Laborem exercens DE 8

8. Die Solidarität der arbeitenden Menschen

Wenn man von der menschlichen Arbeit in der fundamentalen Dimension ihres Subjekts spricht, also vom personalen Menschen, der diese Arbeit ausführt, so muß man unter diesem Gesichtspunkt auch eine wenigstens summarische Wertung der Entwicklungen vornehmen, die sich in den 90 Jahren seit der Enzyklika Rerum novarum in bezug auf den subjektiven Aspekt der Arbeit vollzogen haben. Denn obwohl das Subjekt der Arbeit immer das gleiche ist, nämlich der Mensch, so kann man doch im objektiven Bereich eine beachtliche Vielfalt sehen. Wenn man auch sagen kann, daß die Arbeit aufgrund ihres Subjektes nur eine (einzig und jeweils unwiederholbar) ist, muß man im Hinblick auf ihre objektive Ausrichtung doch feststellen, daß es viele Arbeiten gibt: lauter verschiedene Arbeiten. Die Entwicklung der menschlichen Zivilisation führt auf diesem Gebiet zu ständiger Bereicherung. Gleichzeitig jedoch kann man nicht übersehen, daß im Verlauf dieser Entwicklung nicht nur neue Formen von Arbeit auftauchen, sondern andere auch verschwinden. Mag man darin auch im großen und ganzen eine normale Erscheinung sehen, so muß man dennoch darauf achten, ob und in welchem Maß sich dabei nicht auch gewisse Auswüchse einschleichen, die in ethisch-sozialer Hinsicht gefährlich sein können.

Gerade infolge eines solchen Auswuchses von großer Tragweite entstand im vergangenen Jahrhundert die sogenannte Arbeiterfrage, manchmal auch als Problem des Proletariats bezeichnet. Diese Frage und die mit ihr verbundenen Probleme haben eine berechtigte soziale Reaktion hervorgerufen und unter den arbeitenden Menschen, in erster Linie unter den Industriearbeitern, geradezu einen Sturm der Solidarität ausgelöst. Der Aufruf zu Solidarität und gemeinsamem Handeln, der an die Arbeiter - vor allem an jene in eintöniger, nur in Teilvorgängen bestehender, abstumpfender Arbeit industrieller Großbetriebe, wo die Maschine immer mehr den Menschen beherrscht - ergangen ist, war vom Standpunkt der Sozialethik wertvoll und ausdrucksstark. Es war die Reaktion gegen die Erniedrigung des Menschen als des Subjekts der Arbeit und gegen die damit verbundene unerhörte Ausbeutung auf dem Gebiet der Löhne, der Arbeitsbedingungen und der Vorsorge für die Person des Arbeiters. Diese Reaktion hat die Arbeiterwelt zu einer durch große Solidarität gekennzeichneten Gemeinschaft zusammengeschlossen.

Im Einklang mit der Enzyklika Rerum novarum und vielen darauffolgenden Dokumenten des kirchlichen Lehramtes muß man offen anerkennen, daß die Reaktion gegen das ungerechte und schädliche System, das auf dem arbeitenden Menschen in jener Zeit rascher Industrialisierung lastete und das um Rache zum Himmel schrie, 13 sozialmoralisch gerechtfertigt war. Diese Zustände waren durch das sozio-politische System des Liberalismus begünstigt, das ja nach seinen ökonomistischen Grundsätzen die wirtschaftliche Initiative ausschließlich der Kapitaleigentümer stärkte und sicherte, sich jedoch nicht genügend um die Rechte des arbeitenden Menschen kümmerte, entsprechend der These, die menschliche Arbeit sei lediglich ein Produktionsmittel, das Kapital hingegen sei die Grundlage, der Maßstab und der Zweck der Produktion.

Seitdem hat die Solidarität unter den arbeitenden Menschen, verbunden mit einem klareren und einsatzbereiteren Bewußtsein der Gegenseite hinsichtlich der Rechte der Arbeiter, in vielen Fällen tiefgreifende Änderungen bewirkt. Verschiedene neue Systeme sind erdacht worden. Verschiedene Formen von Neo-Kapitalismus und Kollektivismus haben sich entwickelt. Nicht selten können die Arbeiter an der Leitung und an der Produktivitätskontrolle der Unternehmen teilnehmen und machen von dieser Möglichkeit auch Gebrauch. Mit der Hilfe entsprechender Verbände nehmen sie auf die Arbeits- und Lohnbedingungen sowie auf die Sozialgesetzgebung Einfluß. Gleichzeitig jedoch ließen verschiedene ideologische Systeme oder Machtgruppierungen sowie auch neue Beziehungen auf den einzelnen Ebenen menschlichen Zusammenlebens offene Ungerechtigkeiten weiterbestehen oder haben neue geschaffen. Auf Weltebene hat die Entwicklung von Zivilisation und Kommunikation eine vollständigere Beurteilung der Lebens- und Arbeitsbedingungen des Menschen auf der ganzen Erde möglich gemacht, aber auch neue Weisen von Ungerechtigkeit ans Licht gebracht und zwar weit größeren Ausmaßes als jene, die im vorigen Jahrhundert den Zusammenschluß der arbeitenden Menschen durch eine besondere Solidarität in der Welt der Arbeit angeregt hatten. Das gilt für die Länder, die bereits einen gewissen Prozeß industrieller Revolution hinter sich haben, wie auch für jene, wo die vorherrschende Arbeit weiterhin in der Bebauung der Erde oder ähnlichen Tätigkeiten besteht.

Bewegungen der Solidarität auf dem Gebiet der menschlichen Arbeit - einer Solidarität, die sich nie dem Dialog und der Zusammenarbeit mit der anderen Seite verschließen darf - können auch im Hinblick auf die Lage von sozialen Gruppen erforderlich sein, welche zunächst in diesen Bewegungen nicht vertreten waren, jedoch unter den sich wandelnden Gesellschaftssystemen und Lebensbedingungen eine tatsächliche »Proletarisierung« erfahren oder sich sogar schon in der Situation eines »Proletariates« befinden, die vielleicht noch nicht mit diesem Namen bezeichnet wird, ihn jedoch von der Sache her bereits verdient. In dieser Lage können sich manche Kategorien oder Gruppen der arbeitsabhängigen »Intelligenz« befinden, besonders dann, wenn zugleich mit einem immer breiteren Zugang zur Bildung und bei anwachsender Zahl von Personen mit abgeschlossenem Studium die Nachfrage nach ihrer Arbeit abnimmt. Diese Arbeitslosigkeit der Intellektuellen ergibt sich oder steigert sich sogar, wenn die offenstehenden Bildungswege nicht auf die von echten Erfordernissen der Gesellschaft verlangten Leistungen oder Dienste ausgerichtet sind oder wenn eine Arbeit, die eine wenigstens berufsbezogene Bildung voraussetzt, weniger gefragt oder schlechter bezahlt ist als manche manuelle Arbeit. Selbstverständlich stellt Bildung als solche immer einen Wert und eine wichtige Bereicherung der menschlichen Persönlichkeit dar; doch bleiben unabhängig von dieser Tatsache manche Prozesse der »Proletarisierung« hierbei möglich.

Man muß sich daher weiterhin die Frage nach dem Subjekt der Arbeit und nach seinen Lebensbedingungen stellen. Will man die soziale Gerechtigkeit in den verschiedenen Teilen der Welt, in den verschiedenen Ländern und in den Beziehungen zwischen ihnen verwirklichen, bedarf es immer neuer Bewegungen von Solidarität der Arbeitenden und mit den Arbeitenden. Diese Solidarität muß immer dort zur Stelle sein, wo es die soziale Herabwürdigung des Subjekts der Arbeit, die Ausbeutung der Arbeitnehmer und die wachsenden Zonen von Elend und sogar Hunger erfordern. Die Kirche setzt sich in diesem Anliegen kraftvoll ein, weil sie es als ihre Sendung und ihren Dienst, als Prüfstein ihrer Treue zu Christus betrachtet, um so wirklich die »Kirche der Armen« zu sein. Die »Armen« treten in verschiedenem Gewande auf, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten; sie treten vielfach auf als Ergebnis einer Verletzung der Würde der menschlichen Arbeit: sei es, daß die Arbeitsmöglichkeiten beschränkt sind - also wegen der Plage der Arbeitslosigkeit -, sei es, daß die Arbeit und die Rechte, die sich aus ihr ergeben, vor allem das Recht auf angemessene Entlohnung und auf die Sicherheit der Person des Arbeitnehmers und seiner Familie, entleert werden.

13. Dt 24,15 Jc 5,4 y también Gn 4 Gn 10

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9. Arbeit und personale Würde

Wenn wir bei dieser Sicht des Menschen als Subjekt der Arbeit noch etwas verweilen, ist es angebracht, zumindest in großen Zügen einige Aspekte zu berühren, welche die Würde der menschlichen Arbeit näher erläutern, insofern sie eine vollständigere Kennzeichnung ihres spezifischen moralischen Wertes gestatten. Dabei muß man sich ständig die in der Bibel ausgesprochene Berufung vor Augen halten, die »Erde untertan zu machen«, 14 in welcher der Wille des Schöpfers zum Ausdruck kommt, daß die Arbeit es dem Menschen ermögliche, die ihm in der sichtbaren Welt zukommende »Herrschaft« zu verwirklichen.

Diese grundlegende Urabsicht Gottes für den Menschen, den er als sein Abbild schuf, ihm ähnlich, 15 wurde nicht einmal in dem Augenblick abgeändert oder ausgelöscht, da der Mensch nach dem Bruch des ersten Bundes mit Gott die Worte vernahm: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen«. 16 Diese Worte beziehen sich auf die manchmal drückende Mühe, welche seither die menschliche Arbeit begleitet, ändern jedoch nichts an der Tatsache, daß die Arbeit der Weg ist, auf dem der Mensch die ihm eigene »Herrschaft« über die sichtbare Welt verwirklicht, indem er sich die Erde »untertan macht«. Diese Mühe ist eine allgemein bekannte, weil allgemein erfahrene Realität. Das wissen die Menschen mit körperlicher Arbeit, deren Tätigkeit manchmal unter äußerst schweren Bedingungen zu verrichten ist. Das wissen nicht nur die in der Landwirtschaft Tätigen, deren langes Tagewerk dem Bebauen der Erde gilt, die ihnen manchmal »Dornen und Disteln« 17 trägt, sondern auch die Arbeiter in den Bergwerken und Steinbrüchen, die Arbeiter der Metallindustrie an ihren Hochöfen, die oft an Leben und Gesundheit gefährdeten Bauarbeiter. Das wissen auch die Menschen in der Werkstatt intellektueller Arbeit; das wissen die Wissenschaftler und die Menschen, auf denen die schwere Verantwortung für sozial weitreichende Entscheidungen lastet. Das wissen die Ärzte und die Krankenpfleger, die Tag und Nacht bei ihren Kranken wachen. Das wissen die Frauen, die manchmal ohne gebührende Anerkennung seitens der Gesellschaft, ja sogar der Angehörigen, tagtäglich die Mühe und die Verantwortung des Haushalts und der Kindererziehung tragen. Das wissen alle arbeitenden Menschen, und da zu arbeiten die Berufung aller ist, wissen es alle Menschen.

Dennoch ist die Arbeit mit all dieser Mühe - und in gewissem Sinne vielleicht gerade aufgrund dieser Mühe - ein Gut für den Menschen. Wenn dieses Gut das Zeichen eines »bonum arduum« - um mit dem heiligen Thomas von Aquin 18 zu sprechen -, eines »schwierigen Gutes«, an sich trägt, so bleibt die Arbeit als solche doch ein Gut für den Menschen, und zwar nicht nur ein »nützliches« oder ein »angenehmes«, sondern ein »würdiges«, das heißt der Würde des Menschen entsprechendes Gut, ein Gut, das diese Würde zum Ausdruck bringt und sie vermehrt. Wenn man die ethische Bedeutung der Arbeit genauer bestimmen will, muß man in erster Linie diese Wahrheit vor Augen haben. Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen - für sein Menschsein -, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen »mehr Mensch wird«.

Ohne diese Überlegung kann man die Bedeutung der Tugend des Fleißes nicht verstehen, genauer: man kann nicht verstehen, wieso der Fleiß eine Tugend sein soll; ist doch die Tugend als moralische Haltung das, wodurch der Mensch als Mensch gut wird. 19 Dieser positive Zusammenhang ändert aber nichts an unserer berechtigten Sorge, der Mensch könnte in der Arbeit, durch welche die Materie veredelt wird, an sich selbst eine Herabsetzung seiner Würde erleiden. 20 Es ist ja bekannt, daß die Arbeit verschiedentlich gegen den Menschen verwendet werden kann; daß man ihn mit dem System der Zwangsarbeit in Konzentrationslagern bestrafen kann; daß man die Arbeit zu einem Mittel der Unterdrückung des Menschen machen kann; daß man schließlich in verschiedener Weise die menschliche Arbeit - das heißt den arbeitenden Menschen! - ausbeuten kann. All dies spricht für die moralische Verpflichtung, den Fleiß als Tugend mit einer sozialen Ordnung zu verbinden, die es dem Menschen erlaubt, in der Arbeit »mehr Mensch zu werden«, statt sich ihretwegen zu erniedrigen und nicht nur seine Körperkräfte zu verbrauchen (was ja wenigstens zu einem gewissen Grad unvermeidlich ist), sondern sogar seine ureigene Würde und Personalität verletzt zu sehen.

14. Cfr. Gn 1,28
15. cfr. Gn 1,26-27
16. Gn 3,19
17. He 6,8; cfr.
18.Cfr. Summa Th. , I-II 40,1 c; I-II 34,2, ad 1
19.Cfr. Summa Th. , I-II 40,1 c; I-II 34,2, ad 1
20. Cfr. Pío XI, Carta Encíclica Quadragesimo anno: AAS 23 (1931) p. 221-222.

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10. Arbeit und Gemeinschaft: in Familie und Nation

Nachdem so die personale Dimension der menschlichen Arbeit bekräftigt ist, müssen wir nun zu einem zweiten Bereich von Werten übergehen, der mit der Arbeit notwendigerweise verbunden ist. Die Arbeit bildet eine Grundlage für den Aufbau des Familienlebens, welches ein Recht und eine Berufung des Menschen ist. Diese beiden Wertbereiche - der eine mit der Arbeit verbunden, der andere aus dem Familiencharakter des menschlichen Lebens folgend - müssen auf rechte Art miteinander verbunden sein, auf rechte Weise einander durchdringen. Die Arbeit ist in gewisser Hinsicht Vorbedingung für die Gründung einer Familie, da diese für ihren Unterhalt Mittel braucht, die sich der Mensch normalerweise durch die Arbeit erwirbt. Arbeit und Fleiß prägen auch den gesamten Erziehungsprozeß in der Familie, eben deshalb, weil jeder unter anderem durch die Arbeit »Mensch wird« und dieses Mensch-werden gerade das Hauptziel des ganzen Erziehungsprozesses ist. Augenscheinlich sind hier in gewissem Sinne zwei Aspekte der Arbeit miteinander im Spiel: der eine, welcher der Familie den Lebensunterhalt ermöglicht, und der andere, durch den sich die Ziele der Familie verwirklichen, vor allem die Erziehung. Diese beiden Aspekte der Arbeit sind jedoch miteinander verbunden und ergänzen einander in verschiedenen Punkten.

Insgesamt muß man daran erinnern und feststellen, daß die Familie einen der wichtigsten Bezugspunkte für den rechten Aufbau einer sozial-ethischen Ordnung der menschlichen Arbeit bildet. Die Lehre der Kirche hat diesem Problem immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und auch wir werden in diesem Dokument noch darauf zurückkommen müssen. Ist doch die Familie eine durch die Arbeit ermöglichte Gemeinschaft und die erste, häusliche Schule der Arbeit für jeden Menschen.

Der dritte Bereich von Werten, der in unserer gegenwärtigen Perspektive - vom Subjekt der Arbeit her - sichtbar wird, betrifft jene umfassende Gemeinschaft, welcher der Mensch aufgrund besonderer kultureller und historischer Bindungen angehört. Die Volksgemeinschaft ist - auch wenn sie noch nicht die ausgereifte Form einer Nation angenommen hat - nicht nur die große, wenn auch indirekte »Erzieherin« jedes Menschen (da jeder sich in der Familie die Gehalte und Werte zu eigen macht, die in ihrer Gesamtheit die Kultur einer bestimmten Nation ausmachen), sondern auch eine große historische und soziale Inkarnation der Arbeit aller Generationen. All das bewirkt, daß der Mensch seine tiefste menschliche Identität mit der Zugehörigkeit zu einer Nation verbindet und seine Arbeit auch als eine zusammen mit seinen Landsleuten erarbeitete Mehrung des Gemeinwohls versteht, wobei ihm auch bewußt wird, daß auf diesem Weg die Arbeit zur Mehrung der Güter der ganzen Menschheitsfamilie, aller auf Erden lebenden Menschen, dient.

Diese drei Bereiche behalten ständig ihre Bedeutung für die menschliche Arbeit in ihrer subjektiven Dimension. Und diese Dimension, die konkrete Wirklichkeit des arbeitenden Menschen also, hat Vorrang vor der objektiven. In der subjektiven Dimension vor allem verwirklicht sich jene »Herrschaft« über die Welt der Natur, zu welcher der Mensch nach den Worten der Genesis von Anfang an berufen ist. Wenn der Prozeß des »Untertan-machens der Erde«, also die Arbeit unter dem Gesichtspunkt der Technik, im Lauf der Geschichte und insbesondere im Lauf der letzten Jahrhunderte von einer ungeheuren Entwicklung der Produktionsmittel gekennzeichnet ist, so ist das eine vorteilhafte, positive Gegebenheit, vorausgesetzt, daß die objektive Dimension der Arbeit nicht die Oberhand über die subjektive gewinnt und so dem Menschen seine Würde und seine unveräußerlichen Rechte nimmt oder schmälert.

III. DER KONFLIKT ZWISCHEN ARBEIT UND KAPITAL IM GEGENWÄRTIGEN ABSCHNITT DER GESCHICHTE


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11. Dimensionen dieses Konfliktes

Die im Vorhergehenden kurz dargelegten grundlegenden Bezüge menschlicher Arbeit stützen sich einerseits auf die ersten Seiten der Bibel und bilden andererseits in gewissem Sinne das Grundgerüst der entsprechenden kirchlichen Lehre, die sich im Lauf der Jahrhunderte und im Zusammenhang der verschiedenen geschichtlichen Erfahrungen unverändert durchgehalten hat. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, welche der Enzyklika Rerum novarum vorangegangen und gefolgt sind, gewinnen sie jedoch besondere Eindringlichkeit und lebendige Aktualität. So erscheint die Arbeit in dieser Analyse als eine große Wirklichkeit, die auf die menschenwürdige Gestaltung der uns vom Schöpfer anvertrauten Welt einen grundlegenden Einfluß ausübt; sie ist gleichzeitig eine Wirklichkeit, die mit dem Menschen - als ihrem Subjekt - und mit seinem vernünftigen Handeln eng verbunden ist.

Diese Wirklichkeit füllt normalerweise das menschliche Leben aus und prägt maßgebend seinen Wert und Sinn. Wenn auch mit Mühe und Anstrengung verbunden, bleibt die Arbeit dennoch ein Gut, so daß sich der Mensch durch die Liebe zu ihr entwickelt. Dieser durchaus positive und schöpferische, erzieherische und verdienstliche Charakter der menschlichen Arbeit muß die Grundlage der Wertungen und Entscheidungen bilden, die heute für den Bereich der Arbeit getroffen werden, und dies auch hinsichtlich der subjektiven Rechte des Menschen, wie internationale Erklärungen und auch zahlreiche Arbeitsgesetzgebungen zeigen, die entweder von den zuständigen gesetzgebenden Organen der einzelnen Länder oder von den Organisationen ausgearbeit wurden, die ihre soziale oder auch sozialwissenschaftliche Aktivität der Problematik der Arbeit widmen. Eine Organisation, die solche Initiativen auf internationaler Ebene fördert, ist das Internationale Arbeitsamt, die älteste Unterorganisation der Vereinten Nationen.

In einem späteren Teil unserer Erwägungen möchte ich genauer auf diese wichtigen Probleme eingehen und zumindest die grundlegenden Elemente der kirchlichen Lehre zu diesem Thema in Erinnerung rufen. Vorher ist es jedoch angezeigt, einen sehr wichtigen Problemkreis zu berühren, vor dessen Hintergrund sich diese Lehre in ihrer letzten Phase herausgebildet hat, in jenem Zeitabschnitt, für den das Jahr der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum gleichsam das symbolische Datum darstellt.

Bekanntlich wurde während dieses ganzen Zeitabschnittes, der übrigens noch keinesfalls beendet ist, das Problem der Arbeit zur Grundlage des großen Konfliktes, der in der Epoche der industriellen Entwicklung und Hand in Hand mit ihr zwischen der »Welt des Kapitals« und der »Welt der Arbeit« auftrat, das heißt zwischen der kleinen, aber sehr einflußreichen Gruppe der Unternehmer, der Eigentümer oder Besitzer der Produktionsmittel, und der viel zahlreicheren Menge derer, die nicht über diese Mittel verfügten, sondern am Produktionsprozeß ausschließlich durch ihre Arbeit teilnahmen. Dieser Konflikt entstand dadurch, daß die Arbeiter ihre Kräfte der Gruppe der Unternehmer zur Verfügung stellten und diese, weil vom Prinzip des größten Gewinns geleitet, darum bestrebt war, für die Leistung der Arbeiter eine möglichst niedrige Entlohnung festzulegen. Dazu kamen noch andere Elemente der Ausbeutung, die mit dem Mangel an Sicherheit am Arbeitsplatz und auch an Garantien hinsichtlich der Gesundheit und des Lebens der Arbeiter und ihrer Familien zu tun hatten.

Dieser Konflikt, von einigen als sozio-ökonomischer Konflikt mit Klassencharakter gedeutet, fand seinen Ausdruck im ideologischen Konflikt zwischen dem Liberalismus - als Ideologie des Kapitalismus verstanden - und dem Marxismus - als Ideologie des theoretischen Sozialismus und des Kommunismus aufgefaßt -, der den Anspruch erhebt, als Wortführer der Arbeiterklasse, des Proletariats der ganzen Welt aufzutreten. Auf diese Weise wurde der reale Konflikt, der zwischen der Welt der Arbeit und der Welt des Kapitals bestand, zum programmierten Klassenkampf, der nicht nur mit ideologischen, sondern gerade und in erster Linie mit politischen Mitteln geführt wurde. Die Geschichte dieses Konflikts ist bekannt; bekannt sind auch die Forderungen der einen und der anderen Seite. Das marxistische Programm, das auf der Philosophie von Marx und Engels aufbaut, sieht im Klassenkampf den einzigen Weg zur Beseitigung der klassenbezogenen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft und auch der Klassen selbst. Die Verwirklichung dieses Programms setzt an den Anfang die Kollektivierung der Produktionsmittel, damit durch die Übertragung dieser Mittel von Privatpersonen auf das Kollektiv die menschliche Arbeit vor der Ausbeutung bewahrt bleibe.

Dieses Ziel strebt der nicht nur mit ideologischen, sondern auch mit politischen Mitteln geführte Kampf an. Die Gruppierungen, die sich als politische Parteien von der marxistischen Ideologie leiten lassen, streben gemäß dem Prinzip der »Diktatur des Proletariats« und durch die Ausübung verschiedenartiger Einflüsse - einschließlich des revolutionären Druckes - nach dem Machtmonopol in den einzelnen Ländern, um dort durch die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln das kollektivistische System einzuführen. Nach den wichtigsten Ideologen und Führern dieser großen internationalen Bewegung ist es das Ziel eines solchen Aktionsprogramms, die soziale Revolution zu vollziehen und in der ganzen Welt den Sozialismus und letzten Endes das kommunistische System einzuführen.

Wenn wir diesen außerordentlich wichtigen Kreis von Problemen berühren, die keine bloße Theorie sind, sondern geradezu ein Geflecht von sozio-ökonomischen, politischen und internationalen Lebensvollzügen unserer Epoche, ist es nicht möglich, aber auch nicht notwendig, auf Einzelheiten einzugehen, da diese aufgrund der reichen Literatur wie auch der praktischen Erfahrungen bekannt sind. Man muß vielmehr von ihrem geschichtlichen Kontext auf das zugrundeliegende Problem der menschlichen Arbeit zurückgehen, dem die Erwägungen des vorliegenden Dokumentes vor allem gelten. Umgekehrt läßt sich natürlich dieses zentrale Problem - »zentral« wieder im Hinblick auf den Menschen gesagt, stellt es doch eine der grundlegenden Dimensionen seines irdischen Daseins und seiner Berufung dar - nur dann klären, wenn man dem ganzen Kontext der zeitgenössischen Wirklichkeit Rechnung trägt.


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12. Der Vorrang der Arbeit

Angesichts der gegenwärtigen Wirklichkeit, in deren Struktur so viele vom Menschen verursachte Konflikte zutiefst eingefügt sind und in der die technischen Mittel - eine Frucht der menschlichen Arbeit - eine erstrangige Rolle spielen (man denke hier auch an die Möglichkeit eines weltweiten Zusammenbruchs im Falle eines Atomkrieges mit seinen fast unvorstellbaren Zerstörungskräften), muß man vor allem ein Prinzip in Erinnerung rufen, das die Kirche immer gelehrt hat: das Prinzip des Vorranges der Arbeit gegenüber dem Kapital. Dieses Prinzip betrifft direkt den Produktionsprozeß, für den die Arbeit immer eine der hauptsächlichen Wirkursachen ist, während das Kapital, das ja in der Gesamtheit der Produktionsmittel besteht, bloß Instrument oder instrumentale Ursache ist. Dieses Prinzip ist eine offensichtliche Wahrheit, die sich aus der ganzen geschichtlichen Erfahrung des Menschen ergibt.

Wenn wir im ersten Kapitel der Bibel hören, daß der Mensch die Erde sich untertan machen soll, dann wissen wir, daß sich diese Worte auf alle Schätze beziehen, welche die sichtbare Welt zur Verfügung des Menschen in sich birgt. Dennoch können diese Reichtümer nur durch die Arbeit dem Menschen nutzbar gemacht werden. Mit der Arbeit ist von Anfang an auch das Problem des Eigentums verbunden. Tatsächlich verfügt der Mensch, will er die in der Natur verborgenen Schätze sich und den anderen nutzbar machen, nur über ein einziges Mittel, nämlich die Arbeit. Um aber diese Schätze durch seine Arbeit ausnützen zu können, eignet sich der Mensch kleine Teile der Naturschätze des Erdinnern, des Meeres, der Erde, des Weltraums an. Von all dem eignet er sich etwas an und macht daraus seine Werkstatt. Diese Aneignung geschieht durch Arbeit und für weitere Arbeit.

Das gleiche Prinzip läßt sich auf die nachfolgenden Phasen dieses Prozesses anwenden, dessen erste Phase stets die Beziehung des Menschen zu den Schätzen der Natur bleibt. All das Bemühen des Geistes um die Entdeckung dieser Schätze und ihrer verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten durch den Menschen und für den Menschen macht uns bewußt, daß alles, was bei der gesamten Wirtschaftsproduktion vom Menschen stammt - sowohl die Arbeit als auch die Gesamtheit der Produktionsmittel und die mit ihnen verbundene Technik, das heißt die Fähigkeit, diese Mittel bei der Arbeit einzusetzen -, die Schätze der sichtbaren Welt voraussetzt, die der Mensch vorfindet, nicht schafft. Er findet sie gewissermaßen schon fertig vor, bereit für die erkennende Entdeckung und für die richtige Verwendung im Produktionsprozeß. In jeder Phase seiner Arbeit steht der Mensch vor der Tatsache, daß er zuallererst von seiten der Natur und letzten Endes von seiten des Schöpfers beschenkt wird. Am Anfang der menschlichen Arbeit steht das Geheimnis der Schöpfung. Diese bereits als Ausgangspunkt angegebene Feststellung zieht sich wie ein roter Faden durch das vorliegende Dokument und wird in dessen letztem Teil noch weiter entfaltet werden.

Die folgenden Gedanken zu diesem Problem sollen uns bestärken in der Überzeugung vom Vorrang der menschlichen Arbeit gegenüber dem, was mit der Zeit allmählich als »Kapital« bezeichnet wurde. Wenn nämlich zum Bedeutungsbereich dieses Begriffes außer den uns zur Verfügung stehenden Naturschätzen auch das Gesamt all jener Mittel gehört, durch die der Mensch sie sich zu eigen macht und seinen Erfordernissen entsprechend umwandelt, wobei er sie so in gewissem Sinne »humanisiert«, dann muß man bereits hier feststellen, daß diese Gesamtheit der Mittel das geschichtlich gewachsene Erbe menschlicher Arbeit ist. Alle Produktionsmittel, von den primitivsten bis zu den ultramodernen, sind nach und nach vom Menschen erarbeitet worden, von seiner Erfahrung und seiner Intelligenz. Auf diese Weise entstanden nicht nur die einfacheren Werkzeuge, die zur Bebauung der Erde dienen, sondern - dank des entsprechenden Fortschritts der Wissenschaft und Technik - auch die moderneren und komplizierteren: Maschinen, Fabriken, Laboratorien und Computer. So ist alles, was zur Arbeit dient, alles, was beim heutigen Stand der Technik ihr immer vollkommeneres »Werkzeug« darstellt, eine Frucht der Arbeit.

Dieses gigantische und mächtige Werkzeug - die Gesamtheit der Produktionsmittel, die in gewissem Sinne mit dem »Kapital« gleichgesetzt werden - ist Frucht der menschlichen Arbeit und trägt deren Zeichen. Wenn der Mensch, das Subjekt der Arbeit, beim heutigen Ausmaß technischen Fortschritts, sich dieser Gesamtheit moderner Instrumente, der Produktionsmittel also, bedienen will, muß er sich zuerst die Frucht der Arbeit jener Menschen geistig aneignen, die diese Instrumente erfunden, geplant, konstruiert und vervollkommnet haben und dies noch weiterhin tun. DieArbeitsfähigkeit, das heißt die Fähigkeit wirksamer Teilnahme am modernen Produktionsprozeß, erfordert eine immer bessere Vorbereitung und vor allem eine entsprechende Ausbildung. Natürlich bleibt bestehen, daß jeder Mensch, der am Produktionsprozeß teilnimmt - auch dann, wenn er nur eine solche Arbeit verrichtet, für die weder eine besondere Ausbildung noch spezielle Voraussetzungen erforderlich sind -, in diesem Prozeß als echtes Subjekt wirksam ist, während sämtliche Instrumente, seien sie als solche auch noch so vollkommen, einzig und allein dem menschlichen Tun untergeordnete Werkzeuge sind.

Diese Wahrheit, die zum festen Bestand der kirchlichen Lehre gehört, muß im Zusammenhang mit der Frage der Arbeitsordnung und auch des gesamten sozio-ökonomischen Systems immer wieder betont werden. Man muß den Primat des Menschen im Produktionsprozeß, den Primat desMenschen gegenüber den Dingen unterstreichen und herausstellen. Alles, was der Begriff »Kapital« - im engeren Sinn - umfaßt, ist nur eine Summe von Dingen. Der Mensch als Subjekt der Arbeit und unabhängig von der Arbeit, die er verrichtet, der Mensch und er allein ist Person. Diese Wahrheit enthält wichtige und entscheidende Folgerungen.


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13. Ökonomismus und Materialismus

Vor allem wird im Licht dieser Wahrheit ganz deutlich, daß man das Kapital nicht von der Arbeit trennen und man keineswegs die Arbeit und das Kapital in einen Gegensatz zueinander stellen kann, geschweige denn - wie später erläutert werden wird - die konkreten Menschen, die jeweils hinter diesen Begriffen stehen. Richtig, das heißt dem Wesen des Problems entsprechend, richtig, das heißt innerlich wahr und zugleich moralisch zulässig, kann eine Arbeitsordnung nur dann sein, wenn sie schon in ihren Grundlagen den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital überwindet und versucht, sich nach dem oben dargelegten Prinzip des wesenhaften und effektiven Vorranges der Arbeit aufzubauen, nach dem Prinzip des Menschen als des Subjektes der Arbeit und seiner wirksamen Teilnahme am ganzen Produktionsprozeß, unabhängig von der Art der Leistungen, die der Arbeitende erbringt.

Der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital hat seinen Ursprung nicht in der Struktur des eigentlichen Produktionsprozesses und auch nicht in jener des allgemeinen Wirtschaftsprozesses. Dieser Prozeß zeigt vielmehr eine gegenseitige Durchdringung von Arbeit und dem, was wir gewöhnlich als Kapital bezeichnen, zeigt deren unauflösbare Verbindung. In jeder Werkstätte, sei sie verhältnismäßig einfach oder auch ultramodern, kann sich der Mensch leicht darüber klar werden, daß er mit seiner Arbeit in ein doppeltes Erbe eintritt, in jenes, das die allen Menschen gegebenen Naturschätze bilden, und in jenes, das andere schon vor ihm aus diesen Naturschätzen erarbeitet haben vor allem durch die Entwicklung der Technik, nämlich durch die Herstellung immer vollkommenerer Arbeitsgeräte: arbeitend tritt der Mensch zugleich in die Arbeit anderer ein. 21 Vom Verstand und auch von unserem aus dem Wort Gottes erleuchteten Glauben her nehmen wir ohne Schwierigkeiten ein solches Bild vom Schauplatz und vom Prozeß menschlicher Arbeit an. Es ist ein vollständiges, Gott und den Menschen einbeziehendes Bild. Der Mensch ist darin »Herr« der Geschöpfe, die in der sichtbaren Welt seiner Verfügung unterstellt sind. Wenn im Lauf des Arbeitsprozesses eine Abhängigkeit aufscheint, so ist es die Abhängigkeit vom Geber aller guten Gaben der Schöpfung und dazu diejenige von anderen Menschen, deren Arbeit und Initiative wir unsere bereits vervollkommneten und erweiterten Arbeitsmöglichkeiten verdanken. Von alledem, was im Produktionsprozeß eine Summe von »Sachen« darstellt, von den Instrumenten und vom Kapital, können wir nur sagen, daß es die Arbeit des Menschen »bedingt«, nicht aber, daß es gleichsam ein anonymes »Subjekt« bildet, von dem der Mensch und seine Arbeit abhängig wären.

Das Zerbrechen dieses vollständigen Bildes, in dem das Prinzip des Primates der Person über die Sachen voll zur Geltung kommt, hat sich im menschlichen Denken vollzogen - manchmal nach einer langen, unterschwelligen Vorbereitung im praktischen Leben -, und zwar dergestalt, daß die Arbeit vom Kapital getrennt und beide in einen Gegensatz zueinander gestellt wurden, als ob es sich um zwei anonyme Kräfte handle, um zwei Produktionsfaktoren, beide von derselben »ökonomistischen« Betrachtungsweise nebeneinander gesetzt. Ein solcher Problemansatz enthielt den grundlegenden Irrtum, den man als Irrtum des Ökonomismus bezeichnen kann, wenn er die menschliche Arbeit ausschließlich nach ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung betrachtet. Man kann und muß diesen fundamentalen Irrtum des Denkens auch einen Irrtum des Materialismus nennen, insofern der Ökonomismus direkt oder indirekt die Überzeugung vom Primat und Vorrang des Materiellen enthält, während er das Geistige und Personhafte (das Wirken des Menschen, die moralischen Werte und ähnliches) direkt oder indirekt der materiellen Wirklichkeit unterordnet. Das ist noch nicht der theoretische Materialismus im Vollsinn des Wortes, aber sicher schon ein praktischer Materialismus, der nicht so sehr wegen seiner aus der materialistischen Theorie abgeleiteten Voraussetzungen für fähig gehalten wird, die Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen, sondern aufgrund einer bestimmten Art zu werten, also aufgrund einer gewissen auf die unmittelbare und größere Anziehungskraft des Materiellen gegründeten Rangordnung der Werte. Das irrige Denken nach den Kategorien des Ökonomismus ging Hand in Hand mit dem Auftauchen der materialistischen Philosophie und mit ihrer Entwicklung von der mehr elementaren und allgemeinen Phase (auch Vulgärmaterialismus genannt, weil er beansprucht, die geistige Wirklichkeit zu einem überflüssigen Phänomen zu machen) zur Phase des sogenannten dialektischen Materialismus. Allerdings scheint es, daß - im Rahmen der vorliegenden Erwägungen - der Ökonomismus für das grundlegende Problem der menschlichen Arbeit und insbesondere für jene Trennung und Gegenüberstellung von »Arbeit« und »Kapital« als zwei Produktionsfaktoren, die man beide nur in der oben genannten ökonomistischen Weise sehen wollte, von entscheidender Bedeutung war und gerade diesen inhumanen Problemansatz noch vor dem philosophischen System des Materialismus geprägt hat. Doch ist offensichtlich auch der Materialismus nicht in der Lage, auch nicht in seiner dialektischen Form, der Reflexion über die menschliche Arbeit hinreichende und entscheidende Grundlagen zu bieten, durch die er dem Vorrang des Menschen vor dem Instrument »Kapital«, dem Vorrang der Person vor der Sache eine angemessene und unwiderlegbare Begründung und Stütze geben könnte. Auch im dialektischen Materialismus ist der Mensch nicht in erster Linie Subjekt der Arbeit und Wirkursache des Produktionsprozesses, sondern wird in Abhängigkeit vom Materiellen gesehen und behandelt, als eine Art »Ergebnis« der die betreffende Zeit prägenden Wirtschafts- und Produktionsverhältnisse.

Selbstverständlich nimmt der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, von dem hier die Rede ist - der Gegensatz, der die Arbeit vom Kapital trennt und diesem wie ein eigenes »Ding« gegenüberstellt, als wäre sie irgendein beliebiges Element des wirtschaftlichen Prozesses -, nicht nur in der Philosophie und in den Wirtschaftstheorien des 18. Jahrhunderts seinen Anfang, sondern viel mehr noch in der gesamten wirtschaftlich-sozialen Praxis jener Zeit der beginnenden und rasch fortschreitenden Industrialisierung, bei der man vor allem die Möglichkeit einer starken Vermehrung der materiellen Reichtümer, also der Mittel, entdeckte, während man das Ziel, den Menschen, dem diese Mittel dienen müssen, aus dem Auge verlor. Gerade dieser praktische Irrtum hat vor allem die menschliche Arbeit, den arbeitenden Menschen getroffen und die ethisch gerechtfertigte Reaktion verursacht, von der bereits die Rede war. Der gleiche Irrtum, der nun bereits sein bestimmtes, mit dieser Zeit des ersten Kapitalismus und des Liberalismus verbundenes historisches Profil hat, kann sich unter anderen zeitlichen und örtlichen Umständen wiederholen, wenn man bei der Reflexion von den gleichen theoretischen und praktischen Voraussetzungen ausgeht. Eine radikale Überwindung dieses Irrtums erscheint unmöglich, solange es nicht zu angemessenen Änderungen kommt sowohl auf theoretischem wie auch auf praktischem Gebiet, Änderungen auf der Linie einer entschiedenen Überzeugung vom Primat der Person über die Sache, der menschlichen Arbeit über das Kapital als die Gesamtheit der Produktionsmittel.

21. Cfr. Jn 4,38


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