Predigten 1978-2005 482


APOSTOLISCHE REISE NACH POLEN

400. JAHRESTAG DER WEIHE DES HEILIGTUMS DES LEIDENS JESU

UND DER SCHMERZENSMADONNA

PREDIGT DES HEILIGEN VATERS JOHANNES PAUL II.

Basilika von Kalwaria Zedrzydowska

Montag, 19. August 2002

»Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit;

unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung, sei gegrüßt!«

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Heute komme ich zu diesem Heiligtum als Pilger, so wie ich bereits als Kind und Jugendlicher hierherkam. Ich trete vor die Muttergottes von Kalwaria, so wie ich als Bischof von Krakau zu ihr kam, um ihr die Probleme der Erzdiözese und derjenigen, die Gott meiner pastoralen Sorge anvertraut hatte, anzuvertrauen. Ich komme hierher, und wie damals wiederhole ich: Sei gegrüßt! Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit!

Wie oft habe ich erlebt, daß die Mutter des Gottessohnes ihre barmherzigen Augen auf die Sorgen des betrübten Menschen richtet und ihm die Gnade erwirkt, schwierige Probleme zu lösen, und daß der Mensch in seiner Schwäche von Staunen über die Kraft und die Weisheit der göttlichen Vorsehung erfüllt wird. Haben dies nicht auch ganze Generationen von Pilgern erlebt, die seit 400 Jahren hierherkommen? Sicher ist das so. Sonst gäbe es die heutige Feier nicht. Ihr wäret nicht hier, liebe Gläubige, die ihr die Wege von Kalwaria geht, den Spuren der Passion und des Kreuzes Christi folgt und dem Weg des Mitleidens und der Verherrlichung seiner Mutter. Dieser Ort hilft auf wunderbare Weise dem Herzen und dem Verstand, das Geheimnis jenes Bandes zu durchdringen, das den leidenden Erlöser und seine mitleidende Mutter vereinte. Im Mittelpunkt dieses Geheimnisses der Liebe findet derjenige, der hierherkommt, sich selbst, sein Leben, seinen Alltag, seine Schwäche wieder und zugleich die Kraft des Glaubens und der Hoffnung: jene Kraft, die aus der Überzeugung erwächst, daß die Mutter ihr Kind im Leiden nicht im Stich läßt, sondern zu ihrem Sohn führt und es seiner Barmherzigkeit anvertraut.

2. »Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala« (Jn 19,25). Diejenige, die mit dem Sohn Gottes durch die Bande des Blutes und der mütterlichen Liebe verbunden war, lebte diese Einheit im Leiden gerade dort, zu Füßen des Kreuzes. Sie allein wußte trotz des Schmerzes ihres Mutterherzens, daß dieses Leiden einen Sinn hat. Sie hatte Vertrauen – Vertrauen trotz allem –, daß sich jetzt die alte Verheißung erfüllen sollte: »Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse« (Gn 3,15). Und ihr Vertrauen findet sich bestätigt, als der sterbende Sohn am Kreuz zu ihr sagt: »Frau!«

Konnte sie in diesem Augenblick unter dem Kreuz erahnen, daß sich bald, in drei Tagen, die Verheißung Gottes erfüllen würde? Das wird immer ein Geheimnis ihres Herzens bleiben. Eines aber wissen wir: Sie hat als erste von allen Menschen an der Herrlichkeit des auferstandenen Sohnes teil. Sie – so glauben und bekennen wir – ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden, um die Einheit in der Herrlichkeit zu erfahren, um sich an der Seite ihres Sohnes über die Früchte der göttlichen Barmherzigkeit zu freuen und sie für jene zu erwirken, die bei ihr Zuflucht suchen.

3. Das geheimnisvolle Band der Liebe. Wie wunderbar bringt das dieser Ort zum Ausdruck! Die Geschichte überliefert, daß der Stifter des Heiligtums, Mikolaj Zebrzydowski, zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Fundamente für den Bau der Golgota-Kapelle nach dem Vorbild der Basilika der Kreuzigung in Jerusalem gelegt hat. Auf diese Weise wollte er vor allem das Geheimnis des Leidens und des Todes Christi sich und den anderen nahebringen. Später jedoch, bei der Planung der Wege der Passion des Herrn vom Abendmahlssaal bis zum Grab Christi, wollte er, durch die Verehrung Mariens und durch göttliche Eingebung veranlaßt, an diesem Weg Kapellen errichten lassen, die an Begebenheiten aus dem Leben Mariens erinnern. Und so sind andere Wege und eine neue Frömmigkeitsübung entstanden, in gewisser Weise als Ergänzung zum Kreuzweg: jenes Gebet, das »Weg des Mitleidens der Gottesmutter« und aller Mütter, die mit ihr gelitten haben, genannt wird. Seit vier Jahrhunderten kommen Generationen von Pilgern, die hier den Spuren des Erlösers und seiner Mutter folgen und überreich aus jener Liebe schöpfen, die dem Leiden und dem Tod standgehalten hat und in der Herrlichkeit des Himmels ihre Krönung fand.

483 Im Lauf dieser Jahrhunderte wurden die Pilger treu begleitet von den Franziskanern, den sogenannten Bernhardinern, denen die Seelsorge des Heiligtums von Kalwaria anvertraut ist. Heute möchte ich ihnen meine Dankbarkeit für diese Liebe zum leidenden Christus und zu seiner mitleidenden Mutter bekunden; eine Liebe, die sie mit Eifer und Hingabe den Herzen der Pilger vermitteln. Liebe Bernhardinerpatres und -brüder, möge der gütige Gott euch in diesem Dienst segnen, jetzt und in Zukunft!

4. Im Jahr 1641 wurde das Heiligtum von Kalwaria durch ein besonderes Geschenk bereichert. Die Vorsehung leitete die Schritte von Stanislaw Paszkowski aus Brzezie nach Kalwaria, damit er der Obhut der Bernhardinerpatres das Bild der allerseligsten Mutter anvertraue, das schon zu Zeiten, als es sich noch in der Familienkapelle befand, durch viele Gebetserhörungen berühmt geworden war. Seit jener Zeit und besonders seit dem Tag seiner Krönung durch den Bischof von Krakau, Albin Sas Dunajewski, die im Jahr 1887 it der Zustimmung von Papst Leo XIII. stattfand, beenden die Pilger ihre Pilgerfahrt durch die engen Straßen in Gegenwart des Gnadenbildes. Am Anfang kamen sie aus allen Teilen Polens, aber auch aus Litauen, der Rus, der Slowakei, aus Böhmen, Ungarn, Mähren und Deutschland. Vor allem die Bewohner Schlesiens haben sie liebgewonnen: Sie haben die Krone des Jesuskindes gestiftet und nehmen seit dem Tag der Krönung jedes Jahr an der Prozession am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel teil.

Welch große Bedeutung hatte dieser Ort für Polen, als es durch die Teilungen getrennt war! Dem hat Bischof Dunajewski, der später zum Kardinal ernannt wurde, aus Anlaß der Krönung mit folgendem Gebet Ausdruck verliehen: »Am heutigen Tag wurde Maria in den Himmel aufgenommen und dort gekrönt. Am Jahrestag dieses Festes legen alle Heiligen ihre Kronen zu Füßen ihrer Königin nieder, und heute bringt auch das polnische Volk ihr goldene Kronen, damit sie durch die Hand des Bischofs Maria in diesem Gnadenbild aufgesetzt werden. Gib uns dafür deinen Lohn, o Mutter, damit wir unter uns und mit dir eins sind.« So betete er für die Einheit des geteilten Polen. Heute, nachdem Polen eine geographische und nationale Einheit geworden ist, verlieren die Worte dieses Hirten nicht an Aktualität, sondern gewinnen vielmehr eine neue Bedeutung. Man muß sie heute wiederholen und Maria bitten, daß sie uns die Einheit des Glaubens erlangt, die Einheit des Geistes und der Gedanken, die Einheit der Familien und die soziale Einheit. Dafür bete ich heute zusammen mit euch: O Mutter von Kalwaria, erwirke, »daß wir unter uns und mit dir eins sind«.

5. »Wohlan denn, unsere Fürsprecherin,
wende Deine barmherzigen Augen uns zu,
und nach diesem Elend zeige uns Jesus,
die gebenedeite Frucht Deines Leibes!
O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria!«

Richte Deinen Blick, o Jungfrau der Gnaden, auf dieses Volk,
das seit Jahrhunderten Dir und Deinem Sohn treu geblieben ist.
Richte Deinen Blick auf diese Nation,
484 die ihre Hoffnung immer auf Deine mütterliche Liebe gesetzt hat.
Richte Deinen Blick, Deine barmherzigen Augen, auf uns,
erwirke uns das, was Deine Kinder am notwendigsten brauchen.
Öffne die Herzen der Wohlhabenden für die Not der Armen und Leidenden.
Die Arbeitslosen laß einen Arbeitgeber finden.
Hilf denen, die auf der Straße stehen, daß sie eine Unterkunft finden.
Den Familien schenke jene Liebe, die alle Schwierigkeiten überwindet.
Den Jugendlichen zeige den Weg und die Perspektiven für die Zukunft.
Bewahre die Kinder unter dem Mantel Deines Schutzes,
damit sie nicht zum Bösen verführt werden.
Beseele die religiösen Gemeinschaften mit der Gnade des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Laß die Priester dem Beispiel Deines Sohnes folgen, indem sie jeden Tag ihr Leben für die Schafe hingeben.
485 Den Bischöfen erwirke das Licht des Heiligen Geistes, damit sie die Kirche in diesen Ländern
auf einem einzigen und geraden Weg zum Reich Deines Sohnes führen.
Heiligste Mutter, Unsere Liebe Frau von Kalwaria,
erwirke auch für mich die Kraft des Leibes und des Geistes,
damit ich meine Sendung, die mir vom Auferstandenen anvertraut wurde,
bis zum Ende erfüllen kann.
Dir übergebe ich alle Früchte meines Lebens und meines Dienstes;
Dir vertraue ich das Los der Kirche an;
Dir vertraue ich meine Nation an;
auf Dich vertraue ich, und noch einmal bekräftige ich Dir gegenüber:
Totus Tuus, Maria!
486 Totus Tuus. Amen.

Zum Abschluß der Eucharistiefeier sagte der Papst:

Meine Pilgerreise nach Polen, nach Krakau, geht nun ihrem Ende zu. Ich bin froh darüber, daß diese Reise ihren Höhepunkt gerade hier in Kalwaria zu Füßen Mariens erreicht. Ihrem Schutz empfehle ich erneut euch alle, die ihr hier versammelt seid, die Kirche in Polen und alle Landsleute. Ihre Liebe sei die Quelle überreicher Gnaden für unser Land und seine Bewohner.

Bei meinem Besuch in diesem Heiligtum im Jahr 1979 bat ich euch darum, für mich zu beten, solange ich lebe und auch nach meinem Tod. Heute danke ich euch und allen Pilgern von Kalwaria für die geistliche Unterstützung, die mir ständig zuteil wird. Nun bitte ich euch erneut: betet ohne Unterlaß – ich wiederhole es noch einmal – solange ich lebe und nach meinem Tod. Und ich werde wie immer das mir entgegengebrachte Wohlwollen erwidern, indem ich euch alle dem barmherzigen Jesus und seiner Mutter anempfehle.



HEILIGE MESSE FÜR DIE EXEQUIEN

DES KARDINAL LUCAS MOREIRA NEVES, O.P.


PREDIGT DES HL. VATERS JOHANNES PAUL II.

Mittwoch, 11. September 2002



1. »In laudem gloriae gratiae suae« (Ep 1,6). Die Worte des Apostels Paulus, die wir in der zweiten Lesung gehört haben, stellen gleichsam ein unmittelbares und klares Resümee des ganzen Daseins unseres verehrten Bruders Kardinal Lucas Moreira Neves dar, von dem wir uns nun verabschieden. Er selbst hatte diese Worte des Apostels Paulus an den Anfang seines geistlichen Testaments vom Gründonnerstag 2000 gestellt, denn er erkannte darin die innere Inspiration und Erleuchtung, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatten. Er schrieb: »In laudem gloriae … Diese Worte des Apostels Paulus, die mir seit fast sechzig Jahren als spirituelle Erleuchtung dienen, seien mir auch im Augenblick meines Hintretens vor Gott eine Anregung. Es ist mein sehnlicher Wunsch, daß in jener Stunde meine Danksagung an die Heiligste Dreifaltigkeit sich verdichte und ihren Höhepunkt erreiche.«

2. Schon in jungen Jahren in den Orden der Prediger-Brüder eingetreten, bewahrte er sein ganzes Leben eine tiefe Bindung an seine Berufung und seine Identität als geistlicher Sohn des hl. Dominikus. Im obengenannten Testament bekannte er: »Ich liebte diese Berufung leidenschaftlich«, und fuhr fort: »Ich hoffe, in voller Treue zum Wesen der dominikanischen Berufung zu sterben.« Seine Ordensberufung entfaltete sich und fand einen einzigartigen Ausdruck in einem einsatzbereiten priesterlichen Dienst, zunächst an der Seite der katholischen Studenten, dann in der geistlichen Betreuung der »Christlichen Familienbewegung« wie auch unter den Intellektuellen, den Journalisten und vor allem den Künstlern aus der Theater- und Filmwelt.

Als Weihbischof von São Paulo war er besonders geschätzt wegen seiner herausragenden intellektuellen und menschlichen Eigenschaften, wegen seines seelsorglichen Einfühlungsvermögens und wegen seiner unerschöpflichen Liebe zu den Armen, besonders gegenüber seinen »meninos de rua«. Aufgrund dieser Gaben wurde er in immer wichtigere Ämter berufen.

Die Kirche, die Laien, das Priestertum, das Petrusamt und die Jugendlichen in den kirchlichen Verbänden und Bewegungen waren u.a. Themen, die Kardinal Moreira Neves am meisten am Herzen lagen, und er hat sie bei unzähligen Gelegenheiten vertieft und dargelegt. Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht an seine Predigten in den geistlichen Exerzitien erinnern, die er 1982 im Vatikan leitete und die durch ihre spürbare tiefe geistliche und kirchliche Inspiration allgemeinen Anklang fanden?

3. Von seinem Dienst an der Römischen Kurie zugunsten der ganzen katholischen Gemeinschaft bereichert, kehrte Lucas Moreira Neves als Erzbischof des Primatialsitzes São Salvador da Bahia in sein geliebtes Brasilien zurück. Nachdem ich ihn ins Kardinalskollegium aufgenommen hatte, rief ich ihn im Juni 1998 nach Rom zurück, um ihn mit dem Amt des Präfekten der Kongregation für die Bischöfe zu betrauen. Er hatte dieses Amt bis zum September 2000 inne, als er aus Gesundheitsgründen darum bat, davon enthoben zu werden.

Gerade in diesen langen Jahren der Krankheit wurde sein unablässiger Beitrag zum Wohl der Brüder noch apostolischer, in gewissem Sinn sogar noch wirksamer aufgrund seiner tiefen Vereinigung mit Christus, dem Herrn. Kardinal Neves selbst hat es bekannt – in einem vertraulichen Ton, als sei er sich bewußt, einen der intimsten und sensibelsten Punkte seines Herzinnersten zu enthüllen. »Vom natürlichen und rein menschlichen Gesichtspunkt aus fällt es mir sehr schwer, aber in einer Perspektive des Glaubens und des Gehorsams gegenüber dem liebensvollen Willen Gottes danke ich auch für die Krankheit.« Und er erklärt den tieferen Grund für diese Glaubenshaltung: »Mich tröstet die Gewißheit, daß ich durch dieses Leiden mit dem Leiden Christi vereint bin, so daß ich in diesem Leben einen Teil des Fegefeuers erlebt habe und daß ich – mehr als mit jeder Predigt – zur Rettung der Brüder beitragen konnte.«

487 4. Und eben diese Glaubenssicht hilft uns, die traurige Stunde des Abschieds vom Erdenleben unseres geliebten Bruders noch intensiver zu erleben. Der Schmerz um den Verlust seiner verehrten Person, dieses großen Geschenks für die Kirche und die Bürgergesellschaft, wird gelindert durch die Hoffnung auf die Auferstehung, die auf dem Wort Jesu selbst, das wir im Evangelium gehört haben, gründet. »Denn es ist der Wille meines Vaters, daß alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben und daß ich sie auferwecke am Letzten Tag« (Jn 6,40).

Vor dem Geheimnis des Todes scheint für den Menschen ohne Glauben alles unwiederbringlich verloren zu sein. Das Wort Christi aber erhellt den Lebensweg und gibt jedem Augenblick seinen Wert. Jesus Christus ist der Herr des Lebens, und er ist gekommen, damit er »keinen von denen, die der Vater ihm anvertraut hat, zugrunde gehen lasse« (vgl. Jn 6,39). Vor diesem Horizont des Glaubens hat unser lieber Bruder sein ganzes Dasein gelebt – ganz Gott und dem Dienst an den Brüdern, vor allem den ärmsten, geweiht –, und so wurde er zum Zeugen des mutigen Glaubens, der blind auf Gott vertraut.

5. »Scio quod Redemptor meus vivit« (Jb 19,25). Im großen Schweigen, das das Geheimnis des Todes umgibt, erhebt sich die hoffnungsvolle Stimme des Gläubigen aus alter Zeit: Ijob erfleht die Rettung vom lebendigen Gott, in dem jedes menschliche Dasein seinen Sinn und sein Ende findet.

»Videbo Deum meum. Quem visurus sum ego ipse, et oculi mei conspecturi sunt« (Jb 19, 26–27), betont die Heilige Schrift und läßt damit am Ende der Pilgerschaft auf Erden das barmherzige Antlitz des Herrn erahnen. Diese Suche nach Gottes Antlitz ist der Schlußgedanke von Kardinal Neves gewidmet, der sein geistliches Testament mit einem letzten Wunsch beenden wollte: »Ich möchte, daß auf mein Grab nur das Psalmwort ›Vultum tuum, Domine, quaesivi‹ geschrieben wird.« Und wir glauben im Licht unseres Glaubens, daß unser verehrter, lieber Bruder schon jetzt in der Freude des Paradieses das enthüllte barmherzige Antlitz Christi betrachtet, das er sein ganzes Leben lang hoffend gesucht hat.

Darum bitten wir ganz besonders Maria, die Königin der Hoffnung, wenn wir nun die sterbliche Hülle von Kardinal Lucas Moreira Neves der Erde übergeben. Die heilige Jungfrau nehme ihn in ihre mütterlichen Arme, und führe ihn zur Betrachtung des heiligen Antlitzes ihres Sohnes Jesus im jubelnden Chor der Engel und Heiligen für die ganze Ewigkeit. Amen.



EXEQUIEN FÜR KARDINAL FRANÇOIS-XAVIER NGUYÊN VAN THUÂN


PREDIGT DES HL. VATERS JOHANNES PAUL II.

Freitag, 20. September 2002



1. »Ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit« (Sg 3,4).

Diese tröstlichen Worte aus dem Buch der Weisheit laden uns ein, im Licht der Hoffnung unser Bittgebet für die erwählte Seele des verstorbenen Kardinals François-Xavier Nguyên Van Thuân zu erheben, denn er hatte sein ganzes Leben unter das Zeichen der Hoffnung gestellt.

Natürlich sind alle, die ihn kannten und liebten, über seinen Tod sehr betrübt: seine Angehörigen und insbesondere seine Mutter, der ich meine liebevolle Anteilnahme zum Ausdruck bringe. Außerdem denke ich an die geliebte Kirche in Vietnam, die ihn zum Glauben wiedergeboren hat;und ich denke auch an das gesamte vietnamesische Volk: Der hochverehrte Kardinal hat es ausdrücklich in seinem geistlichen Testament genannt und seine ununterbrochene Liebe zu diesem Volk bekannt. Es trauert um Kardinal Van Thuân auch der Hl. Stuhl, dem er in den vergangenen Jahren als Vizepräsident und dann als Präsident des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden gedient hat.

Er scheint auch in diesem Augenblick mit gewinnender Freundlichkeit die Aufforderung zur Hoffnung an uns alle zu richten. Als ich ihn im Jahr 2000 bat, die Meditationen für die geistlichen Exerzitien der Römischen Kurie zu leiten, wählte er als Thema »Zeugen der Hoffnung«. Nun hat ihn der Herr »wie Gold im Schmelzofen« erprobt und ihn als »vollgültiges Opfer« angenommen, und wir können wahrlich sagen, daß »seine Hoffnung voll Unsterblichkeit war« (vgl. Weish Sg 3,4 Weish Sg 3,6), das heißt erfüllt von Christus, der das Leben und die Auferstehung aller Menschen ist, die auf ihn vertrauen.

2. Hoffe auf Gott! Mit dieser Aufforderung zum Gottvertrauen hatte dieser liebe Kardinal seine Meditationen bei den geistlichen Exerzitien begonnen. Seine Predigten sind mir in Erinnerung geblieben wegen der Tiefe seiner Überlegungen, bereichert um viele persönliche Rückblicke, die sich zum Großteil auf seine dreizehnjährige Haft bezogen. Er berichtete, wie er im Gefängnis erkannt habe, daß die Grundlage des christlichen Lebens die »Entscheidung für Gott allein« ist, indem man sich vollständig seinen Vaterhänden überläßt.

488 Wir sind aufgerufen, so fügte er im Licht seiner persönlichen Erfahrung hinzu, allen Menschen das »Evangelium der Hoffnung« zu verkünden; und er betonte: Nur durch die Radikalität des Opfers kann man diese Berufung – auch inmitten schwerster Prüfungen – zur Vollendung führen. »Jedem Schmerz die Bedeutung eines der unzähligen Gesichter des gekreuzigten Jesus zu geben und es mit dem seinen zu verbinden heißt, sich in die gleiche Dynamik von Schmerz und Liebe einzubringen; es heißt, Anteil zu haben an seinem Licht, seiner Kraft, seinem Frieden; es heißt, in uns eine neue und verstärkte Gegenwart Gottes zu finden« (vgl. Testimoni della speranza , Rom Rm 2001, S. 124).

3. Man könnte sich fragen, woher er die Geduld und den Mut nahm, die ihn stets ausgezeichnet haben. Er war überzeugt davon, daß seine Priesterberufung geheimnisvoll, aber wirklich mit dem Blut der Märtyrer verbunden war, die im vergangenen Jahrhundert während ihrer Verkündigung des Evangeliums in Vietnam starben. »Die Märtyrer – so schrieb er – haben uns gelehrt, ja zu sagen: ein bedingungs- und grenzenloses Ja zur Liebe des Herrn; aber auch ein Nein gegenüber den Verlockungen, den Kompromissen, der Ungerechtigkeit, die vielleicht mit der Absicht verbunden war, das eigene Leben zu retten« (vgl. ebd., S. 139 –140). Er fügte hinzu, daß es sich dabei nicht um Heroismus handelte, sondern um Treue, gereift, indem der Blick auf Jesus, das Vorbild jedes Zeugen und Märtyrers, gerichtet war. Ein Erbe, das Tag für Tag in einem Leben voll Liebe und Sanftmut anzunehmen ist.

4. Wenn wir nun diesem heroischen Boten des Evangeliums Christi die letzte Ehre erweisen, danken wir dem Herrn, daß er uns in ihm ein leuchtendes Vorbild christlicher Konsequenz bis zum Martyrium gegeben hat. Von sich selbst behauptete er mit eindrucksvoller Schlichtheit: »Im Abgrund meines Leidens […] habe ich nie aufgehört, alle zu lieben. Ich habe niemanden aus meinem Herzen ausgeschlossen« (vgl. ebd., S. 124).

Sein Geheimnis war ein unverbrüchliches Vertrauen auf Gott, genährt vom Gebet und von seinem mit Liebe angenommenen Leiden. Im Gefängnis zelebrierte er jeden Tag die Eucharistie mit drei Tropfen Wein und einem Tropfen Wasser in seiner geöffneten Hand. Sie war sein Altar, seine Kathedrale. Der Leib Christi war seine »Medizin«. Bewegt erzählte er: »Jedes Mal hatte ich Gelegenheit, die Arme auszubreiten und mich mit Jesus ans Kreuz zu nageln, mit ihm den bittersten Kelch zu trinken. Wenn ich die Wandlungsworte wiederholte, schloß ich jeden Tag mit ganzem Herzen und ganzer Seele einen neuen Bund, einen ewigen Bund zwischen Jesus und mir durch sein Blut, das sich mit meinem vermischte« (vgl. ebd., S. 168).

5. »Mihi vivere Christus est« (»Denn für mich ist Christus das Leben «) (Ph 1,21). Treu bis in den Tod, machte sich Kardinal Nguyên Van Thuân den Ausspruch des Apostels Paulus zu eigen, den wir soeben gehört haben. Auch während seines langen und leidvollen Krankenhausaufenthalts bewahrte er seine innere Ruhe und sogar die Freude. In den letzten Tagen, als er nicht mehr sprechen konnte, hielt er seinen Blick fest auf das ihm gegenüberstehende Kreuz gerichtet. Er betete still, während er sein letztes Opfer vollbrachte als krönenden Abschluß eines Daseins, das von einer heroischen Gleichgestaltung mit Christus geprägt war. Was Jesus kurz vor seinem Pascha sagte, gilt auch für ihn: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Jn 12,24).

Nur durch das Selbstopfer trägt der Christ zum Heil der Welt bei. So war es für unseren verehrten Mitbruder und Kardinal. Er verläßt uns, aber sein Vorbild bleibt. Der Glaube versichert uns, daß er nicht tot, sondern in den ewigen Tag, der kein Ende kennt, eingetreten ist.

6. »Heilige Maria […] bitte für uns […] in der Stunde unseres Todes.« Im Kerker, als er nicht beten konnte, wandte er sich an Maria: »Mutter, du siehst, daß ich am Ende bin, ich kann nicht mehr beten. Ich lege alles in deine Hände und sage nur: Ave Maria!« (vgl. ebd., S. 253).

In seinem geistlichen Testament bittet der verstorbene Kardinal um Vergebung und versichert dann, daß er weiterhin alle lieben wird. »Ich bin bereit zu gehen – schreibt er –, und ich hasse niemanden. Alle Leiden von einst opfere ich der Unbefleckten Jungfrau Maria und dem hl. Josef auf.«

Das Testament endet mit einer dreifachen Aufforderung: »Liebt die heilige Jungfrau, und vertraut auf den hl. Josef, bleibt der Kirche treu, seid einig und barmherzig zu allen Menschen.« Das war, zusammengefaßt, sein ganzes Dasein.

Möge er jetzt, zusammen mit Josef und Maria, aufgenommen werden, um in der Freude des Paradieses das glorreiche Antlitz Christi zu schauen, das er auf Erden leidenschaftlich als seine einzige Hoffnung gesucht hat.

Amen!







ÖKUMENISCHE VESPER IM PETERSDOM ANLÄßLICH DES 700. JAHRESTAGES

DER GEBURT DER HL. BIRGITTA VON SCHWEDEN

PREDIGT DES HL. VATERS JOHANNES PAUL II.

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Freitag, 4. Oktober 2002



1. »Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten« (1Co 2,2). Die bei dieser ökumenischen Feier verkündeten Worte des Apostels Paulus fanden einen einzigartigen Widerhall in den Taten und der mystischen Erfahrung der hl. Birgitta von Schweden, deren 700. Geburtstag wir feiern. In den verschiedenen Abschnitten ihres Lebens, zunächst als Ehefrau, Mutter und Erzieherin, dann als Witwe und schließlich als Gründerin eines neuen Weges des geweihten Lebens, ließ sich die Heilige stets vom Mysterium des Leidens und Sterbens Christi inspirieren. Unermüdlich war ihr Blick auf das Antlitz des Gekreuzigten gerichtet.

Ihrer wollen wir heute abend gedenken, wenn wir dem Herrn für diese bedeutende, heilige Tochter der edlen schwedischen Heimat danken, die mit der Stadt Rom verbunden und einzigartige Zeugin der tiefen christlichen Wurzeln der europäischen Zivilisation war. [Der Papst wechselte von der italienischen zur englischen Sprache:]

2. Mit großer Freude grüße ich euch von ganzem Herzen, liebe Brüder und Schwestern, die ihr an dieser feierlichen Liturgie zu Ehren der hl. Birgitta teilnehmt. Insbesondere wende ich mich an meine Mitbrüder im Bischofsamt, an die Priester und die hier anwesenden Ordensleute.

Im Geist der Brüderlichkeit und Freundschaft grüße ich die ehrwürdigen Vertreter der lutherischen Kirchen. Eure Anwesenheit bei dieser Gebetsstunde erfüllt mich mit großer Freude. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß unser Treffen im Namen des Herrn dazu beitragen wird, unseren ökumenischen Dialog zu fördern und dem Weg zur vollen Einheit der Christen neuen Auftrieb zu geben.

Einen besonderen Gruß möchte ich Ihren Majestäten, dem König und der Königin von Schweden, übermitteln, die hier von ihrer Tochter, Prinzessin Viktoria, vertreten werden.

Hochachtungsvoll grüße ich die weiteren hier anwesenden religiösen und staatlichen Würdenträger wie auch die Organisatoren, Sprecher und Teilnehmer des Symposiums zum Thema: »Der Weg der Schönheit für eine gerechtere und würdigere Welt«, das in Erinnerung an jene 700 Jahre stattfindet, die seit der Geburt der hl. Birgitta vergangen sind. Meine herzlichen Grüße gelten auch den lieben Schwestern des von ihr gegründeten Ordens vom Allerheiligsten Erlöser, die hier mit ihrer Generaloberin versammelt sind.

3. Hier, an den Gräbern der Apostel und an den vom Blut der Märtyrer geheiligten Orten, verbrachte die hl. Birgitta während ihres Aufenthaltes in Rom viele Stunden im Gebet. Hier wurden ihr die Kraft und Standhaftigkeit zuteil, die ihr ermöglichten, jene außerordentliche karitative, missionarische und soziale Aufgabe zu erfüllen, die sie zu einem der bemerkenswertesten Menschen ihrer Zeit machte.

Durch die Betrachtung des Gekreuzigten und in tiefer Verbundenheit mit seinem Leidensweg konnte sie mit prophetischer Entschlossenheit jene Mission erfüllen, die Christus ihr für das Wohl der Kirche und der Gesellschaft jener Zeit anvertraut hatte.

Die Marmorstatue außerhalb der Petersbasilika in der Nähe des allgemein als »Pforte des Gebets« bezeichneten Eingangs bringt den Seeleneifer ihres Lebens und ihrer Spiritualität deutlich zum Ausdruck. Die hl. Birgitta ist in betender Haltung dargestellt mit dem geöffneten Buch ihrer »Offenbarungen«, dem Stab und der Tasche eines Pilgers – in Betrachtung des gekreuzigten Herrn. [Johannes Paul II. fuhr auf italienisch fort:]

4. Zudem möchte ich unbedingt einen weiteren Aspekt der Persönlichkeit dieser großen Missionarin des Glaubens, die ich zur Mitpatronin Europas proklamiert habe, hervorheben: ihr tatkräftiges und eifriges Wirken für die Einheit der Christen. In einer komplexen und gewiß nicht einfachen Zeit der kirchlichen und europäischen Geschichte setzte sich diese unbeugsame Anhängerin des Herrn für den Zusammenhalt und den wahren Fortschritt der Einheit der Gläubigen ein. An dieser Stelle möchte ich das wiederholen, woran ich unlängst die Birgittinnen in einer besonderen Jubiläumsbotschaft zum 70. Gedenktag ihrer Geburt erinnert habe. »Als Frau der Einheit«, schrieb ich, »zeigt sich uns die hl. Birgitta als Zeugin der Ökumene. Ihre ausgeglichene Persönlichkeit inspiriert das Leben des Ordens, der in ihr seinen Ursprung im Hinblick auf eine spirituelle und zugleich wirkungsvolle Ökumene findet« (vgl. Nr. 6). Es handelt sich um ein geistiges Erbe, das bewahrt werden muß, um einen Auftrag, den wir gemeinsam mit Freude und Hochherzigkeit erfüllen müssen. Da jedoch die Einheit der Kirche ein Gnadengeschenk des Geistes ist, sind wir uns bewußt, daß wir sie vor allem im Gebet unablässig erflehen müssen, um sie dann mit unermüdlicher Beharrlichkeit und dem persönlichen Beitrag jedes einzelnen aufzubauen.

490 5. Liebe Brüder und Schwestern, heute feiern wir das Fest des hl. Franz von Assisi. Wir alle kennen die Bewunderung und die Hingabe dieser franziskanischen Tertiarin gegenüber dem »Poverello von Assisi«. Unter ihren zahlreichen Pilgerreisen zu den wichtigsten Heiligtümern der damaligen Zeit ist jene im Sommer 1352 nach Assisi von besonderer Bedeutung. Es war ein Besuch, der ihren Geist und ihr Herz auf unauslöschliche Weise geprägt hat.

Diese beiden großen Heiligen, die das Leben der Kirche und die Geschichte des europäischen Kontinents tief beeinflußt haben, mögen uns dabei helfen, ihrem Beispiel entsprechend mutige Zeugen Christi und seiner immerwährenden Heilsbotschaft zu sein. Maria, der die hl. Birgitta stets treu ergeben war, möge für uns Fürsprache einlegen, damit wir nachhaltig zur Errichtung des Reiches Christi und zum Aufbau der Zivilisation der Liebe beitragen können.



HEILIGSPRECHUNG VON JOSEMARÍA ESCRIVÁ DE BALAGUER

Sonntag, 6. Oktober 2002



1. »Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes« (Rm 8,14). Diese Worte des Apostels Paulus, die in unserer Versammlung soeben erklungen sind, helfen uns, die bedeutende Botschaft der heutigen Heiligsprechung von Josemaría Escrivá de Balaguer zu verstehen. Er ließ sich vom Heiligen Geist fügsam leiten in der Überzeugung, daß man nur so den Willen Gottes vollkommen erfüllen kann.

Diese grundlegende christliche Wahrheit war das ständig wiederkehrende Thema in seiner Predigt. In der Tat lud er seine geistlichen Söhne und Töchter unaufhörlich dazu ein, den Heiligen Geist anzurufen, damit das innere Leben, das heißt die lebendige Beziehung zu Gott, und das familiäre, berufliche und gesellschaftliche Leben, das sich aus vielen kleinen irdischen Wirklichkeiten zusammensetzt, nicht voneinander getrennt werden, sondern ein einziges »heiliges und gotterfülltes« Dasein bilden. Dem unsichtbaren Gott, schrieb er, begegnen wir »in ganz sichtbaren und materiellen Dingen« (Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer, Nr. 114).

Diese seine Lehre ist auch heute noch aktuell und dringend. Der Gläubige ist durch die Taufe, die ihn in Christus eingliedert, berufen, mit dem Herrn eine ununterbrochene und vitale Beziehung zu unterhalten. Er ist berufen, heilig zu sein und an der Erlösung der Menschheit mitzuarbeiten.

2. »Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte« (Gn 2,15). Wie wir in der ersten Lesung gehört haben, erinnert uns das Buch Genesis daran, daß der Schöpfer dem Menschen die Erde anvertraut hat, damit er sie »bebaue und hüte«. Zu diesem umfassenden göttlichen Projekt tragen die Gläubigen bei, wenn sie in den verschiedenen Bereichen der Welt tätig sind. Die Arbeit und alles andere Tun wird mit Hilfe der Gnade zu einem Mittel der täglichen Heiligung.

»Im Leben eines gläubigen Christen«, sagte Josemaría Escrivá gern, »ist Gott immer zugegenund zwar in jedem Augenblick, wenn er arbeitet oder sich erholt, wenn er betet oder schläft (Betrachtungen, 3. März 1954). Diese übernatürliche Sicht des Lebens öffnet weite und reiche Horizonte des Heils. Denn Gott kommt uns nahe auch in den scheinbar einförmigen Umständen normaler irdischer Vorgänge, und wir können an seinem Heilsplan mitwirken. So wird auch die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils leichter verständlich, daß »durch die christliche Botschaft die Menschen nicht vom Aufbau der Welt abgehalten […], sondern vielmehr strenger zur Bewältigung dieser Aufgaben verpflichtet werden« (Gaudium et spes GS 34).

3. Die Welt zu Gott erheben und sie von innen her verwandeln: Das ist das Ideal, das der heilige Gründer euch vorstellt, liebe Brüder und Schwestern, die ihr euch heute über seine Erhebung zur Ehre der Altäre freut. Er erinnert euch weiterhin daran, daß ihr euch nicht von einer materialistischen Kultur einschüchtern lassen dürft, die die innerste Identität der Jünger Christi aufzulösen droht. Er wiederholte gerne und kraftvoll, daß der christliche Glaube sich dem Konformismus und der inneren Trägheit widersetzt.

Folgt seinen Spuren und verbreitet in der Gesellschaft das Bewußtsein, daß wir alle zur Heiligkeit berufen sind, ohne dabei Unterschiede zu machen nach Hautfarbe, Gesellschaftsschicht, Kultur oder Alter. Bemüht euch selbst als erste darum, heilig zu sein, indem ihr einen evangelischen Stil der Demut und des Dienstes pflegt, des Vertrauens in die Vorsehung und des ständigen Hörens auf die Stimme des Geistes. Auf diese Weise werdet ihr das »Salz der Erde« (vgl. Mt 5,13) sein, und es wird »euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen« (ebd., 5, 16).

4. Gewiß, wer der Sache des Evangeliums treu zu dienen sucht, dem fehlt es nicht an Unverständnis und Schwierigkeiten. Der Herr reinigt und formt mit der geheimnisvollen Kraft des Kreuzes diejenigen, die er in seine Nachfolge beruft; doch im Kreuz – so sagte es der neue Heilige immer wieder – finden wir Licht, Frieden und Freude: »Lux in Cruce, requies in Cruce, gaudium in Cruce


Predigten 1978-2005 482