Tertio millenio adveniente DE 36


36 Eine ernsthafte Gewissensprüfung wurde von zahlreichen Kardinälen und Bischöfen vor allemfür die Kirche der Gegenwart gewünscht. An der Schwelle des neuen Jahrtausends müssen die Christen demütig vor den Herrn treten, um sich nach den Verantwortlichkeiten zu fragen, die auch sie angesichts der Übel unserer Zeit haben. Denn die gegenwärtige Epoche weist neben vielen Licht- auch nicht wenige Schattenseiten auf.

Kann man zum Beispiel die religiöse Gleichgültigkeit verschweigen, die viele Menschen heute dahin bringt, zu leben, als ob es Gott nicht gäbe, oder sich mit einer vagen Religiosität zufriedenzugeben, die außerstande ist, es mit dem Problem der Wahrheit und mit der Pflicht zur Kohärenz aufzunehmen? Damit in Verbindung gebracht werden müssen auch der verbreitete Verlust des transzendenten Sinnes der menschlichen Existenz und die Verwirrung im ethischen Bereich sogar bei den Grundwerten der Achtung des Lebens und der Familie. Eine Prüfung scheint auch für die Söhne und Töchter der Kirche geboten: Inwieweit sind auch sie von der Atmosphäre des Säkularismus und ethischen Relativismus betroffen? Und wieviel Verantwortung an dem überhandnehmenden areligiösen Verhalten müssen auch sie zugeben, weil sie „durch die Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens“ (20) nicht das wahre Antlitz Gottes offenbar gemacht haben?

In der Tat kann man nicht leugnen, daß das spirituelle Leben bei vielen Christen eine Zeit der Unsicherheit durchmacht, von der nicht nur das sittliche Leben, sondern auch das Gebet und selbst die theologische Zuverlässigkeit des Glaubens betroffen sind. In Verwirrung gerät der Glaube, der bereits von der Auseinandersetzung mit der heutigen Zeit auf die Probe gestellt worden ist, bisweilen durch irrige theologische Richtungen, die sich auch wegen der Gehorsamskrise gegenüber dem Lehramt der Kirche verbreiten.

Und muß man, was das Zeugnis der Kirche in unserer Zeit betrifft, nicht Schmerz empfinden über das mitunter sogar zu Willfährigkeit gewordene mangelnde Unterscheidungsvermögen vieler Christen angesichts der Vergewaltigung menschlicher Grundrechte durch totalitäre Regime? Und muß man unter den Schatten der Gegenwart etwa nicht die Mitverantwortung vieler Christen anschwerwiegenden Formen von Ungerechtigkeit und sozialer Ausgrenzung beklagen? Man muß sich fragen, wie viele von ihnen die Weisungen der kirchlichen Soziallehre gründlich kennen und konsequent praktizieren.

Die Gewissensprüfung darf auch die Annahme des Konzils, dieses großartigen Geschenks des Geistes an die Kirche gegen Ende des zweiten Jahrtausends, nicht unberücksichtigt lassen. Ist das Wort Gottes in vollem Ausmaß zur Seele der Theologie und Inspiration des ganzen christlichen Daseins geworden, wie es Dei Verbum forderte? Wird die Liturgie, gemäß der Lehre vonSacrosanctum Concilium, als „Quelle und Höhepunkt“ des kirchlichen Lebens gelebt? Wird in der Universalkirche und in den Teilkirchen die Communio-Ekklesiologie von Lumen gentiumdadurch gefestigt, daß man den Charismen, den Diensten und den verschiedenen Formen der Teilnahme des Gottesvolkes Raum gibt, ohne deshalb einem Demokratizismus oder einem Soziologismus zu frönen, der nicht die katholische Sichtweise der Kirche und den wahren Geist des II. Vatikanums widerspiegelt? Eine Lebensfrage muß auch dem Stil der Beziehungen zwischen Kirche und Welt gelten. Die – in Gaudium et spes und in anderen Dokumenten gebotenen – Konzilsanweisungen bezüglich eines offenen, achtungsvollen und herzlichen Dialogs, der jedoch von einer sorgfältigen Unterscheidung und von dem mutigen Zeugnis der Wahrheit begleitet sein soll, bleiben gültig und rufen uns zu weiterem Engagement auf.

[20] Conc. Ecum. Vat. II, Const. past. sobre a Igreja no mundo contemporâneo Gaudium et spes,
GS 19.


37 Die Kirche des ersten Jahrtausends ist aus dem Blut der Märtyrer entstanden: „Sanguis martyrum – semen christianorum“. (21) Die geschichtlichen Ereignisse im Zusammenhang mit der Gestalt Konstantins des Großen hätten niemals eine Entwicklung der Kirche, wie sie im ersten Jahrtausend eintrat, gewährleisten können, wenn es nicht jene Märtyrersaat und jenes Erbe an Heiligkeit gegeben hätte, die die ersten Christengenerationen kennzeichnen. Am Ende des zweiten Jahrtausends ist die Kirche erneut zur Märtyrerkirche geworden.Die Verfolgung von Gläubigen – Priestern, Ordensleuten und Laien – hat in verschiedenen Teilen der Welt eine reiche Saat von Märtyrern bewirkt. Das Zeugnis für Christus bis hin zum Blutvergießen ist zum gemeinsamen Erbe von Katholiken, Orthodoxen, Anglikanern und Protestanten geworden, wie schon Paul VI. in der Homilie bei der Heiligsprechung der Märtyrer von Uganda betonte. (22)

Das ist ein Zeugnis, das nicht vergessen werden darf.Die Kirche der ersten Jahrhunderte war, obwohl sie auf beträchtliche organisatorische Schwierigkeiten stieß, darum bemüht, das Zeugnis der Märtyrer in eigenen Martyrologien festzuhalten. Diese Martyrologien wurden die Jahrhunderte hindurch ständig auf den letzten Stand gebracht, und in das Verzeichnis der Heiligen und Seligen der Kirche haben nicht nur diejenigen Eingang gefunden, die für Christus ihr Blut vergossen haben, sondern auch Glaubenslehrer, Missionare, Bekenner, Bischöfe, Priester, Jungfrauen, Eheleute, Witwen, Kinder.

In unserem Jahrhundert sind die Märtyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt, gleichsam „unbekannte Soldatender großen Sache Gottes. Soweit als möglich dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verlorengehen. Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muß von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben. Dies sollte auch einen ökumenisch beredten Zug haben. Der Ökumenismus der Heiligen, der Märtyrer, ist vielleicht am überzeugendsten. Die communio sanctorum, Gemeinschaft der Heiligen, spricht mit lauterer Stimme als die Urheber von Spaltungen. Das Martyrologium der ersten Jahrhunderte stellte die Grundlage für die Heiligenverehrung dar. Durch die Verkündigung und Verehrung der Heiligkeit ihrer Söhne und Töchter erwies die Kirche Gott selbst die höchste Ehre; in den Märtyrern verehrte sie Christus, den Ursprung ihres Martyriums und ihrer Heiligkeit. In der Folge hat sich die Praxis der Heiligsprechung herausgebildet, die in der katholischen Kirche und in den orthodoxen Kirchen noch immer besteht. In diesen Jahren haben sich die Heilig- und Seligsprechungen vermehrt. Sie offenbaren die Lebendigkeit der Ortskirchen, die heute viel zahlreicher sind als in den ersten Jahrhunderten und im ersten Jahrtausend. Die größte Verehrung, die alle Kirchen an der Schwelle des dritten Jahrtausends Christus darbringen werden, wird der Beweis der allmächtigen Gegenwart des Erlösers durch die Früchte von Glaube, Hoffnung und Liebe in Männern und Frauen vieler Sprachen und Rassen sein, die Christus in den verschiedenen Formen der christlichen Berufung nachgefolgt sind.

Aufgabe des Apostolischen Stuhls im Hinblick auf das Jahr 2000 wird es sein, die Martyrologienfür die Universalkirche auf den letzten Stand zu bringen und dabei die große Aufmerksamkeit auf die Heiligkeit derer zu richten, die auch in unserer Zeit die volle Wahrheit Christi gelebt haben. In besonderer Weise wird man sich hier um die Anerkennung der heroischen Tugenden von Männern und Frauen bemühen, die ihre Berufung in der Ehe verwirklicht haben: Da wir überzeugt sind, daß es in diesem Stand nicht an Früchten der Heiligkeit mangelt, empfinden wir das Bedürfnis, die geeigneten Wege dafür zu finden, daß diese Heiligkeit festgestellt und der Kirche als Vorbild für die anderen christlichen Eheleute vorgestellt werden kann.

[21] TERTULIANO, Apologeticum, 50,13: CCL I, 171
[22] Cf. AAS 56 (1964), 906



38 Eine weitere, von den Kardinälen und Bischöfen hervorgehobene Forderung ist die nach anderen Synoden mit kontinentalem Charakter auf der Linie der bereits für Europa und Afrika gefeierten. Die letzte Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe hat im Einklang mit den nordamerikanischen Bischöfen den Vorschlag zu einer Synode für Amerika angenommen: über die Problematik der Neuevangelisierung in zwei nach Ursprung und Geschichte voneinander so verschiedenen Teilen ein und desselben Kontinents und über die Themenbereiche Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsbeziehungen unter Berücksichtigung des enormen Unterschiedes zwischen dem Norden und dem Süden.

Ein weiterer Plan für eine Kontinentalsynode wird Asien betreffen, wo die Frage der Begegnung des Christentums mit den ältesten Kulturen und Lokalreligionen am ausgeprägtesten ist. Das ist eine große Herausforderung für die Evangelisierung, daß religiöse Systeme wie der Buddhismus oder der Hinduismus mit einem klaren Erlösungscharakter auftreten. Es besteht also das dringende Bedürfnis nach einer Synode anläßlich des Großen Jubeljahres, die die Wahrheit über Christus als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen und einzigen Erlöser der Welt erläutern und vertiefen soll, indem sie ihn klar von den Stiftern anderer großer Religionen unterscheidet, in denen auch Wahrheitselemente zu finden sind, welche die Kirche mit aufrichtiger Achtung betrachtet und darin einen Strahl jener Wahrheit erkennt, die alle Menschen erleuchtet. (23) Im Jahr 2000 wird mit neuer Kraft die Verkündigung der Wahrheit wieder erschallen müssen: Ecce natus est nobis Salvator mundi.

Auch für Ozeanien könnte eine Regionalsynode nützlich sein. Auf diesem Kontinent findet sich unter anderem eine Bevölkerung von Ureinwohnern, die auf einzigartige Weise einige Aspekte der Vorgeschichte des Menschengeschlechts beschwört, weil ihre Anfänge bis einige zehntausend Jahre vor Christus zurückreichen. Bei dieser Synode wäre also neben anderen Problemen des Kontinentes ein nicht zu übergehendes Thema die Begegnung des Christentums mit jenen ältesten Formen der Religiösität, die bezeichnenderweise von einer Ausrichtung auf den Monotheismus gekennzeichnet sind.

[23] Cf. Conc. Ecum. Vat. II, Declar. sobre as relações da Igreja com as religiões não cristãsNostra aetate,
NAE 2.

b) Zweite Phase


39 Auf der Grundlage dieser umfassenden Sensibilisierungsaktion wird es dann möglich sein, an die zweite, also die eigentliche Vorbereitungsphase heranzugehen. Sie wird sich in einemZeitbogen von drei Jahren, von 1997 bis 1999, entfalten. Die ideale Struktur für diese drei Jahre, die ganz auf Christus, den Mensch gewordenen Sohn Gottes, eingestellt sind, kann nur theologisch, das heißt trinitarisch sein.



1. Jahr: Jesus Christus


40 Das erste Jahr, 1997, wird daher der Reflexion über Christus gewidmet sein: Wort des Vaters, Mensch geworden durch das Wirken des Heiligen Geistes. Denn herausgestellt werden muß der unverkennbar christologische Charakter des Jubeljahres, das die Menschwerdung des Gottessohnes und sein Kommen in die Welt als Heilsmysterium für das ganze Menschengeschlecht feiern wird. Das Generalthema, von vielen Kardinälen und Bischöfen vorgeschlagen, lautet: „Jesus Christus, alleiniger Retter der Welt, gestern, heute und in Ewigkeit“ (vgl. Hebr He 13,8).

Unter den im Konsistorium dargelegten christologischen Inhalten ragen die folgenden heraus: Wiederentdeckung Christi als Retter und Verkünder des Evangeliums mit besonderer Bezugnahme auf das vierte Kapitel des Lukasevangeliums, wo das Thema von dem zu Verkündigung und Bekehrung entsandten Christus und das Thema Jubeljahr miteinander verknüpft werden; Vertiefung seiner Menschwerdung und seiner Geburt aus dem jungfräulichen Schoß Mariens; Notwendigkeit des Glaubens an Ihn für die Rettung. Um die wahre Identität Christi zu erkennen, sollten die Christen, insbesondere im Verlauf dieses Jahres, mit erneutem Interesse zur Bibel zurückkehren, „einmal in der mit göttlichen Worten gesättigten heiligen Liturgie, dann in frommer Lesung oder auch durch geeignete Institutionen und andere Hilfsmittel“.(24) Denn in dem geoffenbarten Text ist es der himmlische Vater selbst, der uns liebevoll begegnet und mit uns redet, indem er uns das Wesen des eingeborenen Sohnes und seinen Heilsplan für die Menschheit kundtut. (25)

[24] Conc. Ecum. Vat. II, Const. dogm. sobre a Divina Revelação Dei Verbum, DV 25.
[25] Cf. Ibid., DV 2.
41 Das oben angedeutete Bemühen um sakramentale Aktualisierung im Laufe dieses ersten Jahres wird sich auf die Wiederentdeckung der Taufe als Grundlage der christlichen Existenz stützen können, entsprechend dem Wort des Apostels: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt“ (Ga 3,27). Der Katechismus der Katholischen Kircheerinnert seinerseits daran, daß die Taufe „die Grundlage der Gemeinschaft aller Christen (bildet), auch mit jenen, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen stehen“. (26) Gerade unter der ökumenischen Ausrichtung wird das ein sehr wichtiges Jahr dafür sein, gemeinsam den Blick auf Christus, den einzigen Herrn, zu richten in dem eifrigen Bemühen, in Ihm eins zu werden gemäß seinem Gebet zum Vater. Die Hervorhebung der zentralen Stellung Christi, des Wortes Gottes und des Glaubens sollte es nicht verabsäumen, in den Christen anderer Konfessionen Interesse und günstige Aufnahme zu wecken.

[26] N. CEC 1271.
42 Alles wird das vorrangige Ziel des Jubeljahres anstreben müssen, nämlich die Stärkung des Glaubens und des Zeugnisses der Christen. Damit dieses Zeugnis wirksam ist, muß in jedem Gläubigen eine echte Sehnsucht nach Heiligkeit geweckt werden, ein starkes Verlangen nach Umkehr und persönlicher Erneuerung in einem Klima immer intensiveren Betens und solidarischer Annahme des Nächsten, besonders des am meisten Bedürftigen.

Das erste Jahr wird daher der günstige Augenblick sein für die Wiederentdeckung der Katechesein ihrem ursprünglichen Bedeutungswert als „Lehre der Apostel“ (
Ac 2,42) über die Person Jesu Christi und sein Heilsgeheimnis. Als sehr nützlich zu diesem Zweck wird sich die Vertiefung desKatechismus der Katholischen Kirche erweisen, der „getreu und organisch die Lehre der Heiligen Schrift, der lebendigen Überlieferung in der Kirche und des authentischen Lehramtes, ebenso wie das geistliche Erbe der Väter, der heiligen Männer und Frauen der Kirche, (darstellt), um das christliche Geheimnis besser erkennen zu lassen und den Glauben des Volkes Gottes neu zu verlebendigen“. (27) Um realistisch zu sein, wird man es nicht unterlassen dürfen, die Gläubigen über die Irrtümer bezüglich der Person Christi dadurch aufzuklären, daß man die Widerstände gegen Ihn und gegen die Kirche ins rechte Licht rückt.

[27] Const. Ap. Fidel depositum (11 de Outubro de 1992), 3: AAS 86 (1994), 116.
43 Die selige Jungfrau Maria, die während der ganzen Vorbereitungsphase sozusagen „transversal“ gegenwärtig sein wird, soll in diesem ersten Jahr vor allem im Geheimnis der göttlichen Mutterschaft betrachtet werden. In ihrem Leib hat das Wort Fleisch angenommen! Die Aussage über die zentrale Stellung Christi kann also nicht getrennt werden von der Anerkennung der Rolle, die seine heilige Mutter gespielt hat. Recht besehen, kann ihre Verehrung auf keinerlei Weise der „Würde und Wirksamkeit Christi, des einzigen Mittlers“, zum Schaden gereichen. (28) Maria weist fortwährend auf ihren göttlichen Sohn hin und stellt ihn allen Gläubigen als Vorbild gelebten Glaubens vor Augen. „Indem die Kirche über Maria in frommer Erwägung nachdenkt und sie im Licht des menschgewordenen Wortes betrachtet, dringt sie verehrend in das erhabene Geheimnis der Menschwerdung tiefer ein und wird ihrem Bräutigam mehr und mehr gleichgestaltet“. (29)

[28] Conc. Ecum. Vat. II, Const. dogm. sobre a Igreja Lumen gentium,
LG 62.
[29] Ibid., LG 65.

II. Jahr: Heiliger Geist


44 1998, das zweite Jahr der Vorbereitungsphase, wird in besonderer Weise dem Heiligen Geistund seiner heiligmachenden Anwesenheit in der Gemeinschaft der Jünger Christi gewidmet sein. „Das große Jubiläum am Ende des zweiten Jahrtausends – so schrieb ich in der EnzyklikaDominum et vivificantem – (...) hat eine pneumatologische Ausrichtung; denn das Geheimnis der Menschwerdung vollzog sich ,durch das Wirken des Heiligen Geistes‘. Es wurde ,gewirkt‘ durch jenen Geist, der – eines Wesens mit dem Vater und dem Sohn – im absoluten Geheimnis des dreieinigen Gottes die ,Liebe in Person‘ ist, das ungeschaffene Geschenk, das die ewige Quelle allen Schenkens Gottes in der Schöpfungsordnung ist sowie unmittelbarer Ursprung und gewissermaßen Subjekt der Selbstmitteilung Gottes in der Gnadenordnung. Das Geheimnis der Menschwerdung ist der Höhepunkt dieses Schenkens und dieser Selbstmitteilung“. (30)

Die Kirche kann sich auf das zweitausendjährige Jubiläum „in keiner anderen Weise als im Heiligen Geist vorbereiten. Was ,in der Fülle der Zeit‘ durch das Wirken des Heiligen Geistes geschah, kann heute nur durch sein Wirken im Gedächtnis der Kirche neu erwachen“. (31)

Es ist in der Tat der Geist, der die von Christus den Menschen gebrachte einzige Offenbarung in der Kirche aller Zeiten und aller Orte aktualisiert, indem er sie im Herzen eines jeden lebendig und wirksam werden läßt: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (
Jn 1 Jn 4,26).

[30] Carta Enc. Dominum et vivificantem (18 de Maio de 1986), DEV 50: AAS 78 (1986), 869-870.
[31] Ibid., DEV 51: AAS 78 (1986), 871.
45 Zu den wichtigsten Aufgaben der Vorbereitung auf das Jubeljahr gehört daher dieWiederentdeckung der Anwesenheit und Wirksamkeit des Geistes, der in der Kirche wirkt, sei es in sakramentaler Gestalt, vor allem durch die Firmung, sei es vermittels vielfältiger Gnadengaben, Aufgaben und Dienste, die von Ihm zu ihrem Wohl geweckt worden sind: „Der eine Geist ist es, der seine vielfältigen Gaben gemäß seinem Reichtum und den Erfordernissen der Dienste zum Nutzen der Kirche austeilt (vgl. 1 Ko r 12,1-11). Unter diesen Gaben ragt die Gnade der Apostel heraus, deren Autorität der Geist selbst auch die Charismatiker unterstellt (vgl. 1Co 14). Derselbe Geist eint durch sich und durch seine Kraft wie durch die innere Verbindung der Glieder den Leib; er bringt die Liebe der Gläubigen untereinander hervor und treibt sie an“. (32)

Der Geist ist auch für unsere Zeit die Hauptkraft der Neuevangelisierung. Es wird also darauf ankommen, den Geist als den wiederzuentdecken, der im Laufe der Geschichte das Reich Gottes aufbaut und seine volle Offenbarwerdung in Jesus Christus dadurch vorbereitet, daß er die Menschen innerlich anregt und im menschlichen Erleben die Keime der endgültigen Rettung, die am Ende der Zeiten eintreten wird, aufgehen läßt.

[32] Conc. Ecum. Vat. II, Const. dogm. sobre a Igreja Lumen gentium, LG 7.
46 In diesem eschatologischen Ausblick sollen die Gläubigen dazu aufgerufen werden, die theologische Tugend der Hoffnung wiederzuentdecken, von der sie „schon früher gehört haben durch das wahre Wort des Evangeliums“ (Col 1,5). Die Grundhaltung der Hoffnung spornt einerseits den Christen dazu an, das Endziel, das seinem ganzen Dasein Sinn und Wert gibt, nicht aus dem Auge zu verlieren, und andererseits bietet sie ihm solide und tiefgehende Beweggründe für den täglichen Einsatz bei der Umgestaltung der Wirklichkeit, die dem Plan Gottes entsprechen soll.

Wie der Apostel Paulus schreibt: „Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung“ (Rm 8,22-24). Die Christen sind aufgerufen, sich auf das Große Jubiläum zu Beginn des dritten Jahrtausends vorzubereiten durch Erneuerung ihrer Hoffnung auf die endgültige Ankunft des Reiches Gottes, die sie Tag für Tag in ihrem Herzen, in der christlichen Gemeinschaft, der sie angehören, in dem sozialen Umfeld, in das sie hineingestellt sind, und so auch in der Weltgeschichte vorbereiten.

Außerdem müssen die Anzeichen von Hoffnung hervorgehoben und vertieft werden, die trotz der Schatten, die sie oft vor unseren Augen verbergen, in diesem letzten Abschnitt des Jahrhundertsvorhanden sind: auf weltlichem Gebiet die von der Wissenschaft, der Technik und vor allem von der Medizin im Dienst am menschlichen Leben erzielten Fortschritte, das lebhaftere Verantwortungsgefühl gegenüber der Umwelt, die Anstrengungen zur Wiederherstellung des Friedens und der Gerechtigkeit überall, wo sie verletzt wurden, der Wille zu Versöhnung und Solidarität zwischen den verschiedenen Völkern, besonders in den umfassenden Beziehungen zwischen dem Norden und dem Süden der Erde usw.; auf kirchlichem Gebiet das aufmerksamere Hören auf die Stimme des Geistes durch die Annahme der Charismen und die Förderung der Laien, die intensive Hingabe an das Anliegen der Einheit aller Christen, der dem Dialog mit den Religionen und mit der modernen Kultur gewährte Raum usw.


47 Das Nachdenken der Gläubigen im zweiten Vorbereitungsjahr wird sich mit besonderem Eifer auf den Wert der Einheit innerhalb der Kirche richten müssen, nach der die wahren Gaben und Charismen streben, die der Geist in ihr geweckt hat. In diesem Zusammenhang wird man die vor allem in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium enthaltene Lehre des II. Vatikanischen Konzils über die Kirche in passender Weise vertiefen können. Dieses wichtige Dokument hat ausdrücklich unterstrichen, daß die Einheit des Leibes Christi auf der Wirkung des Geistes beruht, vom apostolischen Dienst gewährleistet und von der gegenseitigen Liebe beseelt wird (vgl. 1Co 13,1-8). Auf jeden Fall sollen durch diese katechetische Vertiefung des Glaubens die Glieder des Volkes Gottes zu einem reiferen Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeiten wie auch zu einem lebendigeren Sinn für den Wert des kirchlichen Gehorsams geführt werden können. (33)

[33] Cf. Ibid., LG 37.
48 Maria, die das durch das Wirken des Heiligen Geistes fleischgewordene Wort empfing und sich dann in ihrem ganzen Leben von seiner inneren Wirkung leiten ließ, wird während dieses Jahres betrachtet und nachgeahmt insbesondere als Frau, die der Stimme des Geistes gehorsam ist, als Frau der Stille und des Zuhörens, als Frau der Hoffnung, die wie Abraham den Willen Gottes anzunehmen wußte „voll Hoffnung gegen alle Hoffnung“ (Rm 4,18). Sie bringt die Sehnsucht der Armen Jahwes voll zum Ausdruck und leuchtet als Vorbild für alle, die sich mit ganzem Herzen den Verheißungen Gottes anvertrauen.

III. Jahr: Gottvater


49 1999, das dritte und letzte Vorbereitungsjahr, wird die Aufgabe haben, den Horizont des Gläubigen gemäß der Sichtweise Christi selbst zu erweitern: der Sichtweite des „Vaters im Himmel“ (vgl. Mt Mt 5,45), von dem er gesandt worden und zu dem er zurückgekehrt ist (vgl. Joh Jn 16,28).

„Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Jn 17,3). Das ganze christliche Leben ist wie eine große Pilgerschaft zum Haus des Vaters, dessen unbedingte Liebe zu jedem menschlichen Geschöpf und besonders zum „verlorenen Sohn“ (vgl. Lk Lc 15,11-32) man jeden Tag wiederentdeckt. Diese Pilgerschaft involviert das Innerste der Person, erweitert sich dann auf die gläubige Gemeinschaft, um schließlich die ganze Menschheit zu erreichen.

Das Jubeljahr, in dessen Mittelpunkt die Gestalt Christi steht, wird so zu einer großenLobpreisung an den Vater: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Ep 1,3-4).


50 In diesem dritten Jahr wird der Sinn des „Weges zum Vater“ alle dazu antreiben, in Anhänglichkeit an Christus, den Erlöser der Menschen, einen Weg echter Umkehr zu beschreiten, der sowohl einen „negativen“ Aspekt der Befreiung vom Bösen beinhaltet, als auch einen „positiven“, den Aspekt der Wahl des Guten, die in der Zustimmung zu den sittlichen Werten, wie sie von dem dem Menschen ins Herz geschriebenen und vom Evangelium bestätigten Naturgesetz zum Ausdruck gebracht wird. Das ist der geeignete Rahmen für die Wiederentdeckung und intensive Feier des Bußsakramentes in seiner tiefsten Bedeutung. Der Verkündigung der Umkehr als unumgängliches Erfordernis der christlichen Liebe kommt besondere Bedeutung in der heutigen Gesellschaft zu, wo selbst die Grundlagen einer sittlichen Auffassung von der menschlichen Existenz oft abhandengekommen zu sein scheinen.

Man wird daher, eingedenk der zusammenfassenden Feststellung des ersten Johannesbriefes: „Gott ist die Liebe“ (
1Jn 4,8 1Jn 4,16), die theologische Tugend der Liebe hervorheben müssen. Die Liebe mit ihrem doppelten Gesicht als Liebe zu Gott und zu den Schwestern und Brüdern ist die Synthese des sittlichen Lebens des Glaubenden. Sie hat in Gott ihren Ursprung und ihre Vollendung.


51 Muß man aus dieser Sicht und eingedenk dessen, daß Jesus gekommen ist, um „den Armen das Evangelium zu verkünden“ (Mt 11,5 Lc 7,22), die Vorzugsoption der Kirche für die Armen und die Randgruppen nicht entschiedener betonen? Ja, man muß sagen, daß in einer Welt wie der unseren, die von so vielen Konflikten und unerträglichen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten gezeichnet ist, der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden ein tauglicher Gesichtspunkt der Vorbereitung und Feier des Jubeljahres ist. So werden sich, im Geist des Buches Levitikus (25, 8-28), die Christen zur Stimme aller Armen der Welt machen müssen, indem sie das Jubeljahr als eine passende Zeit hinstellen, um unter anderem an eine Überprüfung, wenn nicht überhaupt an einen erheblichen Erlaß der internationalen Schulden zu denken, die auf dem Geschick vieler Nationen lasten. Das Jubeljahr wird auch Gelegenheit dazu bieten können, über andere moderne Herausforderungen nachzudenken, wie z.B. die Schwierigkeiten des Dialogs zwischen verschiedenen Kulturen und die Probleme im Zusammenhang mit der Achtung der Rechte der Frau und mit der Förderung von Familie und Ehe.


52 Während darüber hinaus daran zu erinnern ist, daß „Christus ... eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund (macht) und (...) ihm seine höchste Berufung“ erschließt, (34) werden insbesondere im Laufe des dritten Vorbereitungsjahres zwei Aufgaben unumgänglich sein: die Auseinandersetzung mit dem Säkularismus und der Dialog mit den großen Religionen.

Was erstere betrifft, wird es angebracht sein, sich mit der ausgedehnten Thematik derZivilisationskrise auseinanderzusetzen, wie sie sich vor allem in dem technologisch hochentwickelten, aber durch das Vergessen oder An-den-Rand-Drängen Gottes innerlich verarmten Westen abzeichnet. Auf die Krise der Zivilisation gilt es mit der Zivilisation der Liebezu antworten, die sich auf die universalen Werte des Friedens, der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Freiheit gründet, die in Christus ihre volle Verwirklichung finden.

[34] Conc. Ecum. Vat. II, Const. past. sobre a Igreja no mundo contemporâneo Gaudium et spes,
GS 22.
53 Was dagegen den Horizont des religiösen Bewußtseins betrifft, so wird die Zeit unmittelbar vor dem Jahr 2000 auch im Licht der Ereignisse dieser letzten Jahrzehnte eine großartige Gelegenheit sein für den interreligiösen Dialog nach den klaren, vom II. Vatikanischen Konzil in der Erklärung über die Beziehungen der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetategegebenen Anweisungen.

In diesem Dialog sollen die Juden und die Muslime einen hervorragenden Platz einnehmen. Gebe Gott, daß man zur Besiegelung dieser Absichten auch gemeinsame Begegnungen an Orten zustandebringen kann, die für die großen monotheistischen Religionen Bedeutung haben.

In diesem Zusammenhang wird überlegt, wie man zur Intensivierung des Dialogs mit den Juden und den Gläubigen des Islam historische Begegnungen in Betlehem, Jerusalem und auf dem Sinai, Orten von großem symbolischem Wert, sowie Begegnungen mit Vertretern der großen Weltreligionen in anderen Städten vorbereiten kann. Immer jedoch wird man achtgeben müssen, keine gefährlichen Mißverständnisse zu erzeugen, und gut auf der Hut sein vor der Gefahr des Synkretismus und eines leichtsinnigen und trügerischen Irenismus.



54 In diesem ganzen weitgespannten Horizont wird die selige Jungfrau Maria, erwählte Tochter des Vaters, den Gläubigen vor Augen stehen als vollkommenes Beispiel der Liebe sowohl gegenüber Gott wie gegenüber dem Nächsten. Wie sie selbst im Gesang des Magnifikat sagt, hat der Allmächtige, dessen Name heilig ist, Großes an ihr getan (vgl. Lk Lc 1,49). Der Vater hat Maria für eine einzige Sendung in der Heilsgeschichte erwählt: Mutter des erwarteten Erlösers zu sein. Die Jungfrau hat auf den Ruf Gottes mit voller Bereitschaft geantwortet: „Ich bin die Magd des Herrn“ (Lc 1,38). Ihre Mutterschaft, die in Nazaret begonnen hat und in höchstem Maße in Jerusalem unter dem Kreuz erlebt wurde, wird in diesem Jahr vernehmbar sein als innige und dringende Einladung, die an alle Kinder Gottes gerichtet ist, zum Haus des Vaters zurückzukehren und auf ihre mütterliche Stimme zu hören: „Was Christus euch sagt, das tut“ (vgl. Joh Jn 2,5).

c) Im Blick auf die feierliche Durchführung


55 Ein Kapitel für sich stellt die eigentliche Feier des Großen Jubeljahres dar, die gleichzeitig im Heiligen Land, in Rom und in den Ortskirchen der ganzen Welt erfolgen soll. Vor allem in dieser Phase, der Phase der feierlichen Durchführung, wird das Ziel die Verherrlichung der Dreifaltigkeit sein, von der alles kommt und der sich alles zuwendet in Welt und Geschichte. Diesem Geheimnis gelten die drei Jahre der unmittelbaren Vorbereitung: von Christus und durch Christus im Heiligen Geist zum Vater. In diesem Sinne aktualisiert die Feier des Jubiläums das Ziel und die Erfüllung des Lebens des Christen und der Kirche im dreieinigen Gott und nimmt sie zugleich vorweg.

Da jedoch Christus der einzige Zugangsweg zum Vater ist, wird zur Hervorhebung seiner lebendigen und heilbringenden Gegenwart in Kirche und Welt anläßlich des Großen Jubeljahres in Rom der internationale eucharistische Kongreß abgehalten werden. Das Jahr 2000 soll ein intensiv eucharistisches Jahr sein: Im Sakrament der Eucharistie bietet sich der Erlöser, der vor zweitausend Jahren im Schoß Mariens Mensch geworden ist, weiterhin der Menschheit als Quelle göttlichen Lebens dar.

Die ökumenische und universale Dimension des Jubeljahres wird von einem denkwürdigenpanchristlichen Treffen in geeigneter Weise herausgestellt werden können. Es handelt sich um eine Geste von hohem Wert und muß deshalb, um Mißverständnisse zu vermeiden, korrekt vorgeschlagen und sorgfältig vorbereitet werden, aus einer Haltung brüderlicher Zusammenarbeit mit den Christen anderer Konfessionen und Traditionen sowie in willkommener Öffnung den Religionen gegenüber, deren Repräsentanten ihre Aufmerksamkeit auf die allen Jüngern Christi gemeinsame Freude lenken.

Eines ist gewiß: Ein jeder ist eingeladen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit die große Herausforderung des Jahres 2000, mit der sicherlich eine besondere Gnade des Herrn für die Kirche und für die ganze Menschheit verbunden ist, nicht vernachlässigt wird.

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« JESUS CHRISTUS IST DERSELBE (...) IN EWIGKEIT »

(He 13,8)


Tertio millenio adveniente DE 36