Populorum progressio DE 77


77 Weil die Völker die Baumeister ihres eigenen Fortschritts sind, müssen sie selbst auch an erster Stelle die Last und Verantwortung dafür tragen. Aber sie werden es nicht schaffen, wenn sie gegenseitig isoliert bleiben. Regionale Übereinkünfte unter den schwachen Völkern zu gegenseitiger Unterstützung, umfassende Hilfeleistungsabmachungen und noch gewichtigere Zusammenschlüsse und gemeinsame Vorhaben sind sozusagen Meilensteine auf dem Weg zur Entwicklung, der auch zum Frieden führt.


78 Diese internationale Zusammenarbeit auf Weltebene braucht Institutionen, die sie vorbereiten, aufeinander abstimmen, leiten, bis eine Rechtsordnung geschaffen wird, die allgemein anerkannt ist. Von ganzem Herzen ermutigen Wir die Organisationen, die bisher schon das Werk der kulturellen Entwicklung der Völker in die Hand genommen haben, und Wir wünschen, daß ihre Autorität wachse. "Ihre Aufgabe ist es", so sagten Wir vor den Vertretern der Vereinten Nationen in New York, "nicht einige, sondern alle Völker einander brüderlich näherzubringen.., Wer sieht nicht die Notwendigkeit ein, allmählich zur Errichtung einer die Welt umfassenden Autorität zu kommen, die imstande ist, auf der rechtlichen wie auf der politischen Ebene wirksam zu handeln?(54)"


79 Manche mögen solche Hoffnungen für utopisch halten. Es könnte aber sein, daß sich ihr Realismus als irrig erweist, daß sie die Dynamik einer Welt nicht erkannt haben, die brüderlicher leben will, die sich trotz ihrer Unwissenheit, ihrer Irrtümer, ihrer Fehler, ihrer Rückfälle in die Barbarei, ihres Abschweifens vom Weg des Heils, langsam, ohne sich darüber klar zu sein, ihrem Schöpfer nähert. Dieser Weg zu einer größeren Menschlichkeit verlangt Anstrengungen und Opfer. Aber auch die Widrigkeiten, angenommen aus Liebe zu unseren Brüdern, tragen bei zum Fortschritt der gesamten Menschheitsfamilie. Die Christen wissen sehr wohl, wieviel ihre Vereinigung mit dem Sühnopfer des göttlichen Erlösers beiträgt zur Erbauung des Leibes Christi (Ep 4,12), damit er nämlich seine Fälle erlangt in der Vereinigung des Volkes Gottes (55).

SCHLUSSMAHNUNG

80 Auf diesem Weg müssen wir alle solidarisch sein. Darum hatten Wir es für unsere Pflicht, allen die gewaltige Bedeutung dieses Anliegens und die dringende Notwendigkeit der Aufgabe vor Augen zu stellen. Jetzt schlägt die Stunde der Tat: das Leben so vieler unschuldiger Kinder, der Aufstieg so vieler unglücklicher Familien zu einem menschlichen Leben, der Friede der Welt, die Zukunft der Kultur, stehen auf dem Spiet. Alle Menschen, alle Völker haben ihre Verantwortung zu übernehmen.


81 Wir richten diesen Aufruf in erster Linie an Unsere Söhne. Denn auch in den Entwicklungsländern, genau sowie in den andern, müssen die Laien es als ihre Aufgabe erkennen, die irdischen Dinge in eine bessere Ordnung zu bringen. Wenn es die Aufgabe der Hierarchie ist, die für diesen Bereich geltenden sittlichen Grundsätze zu lehren und verbindlich zu interpretieren, dann ist es die Aufgabe der Laien, in freier Initiative und ohne erst träge Weisungen und Direktiven von anderer Seite abzuwarten, das Denken und die Sitten, die Gesetze und die Lebensordnungen ihrer Gemeinschaft mit christlichem Geist zu durchdringen (56). Wandlungen sind notwendig, tiefgreifende Reformen der gegenwärtigen Lebensverhältnisse unumgänglich. Die sich damit befassen, müssen vor allem sich bemühen, die Reformen mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen. Besonders die Katholiken in den wohlhabenden Ländern bitten Wir, ihre Kenntnis und wirksame Hilfe den öffentlichen und privaten, den staatlichen und kirchlichen Organisationen zur Überwindung der Notlagen in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Es wird ihnen sicher ein Herzensanliegen sein, in der vordersten Linie derer zu stehen, die sich unablässig darum bemühen, daß wirklich bei alten Völkern die sittlichen Grundsätze der Gerechtigkeit und Billigkeit herrschen.


82 Weiter sind Wir sicher, daß alle, die sich als Christen bekennen und deshalb Unsere Brüder sind, ihre gemeinsame Anstrengung verdoppeln, um den Menschen zu helfen, über den Egoismus, den Stolz, die Rivalitäten und Streitigkeiten zu triumphieren. Ehrsucht und Ungerechtigkeiten zu überwinden, um allen den Weg zu einem menschlicheren Leben zu öffnen, wo jeder als Bruder von Brüdern geliebt und ihm geholfen wird. Ebenso sind Wir noch tief bewegt von der unvergeßlichen Begegnung, die Wir mit Männern aus verschiedenen nichtchristlichen Religionsgemeinschaften in Bombay hatten; auch diese Unsere Brüder laden Wir ein, mit ihrem Herzen und ihrer Intelligenz mitzuarbeiten, damit alle Menschenkinder ein der Kinder Gottes würdiges Leben führen können.


83 Schließlich wenden Wir Uns an alle Menschen guten Willens, die sich dessen bewußt sind, daß der Weg zum Frieden nur über den Fortschritt der Zivilisation und das Wachstum der verfügbaren Mittel führt. Delegierte bei den internationalen Organisationen, Staatsmänner, Publizisten, Erzieher und Lehrer, jeder an seinem Platz. Wir möchten euch darauf aufmerksam machen, ihr alle seid die Baumeister einer neuen Welt! Wir bitten den allmächtigen Gott, euren Verstand zu erleuchten, euren Mut zu stärken, um die öffentliche Meinung zu alarmieren und die Völker mitzureißen zur Mitarbeit an der Lösung dieser schwierigen Fragen. Erzieher, an euch ist's, schon in den Kindern die Liebe zu den notleidenden Völkern zu wecken! Publizisten, ihr müßt uns die Augen öffnen für das, was unternommen wird, um die gegenseitige Hilfe unter den Völkern in Gang zu bringen, aber auch für das bejammernswerte Bild des Elends, vor dem die Menschen nur zu leicht den Blick abwenden, um in ihrer Ruhe nicht gestört zu werden! Die Reichen sollen wenigstens wissen, daß die Armen vor ihrer Tür stehen und auf die Brosamen von ihren Tischen warten.


84 Staatsmänner, ihr habt die Pflicht, eure Völker zu einer wirksameren weltweiten Solidarität zu mobilisieren, sie davon zu überzeugen, daß Abstriche au verschwenderischen Ausgaben notwendig sind zugunsten der Entwicklungshilfe und zur Sicherung des Friedens! Delegierte der internationalen Organisationen, ihr vermögt viel, um an die Stelle der gefährlichen und unfruchtbaren militärischen Blockbildungen eine freundschaftliche, friedliche, selbstlose Zusammenarbeit zu einer solidarischen Entwicklung der Menschheit zu setzen, die allen Menschen Gelegenheit zu reicherer Entfaltung bietet!


85 Da die Menschen - wie man gestehen muß - oft genug nur deshalb verkehrt handeln, weil sie diese Dinge nicht genug bedenken, deshalb rufen Wir alle besonnenen und weisen Menschen auf, Katholiken, Christen, jene, die Gott verehren, jene, die nach der höchsten Wahrheit und der Gerechtigkeit verlangen: alle Menschen guten Willens. Mit den Worten Christi bitten Wir sie inständig: "Suchet und ihr werdet finden (Lc 11,9)", erschließt den Menschen die Wege zu gegenseitiger Hilfe, zu vertieftem Wissen, zu einem weiten Herzen, zu einem brüderlichen Leben in der einen, wahrhaft universalen Gemeinschaft der Menschen.


86 Ihr alle, die ihr den Ruf der notleidenden Völker gehört habt, ihr alle, die ihr euch müht, darauf zu antworten, euch alle betrachten Wir als Apostel einer wahren und gesunden Entwicklung. Diese besteht nicht in egoistischem und um seiner selbst willen erstrebtem Reichtum, sondern in einer Wirtschaftsgestaltung im Dienst des Menschen, im täglichen Brot für alle. Da liegt die Quelle der Brüderlichkeit, hier wird die Hilfe der Fürsorge Gottes sichtbar. dargestellt.


87 Von ganzem Herzen segnen Wir euch, und Wir rufen alle Menschen guten Willens auf, sich mit euch brüderlich zu verbinden. Denn wenn heute niemand mehr bezweifeln kann, daß Entwicklung gleichbedeutend ist mit Frieden, wer wollte dann nicht mit ganzer Kraft an dieser Entwicklung mitarbeiten? Gewiß niemand. Darum laden Wir alle ein, auf Unsern Ruf der Sorge eine hochherzige und mutvolle Antwort zu geben im Namen des Herrn.

Gegeben zu Rom bei St. Peter am Osterfest, dem 26. März 1967, im vierten Jahre Unseres Pontifikates.



PAULUS PP. VI.




ANMERKUNGEN


(1) PAUL PP. VI., Enzyklika Populorum progressio über die Entwicklung der Völker, [An die Bischöfe, die Priester, die Ordensleute, die Gläubigen der gesamten katholischen Welt und an alle Menschen guten Willens ], 26. März 1967: AAS 59 (1967), S. 257-299.

(2) Vgl. Acta Leonis XIII., t. XI (1892) 97-148.

(3) Vgl. AAS 23 (1931), S. 177-228

(4) Vgl. Besonders: Rundfunkbotschaft vom 1. Juni 1941 zum 50jährigen Jubiläum von Rerum novarum: AAS 33 (1941) 195-205; Weihnachtsbotschaft 1942: AAS 35 (1943) 9-24; Ansprache an die katholische Arbeiterbewegung Italiens anläßlich der jährlichen Gedenkfeier von Rerum novarum am 14. Mai 1953: AAS 45 (1953) 402-408.

(5) Vgl. AAS 53 (1961), S. 401-464

(6) Vgl. AAS 55 (1963), S. 257-304

(7) Vgl. Enzyklika Mater et Magistra: AAS 53 (1961), S. 440

(8) Vgl. Gaudium et spes Nr. 72: AAS 58 (1966), S. 1084

(9) Motu Proprio Catholicam Christi Ecclesiam, 6. Januar 1967: AAS 59 (1967), S. 27

(10) Vgl. LEO XIII., Enzyklika Rerum novarum, 15. Mai 1891: Acta Leonis XIII, XI (1892), p. 98

(11) Vgl. Gaudium et spes Nr. 63: AAS 58 (1966). S. 1085

(12) Vgl. Gaudium et spes Nr.3, § 2.

(13) Vgl. Enzyklika Immortale Dei, 1. November 1885: Acta Leonis XIII., t. V. (1885) 127.

(14) Gaudium et spes Nr.4, § 1.

(15) Vgl. L.-J. Lebret OP, Dynamique concrète du développement (Economie et Humanisme) (Paris 1961), Les Editions Ouvrières, 28.

(16) Vgl. J. Maritain, Les conditions spirituelles du progrès et de la paix:, in: Rencontres des cultures à l'UNESCO sous le signe du Concile oecuménique Vatican II (Paris 1966) Mame 66.

(17) Vgl. Gaudium er spes Nr. 69, § 1.

(18) De Nabuthe (Über Naboth) c. 12, n. 53 PL 14, 747 - vgl. R. Palanque, Saint Ambroise et l'empire romain (Paris 1953) de Broccard, 336 ff.

(19) Vgl. Brief an die Semaine sociale zu Brest, in: L'homme et la révolution urbaine (Lyon 1965) Chronique sociale, 8 f.

(20) Vgl. Gaudium er spes Nr. 71, § 6.

(21) Vgl. ebd.Nr. 65, § 3.

(22) Enzyklika Quadragesimo anno, 15. Mai 1931: AAS 23 (1931) 212.

(23) Vgl. z. B. Colin Clark, The conditions of economic progress (London3 1960) Macmillan & Co. New York) St. Martin's Press, 3-6.

(24) Vgl. Brief an die Semaine sociale von Lyon, in: Le travail et les travailleurs dans la société contemporaine (Lyon 1965) Chronique sociale, 6.

(25) Vgl. Z. B. M.-D. Chenu OP, Pour une théologie du travial (Paris 1965) Editions du Seuil.

(26) Vgl. Mater et Magistra: AAS (1961) 423.

(27) Vgl. z. B. Oswald von Nell-Breuning SJ, Wirtschaft und Gesellschaft Bd. 1 GrundfragenFreiburg 1956 - Herder), 183-184.

(28) Vgl. z.B. Mgr. M. Larrain Errazuriz, Bischof von Talca (Chile), Präsident der CELAM,Hirtenschreiben über die Entwicklung und den Frieden (Paris 1965) Pax Christi.

(29) Vgl. Gaudium er spes Nr.25, § 4.

(30) Vgl. Mater et Magistra: AAS 53 (1961) 414.

(31) Vgl. L'Osservatore Romano, 11. September1965.

(32) Vgl. Gaudium er spes Nr.52, § 2.

(33) Vgl. ebd. Nr. 50-51 (mit Fußnote 14), Nr.87, § 2 und 3.

(34) Vgl. ebd. Nr. 15, § 3.

(35) Gaudium et spes Nr.57, § 4.

(36) Ebd. Nr.19, § 2.

(37) Vgl. z. B. J. Maritain, L'humanisme intégral (Paris 1936) Aubier.

(38) Vgl. H. de Lubac SJ, Le drame de 1'humanisme athée (Paris 1945) Spes, 10.

(39) Vgl. Pensées, ed. Braunschweig Nr. 434 - Vgl. M. Zundel, L'homme passe l'homme (Kairo 1944) Editions du lien.

(40) Vgl. Ansprache an die Vertreter der nichtchristlichen Religionsgemeinschaften, 3. Dezember 1964: AAS 57 (1965)132.

(41) Vgl. Mater et Magistra: AAS 53 (1961) 440.

(42) Vgl. AAS 56 (1964) 57-58.

(43) Vgl. Encicliche e Discorsi di Paolo VI (Roma 1966) ed. Paoline, t. IX., 132-136.

(44) Vgl. Gaudium er spes Nr. 86, § 3.

(45) Botschaft an die Journalisten in Begleitung des Hl. Vaters auf der Reise nach Bombay, 4. Dezember 1964: AAS 57 (1965)135.

(46) Vgl. AAS 56 (1964) 639 f.

(47) Vgl. Acta Leonis XIII. (1892) 131.

(48) Vgl. ebd.98.

(49) Vgl. Gaudium et spes Nr.58, § 2.

(50) Vgl. Enzyklika Fidei Donum, 21. April 1957: AAS 49 C1957) 246.

(51) Ansprache Johannes' XXIII. anläßlich der Überreichung des Balzanpreises, 10. Mai 1963: AAS 55 (1963) 455.

(52) AAS 57 (1965) 896.

(53) Vgl. Enzyklika Pacem in terris, 11.Apr.1963: AAS 55 (1963) 301.

(54) AAS 57 (1965) 880.

(55) Vgl. Lumen gentium Nr. 13.

(56) Vgl. Apostolicam actuositatem Nr.7, 13-24.





Populorum progressio DE 77