Pastores dabo vobis DE 51


51 Die wissenschaftliche Ausbildung ist, obwohl sie einen ihr eigenen Sondercharakter hat, eng mit der menschlichen und geistlichen Formung verbunden; dies zeigt sich darin, daß sie eine notwendige Ausdrucksform dieser Dimensionen darstellt: Sie nimmt nämlich Gestalt an als ein nichtunterdrückbares Bedürfnis des Verstandes, mit dem der Mensch "am Licht des göttlichen Geistes teilnimmt" und eine Weisheit zu erwerben sucht, die sich ihrerseits auf die Erkenntnis Gottes und auf die Verbundenheit mit ihm öffnet (156).

Die wissenschaftlich-intellektuelle Ausbildung der Priesteramtskandidaten findet ihre charakteristische Rechtfertigung in der Natur des geweihten Dienstes selbst und beweist ihre aktuelle Dringlichkeit angesichts der Herausforderung der Neu-Evangelisierung", zu welcher der Herr die Kirche an der Schwelle des dritten Jahrtausends aufruft. "Wenn schon jeder Christ", schreiben die Synodenväter, "bereit sein soll, den Glauben zu verteidigen und die Hoffnung, die in uns lebt, zu bezeugen (vgl.
1P 3,15), um wieviel mehr müssen dann die Priesteramtskandidaten und die Priester sich sorgfältig um den Wert der intellektuellen Bildung in der Erziehung und in der Seelsorgstätigkeit kümmern, da sie sich zum Heil der Brüder und Schwestern um eine Unsere vertiefte Kenntnis der göttlichen Geheimnisse bemühen sollen (157). Unsere heutige Situation, die schwer gezeichnet ist von religiöser Gleichgültigkeit und einem verbreiteten Mißtrauen in bezug auf die tatsächliche Fähigkeit der Religion, zur objektiven und universalen Wahrheit zu gelangen und außerdem von den durch die Entdeckungen in Wissenschaft und Technik hervorgerufenen neuen Problemen und Fragen geprägt ist, erfordert mit Nachdruck ein hervorragendes Niveau der intellektuellen Ausbildung. Diese Ausbildung soll die Priester dazu befähigen, dem so geschilderten Umfeld das unwandelbare Evangelium Christi zu verkünden und es angesichts der legitimen Erfordernisse der menschlichen Lebenswirklichkeit glaubwürdig zu machen. Hinzugefügt sei außerdem, daß das in unseren Tagen nicht nur im Bereich der menschlichen Gesellschaft, sondern auch der kirchlichen Gemeinschaft sehr ausgeprägte Phänomen des Pluralismus eine besondere Begabung zu kritischer Unterscheidung verlangt: Das ist ein weiterer Grund, der die Notwendigkeit einer sehr ernsthaften intellektuellen Ausbildung beweist.

Diese "pastorale" Begründung der wissenschaftlichen Ausbildung bestätigt noch einmal das, was bereits über die Einheit des Erziehungsprozesses in seinen verschiedenen Dimensionen gesagt wurde. Der engagierte Einsatz für das Studium, der einen Großteil des Lebens des Kandidaten während seiner Vorbereitung auf das Priestertum einnimmt, ist in der Tat keine äußerliche und nebensächliche Komponente seines menschlichen, christlichen und geistlichen Hineinwachsens in die Berufung: In Wirklichkeit kommt der künftige Priester durch das Studium, vor allem der Theologie, zu einer engen Verbindung mit dem Wort Gottes, wächst in seinem geistlichen Leben und bereitet sich auf die Erfüllung seines pastoralen Dienstes vor. Das ist der vielfältige und einheitliche Zweck des Theologiestudiums, der vom Konzil ausgewiesen (158) und vom Instrumentum laboris der Synode wieder vorgelegt wurde: "Die intellektuelle Formung wird, damit sie in pastoraler Hinsicht wirksam sein kann, in einen von der persönlichen Gotteserfahrung geprägten geistlichen Ausbildungsgang integriert, um so ein bloß angelerntes Wissen zu überwinden und zu jener Einsicht des Herzens zu gelangen, die zuerst zu sehen vermag und danach imstande ist, das Geheimnis Gottes den Menschen mitzuteilen" (159).


52 Ein wesentliches Element der intellektuellen Ausbildung ist das Studium der Philosophie, das zu tieferem Verständnis und zur besseren Deutung der menschlichen Person, ihrer Freiheit und ihrer Beziehungen zur Welt und zu Gott anleitet. Die philosophische Ausbildung erweist sich als sehr dringend, nicht nur wegen der Bande, die zwischen den philosophischen Themen und den in der Theologie im höheren Licht des Glaubens erforschten Heilsgeheimnissen bestehen," (160) sondern auch angesichts einer weitverbreiteten kulturellen Situation, die den Subjektivismus zum Kriterium und Maßstab der Wahrheit erhebt: Nur eine gesunde Philosophie kann den Priesteramtskandidaten helfen, ein reflektiertes Bewußtsein von der Grundbeziehung zu entwickeln, die zwischen dem menschlichen Geist und jener Wahrheit besteht, die sich uns in Jesus Christus voll enthüllt. Nicht unterschätzt werden darf auch die Bedeutung der Philosophie für die Garantie jener "Wahrheitsgewißheit", die es allein auf der Grundlage der persönlichen Ganzhingabe an Jesus Christus geben kann. Man kann unschwer verstehen, daß einige sehr konkrete Fragen, wie die Identität des Priesters und sein apostolischer und missionarischer Einsatz, tief mit der keineswegs abstrakten Frage nach der Wahrheit verbunden sind: Wenn man über die Wahrheit keine Gewißheit haben kann, wie ist es dann möglich, sein ganzes Leben aufs Spiel zu setzen und die Kraft aufzubringen, sich ernsthaft des Lebens der anderen anzunehmen?

Die Philosophie hilft dem Kandidaten nicht wenig, die intellektuelle Bildung um den "Wahrheitskult" zu bereichern: Gemeint ist eine Art liebevoller Verehrung der Wahrheit, die zu der Erkenntnis führt, daß die Wahrheit nicht nach menschlichen Maßstäben geschaffen, sondern dem Menschen von der höchsten Wahrheit, Gott, als Geschenk gegeben wird; gemeint ist ferner die Überzeugung, daß die menschliche Vernunft, sei es auch begrenzt und manchmal mit Schwierigkeiten, die objektive und universale Wahrheit, auch jene, die Gott und den radikalen Sinn der Existenz betrifft, zu erreichen vermag; einbezogen ist weiterhin die Erfahrung, daß selbst der Glaube nicht von der Vernunft und von der Mühe, seine Inhalte zu "denken", absehen kann, wovon der große Geist des Augustinus Zeugnis gab: "Ich wollte mit dem Verstand das sehen, was ich glaubte, und ich habe viel diskutiert und mich abgemüht" (161).

Hilfreich für ein tieferes Verständnis des Menschen und der gesellschaftlichen Phänomene und Perspektiven in bezug auf eine so weit wie möglich "inkardinierte" pastorale Tätigkeit können auch die sogenannten "Humanwissenschaften" sein, wie die Soziologie, die Psychologie, die Pädagogik, die Wirtschafts- und Politikwissenschaft, die Kenntnis der sozialen Kommunikationsformen. Und selbst in dem sehr präzisen Bereich der positiven oder deskriptiven Wissenschaften helfen diese dem künftigen Priester, die von Christus gelebte "Gleichzeitigkeit" ins Heute zu übertragen. "Christus hat sich", sagte Paul IV., Für einige Menschen zum Zeitgenossen gemacht und mit ihnen in ihrer Sprache gesprochen. Die Treue zu ihm verlangt, daß diese Gleichzeitigkeit fortdauert" (162).


53 Die intellektuelle Ausbildung des künftigen Priesters stützt sich vor allem auf das Studium derSacra doctrina, der Theologie, und baut auf dieser Grundlage auf. Der Wert und die Authentizität der wissenschaftlichen Ausbildung hängen von der gewissenhaften Respektierung des der Theologie eigenen Wesens ab, das die Synodenväter so zusammengefaßt haben: "Die wahre Theologie stammt aus dem Glauben und will zum Glauben hinführen" (163). Das ist die Auffassung, die die Kirche und insbesondere ihr Lehramt ständig vertreten haben. Und das ist auch die Linie, der die großen Theologen folgten, die im Laufe der Jahrhunderte das Denken der Kirche bereichert haben. Der hl. Thomas drückt sich äußerst klar aus, wenn er sagt, der Glaube sei der Habitus der Theologie, das heißt ihr dauerndes Wirkungsprinzip, (164) und "die ganze Theologie ist darauf hingeordnet, den Glauben zu nähren" (165).

Der Theologe ist also vor allem ein Glaubender, ein Mann des Glaubens.

Aber er ist ein Glaubender, der sich über seinen Glauben Rechenschaft gibt (fides quaerens intellectum), um zu einem tieferen Verständnis eben dieses Glaubens zu gelangen. Die beiden Aspekte, der Glaube und das gereifte Nachdenken, sind tief miteinander verbunden und verflochten: Ihre enge Zuordnung und Durchdringung entscheidet über die wahre Natur der Theologie und infolgedessen über die Inhalte, die Möglichkeiten und den Geist, nach denen die Sacra doctrina aufbereitet und studiert wird.

Da der Glaube, Ausgangs- und Zielpunkt der Theologie, dann ein persönliches Verhältnis des Glaubenden zu Jesus Christus in der Kirche bewirkt, verfügt auch die Theologie über innere christologische und ekklesiale Merkmale, die der Priesterkandidat bewußt übernehmen soll. Dies gilt nicht nur wegen der Auswirkungen auf sein persönliches Leben, sondern auch wegen der Konsequenzen für seinen Seelsorgsdienst. Wenn das Wort Gottes angenommen wird, läuft der Glaube hinaus auf ein radikales ja" des Glaubenden zu Jesus Christus, dem vollen und endgültigen Wort Gottes an die Welt (vgl. Hebr 1,lff.). Folglich hat die theologische Reflexion ihren Mittelpunkt in der Zugehörigkeit zu Jesus Christus als der Weisheit Gottes: Die reife Reflexion, das reife Nachdenken muß sich als Teilhabe am "Denken" Christi (vgl.
1Co 2,16) in der menschliche Form einer Wissenschaft (scientia fidel) verstehen. Gleichzeitig fügt der Glaube den Glaubenden in die Kirche ein und läßt ihn Anteil nehmen am Leben der Kirche als Glaubensgemeinschaft. Folglich besitzt die Theologie eine kirchliche Dimension, weil sie eine gereifte Reflexion über den Glauben der Kirche seitens des Theologen darstellt, der selbst Glied der Kirche ist (166).

Diese christologischen und ekklesialen Perspektiven, die zum Wesen der Theologie gehören, helfen mit, bei den Priesteramtskandidaten in Verbindung mit wissenschaftlicher Strenge eine große, lebendige Liebe zu Jesus Christus und seiner Kirche zur Entfaltung zu bringen: Indem diese Liebe ihr geistliches Leben nährt, bewirkt sie schon eine Orientierung auf die selbstlose Erfüllung ihres Dienstes. Genau das war schließlich die Absicht des II. Vatikanischen Konzils das die Neugestaltung der kirchlichen Studien anregte. Es wollte die verschiedenen philosophischen und theologischen Disziplinen besser aufeinander abgestimmt sehen; "sie sollen harmonisch darauf hinstreben, den Alumnen immer tiefer das Mysterium Christi zu erschließen, das die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht, sich ständig der Kirche mitteilt und im priesterlichen Dienst in besonderer Weise wirksam wird" (167).

Wissenschaftliche Ausbildung und geistliches Leben, im besonderen das Gebetsleben, begegnen und stärken sich gegenseitig, ohne im geringsten der theologischen Forschung etwas von ihrem Ernst noch dem Gebet etwas von seiner spirituellen Würze zu nehmen. Der hl. Bonaventura ermahnt uns: "Niemand solle glauben, daß ihm die Lektüre ohne die Geistsalbung, das spekulative Denken ohne das gefühlsbetonte Frohlocken, das Tun ohne die Frömmigkeit, das Wissen ohne die Liebe, der Verstand ohne die Demut, das Studium ohne die göttliche Gnade, die Selbstbetrachtung ohne die von Gott eingegossene Weisheit genüge" (168).


54 Die theologische Ausbildung ist eine sehr komplexe und verpflichtende Aufgabe. Sie soll den Priesteramtskandidaten dazu führen, eine Sicht der von Gott in Jesus Christus geoffenbarten Wahrheiten und der Glaubenserfahrung der Kirche zu erhalten, die vollständig und einheitlich sein soll: Daher kommt die zweifache Forderung, "alle" christlichen Wahrheiten kennenzulernen, ohne willkürliche Auswahlentscheidungen zu treffen und sie in organischer Form zu erfassen. Das erfordert, daß dem Alumnen dabei geholfen wird, eine Synthese vorzunehmen, die Frucht der Beiträge der verschiedenen theologischen Disziplinen sein soll, deren spezifische Eigenart erst in ihrer tieferen Zuordnung echten Wert gewinnt.

In ihrer reifen Reflexion über den Glauben bewegt sich die Theologie in zwei Richtungen. Die erste drückt sich im Studium des Wortes Gottes aus und zielt auf das in der Heiligen Schrift enthaltene, in der lebendigen Überlieferung der Kirche gefeierte und gelebte und vom Lehramt der Kirche glaubwürdig ausgelegte Wort. Daraus ergibt sich ein Zusammenhang zwischen dem Studium der Heiligen Schrift, "die die Seele der ganzen Theologie sein muß", (169) dem Studium der Kirchenväter und der Liturgie, der Kirchengeschichte und den Verlautbarungen des Lehramtes. Die zweite Richtung ist die Sicht des Menschen als Gesprächspartner Gottes: Im Blickpunkt steht der Mensch, der gerufen ist, die Fides und das christliche Ethos zu "glauben", zu "leben" und den anderen "mitzuteilen". Daraus ergibt sich das Studium der Dogmatik, der Moraltheologie, der Theologie des geistlichen Lebens, des Kirchenrechts und der Pastoraltheologie.

Der Bezug zum glaubenden Menschen veranlaßt die Theologie, einerseits besonders auf die ständige grundlegende Beziehung zwischen Glaube und Vernunft zu achten sowie andererseits auf einige Erfordernisse, die mehr mit der sozialen und kulturellen Lage von heute zusammenhängen. In die erste Gruppe gehört das Studium der Fundamentaltheologie, die die christliche Offenbarung und ihre Weitergabe in der Kirche zum Gegenstand hat. In der zweiten Gruppe sind Fächer zu finden, die als Antworten auf heute stark empfundene Probleme eine entschiedenere Entwicklung erfahren haben und erfahren. So etwa das Studium der kirchlichen Soziallehre, die "in den Bereich der Theologie, insbesondere der Moraltheologie, gehört" (170) und die zu den "wesentlichen Bestandteilen" der Neu-Evangelisierung" zählt, deren Werkzeug sie darstellt (171). Dasselbe gilt vom Studium der Missionswissenschaft, des Ökumenismus, des Judentums, des Islam und der anderen Religionen.


55 Die theologische Ausbildung in der heutigen Zeit muß einigen Problemen Aufmerksamkeit schenken, die nicht selten im Leben der Kirche Schwierigkeiten, Spannungen und Verwirrungen auslösen. Man denke an das Verhältnis zwischen den Verlautbarungen des Lehramtes und den theologischen Diskussionen, das sich nicht immer so gestaltet, wie es sein sollte, das heißt im Zeichen der Zusammenarbeit. Sicher "haben das lebendige Lehramt der Kirche und die Theologie trotz verschiedener Gaben und Funktionen letzten Endes dasselbe Ziel: das Volk Gottes in der Wahrheit zu erhalten, die frei macht und es so zum Licht der Völker zu machen. Dieser Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft setzt den Theologen in wechselseitige Beziehung zum Lehramt. Dieses lehrt authentisch die Lehre der Apostel und, während es aus der theologischen Arbeit Nutzen zieht, weist die Einwände gegen den Glauben und seine Entstellungen zurück und schlägt mit der von Jesus Christus empfangen Vollmacht neue Vertiefungen, Erläuterungen und Anwendungen der geoffenbarten Lehre vor. Die Theologie hingegen gewinnt auf dem Weg der Reflexion eine immer tiefere Erkenntnis des Gotteswortes, das in der Schrift enthalten ist und von der lebendigen Überlieferung der Kirche unter der Führung des Lehramtes weitergegeben wird; sie versucht, die Belehrung über die Offenbarung vor der Instanz der Vernunft klarzustellen und gibt ihr schließlich eine organische und systematische Gestalt" (172). Wenn jedoch - aus einer Reihe von Gründen - diese Zusammenarbeit nachläßt, gilt es, keine Mißverständnisse und Verwirrungen aufkommen zu lassen, indem man "die gemeinsame Lehre der Kirche" sorgfältig zu unterscheiden weiß "von den Meinungen der Theologen und von Tendenzen", die rasch vergehen (den sogenannten , Modena) (173). Es gibt kein "Parallel-Lehramt", denn das einzige Lehramt ist das des Petrus und der Apostel, des Papstes und der Bischöfe (174).

Ein anderes Problem, das man vor allem dort wahrnimmt, wo die Seminar studien akademischen Institutionen übertragen werden, betrifft das Verhältnis zwischen der wissenschaftlichen Ausrichtung der Theologie und ihrer pastoralen Zielsetzung.Es handelt sich in Wirklichkeit um zwei Wesensmerkmale der Theologie und ihrer Unterweisung, die einander nicht widersprechen, sondern die, wenn auch unter verschiedenen Perspektiven, am vollen "Verständnis des Glaubens" mitwirken. Denn der pastorale Charakter der Theologie bedeutet nicht eine Theologie, die weniger doktrinell oder sogar ihrer Wissenschaftlichkeit beraubt wäre; er bedeutet hingegen, daß sie die künftigen Priester befähigt, die Botschaft des Evangeliums mit Hilfe der kulturellen Möglichkeiten ihrer Zeit zu verkünden und die Seelsorgstätigkeit einer authentischen theologischen Anschauung entsprechend zu konzipieren. So wird ein Studium, das die strenge Wissenschaftlichkeit der einzelnen theologischen Disziplinen respektiert, einerseits zur möglichst vollständigen und gründlichen Ausbildung des Seelsorgers als Glaubenslehrer beitragen; andererseits wird die angemessene Sensibilität für die pastorale Zielsetzung das ernsthafte wissenschaftliche Studium der Theologie für die künftigen Priester ausgesprochen fruchtbar machen.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der heute stark vernehmbaren Forderung nach derEvangelisierung der Kulturen und nach der Inkulturation der Glaubensbotschaft. Es ist ein überwiegend pastorales Problem, das in größerem Umfang und mit mehr Sensibilität in die Ausbildung der Priesteramtskandidaten Eingang finden muß: "Unter den heute gegebenen Verhältnissen, wo in manchen Gegenden der Welt die christliche Religion als etwas sowohl für die alten wie die modernen Kulturen Fremdes angesehen wird, ist es von großer Wichtigkeit, daß bei der ganzen intellektuellen und menschlichen Ausbildung die Dimension der Inkulturation für notwendig und wesentlich gehalten wird" (175). Aber das erfordert zuvor eine authentische Theologie, die sich von den katholischen Grundsätzen zur Inkulturation inspirieren läßt. Diese Grundsätze verbinden sich mit dem Geheimnis der Menschwerdung des Gotteswortes und mit der christlichen Anthropologie und erhellen den authentischen Sinn der Inkulturation: Sie will angesichts der verschiedensten und manchmal gegensätzlichen Kulturen, die es in den verschiedenen Teilen der Welt gibt, gehorsam gegenüber dem Gebot Christi sein, allen Völkern bis an die äußersten Grenzen der Erde das Evangelium zu verkünden. Ein solcher Gehorsam bedeutet weder Synkretismus noch einfache Anpassung der Verkündigung des Evangeliums, sondern meint die Tatsache, daß das Evangelium voll Lebenskraft in die Kulturen eindringt, in sie hineinwächst, indem es deren kulturelle Elemente, die mit dem Glauben und mit dem christlichen Leben nicht vereinbar sind, überwindet und ihre Werte in das Heilsmysterium, das von Christus kommt, hineinintegriert (176). Das Problem der Inkulturation kann von besonderem Interesse sein, wenn die Priesteramtskandidaten selbst aus autochthonen Kulturen kommen: Sie werden angemessene Ausbildungswege benötigen, sei es um die Gefahr zu überwinden, weniger anspruchsvoll im Blick auf die Erziehung zu den menschlichen, christlichen und priesterlichen Werten zu sein, sei es um die guten und authentischen Elemente ihrer Kulturen und Traditionen zur Geltung zu bringen (177).


56 Im Gefolge der Lehre und der Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils und der von derGrundordnung für die Ausbildung der Priester gegebenen Anwendungshinweise ist in der Kirche eine umfangreiche Weiterentwicklung der Ausbildung in den philosophischen und vor allem den theologischen Lehrfächern in den Seminaren zum Abschluß gekommen. Auch wenn in einigen Fällen noch weitere Verbesserungen und Entwicklungen erforderlich sind, so hat diese Anpassung an die heutigen Erfordernisse insgesamt dazu beigetragen, das Erziehungsangebot im Rahmen der intellektuellen Ausbildung immer qualifizierter zu machen. Diesbezüglich "haben die Synodenväter erneut mehrmals und mit aller Klarheit die Notwendigkeit, ja Dringlichkeit bekräftigt, daß in den Seminaren und Ausbildungshäusern der grundlegende Studienplan eingeführt werde, und zwar sowohl in seiner gesamtkirchlichen Fassung wie in den Sonderbestimmungen der einzelnen Nationen oder Bischofskonferenzen" (178).

Entschieden entgegengetreten werden muß der Tendenz, die Ernsthaftigkeit und den Verpflichtungscharakter der Studien abzuschwächen, eine Tendenz, die sich in manchen kirchlichen Kreisen auch als Folge einer unzureichenden und lückenhaften Grundvorbereitung der Alumnen, die den philosophischen und theologischen Studiengang beginnen, bemerkbar macht. Gerade die gegenwärtige Situation verlangt in zunehmendem Maße Lehrer, die wirklich insgesamt auf der Höhe der Zeit stehen und imstande sind, sich sachkundig und mit klaren, eindeutigen Argumenten den Sinnfragen der heutigen Menschen zu stellen, auf die allein das Evangelium Jesu Christi die ganze und endgültige Antwort gibt.


57 Die gesamte Ausbildung der Priesteramtskandidaten ist dazu bestimmt, sie in besonderer Weise darauf vorzubereiten, die Kommunikation mit der Liebe Christi, des Guten Hirten, zu verwirklichen. Diese Ausbildung muß daher in ihren verschiedenen Aspekten einen im wesentlichen pastoralen Charakter haben. Das unterstrich das Konzilsdekret Optatam totius in bezug auf die Priesterseminare sehr klar: "Die gesamte Ausbildung der Alumnen muß dahin zielen, daß sie nach dem Vorbild unseres Herrn Jesus Christus, des Lehrers, Priesters und Hirten, zu wahren Seelenhirten geformt werden; sie müssen also zum Dienst am Wort vorbereitet werden, daß sie das geoffenbarte Gotteswort immer besser verstehen, durch Meditation mit ihm vertraut werden und es in Wort und Leben darstellen; zum Dienst des Kultes und der Heiligung, daß sie in Gebet und im Vollzug der heiligen Liturgie das Heilswerk durch das eucharistische Opfer und die Sakramente vollziehen; zum Dienst des Hirten, daß sie den Menschen Christus darstellen können, der nicht kam, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben (Mc 10,45 vgl. Joh Jn 13,12-17), und daß sie, indem sie Diener aller werden, so viele gewinnen" (vgl. 1Co 9,19) (179).

Der Konzilstext besteht auf der tiefgreifenden Zuordnung, die zwischen den verschiedenen Aspekten der Ausbildung - der menschlichen, geistlichen und intellektuellen - besteht; und zugleich drängt er auf ihre besondere pastorale Zielbestimmung. In diesem Sinne vermittelt die pastorale Zielsetzung der menschlichen, geistlichen und intellektuellen Dimension ganz bestimmte Inhalte und Wesensmerkmale und kann so für die gesamte Ausbildung der künftigen Priester das einheitsstiftende Spezifikum sein.

Wie jede andere Ausbildung entfaltet sich auch die pastorale Dimension mittels der reiflichen Überlegung und der operativen Anwendung, und sie schlägt ihre lebendigen Wurzeln in einem Geist, der die Stütze sowie die Antriebs- und Entfaltungskraft vor allem darstellt.

Erfordert ist daher das Studium einer richtigen und eigenen theologischen Disziplin: der Pastoral- oder praktischen Theologie, die eine wissenschaftliche Reflexion über die Kirche in ihrer täglichen Auferbauung in der Geschichte durch die Kraft des Geistes ist: Es geht also um ein Nachdenken über die Kirche als allumfassendes Heilssakrament", (180) als lebendiges Zeichen und Werkzeug des Heilstat Jesu Christi im Wort, in den Sakramenten und im Dienst der Liebe. Die Seelsorge ist weder nur eine Kunst noch ein Gefüge von Ratschlägen, Erfahrungen und Methoden; sie besitzt ihre volle theologische Würde, weil sie aus dem Glauben die Grundsätze und Kriterien für das pastorale Wirken der Kirche in der Geschichte bezieht, einer Kirche, die jeden Tag die Kirche selbst "hervorbringt", wie es der hl. Beda Venerabilis sehr gelungen ausgedrückt hat: Nam et Ecclesia quotidie gignit Ecclesiam" (181). Unter diesen Grundsätzen und Kriterien kommt dem Maßstab der evangelischen Unterscheidung in der soziokulturellen und kirchlichen Situation, innerhalb der sich das pastorale Wirken vollzieht, besondere Bedeutung zu.

Das Studium der Pastoraltheologie soll die Seelsorgstätigkeit durch die Übernahme einigerDiensttätigkeiten erleuchten, die die Priesteramtskandidaten mit notwendiger Abstufung und stets im Einklang mit den anderen Ausbildungsverpflichtungen verwirklichen sollen: Es handelt sich um pastorale "Erfahrungen", die in eine echte pastorale Lehrzeit" einfließen können, die auch von längerer Dauer sein kann und methodisch überprüft werden muß.

Das Studium und die Seelsorgstätigkeiten verweisen aber auf eine innere Quelle, die die Ausbildung stets zu bewahren und neu zu erschließen haben wird: die immer tiefere Verbundenheit mit der Hirtenliebe Jesu. Wie sie das Prinzip und die Kraft seines Heilswirkens gewesen ist, so muß sie dank der Ausgießung des Heiligen Geistes im Weihesakrament das Prinzip und die Kraft des priesterlichen Dienstes darstellen. Es handelt sich um eine Ausbildung, die nicht nur eine wissenschaftliche seelsorgerische Kompetenz und eine operative Fähigkeit sicherstellen muß, sondern sie soll auch und vor allem das Wachstum einer Seinsweise in Verbundenheit, in Gemeinschaft mit eben den Gesinnungen und Haltungen Christi, des Guten Hirten, gewährleisten: "Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht" (Ph 2,5).


58 So verstanden kann sich die pastorale Ausbildung sicher nicht auf die eines einfachen Lehrlings beschränken, der sich mit irgendeiner pastoralen Technik vertraut machen will. Das Erziehungsangebot des Seminars übernimmt die Verantwortung für eine gediegene Einführung in die Sensibilität für den Hirtendienst und in die bewußte und reife Übernahme seiner Verantwortlichkeiten. Gleichzeitig soll dieses Bemühen den Kandidaten innerlich daran gewöhnen, die Probleme einzuschätzen und Prioritäten und Möglichkeiten bei ihrer Lösung festzulegen, und zwar immer auf der Grundlage klarer Glaubensbegründungen und entsprechend den theologischen Ansprüchen der Seelsorge selbst.

Durch die einführende und schrittweise Erprobung im Dienst sollen die künftigen Priester in die lebendige pastorale Tradition ihrer Teilkirche eingegliedert werden können; sie sollen lernen, den Horizont ihres Geistes und ihres Herzens für die Dimension der Mission des kirchlichen Lebens zu öffnen; sie sollen sich üben in einigen ersten Formen der Zusammenarbeit untereinander und mit den Priestern, zu denen sie geschickt worden sind. Letzteren obliegt in Verbindung mit dem Angebot des Seminars eine pastorale Erziehungsverantwortung von nicht geringer Bedeutung.

Bei der Wahl geeigneter Orte und Dienste für das Einüben pastoraler Erfahrungen wird man die Pfarre als Lebenszelle der ausschnitthaften und spezifizierten Seelsorgserfahrungen, durch die sich die Priesterkandidaten mit den besonderen Problemen ihres künftigen Berufes konfrontiert sehen, sorgfältig berücksichtigen müssen. (182). Die Synodenväter haben in diesem Zusammenhang eine Reihe konkreter Beispiele vorgeschlagen: den Besuch von Kranken; die Sorge um Emigranten, Asylanten und Nichtseßhafte; den Eifer der Liebe, der in verschiedene soziale Aktivitäten umgesetzt wird. Im besonderen schreiben sie dazu: "Es ist notwendig, daß der Priester Zeuge der Liebe Christi ist, der, umherzog und Gutes tat" (
Ac 10,38); der Priester muß auch das sichtbare Zeichen für die Sorge der Kirche sein, die Mutter und Lehrerin ist. Und da der Mensch unserer Zeit von so viel Mißgeschick heimgesucht wird - das gilt besonders von dem Menschen, der von einer unmenschlichen Armut, von blinder Gewalt und ungerechter Macht überfallen wird -, ist es notwendig, daß der zu jedem guten Werk bereite und gerüstete Mann Gottes (vgl. 2Tm 3,17) die Rechte und die Würde des Menschen fordernd geltend macht. Man hüte sich jedoch davor, falschen Ideologien anzuhängen und zu vergessen, daß die Welt, während sie den Fortschritt fördern will, allein durch das Kreuz Christi erlöst wird" (183).

Diese und andere Seelsorgstätigkeiten erziehen den künftigen Priester dazu, seine Sendung durch "vollmacht" in der Gemeinde als "Dienst" zu erleben und Abstand zu nehmen von jeder Haltung der Überlegenheit oder der Ausübung einer Macht, die nicht immer und allein durch die pastorale Liebe gerechtfertigt wäre.

Für eine angemessene Ausbildung ist es notwendig, daß die verschiedenen Erfahrungen der Priesterkandidaten einen klaren "Dienstcharakter" annehmen, in enger Verbindung mit den anderen Erfordernissen, die zur Vorbereitung auf das Priesteramt gehören, und (keineswegs zum Nachteil des Studiums) in Beziehung zu den Diensten der Verkündigung des Wortes, der Liturgie und der Leitung. Diese Dienste können zur konkreten Umsetzung der Beauftragungen des Lektorats, des Akolythats und des Diakonamtes werden.


59 Da die Seelsorgstätigkeit ihrer Natur nach dazu bestimmt ist, die Kirche zu beseelen, die in ihrem Wesen Mysterium, Communio und Missio ist, wird die pastorale Ausbildung diese kirchlichen Dimensionen in der Ausübung des priesterlichen Dienstes kennen und leben müssen.

Als grundlegend erweist sich das Bewußtsein, daß die Kirche "Mysterium", Geheimnis, göttliches Werk, Frucht des Geistes Christi, wirksames Zeichen der Gnade, Gegenwärtigkeit der Trinität in der christlichen Gemeinschaft ist: Ein solches Bewußtsein wird den Priester, ohne deshalb den ihm eigenen Verantwortungssinn zu schwächen, davon überzeugen, daß das Wachstum der Kirche das unverdiente Werk des Geistes ist und daß sein - von derselben göttlichen Gnade der freien Verantwortlichkeit des Menschen anvertraute - Dienst der vom Evangelium so verstandene Einsatz des "unnützen Knechtes" (vgl. Lk
Lc 17,10) ist.

Das Bewußtsein, daß die Kirche "Gemeinschaft" ist, wird den Priesteramtskandidaten auf die Verwirklichung einer kommunikativen Pastoral in engem Zusammenwirken mit den verschiedenen kirchlichen Personen vorbereiten: Priester und Bischof, Diözesan und Ordenspriester, Priester und Laien. Aber Voraussetzung für eine solche Zusammenarbeit ist die Kenntnis und Achtung der verschiedenen Gaben und Charismen, der verschiedenen Berufungen und Verantwortlichkeiten, die der Geist den Gliedern des Leibes Christi anbietet und anvertraut; sie verlangt einen lebendigen und gewissenhaften Sinn für die eigene Aufgabe und die Identität des anderen in der Kirche; sie verlangt gegenseitiges Vertrauen, Geduld, Milde, Verständnis und Wartefähigkeit; sie hat ihre Wurzel vor allem in einer Liebe zur Kirche, die größer ist als die Liebe zu sich selbst und zu den partikulären Vereinigungen, denen man angehört. Besonders wichtig ist es, die künftigen Priester auf dieZusammenarbeit mit den Laien vorzubereiten. "Sie sollen - wie das Konzil sagt - gern auf die Laien hören, ihre Wünsche brüderlich erwägen und ihre Erfahrung und Zuständigkeit in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Wirkens anerkennen, damit sie gemeinsam mit ihnen die Zeichen der Zeit verstehen können" (184). Auch die jüngste Synode hat auf der Hirtensorge für die Laien bestanden: "Der Alumne muß fähig werden, die gläubigen Laien, vor allem die jugendlichen, mit den verschiedenen Berufungen (Ehe, soziales Engagement, Apostolat, Dienste und Verantwortlichkeiten im pastoralen Bereich, Ordensleben, rechte Gestaltung des politischen und gesellschaftlichen Handelns, wissenschaftliche Forschung und Lehre) bekannt zu machen und sie darin einzuführen. Vor allem ist es notwendig, die Laien im Blick auf ihre Berufung dazu anzuhalten, daß sie die Welt mit dem Licht des Evangeliums durchdringen und umgestalten, indem sie dies als ihre Aufgabe erkennen und respektieren" (185).

Schließlich wird das Bewußtsein von der Kirche als "missionarischer" Gemeinschaft dem Priesteramtskandidaten helfen, die missionarische Grunddimension der Kirche und ihrer verschiedenen pastoralen Tätigkeiten zu lieben und aus ihr zu leben, weiterhin für alle Möglichkeiten offen und verfügbar zu sein, die sich der Verkündigung des Evangeliums heute bieten, nicht zu vergessen den wertvollen Dienst, den diesbezüglich der Einsatz der sozialen Kommunikationsmittel leisten kann und Soll (186). Auch sei nicht vergessen, daß es um die Vorbereitung auf einen Dienst geht, der vom einzelnen Kandidaten die konkrete Verfügbarkeit dem Heiligen Geist und dem Bischof gegenüber fordern kann, sich aussenden zu lassen, um das Evangelium jenseits der Grenzen seines Landes zu verkünden" (187).


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