Pastores gregis DE 40

Aufmerksamkeit gegenüber der Volksfrömmigkeit


40 Die Synodenväter haben die Bedeutung der Volksfrömmigkeit bei der Weitergabe und Entwicklung des Glaubens betont. Die Volksfrömmigkeit birgt nämlich, wie mein Vorgänger seligen Angedenkens, Papst Paul VI., gesagt hat, sowohl Gott wie den Brüdern gegenüber wertvolle Reichtümer,155 so daß sie einen wahren Schatz an Spiritualität im Leben der christlichen Gemeinschaft darstellt.

Auch in unserer Zeit, in der ein verbreiteter Durst nach Spiritualität festzustellen ist, der vielfach Menschen dazu verleitet, sich religiösen Sekten oder anderen Formen eines nebulösen Spiritualismus anzuschließen, sind die Bischöfe dazu aufgerufen, den Wert und die Formen echter Volksfrömmigkeit zu erkennen und zu fördern.

Immer noch aktuell bleibt, was im Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi geschrieben steht: »Allen, die der Herr zu Leitern kirchlicher Gemeinschaften bestellt hat, muß die pastorale Liebe die Normen des Verhaltens gegenüber dieser Haltung eingeben, die reich und gefährdet zugleich ist. Vor allem muß man einfühlsam genug sein, ihre innere Vielfalt und ihre unleugbaren Werte erkennen zu können, und bereit sein, dabei zu helfen, daß gefährliches Abweichen vom Weg vermieden wird. Gut ausgerichtet, kann die Volksfrömmigkeit mehr und mehr für viele Menschen zu einer echten Begegnung mit Gott in Jesus Christus werden« .156

Es gilt also, diese Religiosität zu lenken, während man gegebenenfalls ihre Ausdrucksformen den Grundsätzen des christlichen Glaubens und Lebens entsprechend läutert. Die Gläubigen sollen durch die Volksfrömmigkeit zur persönlichen Begegnung mit Christus, zur Gemeinschaft mit der Seligen Jungfrau Maria und mit den Heiligen geführt werden; das geschieht insbesondere durch das Hören des Wortes Gottes, durch die Hinwendung zum Gebet, durch die Teilnahme am sakramentalen Leben, durch das Zeugnis der Liebe und durch Werke der Barmherzigkeit.157

Für eine umfassendere Betrachtung dieses Themas und für eine Reihe wertvoller theologischer, pastoraler und spiritueller Empfehlungen möchte ich auf die von diesem Apostolischen Stuhl herausgegebenen Dokumente verweisen; dort wird daran erinnert, daß alle Ausdrucksformen der Volksfrömmigkeit in einer Diözese unter der Verantwortung des Bischofs stehen. Ihm steht es zu, sie zu ordnen, sie in ihrer Hilfsfunktion zu einem christlichen Leben für die Gläubigen zu fördern und sie dort, wo es notwendig ist, zu läutern und nach dem Evangelium zu formen.158

Die Förderung der Heiligkeit aller Gläubigen


41 Die Heiligkeit des Gottesvolkes, auf die der Heiligungsdienst des Bischofs hingeordnet ist, ist Geschenk der göttlichen Gnade und Ausdruck des Primats Gottes im Leben der Kirche. Der Bischof muß daher in seinem Dienst unermüdlich eine wahre und wirkliche Pastoral und Pädagogik der Heiligkeit fördern, um so das Programm zu verwirklichen, das im fünften Kapitel der Konstitution Lumen gentium über die allgemeine Berufung zur Heiligkeit aufgestellt wurde.

Dieses Programm habe ich selbst zum Beginn des dritten Jahrtausends der ganzen Kirche als pastorale Priorität und als Ergebnis des großen Jubiläums der Menschwerdung vorgelegt.159 Denn die Heiligkeit ist auch heute noch ein Zeichen der Zeit, ein Beweis für die Wahrheit des Christentums, die in seinen besten Vertretern aufleuchtet, sowohl in denen, die in großer Zahl zur Ehre der Altäre erhoben worden sind, als auch in jenen noch viel zahlreicheren, die im Verborgenen die Geschichte der Menschen durch die demütige und fröhliche Heiligkeit des Alltags befruchtet haben und weiterhin befruchten. In der Tat, auch in unserer Zeit fehlt es nicht an wertvollen Zeugnissen von Formen persönlicher und gemeinschaftlicher Heiligkeit, die für alle, auch für die jungen Generationen, ein Zeichen der Hoffnung sind.

Um also das Zeugnis der Heiligkeit hervortreten zu lassen, fordere ich meine Brüder im Bischofsamt auf, die Zeichen der Heiligkeit und der heroischen Tugenden, die auch heute noch auftreten, zu sammeln und bekanntzugeben, besonders dann, wenn sie gläubige Laien ihrer Diözesen, vor allem christliche Eheleute, betreffen. Wo es sich dann als opportun erweist, ermuntere ich sie, die diesbezüglichen Selig- oder Heiligsprechungsprozesse anzuregen und zu fördern.160 Das kann für alle ein Hoffnungszeichen sein und für den Weg des Gottesvolkes ein Grund zur Ermutigung, vor der Welt Zeugnis zu geben von der ständigen Gegenwart der Gnade im Gefüge der menschlichen Geschichte.

FÜNFTES KAPITEL


DAS PASTORALE LEITUNGSAMT


DES BISCHOFS


»Ich habe euch ein Beispiel gegeben« (Jn 13,15)


42 Das Zweite Vatikanische Konzil behandelt die Aufgabe der Bischöfe, die Familie Gottes zu leiten sowie die beständige und tägliche Sorge für die Herde des Herrn Jesus wahrzunehmen, und führt hierzu aus, daß sie sich bei der Ausübung ihres Vater- und Hirtenamtes inmitten ihrer Gläubigen wie jene verhalten sollen, »die dienen« . Dabei mögen sie immer das Beispiel des Guten Hirten vor Augen haben, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben für seine Schafe hinzugeben (vgl. Mt Mt 20,28 Mc 10,45 Lk Lc 22,26-27 Joh Jn 10,11).161

Dieses Bild von Jesus, dem höchsten Vorbild des Bischofs, findet seinen beredten Ausdruck in der Fußwaschung, von der im Johannesevangelium berichtet wird: »Es war vor dem Paschafest. Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung [...] Er stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goß er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war [...] Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: [...] Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe« (13, 1-15).

Betrachten wir nun Jesus, während er diese Handlung vollzieht, die uns als ein Schlüssel zum Verständnis seiner Person und seiner Sendung, seines Lebens und seines Todes erscheint. Betrachten wir auch Jesu Liebe, die sich in die Tat, in konkrete Handlungen umsetzt. Betrachten wir Jesus, der sich ganz und gar entäußerte und wie ein Sklave wurde (vgl. Phil Ph 2,7). Er, der Meister und Herr, dem der Vater alles in die Hand gegeben hatte, liebte uns bis zur Vollendung, bis zur völligen Auslieferung an die Menschen in der Hinnahme all dessen, was sie ihm später antun würden. Jene Handlung Jesu ist eine Handlung der Liebe, die er im Zusammenhang mit der Einsetzung der Eucharistie und in der klaren Perspektive seines Leidens und Sterbens vollbracht hat. Diese Geste offenbart den Sinn der Menschwerdung Gottes, aber noch mehr das Wesen Gottes selbst. Gott ist die Liebe. Deshalb hat er Knechtsgestalt angenommen: Gott stellt sich in den Dienst des Menschen, um den Menschen zur vollen Gemeinschaft mit ihm zu führen.

Wenn also der Meister und Herr diese Züge trägt, dann kann der Sinn des Amtes und des Wesens dessen, der wie die Zwölf dazu berufen ist, in die größte Vertrautheit mit Jesus einzutreten, nur in der völligen, bedingungslosen Verfügbarkeit gegenüber den anderen bestehen – sowohl gegenüber denen, die schon zum Schafstall gehören, als auch gegenüber jenen, die noch nicht dazu gehören (vgl. Joh Jn 10,16).

Die Vollmacht des Hirtendienstes des Bischofs


43 Der Bischof ist im Namen Christi als Hirte gesandt, um für einen bestimmten Teil des Gottesvolkes Sorge zu tragen. Durch das Evangelium und durch die Eucharistie soll er ihn als eine Realität der Gemeinschaft im Heiligen Geist wachsen lassen.162 Daraus leitet sich für den Bischof die Stellvertretung und Leitung der ihm anvertrauten Kirche ab, zusammen mit der erforderlichen Gewalt zur Ausübung seines im Sakrament empfangenen Hirtenamtes (munus pastorale) als Teilhabe an der Weihe und Sendung Christi.163 Aufgrund dessen »leiten die Bischöfe die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter und Gesandte Christi durch Rat, Zuspruch, Beispiel, aber auch in Autorität und heiliger Vollmacht, die sie indes allein zum Aufbau ihrer Herde in Wahrheit und Heiligkeit gebrauchen, eingedenk, daß der Größere werden soll wie der Geringere und der Vorsteher wie der Diener (vgl. Lk Lc 22,26-27)« .164

Dieser Abschnitt aus dem Konzil ist eine wunderbare Zusammenfassung der katholischen Lehre hinsichtlich des pastoralen Leitungsamtes des Bischofs und wird auch im Ritus der Bischofsweihe wiedergegeben: »Das Bischofsamt ist nicht zur persönlichen Ehre gegeben, sondern es ist eine Aufgabe, und der Bischof ist nicht da, zu herrschen, sondern zu dienen – wie der Herr geboten hat« .165 Hier liegt das Grundprinzip, wonach in der Kirche, gemäß der Aussage des heiligen Paulus, die Autorität den Aufbau des Gottesvolkes, nicht seine Zerstörung zum Ziel hat (vgl. 2Co 10,8). Der Aufbau der Herde Christi in der Wahrheit und Heiligkeit verlangt seitens des Bischofs, wie in der Synodenaula wiederholt gesagt wurde, einige besondere Eigenschaften: unter anderem eine musterhafte Lebensführung, die Fähigkeit zu echten und konstruktiven Beziehungen zu den Menschen, das Geschick, Zusammenarbeit anzuregen und zu entfalten, Herzensgüte und Geduld, Verständnis und Mitleid für die seelischen und leiblichen Nöte sowie Nachsicht und Vergebungsbereitschaft. Es geht in der Tat darum, dem höchsten Vorbild, Jesus, dem Guten Hirten, auf bestmögliche Weise Ausdruck zu verleihen.

Die bischöfliche Gewalt ist eine echte Gewalt, die aber vom Licht des Guten Hirten erleuchtet und nach seinem Vorbild gestaltet ist. Sie wird im Namen Christi ausgeübt und ist eine »eigene, ordentliche und unmittelbare Gewalt, auch wenn ihr Vollzug letztlich von der höchsten kirchlichen Autorität geregelt wird und im Hinblick auf den Nutzen der Kirche oder der Gläubigen mit bestimmten Grenzen umschrieben werden kann. Kraft dieser Gewalt haben die Bischöfe das heilige Recht und vor dem Herrn die Pflicht, Gesetze für ihre Untergebenen zu erlassen, zu urteilen und alles, was zur Ordnung des Gottesdienstes und des Apostolats gehört, zu regeln« .166 Der Bischof ist also kraft des Amtes, das er erhalten hat, mit einer objektiven rechtlichen Gewalt ausgestattet, die dazu bestimmt ist, sich in Vollmachtsakten zu äußern, durch die das im Sakrament empfangene Leitungsamt (munus pastorale) ausgeübt wird.

Die Leitungsgewalt des Bischofs wird jedoch – daran gilt es auch in diesem Fall zu erinnern – pastoral wirksam sein, wenn sie sich auf moralisches Ansehen stützt, das auf der Heiligkeit seines Lebens beruht. Dies wird die Herzen bereit machen, das vom Bischof in seiner Kirche verkündete Evangelium ebenso anzunehmen wie die Vorschriften, die von ihm zum Wohl des Gottesvolkes erlassen wurden. Der heilige Ambrosius mahnte daher: »Bei den Priestern suche man nichts Ordinäres, nichts, was sie mit den Neigungen, Gewohnheiten und Bräuchen der ungehobelten Masse gemein hätten. Die priesterliche Würde erfordert eine Ernsthaftigkeit, die sich vom Getümmel fernhält, ein strenges Leben und einen vortrefflichen Ruf« .167

Die Ausübung der Autorität in der Kirche darf, eben weil es sich um eine aus dem Zeugnis hervorgegangene Vollmacht handelt, nicht als etwas Unpersönliches und Bürokratisches verstanden werden. In allem, was der Bischof sagt und tut, muß die Autorität des Wortes und Handelns Christi offenbar werden. Wenn dem Leben des Bischofs der Ruf der Heiligkeit, das heißt sein Zeugnis für Glaube, Hoffnung und Liebe, fehlte, könnte seine Leitung vom Gottesvolk kaum als Ausdruck der wirksamen Gegenwart Christi in seiner Kirche angenommen werden.

Die Bischöfe stehen nach dem Willen des Herrn im Dienste des apostolischen Charakters der Kirche und sind mit der Macht des Geistes des Vaters, der lenkt und leitet (Spiritus principalis), ausgestattet. Insofern sind sie nicht nur in der Autorität und in der heiligen Vollmacht Nachfolger der Apostel, sondern auch in der Gestalt des apostolischen Lebens, in den Leiden der Apostel für die Verkündigung und Verbreitung des Evangeliums, in der liebevollen und barmherzigen Sorge für die ihnen anvertrauten Gläubigen, in der Verteidigung der Schwachen, in der beständigen Zuwendung zum Gottesvolk.

In der Synodenaula wurde darauf hingewiesen, daß sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Ausübung der Autorität in der Kirche oft als mühsam erwiesen hat. Auch wenn einige der ärgsten Schwierigkeiten überwunden scheinen, hält diese Situation noch immer an. Daher stellt sich die Frage, wie der notwendige Dienst der Autorität besser verstanden, angenommen und erfüllt werden könne. Hierzu ergibt sich eine erste Antwort aus dem Wesen der kirchlichen Autorität selbst: Sie ist Teilhabe an der Sendung Christi, die in Demut, Hingabe und Dienst auszuüben ist – und muß sich möglichst klar als solche erweisen.

Die Autorität des Bischofs kommt nicht in Äußerlichkeiten zur Geltung, sondern in der Vertiefung der theologischen, spirituellen und moralischen Bedeutung seines Amtes, das im Charisma der Apostolizität gründet. Was in der Synodenaula über die Ikone der Fußwaschung und die in diesem Zusammenhang festgestellte Verbindung zwischen der Gestalt des Dieners und jener des Hirten gesagt wurde, macht verständlich, daß das Bischofsamt dann wirklich eine Ehre ist, wenn es Dienst ist. Jeder Bischof muß daher auf sich selbst das Wort Jesu anwenden: »Ihr wißt, daß die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mc 10,42-45). Dieser Worte des Herrn eingedenk, übt der Bischof mit dem Herzen des demütigen Dieners und liebevollen Hirten, der seine Herde führt, sein Hirtenamt aus, indem er die Ehre Gottes und das Heil der Seelen sucht (vgl. Lk Lc 22,26-27). Wenn sie so gelebt wird, ist die Autorität des Bischofs in der Tat eine in der Welt einzigartige Form der Leitung.

Es wurde bereits auf den Text von Lumen gentium hingewiesen, wo es heißt, daß die Bischöfe die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter und Gesandte Christi »durch Rat, Zuspruch, Beispiel« 168 leiten. Es besteht kein Widerspruch zu den nachfolgenden Worten, wenn das Konzil hinzufügt, daß die Bischöfe zwar »durch Rat, Zuspruch, Beispiel, aber auch in Autorität und heiliger Vollmacht« 169 leiten. Es handelt sich in der Tat um eine »heilige Vollmacht«, die im moralischen Ansehen wurzelt, das den Bischof kraft der Heiligkeit seines Lebens auszeichnet. Diese begünstigt die Annahme seiner gesamten Leitungstätigkeit und macht sie wirksam.

Pastoraler Leitungsstil und diözesane Gemeinschaft


44 Die gelebte kirchliche Gemeinschaft soll den Bischof zu einem pastoralen Stil führen, der der Mitarbeit aller immer offener gegenübersteht. Es besteht eine Art Kreislauf zwischen dem, was der Bischof mit persönlicher Verantwortung zum Wohl der seiner Sorge anvertrauten Kirche zu entscheiden hat, und dem Beitrag, den die Gläubigen ihm mittels der beratenden Organe wie Diözesansynode, Priesterrat, Bischofsrat und Pastoralrat leisten können.170

Die Synodenväter haben es nicht versäumt, auf die Modalitäten der Ausübung der bischöflichen Leitung Bezug zu nehmen, durch welche die pastorale Tätigkeit in der Diözese organisiert wird.171 Denn die Teilkirche steht nicht nur in Beziehung zum dreifachen Amt des Bischofs (munus episcopale), sondern auch zum dreifachen – prophetischen, priesterlichen und königlichen – Amt des ganzen Gottesvolkes. Alle Gläubigen haben kraft der Taufe in der ihnen eigenen Weise an dem dreifachen munus Christi Anteil. Ihre wirkliche Gleichheit in der Würde und in der Tätigkeit sorgt dafür, daß alle zur Mitwirkung am Aufbau des Leibes Christi berufen sind, folglich zur Verwirklichung der Sendung, die Gott der Kirche in der Welt anvertraut hat – jeder gemäß seiner eigenen Stellung und seiner eigenen Aufgaben.172

Jede Art von Differenzierung zwischen den Gläubigen aufgrund der verschiedenen Charismen, Aufgaben und Ämter ist auf den Dienst an den anderen Gliedern des Gottesvolkes hingeordnet. Die ontologisch-funktionale Differenzierung, die den Bischof aufgrund der Fülle des empfangenen Weihesakraments den anderen Gläubigen »gegenüber« stellt, ist ein Sein für die anderen Gläubigen, das ihn nicht aus seinem Sein mit ihnen entwurzelt.

Die Kirche ist eine organische Gemeinschaft, die sich in der Koordinierung der verschiedenen Charismen, Ämter und Dienste im Hinblick auf die Erreichung des gemeinsamen Zieles, des Heils nämlich, verwirklicht. Der Bischof ist für die Verwirklichung dieser Einheit in der Verschiedenheit verantwortlich. Dabei muß er, wie bei der Synodenversammlung gesagt wurde, das Zusammenwirken der verschiedenen Beteiligten so fördern, daß es möglich ist, miteinander den gemeinsamen Weg des Glaubens und der Sendung zu beschreiten.173

Dazu muß man allerdings hinzufügen, daß sich das Dienstamt des Bischofs keineswegs auf die Aufgabe eines einfachen Moderators beschränken läßt. Das munus episcopale schließt seiner Natur nach das klare und unmißverständliche Recht und die Pflicht zur Leitung ein, worin auch die Komponente der Rechtsprechung inbegriffen ist. Die Bischöfe sind öffentliche Zeugen, und ihrepotestas testandi fidem erreicht in der potestas iudicandi ihre Fülle: Der Bischof ist nicht nur berufen, den Glauben zu bezeugen, sondern auch die Glaubensäußerungen der seiner Hirtensorge anvertrauten Gläubigen zu beurteilen und zu maßregeln. In der Erfüllung dieser seiner Aufgabe wird er alles mögliche unternehmen, um den Konsens seiner Gläubigen herbeizufühen, aber schließlich muß er wissen, die Verantwortung für seine Entscheidungen auf sich zu nehmen, die seinem pastoralen Gewissen notwendig erscheinen – besorgt vor allem um das künftige Gericht Gottes.

Die kirchliche Gemeinschaft in ihrer organischen Verfaßtheit ruft den Bischof zur persönlichen Verantwortung, setzt aber auch die Beteiligung aller Kategorien von Gläubigen voraus, insofern sie für das Wohl der Teilkirche, die sie selbst bilden, mitverantwortlich sind. Was die Authentizität dieser organischen Gemeinschaft garantiert, ist das Wirken des Heiligen Geistes, der sowohl in der persönlichen Verantwortung des Bischofs als auch in der Beteiligung der Gläubigen an dieser Verantwortung am Werk ist. Weil der Heilige Geist die Gleichheit aller Gläubigen durch die Taufe, wie auch die Verschiedenheit jedes einzelnen in Charismen und Ämtern begründet, ist er in der Lage, die Gemeinschaft wirksam zu verwirklichen. Auf der Grundlage dieser Prinzipien werden die Diözesansynoden, deren kirchenrechtliche Gestalt in den Kanones 460-468 des Codex des kanonischen Rechtes festgelegt und dann von der Interdikasteriellen Instruktion vom 19. März 1997 präzisiert worden ist,174 geleitet. An den Inhalt dieser Normen müssen sich auch die anderen diözesanen Versammlungen halten, denen der Bischof vorsteht, wobei er niemals von seiner spezifischen Verantwortung absehen darf.

Wenn in der Taufe jeder Christ durch die Ausgießung des Heiligen Geistes die Liebe Gottes empfängt, so empfängt der Bischof – wie die Synodenversammlung zu Recht erwähnt hat – durch das Weihesakrament in seinem Herzen die Hirtenliebe Christi. Diese Hirtenliebe ist auf die Schaffung der Gemeinschaft ausgerichtet.175 Ehe der Bischof diese gemeinschaftsorientierte Liebe in konkretes Handeln umsetzt, muß er sich bemühen, durch ein echtes geistliches Leben diese Liebe im eigenen Herzen und im Herzen der Kirche gegenwärtig werden zu lassen.

Wenn die Gemeinschaft das Wesen der Kirche ausdrückt, dann ist es normal, daß die Spiritualität der Gemeinschaft dahin strebt, sich sowohl im persönlichen wie im gemeinschaftlichen Bereich zu äußern, indem sie immer neue Formen der Teilnahme und Mitverantwortung in den verschiedenen Kategorien von Gläubigen weckt. Der Bischof wird sich daher bemühen, in seiner Teilkirche Strukturen der Gemeinschaft und der Teilnahme anzuregen, die es erlauben, auf den Heiligen Geist, der in den Gläubigen lebt und spricht, zu hören, um sie dann anzuleiten, alles in die Tat umzusetzen, wozu derselbe Heilige Geist im Hinblick auf das wahre Wohl der Kirche rät.

Die Gliederungen der Teilkirche


45 Viele Beiträge der Synodenväter haben auf diverse Bereiche und Momente des Lebens der Diözese Bezug genommen. So wurde gebührende Aufmerksamkeit der Diözesankurie gewidmet, einer Struktur, derer sich der Bischof bedient, um seine Hirtenliebe in ihren verschiedenen Aspekten zum Ausdruck zu bringen.176 Insbesondere wurde auf die Notwendigkeit verwiesen, die wirtschaftliche Verwaltung der Diözese Personen anzuvertrauen, die nicht nur rechtschaffen, sondern auch kompetent sind, so daß diese als Vorbild an Transparenz für alle anderen entsprechenden kirchlichen Einrichtungen hingestellt werden kann. Wenn in der Diözese eine Spiritualität der Gemeinschaft herrscht, wird man nicht umhin können, den armen Pfarreien und Gemeinden besondere Beachtung zu schenken und außerdem das mögliche zu tun, um einen Teil der wirtschaftlichen Mittel den bedürftigsten Kirchen, besonders in den Missions- und Migrationsländern, bereitzustellen.177

Die Synodenväter hielten es dennoch für angezeigt, ihre Aufmerksamkeit auf die Pfarrgemeinde zu lenken, und erinnerten daran, daß der Bischof der Hauptverantwortliche für diese Gemeinschaft ist, die unter allen in einer Diözese vorhandenen Gemeinschaften hervorragt: Ihr muß er daher vor allem seine Sorge zuwenden.178 Die Pfarrgemeinde bleibt in der Tat – wie mehrmals festgehalten wurde – noch immer der wesentliche Kern im täglichen Leben der Diözese.

Der Pastoralbesuch


46 Gerade unter dieser Blickrichtung tritt die Bedeutung des Pastoralbesuchs hervor, der eine echte Gnadenzeit und einen besonderen, ja einzigartigen Augenblick hinsichtlich der Begegnung und des Dialogs des Bischofs mit den Gläubigen darstellt.179 Bischof Bartolomeu dos Martires, den ich selbst wenige Tage nach Abschluß der Synode seliggesprochen habe, definiert in seinem, vom heiligen Karl Borromäus sehr geschätzten, klassischen Werk Stimulus Pastorum den Pastoralbesuch quasi anima episcopalis regiminis und beschreibt ihn als eine Ausweitung der geistlichen Gegenwart des Bischofs unter seinen Gläubigen.180

Bei seinem Pastoralbesuch in der Pfarrei soll der Bischof die Prüfung der Verwaltungsfragen anderen Beauftragten überlassen und der Begegnung mit den Menschen, angefangen beim Pfarrer und den anderen Priestern, Vorrang geben. Das ist die Gelegenheit, bei der er für sein Volk den Dienst des Wortes, der Heiligung und der pastoralen Leitung aus nächster Nähe ausübt, weil er mit den Ängsten und Sorgen, den Freuden und Erwartungen der Menschen in unmittelbare Berührung kommt und an alle eine Einladung zur Hoffnung richten kann. Hier vor allem hat der Bischof den direkten Kontakt mit den ärmsten Menschen, mit den Alten und Kranken. Wenn der Pastoralbesuch so durchgeführt wird, erweist er sich als das, was er ist: ein Zeichen der Gegenwart des Herrn, der sein Volk in Frieden besucht.

Der Bischof mit seinem Presbyterium


47 Nicht ohne Grund bezeichnet das Konzilsdekret Christus Dominus in seiner Beschreibung der Teilkirche diese als Gemeinschaft von Gläubigen, die der Hirtensorge des Bischofs »cum co- operatione presbyterii« 181 anvertraut ist. In der Tat besteht zwischen dem Bischof und den Priestern eine communio sacramentalis – kraft des Amtspriestertums oder hierarchischen Priestertums, das Teilhabe an dem einen Priestertum Christi ist, und, wenn auch in unterschiedlichem Grad, kraft des einen kirchlichen Weiheamtes und der einen apostolischen Sendung.

Die Priester – unter ihnen besonders die Pfarrer – sind also die engsten Mitarbeiter am Dienstamt des Bischofs. Die Synodenväter haben die Empfehlungen und Aufforderungen bezüglich der besonderen Eigenart der Beziehungen zwischen dem Bischof und seinen Priestern, die schon in den Konzilsdokumenten stehen und zuletzt in dem Apostolischen Schreiben Pastores dabo vobis182 wieder aufgenommen worden sind, erneut ausgesprochen. Der Bischof soll immer versuchen, mit seinen Priestern als Vater und Bruder umzugehen, der sie liebt, sie anhört, sie annimmt, sie zurechtweist, sie tröstet, ihre Mitarbeit sucht und sich, soweit es ihm möglich ist, für ihr menschliches, geistliches, priesterlich- dienstliches und wirtschaftliches Wohl einsetzt.183

Die besondere Zuneigung des Bischofs seinen Priestern gegenüber äußert sich als väterliche und brüderliche Begleitung in den wesentlichen Abschnitten ihres Lebens im Priesteramt, angefangen bei den ersten Schritten im pastoralen Dienst. Grundlegend bleibt die ständige Weiterbildung der Priester, die für alle gleichsam eine »Berufung in der Berufung« darstellt, weil sie in ihren verschiedenen und einander ergänzenden Dimensionen dem Priester helfen will, in Wesen und Handeln Priester nach der Art Jesu zu sein.

Zu den Hauptpflichten jedes Diözesanbischofs gehört die geistliche Sorge für sein Presbyterium: »Die Geste des Priesters, der am Tag seiner Weihe seine Hände in die des Bischofs legt und diesem ,,Ehrfurcht und Gehorsam eines Sohnes'' bekundet, könnte auf den ersten Blick als einseitige Geste erscheinen. In Wirklichkeit aber verpflichtet sie beide: den Priester und den Bischof. Der junge Priester trifft die Entscheidung, sich dem Bischof anzuvertrauen, und der Bischof seinerseits verpflichtet sich, diese Hände zu behüten« .184

Bei zwei weiteren Anlässen, so möchte ich hinzufügen, kann sich der Priester von seinem Bischof mit Recht ein Zeichen besonderer Nähe erwarten. Der erste Anlaß ist gegeben, wenn ihm eine pastorale Aufgabe übertragen wird: Das kann, wie im Fall eines kurz zuvor geweihten Priesters, zum ersten Mal sein, oder es kann sich um einen Amtswechsel oder um die Übertragung eines neuen pastoralen Auftrags handeln. Die Übertragung einer pastoralen Aufgabe ist für den Bischof selbst ein bedeutsamer Anlaß zu väterlicher Verantwortung gegenüber einem seiner Priester. Der heilige Hieronymus findet Worte, die sich treffend auf diese Situation anwenden lassen: »Dieselbe Beziehung, die zwischen Aaron und seinen Söhnen bestand, besteht, wie wir wissen, zwischen dem Bischof und seinen Priestern: ein Herr, ein Tempel, eins sei auch das Dienstamt. [...] Ist die Ehre eines Vaters nicht der weise Sohn? Der Bischof freue sich über sein Urteil, wenn er solche Priester für Christus ausgewählt hat« .185

Der andere Anlaß ist gegeben, wenn ein Priester wegen seines fortgeschrittenen Alters die tatsächliche pastorale Leitung einer Gemeinde oder den Auftrag der direkten Verantwortung niederlegt. Unter diesen und ähnlichen Umständen ist der Bischof verpflichtet, dafür zu sorgen, daß dem Priester die Dankbarkeit der Teilkirche für den bis dahin geleisteten apostolischen Einsatz zuteil wird, und er auf die Besonderheit seiner neuen Stellung innerhalb des Presbyteriums der Diözese hingewiesen wird: Er behält nämlich die Möglichkeit, ja sieht sie sogar erhöht, durch das beispielhafte Zeugnis eines ausdauernderen Gebetes und die großzügige Bereitstellung der erworbenen Erfahrung für die jüngeren Mitbrüder zum Aufbau der Kirche beizutragen. Die Priester schließlich, die sich wegen einer schweren Krankheit oder einer anderen Form anhaltender Schwäche in derselben Lage befinden, soll der Bischof seine brüderliche Nähe spüren lassen und ihnen helfen, die Überzeugung lebendig zu halten, »daß sie weiterhin aktive Glieder für den Aufbau der Kirche sind, auch und gerade kraft ihres Einswerdens mit Jesus Christus als dem Leidenden und mit so vielen anderen Brüdern und Schwestern, die in der Kirche am Leidensweg des Herrn teilhaben« .186

Der Bischof soll auch mit dem Gebet und mit tatkräftigem Erbarmen jenen Priestern nachgehen, die aus irgendeinem Grund ihre Berufung und ihre Treue zum Ruf des Herrn in Frage gestellt und ihre Verpflichtungen irgendwie vernachlässigt haben.187

Schließlich soll er nicht versäumen, die Zeichen heroischer Tugenden zu prüfen, die eventuell unter den Diözesanpriestern zu erkennen gewesen waren; und falls er es für angebracht hält, soll er deren öffentliche Anerkennung anstreben, indem er die notwendigen Schritte zur Einleitung des Heiligsprechungsverfahrens veranlaßt.188

Die Ausbildung der Priesteramtskandidaten


48 In Vertiefung des Themas des priesterlichen Dienstes wandten die Synodenväter ihre Aufmerksamkeit im besonderen der Ausbildung der Kandidaten für das Priesteramt zu, die im Seminar erfolgt.189 Die Ausbildung der Priester stellt mit allem, was sie an Gebet, Hingabe und Mühe einschließt, für den Bischof eine Sorge von erstrangiger Bedeutung dar. Wohl wissend, daß das Seminar eines der kostbarsten Güter der Diözese ist, haben die Synodenväter diesen Punkt eingehend behandelt und die unbestreitbare Notwendigkeit des Priesterseminars betont, ohne jedoch die Bedeutung zu vernachlässigen, die auch das Kleine Seminar für die Weitergabe der christlichen Werte im Hinblick auf die Nachfolge Christi hat.190

Jeder Bischof soll daher seine Bemühung vor allem dadurch zum Ausdruck bringen, daß er die Erzieher der künftigen Priester mit größter Sorgfalt auswählt und die zweckmäßigsten und geeignetsten Formen für deren notwendige Ausbildung festlegt, damit sie den Dienst in einem für das Leben der christlichen Gemeinschaft so grundlegenden Bereich erfüllen können. Der Bischof soll nicht versäumen, das Seminar häufig zu besuchen, auch dann, wenn besondere Umstände ihn zusammen mit anderen Bischöfen zu der in nicht wenigen Fällen notwendigen und sogar vorzuziehenden Entscheidung für ein interdiözesanes Priesterseminar veranlaßt haben.191 Das persönliche und tiefergehende Kennenlernen der Priesteramtskandidaten in der eigenen Teilkirche ist ein Element, auf das der Bischof nicht verzichten kann. Aufgrund dieser direkten Kontakte wird er sich darum bemühen zu gewährleisten, daß in den Seminaren reife und ausgeglichene Persönlichkeiten herangebildet werden, die zur Herstellung solider menschlicher und seelsorglicher Beziehungen fähig, theologisch fundiert und im geistlichen Leben gefestigt sind und die die Kirche lieben. Desgleichen wird er sich darum bemühen, Initiativen wirtschaftlicher Art zur Unterstützung und Hilfe der jungen Kandidaten zum Priesteramt anzuregen und zu fördern.

Es liegt jedoch auf der Hand, daß die Kraft, die Berufungen weckt und formt, vor allem das Gebet ist. Die Priesterberufe brauchen ein weitverzweigtes Netz von Fürsprechern beim »Herrn der Ernte« . Je mehr man das Problem der Berufung zum Gegenstand des Gebetes macht, um so mehr wird das Gebet dem Erwählten helfen, die Stimme dessen, der ihn ruft, zu hören.

Wenn der Zeitpunkt der Erteilung der heiligen Weihen gekommen ist, wird jeder Bischof das erforderliche Skrutinium vornehmen.192 In diesem Zusammenhang wird der Bischof, der sich seiner großen Verantwortung bei der Spendung der Priesterweihe bewußt ist, Kandidaten, die aus einer anderen Diözese oder aus einem Ordensinstitut kommen, erst nach einer sorgfältigen Ermittlung und einer umfangreichen Konsultation nach Maßgabe des Rechts in seine Diözese aufnehmen.193

Der Bischof und die Ständigen Diakone


49 Als Spender der heiligen Weihen haben die Bischöfe auch direkte Verantwortung für die Ständigen Diakone, welche die Synodenversammlung als echte Gabe Gottes zur Verkündigung des Evangeliums, zur Unterweisung der christlichen Gemeinden und zur Förderung des Dienstes der Liebe in der Familie Gottes anerkennt.194

Jeder Bischof soll sich deshalb sehr um diese Berufungen kümmern, für deren Beurteilung und Ausbildung er der Letztverantwortliche ist. Auch wenn er diese Verantwortung normalerweise durch Mitarbeiter seines engsten Vertrauens, die den Anordnungen des Heiligen Stuhls entsprechend zu handeln verpflichtet sind, wahrnehmen muß,195 wird er im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchen, alle, die sich auf den Diakonat vorbereiten, persönlich kennenzulernen. Nachdem er sie geweiht hat, wird er weiterhin für sie ein echter Vater sein: Er wird sie zur Liebe zum Leib und Blut Christi, dessen Diener sie sind, und zur Liebe zur heiligen Kirche ermutigen, der zu dienen sie auf sich genommen haben; die Verheirateten unter ihnen wird er zu einem vorbildlichen Familienleben ermahnen.


Pastores gregis DE 40