodie des Heiligen Landes, sowie an die Priester, die Ordensleute und die Laien.

259 Mit brüderlicher Hochachtung und Zuneigung grüße ich Patriarch Diodoros der griechisch-orthodoxen Kirche und Patriarch Torkom der armenisch-orthodoxen Kirche, die Vertreter der koptischen, syrischen und äthiopischen Kirchen und der anglikanischen und lutherischen Gemeinschaften.

Hier, wo unser Herr Jesus Christus starb, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln (vgl.
Jn 11,52), stärke der Vater aller Gnaden unseren Wunsch nach Einheit und Frieden unter all jenen, die durch die heilbringenden Wasser der Taufe das Geschenk des neuen Leben erhalten haben.

3. »Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten« (Jn 2,19).

Der Evangelist Johannes berichtet, daß sich die Jünger nach der Auferstehung Jesu von den Toten an seine Worte erinnerten und glaubten (vgl. Jn 2,22). Jesus hatte diese Worte als Zeichen für die Jünger gesprochen. Als er mit ihnen den Tempel besuchte, trieb er die Geldwechsler und Händler aus diesem heiligen Ort hinaus (vgl. Jn 2,15). Und als die Anwesenden protestierten und sagten: »Welches Zeichen läßt du uns sehen als Beweis, daß du dies tun darfst?«, entgegnete Jesus: »Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten.« Der Evangelist merkt an, daß er damit »den Tempel seines Leibes« meinte (vgl. ).

Die in Jesu Worten enthaltene Verheißung erfüllte sich am Ostermorgen, als er am dritten Tage von den Toten auferstand. Die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus ist das Zeichen, daß der Ewige Vater seinem Versprechen treu bleibt und aus dem Tod neues Leben hervorbringt: »Die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt.« Das Geheimnis wird deutlich widergespiegelt in dieser alten Kirche der »Anastasis«, die sowohl das leere Grab, das Zeichen der Auferstehung, als auch Golgota, den Ort der Kreuzigung, umschließt. Die frohe Botschaft der Auferstehung kann niemals vom Geheimnis des Kreuzes getrennt werden. In der Zweiten Lesung von heute betont Paulus das: »Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten« (1Co 1,23). Christus, der sich selbst als Abendopfer auf dem Altar des Kreuzes hingab (vgl. Ps 141,2), ist jetzt offenbart als »Gottes Kraft und Gottes Weisheit« (1Co 1,24). In dieser Auferstehung werden die Söhne und Töchter Adams zu Teilhabern an dem göttlichen Leben, das von aller Ewigkeit mit dem Vater im Heiligen Geist war.

4. »Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat; aus dem Sklavenhaus« (Ex 20,2).

Die heutige Liturgie der Fastenzeit stellt uns den Bund vor Augen, den Gott mit seinem Volk auf dem Berg Sinai schloß, als er Mose die Zehn Gebote des Gesetzes gab. Der Berg Sinai ist die zweite Station jener großen Pilgerreise des Glaubens, die damals begann, als Gott zu Abraham sagte: »Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde« (Gn 12,1).

Das Gesetz und der Bund besiegeln die Verheißung an Abraham. Durch den Dekalog und das Sittengesetz, das ins Menschenherz geschrieben ist (vgl. Rm 2,15), stellt Gott eine radikale Herausforderung an die Freiheit jedes Mannes und jeder Frau. Auf die Stimme Gottes, die aus den Tiefen unseres Gewissens widerhallt, antworten und sich für das Gute zu entscheiden ist die erhabenste Nutzung der menschlichen Freiheit. Im richtigen Sinne bedeutet das, sich zwischen Leben und Tod zu entscheiden (vgl. Dt 30,15). Indem es den Weg des Bundes mit dem allheiligen Gott ging, wurde das Volk zu Trägern und Zeugen der Verheißung auf wahre Befreiung und auf die Fülle des Lebens.

Die Auferstehung Jesu ist das endgültige Siegel aller Verheißungen Gottes, der Geburtsort einer neuen, auferweckten Menschheit, der Unterpfand einer Geschichte, die von den messianischen Gaben des Friedens und der geistigen Freude geprägt ist. An der Schwelle eines neuen Jahrtausends können und sollten die Christen in die Zukunft blicken mit unerschütterlichem Vertrauen auf die glorreiche Macht des Auferstandenen, alle Dinge neu zu machen (vgl. Ap 21,5). Er ist derjenige, der die ganze Schöpfung von ihrer Unterwerfung unter die Vergänglichkeit befreit (vgl. Rm 8,20). Durch seine Auferstehung öffnet er den Weg zur großen Sabbatruhe, zum Achten Tag, wenn die Pilgerfahrt der Menschheit enden wird und Gott über alles und in allem herrscht (vgl. 1Co 15,28).

Können wir hier, am Heiligen Grab, und am Golgota, wenn wir unser Glaubensbekenntnis an den auferstandenen Herrn erneuern, daran zweifeln, daß wir in der Macht des Geistes, des Lebens die Kraft erhalten werden, die wir brauchen, um unsere Spaltungen zu überwinden und um beim Aufbau einer Zukunft der Versöhnung, der Einheit und des Friedens zusammenzuarbeiten? Hier hören wir – wie an keinem anderen Ort der Erde – ,daß der Herr erneut zu seinen Jüngern sagt: »Habt Mut: Ich habe die Welt besiegt« (Jn 16,33).

5. »Mors et vita duello conflixere mirando; dux vitae mortuus, regnat vivus – Tod und Leben, die kämpfen unbegreiflichen Zweikampf, des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend.«

260 In der Herrlichkeit des Geistes strahlend, ist der auferstandene Herr das Haupt der Kirche, seines mystischen Leibes. Er unterstützt sie in ihrem Auftrag, das Evangelium des Heils den Männern und Frauen aller Generationen zu verkünden, bis er kommt in Herrlichkeit!

Von diesem Ort aus, wo die Apostel erstmals von der Auferstehung erfuhren, fordere ich alle Kirchenmitglieder auf, ihre Treue zum Gebot des Herrn, das Evangelium an die Grenzen der Erde zu tragen, zu erneuern. Zu Beginn eines neuen Jahrtausends ist es überaus nötig, von den Dächern folgende Frohbotschaft zu verkündigen: »Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (
Jn 3,16). »Herr, du hast Worte des ewigen Lebens« (Jn 6,68). Als der unwürdige Nachfolger Petri möchte ich heute diese Worte wiederholen, während wir das eucharistische Opfer hier, an diesem heiligsten Ort der Erde, feiern. Mit der ganzen erlösten Menschheit mache ich mir die Worte zu eigen, die der Fischer Petrus an Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, richtete: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens

»Christós anésti

Jesus Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaft auferstanden! Amen.



SELIGSPRECHUNG VON FÜNF DIENERN GOTTES

Sonntag, 9. April 2000



1. »[…] wir wollen Jesus sehen« (Jn 12,21).

Mit dieser Bitte wenden sich einige Griechen, die sich anläßlich des Paschafestes nach Jerusalem begeben hatten, an Philippus. Ihr Wunsch, Jesus zu begegnen und sein Wort zu hören, ruft eine feierliche Antwort hervor: »Die Stunde ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht wird« (Jn 12,23). Welche Stunde ist dies, auf die Jesus hinweist? Der Kontext erklärt es: Es ist die geheimnisvolle und feierliche »Stunde« seines Todes und seiner Auferstehung.

Jesus sehen! Wie diese Gruppe von Griechen hatten im Laufe der Jahrhunderte unzählige Menschen den Wunsch, den Herrn kennenzulernen. Sie betrachteten ihn mit den Augen des Glaubens. Sie erkannten ihn als den gekreuzigten und auferstandenen Messias an, ließen sich von ihm ergreifen und wurden zu seinen treuen Jüngern. Es sind die Heiligen und Seligen, die uns die Kirche vorstellt als Beispiele und Vorbilder, die wir nachahmen und denen wir nachfolgen sollen.

Im Rahmen der Feierlichkeiten des Heiligen Jahres habe ich heute die Freude, einige neue Selige zur Ehre der Altäre zu erheben. Es sind fünf Bekenner des Glaubens, die Christus durch das Wort verkündeten und ihn durch ihren unablässigen Dienst an den Brüdern bezeugt haben. Es handelt sich um Mariano de Jesús Euse Hoyos, Diözesanpriester und Pfarrer; Franz Xaver Seelos, Profeßpriester der Kongregation des Allerheiligsten Erlösers (Redemptoristen); Anna Rosa Gattorno, Witwe, Gründerin des Institutes der Töchter der hl. Anna; Maria Elisabeth Hesselblad, Gründerin des Ordens der Schwestern des Heiligsten Erlösers von der hl. Birgitta; Mariam Theresia Chiramel Mankidiyan, Gründerin der Kongregation der Heiligen Familie.

In spanischer Sprache sagte der Papst:

2. »Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein« (Jn 12,26), so spricht Jesus zu uns im Evangelium, das wir soeben gehört haben. Durch die treue Nachfolge Jesu Christi und die selbstlose Ausübung seines priesterlichen Dienstes zeichnete sich Pfarrer Mariano de Jesús Euse Hoyos aus, den ich heute zur Ehre der Altäre erhebe. Durch seine innere Erfahrung der Begegnung mit dem Herrn geprägt, setzte sich »Padre Marianito«, wie er in seiner Heimat liebevoll genannt wurde, unermüdlich für die Evangelisation von Kindern und Erwachsenen, insbesondere von Landarbeitern, ein. Er scheute keine Opfer und Mühen und wirkte beinahe fünfzig Jahre in einer bescheidenen Pfarrei in Angostura, in Antioquia, zur Ehre Gottes und zum Wohl der ihm anvertrauten Seelen.

261 Sein leuchtendes Zeugnis der Nächstenliebe, des Verständnisses, des Dienstes, der Solidarität und der Vergebung mögen für Kolumbien ein Vorbild und eine wertvolle Hilfe sein bei der Arbeit für den Frieden und die vollkommene Wiederversöhnung in diesem geliebten Land. So wie der 9. April vor zweiundfünfzig Jahren zum Ausgangspunkt von Gewalttätigkeiten und Konflikten wurde, die bedauerlicherweise bis heute andauern, so stellt der heutige Tag im Jahr des Großen Jubiläums den Beginn einer neuen Wegstrecke dar, auf der alle Kolumbianer gemeinsam das neue Kolumbien errichten, das auf den Fundamenten des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Anerkennung aller Menschenrechte und der brüderlichen Liebe zwischen den Kindern ein und desselben Vaterlandes gründet.

Der Papst ging zur englischen Sprache über:

3. »Mach mich wieder froh mit deinem Heil; mit einem willigen Geiste rüste mich aus! Dann lehre ich Abtrünnige deine Wege, und die Sünder kehren um zu dir« (
Ps 51, 14–15). Diese Worte des Psalmisten meditierte Pater Franz Xaver Seelos häufig, dem Geist und Charisma der Kongregation der Redemptoristen getreu, der er angehörte. Von der Gnade Gottes und einem intensiven Glaubensleben unterstützt, verließ Seelos seine Heimat Bayern und widmete sich großherzig und freudig dem missionarischen Apostolat der Gemeinden von Immigranten in den Vereinigten Staaten.

An den verschiedenen Orten, an denen er wirkte, brachte Pater Franz Xaver seine Begeisterung, seinen Opfergeist und seinen apostolischen Eifer ein. Den Verlassenen und Einsamen verkündete er die Botschaft von Jesus Christus, dem »Urheber des ewigen Heils« (He 5,9), und während der vielen Stunden, die er im Beichtstuhl verbrachte, konnte er viele dazu überzeugen, zu Gott zurückzukehren. Heute lädt der sel . Franz Xaver Seelos die Mitglieder der Kirche dazu ein, ihre Einheit mit Christus durch die Sakramente der Beichte und der Eucharistie zu vertiefen. Durch seine Fürsprache mögen alle, die im Weinberg für die Rettung des Volkes Gottes arbeiten, in ihrer Aufgabe ermutigt und gestärkt werden.

Auf italienisch fuhr der Papst fort:

4. »Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen« (Jn 12,32). Tatsächlich wird Jesus von der Höhe des Kreuzes aus der Welt die grenzenlose Liebe Gottes gegenüber der heilsbedürftigen Welt offenbaren. Unwiderstehlich von dieser Liebe angezogen, verwandelte Anna Rosa Gattorno ihr Leben in ein beständiges Opfer zur Bekehrung der Sünder und zur Heiligung aller Menschen. »Sprachrohr Jesu« zu sein, um überall die Botschaft von seiner rettenden Liebe zu verbreiten: dies war das tiefste Verlangen ihres Herzens!

In vollkommenem Vertrauen gegenüber der göttlichen Vorsehung und von mutiger und tatkräftiger Nächstenliebe angetrieben, hatte die sel. Anna Rosa Gattorno ein einziges Ziel, nämlich Christus in den leidenden Gliedern und den Wunden des Nächsten zu dienen, und dies mit mütterlichem Feingefühl und Aufmerksamkeit für die menschliche Not.

Dieses einzigartige Zeugnis der Nächstenliebe, das uns die neue Selige hinterläßt, stellt bis heute eine belebende Ermutigung dar für diejenigen, die sich in der Kirche dafür einsetzen, die Botschaft von Gott zu übermitteln, der die Wunden jedes Herzen heilt und allen die Fülle des ewigen Lebens anbietet.

Johannes Paul II. wechselte wieder ins Englische:

5. »Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen« (Jn 12,32). Die Verheißung Jesu erfüllt sich auf wunderbare Weise auch im Leben von Maria Elisabeth Hesselblad. Ebenso wie die aus dem selben Land stammende hl. Birgitta erwarb auch sie durch das Gebet und die im Leben gemachten Erfahrungen ein tiefes Verständnis von der Weisheit des Kreuzes. Ihre erste Erfahrung mit der Armut, ihr Umgang mit den Kranken, die sie durch ihre Gelassenheit und ihr Vertrauen in die Liebe Gottes beeindruckten, und ihre Beharrlichkeit trotz zahlreicher Hindernisse bei der Gründung des Ordens des Hlst. Erlösers von der hl. Birgitta, lehrten sie, daß das Kreuz der Mittelpunkt des menschlichen Lebens und die äußerste Offenbarung der Liebe des himmlischen Vaters ist. Indem sie beständig das Wort Gottes meditierte, wurde Schwester Elisabeth in ihrer Entscheidung bestärkt, dafür zu arbeiten und zu beten, daß alle Christen eins seien (Jn 17,21).

Sie war davon überzeugt, daß die Christen, wenn sie auf die Stimme des gekreuzigten Herrn hören, in einer Herde unter einem Hirten zusammenkommen werden (vgl. Jn 10,16). Von Anfang an setzte sich der von ihr gegründete Orden durch Gebet und Zeugnis im Geiste des Evangeliums für die Sache der Einheit der Christen ein. Durch die Fürsprache der sel. Maria Elisabeth Hesselblad, dieser Wegbereiterin der Ökumene, möge Gott die Bemühungen der Kirche segnen und ertragreich machen, eine immer tiefergehendere Gemeinschaft zu errichten und eine immer wirksamere Zusammenarbeit zwischen allen Jüngern Christi zu fördern.

262 6. »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Jn 12,24). Seit ihrer Kindheit wußte Mariam Thresia Mankidiyan gefühlsmäßig, daß Gottes Liebe zu ihr eine tiefe persönliche Läuterung von ihr verlangte. Indem sie sich zu einem Leben des Gebetes und der Buße verpflichtete, machte der feste Wille von Schwester Mariam Thresia, das Kreuz Christi zu umarmen, es ihr möglich, gegenüber den häufigen Mißverständnissen und harten geistlichen Prüfungen standhaft zu bleiben. Das geduldige Ergründen ihrer Berufung führte zur Gründung der Kongregation der Heiligen Familie, welche sich noch immer an ihrer spirituellen Geisteshaltung und ihrer Liebe zu den Armen bereichert.

In der Überzeugung, daß »Gott denen das ewige Leben schenken wird, die die Sünder bekehren und sie auf den rechten Weg zurückführen« (Brief 4 an ihren geistlichen Vater), widmete sich Schwester Mariam dieser Aufgabe durch Besuche und Ratschläge, durch Gebete und Bußübungen. Mögen durch die Fürsprache der sel. Mariam Thresia alle Ordensleute, Männer und Frauen, in ihrer Berufung bestärkt werden, für die Sünder zu beten und die anderen durch Wort und Beispiel zu Christus zu ziehen.

Der Papst kehrte ins Italienische zurück:

7. »Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein« (Jr 31,33). Gott ist unser einziger Herr, und wir sind sein Volk. Dieser unauflösbare Liebesbund zwischen Gott und der Menschheit fand seine vollkommene Erfüllung im österlichen Opfer Christi. In ihm werden wir, obgleich wir verschiedenen Ländern und Kulturen angehören, zu einem einzigen Volk, zu einer einzigen Kirche, zu einem geistlichen Gebäude, dessen lichtreiche und feste Steine die Heiligen sind.

Danken wir dem Herrn für das glanzvolle Zeugnis dieser neuen Seligen. Blicken wir auf sie, besonders jetzt in der Fastenzeit, um daraus Anregungen für die Vorbereitung der herannahenden Osterfeiern zu gewinnen.

Maria, die Königin der Bekenner, helfe uns dabei, ihrem göttlichen Sohn zu folgen, so wie es die neuen Seligen taten. Und ihr, Mariano de Jesús Euse Hoyos, Franz Xaver Seelos, Anna Rosa Gattorno, Maria Elisabeth Hesselblad, Mariam Thresia Chiramel Mankidiyan, bittet für uns, damit wir, innerlich an der Passion Christi teilhabend, die Fruchtbarkeit des Weizenkorns, das stirbt, erleben können und als seine Ernte im Himmelreich aufgenommen werden. Amen!




Predigten 1978-2005 254