Redemptoris missio 47


47 Die Apostel luden, bewegt vom Heiligen Geist, alle zur Änderung des Lebens, zur Bekehrung und zum Empfang der Taufe ein. Sofort nach dem Pfingstereignis spricht Petrus in überzeugender Weise zu der Menge: »Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder? Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden. Dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen« (Ac 2,37-38). Und er taufte an jenem Tag ungefähr dreitausend Menschen. Ein anderes Mal spricht Petrus nach der Heilung eines Gelähmten zu der Menge und wiederholt: »Kehrt also um und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden!« (Ac 3,19).

Die Bekehrung zu Christus ist eng mit der Taufe verbunden: diese Verbindung besteht nicht nur wegen der Praxis der Kirche, sondern aufgrund des Willens Christi und seines Aussendungsauftrags, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen und sie zu taufen (vgl. Mt 28,19); sie besteht auch aus einem inneren Zusammenhang heraus, um die Fülle des neuen Lebens in ihm zu erhalten: »Amen, Amen, ich sage dir - spricht Jesus zu Nikodemus -: wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes eingehen« (Jn 3,5). Die Taufe schafft uns in der Tat neu zum Leben als Kinder Gottes. Sie verbindet uns mit Jesus Christus und salbt uns im Heiligen Geist. Die Taufe ist nicht einfach die Besiegelung der Bekehrung, gleichsam ein äußerliches Zeichen der Bestätigung; sie ist vielmehr das Sakrament, das diese Neugeburt im Geist bezeichnet und bewirkt, das reale und unlösbare Bande mit der Trinität knüpft und die Getauften zu Gliedern Christi und seiner Kirche macht.

An all das muß erinnert werden, da nicht wenige gerade dort, wo sich die Mission ad gentes entfaltet, dazu neigen, die Bekehrung zu Christus von der Taufe zu trennen, letztere als nicht notwendig zu bezeichnen. Es ist wahr, daß in bestimmten Gegenden soziologische Aspekte bezüglich der Taufe zu beobachten sind, die den wahren Sinn des Glaubens eher verdunkeln. Das rührt von verschiedenen historischen und kulturellen Faktoren her, die - wo sie noch vorhanden sind - zu beseitigen sind, damit das Sakrament der geistlichen Neugeburt in seiner vollen Bedeutung erscheine. Dieser Aufgabe müssen sich die lokalen kirchlichen Gemeinschaften widmen. Es ist auch wahr, daß nicht wenige Menschen zugeben, innerlich Christus und seiner Botschaft verpflichtet zu sein; aber sie wollen es nicht im Sakrament sein, weil sie aufgrund ihrer Vorurteile oder der Schuld von Christen die wahre Natur der Kirche als Geheimnis des Glaubens und der Liebe nicht zu erfassen vermögen.77 Ich möchte diese Menschen ermutigen, sich Christus voll zu öffnen und sie daran erinnern, daß - wenn sie die Faszination Christi spüren - er selbst die Kirche als den »Ort« gewollt hat, an dem man ihm tatsächlich begegnen kann. Gleichzeitig lade ich die Gläubigen und die christlichen Gemeinden ein, Christus mit ihrem neuen Leben glaubhaft zu bezeugen.

Sicher, jeder Bekehrte ist ein Geschenk auch an die Kirche und bedeutet für sie eine schwere Verantwortung; nicht nur, weil er im Katechumenat auf die Taufe vorbereitet und dann durch religiöse Unterweisung begleitet werden muß, sondern auch weil er, speziell als Erwachsener, mit neuer Energie die Begeisterung des Glaubens mitbringt und den Wunsch, in der Kirche selbst ein gelebtes Evangelium vorzufinden. Es wäre für ihn eine Enttäuschung, wenn er, der in die kirchliche Gemeinschaft eingetreten ist, dort ein müdes, freudloses, nicht erneuerungsbereites Leben anträfe. Wir können nicht die Bekehrung predigen, wenn wir uns nicht selbst jeden Tag bekehren.


Bildung von Ortskirchen

48 Bekehrung und Taufe gliedern in die Kirche ein, wo sie schon besteht, oder erfordern die Bildung neuer Gemeinden, die Jesus als Herrn und Heiland bekennen. Dies ist Teil des Heilsplans Gottes, dem es gefallen hat, »die Menschen nicht bloß als einzelne zur Teilhabe an seinem Leben zu rufen, sondern sie zu einem Volk zu bilden, in dem seine Kinder, die verstreut waren, in eins versammelt werden sollen«.78

Die Mission ad gentes hat das Ziel, christliche Gemeinden zu gründen und Kirchen zu entfalten bis zu ihrer vollendeten Reifung. Dies ist ein Hauptanliegen und bestimmt das missionarische Handeln in dem Maße, daß es nur dann als erfüllt gelten kann, bis es gelingt, neue Ortskirchen zu errichten, die im lokalen Umfeld angemessen ihre Funktion wahrnehmen. Davon ist im Dekret Ad Gentes ausführlich die Rede,79 und nach dem Konzil unterstrich die theologische Entwicklung, daß das Mysterium der Kirche in jeder Teilkirche enthalten ist, sofern sie sich nicht isoliert, sondern in Gemeinschaft mit der Gesamtkirche bleibt und ihrerseits missionarisch wird. Es handelt sich dabei um ein großes und langwieriges Unternehmen. Und es ist schwierig, genau die Phasen anzugeben, in denen das missionarische Handeln im engeren Sinn aufhört und in normale Seelsorge übergeht. Einige Punkte jedoch müssen klar bleiben.

49 Es ist vor allem notwendig zu versuchen, überall christliche Gemeinden zu errichten, die »Zeichen der Gegenwart Gottes in der Welt«80 sein und sich zu Kirchen entwickeln sollen. Trotz der großen Zahl der Diözesen gibt es weite Gebiete, in denen Ortskirchen entweder völlig fehlen oder angesichts der Weite des Territoriums oder der Bevölkerungsdichte bzw. -vielfalt unzureichend sind. Die kirchengeschichtliche Phase der plantatio Ecclesiae ist nicht abgeschlossen; sie ist vielmehr bei vielen Menschengruppen erst zu beginnen.

Die Verantwortung für eine solche Aufgabe tragen sowohl die Gesamtkirche als auch die Teilkirchen, das gesamte Volk Gottes wie die verschiedenen missionarischen Kräfte. Jede Kirche - auch jene, die aus Neubekehrten besteht - ist ihrer Natur nach missionarisch, hat das Evangelium empfangen und trägt es weiter. Der Glaube erweist sich immer als Geschenk Gottes, das in Gemeinschaft (Familie, Pfarreien, Vereinigungen) gelebt werden und im Zeugnis des Lebens und des Wortes nach außen strahlen soll. Das Verkünden des Evangeliums durch die christliche Gemeinde - zunächst in ihrem eigenen Gebiet und schließlich auch anderswo - ist Teilhabe an der allgemeinen Mission und so das deutlichste Zeichen für die Reife des Glaubens. Es bedarf einer radikalen Umkehr der Geisteshaltung, um Missionar zu werden - das gilt für Personen wie für Gemeinden. Der Herr ruft uns unaufhörlich, aufzubrechen aus unserer Selbstverfangenheit, um mit den anderen zu teilen, was wir haben, beginnend mit dem Kostbarsten: dem Glauben. An diesem missionarischen Auftrag sind alle kirchlichen Organe, Bewegungen, Pfarren und apostolische Werke zu messen. Nur indem sie missionarisch wird, kann die christliche Gemeinschaft innere Spaltungen und Spannungen überwinden und ihre Einheit sowie Glaubenskraft wiederfinden.

Die missionarischen Kräfte, die von anderen Kirchen und Ländern ausgehen, müssen in Verbindung mit den Ortskirchen wirken für die Entwicklung der christlichen Gemeinschaft. Besonders kommt es ihnen zu - stets gemäß den Weisungen der Bischöfe und in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort - die Verbreitung des Glaubens und die Ausbreitung der Kirche in nichtchristlichem Umfeld voranzutreiben, auf die Ortskirchen im missionarischen Geist einzuwirken, damit die pastorale Sorge immer ausgerichtet sei auf jene für die Mission ad gentes. Jede Kirche mache sich die Sorgen Christi, des Guten Hirten, zueigen, der sich der eigenen Herde annimmt, aber zugleich auch sorgt um alle »anderen Schafe, die nicht aus diesem Stall sind« (
Jn 10,16).
50 Diese Sorge bildet Motiv und Antrieb für eine erneute ökumenische Aufgabe. Die bestehenden Bindungen zwischen ökumenischer und missionarischer Aktivität machen es notwendig, zwei Begleitfaktoren in Betracht zu ziehen. Zum einen muß man anerkennen, daß »die Spaltung der Christen ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen ist und vielen den Zugang zum Glauben verschließt«.81 Die Tatsache, daß die frohe Botschaft der Versöhnung von den untereinander gespaltenen Christen verkündet wird, vermindert ihre Zeugniskraft; daher muß dringend für die Einheit der Christen gearbeitet werden, damit die missionarische Aktivität überzeugender wirkt. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, daß eben diese Anstrengungen um die Einheit schon aus sich ein Zeichen der Versöhnung darstellen, die Gott unter ihnen wirkt.

Zum anderen darf nicht übersehen werden, daß all jene, die die Taufe in Christus empfangen haben, untereinander eine gewisse, wenn auch unvollkommene Gemeinschaft bilden. Darauf gründet die vom Konzil gegebene Ausrichtung: »Die Katholiken sollen mit den von ihnen getrennten Brüdern, gemäß den Richtlinien des Dekretes über den Ökumenismus, brüderlich zusammenarbeiten im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens an Gott und an Jesus Christus vor den Heiden, soweit dies vorhanden ist, ebenso im Zusammenwirken in sozialen und technischen sowie kulturellen und religiösen Dingen, wobei man jeden Anschein von Indifferentismus und Verwischung sowie ungesunder Rivalität vermeiden muß«.82

Das ökumenische Bemühen und das mit der Lehre Christi übereinstimmende Zeugnis von Christen, die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften angehören, haben schon reiche Früchte getragen. Aber es wird immer dringlicher, daß sie zusammenarbeiten und gemeinsam Zeugnis ablegen in dieser Zeit, in der christliche und außerchristliche Sekten Verwirrung stiften. Die Ausbreitung dieser Sekten stellt eine Bedrohung für die katholische Kirche und für alle kirchlichen Gemeinschaften dar, mit denen sie einen Dialog führt. Wo immer es möglich ist und gemäß den örtlichen Umständen, wird die Antwort selbst eine ökumenische sein können.



»Kirchliche Basisgemeinden« Verkünder des Evangeliums

51 Die kirchlichen Basisgemeinden (bekannt auch unter anderen Namen) wachsen rasch in den jungen Kirchen. Sie werden von den Bischöfen und deren Konferenzen mitunter als pastorale Priorität gefördert und bewähren sich als Zentren der christlichen Ausbildung und missionarischen Ausstrahlung. Es handelt sich dabei um Gruppen von Christen, die sich auf familiärer Ebene oder in begrenztem Umkreis treffen, um zu beten, die Heilige Schrift zu lesen, das Glaubenswissen zu vertiefen und menschliche und kirchliche Probleme im Hinblick auf ein gemeinsames Engagement zu besprechen. Sie sind Zeichen für die Lebendigkeit der Kirche, Hilfe für die Ausbildung und bei der Verkündigung des Evangeliums und wertvoller Ausgangspunkt für eine neue Gesellschaft, die gegründet ist auf die »Zivilisation der Liebe«.

Solche Gemeinden gliedern und prägen die Pfarrgemeinde, mit der sie stets verbunden bleiben. Sie wurzeln in städtischen und ländlichen Schichten und werden Sauerteig des christlichen Lebens, der Aufmerksamkeit für die Vernachlässigten und des Engagements für die Umwandlung der Gesellschaft. In ihnen erfährt der einzelne Christ Gemeinschaft, fühlt sich selbst als aktives Element und wird angeregt, an der Aufgabe für alle mitzuwirken. Auf diese Weise sind die Basisgemeinden Hilfe zur ersten und zur vertieften Verkündigung des Evangeliums und Ursprung neuer Dienste. Getrieben von der Liebe Christi, bieten sie auch Hilfe an, wie man Spaltungen, Stammesegoismen und Rassismen überwinden kann. Jede Gemeinschaft, die christlich sein will, muß in der Tat in Christus gründen und in ihm leben, im Hören des Wortes Gottes, im Gebet, das seine Mitte in der Eucharistie hat, in der Gemeinschaft, die einig ist in Herz und Sinn, und im Teilen untereinander, entsprechend den Bedürfnissen der Mitglieder (vgl.
Ac 2,42-47). Jede Gemeinde - daran erinnerte Paul VI. - muß in Einheit mit der Teil- und der Gesamtkirche leben, in aufrichtiger Gemeinschaft mit den Hirten und dem Lehramt; dabei bemüht sie sich, missionarisch zu wirken und jede ideologische Abschließung oder Instrumentalisierung zu vermeiden.83 »Da die Kirche Gemeinschaft ist, sind die neuen Basisgemeinden, die wirklich in Einheit mit der Kirche leben, ein wahrer Ausdruck der Gemeinschaft und Mittel, um eine noch tiefere Gemeinschaft zu bilden. Daher geben sie Grund zu großer Hoffnung für das Leben der Kirche«.84


Das Evangelium in den Kulturen der Völker lebendig werden lassen

52 Bei ihrer Mission unter den Völkern trifft die Kirche auf verschiedene Kulturen und wird in den Prozeß der Inkulturation eingebunden. Diese hat als Erfordernis den gesamten geschichtlichen Weg der Kirche geprägt, ist aber heute besonders wichtig und dringlich.

Der Prozeß der Einfügung der Kirche in die Kulturen der Völker verlangt viel Zeit. Es handelt sich ja nicht nur um eine äußere Anpassung, denn Inkulturation »bedeutet die innere Umwandlung der authentischen kulturellen Werte durch deren Einfügung ins Christentum und die Verwurzelung des Christentums in den verschiedenen Kulturen«.85 Sie ist also ein tiefgreifender und umfassender Prozeß, der sowohl die christliche Botschaft als auch die Betrachtung und die Praxis der Kirche betrifft. Es handelt sich aber auch um einen schwierigen Prozeß, da die Eigenart und Vollständigkeit des christlichen Glaubens auf keine Weise geschmälert werden dürfen.

Durch die Inkulturation macht die Kirche das Evangelium in den verschiedenen Kulturen lebendig und führt zugleich die Völker mit ihren Kulturen in die Gemeinschaft mit ihr ein86 und überträgt ihnen die eigenen Werte, indem sie aufnimmt, was in diesen Kulturen an Gutem ist, und sie von innen her erneuert.87 Ihrerseits wird die Kirche durch die Inkulturation immer verständlicheres Zeichen von dem, was geeigneteres Mittel der Mission ist.

Dank dieses Handelns der Ortskirchen, wird die Gesamtkirche selbst in ihren verschiedenen Lebensbereichen an Ausdrucksformen und Werten bereichert, wie etwa in der Verkündigung des Evangeliums, im Kult, in der Theologie, in der Caritas. Sie lernt das Mysterium Christi tiefer kennen und auszudrücken und wird zu ständiger Erneuerung angeregt. Diese Themen waren Gegenstand des Konzils und der folgenden lehramtlichen Äußerungen. Ich habe mich während meiner Besuche bei den jungen Kirchen wiederholt darauf bezogen.88

Die Inkulturation ist ein langsamer Weg, der das gesamte missionarische Leben begleitet und die verschiedenen Mitarbeiter der Mission ad gentes einbezieht: die christlichen Gemeinden im Zuge ihrer Entwicklung, die Seelsorger, die Verantwortung für Beurteilung und Anregung dieses Bemühens tragen.89

53 Die Missionare, die aus anderen Kirchen und Ländern kommen, müssen sich in die sozio-kulturelle Welt derer, zu denen sie gesandt sind, einfügen und die begrenzenden Prägungen der eigenen Herkunft überwinden. Sie müssen die Sprache der Gegend, in der sie arbeiten, lernen, die bezeichnendsten Ausdrucksformen jener Kultur kennen und deren Werte in unmittelbarer Erfahrung entdecken. Nur in dieser Kenntnis werden sie den Völkern in glaubhafter und fruchtbarer Weise Kunde vom verborgenen Geheimnis geben (vgl. Rm 16,25-27 Ep 3,5). Sie sollen sicherlich ihre eigene kulturelle Identität nicht verleugnen, sondern die Umgebung, in der sie wirken, verstehen, schätzen, fördern und mit dem Evangelium durchwirken. So bringen sie sich in die Lage, wirklich mit der neuen sozio-kulturellen Welt in Dialog treten zu können. Der Lebensstil, den sie dabei annehmen, soll Zeichen für das Zeugnis des Evangeliums und der Solidarität mit den Menschen sein.

Die sich entfaltenden christlichen Gemeinden werden vom Evangelium inspiriert. So können sie ihre eigene christliche Erfahrung immer besser in origineller Art und Weise zum Ausdruck bringen, harmonisch mit den eigenen kulturellen Traditionen, doch immer in Einklang mit den objektiven Erfordernissen des Glaubens selbst. Vor allem in Hinblick auf die heikleren Bereiche der Inkulturation, sollen deshalb die Teilkirchen desselben Gebiets untereinander90 und mit der gesamten Kirche zusammenarbeiten in der Überzeugung, daß nur ein Bemühen um die Gesamt- wie die Teilkirche sie fähig macht, den Schatz des Glaubens in die berechtigte Verschiedenheit seiner Ausdrucksformen zu übersetzen.91 So bieten die Gruppen, die das Evangelium angenommen haben, die Elemente für eine »Übersetzung« der Botschaft des Evangeliums92 im Bewußtsein des positiven Beitrages, den es im Laufe der Jahrhunderte gegeben hat dank der Kontaktpflege des Christentums mit den verschiedenen Kulturen, aber ohne die Gefahren der Entfremdung zu vergessen, die des öfteren aufgetreten sind.93
54 Diesbezüglich bleiben einige Hinweise von grundlegender Bedeutung. Die Inkulturation in ihrem recht verstandenen Prozeß muß sich von zwei Prinzipien der »Vereinbarkeit mit dem Evangelium und der Gemeinschaft mit der Gesamtkirche«94 leiten lassen. Die Bischöfe als Hüter des Glaubensgutes tragen Sorge für die Glaubenstreue und die unterscheidende Beurteilung,95 wofür ein wohlausgewogenes Gleichgewicht erforderlich ist. Es besteht nämlich die Gefahr des unkritischen Übergangs von einer Form der kulturellen Entfremdung zu deren Überbewertung, die eine Hervorbringung des Menschen und damit von der Sünde gezeichnet ist. Auch sie muß »geheilt, erhoben und vollendet«96 werden.

Ein solcher Prozeß muß schrittweise vor sich gehen, damit er wirklich Ausdruck der christlichen Erfahrung der Gemeinde sein kann. »Das christliche Mysterium bedarf einer Zeit der Reife im Geist eures Volkes - sagte Paul VI. in Kampala - damit seine natürliche Stimme noch klarer und freier sich harmonisch erheben kann im Chor aller Stimmen der gesamten Kirche«.97 Schließlich muß die Inkulturation das ganze Volk Gottes und nicht nur einige Experten einbeziehen, denn es ist bekannt, daß das Volk über den ursprünglichen Glaubenssinn nachdenkt, was nie aus dem Blick verloren werden soll. Diese muß zwar angeleitet und angeregt, darf aber nicht erzwungen werden, um keine negativen Reaktionen der Christen hervorzurufen. Sie hat Ausdruck des gemeinschaftlichen Lebens und nicht ausschließliche Frucht gelehrter Forschung zu sein, muß also in der Gemeinschaft selber reifen. Die Bewahrung der traditionellen Werte ist ein Erfolg gereiften Glaubens.



Der Dialog mit den Brüdern aus anderen Religionen

55 Der interreligiöse Dialog ist Teil der Sendung der Kirche zur Verkündigung des Evangeliums. Wenn er als Methode und Mittel zur wechselseitigen Kenntnis und Bereicherung verstanden wird, steht er nicht in Gegensatz zur Mission ad gentes sondern hat vielmehr eine besondere Bindung zu ihr und ist sogar Ausdruck davon. Diese Mission richtet sich ja an jene Menschen, die Christus und sein Evangelium nicht kennen und ganz überwiegend anderen Religionen angehören. In Christus ruft Gott alle Völker zu sich und will ihnen die Fülle seiner Offenbarung und Liebe mitteilen. Er macht sich auf vielfältige Weise gegenwärtig, nicht nur dem einzelnen, sondern auch den Völkern im Reichtum ihrer Spiritualität, die in den Religionen ihren vorzüglichen und wesentlichen Ausdruck findet, auch wenn sie »Lücken, Unzulänglichkeiten und Irrtümer«98 enthalten. Das Konzil und die folgenden lehramtlichen Äußerungen haben all das ausführlich unterstrichen und dabei immer daran festgehalten, daß das Heil und die Fülle der Offenbarung von Christus kommt und der Dialog nicht von der Verkündigung des Evangeliums enthebt.99

Im Lichte der Heilsökonomie sieht die Kirche keinen Gegensatz zwischen der Verkündigung Christi und dem interreligiösen Dialog, sondern weiß um die Notwendigkeit beide im Bereich der Mission ad gentes aneinander zu fügen. Es ist jedoch angebracht, daß diese beiden Elemente sowohl ihre enge Bindung als auch ihre Unterscheidung wahren, damit sie weder verwechselt noch mißbraucht werden und auch nicht als austauschbar gelten.

Ich habe jüngst den Bischöfen Asiens geschrieben »Wenn auch die Kirche gerne alles anerkennt, was in den religiösen Traditionen des Buddhismus, des Hinduismus und des Islam wahr und heilig ist - Wiederspiegelungen jener Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet - so mindert dies doch nicht ihre Pflicht und Entschlossenheit, ohne Zögern Jesus Christus zu verkünden, der "der Weg, die Wahrheit und das Leben" ist ... Die Tatsache, daß die Anhänger anderer Religionen auch außerhalb der normalen Wege, die Christus festgelegt hat, die Gnade Gottes empfangen und durch Christus erlöst werden können, nimmt den Aufruf zum Glauben und zur Taufe nicht zurück, die Gott für alle Völker will«.100 Christus selbst hat in der Tat, »indem er die Notwendigkeit des Glaubens und der Taufe ausdrücklich lehrte, zugleich auch die Notwendigkeit der Kirche bekräftigt, in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine Tür eintreten«.101 Der Dialog muß geführt und realisiert werden in der Überzeugung, daß die Kirche der eigentliche Weg des Heiles ist und daß sie allein im Besitz der Fülle der Heilsmittel ist.102

56 Der Dialog entsteht nicht aus Taktik oder Eigeninteresse, sondern hat Gründe, Erfordernisse und Würde eigener Art. Er kommt aus dem tiefen Respekt vor allem, was der Geist, der weht, wo er will, im Menschen bewirkt hat.103 In ihm beabsichtigt die Kirche, »die Saatkörner des Wortes«104 und die »Strahlen der Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet«105 zu entdecken - Saatkörner und Strahlen, die sich in den Personen und in den religiösen Traditionen der Menschheit finden. Der Dialog gründet auf der Hoffnung und der Liebe und wird im Geist Frucht bringen. Die anderen Religionen stellen eine positive Herausforderung für die Kirche dar; sie regen sie sowohl dazu an, die Zeichen der Gegenwart Christi und des Wirkens des Geistes zu entdecken und anzuerkennen, als auch dazu, die eigene Identität zu vertiefen und die Gesamtheit der Offenbarung zu bezeugen, dessen Wahrerin sie zum Wohl aller ist.

Daraus entsteht jene Geisteshaltung, die diesen Dialog im Zusammenhang mit der Mission ad gentes beleben soll. Der Dialogpartner muß seinen eigenen Traditionen und religiösen Überzeugungen entsprechen und offen sein, um die des anderen zu verstehen, ohne Vortäuschungen einerseits und Sperren andererseits, sondern im Geist der Wahrheit, Demut und Loyalität, im Wissen darum, daß der Dialog jeden bereichern kann. Dabei darf es keine Verzichtserklärungen und keine falsche Friedfertigkeit geben. Es braucht das gegenseitige Zeugnis für einen gemeinsamen Fortschritt auf dem Weg der religiösen Suche und Erfahrung. Dies dient zugleich der Überwindung von Vorurteilen, Mißverständnissen und Intoleranz. Der Dialog zielt auf die innere Läuterung und Umkehr, der geistlich fruchtbar sein wird, wenn er sich wirklich vom Geist leiten läßt.
57 Dem Dialog öffnet sich ein weites Feld, und er kann vielfältige Formen und Ausdrucksweisen annehmen: vom Gedankenaustausch zwischen Experten der religiösen Traditionen oder deren offiziellen Vertretern bis zur Zusammenarbeit für die ganzheitliche Entwicklung und die Wahrung der religiösen Werte, vom Mitteilen der entsprechenden spirituellen Erfahrungen bis zum sogenannten »Dialog des Lebens«, in dem die Gläubigen verschiedener Religionen einander im Alltag die eigenen menschlichen und religiösen Werte bezeugen und einander helfen, diese zu leben und so eine gerechtere und brüderlichere Gesellschaft zu schaffen.

Alle Gläubigen und christlichen Gemeinschaften sind gerufen, diesen Dialog zu führen, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Dazu ist der Beitrag der Laien unersetzlich. Sie können »durch das Beispiel ihres Lebens und ihr Handeln zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den Anhängern verschiedener Religionen beitragen«.106 Einige von ihnen werden auch in Wissenschaft und Forschung ihren Beitrag dazu leisten können.107

Ich weiß, daß nicht wenige Missionare und christliche Gemeinschaften im schwierigen und oft unverstandenen Weg des Dialogs die einzige Möglichkeit sehen, aufrichtig für Christus Zeugnis abzulegen und den Menschen großzügig zu dienen, und möchte sie ermutigen, in Glauben und Liebe auch dort auszuharren, wo ihre Bemühungen weder Gehör noch Antwort finden. Es steht uns nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Der Dialog ist ein Weg zum Reich Gottes und wird sicherlich Frucht bringen, auch wenn Zeiten und Fristen dem Vater vorbehalten sind (vgl.
Ac 1,7).


Die Entwicklung fördern durch die Formung des Gewissens

58 Die Mission ad gentes erfolgt auch heute zum Großteil in jenen Regionen der südlichen Hemisphäre, wo der Einsatz für die ganzheitliche Entwicklung und die Befreiung von jeder Unterdrückung besonders dringlich sind. Die Kirche hat es seit jeher verstanden, bei den Völkern, denen sie das Evangelium gebracht hat, den Fortschritt anzuspornen, und auch heute werden die Missionare mehr als in der Vergangenheit von Regierungen und internationalen Experten als Förderer der Entwicklung anerkannt. Oft ernten sie Bewunderung für die beachtlichen Ergebnisse, die sie mit dürftigsten Mitteln erzielt haben.

In der Enzyklika Sollicitudo rei socialis habe ich festgestellt, daß »die Kirche keine technischen Lösungen für die Unterentwicklung als solche anzubieten hat«, aber »den ersten Beitrag zur Lösung des dringenden Problems der Entwicklung leistet, wenn sie die Wahrheit über Christus, über sich selbst und über den Menschen verkündet und sie auf die konkrete Situation anwendet«.108 Die Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla hat betont, daß »der beste Dienst am Mitmenschen die Verkündigung des Evangeliums ist, die ihn in die Lage versetzt, sich als Kind Gottes zu verwirklichen, ihn von Ungerechtigkeiten befreit und ihn ganzheitlich fördert«.109 Es ist nicht Aufgabe der Kirche, direkt auf der wirtschaftlichen, technischen oder politischen Ebene bzw. der des materiellen Beitrags zur Entwicklung tätig zu werden. Es geht ihr wesentlich darum den Völkern nicht »Mehr Haben« anzubieten, sondern »Mehr Sein«, indem sie durch das Evangelium die Gewissen aufrüttelt. »Der wahre menschliche Fortschritt muß auf einer immer umfassenderen Verwirklichung des Evangeliums gründen«.110

Die Kirche und ihre Missionare fördern die Entwicklung auch durch ihre Schulen, Krankenhäuser, Druckereien, Universitäten, landwirtschaftlichen Musterbetriebe. Doch ereignet sich die Entwicklung eines Volkes in erster Linie weder durch Geld, noch durch materielle Hilfe und auch nicht durch technische Strukturen, sondern vielmehr durch die Formung der Gewissen, durch das Reifen der Einstellungen und Gebräuche. Der Mensch ist Hauptfigur der Entwicklung, nicht das Geld und nicht die Technik. Die Kirche bildet die Gewissen sie offenbart den Völkern den Gott, den sie suchen, aber nicht kennen, die Größe des von Gott nach seinem Bild geschaffenen und geliebten Menschen, die Gleichheit aller Menschen als Kinder Gottes, die Herrschaft über die geschaffene Natur als Dienst des Menschen und die Pflicht, sich für die Entwicklung jedes und aller Menschen einzusetzen.
59 Mit der Botschaft des Evangeliums bietet die Kirche eine befreiende Kraft und fördert die Entwicklung, gerade weil sie zu einer Bekehrung von Herz und Sinn führt. Sie hilft, die Würde jeder Person zu erkennen, befähigt zur Solidarität, zum Engagement und zum Dienst an den Brüdern. Sie führt den Menschen in den Plan Gottes ein, der die Errichtung jenes Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens vorsieht, das schon in diesem Leben seinen Anfang nimmt. Die biblische Sicht der »neuen Himmel« und der »neuen Erde« (vgl. Is 65,17 2P 3,13 Ac 21,1) hat in die Geschichte Ansporn und Ziel für das Voranschreiten der Menschheit eingefügt. Die Entwicklung des Menschen kommt von Gott - im Vorbild Jesu, des Gott-Menschen - und sie muß zu Gott führen.111 Deshalb besteht eine enge Verbindung zwischen der Verkündigung des Evangeliums und der Förderung des Menschen.

Der Beitrag der Kirche und ihres Werkes der Evangelisierung zur Entwicklung der Völker betrifft nicht nur die südliche Hemisphäre, um dort materielle Armut und Unterentwicklung zu bekämpfen, sondern auch die nördliche, die einer durch »Überentwicklung«112 verursachten moralischen und spirituellen Armut ausgesetzt ist. Eine gewisse areligiöse Modernität, die heute in einigen Teilen der Welt herrscht, gründet in der Meinung, es genüge, alle reich zu machen und den ökonomisch-technischen Fortschritt fortzusetzen, um den Menschen mehr Mensch werden zu lassen. Aber eine seelenlose Entwicklung kann den Menschen nicht befriedigen. Der übermäßige Wohlstand ist schädlich wie die übermäßige Armut. Der Norden hat ein solches »Entwicklungsmodell« erfunden und verbreitet es in den Süden, wo der religiöse Sinn und die menschlichen Werte, die dort gegenwärtig sind, in einer Welle des Konsumismus unterzugehen drohen.

»Gegen den Hunger: das Leben ändern«. Dieses in kirchlichen Kreisen entstandene Motto zeigt den reichen Völkern den Weg, um Brüder der Armen zu werden: die Rückkehr zu einem einfacheren Leben, das ein Entwicklungsmodell begünstigt, das die ethischen und religiösen Werte berücksichtigt. Die Mission bringt den Armen Ansporn und Erleuchtung für die wahre Entwicklung. Die neue Verkündigung des Evangeliums unter den Reichen muß unter anderem das Bewußtsein schaffen, daß der Zeitpunkt gekommen ist, wirklich Brüder der Armen zu werden in der gemeinsamen Umkehr zur ganzheitlichen Entwicklung, die offen ist auf das Absolute hin.113


Die Liebe - Ursprung und Maßstab der Mission

60 »Die Kirche auf der ganzen Welt - so habe ich während meines Besuches in Brasilien gesagt - will die Kirche der Armen sein. Sie will die ganze Wahrheit ausschöpfen, die in den Seligpreisungen enthalten ist, vor allem in der ersten: "Selig, die arm sind vor Gott"... Sie will diese Wahrheit lehren und sie verwirklichen wie Jesus, der gekommen ist, um zu wirken und zu lehren«.114

Die jungen Kirchen leben meist unter den Völkern, die von ziemlich verbreiteter Armut geplagt sind, und bringen diese Sorge oft als den bestimmenden Teil ihrer Mission zum Ausdruck. Die Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla erinnert an das Beispiel Jesu und schreibt: »Die Armen verdienen bevorzugte Aufmerksamkeit, wie auch immer die moralische und persönliche Lage sei, in der sie sich befinden. Sie sind nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen, um seine Kinder zu sein, doch ist dieses Bild oft verdüstert und sogar geschändet. Daher nimmt sich Gott ihrer Verteidigung an und liebt sie. Daraus folgt, daß sich die Mission zuerst an die Armen richtet, und die Verwirklichung des Evangeliums unter ihnen ist aufs vorzüglichste Zeichen und Beweis der Mission Jesu«.115

Die Kirche, in Treue zum Geist der Seligpreisungen, ist auch gerufen, mit den Armen und Unterdrückten aller Art zu teilen. Ich rufe daher alle Jünger Christi und alle christlichen Gemeinschaften - von den Familien bis zu den Diözesen, von den Pfarren bis zu den Ordensgemeinschaften - dazu auf, ihr Leben im Sinne der Solidarität mit den Armen aufrichtig umzugestalten. Zugleich danke ich den Missionaren, die mit ihrer liebevollen Gegenwart und ihrem demütigen Dienst in Schulen, Gesundheitszentren, Leprastationen, Häusern für behinderte und alte Menschen, Institutionen für die Förderung der Frau und ähnlichem für die ganzheitliche Entwicklung der Person und der Gesellschaft arbeiten. Ich danke den Priestern, Ordensleuten und Laien für ihre Hingabe und ermutige die freiwilligen Mitarbeiter der privaten Organisationen, die sich diesen Werken der Nächstenliebe und der menschlichen Förderung widmen. Es sind in der Tat Werke der Nächstenliebe, die Zeugnis ablegen für die Seele jeglicher missionarischen Aktivität: die Liebe, die Beweggrund der Mission ist und bleibt und zugleich »das einzige Kriterium, nach dem zu handeln oder zu unterlassen, zu ändern oder zu bewahren ist. Sie ist das Prinzip, das alles Handeln leiten, und das Ziel, auf das es sich ausrichten muß. Was mit Blick auf die Liebe oder inspiriert von ihr geschieht ist nie zu gering und immer gut«.116


Redemptoris missio 47