Redemptoris missio 15


15 Das Reich ist darauf angelegt, die Beziehungen unter den Menschen zu verändern und verwirklicht sich schrittweise insofern sie lernen einander zu lieben, einander zu vergeben und einander zu dienen. Jesus nimmt das ganze Gesetz auf und gibt ihm im Gebot der Liebe seine Mitte (vgl. Mt 22,34-40 Lc 10,25-28). Bevor er von den Seinen scheidet, gibt er ihnen ein »neues Gebot«: »Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben« (Jn 13,14 vgl. Jn 15,12). Die Liebe, mit der Jesus die Welt geliebt hat, findet ihren höchsten Ausdruck in der Hingabe seines Lebens für die Menschen (vgl. Jn 3,16). Darum ist die Natur des Reiches die Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott.

Das Reich bezieht alle ein: die einzelnen, die Gesellschaft, die ganze Welt. Für das Reich wirken bedeutet Anerkennung und Förderung der göttlichen Dynamik, die in der Geschichte der Menschheit anwesend ist und sie umformt. Das Reich aufbauen bedeutet arbeiten zur Befreiung vom Übel in allen seinen Formen. Das Reich Gottes ist letztlich die Offenbarung und Verwirklichung seiner Heilsabsicht in ganzer Fülle.


Im Auferstandenen kommt das Reich zur Vollendung und wird durch ihn verkündet

16 Indem Gott Jesus von den Toten erweckte, hat er den Tod besiegt, und in ihm hat er sein Reich in endgültiger Weise eingesetzt. Während seines Erdenlebens ist Jesus Prophet des Reiches und nach seinem Leiden, seiner Auferstehung und Himmelfahrt hat er Anteil an der Macht Gottes und an seiner Herrschaft über die Welt (vgl. Mt 28,28 Ac 2,36 Ep 1,18-21). Die Auferstehung gibt der Botschaft Christi, seinem Handeln und seiner ganzen Sendung universale Bedeutung. Die Jünger erkennen, daß das Reich in der Person Jesu schon anwesend ist und daß es im Menschen und in der Welt mittels einer geheimnisvollen Verbindung mit ihm nach und nach eingerichtet wird.

Nach der Auferstehung predigen die Jünger vom Reich, indem sie verkünden, daß Jesus gestorben und auferstanden ist. Philippus verkündet in Samaria »das Evangelium vom Reich Gottes und vom Namen Jesu Christi« (Ac 8,12). Paulus verkündet in Rom »das Reich Gottes und trug ungehindert und mit allem Freimut die Lehre über Jesus Christus, den Herrn, vor« (Ac 28,31). Die ersten Christen verkünden »das Reich Christi und Gottes« (Ep 5,5 vgl. Off Ep 11,15 Ep 12,10) oder einfach »das ewige Reich unseres Herrn und Retters Jesus Christus« (2P 1,11). In der Verkündigung über Jesus Christus, mit dem das Reich identisch ist, findet die Verkündigung der frühen Kirche ihre Mitte. Wie damals, so gilt es auch heute, die Verkündigung über das Reich Gottes (Inhalt des »Kerygmas« Jesu) und die Verkündigung des Ereignisses Jesus Christus (»Kerygma« der Apostel) zu verbinden. Beide ergänzen sich und beleuchten einander.


Das Reich in seiner Beziehung zu Christus und zur Kirche

17 Heute spricht man viel vom Reich, aber nicht immer im Gleichklang mit kirchlichem Denken. Es gibt Auffassungen über Heil und Sendung, die man »anthroprozentrisch« in einem verkürzten Sinn dieses Begriffes nennen könnte, insofern sie auf die irdischen Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet sind. In solcher Sicht wird das Reich eher zu einer rein irdischen und säkularisierten Wirklichkeit, in der Programme und der Kampf für sozio-ökonomische, politische und kulturelle Befreiung den Ausschlag geben, aber der Horizont bleibt der Transzendenz gegenüber verschlossen. Ohne zu leugnen, daß auch auf dieser Ebene Werte zu fördern sind, bleibt diese Auffassung doch innerhalb der Grenzen eines Reiches, in dem der Mensch um seine echten und tiefen Dimensionen gebracht wird und allzu leicht einer der rein irdischen Fortschrittsideologien verhaftet bleibt. Das Reich Gottes aber ist nicht von dieser Welt, es ist nicht von hier (vgl. Jn 18,36).

Es gibt sodann jene Ansichten, die eindeutig den Akzent auf das Reich legen und sich als »reich-zentriert« bezeichnen. Sie wollen das Bild einer Kirche entwerfen, die nicht an sich selbst denkt, die vielmehr ganz damit befaßt ist, Zeugnis vom Reich zu geben und ihm zu dienen. Sie ist eine »Kirche für die anderen«, so sagt man, wie Christus der »Mensch für die anderen« ist. Man beschreibt die Aufgabe der Kirche so, als sollte sie in zwei Richtungen gehen; einerseits soll sie die sogenannten »Werte des Reiches«, wie Friede, Gerechtigkeit, Freiheit, Brüderlichkeit fördern; andererseits soll sie den Dialog unter den Völkern, Kulturen, Religionen begünstigen, damit sie sich gegenseitig bereichern und der Welt helfen, sich zu erneuern und immer mehr den Weg auf das Reich hin zu gehen.

Neben positiven Aspekten bieten diese Auffassungen oft negative Seiten. Insbesondere übergehen sie die Person Christi mit Schweigen: das Reich, von dem sie sprechen, gründet sich auf eine »Theozentrik«, weil - wie sie sagen - Christus von jenen nicht verstanden werden kann, die nicht den christlichen Glauben haben, während verschiedene Völker, Kulturen und Religionen in einer einzigen göttlichen Wirklichkeit, wie immer diese genannt werden mag, sich wiederfinden können. Aus dem gleichen Grund geben sie dem Geheimnis der Schöpfung den Vorzug, das sich in der Verschiedenheit de Kulturen und religiösen Anschauungen widerspiegelt, sagen aber nichts über das Geheimnis der Erlösung. Darüberhinaus erliegt das Reich, wie sie es verstehen, der Gefahr, die Kirche an den Rand zu drängen oder sie unterzubewerten, als Reaktion auf eine vermeintliche »Ekklesiozentrik« in der Vergangenheit, und weil sie die Kirche als bloßes Zeichen betrachten, das im übrigen nicht frei ist von Zweideutigkeiten.
18 Dies ist aber nun nicht das Reich Gottes, wie wir es von der Offenbarung her kennen: es kann weder von Christus noch von der Kirche losgelöst werden.

Wie schon gesagt, hat Christus das Reich nicht nur verkündet, in seiner Person ist es anwesend und kommt in ihr zur Vollendung. Dies nicht nur durch seine Worte und seine Taten: »Vor allem wird dieses Reich offenbar in der Person Christi selbst, des Sohnes Gottes und des Menschensohnes, der gekommen ist, "um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen" (
Mc 10,45)22 Das Reich Gottes ist nicht eine Anschauung, eine Doktrin, ein Programm, das man frei ausarbeiten kann, es ist vor allemeine Person, die das Antlitz und den Namen Jesu von Nazareth trägt, Abbild des unsichtbaren Gottes.23 Wenn man das Reich von der Person Jesu trennt, hat man nicht mehr das von ihm geoffenbarte Reich Gottes, man verkehrt schließlich entweder den Sinn des Reiches, das ein rein menschliches oder ideologisches Objekt zu werden droht, oder man verfälscht die Identität Christi, der nicht mehr als der Herr, dem alles unterzuordnen ist, erscheint (vgl. 1Co 15,27).

Ebenso kann man das Reich nicht von der Kirche loslösen. Gewiß, sie ist nicht selbst Ziel, da sie auf das Reich Gottes hingeordnet ist, dessen Wirklichkeit sie keimhaft und zeichenhaft darstellt und dessen Werkzeug sie ist. Aber bei aller klaren Unterscheidung zwischen Kirche einerseits und Christus und Reich andererseits, bleibt die Kirche doch untrennbar mit beiden verbunden. Christus hat die Kirche, seinen Leib, mit der Fülle der Heilsgüter und -mittel ausgestattet; der Heilige Geist wohnt in ihr, gibt ihr Leben mit seinen Gaben und Charismen, heiligt, leitet und erneuert sie ständig.24 Daraus resultiert eine besondere und einzigartige Beziehung, die der Kirche eine spezifische und notwendige Rolle zuweist, obschon sie das Werk Christi und des Geistes nicht auf ihre sichtbaren Grenzen einengt. Von hier aus ergibt sich auch das besondere Band zwischen Kirche und Reich Gottes und Christi, »das anzukündigen und in allen Völkern zu begründen sie die Sendung hat«.25
19 In dieser Gesamtschau kann die Wirklichkeit des Reiches verstanden werden. Es macht gewiß die Förderung der menschlichen Güter und Werte erforderlich, die man passend als »evangelisch« bezeichnen kann, weil sie aufs engste mit der frohen Botschaft verbunden sind. Aber diese Förderung, die auch der Kirche am Herzen liegt, soll nicht losgelöst werden von und nicht in Gegensatz gebracht werden zu ihren anderen grundlegenden Aufgaben, wie die Verkündigung Christi und seines Evangeliums, die Gründung und Entwicklung der Gemeinschaft, wodurch ein lebendiges Bild des Reiches unter den Menschen entsteht. Man soll nicht befürchten, auf diese Weise einer gewissen Form der »Ekklesiozentrik« zu verfallen. Paul Vl., der die Existenz »eines in die Tiefe reichenden Bandes zwischen Christus, Kirche und Evangelisierung«26 feststellt, hat ebenso gesagt, daß die Kirche »sich nicht selbst Ziel ist, daß sie sich aber eifrig bemüht, ganz Christus zu gehören, in ihm und für ihn zu sein, und ganz auf der Seite der Menschen zu stehen, unter ihnen und für sie dazusein«.27


Die Kirche im Dienst für das Reich

20 Die Kirche ist tatsächlich und konkret für den Dienst am Reich da. Sie ist es insbesondere mit der Verkündigung, die zur Bekehrung aufruft: dies ist der erste und grundlegende Dienst für das Kommen des Reiches in den einzelnen und in der menschlichen Gesellschaft. Das eschatologische Heil nimmt schon jetzt im neuen Leben in Christus seinen Anfang: »Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben« (Jn 1,12).

Die Kirche dient dem Reich sodann, indem sie auf der Welt die »evangelischen Werte« der Seligpreisungen bekanntmacht, die authentischer Ausdruck des Reiches sind und die den Menschen helfen, Gott mit seinem Vorhaben einzulassen. Es ist also wahr, daß die Wirklichkeit des Reiches in Ansätzen sich auch jenseits der Grenzen der Kirche in der gesamten Menschheit finden kann, insofern diese die »evangelischen Werte« lebt und sich der Tätigkeit des Geistes öffnet, der weht, wo und wie er will (vgl. Jn 3,9); es ist aber auch zu sagen, daß diese zeitliche Dimension des Reiches unvollständig bleibt, wenn sie nicht zusammen mit dem Reich Christi ausgesagt wird, das in der Kirche anwesend und auf die eschatologische Vollendung ausgerichtet ist.28

Die vielfältigen Aspekte des Reiches Gottes29 schwächen die Grundlagen und Ziele der missionarischen Tätigkeit nicht, sie bestärken und erweitern sie vielmehr. Die Kirche ist Sakrament des Heiles für die ganze Menschheit, und ihre Tätigkeit beschränkt sich nicht auf jene, die die Heilsbotschaft annehmen. Sie ist treibende Kraft auf dem Weg der Menschheit auf das eschatologische Reich hin, ist Zeichen und Förderin der evangelischen Werte unter den Menschen.30 Für das Einschlagen dieses Weges der Hinwendung zum Plan Gottes liefert die Kirche ihren Beitrag durch ihr Zeugnis und ihre Tätigkeit, durch Dialog, durch Förderung im menschlichen Bereich, durch Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, für Erziehung und für Pflege der Kranken, durch Sorge für die Armen und Kleinen, wobei sie die transzendentale und geistliche Wirklichkeit im Auge behält, die auf das eschatologische Heil vorbereitet.

Die Kirche dient schließlich dem Reich auch durch ihre Fürbitte, denn dieses ist seiner Natur nach Gabe und Werk Gottes, wie die Gleichnisse im Evangelium und das Gebet, das Jesus uns selbst gelehrt hat, in Erinnerung bringen. Wir müssen es erbitten, aufnehmen und in uns und in der Welt zum Wachsen bringen; wir müssen aber auch daran mitarbeiten, daß es von den Menschen angenommen wird und wächst, bis Christus »das Reich dem Vater übergibt und Gott über alles und in allem herrscht« (1Co 15,24 1Co 15,28).


Kapitel III

Der Heilige Geist als Vorkämpfer für die Missionn


21 »Auf dem Höhepunkt der messianischen Sendung Jesu wird der Heilige Geist im österlichen Geheimnis ganz als göttliche Person gegenwärtig: als derjenige, der das Heilswerk, das im Kreuzesopfer gründet, fortführen soll. Zweifelsohne wird dieses Werk von Jesus Menschen anvertraut: den Aposteln, der Kirche. Doch bleibt der Heilige Geist in diesen Menschen und durch sie der transzendental Handelnde bei der Verwirklichung dieses Werkes im Geiste des Menschen und der Weltgeschichte«.31

Der Heilige Geist ist wahrlich die Hauptperson für die ganze kirchliche Sendung: sein Werk leuchtet großartig auf in der Mission ad gentes, wie es in der ersten Kirche bei der Bekehrung des Kornelius aufscheint (vgl.
Ac 13), für die Entscheidungen bei aufkommenden Problemen (vgl. Ac 15), für die Auswahl von Ländern und Völkern (vgl. Ac 16, 6ff). Der Geist wirkt durch die Apostel, gleichzeitig aber auch in den Hörern: »Durch sein Wirken nimmt die Frohe Botschaft Gestalt im Gewissen und Herzen der Menschen an und breitet sich in der Geschichte aus. In all diesen Dimensionen macht der Heilige Geist lebendig«.32

Die Sendung im Geist »bis an die Grenzen der Erde«

(Ac 1,8)
22 Wenn die Evangelisten von Begegnungen des Auferstandenen mit den Aposteln berichten, schließen sie alle mit dem messianischen Auftrag: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern ... Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,18-20 vgl. Mc 16,15-18 Lc 24,46-49 Jn 20,21-23).

Diese Sendung ist Sendung im Geist, wie aus dem Text bei Johannes klar hervorgeht: Christus sendet die Seinen in die Welt, wie der Vater ihn gesandt hat, und darum gibt er ihnen den Geist. Lukas seinerseits verbindet das Zeugnis, das die Apostel für Christus geben sollen, eng mit dem Wirken des Geistes, das sie befähigen wird, den empfangenen Auftrag zu verwirklichen.
23 Die verschiedenen Formen des Missionsauftrages enthalten Gemeinsamkeiten und charakteristische Akzente, zwei gemeinsame Elemente finden sich aber in allen Fassungen. Vor allem die universale Dimension der den Aposteln übertragenen Aufgabe: »Alle Völker« (Mt 28,19); »die ganze Welt, allen Geschöpfen« (Mc 16,15); »alle Völker« (Lc 24,47); »bis an die Grenzen der Erde« (Ac 1,8). An zweiter Stelle ist zu nennen die vom Herrn gegebene Zusicherung, daß sie bei dieser Aufgabe nicht allein sein werden, sondern daß sie die Kraft und Ausrüstung erhalten werden, um ihre Sendung auszuführen. Das ist die Gegenwart und die Macht des Geistes und die Gegenwart Jesu: »Sie zogen aus und predigten überall. Der Herr stand ihnen bei« (Mc 16,20).

Was die unterschiedlichen Akzente für den Missionsauftrag betrifft, so stellt Markus die Sendung als Ausrufung oder Kerygma dar: »Verkündet das Evangelium« (Mc 16,15). Ziel des Evangelisten ist es, den Leser dazu zu bringen, das Bekenntnis des Petrus zu wiederholen: »Du bist der Messias« (Mc 8,29) und wie der römische Hauptmann in Gegenwart des am Kreuz gestorbenen Jesus zu sagen: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn« (Mc 15,39). Bei Matthäus liegt der missionarische Akzent auf der Gründung der Kirche und der Unterweisung (vgl. Mt 28,19-20 Mt 16,18): bei ihm also macht der Auftrag deutlich, daß die Verkündigung des Evangeliums durch eine spezifisch kirchliche und sakramentale Unterweisung ergänzt werden muß. Bei Lukas wird die Sendung als Zeugnis dargestellt (vgl. Lc 24,48 Ac 1,8), das besonders die Auferstehung betrifft (vgl. Ac 1,22). Der mit der Sendung Beauftragte ist aufgerufen, an die verwandelnde Kraft des Evangeliums zu glauben und das zu verkünden, was Lukas gut zur Darstellung bringt, nämlich die Hinwendung zur Liebe und Barmherzigkeit Gottes, zur Erfahrung einer umfassenden Befreiung, die bis auf den Grund allen Übels reicht, die Sünde.

Johannes ist der einzige, der ausdrücklich vom »Auftrag« spricht, einem Wort, das mit »Mission« gleichbedeutend ist und die Sendung, die Jesus den Seinen aufträgt, unmittelbar mit jener verbindet, die er selbst vom Vater empfangen hat: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Jn 20,21). Jesus spricht zum Vater: »Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt« (Jn 17,18). Die ganze Bedeutung der Sendung im Johannesevangelium kommt im Hohenpriesterlichen Gebet zum Ausdruck: »Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast« (Jn 17,3). Letzter Sinn der Sendung ist es, Anteil zu geben an der Gemeinschaft, die zwischen Vater und Sohn besteht. Die Jünger sollen die Einheit untereinander leben, sie sollen im Vater und im Sohn »bleiben«, damit die Welt erkennt und glaubt (vgl. Jn 17,21-23). Dies ist ein bezeichnender missionarischer Text. Er läßt begreifen, daß man Missionar zuallererst ist durch das, was man ist, als Kirche, die zutiefst die Einheit der Liebe lebt, bevor man es ist durch das, was man sagt oder tut.

Die vier Evangelien weisen also bei der grundsätzlichen Einheitlichkeit der Darstellung der Mission Unterschiede auf, die verschiedene Erfahrungen und Situationen in den ersten christlichen Gemeinden widerspiegeln. Sie ist auch Frucht des dynamischen Antriebs durch denselben Geist; sie weist auch darauf hin, auf die verschiedenen missionarischen Charismen und die unterschiedlichen menschlichen Verhältnisse zu achten. Aber alle Evangelisten betonen, daß die Sendung der Jünger ein Mitwirken mit der Sendung Christi ist: »Seid gewiß, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Die Sendung gründet sich demnach nicht auf menschliche Fähigkeit, sondern auf die Macht des auferstandenen Herrn.


Der Geist hat die führende Rolle bei der Sendung

24 Die Sendung der Kirche ist, wie die Jesu, Werk Gottes oder, wie Lukas oft schreibt, Werk des Geistes. Nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu machen die Apostel eine intensive Erfahrung, die sie umwandelt: Pfingsten. Die Ankunft des Heiligen Geistes macht aus ihnen Zeugen und Propheten (vgl. Ac 1,8 Ac 2,17-18). Sie sind beseelt von einer unaufdringlichen Kühnheit, die sie anleitet, anderen ihre Erfahrungen mit Jesus und die Hoffnung, die sie erfüllt, mitzuteilen. Der Geist macht sie fähig, für Jesus »freimütig« Zeugnis abzulegen.33

Als die Verkünder der Botschaft aus Jerusalem hinausziehen, übernimmt der Geist noch mehr die Führerrolle, sei es in der Auswahl der Personen oder der zu beschreitenden Wege in der Mission. Sein Wirken zeigt sich insbesondere im Anstoß zur Mission, die nach den Worten Christi von Jerusalem aus sich über ganz Judäa und Samaria bis an die äußersten Enden der Erde ausbreitet.

Die Apostelgeschichte bietet sechs zusammenfassende Berichte von »Missionsreden«, die in den Anfängen der Kirche an die Juden gerichtet sind (vgl. Ac 2,22-39 Ac 3,12-26 Ac 4,9-12 Ac 5,29-32 Ac 10,34-43 Ac 13,16-41). Diese Reden können als Modelle gelten, die von Petrus und Paulus gehalten wurden. Sie verkünden Jesus, rufen zur »Bekehrung«, d.h. Jesus soll im Glauben aufgenommen werden und vom Geist soll man sich in ihn umwandeln lassen.

Paulus und Barnabas werden vom Geist zu den Heiden gedrängt (vgl. Ac 13,46-48), was nicht ohne Spannungen und Probleme vor sich geht. Wie sollen die bekehrten Heiden ihren Glauben an Jesus leben? Sind sie an die jüdische Tradition gebunden und an das Gesetz der Beschneidung? Beim ersten Konzil, das um die Apostel Mitglieder verschiedener Kirchen versammelt, wird eine Entscheidung gefällt, die als vom Geist stammende anerkannt wird: es ist nicht nötig, daß ein Heide sich dem jüdischen Gesetz unterwirft, um Christ zu werden (vgl. Ac 15,5-11). Von da an öffnet die Kirche ihre Tore und wird das Haus, in das alle eintreten und sich zu Hause fühlen können, indem sie die eigene Kultur und die eigene Tradition beibehalten, sofern diese nicht im Gegensatz zum Evangelium stehen.
25 Die Missionare sind dieser Linie gefolgt und halten sich stets die Erwartungen und Hoffnungen, die Sorgen und Leiden, die Kultur der Menschen gegenwärtig, um ihnen das Heil in Christus zu verkünden. Die Reden in Lystra und Athen (vgl. Ac 14,11-17 Ac 17,22-31) werden als Muster der Evangelisierung bei den Heiden angesehen: Paulus kommt mit den Kulturen und religiösen Werten verschiedener Völker ins Gespräch. Den Bewohnern von Lykaonien, die eine kosmische Religion praktizierten, bringt er religiöse Erfahrungen in Erinnerung, die sich auf den Kosmos beziehen; mit den Griechen spricht er über Philosophie und zitiert ihre Dichter (vgl. Ac 17,18 Ac 17,26-28). Der Gott, den er ihnen offenbaren will, ist in ihrem Leben schon anwesend: er hat sie nämlich geschaffen und leitet geheimnisvoll die Völker und die Geschichte (vgl. Ac 14,16-17); dennoch sollen sie, um den wahren Gott zu erkennen, ihre falschen, von ihnen selbst verfertigten Götter verlassen und sich für jenen öffnen, den Gott gesandt hat, um ihrer Unwissenheit abzuhelfen und die Erwartung ihres Herzens zu erfüllen (vgl. Ac 17,20 Ac 17,30). Dies sind Reden, die als Beispiele für die Inkulturation des Evangeliums gelten können.

Unter dem Drängen des Geistes öffnet sich der christliche Glaube mit Entschiedenheit gegenüber den »Völkern«, und das Zeugnis von Christus gelangt zu den wichtigsten Zentren des östlichen Mittelmeeres, um dann nach Rom und den äußersten Westen zu kommen. Der Geist drängt dazu, immer weiter zu gehen, nicht nur im geographischen Sinne, sondern auch dazu, ethnische und religiöse Barrieren zugunsten einer wahrhaft universalen Mission zu überwinden.


Der Geist erweist die Kirche insgesamt als Missionskirche

26 Der Geist drängt die Gruppe der Glaubenden dazu, »Gemeinde zu bilden«, Kirche zu sein. Nach der ersten Verkündigung von Petrus am Pfingsttag und den Bekehrungen, die darauf folgten, bildet sich die erste Gemeinde (vgl. Ac 2,42-47 Ac 4,32-35).

Es ist in der Tat eines der wichtigsten Ziele der Mission, das Volk zum Hören der Frohbotschaft, zur brüderlichen Gemeinschaft, zum Gebet und zur Eucharistie zu versammeln. »Brüderliche Gemeinschaft« (koinonia) leben bedeutet, »ein Herz und eine Seele« haben (Ac 4,32), eine Gemeinschaft unter allen humanen, spirituellen und materiellen Gesichtspunkten aufbauen. Wahrhaft christliche Gemeinde ist auch um die Teilung der irdischen Güter bemüht, damit es keine Notleidenden gebe und alle »je nach Bedarf« Zugang zu diesen Gütern haben (Ac 2,45 4,35, Ac 11,27-30). Die ersten Gemeinden, in denen »die Freude und die Einfachheit des Herzens« vorherrschten (Ac 2,46), besaßen eine dynamische und missionarische Offenheit: »Sie waren beim ganzen Volk geschätzt« (Ac 2,47). Mission bedeutet noch vor aller Aktivität Zeugnis und Ausstrahlung.34
27 In der Apostelgeschichte gibt es Hinweise darauf, daß die Mission, die sich zunächst an Israel und dann an die anderen Völker wandte, sich auf mehreren Ebenen entfaltet. Da sind zuallererst die Zwölf, die vereint unter der Leitung des Petrus die Frohe Botschaft verkünden. Da ist weiters die Gemeinde der Gläubigen, die mit ihrer Art zu leben und zu handeln den Herrn bezeugt und die Heiden bekehrt (vgl. Ac 2,46-47). Weiters gibt es Sonderbeauftragte, die für die Verkündigung des Evangeliums bestimmt werden. So sendet die christliche Gemeinde von Antiochien ihre Mitglieder in die Mission: nach Fasten, Gebet und Eucharistiefeier stellt sie fest, daß der Geist Paulus und Barnabas für die Sendung ausgewählt hat (vgl. Ac 13,1-4). Die Mission ist also in ihren Anfängen als Aufgabe der Gemeinde, als Verantwortung der Ortskirche angesehen worden. Die Gemeinde braucht »Missionare«, um sich auszubreiten. Neben diesen Ausgesandten gab es auch solche, die spontan die ihr Leben verändernde Neuheit bezeugten und die die im Entstehen begriffenen Gemeinden mit der Apostolischen Kirche in Verbindung brachten.

Die Apostelgeschichte gibt uns zu verstehen, daß es in der Mission ad gentes am Anfang der Kirche zwar Missionare »auf Lebenszeit« gibt, die sich ihr aufgrund einer speziellen Berufung widmen, daß die Mission aber gleichzeitig als eine ganz selbstverständliche Frucht des christlichen Lebens, als Auftrag an jeden Gläubigen angesehen wurde, durch seine Lebensführung und wenn möglich durch ausdrückliche Verkündigung ein persönliches Glaubenszeugnis zu geben.


Der Geist ist zu jeder Zeit und an jedem Ort gegenwärtig und am Werk

28 Der Geist zeigt sich in besonderer Weise in der Kirche und in ihren Mitgliedern; jedoch ist seine Gegenwart und sein Handeln allumfassend, ohne Begrenzung durch Raum und Zeit.35 Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert an das Wirken des Geistes im Herzen jedes Menschen, durch »die Samen des Wortes«, auch durch religiöse Anregungen, durch Anstrengungen allen menschlichen Handelns, sofern es auf die Wahrheit, auf das Gute, auf Gott ausgerichtet ist.36

Der Geist gibt dem Menschen »Licht und Kraft, um auf seine höchste Berufung zu antworten«; durch den Geist »kann der Mensch im Glauben zum Betrachten und Verkosten des Geheimnisses des Göttlichen Heilsplanes gelangen«; überdies »müssen wir annehmen, daß der Heilige Geist allen die Möglichkeit bietet, mit dem Ostergeheimnis in Berührung zu kommen in einer Weise, die nur Gott kennt«;37 in jedem Fall weiß die Kirche, »daß der Mensch, vom Geist Gottes angespornt, vom Problem der Religion nicht völlig unberührt bleiben« und »daß er immer den Wunsch haben wird, wenigstens in Umrissen zu erkennen, was der Sinn seines Lebens, seines Tuns, seines Todes sei«.38 Der Geist steht also am Ursprung der Existenz und Glaubensfrage jedes Menschen, die sich ihm nicht nur in bestimmten Situationen, sondern aus der Struktur seines Daseins selbst stellt.39

Die Gegenwart und das Handeln des Geistes berühren nicht nur einzelne Menschen, sondern auch die Gesellschaft und die Geschichte, die Völker, die Kulturen, die Religionen. Der Geist steht ebenso am Ursprung edler Ideale und guter Initiativen der Menschheit auf deren Wege: »In wunderbarer Vorsehung lenkt er den Weg der Zeiten und erneuert er das Gesicht der Erde«.40 Der auferstandene Christus »wirkt im Herzen der Menschen in der Kraft seines Geistes, indem er nicht nur den Wunsch nach einer zukünftigen Welt weckt, sondern dadurch auch jene großmütigen Gedanken inspiriert, reinigt und festigt, durch die die Menschheitsfamilie das eigene Leben menschlicher zu gestalten und die ganze Welt diesem Ziele unterzuordnen versucht«.41 Und nochmals: es ist der Geist, der »die Samen des Wortes« aussät, die in den Riten und Kulturen da sind und der sie für ihr Heranreifen in Christus bereit macht.42
29 So leitet uns der Geist, der »weht, wo er will« (Jn 3,8), der »in der Welt wirkte, noch bevor Christus verherrlicht wurde«,43 der »das Universum, alles umfassend, erfüllt und jede Stimme kennt« (Sg 1,7), dazu an, unseren Blick zu erweitern, um so sein zu jeder Zeit und an jedem Ort vorhandenes Wirken in Betracht zu ziehen. Es ist ein Aufruf, den ich selbst wiederholt gemacht habe44 und der mich bei den Begegnungen mit den verschiedensten Völkern geleitet hat. Das Verhältnis der Kirche zu anderen Religionen ist bestimmt von einem doppelten Respekt: »dem Respekt vor dem Menschen bei seiner Suche nach Antworten auf die tiefsten Fragen des Lebens und vom Respekt vor dem Handeln des Geistes im Menschen«.45 Die Begegnung zwischen den Religionen in Assisi wollte unmißverständlich meine Überzeugung bekräftigen, daß »jedes authentische Gebet vom Heiligen Geist geweckt ist, der auf geheimnisvolle Weise im Herzen jedes Menschen gegenwärtig ist«.46

Es ist derselbe Geist, der bei der Menschwerdung, im Leben, im Tode und bei der Auferstehung Jesu mitgewirkt hat und der in der Kirche wirkt. Er ist nicht eine Alternative zu Christus, er füllt nicht eine Lücke aus zwischen Christus und dem Logos, wie manchmal angenommen wird. Was immer der Geist im Herzen der Menschen und in der Geschichte der Völker, in den Kulturen und Religionen bewirkt, hat die Vorbereitung der Verkündigung zum Ziel47 und geschieht in bezug auf Christus, das durch das Wirken des Geistes fleischgewordene Wort, »um Ihn zu erwirken, den vollkommenen Menschen, das Heil aller und die Zusammenführung des Universums«.48

Das universale Wirken des Geistes darf andererseits nicht getrennt werden von der Eigenart des Wirkens am Leib Christi, der die Kirche ist. Denn es ist immer der Geist, der wirkt, sei es daß er die Kirche belebt und sie zur Verkündigung Christi drängt, sei es daß er seine Gaben auf alle Menschen und Völker ausbreitet und sie entfaltet, indem er die Kirche durch den Dialog anleitet, diese Gaben zu entdecken, zu fördern und anzunehmen. Jede Gegenwart des Geistes muß mit Achtung und Dankbarkeit aufgenommen werden. Seine Unterscheidung ist aber eine Aufgabe der Kirche, der Christus seinen Geist gegeben hat, um sie zur vollen Wahrheit zu führen (vgl. Jn 16,13).

Die Missionstätigkeit steht erst in den Anfängen

30 In unserer Zeit, mit einer Menschheit in Bewegung und auf der Suche, braucht es einen neuen Anstoß zur Missionstätigkeit der Kirche. Die Horizonte und die Möglichkeiten der Mission weiten sich aus, und wir Christen sind aufgerufen zu apostolischem Mut, der auf das Vertrauen in den Geist gegründet ist. Er ist die Hauptfigur der Mission!

Zahlreich sind in der Geschichte der Menschheit die Zeitenwenden, die zu einer missionarischen Dynamik anregen. Die Kirche hat, geführt vom Geist, darauf immer mit Großmut und Weitblick geantwortet. Es gab dabei gute Ergebnisse. Vor kurzem wurde die Tausendjahrfeier der Evangelisierung Rußlands und der Slawischen Völker begangen. Derzeit bereiten wir die Feier des fünfhundertsten Jahrestages der Evangelisierung Amerikas vor. In der letzten Zeit gab es auch festliche Jahrhundertfeiern im Gedenken an die ersten Missionen in verschiedenen Ländern Asiens, Afrikas und Ozeaniens. Heute sieht die Kirche sich mit anderen Herausforderungen konfrontiert; sie muß zu neuen Ufern aufbrechen, sei es in ihrer Erstmission ad gentes, sei es in der Neuevangelisierung von Völkern, die die Botschaft von Christus schon erhalten haben. Heute wird von allen Christen, von den Ortskirchen und von der Weltkirche derselbe Mut verlangt, der die Missionare der Vergangenheit bewegt hat und dieselbe Verfügbarkeit, um die Stimme des Geistes zu hören.


Kapitel IV

Das unbegrenzte Ausmaß der Mission ad gentes


31 Jesus der Herr sendet seine Apostel zu allen Menschen, zu allen Völkern und in alle Gegenden der Welt. Mit den Aposteln erhielt die Kirche eine weltweite Sendung, die keine Grenzen kennt und die das Heil in seiner ganzen Fülle betrifft, entsprechend jener Fülle des Lebens, die die Ankunft Christi gebracht hat (vgl. Jn 10,10): die Kirche wurde »ausgesandt, um die Liebe Gottes allen Menschen und allen Völkern der Erde zu offenbaren und weiterzugeben«.49

Es ist ein und dieselbe Mission mit demselben Ursprung und demselben Ziel; aber innerhalb von ihr gibt es verschiedene Aufgaben und Tätigkeiten. Vor allem ist es die Missionstätigkeit, die wir unter Berufung auf das Konzilsdekret als Missio ad gentes bezeichnen. Es handelt sich dabei um eine wesentliche und nie abgeschlossene Haupttätigkeit der Kirche. Denn die Kirche »kann sich der dauerhaften Sendung, allen das Evangelium zu bringen, die Christus, den Erlöser der Menschen, noch nicht kennen - es sind Millionen und Abermillionen von Männern und Frauen - nicht entziehen. Das ist die ganz spezifische Missionsaufgabe, die Jesus seiner Kirche anvertraut hat und täglich anvertraut«.50


Ein komplexes und in Bewegung geratenes religiöse Bild

32 Wir befinden uns heute vor einer stark veränderten und schillernden religiösen Situation: die Völker sind in Bewegung; soziale und religiöse Wirklichkeiten, die früher klar definiert waren, entwickeln sich zu komplexen Situationen. Man denke dabei nur an einige Phänomene wie die Verstädterung, die Massenwanderungen, die Flüchtlingsbewegung, die Entchristlichung von Ländern mit alter christlicher Tradition, an den deutlich erkennbaren Einfluß des Evangeliums und seiner Werte in Ländern mit größtenteils nichtchristlicher Mehrheit, an das Umsichgreifen von Messianismen und religiösen Sekten. Es geht eine Umwälzung von sozialen und religiösen Situationen vor sich, die es schwer macht, gewisse kirchliche Unterscheidungen und Kategorien, an die man gewöhnt war, konkret anzuwenden. Schon vor dem Konzil sagte man von einigen Hauptstädten oder christlichen Ländern, sie seien »Missionsländer« geworden. Die Situation hat sich in den darauffolgenden Jahren sicher nicht verbessert.

Andererseits hat die Missionstätigkeit in allen Teilen der Welt reiche Früchte gebracht; deshalb gibt es tief verwurzelte, zum Teil so gefestigte und gereifte Kirchen, daß sie sowohl für die Bedürfnisse der eigenen Gemeinden als auch für die Aussendung von Personal zur Evangelisierung in anderen Kirchen und Gebieten gut gerüstet sind. Dies im Kontrast zu Gebieten der alten Christenheit, deren Neuevangelisierung notwendig geworden ist. Inzwischen fragen sich nicht wenige, ob man noch von spezifischer Missionstätigkeit oder von abgrenzbaren Bereichen sprechen könne, oder ob man nicht zugeben müsse, daß es nur eine einheitliche Missionssituation und folglich auch nur eine einheitliche, überall gleiche Sendung gebe. Die Schwierigkeit, diese komlexe und veränderliche Realität in bezug auf den Auftrag zur Evangelisierung zu deuten, zeigt sich bereits im »Missionsvokabular«: es gibt zum Beispiel eine gewisses Zögern im Gebrauch der Ausdrücke »Missionen« und »Missionare«; sie werden als überholt und von negativen historischen Resonanzen belastet angesehen. Man zieht es vor, zur Kennzeichnung des Wirkens der Kirche generell das Hauptwort »Mission« in der Einzahl und das Eigenschaftswort »missionarisch« zu verwenden.

Diese Not weist auf eine tatsächliche Veränderung hin, die auch positive Aspekte hat. Die sogenannte Rückkehr oder »Wiederbeheimatung« der Missionen in die Sendung der Kirche, das Einfließen der Missiologie in die Ekklesiologie und die Einbindung beider in den trinitarischen Heilsplan haben die Missionstätigkeit selbst neu aufatmen lassen; sie wird nicht als eine Aufgabe am Rande der Kirche begriffen, sondern eingebunden in das Herz ihres Lebens; sie wird als wesentliche Verpflichtung des gesamten Volkes Gottes verstanden. Man muß sich jedoch vor der Gefahr hüten, die sehr verschiedenen Situationen auf die gleiche Stufe zu stellen und die Mission sowie die Missionare ad gentes zu reduzieren, wenn nicht gar verschwinden zu lassen. Die Feststellung, daß die ganze Kirche eine Missionskirche ist, schließt nicht aus, daß es eine spezifische Mission ad gentes gibt; so wie die Feststellung, daß alle Katholiken Missionare sein sollen, nicht ausschließt, sondern im Gegenteil erfordert, daß es aufgrund einer spezifischen Berufung »Missionare ad gentes und auf Lebenszeit« geben soll.



Redemptoris missio 15