Eine enge Zusammenarbeit in der Pfarrei

 

Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für den Klerus am 20. Oktober 1984

 

Meine Herren Kardinäle, meine ehrwürdigen Brüder im Bischofsamt, meine Offizialen der Kongregation für den Klerus!

 

1. Während ich euch herzlich und mit dem Ausdruck besonderer Wertschätzung für die ergebene Grußadresse, die euer Kardinalpräfekt an mich richtete, begrüße, fühle ich das Bedürfnis, meine Dankbarkeit für den so willkommenen und qualifizierten Besuch nach Abschluß der Arbeiten eurer Vollversammlung zu bekunden.

Ich möchte euch meine Anerkennung für eure Klugheit und euren Geist des Dienstes gegenüber der Kirche zum Ausdruck bringen, die von euch in so verantwortungsvoller Weise zum Wohl des Hl. Stuhls eingesetzt werden, wobei ich euch versichere, daß ich euch nahe bin und zutiefst an euren Sorgen teilnehme.

 

2. Das von euch behandelte Thema "Die Seelsorge in den Stadtpfarreien" ist eines der ernstesten und dringlichsten Probleme, die heute den Seelsorger bedrängen. Mit der Sachkundigkeit, die euch auszeichnet, habt ihr euch mit den organisatorischen Problemen befaßt. Sie verdienen sicher alte Aufmerksamkeit. Denn geeignete, moderne, wirksame Strukturen sind immer auch für die Verfolgung der höheren Zielsetzungen moralischer und geistlicher Art notwendig.

Aber ihr habt vor allem - was noch wichtiger ist - die grundlegenden Probleme zum Gegenstand eurer Beratungen gemacht, die notwendigerweise immer präsent sind, auch wenn es um Organisation und Struktur geht.

Und gerade da zeigt sich uns die Stadtpfarrei in der ganzen umfassenden Realität und Gewichtigkeit ihrer Probleme.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Probleme keineswegs übersehen. Ja, es hat ihnen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, indem es das Wesen der Pfarrei besser bestimmte, die Aufgaben präzisierte und ihr jene Gestalt gab, die dann vom geltenden Codex des kanonischen Rechts aufgenommen wurde.

Wenn wir uns diese Hinweisevor Augen halten, wird es angebracht sein, bei unserer heutigen Begegnung einige Punkte zu unterstreichen, die grundlegend scheinen für die Sicherstellung einer wirklichen Erneuerung der Seelsorge in den Stadtpfarreien.

 

3. Allem voran muß erneut die Wichtigkeit und Gültigkeit der Pfarrei bestätigt werden. Trotz der tatsächlichen oder vermuteten Krisen, von denen sie heimgesucht worden sein mag, ist sie eine Institution, die als normaler und primärer Ausdruck der Seelsorge erhalten werden muß. Das ist übrigens auch die Schlußfolgerung, zu der man nach sehr genauen Analysen gelangt ist, die vor einigen Jahren von eurem Dikasterium über die Revision dieser kirchenrechtlichen Institution durchgeführt worden sind. Ohne Zweifel handelt es sich nicht um eine Wirklichkeit, die sich in einem den heutigen Bedürfnissen angepaßten Pastoralprogramm selbst genügt: Sie wird durch viele andere Formen vervollkommnet und integriert, aber sie bleibt doch immer ein unerläßlicher Organismus von vorrangiger Bedeutung in den sichtbaren Strukturen der Kirche. Denn die Pfarrei ist die erste kirchliche Gemeinschaft; nach der Familie ist sie die erste Schule des Glaubens, des Gebets und des christlichen Brauchtums; sie ist das erste Feld der kirchlichen Nächstenliebe; das erste Organ pastoralen und sozialen Wirkens; das geeignetste Terrain, um Priester und Ordensberufe wachsen zu lassen; der erste und wichtigste Sitz der Katechese. Aus allen diesen Gründen habe ich mich im Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae, als ich über die Bedeutung der Pfarrei für die Katechese sprach, so ausgedrückt: "Ob man will oder nicht, die Pfarrei bleibt ein Hauptbezugspunkt für die Christen, selbst für die nichtpraktizierenden" (Nr. 67).

 

4. Unerläßlich ist es zudem, daß die Stadtpfarrei immer mehr die Gestalt annimmt, die sie im geltenden Codex des kanonischen Rechts bietet, wo im Unterschied zur früheren Gesetzgebung der Akzent nicht mehr auf das Territorium gelegt wird, sondern auf ihren Charakter als einer "Gemeinschaft von Gläubigen" (CIC, can. 515, 1). Deshalb die Notwendigkeit, daß die Pfarrei ihre besondere Funktion als Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe wiederentdeckt, die ihren Seinsgrund und ihr tiefstes Wesen darstellt. Das aber heißt, die Evangelisierung als vorrangige, hervorragende und bevorzugte Forderung zur Grundlage der gesamten Pastoralarbeit zu machen. Auf diese Weise wird eine rein horizontale Sicht bloß sozialer Art überwunden und der sakramentale Aspekt der Kirche gestärkt; ein Aspekt, der sich auf ganz besondere Weise in der Pfarrgemeinde äußert, wenn diese sich der Glaubensbildung ihrer Kinder widmet und ihre missionarische und evangelisierende Aufgabe entfaltet.

 

5. Ein weiterer wichtiger Punkt, den man sich immer vor Augen halten muß, ist die Notwendigkeit einer möglichst engen, organischen, persönlichen Zusammenarbeit sämtlicher Mitglieder der Pfarrei mit ihrem Pfarrer. Insbesondere die Vermehrung und Qualifizierung aller lebendigen Kräfte - Ordensleute und Laien - für jene Dienste, die nicht unausweichlich die Funktion des priesterlichen Dienstamtes erfordern, ist das einzige Mittel für eine entsprechende Seelsorge dort, wo die Zahl der Gläubigen übermäßig groß ist, und um die aktive missionarische Durchdringung des Bereiches der Gleichgültigen und Fernstehenden vorzunehmen. Denn die Laien sind ja nicht nur Empfänger des pastoralen Dienstes, sondern müssen aufgrund ihrer angeborenen Berufung, als Laien und des inneren Bedürfnisses der Kirche zu dessen tatkräftigen Vollziehern werden.

 

6. So gut organisiert und aktiv die Stadtpfarrei auch sein mag, sie vermag heute nicht allein den vielen und komplexen Anforderungen der Evangelisierung und der christlichen Formung ihrer Mitglieder zu entsprechen. Es gibt Probleme von kulturellem und sozialem Charakter, die die Grenzen der Pfarrei überschreiten. In bestimmten Bereichen der Pastoral ist die Pfarrei - aber nicht das einzige - Evangelisierungswerkzeug. Man denke nur an den Bereich der sozialen Kommunikationsmittel, an die verschiedenen Formen der Fürsorge und der Hilfe, die sich in den einzelnen Stadtvierteln unter den verschiedenen sozialen und homogenen Gruppen, besonders der Jugend, der Arbeiter, der verschiedenen Berufe, der Kranken, der Strafvollzugsanstaltsinsassen, der Flüchtlinge, entfalten. Nur ein vereintes und integriertes pastorales Wirken, wird hier zu positiven Ergebnissen führen können.

Die Pfarrei muß daher eine Gemeinschaft sein, die für alle diese Initiativen der religiösen Ausstrahlung und des Apostolats in der Umgebung offen ist, die nicht die Pfarrei als Ausgangspunkt haben oder haben können. So wird man sich für die Zusammenarbeit mit den Nachbarpfarreien und mit den Personalpfarreien offenhalten müssen, was z. B. die Soldatenseelsorge, die Gläubigen eines anderen Ritus, die Flüchtlinge, die Touristen betrifft. All das setzt natürlich auch die Öffnung des Klerus für die große Wirklichkeit der Diözese voraus: eine Öffnung, die zweifellos durch die Organe der Teilhabe und Verantwortung, vor allem aber durch die priesterliche Gemeinschaft zustande kommt, die von der Einheit der Priester untereinander und mit ihrem Bischof gebildet wird und die auch die grundlegende Voraussetzung für die Einheit mit dem ganzen Volk Gottes ist.

 

7. Die Rede über die organische Pastoral der Stadtpfarrei darf schließlich nicht von der Prüfung eines Phänomens absehen, das heute überall immer stärker in Entwicklung begriffen ist: das Phänomen der verschieden benannten kirchlichen Gruppen, zu denen besonders die "Basisgemeinden" zu zählen sind. Die Gefahren, denen diese neuen Gemeinschaftsformen leicht ausgesetzt sind, sind sehr wohl bekannt, vor allem aber tritt jene Form zutage, sich als einzige Art, Kirche zu sein, zu betrachten: daher die Tendenz, sich im Namen der Einfachheit und Authentizität des im Geist des Evangeliums gelebten Lebens von der institutionellen Kirche zu lösen. Es wird Aufgabe der Pfarrer und Bischöfe sein, sich zu bemühen, die positiven Werte, die diese Gemeinschaften besitzen, für die Pfarreien zu nutzen und sich ihnen ihrerseits zu öffnen. Aber es muß klar sein, daß diese Basisgemeinden sich nicht auf dieselbe Ebene mit den Pfarrgemeinden als mögliche Alternative stellen können. Sie haben vielmehr die Pflicht zum Dienst in der Pfarrei und in der Ortskirche. Und eben an diesem Dienst, der im Gefüge der Pfarrei und der Diözese zu leisten ist, wird sich die Gültigkeit der jeweiligen Erfahrungen innerhalb dieser Bewegungen oder Vereinigungen erweisen.

 

8. Mit diesen Überlegungen, liebe Brüder, wollte ich eurem Eifer und eurer Weisheit die Punkte anvertrauen, die zu berühren wir für nützlich gehalten haben, damit durch eure Mitarbeit den Pfarreien in den Großstädten wieder neue Kraft verliehen werden kann. Die Arbeit ist sicher hart und schwierig, und wir könnten uns vom Pessimismus übermannen lassen, wenn sich unser Tun lediglich auf die pastorale Technik und nicht vor allem auf die Kraft des Kreuzes verläßt; oder wenn wir nicht zu unserem auch menschlichen Trost über die Menge positiver Symptome verfügten, die aus derselben modernen Welt herrühren, in der unsere Ängste ihren Ursprung haben.

Aber wir sind bei diesem übermenschlichen Werk nicht allein: Christus ist bei uns. Wir müssen ein tiefes Vertrauen in ihn haben, daß wir in ihm, der uns Kraft gibt, alles vermögen (vgl. Phil 4, 13). Dieses Vertrauen möchte ich besonders den Pfarrern und Helfern einflößen, die die Seelsorge in den riesigen und dichtbesiedelten Wohnvierteln der großen Metropolen ausüben, wo die Zahl, die Mentalität und die Bedürfnisse der Bewohner sie zu einer unermüdlichen und aufreibenden Arbeit verpflichten. Wir müssen uns diesen lieben Brüdern, überforderten Arbeitern des Evangeliums, gegenüber verpflichtet fühlen. Sie sollen wissen, daß der Papst an sie denkt, sie schätzt, sie liebt und sie darum mit seinem Gebet begleitet. Mit dem Wunsch reicher göttlicher Gnaden für eure Mühen und die gemeinsamen Erwartungen erteile ich euch allen von Herzen den Apostolischen Segen.