Redemptoris Mater


\C\BIoannes Paulus PP. II

\CRedemptoris Mater

Über die Selige Jungfrau Maria

im Leben der Pilgernden Kirche



1987.03.25


Segen


Verehrte Brüder,
Liebe Söhne und Töchter,
Gruß und Apostolischen Segen!


EINLEITUNG


1 Die Mutter des Erlösers hat im Heilsplan eine ganz besondere Stellung; denn »als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetze stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater« (Ga 4,4-6).

Mit diesen Worten des Apostels Paulus, die das II. Vatikanische Konzil am Beginn seiner Darlegungen über die selige Jungfrau Maria1 aufgreift, möchte auch ich meine Erwägungen über die Bedeutung Marias im Geheimnis Christi und über ihre aktive und beispielhafte Gegenwart im Leben der Kirche einleiten. Diese Worte feiern ja in einem gemeinsamen Lobpreis die Liebe des Vaters, die Sendung des Sohnes, das Geschenk des Geistes, die Frau, aus der der Erlöser geboren wurde, unsere göttliche Sohnschaft, und dies im Geheimnis der »Fülle der Zeit«.2

Diese »Fülle« gibt den von aller Ewigkeit her bestimmten Augenblick an, in dem der Vater seinen Sohn sandte, »damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Jn 3,16). Sie weist auf die selige Stunde hin, in der das »Wort«, das »bei Gott« war, »Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat« (Jn 1,1 Jn 1,14) und unser Bruder wurde. Sie bezeichnet den Moment, an dem der Heilige Geist, der Maria von Nazaret schon die Fülle der Gnade geschenkt hatte, in ihrem jungfräulichen Schoß die menschliche Natur Christi formte. Sie bestimmt den Zeitpunkt, an dem durch das Eingehen des Ewigen in die Zeit die Zeit selbst erlöst wird und endgültig zur »Heilszeit« wird, indem sie sich mit dem Geheimnis Christi »füllt«. Sie bezeichnet schließlich den geheimnisvollen Beginn des Weges der Kirche. In der Liturgie grüßt die Kirche nämlich Maria von Nazaret als ihren Anfang,3 weil sie im Ereignis der Empfängnis ohne Erbsünde bereits die österliche Gnade der Erlösung, vorweggenommen in ihrem hervorragendsten Mitglied, sich abzeichnen sieht und vor allem weil sie im Ereignis der Menschwerdung Christus und Maria untrennbar miteinander verbunden findet: derjenige, der ihr Herr und Haupt ist (vgl. Col 1,18), und diejenige, die durch das erste Fiat des Neuen Bundes ein Vorbild für ihre Aufgabe als Braut und Mutter darstellt.


2 Durch die Gegenwart Christi bestärkt (vgl. Mt 28,20), schreitet die Kirche in der Zeit voran auf die Vollendung der Geschichte zu und geht ihrem Herrn entgegen, der kommt. Aber auf dieser Pilgerschaft - das möchte ich sogleich hervorheben - geht sie denselben Weg, den auch die Jungfrau Maria zurückgelegt hat, die »den Pilgerweg des Glaubens gegangen ist und ihre Verbundenheit mit dem Sohn in Treue bewahrt hat«.4

Ich möchte diese dichten und bedenkenswerten Worte der Konstitution Lumen gentium aufgreifen, die in ihrem Schlußteil eine eindrucksvolle Synthese der Lehre der Kirche über das Thema der Mutter Christi vorlegt, die sie als ihre geliebte Mutter und als ihr Vorbild im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe verehrt.

Wenige Jahre nach dem Konzil wollte mein großer Vorgänger Paul VI. erneut über die heilige Jungfrau Maria sprechen, indem er in der Enzyklika Christi Matri und dann in den Apostolischen Schreiben Signum magnum und Marialis cultus5 die Grundlagen und Kriterien jener besonderen Verehrung darlegte, welche die Mutter Christi in der Kirche empfängt, sowie die verschiedenen Formen der Marienfrömmigkeit - in der Liturgie, im Volkstum, im privaten Bereich -, wie sie dem Geist unseres Glaubens entsprechen.


3 Der Umstand, der mich nun drängt, das Wort zu diesem Thema zu ergreifen, ist der Blick auf das bereits nahe Jahr 2000, in dem das zweitausendjährige Jubiläum der Geburt Christi unsere Augen zugleich auf seine Mutter lenkt. In den letzten Jahren sind verschiedene Stimmen laut geworden, die auf die gute Gelegenheit hinweisen, diesem Gedenken ein ähnliches Jubiläum voraufgehen zu lassen, das der Feier der Geburt Marias gewidmet ist.

In der Tat, wenn es auch nicht möglich ist, einen genauen Zeitpunkt für das Datum der Geburt Marias festzustellen, so ist sich die Kirche doch stets bewußt, daß Maria vor Christus am Horizont der Heilsgeschichte erschienen ist.6 Es ist eine Tatsache, daß beim Herannahen der endgültigen »Fülle der Zeit«, das heißt beim erlösenden Kommen des Immanuel, diejenige, die von Ewigkeit her dazu bestimmt war, seine Mutter zu sein, bereits auf der Erde lebte. Diese ihre Anwesenheit schon vor der Ankunft Christi findet jedes Jahr ihren Ausdruck in der Adventsliturgie.Wenn man also die Jahre, die uns dem Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus und dem Beginn des dritten näherbringen, mit jener alten geschichtlichen Erwartung des Retters vergleicht, wird es vollauf verständlich, daß wir uns in diesem Zeitabschnitt in besonderer Weise an diejenige wenden möchten, die in der »Nacht« der adventlichen Erwartung als wahrer »Morgenstern« (Stella matutina) zu leuchten begann. Bekanntlich geht dieser Stern zusammen mit der »Morgenröte« dem Aufgang der Sonne vorauf: So ist Maria dem Kommen des Heilands voraufgegangen, dem Aufgehen der »Sonne der Gerechtigkeit« in der Geschichte des Menschengeschlechtes.7

Ihre Anwesenheit in Israel - so unauffällig, daß sie den Augen der Zeitgenossen fast verborgen blieb - leuchtete ganz hell vor dem ewigen Gott, der diese verborgene »Tochter Zions« (
So 3,14 Za 2,14) mit dem Heilsplan verbunden hatte, der die gesamte Geschichte der Menschheit umfaßt. Wir Christen, die wissen, daß der Plan der Vorsehung der Göttlichen Dreifaltigkeit die zentrale Wirklichkeit der Offenbarung und des Glaubens ist, verspüren also gegen Ende des zweiten Jahrtausends zu Recht die Notwendigkeit, die einzigartige Gegenwart der Mutter Christi in der Geschichte hervorzuheben, vor allem in diesen letzten Jahren vor dem Jahr 2000.


4 Auf dies alles bereitet uns das II. Vatikanische Konzil vor, wenn es in seiner Lehre die Mutter Gottes »im Geheimnis Christi und der Kirche« vorstellt. Wenn es nämlich stimmt, daß »sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft aufklärt« - wie dasselbe Konzil verkündet8 -, dann muß man dieses Prinzip in ganz besonderer Weise auf jene außergewöhnliche »Tochter des Menschengeschlechtes« anwenden, auf jene außerordentliche »Frau«, die die Mutter Christi wurde. Allein im Geheimnis Christi klärt sich voll und ganz ihr eigenes Geheimnis. So hat es übrigens die Kirche von Anfang an zu sehen versucht: Das Geheimnis der Menschwerdung hat es ihr ermöglicht, das Geheimnis der Mutter des menschgewordenen Wortes immer tiefer zu durchdringen und aufzuhellen. Für ein solch tieferes Verständnis hatte das Konzil von Ephesus (431) eine entscheidende Bedeutung: Hier wurde zur großen Freude der Christen die Wahrheit von der göttlichen Mutterschaft Marias feierlich als Glaubenswahrheit der Kirche bestätigt. Maria ist die Mutter Gottes ( = Theotokos), weil sie Jesus Christus, den Sohn Gottes und eines Wesens mit dem Vater, durch den Heiligen Geist in ihrem jungfräulichen Schoß empfangen und zur Welt gebracht hat.9 »Denn er, der Sohn Gottes..., geboren aus Maria, der Jungfrau, ist in Wahrheit einer aus uns geworden... »,10 ist Mensch geworden. Durch das Geheimnis Christi leuchtet also am Horizont des Glaubens der Kirche das Geheimnis seiner Mutter voll auf. Das Dogma von der göttlichen Mutterschaft Marias war seinerseits für das Konzil von Ephesus, und ist es für die Kirche immer noch, ein Zeichen der Bestätigung für das Dogma von der Menschwerdung, in der das ewige Wort in der Einheit seiner Person die menschliche Natur wahrhaft annimmt, ohne sie auszulöschen.


5 Wenn das II. Vatikanische Konzil Maria im Geheimnis Christi darstellt, findet es so auch den Weg, um die Erkenntnis des Geheimnisses der Kirche zu vertiefen. Maria ist ja als Mutter Christi in ganz besonderer Weise mit der Kirche verbunden, »die der Herr als seinen Leib gegründet hat«.11 Der Konzilstext stellt diese Wahrheit von der Kirche als Leib Christi (nach der Lehre der Paulusbriefe) bezeichnenderweise nahe neben die Wahrheit, daß der Sohn Gottes »durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau geboren ist«. Die Wirklichkeit der Menschwerdung findet gleichsam ihre Fortsetzung im Geheimnis der Kirche, des Leibes Christi. Und an die Wirklichkeit der Menschwerdung wiederum kann man nicht denken, ohne sich auf Maria, die Mutter des menschgewordenen Wortes, zu beziehen.

In den vorliegenden Erwägungen möchte ich jedoch vor allem auf jenen »Pilgerweg des Glaubens« hinweisen, den die selige Jungfrau gegangen ist und auf dem sie »ihre Verbundenheit mit Christus in Treue bewahrt hat«.12 Auf diese Weise erhält jenes »doppelte Band«, das die Mutter Gottes mit Christus und mit der Kirche verbindet, eine gesamtgeschichtliche Bedeutung. Es geht hierbei nicht nur um die Lebensgeschichte der jungfräulichen Mutter, um ihren persönlichen Glaubensweg und um den »besseren Teil«, den sie im Heilsgeheimnis hat, sondern auch um die Geschichte des gesamten Gottesvolkes, von allen, die am selben »Pilgerweg des Glaubens« teilnehmen.

Dies drückt das Konzil aus, indem es in einem anderen Abschnitt feststellt, daß Maria »vorangegangen ist«, weil sie »der Typus der Kirche auf der Ebene des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus« geworden ist.13 Dieses »Vorangehen« als Typus oder Modell bezieht sich auf das innerste Geheimnis der Kirche, die ihre eigene Heilssendung verwirklicht und vollzieht, indem sie in sich - wie Maria - die Eigenschaften der Mutter und der Jungfrau vereinigt. Sie ist Jungfrau, weil sie »das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt«; sie wird »auch selbst Mutter, weil sie... die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zu neuem und unsterblichem Leben gebiert«.14


6 Das alles vollzieht sich in einem großen geschichtlichen Prozeß und gewissermaßen »auf einem Weg«. Der »Pilgerweg des Glaubens« weist auf die innere Geschichte hin, sozusagen auf die »Geschichte der Seelen«. Er ist aber auch die Geschichte der Menschen, die auf dieser Erde der Vergänglichkeit unterworfen und von der geschichtlichen Dimension umfaßt sind. In den folgenden Erwägungen wollen wir uns vor allem auf die gegenwärtige Phase konzentrieren, die an sich noch nicht Geschichte ist, aber doch unaufhörlich Geschichte formt, und dies auch im Sinne von Heilsgeschichte. Hier öffnet sich ein weiter Raum, in welchem die selige Jungfrau Maria immer noch dem Gottesvolk »vorangeht«. Ihr außergewöhnlicher Pilgerweg des Glaubens stellt so einen bleibenden Bezugspunkt dar für die Kirche, für die einzelnen und für die Gemeinschaften, für die Völker und Nationen und in gewissem Sinne für die ganze Menschheit. Es ist fürwahr schwierig, seinen ganzen Umfang zu erfassen und zu ermessen.

Das Konzil unterstreicht, daß die Mutter Gottes bereits die eschatologische Vollendung der Kirche ist: »Während aber die Kirche in der seligsten Jungfrau Maria schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in der sie ohne Makel und Runzel ist (vgl.
Ep 5,27), bemühen sich die Christgläubigen noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit zu wachsen. Daher richten sie ihre Augen auf Maria, die der ganzen Gemeinschaft der Auserwählten als Urbild der Tugenden voranleuchtet«.15 Der Pilgerweg des Glaubens gehört nicht mehr zur Mutter des Gottessohnes: An der Seite ihres Sohnes im Himmel verherrlicht, hat Maria bereits die Schwelle zwischen Glauben und Schauen »von Angesicht zu Angesicht« (1Co 13,12) überwunden. Zugleich aber bleibt sie in dieser eschatologischen Vollendung der »Meeresstern« (Maris Stella)16 für all diejenigen, die noch den Weg des Glaubens gehen. Wenn diese an den verschiedenen Orten irdischer Existenz die Augen zu ihr erheben, tun sie dies, weil sie »einen Sohn gebar, den Gott gesetzt hat zum Erstgeborenen unter vielen Brüdern (Rm 8,29)«17 und auch weil sie »bei der Geburt und Erziehung« vieler Brüder und Schwestern »in mütterlicher Liebe mitwirkt«.18

1. TEIL - MARIA IM GEHEIMNIS CHRISTI


1. Voll der Gnade


7 »Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel« (Ep 1,3). Diese Worte des Epheserbriefes offenbaren den ewigen Plan Gottes, des Vaters, seinen Heilsplan für den Menschen in Christus. Es ist ein universaler Plan, der alle Menschen betrifft, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gn 1,26) geschaffen sind. Wie alle »im Anfang« vom Schöpferwirken Gottes umfaßt sind, so werden sie auch in Ewigkeit vom göttlichen Heilsplan umfaßt, der sich ganz und gar, bis zur »Fülle der Zeit« in der Ankunft Christi, offenbaren muß. »Denn in ihm« - so lauten die folgenden Worte desselben Briefes - hat jener Gott, der der »Vater unseres Herrn Jesus Christus« ist, »uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade« (Ep 1,4-7).

Der göttliche Heilsplan, der uns mit dem Kommen Christi offenbart worden ist, hat auf ewig Bestand. Er ist auch - nach der Lehre dieses Epheserbriefes sowie anderer Paulusbriefe - auf ewig mit Christus verbunden. Er umfaßt alle Menschen, räumt aber einen besonderen Platz jener »Frau« ein, die die Mutter dessen ist, dem der Vater das Erlösungswerk anvertraut hat.19 »Sie ist«, wie das II. Vatikanische Konzil schreibt, »schon prophetisch in der Verheißung ..., die den in Sünde gefallenen Stammeltern gegeben wurde (vgl. Gn 3,15), schattenhaft angedeutet. Ähnlich bedeutet sie die Jungfrau, die empfangen und einen Sohn gebären wird, dessen Name Immanuel sein wird« nach den Worten des Jesaja (vgl. 7, 14).20 In dieser Weise bereitet das Alte Testament jene »Fülle der Zeit« vor, wenn Gott seinen Sohn senden wird, »geboren von einer Frau, ... damit wir die Sohnschaft erlangen« (Ga 4,4-5). Das Kommen des Gottessohnes in die Welt ist das Ereignis, das in den ersten Kapiteln der Evangelien nach Lukas und Matthäus dargestellt wird.


8 Durch dieses Ereignis, die Verkündigung des Engels, wird Maria endgültig in das Geheimnis Christi eingeführt. Dies geschieht in Nazaret in einer konkreten geschichtlichen Situation Israels, des Volkes, dem die Verheißungen Gottes zuerst gelten. Der Bote Gottes spricht zu der Jungfrau: »Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir« (Lc 1,28). Maria »erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe« (Lc 1,29): was alle jene außergewöhnlichen Worte zu bedeuten haben, insbesondere der Ausdruck »du Begnadete« (kecharitoméne).21

Wenn wir zusammen mit Maria über diese Worte und vor allem über den Ausdruck »du Begnadete« nachdenken wollen, können wir einen sehr ergiebigen Ansatzpunkt hierfür gerade im Epheserbrief an der oben zitierten Stelle finden. Wenn die Jungfrau von Nazaret nach der Verkündigung des himmlischen Boten sogar »gesegnet ... mehr als alle anderen Frauen« (vgl. Lc 1,42) genannt wird, so erklärt sich das durch jenen Segen, mit dem uns »Gott Vater« »durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel« gesegnet hat. Es ist ein »Segen seines Geistes«, der sich auf alle Menschen bezieht und jene allumfassende Fülle (»mit allem Segen«) enthält, wie sie aus der Liebe hervorgeht, die den wesensgleichen Sohn im Heiligen Geist mit dem Vater verbindet. Zugleich ist es ein Segen, der durch Jesus Christus in der Menschengeschichte bis zu ihrem Ende über alle Menschen ausgegossen wird. Maria aber wird von diesem Segen in einem ganz besonderen und einzigartigen Maße erfüllt. Elisabet begrüßt sie ja als »gesegnet... mehr als alle anderen Frauen«.

Der Grund für den doppelten Gruß ist also, daß sich in der Seele dieser »Tochter Zion« gewissermaßen die gesamte »herrliche Gnade« kundgetan hat, die der »Vater... uns in seinem geliebten Sohn geschenkt hat«. Der Gottesbote begrüßt Maria ja als die »Begnadete«. Er nennt sie so, als ob dies ihr wahrer Name sei. Die er anspricht, nennt er nicht mit dem Namen, der ihr unter den Menschen zu eigen ist: »Miryam« (= Maria), sondern mit diesem neuen Namen: »Begnadete«. Was bedeutet dieser Name? Warum nennt der Erzengel die Jungfrau von Nazaret gerade so?

In der Sprache der Bibel bedeutet »Gnade« ein besonderes Geschenk, das seine Quelle nach dem Neuen Testament im dreifaltigen Leben Gottes selbst hat, jenes Gottes, der die Liebe ist (vgl. 1Jn 4,8). Frucht dieser Liebe ist die »Erwählung«, von der der Epheserbrief spricht. Von Gott her ist diese »Erwählung« sein ewiger Wille, den Menschen durch die Teilhabe an seinem eigenen Leben (vgl. 2P 1,4) in Christus zu retten: Es ist die Rettung durch Teilhabe am übernatürlichen Leben. Die Wirkung dieses ewigen Geschenkes, dieser Gnade der Erwählung des Menschen durch Gott, ist wie ein Keim der Heiligkeit oder wie eine Quelle, die in der Seele des Menschen aufsprudelt als Geschenk Gottes selbst, der die Erwählten durch die Gnade belebt und heiligt. Auf diese Weise erfüllt sich, das heißt verwirklicht sich jene »Segnung« des Menschen »mit allem Segen seines Geistes«, jenes »seine Söhne werden in Christus«, in dem, der von Ewigkeit her der »geliebte Sohn« des Vaters ist.

Wenn wir lesen, daß der Bote zu Maria »du Begnadete« sagt, läßt uns der Kontext des Evangeliums, in dem alte Offenbarungen und Verheißungen zusammenfließen, verstehen, daß es sich hier um einen besonderen »Segen« unter allen »geistlichen Segnungen in Christus« handelt. Sie ist im Geheimnis Christi bereits »vor der Erschaffung der Welt« gegenwärtig als diejenige, die der Vater als Mutter seines Sohnes in der Menschwerdung »erwählt« hat und die zusammen mit dem Vater auch der Sohn erwählt hat, indem er sie von Ewigkeit her dem Geist der Heiligkeit anvertraute. Maria ist auf eine besondere und einzigartige Weise mit Christus verbunden. Auf besondere und einzigartige Weise ist sie zugleich geliebt in diesem von Ewigkeit her »geliebten Sohn«, in diesem dem Vater wesensgleichen Sohn, in dem die gesamte »herrliche Gnade« zusammengefaßt ist. Gleichzeitig ist und bleibt sie vollkommen offen für dieses »Geschenk von oben« (vgl. Jc 1,17). Wie das Konzil lehrt, »ragt (Maria) unter den Demütigen und Armen des Herrn hervor, die das Heil mit Vertrauen von ihm erhoffen und empfangen«.22


9 Wenn auch der Gruß und die Anrede »du Begnadete« all dies bedeuten, so beziehen sie sich im Zusammenhang der Verkündigung des Engels doch vor allem auf die Erwählung Marias zur Mutter des Sohnes Gottes. Zugleich aber weist die Fülle der Gnade auf das gesamte übernatürliche Gnadengeschenk hin, das Maria besitzt, weil sie zur Mutter Christi erwählt und bestimmt worden ist. Wenn diese Erwählung grundlegend ist für die Verwirklichung der Heilspläne Gottes gegenüber der Menschheit, wenn die Erwählung in Christus von Ewigkeit her und die Berufung zur Würde der Sohnschaft sich auf alle Menschen beziehen, so ist die Erwählung Marias völlig einzigartig und einmalig. Hieraus folgt dann auch die Einzigartigkeit ihrer Stellung im Geheimnis Christi.

Der Gottesbote sagt zu ihr: »Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: Dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden« (
Lc 1,30-32). Und als die Jungfrau, von diesem außergewöhnlichen Gruß verwirrt, fragt: »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?«, empfängt sie vom Engel eine Bekräftigung und Deutung der vorhergehenden Worte. Gabriel sagt ihr: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden« (Lc 1,35).

Die Verkündigung ist also die Offenbarung des Geheimnisses der Menschwerdung am Beginn seiner irdischen Verwirklichung. Die erlösende Hingabe, in der Gott sich selbst, sein göttliches Leben, in gewisser Weise der ganzen Schöpfung und unmittelbar dem Menschen schenkt, erreicht im Geheimnis der Menschwerdung einen Höhepunkt. Dieses ist ja fürwahr ein Gipfel unter allen Gnadengaben in der Geschichte des Menschen und des Kosmos. Maria ist »voll der Gnade«, weil die Menschwerdung des göttlichen Wortes, die Verbindung des Gottessohnes mit der Menschennatur in einer Person (unio hypostatica), sich gerade in ihr verwirklicht und vollzieht. Wie das Konzil sagt, ist Maria »die Mutter des Sohnes Gottes und daher die bevorzugt geliebte Tochter des Vaters und das Heiligtum des Heiligen Geistes ... Durch dieses hervorragende Gnadengeschenk hat sie bei weitem den Vorrang vor allen anderen himmlischen und irdischen Kreaturen«.23


10 Wo der Epheserbrief von der »herrlichen Gnade« spricht, die »Gott, der Vater, ... uns in seinem geliebten Sohn geschenkt hat«, fügt er noch hinzu: »Durch sein Blut haben wir die Erlösung« (Ep 1,7). Nach der Lehre, wie sie von der Kirche in feierlichen Dokumenten formuliert worden ist, hat sich diese »herrliche Gnade« an der Mutter Gottes dadurch gezeigt, daß sie »auf erhabenere Weise« erlöst worden ist.24 Kraft der reichen Gnade des geliebten Sohnes und wegen der Erlöserverdienste dessen, der ihr Sohn werden wollte, ist Maria vom Erbe der Ursünde bewahrt worden.25 Auf diese Weise gehört sie vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis, das heißt ihrer eigenen Existenz, an zu Christus; sie hat Anteil an der heilenden und heiligmachenden Gnade und an jener Liebe, die vom »geliebten Sohn« ausgeht, dem Sohn des ewigen Vaters, der durch die Menschwerdung ihr eigener Sohn geworden ist. Darum ist es zutiefst wahr, daß Maria durch den Heiligen Geist auf der Ebene der Gnade, das heißt der Teilhabe an der göttlichen Natur (vgl. 2P 1,4), von demjenigen das Leben empfängt, dem sie selbst es, auf der Ebene irdischer Zeugung, als Mutter gegeben hat. Die Liturgie zögert nicht, sie »Tochter deines göttlichen Sohnes« zu nennen,26 und sie mit den Worten, die Dante Alighieri dem hl. Bernhard in den Mund legt, zu grüßen: »Tochter deines Sohnes«.27 Und weil Maria dieses »neue Leben« in einer Fülle empfängt, wie sie der Liebe des Sohnes zu seiner Mutter, der Würde göttlicher Mutterschaft also, entspricht, nennt sie der Engel bei der Verkündigung »voll der Gnade«.


11 Im Heilsplan der Heiligsten Dreifaltigkeit stellt das Geheimnis der Menschwerdung die überreiche Erfüllung der Verheißung dar, die Gott den Menschen nach der Ursünde gegeben hatte, nach jener ersten Sünde, deren Folgen auf der gesamten Geschichte des Menschen auf Erden lasten (vgl. Gn 3,15). So kommt ein Sohn zur Welt, der »Nachwuchs« einer Frau, der das Übel der Sünde an der Wurzel selbst besiegen wird: »Er trifft (die Schlange) am Kopf«. Wie aus den Worten des Protoevangeliums hervorgeht, wird der Sohn der Frau erst nach einem harten Kampf siegen, der die ganze Geschichte des Menschen durchziehen muß. Die »Feindschaft«, zu Anfang angekündigt, wird im Buch der Offenbarung, dem Buch der letzten Dinge der Kirche und der Welt, bestätigt: Hier begegnet uns erneut das Zeichen einer »Frau«, diesmal »mit der Sonne bekleidet« (Ap 12,1).

Maria, Mutter des menschgewordenen ewigen Wortes, wird in die Mitte jener Feindschaft gestellt, jenes Kampfes, der die Geschichte der Menschheit auf Erden und auch die Heilsgeschichte selbst begleitet. An diesem Ort trägt sie, die zu den »Demütigen und Armen des Herrn« gehört, wie kein anderer unter den Menschen jene »herrliche Gnade« in sich, die der Vater »uns in seinem geliebten Sohn geschenkt hat«, und diese Gnade bestimmt die außergewöhnliche Größe und Schönheit ihres ganzen menschlichen Seins. Maria bleibt so vor Gott und auch vor der ganzen Menschheit gleichsam das bleibende und unzerstörbare Zeichen jener Erwählung durch Gott, von der der Paulusbrief spricht: »In ihm (Christus) hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt,... dazu bestimmt, seine Söhne zu werden« (Ep 1,4 Ep 1,5). Diese Erwählung ist stärker als jede Erfahrung des Bösen und der Sünde, all jener »Feindschaft«, von der die Geschichte des Menschen geprägt ist. In dieser Geschichte bleibt Maria ein Zeichen sicherer Hoffnung.

2. Selig ist, die geglaubt hat


12 Kurz nach dem Verkündigungsbericht läßt uns der Evangelist Lukas der Jungfrau von Nazaret auf ihrem Weg in »eine Stadt im Bergland von Judäa« folgen (Lc 1,39). Nach den Gelehrten müßte diese Stadt das heutige Ain-Karim sein, das in den Bergen nicht weit von Jerusalem liegt. Maria »eilte« dorthin, um Elisabet, ihre Verwandte, zu besuchen. Der Grund für diesen Besuch liegt auch darin, daß Gabriel bei der Verkündigung in bedeutungsvoller Weise Elisabet genannt hat, die noch im vorgeschrittenen Alter durch Gottes mächtiges Wirken einen Sohn von ihrem Mann Zacharias empfangen hatte: »Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich« (Lc 1,36-37). Der göttliche Bote verwies auf das Geschehen in Elisabet, um auf die Frage Marias zu antworten: »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?« (Lc 1,34). Ja, es wird möglich durch die »Kraft des Höchsten«, genauso, und sogar noch mehr, wie bei Elisabet.

Maria begibt sich also aus Liebe in das Haus ihrer Verwandten. Als sie dort eintritt und Elisabet bei der Antwort auf ihren Gruß das Kind in ihrem Leib hüpfen fühlt, da grüßt diese, »vom Heiligen Geist erfüllt«, ihrerseits Maria mit lauter Stimme: »Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes« (vgl. Lc 1,40-42). Dieser preisende Ausruf Elisabets sollte dann als Fortsetzung des Grußes des Engels in das Ave-Maria eingehen und so zu einem der am häufigsten gesprochenen Gebete der Kirche werden. Noch bedeutungsvoller aber sind die Worte Elisabets in der Frage, die folgt: »Wer bin ich, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?« (Lc 1,43). Elisabet gibt Zeugnis für Maria: Sie erkennt und bekennt, daß vor ihr die Mutter des Herrn, die Mutter des Messias, steht. An diesem Zeugnis beteiligt sich auch der Sohn, den Elisabet in ihrem Schoß trägt: »Das Kind hüpfte vor Freude in meinem Leib« (Lc 1,44). Das Kind ist der künftige Johannes der Täufer, der am Jordan auf Jesus, den Messias, hinweisen wird.

Jedes Wort im Gruß Elisabets ist voller Bedeutung; doch von grundlegender Wichtigkeit scheint zu sein, was sie am Ende sagt: »Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lc 1,45).28 Diese Worte kann man neben die Anrede »du Begnadete« beim Gruß des Engels stellen. In beiden Texten offenbart sich die Wahrheit ihres wesentlich mariologischen Inhalts, das heißt die Wahrheit über Maria, die im Geheimnis Christi gerade darum wirklich gegenwärtig geworden ist, weil sie »geglaubt hat«. Die Fülle der Gnade, die der Engel verkündet, bedeutet das Geschenk Gottes selbst; der Glaube Marias, der von Elisabet beim Besuch gepriesen wird, zeigt, wie die Jungfrau von Nazaret auf dieses Geschenk geantwortet hat.


13 »Dem offenbarenden Gott ist der " Gehorsam des Glaubens" (Rm 16,26 vgl. Rm 1,5 2Co 10,5-6) zu leisten. Darin überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit«, lehrt das Konzil.29 Diese Umschreibung des Glaubens fand in Maria ihre vollkommene Verwirklichung. Der »entscheidende« Augenblick war die Verkündigung, und die Worte Elisabets: »Selig ist die, die geglaubt hat« beziehen sich in erster Linie gerade auf diesen Augenblick.30

Bei der Verkündigung hat Maria sich ja vollkommen Gott überantwortet, indem sie demjenigen »den Gehorsam des Glaubens« entgegenbrachte, der durch seinen Boten zu ihr sprach, indem sie sich ihm »mit Verstand und Willen voll unterwirft«.31 Sie hat also mit ihrem ganzen menschlichen, fraulichen »Ich« geantwortet. In dieser Glaubensantwort waren ein vollkommenes Zusammenwirken mit der »zuvorkommenden und helfenden Gnade Gottes« und eine vollkommene Verfügbarkeit gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes enthalten, der »den Glauben ständig durch seine Gaben vervollkommnet«.32

Das Wort des lebendigen Gottes, das der Engel Maria verkündet, bezieht sich auf sie selbst: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären« (Lc 1,31). Wenn Maria diese Ankündigung annahm, sollte sie die »Mutter des Herrn« werden und das göttliche Geheimnis der Menschwerdung sich in ihr vollziehen: »Der Vater der Erbarmungen wollte aber, daß vor der Menschwerdung die vorherbestimmte Mutter ihr empfangendes Ja sagte«.33 Und nachdem Maria alle Worte des Boten gehört hat, gibt sie diese Zustimmung. Sie sagt: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lc 1,38). Dieses Fiat Marias - »mir geschehe« - hat von der menschlichen Seite her über die Verwirklichung des göttlichen Geheimnisses entschieden. Es findet sich hier eine volle Übereinstimmung mit den Worten des Sohnes, der nach dem Hebräerbrief beim Eintritt in die Welt zum Vater sagt: »Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen ... Ja, ich komme ..., um deinen Willen, Gott, zu tun« (He 10,5-7). Das Geheimnis der Menschwerdung hat sich also vollzogen, als Maria ihr Fiat gesprochen hat: »Mir geschehe, wie du es gesagt hast«, indem sie, soweit es sie nach dem göttlichen Plan betraf, die Erhörung des Wunsches ihres Sohnes ermöglicht hat.

Maria hat dieses Fiat im Glauben gesprochen. Im Glauben hat sie sich ohne Vorbehalte Gott überantwortet und »gab sich als Magd des Herrn ganz der Person und dem Werk ihres Sohnes hin«.34 Und diesen Sohn - so lehren uns die Väter - hat sie, noch bevor sie ihn im Leib empfing, im Geist empfangen: eben durch den Glauben!35 Zu Recht also lobt Elisabet Maria: »Selig ist, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ«. Diese Worte haben sich schon erfüllt: Maria tritt über die Schwelle des Hauses Elisabets und des Zacharias als die Mutter des Sohnes Gottes. Dies ist die freudige Entdeckung Elisabets: »Die Mutter meines Herrn kommt zu mir«!


14 Deshalb kann auch der Glaube Marias mit dem Abrahams verglichen werden, den der Apostel »unseren Vater im Glauben» nennt (vgl. Rm 4,12). In der Heilsordnung der Offenbarung Gottes bildet der Glaube Abrahams den Anfang des Alten Bundes. Der Glaube Marias bei der Verkündigung eröffnet den Neuen Bund. Wie Abraham »gegen alle Hoffnung voll Hoffnung geglaubt hat, daß er der Vater vieler Völker werde« (vgl. Rm 4,18), so hat Maria, nachdem sie im Augenblick der Verkündigung ihre Jungfräulichkeit bekannt hatte ( »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?«) geglaubt, daß sie durch die Kraft des Höchsten, durch den Heiligen Geist, nach der Offenbarung des Engels die Mutter des Sohnes Gottes werden würde: »Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden« (Lc 1,35).

Doch betreffen die Worte Elisabets: »Selig ist, die geglaubt hat« nicht nur jenen besonderen Augenblick der Verkündigung. Gewiß ist dies der Höhepunkt für den Glauben Marias in der Erwartung Christi; sie ist aber auch der Ausgangspunkt, an dem ihr ganzer »Weg zu Gott«, ihr Glaubensweg insgesamt, beginnt. Und auf diesem Weg, der herausragend und wahrhaft heroisch ist, - ja, mit wachsendem Glaubensheroismus - wird sich der »Gehorsam« verwirklichen, den sie gegenüber dem Wort der göttlichen Offenbarung bekannt hat. Dieser »Gehorsam des Glaubens« von seiten Marias wird auf ihrem ganzen Weg überraschende Ähnlichkeiten mit dem Glauben Abrahams haben. Wie der Patriarch des Volkes Gottes hat auch Maria auf dem Weg ihres kindlichen und mütterlichen Fiat »geglaubt voll Hoffnung gegen alle Hoffnung«. Vor allem in einigen Etappen dieses Weges offenbart sich die Seligpreisung derjenigen, »die geglaubt hat«, mit besonderer Deutlichkeit. Glauben will besagen, sich der Wahrheit des Wortes des lebendigen Gottes zu »überantworten«, obwohl man darum weiß und demütig anerkennt, »wie unergründlich seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege sind« (Rm 11,33). Maria, die sich nach dem ewigen Willen des Höchsten sozusagen im Mittelpunkt jener »unerforschlichen Wege« und jener »unergründlichen Entscheidungen« Gottes befindet, verhält sich im Halbdunkel des Glaubens entsprechend, indem sie mit offenem Herzen alles voll und ganz annimmt, was in Gottes Plan verfügt ist.


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