Predigten 1978-2005 284


JUBILÄUM DER MIGRANTEN UND MENSCHEN UNTERWEGS

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Freitag, 2. Juni 2000



1. »Die Bruderliebe soll bleiben. Vergeßt die Gastfreundschaft nicht« ().

Der Abschnitt aus dem Hebräerbrief, den wir soeben gehört haben, verbindet die Aufforderung, den Gast, den Pilger, den Fremden aufzunehmen mit dem Gebot der Liebe, Synthese des neuen Gesetzes Christi. »Vergeßt die Gastfreundschaft nicht!« Diese Botschaft ertönt in besonderer Weise heute, liebe Migranten und Menschen unterwegs, während wir dieses besondere Jubiläumsereignis feiern.

Ich grüße euch mit großer Zuneigung, und ich danke euch, daß ihr in großer Zahl meiner Einladung und der des Päpstlichen Rates der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs gefolgt seid. Ich grüße besonders Erzbischof Stephen Fumio Hamao, den Präsidenten eures Päpstlichen Rates, und danke ihm für die Worte, die er zu Beginn der Feier in eurem Namen an mich gerichtet hat. Mit ihm grüße ich den Sekretär, den Untersekretär und die Mitarbeiter des Rates sowie alle, die zur Realisierung dieses wichtigen geistlichen Ereignisses beigetragen haben.

Unter euch sind Migranten aus verschiedenen Ländern und Kontinenten; aus Gewaltsituationen geflohene Flüchtlinge, die die Anerkennung ihrer Grundrechte fordern; ausländische Studenten, die ihre wissenschaftliche und technische Ausbildung verbessern wollen; Menschen der See- und Luftfahrt, die ihre Arbeit im Dienst an den Reisenden in Schiff und Flugzeug versehen; Touristen, die andere Welten, Sitten und Bräuche kennenlernen wollen; Angehörige von Nomadenvölkern, die seit Jahrhunderten auf den Straßen der Welt umherziehen; Zirkusleute, die Attraktionen und gesunde Unterhaltung auf die Plätze bringen. Allen und jedem einzelnen gilt mein herzlichster Gruß.

Eure Anwesenheit erinnert daran, daß der Sohn Gottes, der gekommen ist, um unter uns zu wohnen (vgl. Jn 1,14), selbst zum Migranten wurde: Er wurde zum Pilger in der Welt und in der Geschichte.

2. »Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, … Denn … ich war fremd …, und ihr habt mich aufgenommen« ().

Jesus betont, daß man nur dann ins Reich Gottes kommt, wenn man das Gebot der Liebe praktiziert. Man kommt also nicht durch Privilegien aufgrund der Rasse, der Kultur, ja nicht einmal der Religion dorthin, sondern weil man den Willen des Vaters im Himmel getan hat (vgl. Mt 7,21).

Eure Heilig-Jahr-Feier, meine lieben Migranten und Menschen unterwegs, bringt mit einzigartiger Aussagekraft den zentralen Platz zum Ausdruck, den in der Kirche der Liebesdienst der Aufnahme einnehmen muß. Indem er die menschliche und historische Befindlichkeit auf sich nahm, hat Christus sich in gewisser Weise mit jedem Menschen vereint. Er hat jeden einzelnen von uns angenommen und im Liebesgebot von uns gefordert, daß wir sein Vorbild nachahmen, uns also einander annehmen, wie er uns angenommen hat (vgl. Rm 15,7).

Von dem Augenblick an, da der Gottessohn »sein Zelt unter uns aufgeschlagen hat«, wird jeder Mensch in gewisser Weise zum »Ort« der Begegnung mit ihm. Christus im Bruder und der Schwester in Not aufzunehmen ist die Bedingung, um ihm »von Angesicht zu Angesicht« und in vollkommener Weise am Ende unseres Erdenweges begegnen zu können.

Stets aktuell bleibt daher die Aufforderung des Autors des Hebräerbriefes: »Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt« (He 13,2).

286 3. Heute mache ich mir die Worte meines verehrten Vorgängers, des Dieners Gottes Paul VI., zu eigen, der in der Predigt zum Abschluß des II. Vatikanischen Ökumenischen Konzils bekräftigte: »Für die katholische Kirche ist niemand fremd, niemand ausgeschlossen, niemand fernstehend« (vgl. AAS, 58 [1966], S. 51–59). In der Kirche – so schreibt von Anbeginn an der Völkerapostel – gibt es keine Fremden und keine Gäste, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes (vgl. Ep 2,19).

Leider mangelt es in der Welt nach wie vor nicht an Haltungen der Verschlossenheit oder gar Ablehnung, verursacht durch ungerechtfertigte Ängste und ein Sich- Zurückziehen auf die eigenen Interessen. Es geht hier um Diskriminierungen, die nicht vereinbar sind mit der Zugehörigkeit zu Christus und der Kirche. Die christliche Gemeinschaft ist im Gegenteil gerufen, die Fermente der Brüderlichkeit – jener Tafelgemeinschaft des Andersartigen, die wir auch heute an diesem Treffen erfahren können – in der Welt zu verbreiten.

Gewiß ist es in einer komplexen und von vielfachen Spannungen gekennzeichneten Gesellschaft wie der unseren erforderlich, daß sich die Kultur der Annahme mit vorsichtigen und weitblickenden Gesetzen und Normen verbindet, die es gestatten, die positiven Aspekte der menschlichen Mobilität aufzuwerten und die möglichen negativen Erscheinungsformen zu verhindern. Das, um sicherzustellen, daß jede Person tatsächlich geachtet und angenommen wird.

Zumal in der Epoche der Globalisierung hat die Kirche einen klaren Vorschlag: sich dafür einsetzen, daß diese unsere Welt, von der man manchmal als einem »globalen Dorf« spricht, wirklich geeinter, solidarischer, gastfreundlicher sei. Und das ist die Botschaft, die diese Jubiläumsfeier überall hintragen will: Im Mittelpunkt der Phänomene der Mobilität soll stets der Mensch und die Achtung seiner Rechte stehen.

4. Als Trägerin einer universalen Heilsbotschaft empfindet es die Kirche als ihre Hauptaufgabe, das Evangelium jedem Menschen und allen Völkern zu verkünden. Seit der auferstandene Christus die Apostel aussandte, das Evangelium bis an die äußersten Grenzen der Erde bekanntzumachen, ist ihr Horizont der der ganzen Welt. Die multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Szene des Mittelmeerraumes war der Ort, wo die ersten Christen begannen, sich zu erkennen und als Gotteskinder wie Brüder zu leben.

Heute ist es nicht mehr nur das Mittelmeergebiet, sondern der ganze Planet, der sich der komplexen Dynamik universaler Brüderlichkeit öffnet. Eure Anwesenheit hier in Rom, geliebte Brüder und Schwestern, unterstreicht, wie wichtig es ist, daß dieses menschliche Wachstumsphänomen ständig von Christus und seinem Evangelium der Hoffnung erleuchtet wird. In dieser Perspektive müssen wir unseren Einsatz fortführen, getragen von der göttlichen Gnade und der Fürsprache der großen Schutzpatrone der Migranten: von der hl. Franziska Xaveria Cabrini bis zum sel. Johannes Baptista Scalabrini. Diese Heiligen und Seligen erinnern daran, was die Berufung eines Christen mitten unter den Menschen ist: mit ihnen zu gehen als ein Bruder und ihre Freuden und Erwartungen, ihre Schwierigkeiten und Leiden mit ihnen zu teilen. Wie die Jünger von Emmaus werden die von der lebendigen Gegenwart des auferstandenen Christus getragenen Gläubigen ihrerseits für ihre Brüder in Schwierigkeiten zu Weggefährten und bieten ihnen das Wort, das die Hoffnung in den Herzen wieder entzündet. Mit ihnen brechen sie das Brot der Freundschaft, der Brüderlichkeit und der gegenseitigen Hilfe. So wird die Zivilisation der Liebe aufgebaut. Und so wird die ersehnte Ankunft des neuen Himmels und der neuen Erde, zu denen wir alle unterwegs sind, verkündet. Wir wollen die Fürsprache dieser Schutzpatrone für alle anrufen, die zur großen Familie der Migranten und Menschen unterwegs gehören.

In besonderer Weise wollen wir den Schutz Marias anrufen, die uns auf dem Pilgerweg des Glaubens vorangegangen ist: Möge sie die Schritte jedes Mannes und jeder Frau auf der Suche nach Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden lenken. Sie wolle die Menschen, Familien und Gemeinschaften unterwegs begleiten. Sie wolle Herzlichkeit und Gastfreundschaft in den Herzen der ansässigen Wohnbevölkerung wecken und das Entstehen von Beziehungen gegenseitigen Verständnisses und Solidarität unter allen fördern, die wissen, daß sie gerufen sind, eines Tages an derselben Freude im Haus des himmlischen Vaters teilzuhaben! Amen!







PFINGSTVIGIL

Samstag, 10. Juni 2000



1. »Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen« (Jn 15,26).

Dies sind die Worte, die der Evangelist Johannes von den Lippen Christi im Abendmahlssaal ablas, während des Letzten Abendmahles, am Abend vor seinem Leiden. Heute erklingen sie mit einzigartiger Intensität für uns, am Pfingstfest des Jubiläumsjahres, und sie enthüllen uns dessen tiefsten Inhalt.

Um diese grundlegende Botschaft zu erfassen, müssen wir wie die Jünger im Abendmahlssaal bleiben. Daher verharrte die Kirche – auch dank einer passenden Auswahl der liturgischen Texte – während der Osterzeit im Abendmahlssaal. Am heutigen Abend hat sich der Petersplatz in einen großen Abendmahlssaal verwandelt, in dem unsere Gemeinschaft versammelt ist, um die Gabe des Heiligen Geistes zu erbitten und zu empfangen.

287 Die erste Lesung, die der Apostelgeschichte entnommen ist, rief uns das in Erinnerung, was fünfzig Tage nach dem Osterfest in Jerusalem geschehen ist. Bevor er in den Himmel auffuhr, hatte Christus den Aposteln eine große Aufgabe übertragen: »Darum geht […], und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (). Auch hatte er verheißen, daß sie nach seinem Hinscheiden einen »anderen Beistand« empfangen würden, der sie alles lehren wird (vgl. Jn 14,14 Jn 14,26).

Diese Verheißung sollte sich am Pfingsttag erfüllen: Der Geist, der auf die Apostel herabkam, gab ihnen das nötige Licht und die Kraft, um alle Völker zu seinen Jüngern zu machen und ihnen das Evangelium Christi zu verkünden. Auf diese Weise entstand und lebt die Kirche aus dieser fruchtbaren Spannung zwischen Abendmahlssaal und Welt, zwischen Gebet und Verkündigung.

2. Als er den Heiligen Geist verheißen hatte, hatte Jesus, der Herr, von ihm als »Beistand« und »Paraklet« gesprochen, der vom Vater ausgeht (vgl. Jn 15,26). Er hatte ihn als den »Geist der Wahrheit« bezeichnet, der die Kirche in die ganze Wahrheit führen wird (vgl. Jn 16,13). Zudem hatte er erklärt, daß der Heilige Geist Zeugnis für ihn ablegen werde (vgl. Jn 15,26). Doch hatte er sofort hinzugefügt: »Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid« (Jn 15,27). Nun, da am Pfingstfest der Geist auf die im Abendmahlssaal versammelte Gemeinschaft herabkommt, beginnt diese doppelte Zeugnisgabe: diejenige des Heiligen Geistes und jene der Apostel.

Das Zeugnis des Geistes ist wesensmäßig göttlich: Es entstammt der Tiefe des trinitarischen Geheimnisses. Das Zeugnis der Apostel ist menschlich: es vermittelt im Licht der Offenbarung ihre Lebenserfahrung an der Seite Jesu. Als er die Fundamente der Kirche legt, mißt Christus der menschlichen Zeugnisgabe der Apostel große Bedeutung bei. Er will, daß die Kirche aus der geschichtlichen Wahrheit ihrer Inkarnation lebt, damit in ihr durch das Werk der Zeugen das Gedächtnis seines Kreuzestodes und seiner Auferstehung immer wachgehalten und wirkmächtig bleibe.

3. » […] auch ihr sollt Zeugnis ablegen« (Jn 15,27). Durch die Gabe des Geistes beseelt, war sich die Kirche dieser Pflicht stets voll bewußt und hat die Botschaft des Evangeliums zu jeder Zeit und an jedem Ort treu verkündet. Dies tat sie mit Respekt vor der Würde der Völker, ihrer Kulturen und Traditionen. Sie weiß sehr wohl, daß die göttliche Botschaft, die ihr anvertraut ist, keineswegs im Gegensatz zu den tiefsten Bestrebungen des Menschen steht. Vielmehr wurde sie von Gott geoffenbart, um über alle Erwartungen hinaus den Hunger und Durst des menschlichen Herzens zu stillen. Eben daher darf das Evangelium nicht aufgezwungen, sondern es soll vorgeschlagen werden, da es allein dann wirken kann, wenn es frei angenommen wird und wenn man sich in Liebe zu ihm bekennt.

So wie es in Jerusalem am ersten Pfingstfest geschah, so fühlten sich die vom Heiligen Geist erfüllten Zeugen Christi in jeder Epoche dazu gedrängt, auf andere zuzugehen, um ihnen in den verschiedenen Sprachen von den Wundertaten des Herrn zu berichten. Und dies ereignet sich auch weiterhin in unserer Zeit. Dies will der heutige Tag des Jubiläums betonen, welcher der »Besinnung über die Pflichten der Katholiken gegenüber den anderen: Verkündigung Christi, Zeugnis und Dialog« gewidmet ist.

Die Besinnung, zu der wir eingeladen sind, kann nicht getrennt werden von unserem Nachsinnen über das Werk, das der Heilige Geist in den einzelnen und in der Gemeinschaft vollbringt. Der Heilige Geist ist es, der die »Samen des Wortes« in den verschiedenen Traditionen und Kulturen ausstreut, indem er die Völker der verschiedensten Regionen dafür bereit macht, die Botschaft des Evangeliums anzunehmen. Dieses Bewußtsein muß im Jünger Christi eine Haltung der Offenheit und des Dialogs gegenüber jenen wecken, die andere religiöse Überzeugungen haben. Daher ist es angemessen, auch auf das zu hören, was der Geist den »anderen« mitteilen möchte. Sie können nützliche Anregungen für ein besseres Verständnis dessen geben, was der Christ im geoffenbarten Glaubensgut besitzt. Somit kann der Dialog den Weg für eine Verkündigung bereiten, die sich zunehmend an die persönlichen Voraussetzungen des Hörers anpaßt.

4. Von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit der Verkündigung ist daher das gelebte Zeugnis. Nur der Gläubige, der das lebt, was er mit dem Munde bekennt, darf darauf hoffen, Gehör zu finden. Zudem muß der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die Umstände gelegentlich nicht die ausdrückliche Verkündigung von Jesus Christus als Herr und Erlöser aller gestatten. Dann kann das Zeugnis eines respektvollen, keuschen Lebens, das sich vom Reichtum abkehrt und von den Mächten dieser Welt frei wird, kurz gesagt, das Zeugnis der Heiligkeit – auch wenn sie in Stille dargebracht wird –, all seine Überzeugungskraft aufbieten.

Ebenso offenkundig ist, daß die Entschlossenheit bei der Zeugnisgabe für Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes nicht daran hindert, mit den Angehörigen anderer Religionen im Dienst am Menschen zusammenzuwirken. Sie drängt uns im Gegenteil dazu, mit ihnen für das Wohl der Gesellschaft und den Frieden in der Welt zusammenzuarbeiten.

Zum Anbruch des dritten Jahrtausends sind sich die Jünger Christi dessen voll bewußt, daß diese Welt sich als eine »Karte mit verschiedenen Religionen« darstellt (Enzyklika Redemptor hominis RH 11). Wenn die Söhne und Töchter der Kirche es verstehen, für das Wirken des Heiligen Geistes offen zu bleiben, wird er ihnen helfen, im Respekt vor den religiösen Überzeugungen der anderen die einzige und universale Heilsbotschaft Christi zu vermitteln.

5. »Dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid« (). In diesen Worten ist die ganze Logik der Offenbarung sowie des Glaubens, aus dem die Kirche lebt, enthalten: das Zeugnis des Heiligen Geistes, das aus dem Urgrund des trinitarischen Geheimnisses Gottes entspringt, und das menschliche Zeugnis der Apostel, das an ihre geschichtliche Erfahrung mit Christus gebunden ist. Das eine wie das andere ist notwendig. Eigentlich handelt es sich bei genauerer Betrachtung um ein einziges Zeugnis: Es ist der Heilige Geist, der weiterhin zu den Menschen von heute mit der Zunge und durch das Leben der gegenwärtigen Jünger Christi spricht.

288 An dem Tag, an dem wir das Gedächtnis der Geburt der Kirche feiern, wollen wir unsere bewegte Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für dieses doppelte und letztlich einzige Zeugnis, das die große Familie der Kirche seit dem Pfingsttag umfängt. Wir wollen für das Zeugnis der ersten Gemeinde von Jerusalem danken, das durch die Jahrhunderte hindurch – über Generationen von Märtyrern und Bekennern hinweg – zum Erbgut zahlloser Männer und Frauen auf dem ganzen Erdkreis wurde.

Ermutigt durch das Gedenken an das erste Pfingsten, läßt die Kirche heute die Erwartung einer erneuten Ausgießung des Heiligen Geistes wiederaufleben. Beharrlich und einträchtig, im gemeinsamen Gebet mit Maria, der Mutter Jesu, bittet sie unablässig: »Sende deinen Geist aus, Herr, und erneuere das Antlitz der Erde!« (vgl.
Ps 104,30)

Veni, Sancte Spiritus: Komm, Heiliger Geist, entflamme in den Herzen deiner Gläubigen das Feuer deiner Liebe!

Sancte Spiritus, veni!



ERÖFFNUNG DES 47. INTERNATIONALEN EUCHARISTISCHEN KONGRESSES BEI DER VESPER AM DREIFALTIGKEITSSONNTAG AUF DEM PETERSPLATZ

Sonntag, 18. Juni 2000



1. »Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist« (Ep 4,4).

»Ein« Leib! Auf diese Worte des Apostels Paulus konzentriert sich heute abend in besonderer Weise unsere Aufmerksamkeit während dieser feierlichen Vesper, mit der wir den Eucharistischen Weltkongreß eröffnen. »Ein« Leib: die Gedanken gehen in erster Linie zum Leib Christi, dem Brot des Lebens!

Jesus, vor zweitausend Jahren von der Jungfrau Maria geboren, wollte uns beim Letzten Abendmahl seinen Leib und sein Blut, aufgeopfert für die ganze Menschheit, hinterlassen. Um die Eucharistie, Sakrament seiner Liebe zu uns, sammelt sich die Kirche, die sein mystischer Leib ist. Siehe: Christus und die Kirche, »ein« Leib, ein einziges großes Geheimnis. »Mysterium fidei! [Geheimnis des Glaubens!]«

2. »Ave, verum corpus, natum de Maria Virgine! [Sei gegrüßt, o wahrer Leib, geboren von der Jungfrau Maria!]« – Sei gegrüßt, wahrer Leib Christi, geboren von der Jungfrau Maria! Geboren in der Fülle der Zeit, geboren von einer Frau, geboren unter dem Gesetz (vgl. Ga 4,4).

Mitten im Großen Jubiläum und zu Beginn dieser Woche, die dem Eucharistischen Kongreß gewidmet ist, kehren wir zu dem historischen Ereignis zurück, das die volle Erfüllung unseres Heils anzeigt. Wir beugen die Knie vor der Krippe in Betlehem so wie die Hirten; so wie die Sterndeuter aus dem Osten huldigen wir Christus, dem Heiland der Welt. Wie der greise Simeon nehmen wir ihn in unsere Arme, Gott lobpreisend, weil unsere Augen das Heil gesehen haben, das er vor allen Völkern bereitet hat: Licht, die Heiden zu erleuchten, und Herrlichkeit für sein Volk Israel (vgl. ).

Wir durchlaufen die Stationen seines Erdendaseins bis hin zu Golgota, bis zur Herrlichkeit der Auferstehung. Im Lauf der nächsten Tage werden wir vor allem im Abendmahlssaal verweilen und bedenken, was Christus Jesus für uns getan und gelitten hat.

289 3. »In supremae nocte cenae … se dat suis manibus. [In der Nacht, beim letzten Mahle … gab mit eigner Hand er selbst sich dar.]« Beim Letzten Abendmahl, als er mit seinen Jüngern das Pascha feierte, gab Christus sich selbst uns dar. Ja, zum Eucharistischen Weltkongreß versammelt, kehrt die Kirche in diesen Tagen in den Abendmahlssaal zurück und verweilt dort in betrachtender Anbetung. Sie erlebt neu das große Geheimnis der Menschwerdung, ihren Blick auf das Sakrament konzentriert, in dem Christus uns das Gedächtnis seines Leidens vermacht hat: »Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird … Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird« ().

»Ave, verum corpus … vere passum, immolatum! [Sei gegrüßt, oh wahrer Leib … wahrhaft gelitten, wahrhaft geopfert!]«

Wir beten dich an, wahrer Leib Christi, gegenwärtig im Sakrament des neuen und ewigen Bundes, lebendiges Gedächtnis des Erlösungsopfers. Du, Herr, bist das lebendige Brot, vom Himmel herabgekommen, das dem Menschen das Leben gibt! Am Kreuz hast du dein Fleisch hingegeben für das Leben der Welt (vgl.
Jn 6,51): »in cruce pro homine! [am Kreuz für den Menschen!]«

Vor einem so erhabenen Geheimnis gibt der menschliche Verstand auf. Gestärkt von der göttlichen Gnade, wagt er jedoch mit Glauben zu wiederholen:

Adoro te devote, latens Deitas,
quae sub his figuris vere latitas.
[Demütig bete ich Dich, verborgene Gottheit, an, die unter diesen Zeichen du wahrhaft verborgen bist.]

Ich bete dich an, oh verborgener Gott,
der du dich unter den heiligen Gestalten
wirklich verbirgst.

4. »Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist« (Ep 4,4). In diesen Worten, die wir gerade vernommen haben, spricht der Apostel Paulus von der Kirche, der Gemeinschaft der Gläubigen, verbunden in der Einheit des einen Leibes, belebt von dem gleichen Geist und getragen von der Teilhabe an derselben Hoffnung. Paulus denkt an die Wirklichkeit des mystischen Leibes Christi, der im eucharistischen Leib Christi sein Lebenszentrum hat, von dem aus die Energie der Gnade in jedes Glied strömt.

290 Der Apostel betont: »Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? E i n Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib« (). So sind wir alle, die Getauften, Glieder dieses Leibes und daher Glieder, die zueinander gehören (vgl. 1Co 12,27 Rm 12,5). Mit inniger Erkenntlichkeit danken wir Gott, der die Eucharistie zum Sakrament unserer vollen Gemeinschaft mit ihm und mit den Brüdern gemacht hat.

5. Am heutigen Abend beginnen wir mit der feierlichen Vesper der Heiligsten Dreifaltigkeit eine Woche von außerordentlicher Dichte, in der Bischöfe und Priester, Ordensleute und Laien aus allen Teilen der Welt sich um die Eucharistie sammeln. Es wird eine einzigartige Erfahrung des Glaubens und ein beredtes Zeugnis kirchlicher Gemeinschaft sein.

Euch, liebe Brüder und Schwestern, die ihr an diesem Jubiläumsereignis teilnehmt, in dem das Wesentliche des ganzen Heiligen Jahres zum Ausdruck kommt, gilt mein Gruß. Besonders grüße ich die Gläubigen der Diözese Rom, unserer Diözese, die unter der Führung des Kardinalvikars und der Weihbischöfe und mit der Mitarbeit des Klerus, der Ordensmänner und Ordensfrauen wie auch der vielen hochherzigen Laien den Eucharistischen Kongreß in seinen verschiedenen Aspekten vorbereitet hat. Sie stellt sich nun darauf ein, dessen geordneten Ablauf in den kommenden Tagen zu gewährleisten, ganz der Ehre bewußt, die es bedeutet, dieses zentrale Ereignis des Großen Jubiläums als Gastgeber auszurichten.

Einen speziellen Gruß möchte ich auch an die zahlreichen Bruderschaften richten, die für einen bedeutungsvollen »Weg der Brüderlichkeit« nach Rom gekommen sind. Eure Anwesenheit, stimmungsvoll bereichert durch die künstlerisch gearbeiteten Kreuze und die kostbaren heiligen Szenen, die ihr auf gewaltigen Aufbauten, sogenannten »macchine« (Traggestelle mit Heiligenfiguren), mit euch tragt, ist eine würdige Umrahmung für die eucharistische Andacht, zu der wir uns hier versammelt haben.

Auf diesen Platz sind die Gedanken und Herzen von vielen Gläubigen überall auf der Welt gerichtet. Alle lade ich ein – die einzelnen Gläubigen wie auch die kirchlichen Gemeinschaften an allen Orten der Erde –, diese Augenblicke hoher eucharistischer Spiritualität mit uns zu teilen. Ich bitte besonders die Kinder und die Kranken sowie die kontemplativen Gemeinschaften, ihr Gebet darzubringen für das glückliche und fruchtbare Gelingen dieses eucharistischen Weltereignisses.

6. Vom Eucharistischen Kongreß ergeht die Aufforderung an uns, unseren Glauben an die reale Anwesenheit Christi im Altarsakrament zu erneuern: »Ave, verum corpus

Zugleich ergeht an uns der dringliche Aufruf zur Versöhnung und zur Einheit aller Glaubenden: »Ein Leib … ein Glaube, eine Taufe!« (Ep 4,4f.). Spaltungen und Zwistigkeiten verletzen leider immer noch den Leib Christi und hindern die Christen der verschiedenen Konfessionen daran, das eine eucharistische Brot miteinander zu teilen. Daher rufen wir vereint die heilende Kraft des – in diesem Jubiläumsjahr überreichen – göttlichen Erbarmens an.

Und du, oh Christus, einziges Haupt und einziger Retter, ziehe alle deine Glieder an dich. Eine sie und verwandle sie in deiner Liebe, damit die Kirche in jener übernatürlichen Schönheit erstrahle, die in den Heiligen jeder Zeit und Nation, in den Märtyrern, in den Bekennern, in den jungfräulichen Menschen und in den unzähligen Zeugen des Evangeliums erscheint!

O Iesu dulcis, o Iesu pie,
o Iesu, fili Mariae!
[Oh du lieber Jesus, oh du heiliger Jesus, oh Jesus, Sohn Mariae!]

Amen!

HOCHFEST DES LEIBES UND BLUTES CHRISTI - FRONLEICHNAM

291

Donnerstag, 22. Juni 2000



1. Die Einsetzung der Eucharistie, das Opfer Melchisedeks und die Brotvermehrung: dieses eindrucksvolle »Triptychon« wird uns im Wortgottesdienst des heutigen Fronleichnamsfestes vorgestellt.

Im Mittelpunkt steht die Einsetzung der Eucharistie. Der hl. Paulus erinnert im 1. Brief an die Korinther, den wir soeben gehört haben, mit eindeutigen Worten an dieses Ereignis und fügt hinzu: »Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt« (1Co 11,26). »So oft«, also auch am heutigen Abend, im Herzen des Eucharistischen Weltkongresses, verkünden wir durch die Feier der Eucharistie den heilbringenden Tod Christi, und wir erneuern in unseren Herzen die Hoffnung auf die endgültige Begegnung mit ihm.

Dessen eingedenk werden wir nach der Wandlung gewissermaßen als Antwort auf die Einladung des Apostels ausrufen: »Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.«

2. Unser Blick weitet sich auf die anderen Elemente dieses biblischen »Triptychons« aus, das wir heute betrachten: das Opfer Melchisedeks und die Brotvermehrung.

Der erste Bericht, den wir in der ersten Lesung gehört haben, ist dem Buch Genesis entnommen. Trotz seiner Kürze ist er von großer Bedeutung. Er stellt uns Melchisedek vor, den »König von Salem« und »Priester des Höchsten Gottes«, der Abraham segnete und »Brot und Wein heraus[brachte]« (Gn 14,18). Auf diesen Abschnitt bezieht sich auch Psalm 110, der dem messianischen König einen einzigartigen priesterlichen Charakter aufgrund seiner direkten Einsetzung durch Gott zuschreibt: »Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks« (Ps 110,4).

Am Tag vor seinem Tod am Kreuz setzte Christus im Abendmahlssaal die Eucharistie ein. Auch er brachte Brot und Wein dar, die in seinen »heiligen und ehrwürdigen Händen« (Erstes Hochgebet), als Opfer hingegeben,zu seinem Leib und Blut wurden. Somit erfüllte er die Prophezeiung des Alten Bundes, die an die Opfergabe Melchisedeks gebunden war. Eben daher, so wird im Brief an die Hebräer erinnert, »[…] ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden und wurde von Gott angeredet als ›Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks‹« (5,7 –10).

Im Abendmahlssaal wird das Opfer auf Golgota vorweggenommen: der Kreuzestod des menschgewordenen Wortes, des Lammes Gottes, des Lammes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Durch das Leiden Christi findet das Leid eines jeden Menschen Erlösung. Durch seine Passion erhält das Leid des Menschen einen neuen Wert. Durch seinen Tod wird unser Tod auf immer besiegt.

3. Richten wir den Blick auf die biblische Erzählung der Brotvermehrung, die das eucharistische »Triptychon« vervollständigt, dem wir heute unsere Aufmerksamkeit schenken. Im liturgischen Rahmen des Fronleichnamsfestes hilft uns diese Perikope des Evangelisten Markus, das Geschenk und Geheimnis der Eucharistie besser zu verstehen.

Jesus nahm die fünf Brote und zwei Fische, blickte zum Himmel auf, segnete sie, brach sie und gab sie den Jüngern, damit diese sie an die Leute austeilten (vgl. Lc 9,16). Alle – so merkt der hl. Lukas an – aßen und wurden satt, und als man die übriggebliebenen Brotstücke einsammelte, waren es zwölf Körbe voll (vgl. ebd., 17).

Es handelt sich um ein über raschendes Wunder, das gewissermaßen den Anfang eines langen geschichtlichen Prozesses darstellt: die sich in der Kirche ereignende unablässige Vermehrung des Brotes des neuen Lebens für die Menschen aller Rassen und Kulturen. Dieser sakramentale Dienst ist den Aposteln und ihren Nachfolgern übertragen. Getreu dem Auftrag des göttlichen Meisters, brechen diese ohne Unterlaß das eucharistische Brot und teilen es von Generation zu Generation aus.

292 Das Volk Gottes empfängt es in gläubiger Anteilnahme. Von diesem Brot des Lebens, diesem Heilmittel der Unsterblichkeit, nährten sich unzählige Heilige und Märtyrer. Sie nahmen aus ihm die Kraft, auch hartem und langem Leid zu widerstehen. Sie schenkten den Worten Glauben, die Jesus dereinst in Kafarnaum aussprach: »Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben« (Jn 6,51).

4. »Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist

Nachdem wir dieses außergewöhnliche eucharistische »Triptychon« betrachtet haben, das von den heutigen Lesungen gebildet wird, richten wir unser geistiges Auge nun direkt auf das Geheimnis. Jesus bezeichnet sich selbst als das »lebendige Brot« und fügt hinzu: »Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt« (Jn 6,51).

Geheimnis unseres Heils! Christus, der einzige Herr – gestern, heute und in Ewigkeit –, wollte seine heilbringende Gegenwart in der Welt und Geschichte an das Sakrament der Eucharistie knüpfen. Er wollte sich zum gebrochenen Brot machen, damit sich jeder Mensch durch die Teilhabe am Sakrament seines Leibes und Blutes mit seinem Leben nähren kann.

Wie die Jünger, die erstaunt seine Rede in Kafarnaum anhörten, bemerken auch wir, daß diese Sprache nicht leicht zu verstehen ist (vgl. Jn 6,60). Könnten wir nicht mitunter versucht sein, ihnen eine verkürzte Auslegung zu geben. Doch dies würde uns weit weg führen von Christus, so wie es bei jenen Jüngern geschah, die »daraufhin […] nicht mehr mit ihm wanderten« (Jn 6,66).

Wir wollen bei Christus bleiben und sprechen daher mit Petrus zu ihm: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewi - gen Lebens« (Jn 6,68). Mit derselben Überzeugung des Petrus beugen wir heute die Knie vor dem Altarsakrament und erneuern in der wirklichen Gegenwart Christi unser Glaubensbekenntnis.

Dies ist die Bedeutung der heutigen Feier, die der Eucharistische Weltkongreß im Jahr des Großen Jubiläums mit besonderer Eindringlichkeit verdeutlicht. Dies ist auch der Sinn der feierlichen Prozession, die uns in Kürze von diesem Platz aus zur Basilika Santa Maria Maggiore führen wird.

In demütigem Stolz werden wir das Sakrament der Eucharistie durch die Straßen der Stadt geleiten, vorbei an den Häusern, in denen Menschen wohnen und Freud und Leid erleben; inmitten der Geschäfte und Werkstätten, in denen die alltäglichen Tätigkeiten ausgeübt werden. Wir bringen es in Berührung mit unserem Leben, das von so vielen Gefahren bedroht und von Sorgen und Nöten belastet wird und das dem langsamen, aber unaufhaltsamen Lauf der Zeit unterworfen ist.

Wir begleiten es, indem wir als Ehrerbietung unsere Gesänge und Bitten zu ihm erheben: »Bone Pastor, panis vereGuter Hirt, du wahre Speise« – sprechen wir vertrauensvoll zu ihm – »Jesus, gnädig dich erweise! Nähre uns auf deinen Auen, laß uns deine Wonnen schauen, in des Lebens ewigem Reich!

Du, der alles weiß und leitet, uns im Tal des Todes weidet, laß an deinem Tisch uns weilen, deine Herrlichkeit uns teilen. Deinen Seligen mach uns gleich

Amen!





ABSCHLUSSFEIER DES EUCHARISTISCHEN WELTKONGRESSES "STATIO ORBIS" AUF DEM PETERSPLATZ

Sonntag, 25. Juni 2000

293

1.»Nehmt, das ist mein Leib…Das ist mein Blut …« ()

Diese Worte, die Jesus beim Letzten Abendmahl sprach, hallen heute in unserer Versammlung wieder, durch die wir den Eucharistischen Weltkongreß beschließen werden. Sie erklingen mit einzigartigem Nachdruck, als ein erneuter Auftrag: »Nehmt!«

Christus vertraut uns seinen hingegebenen Leib und sein vergossenes Blut an. Er überantwortet sie uns ebenso wie den ersten Aposteln im Abendmahlssaal vor dem höchsten Opfer auf Golgota. Es sind Worte, die Petrus und die anderen Mahlteilnehmer mit Verwunderung und tiefer Rührung aufnahmen. Konnten sie jedoch damals verstehen, von welch weitreichender Bedeutung sie waren?

Es erfüllte sich in diesem Augenblick die Verheißung, die Jesus in der Synagoge von Kafarnaum gegeben hatte: »Ich bin das Brot des Lebens […] Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch (ich gebe es hin) für das Leben der Welt« (
Jn 6,48 Jn 6,51). Diese Verheißung erfüllte sich am Abend vor seinem Leiden, durch das Christus sich selbst zum Heil der Menschen hingeben sollte.

2. »Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird« (Mc 14,24).

Im Abendmahlssaal spricht Jesus vom »Bund«. Die Apostel haben keine Schwierigkeiten, diesen Begriff zu verstehen, da sie zum Volk gehören, mit dem Jahwe – so wird uns in der ersten Lesung berichtet – während des Auszugs aus Ägypten den alten Bund geschlossen hat (vgl. ). In ihrem Gedächtnis sind noch die Erinnerungen an den Berg Sinai und an Mose lebendig, der von diesem Berg hinabstieg und das Gesetz Gottes brachte, das auf zwei Steintafeln gemeißelt war.

Sie haben nicht vergessen, daß Mose, nachdem er das »Bundesbuch« entgegengenommen hatte, es laut vorlas, worauf das Volk zustimmend erklärte: »Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun; wir wollen gehorchen« (ebd., 24,7). So ist ein Bündnis zwischen Gott und seinem Volk geschlossen worden, das mit dem Blut von Opfertieren besiegelt wurde. Daher hatte Mose das Volk mit Blut besprengt und gesagt: »Das ist das Blut des Bundes, den der Herr aufgrund all dieser Worte mit euch geschlossen hat« (ebd., 24,8).

Die Apostel hatten also den Bezug zum alten Bund verstanden. Was haben sie jedoch vom neuen Bund verstanden? Sicherlich recht wenig. Es mußte der Heilige Geist herabkommen und ihren Verstand erhellen: dann würden sie den Sinn der Worte Jesu ganz erfassen. Sie würden verstehen und sich daran erfreuen.

Einen deutlichen Widerhall dieser Freude fanden wir in den soeben vorgetragenen Worten aus dem Hebräerbrief: »Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer Kuh die Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, daß sie leiblich rein werden, wieviel mehr […]das Blut Christi…« (9,13–14). Und der Verfasser des Briefes merkt abschließend an: »Und darum ist er [Christus] der Mittler eines neuen Bundes […], damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe erhalten « (9,15).

3. »Dies ist der Kelch mit meinem Blut.« Am Abend des Gründonnerstags gelangten die Jünger bis an die Schwelle des großen Mysteriums. Als sie sich nach dem Mahl gemeinsam aufmachten, um zum Ölberg hinauszugehen, konnten sie noch nicht wissen, daß sich die Worte, die er über Brot und Kelch gesprochen hatte, am folgenden Tag – in der Stunde des Kreuzes – auf dramatische Weise verwirklichen sollten. Vielleicht wurden sie sich nicht einmal an dem schrecklichen und doch glorreichen Tag, den die Kirche »feria sexta in parasceve« nennt, am Karfreitag also, dessen bewußt, daß das, was Jesus ihnen unter den Gestalten des Brotes und Weines gegeben hatte, das Ostergeschehen in sich enthielt.

294 Im Lukasevangelium finden wir einen erhellenden Abschnitt. Als der Evangelist über die beiden Jünger berichtet, die auf dem Weg nach Emmaus sind, stellt er ihre Enttäuschung fest: »Wir aber hatten gehofft, daß er der sei, der Israel erlösen werde« (Lc 24,21). Dieses Gefühl müssen wohl auch andere Jünger vor ihrer Begegnung mit dem auferstandenen Christus gehabt haben. Erst nach der Auferstehung begannen sie zu verstehen, daß sich im Ostergeschehen die Erlösung des Menschen ereignet hatte. Zur vollen Wahrheit sollte sie dann der Heilige Geist führen, der ihnen enthüllte, daß der Gekreuzigte seinen Leib hingegeben und sein Blut vergossen hatte zur Sühne für unsere Sünden, für die Sünden der ganzen Welt (vgl. 1Jn 2,2).

Der Verfasser des Hebräerbriefes gibt uns auch eine treffende Zusammenfassung des Geheimnisses: »Christus […] ist […] ein für alle allemal in das Heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt ().

4. Diese Wahrheit bekräftigen wir heute von neuem in der »Statio Orbis« dieses Eucharistischen Weltkongresses, während wir – der Weisung Christi getreu – »zu seinem Gedächtnis« wiederum das tun, was er im Abendmahlssaal am Abend vor seinem Leiden getan hat.

»Nehmt, das ist mein Leib… Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird (Mc 14,22 Mc 14,24). Von diesem Platz aus wollen wir diese außergewöhnliche Botschaft für alle Männer und Frauen des dritten Jahrtausends wiederholen: der Sohn Gottes ist für uns Mensch geworden und hat sich zu unserem Heil als Opfer hingegeben. Er gibt uns seinen Leib und sein Blut als Nahrung für ein neues Leben, ein göttliches Leben, das nicht mehr dem Tod unterworfen ist.

Voll innerer Bewegung empfangen wir von neuem diese Gabe aus den Händen Christi, damit sie durch uns in jede Familie und Stadt gelange, an die Orte voller Schmerzen und die Stätten der Hoffnung in unserer Zeit. Die Eucharistie ist das Geschenk einer grenzenlosen Liebe: unter den Zeichen des Brotes und Weines erkennen und beten wir das eine und vollkommene Opfer Christi an, das zu unserem Heil und zum Heil aller Menschen dargebracht wurde. Die Eucharistie ist wahrhaftig »das Mysterium, das alle Wundertaten, die der Herr zu unserem Heil bewirkt hat, in sich birgt« (vgl. hl. Thomas von Aquin, De sacr. Euch., Kap. I).

Im Abendmahlssaal ist der Glaube der Kirche an die Eucharistie entstanden und entsteht dort fortwährend von neuem. Während der Eucharistische Weltkongreß nunmehr seinem Ende zugeht, wollen wir im Geiste zu diesen Ursprüngen zurückgehen, in die Zeit des Abendmahlssaales und des Golgota, um für das Geschenk der Eucharistie zu danken, diese unschätzbare Gabe, die uns Christus hinterlassen hat, dieses Geschenk, von dem die Kirche lebt.

5. Bald wird unsere liturgische Versammlung auseinandergehen, bereichert durch die Anwesenheit von Gläubigen aus allen Teilen der Welt, was durch den außergewöhnlichen Blumenschmuck stimmungsvoll umrahmt wurde. Ich möchte alle herzlich grüßen und allen von Herzen Dank sagen!

Gehen wir aus dieser Begegnung gestärkt hervor für den apostolischen und missionarischen Einsatz. Die Teilnahme an der Eucharistie mache euch Kranke geduldig in den Zeiten der Prüfung. Euch Brautleute mache sie treu in der Liebe. Euch Geweihten verleihe sie in euren heiligen Vorsätzen Ausdauer. Sie mache euch, liebe Erstkommunionkinder, stark und großherzig, in besonderer Weise jedoch euch, liebe Jugendliche, die ihr euch anschickt, die Verantwortung für die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Mein Gedanke geht von dieser »Statio Orbis« bereits hin zu der Eucharistiefeier, die den Weltjugendtag beschließen wird. Euch Jugendlichen aus Rom, Italien und der ganzen Welt rufe ich zu: bereitet euch sorgfältig auf dieses internationale Jugendtreffen vor, bei dem an euch der Ruf ergeht, die Herausforderungen des neuen Jahrtausends in Angriff zu nehmen.

6. Und Du, Christus, unser Herr, der Du durch »dieses erhabene Geheimnis […] Deine Gläubigen [heiligst und stärkst], damit der eine Glaube die Menschen der einen Erde erleuchte, die eine Liebe sie alle verbinde« (Präfation von der heiligen Eucharistie II), mache Deine Kirche, die das Geheimnis deiner heilbringenden Gegenwart feiert, immer stärker und einiger.

Erfülle alle, die zum heiligen Mahl gehen, mit Deinem Geist, und mache sie mutiger im Zeugnis für das Gebot Deiner Liebe, damit die Welt an Dich glaube, der Du einst sprachst: »Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben« (Jn 6,51).

Du, Herr Jesus Christus, Sohn der Jungfrau Maria, bist der einzige Heiland des Menschen, »gestern, heute und in Ewigkeit«.

Amen!

Grußworte:

295 Herzlich grüße ich die Pilger deutscher Sprache, die am Eucharistischen Weltkongreß teilnehmen wollten. Liebe Schwestern und Brüder! Heute ist "Statio in Orbem". Morgen soll daraus eine "Missio Orbis" werden, eine Sendung in die ganze Welt. Möge die Feier und Anbetung der Eucharistie Brot und Speise sein für Euren weiteren Weg!

Predigten 1978-2005 284