Mulieris dignitatem DE 26

Die Eucharistie


26 Vor dem weiten Hintergrund des »tiefen Geheimnisses«, das in der bräutlichen Beziehung zwischen Christus und der Kirche zum Ausdruck kommt, ist es möglich, in entsprechender Weise auch die Berufung der »Zwölf« zu begreifen. Wenn Christus nur Männer zu seinen Aposteln berief, tat er das völlig frei und unabhängig. Er tat es mit derselben Freiheit, mit der er in seinem Gesamtverhalten die Würde und Berufung der Frau betonte, ohne sich nach den herrschenden Sitten und nach der auch von der Gesetzgebung der Zeit gebilligten Tradition zu richten. Daher entspricht die Hypothese, er habe Männer zu Aposteln berufen, indem er der damals verbreiteten Mentalität folgte, ganz und gar nicht der Handlungsweise Christi. »Meister, wir wissen, daß du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst (...), denn du siehst nicht auf die Person« (Mt 22,16). Diese Worte beschreiben vollständig das Verhalten Jesu von Nazaret.Darin liegt auch eine Erklärung für die Berufung der »Zwölf«. Sie sind während des Letzten Abendmahles bei Christus; sie allein empfangen im Zusammenhang mit der Einsetzung der Eucharistie den sakramentalen Auftrag: »Tut dies zu meinem Gedächtnis!« (Lc 22,19 1Co 11,24). Sie empfangen am Abend des Auferstehungstages den Heiligen Geist, um die Sünden zu vergeben: »Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Jn 20,23).

Wir befinden uns hier mitten im Ostergeheimnis, das Gottes bräutliche Liebe zutiefst offenbart. Christus ist der Bräutigam, weil er »sich hingegeben hat«: Sein Leib wurde »hingegeben«, sein Blut wurde »vergossen« (vgl. Lc 24,19 Lc 24,20). So hat er »seine Liebe bis zur Vollendung erwiesen« (Jn 13,1). Die »aufrichtige Hingabe«, die im Kreuzesopfer enthalten ist, hebt endgültig den bräutlichen Sinn der Liebe Gottes hervor. Christus ist als Erlöser der Welt der Bräutigam der Kirche. Die Eucharistie ist das Sakrament unserer Erlösung. Sie ist das Sakrament des Bräutigams und der Braut. Die Eucharistie vergegenwärtigt und verwirklicht auf sakramentale Weise aufs neue den Erlösungsakt Christi, der die Kirche als seinen Leib »erschafft«. Mit diesem »Leib« ist Christus verbunden wie der Bräutigam mit der Braut. Alle diese Aussagen sind im Brief an die Epheser enthalten. In dieses »tiefe Geheimnis« Christi und der Kirche wird die seit dem »Anfang« von Mann und Frau gebildete bleibende »Einheit der zwei« eingefügt.

Wenn Christus nun die Eucharistie bei ihrer Einsetzung so ausdrücklich mit dem priesterlichen Dienst der Apostel verbunden hat, darf man annehmen, daß er auf diese Weise die gottgewollte Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen dem »Fraulichen« und dem »Männlichen«, sowohl im Schöpfungsgeheimnis wie im Geheimnis der Erlösung ausdrücken wollte. Vor allem in der Eucharistie wird ja in sakramentaler Weise der Erlösungsakt Christi, des Bräutigams, gegenüber der Kirche, seiner Braut, ausgedrückt. Das wird dann durchsichtig und ganz deutlich, wenn der sakramentale Dienst der Eucharistie, wo der Priester »in persona Christi« handelt, vom Mann vollzogen wird. Diese Deutung bestätigt die Lehre der im Auftrag Pauls VI. veröffentlichten Erklärung Inter Insigniores, die Antwort geben sollte auf die Frage nach der Zulassung der Frauen zum Priesteramt.(50)

(50) Cf. CONGR. POUR LA DOCTRINE DE LA FOI, Déclaration sur la question de l’admission des femmes au sacerdoce ministériel Inter insigniores (15 octobre 1976) : AAS 69 (1977), p. 98-116.

Die Hingabe der Braut


27 Das II. Vatikanische Konzil hat in der Kirche das Bewußtsein des allgemeinen Priestertums erneuert. Im Neuen Bund gibt es nur ein Opfer und nur einen Priester: Christus. An diesem einen Priestertum Christi haben alle Getauften, Männer wie Frauen, teil, denn sie »sollen sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen« (vgl. Rm 12,1), überall von Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von ihrer Hoffnung auf das ewige Leben (vgl. 1P 3,15)«.(51) Die allgemeine Teilhabe am Opfer Christi, in dem der Erlöser dem Vater die ganze Welt und insbesondere die Menschheit dargebracht hat, bewirkt, daß alle in der Kirche »Könige und Priester« sind (Ap 5,10 vgl. 1P 2,9), das heißt, nicht nur an der priesterlichen, sondern auch an der prophetischen und königlichen Sendung Christi, des Messias, teilhaben. Diese Teilhabe bestimmt ferner die organische Verbundenheit der Kirche als Volk Gottes mit Christus. In ihr kommt zugleich das »tiefe Geheimnis« des Epheserbriefes zum Ausdruck: die mit ihrem Bräutigam vereinte Braut; vereint, weil sie sein Leben lebt; vereint, weil sie an seiner dreifachen Sendung (tria munera Christi) teilhat; vereint in einer Weise, daß sie mit ihrer »aufrichtigen Hingabe« das unermeßliche Geschenk der Liebe des Bräutigams, des Erlösers der Welt, erwidert. Das betrifft alle in der Kirche, Frauen ebenso wie Männer, und es betrifft natürlich auch jene, die am Amtspriestertum teilhaben, das Dienstcharakter besitzt.(52) Vor dem »tiefen Geheimnis« Christi und der Kirche sind alle aufgerufen, wie eine Braut mit der Gabe ihres Lebens auf die unermeßliche Hingabe der Liebe Christi zu antworten, der als Erlöser der Welt allein der Bräutigam der Kirche ist. Im »königlichen Priestertum«, das allgemein ist, drückt sich zugleich die Hingabe der Braut aus.

Das ist von grundlegender Bedeutung, um die Kirche in ihrem eigentlichen Wesen zu begreifenund dabei die Übertragung von Verständnis- und Bewertungskriterien, die nichts mit ihr zu tun haben, auf diese Kirche - auch als eine aus Menschen bestehende und in die Geschichte eingegliederte »Institution« - zu vermeiden. Sie besitzt zwar eine »hierarchische« Struktur;(53) doch diese ist ganz für die Heiligkeit der Glieder Christi bestimmt. Diese Heiligkeit wird aber an dem »tiefen Geheimnis« gemessen, in dem die Braut mit der Hingabe der Liebe die Hingabe des Bräutigams erwidert, und das tut sie »im Heiligen Geist«; »denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist« (Rm 5,5). Das II. Vatikanische Konzil hat, indem es die Lehre der gesamten Überlieferung bestätigte, daran erinnert, daß in der Hierarchie der Heiligkeit gerade die »Frau«, Maria aus Nazaret, das »Bild« der Kirche ist. Sie geht allen auf dem Weg zur Heiligkeit voran; in ihrer Person hat die Kirche bereits ihre Vollkommenheit erreicht, dank derer sie »herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler erscheint (vgl. Ep 5,27)«.(54) In diesem Sinne, so kann man sagen, ist die Kirche zugleich»marianisch« und »apostolisch-petrinisch«.(55)

In der Geschichte der Kirche gab es seit den frühesten Zeiten - neben den Männern - zahlreiche Frauen, in denen die Antwort der Braut auf die erlösende Liebe des Bräutigams ihre volle Ausdruckskraft erlangte. Als erste sehen wir jene Frauen, die Christus persönlich begegnet und ihm gefolgt waren und nach seinem Abschied zusammen mit den Aposteln im Abendmahlssaal von Jerusalem »einmütig im Gebet verharrten« bis zum Pfingsttag. An jenem Tag redete der Heilige Geist durch »Söhne und Töchter« des Gottesvolkes und erfüllte so, was der Prophet Joël vorausgesagt hatte (vgl. Ac 2,17). Jene Frauen und später noch andere hatten durch ihre Gnadengaben und ihren vielfältigen Dienst einen aktiven und wichtigen Anteil am Leben der Urkirche, an der Grundlegung der ersten und der nachfolgenden christlichen Gemeinden. Die apostolischen Schriften nennen ihre Namen, wie z.B. »Phöbe, die Dienerin der Gemeinde von Kenchreä« (vgl. Rm 16,1), Priska mit ihrem Gatten Aquila (vgl. 2Tm 4,19), Evodia und Syntyche (vgl. Ph 4,2), Maria, Tryphäna, Persis, Tryphosa (vgl. Rm 16,6 Rm 16,12). Der Apostel spricht von ihren »Mühen« um Christi willen: Diese weisen auf die verschiedenen Bereiche des apostolischen Dienstes der Kirche hin, angefangen bei der »Hauskirche«. In ihr nämlich geht der »aufrichtige Glaube« von der Mutter auf die Kinder und Enkel über, genauso wie es im Haus des Timotheus der Fall war (vgl. 2Tm 1,5).

Dasselbe wiederholt sich im Laufe der Jahrhunderte von Generation zu Generation, wie dieKirchengeschichte bezeugt. In der Tat hat die Kirche, indem sie für die Würde der Frau und ihre Berufung eintrat, Verehrung und Dankbarkeit für jene zum Ausdruck gebracht, die - in Treue zum Evangelium - zu allen Zeiten an der apostolischen Sendung des ganzen Gottesvolkes teilgenommen haben. Es handelt sich um heilige Märtyrerinnen, Jungfrauen, Mütter, die mutig ihren Glauben bezeugt und dadurch, daß sie ihre Kinder im Geist des Evangeliums erzogen, den Glauben und die Überlieferung der Kirche weitergegeben haben.

In jedem Zeitalter und in jedem Land finden wir zahlreiche »tüchtige« Frauen (vgl. Pr 31,10), die trotz Verfolgungen, Schwierigkeiten und Diskriminierungen an der Sendung der Kirche teilgenommen haben. Es seien hier nur erwähnt: Monika, die Mutter des Augustinus, Makrina, Olga von Kiew, Mathilde von Toscana, Hedwig von Schlesien und Hedwig von Krakau, Elisabeth von Thüringen, Brigitta von Schweden, Jeanne d'Arc, Rosa von Lima, Elisabeth Seton und Mary Ward.

Das Zeugnis und die Taten christlicher Frauen haben sich prägend auf das Leben von Kirche und Gesellschaft ausgewirkt. Selbst unter schweren gesellschaftlichen Diskriminierungen haben die heiligen Frauen, durch ihre Verbundenheit mit Christus gestärkt, »frei« gehandelt. Aus einer ähnlichen Verbundenheit und in Gott verwurzelten Freiheit erklären sich zum Beispiel das große Wirken der hl. Katharina von Siena im öffentlichen Leben der Kirche und der hl. Theresia von Avila im kontemplativen Ordensleben.

Auch in unseren Tagen wird die Kirche noch immer durch das Zeugnis zahlreicher Frauen bereichert, die ihre Berufung zur Heiligkeit verwirklichen. Heiligmäßige Frauen sind eine Verkörperung des weiblichen Ideals; sie sind aber auch ein Vorbild für alle Christen, ein Vorbild der »Nachfolge Christi«, ein Beispiel dafür, wie die Braut die Liebe des Bräutigams in Liebe erwidern soll.

(51) Cf. CONC. OECUM. VAT. II, Const. dogm. sur l’Eglise Lumen gentium, LG 10.
(52) Cf. ibid., LG 10.
(53) Cf. ibid., LG 18-29.
(54) Cf. ibid., LG 65, et aussi LG 63; cf. Encycl. Redemptoris Mater, RMA 2-6 : l. c., p. 362-367.
(55) « Ce profil marial est aussi fondamental et caractéristique de l’Église — sinon davantage — que le profil apostolique et pétrinien, auquel il est profondément uni. (...) La dimension mariale de l’Église précède la dimension pétrinienne, tout en lui étant étroitement unie et complémentaire. Marie, l’Immaculée, précède toute autre personne et, bien sûr, Pierre lui-même et les apôtres. Non seulement parce que Pierre et les apôtres, issus de la masse du genre humain qui naît sous le péché, font partie de l’Église «sancta ex peccatoribus», mais aussi parce que leur triple munus ne tend à rien d’autre qu’à former l’Église dans cet idéal de sainteté qui est déjà préformé et préfiguré en Marie. Comme l’a si bien dit un théologien contemporain, «Marie est ‘la Reine des apôtres’, sans revendiquer pour elle les pouvoirs apostoliques. Elle a autre chose et beaucoup plus.» (H. U. von BALTHASAR, Neue Klarstellunen) » : Allocution aux cardinaux et aux prélats de la Curie romaine (22 décembre 1987) : l’Osservatore Romano, 23 décembre 1987.

VIII.


AM GRÖSSTEN IST DIE LIEBE


Angesichts von Veränderungen


28 »Die Kirche aber glaubt: Christus, der für alle starb und auferstand, schenkt dem Menschen Licht und Kraft durch seinen Geist, damit er seiner höchsten Berufung nachkommen kann«.(56) Diese Worte aus der Konzilskonstitution Gaudium et Spes können wir auf das Thema der vorliegenden Überlegungen beziehen. Der besondere Hinweis auf die Würde der Frau und ihre Berufung in unserer heutigen Zeit kann und muß in dem »Licht« und mit der »Kraft« aufgenommen werden, die der Geist Christi dem Menschen schenkt: auch dem Menschen unserer, an vielfältigen Wandlungen so reichen Zeit. Die Kirche »glaubt (...), daß in ihrem Herrn und Meister der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel« des Menschen, ja »der ganzen Menschheitsgeschichte gegeben ist«, und sie »bekennt überdies, daß allen Wandlungen vieles Unwandelbare zugrunde liegt, was seinen letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit«.(57)

Mit diesen Worten weist uns die Konstitution über die Kirche in der Welt von heute den Weg, der einzuschlagen ist, wenn wir uns den Aufgaben bezüglich der Würde der Frau und ihrer Berufung vor dem Hintergrund der für unsere Zeit bedeutsamen Veränderungen stellen. Wir können uns mit diesen Wandlungen nur dann auf korrekte und angemessene Weise auseinandersetzen, wenn wir auf den Grund zurückgehen, der in Christus gegeben ist, zu jenen Wahrheiten und »unwandelbaren« Werten, deren »treuer Zeuge« (vgl.
Ap 1,5) und Meister er selbst ist. Eine andere Vorgangsweise würde zu zweifelhaften, wenn nicht sogar zu falschen und trügerischen Ergebnissen führen.

(56) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, GS 10.
(57) Ibid., GS 10.

Die Würde der Frau und die Ordnung der Liebe


29 Der bereits angeführte Abschnitt aus dem Epheserbrief (Ep 5,21-23), wo die Beziehung zwischen Christus und der Kirche als Band zwischen dem Bräutigam und der Braut dargestellt wird, nimmt auch Bezug auf die Einsetzung der Ehe nach den Worten der Genesis (vgl. Gn 2,24). Er verbindet die Wahrheit über die Ehe als Sakrament des »Anfangs« mit der Erschaffung von Mann und Frau nach dem Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gn 1,27 Gn 5,1). Durch diesen bedeutsamen Vergleich des Epheserbriefes gewinnt seine volle Klarheit, was für die Würde der Frau sowohl in den Augen Gottes - des Schöpfers und Erlösers - als auch in den Augen des Menschen - des Mannes und der Frau - entscheidend ist. Auf der Grundlage des ewigen Planes Gottes ist die Frau diejenige, in der die Ordnung der Liebe in der geschaffenen Welt der Personen das Erdreich für ihr erstes Wurzelfassen findet. Die Ordnung der Liebe gehört zum inneren Leben Gottes selbst, zum Leben des dreifaltigen Gottes. Im inneren Leben Gottes ist der Heilige Geist die personhafte Verkörperung der Liebe. Durch den Geist, die ungeschaffene Gabe, wird die Liebe zu einer Gabe für alle geschaffenen Personen. Die Liebe, die von Gott ist, teilt sich den Geschöpfen mit: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist« (Rm 5,5).

Die Berufung der Frau zur Existenz neben dem Manne (»eine Hilfe, die ihm entspricht«: Gn 2,18) in der »Einheit der zwei« bietet in der sichtbaren Welt der Geschöpfe besondere Voraussetzungen, damit »die Liebe Gottes ausgegossen wird in die Herzen« der nach seinem Bild geschaffenen Wesen. Wenn der Verfasser des Epheserbriefes Christus einen Bräutigam und die Kirche eine Braut nennt, bestätigt er mit dieser Analogie indirekt die Wahrheit über die Frau als Braut. Der Bräutigam ist der Liebende. Die Braut wird geliebt: Sie empfängt die Liebe, um ihrerseits zu lieben.

Der Abschnitt der Genesis - neu gelesen im Licht der bräutlichen Symbolik des Epheserbriefes - läßt uns eine Wahrheit schauen, die für die Frage der Würde der Frau und so auch für ihre Berufung entscheidend zu sein scheint: Die Würde der Frau wird von der Ordnung der Liebe bestimmt, die im wesentlichen eine Ordnung von Gerechtigkeit und Nächstenliebe ist.(58)

Nur die Person kann lieben, und nur die Person kann geliebt werden. Das ist zunächst eine ontologische Feststellung, aus der sich dann eine Feststellung ethischen Charakters ergibt. Die Liebe ist ein ontologisches und ethisches Bedürfnis der Person. Die Person muß geliebt werden; denn allein die Liebe entspricht dem, was eine Person ist. So erklärt sich das Liebesgebot, das bereits im Alten Testament bekannt ist (vgl. Dt 6,5 Lv 19,18) und von Christus in den Mittelpunkt des evangelischen Ethos gestellt wird (vgl. Mt 22,36-40 Mk Mc 12,28-34). So erklärt sich auch jener Vorrang der Liebe, der von Paulus im ersten Korintherbrief ausgesprochen wird: »Am größten ist die Liebe« (vgl 1Co 13,13).

Ohne Anwendung dieser Ordnung und dieses Vorranges ist eine vollständige und zutreffende Antwort auf die Frage nach der Würde und Berufung der Frau gar nicht möglich. Wenn wir sagen, die Frau empfängt Liebe, um ihrerseits zu lieben, meinen wir nicht nur oder vor allem die der Ehe eigene bräutliche Beziehung. Wir meinen damit etwas Universaleres, das sich auf die Tatsache selbst des Frauseins in den interpersonalen Beziehungen gründet, die dem Zusammenleben und -wirken der Personen, von Männern und Frauen, die verschiedenste Gestalt verleihen. In diesem weiten und differenzierten Zusammenhang stellt die Frau einen Eigenwert dar als menschliche Person und gleichzeitig als jene konkrete Person in ihrem Frausein. Das trifft auf alle Frauen und auf jede einzelne von ihnen zu, unabhängig von dem kulturellen Rahmen, in dem jede sich befindet, und unabhängig von ihren geistigen, psychischen und körperlichen Merkmalen, wie zum Beispiel Alter, Bildung, Gesundheit, Arbeit, verheiratet oder ledig.

Der Abschnitt des Epheserbriefes läßt uns an eine Art von besonderem »Prophetentum« der Frau in ihrer Fraulichkeit denken. Die Analogie des Bräutigams und der Braut spricht von der Liebe, mit der jeder Mensch, jeder Mann und jede Frau, von Gott in Christus geliebt wird. Doch im Rahmen der biblischen Analogie und auf Grund der inneren Logik des Textes ist es gerade die Frau, die diese Wahrheit allen offenbar macht: die Braut. Dieses »prophetische« Merkmal der Frau in ihrer Fraulichkeit findet seinen erhabensten Ausdruck in der Jungfrau und Gottesmutter. Bei ihr wird auf vollkommenste und unmittelbarste Weise die innige Vereinigung der Ordnung der Liebe - die durch eine Frau in die Welt der menschlichen Personen einzieht - mit dem Heiligen Geist deutlich. Maria vernimmt bei der Verkündigung: »Der Heilige Geist wird über dich kommen« (Lc 1,35).

(58) Cf. S. AUGUSTIN, De Trinitate, l. VIII, VII, 10-X, 14 : CCL 50, 284-291.

Das Bewußtsein von einer Sendung


30 Die Würde der Frau ist eng verbunden mit der Liebe, die sie gerade in ihrer Fraulichkeit empfängt, und ebenso mit der Liebe, die sie ihrerseits schenkt. So wird die Wahrheit über die Person und über die Liebe bestätigt. Was die Wahrheit über die Person betrifft, müssen wir noch einmal auf das II. Vatikanische Konzil zurückkommen: »Der Mensch, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, kann sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden«.(59) Das gilt für jeden Menschen als nach Gottes Bild geschaffene Person, für den Mann ebenso wie für die Frau. Die hier enthaltene ontologische Aussage weist auch auf die ethische Dimension der Berufung der Person hin. Die Frau kann sich nicht selbst finden, wenn sie nicht den anderen ihre Liebe schenkt.

Am »Anfang« ist die Frau - wie der Mann - von Gott geschaffen und in diese Ordnung der Liebe »hineingestellt« worden. Die Ursünde hat diese Ordnung nicht zerstört und nicht rettungslos aufgehoben. Das beweisen die Bibelworte des Protoevangeliums (vgl.
Gn 3,15).Wir haben in den vorliegenden Betrachtungen gesehen, welchen einmaligen Platz die »Frau« in diesem entscheidenden Text der Offenbarung einnimmt. Es sei außerdem betont, daß dieselbe »Frau«, die zum biblischen »Urbild« wird, auch in der von der Offenbarung des Johannes zum Ausdruck gebrachten eschatologischen Perspektive der Welt und des Menschen ihren Platz hat.(60) Sie ist dort »eine Frau, mit der Sonne bekleidet«, den Mond unter ihren Füßen und einen Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt (vgl. Ap 12,1). Man kann sagen: eine Frau in kosmischer Dimension, auf das gesamte Schöpfungswerk bezogen. Zugleich aber »ist sie schwanger und schreit unter ihren Geburtswehen« (Ap 12,2) wie Eva, die »Mutter aller Lebendigen« (vgl. Gn 3,20). Sie leidet auch, weil »vor der Frau, die gebären soll, der Drache steht« (vgl. Ap 12,4), »der große Drache, die alte Schlange« (vgl. Ap 12,9), die wir schon aus dem Protoevangelium kennen: der Böse als der »Vater der Lüge« und der Sünde (vgl. Jn 8,44). Die »alte Schlange« will »ihr Kind (das Kind der Frau) verschlingen« (vgl. Ap 12,4). Wenn wir in diesem Text einen Widerschein des Kindheitsevangeliums (vgl. Mt 2,13 Mt 2,16) sehen, können wir meinen, daß zum biblischen »Urbild« der »Frau« vom Beginn der Geschichte bis zu ihrem Ende der Kampf gegen das Böse und den Bösen in Person gehört. Es ist dies auch der Kampf um den Menschen, um sein wahres Wohl, um sein Heil. Will uns die Bibel damit nicht sagen, daß die Geschichte gerade in der »Frau«, in Eva und Maria, einen dramatischen Kampf um jeden Menschen verzeichnet? Den Kampf um sein grundlegendes »Ja« oder »Nein« zu Gott und zu seinem ewigen Plan für den Menschen?

Wenn die Würde der Frau von der Liebe zeugt, die sie empfängt, um ihrerseits zu lieben, scheint das biblische Urbild der »Frau« auch die rechte Ordnung der Liebe zu enthüllen, welche die eigentliche Berufung der Frau darstellt. Es handelt sich hier um die Berufung in ihrer fundamentalen und geradezu universalen Bedeutung, die dann konkrete Gestalt annimmt und in den vielfältigen »Berufungen« der Frau in Kirche und Welt zum Ausdruck kommt.

Die moralische Kraft der Frau und ihre geistige Kraft verbinden sich mit dem Bewußtsein, daßGott ihr in einer besonderen Weise den Menschen anvertraut. Natürlich vertraut Gott jeden Menschen allen und jedem einzelnen an. Doch dieses Anvertrauen betrifft in besonderer Weise die Frau - eben wegen ihrer Fraulichkeit -, und es entscheidet in besonderer Weise über ihre Berufung.

Die aus diesem Bewußtsein und diesem Anvertrauen geschöpfte moralische Kraft der Frau findet in zahlreichen Frauengestalten aus dem Alten Testament, aus der Zeit Christi und aus den folgenden Epochen bis herauf in unsere Tage ihren Ausdruck. Die Frau ist stark im Bewußtsein der ihr anvertrauten Aufgabe, stark, weil Gott »ihr den Menschen anvertraut«, immer und überall, selbst unter den Bedingungen gesellschaftlicher Diskriminierung, unter der sie vielleicht leben muß. Dieses Bewußtsein und diese grundlegende Berufung erinnern die Frau an die Würde, die sie von Gott selber empfängt, und das macht sie »stark« und festigt ihre Berufung. So wird die »tüchtige Frau« (vgl. Pr 31,10) zu einer unersetzlichen Stütze und einer Quelle geistiger Kraft für die anderen, die der großen Kräfte ihres Geistes gewahr werden. Diesen »tüchtigen Frauen« haben ihre Familien und oft ganze Nationen viel zu verdanken.

In unserer Zeit ermöglichen die Erfolge von Wissenschaft und Technik einen materiellen Wohlstand in bisher ungeahntem Ausmaß, der einige begünstigt, andere aber an den Rand abdrängt. So kann dieser einseitige Fortschritt auch zu einem schrittweisen Verlust der Sensibilität für den Menschen, für das eigentlich Menschliche, führen. In diesem Sinne erwartet vor allem unsere Zeit, daß jener »Genius« der Frau zutage trete, der die Sensibilität für den Menschen, eben weil er Mensch ist, unter allen Umständen sicherstellt und so bezeugt: »Die Liebe ist am größten« (vgl. 1Co 13,13).

Ein aufmerksames Bedenken des biblischen Urbildes der »Frau« - vom Buch der Genesis bis zurOffenbarung des Johannes - bestätigt also, worin Würde und Berufung der Frau bestehen und was an ihnen unwandelbar und immer aktuell ist, weil es seinen »letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit«.(61) Wenn der Mensch von Gott in besonderer Weise der Frau anvertraut ist, bedeutet das etwa nicht, daß Christus von ihr die Verwirklichung jenes »königlichen Priestertums« (1P 2,9) erwartet, jenes Reichtums, den er den Menschen zum Geschenk gemacht hat? Christus, der oberste und einzige Priester des Neuen und Ewigen Bundes und Bräutigam der Kirche, hört nicht auf, dem Vater dieses Erbe im Heiligen Geist darzubringen, damit Gott »alles in allen« (1Co 15,28) sei.(62)

Dann wird sich die Wahrheit, daß »am größten die Liebe ist« (vgl. 1Co 13,13), endgültig erfüllen.

(59) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, GS 24.
(60) Cf. dans l’Appendice aux oeuvres de S. AMBROISE, In Apoc. IV, 3-4 : PL 17, 876; PSEUDO-AUGUSTIN, De symb. ad catech. sermo IV : PL 40, 661.
(61) CONC. OECUM. VAT. II, Const. past. sur l’Église dans le monde de ce temps Gaudium et spes, GS 10.
(62) Cf. CONC. OECUM. VAT. II, Const. dogm. sur l’Eglise Lumen gentium, LG 36.

IX.


SCHLUSS


»Wenn du wüßtest, worin die Gabe Gottes besteht\b\i«


31 »Wenn du wüßtest, worin die Gabe Gottes besteht« (Jn 4,10), sagt Jesus zu der Samariterin in einem jener wunderbaren Gespräche, die beweisen, wieviel Achtung er der Würde jeder Frau und ihrer Berufung, die ihr die Teilnahme an seiner messianischen Sendung erlaubt, entgegenbringt.

Die vorliegende Betrachtung, die nun zum Schluß kommt, ist darauf ausgerichtet, innerhalb des »Geschenkes Gottes« zu erkennen, was er als Schöpfer und Erlöser der Frau, jeder Frau, anvertraut. Im Heiligen Geist kann diese tatsächlich die gesamte Bedeutung ihres Frauseins entdecken, sich auf diese Weise für ihre eigene »aufrichtige Hingabe« an die anderen bereit machen und so auch sich selbst finden.

Im Marianischen Jahr möchte die Kirche der Heiligsten Dreifaltigkeit für das »Geheimnis der Frau« und für jede Frau Dank sagen - für das, was das ewige Maß ihrer weiblichen Würde ausmacht, für »Gottes große Taten«, die im Verlauf der Generationen von Menschen in ihr und durch sie geschehen sind. Hat sich schließlich nicht in ihr und durch sie ereignet, was zum Großartigsten in der Geschichte des Menschen auf Erden gehört - die Menschwerdung Gottes selbst?

Die Kirche sagt also Dank für alle Frauen und für jede einzelne: für die Mütter, die Schwestern, die Ehefrauen; für die Frauen, die sich in der Jungfräulichkeit Gott geweiht haben; für die Frauen, die sich den unzähligen Menschen widmen, die die selbstlose Liebe eines anderen Menschen erwarten; für die Frauen, die in ihrer Familie, dem grundlegenden Zeichen menschlicher Gemeinschaft, über das menschliche Dasein wachen; für die Frauen, die berufstätig sind und oft schwere soziale Verantwortung zu tragen haben; für die »tüchtigen« und für die »schwachen« Frauen - für alle: so wie sie aus dem Herzen Gottes in der ganzen Schönheit und im vollen Reichtum ihres Frauseins hervorgegangen sind; wie sie von seiner ewigen Liebe umfangen wurden; wie sie, zusammen mit dem Mann, Pilgerinnen auf dieser Erde sind, die die irdische »Heimat« der Menschen ist und sich bisweilen in ein »Tal der Tränen« wandelt; wie sie, zusammen mit dem Mann, eine gemeinsame Verantwortung übernehmen für das Geschick der Menschheit, was die täglichen Bedürfnisse betrifft, wie auch hinsichtlich jener endgültigen Bestimmung, welche die Menschheitsfamilie in Gott selber, im Schoß der unergründlichen Dreifaltigkeit, besitzt.

Die Kirche sagt Dank für alle Äußerungen des weiblichen »Geistes«, die sich im Laufe der Geschichte bei allen Völkern und Nationen gezeigt haben; sie sagt Dank für alle Gnadengaben, mit denen der Heilige Geist die Frauen in der Geschichte des Gottesvolkes beschenkt, für alle Siege, die sie dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe von Frauen verdankt: Sie sagt Dank für alleFrüchte fraulicher Heiligkeit.

Gleichzeitig bittet die Kirche darum, daß diese unschätzbaren »Offenbarungen des Geistes«, (vgl. 1Co 12,4 ff.), mit denen die »Töchter« des ewigen Jerusalem in großer Freigiebigkeit beschenkt wurden, sorgfältig anerkannt und gewertet werden, damit sie gerade in unserer Zeit der Kirche und der ganzen Menschheit »zum gemeinsamen Nutzen« gereichen. Während sie das biblische Geheimnis der »Frau« betrachtet, betet die Kirche darum, daß alle Frauen in diesem Geheimnis sich selbst und ihre »höchste Berufung« finden.

Maria, die der ganzen Kirche »auf dem Weg des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus« vorangeht,(63) möge in dem Jahr, das wir ihr geweiht haben, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend seit dem Kommen Christi, uns allen auch diese »Frucht« erwirken.

Mit diesen Wünschen erteile ich allen Gläubigen und in besonderer Weise den Frauen als Schwestern in Christus den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 15. August, dem Hochfest der Aufnahme Marias in den Himmel des Jahres 1988, im 10. Jahr meines Pontifikates.


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(63) Cf. ibid., LG 63.




Mulieris dignitatem DE 26