Der Rückgang von Berufungen darf den missionarischen Eifer nicht bremsen!

Ansprache an die Teilnehmer der ersten Vollversammlung der Ständigen Kurienkommission für die gleichmäßige Verteilung der Priester auf Weltebene am 26. Februar 1993

 

Herr Kardinal, liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Amt!

1. Es ist mir eine Freude, euch anläßlich der ersten Vollversammlung der Ständigen Kurienkommission für die gleichmäßige Verteilung der Priester auf Weltebene will kommen zu heißen, wohl wissend um die Arbeit, die ihr in diesen Tagen geleistet habt. Eure Absicht ist es, eine weltumspannende Strategie zur Intensivierung und Koordinierung des „Austausches der Gaben" unter den Teilkirchen zu erarbeiten. Es handelt sich dabei um ein Werk, das sich ausgezeichnet in das Programm der Neuevangelisierung einfügt, wie sie im Lauf des letzten Jahrzehnts in allen Kirchen in die Wege geleitet wurde; eine der grundlegenden Voraussetzungen dieser Neuevangelisierung ist gerade die Präsenz zahlreicher und gut ausgebildeter Priester.

Eure Kommission für die gleichmäßige Verteilung der Priester auf Weltebene ist sehr jung. Die Idee ihrer Errichtung tauchte unmittelbar nach Abschluß der Vollversammlung der Bischofssynode von 1990 auf. Das Zeugnis einiger Synodenväter legte damals die dramatische Situation vieler christlicher Gemeinden offen, die infolge des Priestermangels gezwungen sind, auf die sonntägliche Eucharistiefeier und die nötige religiöse Unterweisung zu verzichten, weshalb sie der Mitgliederwerbung der Sekten ganz besonders ausgesetzt sind. Angesichts dieser Lage schlug die Synodenversammlung vor, nach entsprechenden Lösungen zu suchen, damit dem Priestermangel in den betroffenen Regionen abgeholfen werden kann.

Diesen Vorschlag der Synode aufgreifend, beschloß ich laut Art. 21, Par. 2 der Konstitution Pastor bonus, eine Ständige Kurienkommission für die gleichmäßige Verteilung der Priester auf Weltebene zu errichten.

2. Freilich muß man feststellen, daß das Problem des Priestermangels nicht neu, sondern in anderen Formen und in anderem Ausmaß bereits zu anderen Zeiten auf getreten ist. Von grundlegender Bedeutung war hier die von Pius XII. mit der Enzyklika Fidei donum (21. April 1957) eingeführte Regelung, die zahlreichen Diözesanpriestern den direkten, persönlichen Weg in die Missionsgebiete öffnete. In dem das Zweite Vatikanische Konzil diese Linie weiterverfolgte, erneuerte es die Aufforderung an die Priester der an Berufungen reichen Diözesen, sich „gern bereit (zu) zeigen, mit Erlaubnis oder auf Wunsch des eigenen Ordinarius ihren Dienst in Gegenden, in Missionsgebieten oder in Seelsorgeaufgaben auszuüben, in denen es an Klerus mangelt" (Presbyterorum ordinis, Nr. 10; vgl. Christus Dominus, Nr. 6; Ad gentes, Nr. 35). Zur praktischen Verwirklichung der Konzilsdekrete errichtete mein verehrter Vorgänger Paul VI. mit dem Motu Proprio Ecclesiae Sanctae (6. August 1966) im Rahmen der Kongregation für den Klerus eine eigene Kommission „mit der Aufgabe, Richtlinien für eine bessere Verteilung des Klerus unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der verschiedenen Kirchen herauszugeben" (I,1). Nach reiflicher Beratung wurde hierauf das Dokument Postquam Apostoli (25. März 1980) veröffentlicht, das den Zweck verfolgt, die genauen Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen den Teilkirchen und insbesondere für eine bessere Verteilung des Klerus in aller Welt festzulegen.

Diese von höchster Stelle ergangenen Aufrufe wurden von Tausenden von Diözesan- und Ordenspriestern hochherzig aufgenommen, die sich im Lauf der letzten dreißig Jahre für die Ausübung ihres Priesterdienstes in Gemeinden zur Verfügung stellten, die dessen bedurften.

3. Diese Initiativen des „Austausches" unter den Diözesen entsprechen einer vordringlichen Notwendigkeit der kirchlichen Gemeinschaft. Vom Heiligen Geist ins Leben gerufen und in der rechtmäßigen Feier der Eucharistie voll zum Ausdruck gebracht, möchte diese Gemeinschaft sich im konkreten Leben. der Einzelpersonen kundtun, die sich der Leiden und Nöte ihrer Brüder und Schwestern tatkräftig annehmen. War das etwa nicht auch der Stil der ersten christlichen Gemeinden? Immer bereit, über den Glauben ihrer Brüder und Schwestern glücklich zu sein (Röm 1,8; 1 Thess 1,7), zeigten sie sich bereit, auch die Schwierigkeiten zu teilen (2 Thess 1,4) und durch die Aussendung von Personal (Apg 13,3) und materiellen Hilfsgütern (Röm 15,25-28) ihren Nöten abzuhelfen.

Der gleiche Stil muß die heutigen christlichen Gemeinden kennzeichnen: Es handelt sich nicht um eine einseitige, sondern um eine wechselseitige Zusammenarbeit. Tatsächlich besteht ja, wie das Dokument Postquam Apostoli feststellt, „eine echte Wechselseitigkeit zwischen der gebenden und der empfangenden Kirche, da die Armut einer - der empfangenden - eine andere - die gebende, die sich einen Verzicht auferlegt - bereichert, indem sie den apostolischen Eifer der reicheren Gemeinde entfacht und vor allem indem sie ihre oft äußerst nützlichen pastoralen Erfahrungen weitergibt" (Nr. 15).

Wie die jungen Kirchen zweifellos der Unterstützung durch die Kräfte und Mittel der älteren bedürfen, so können auch die früher gegründeten Kirchen aus, dem Zeugnis und der Lebenskraft der ersteren großen Nutzen ziehen. In diesem Sinn dürfte die Haltung der lateinamerikanischen Bischöfe, wie sie in Puebla definiert und kürzlich in Santo Domingo bestätigt wurde, beispielgebend sein: „Mit der eigenen Armut andere beschenken."

4. Angesichts dieser Dynamik und dieser Bereitschaft zum Austausch unter den Teilkirchen konnte der Hl. Stuhl nicht abseits stehen. Obwohl den Bischofskonferenzen „die wichtigste und unersetzliche Rolle für eine wirksamere Zusammenarbeit zwischen den Teilkirchen zukommt" (Postquam Apostoli, Nr. 18), ist die Aufgabe, „in Liebe vorzustehen", der Kirche von Rom eigen, welche eine Möglichkeit finden muß, auch in diesem Bereich zu Wort zu kommen.

Ohne dir Bischofskonferenzen und ihre ausdrücklich mit der innerkirchlichen Zusammenarbeit betrauten Stellen ersetzen zu wollen, möchte der Hl. Stuhl sich für die Verbindung, Koordinierung und Überprüfung zur Verfügung stellen, um die Hochherzigkeit zu fördern, auf Notwendigkeiten hinzuweisen und die Prioritäten aufzuzeigen.

Aufgabe eurer Kommission ist es daher vor allem, die Aufmerksamkeit der Teilkirchen auf die Dringlichkeit eines „Austausches der Gaben" hinzuweisen, was eine möglichst ununterbrochene und die ganze Gemeinde erreichende Information und Bekanntmachung erfordert. Darüber hinaus ist die Kommission dazu berufen, die Erfahrungen der Priester „Fidei donum" und den Einsatz der Ordensgemeinschaften für jene pastoralen Prioritäten nutzbar zu machen, die im Rahmen des Gesamtplanes der Neuevangelisierung besonders in Erscheinung treten.

5. Zweifellos gehört zu diesen Prioritäten das Bemühen, die Priesterberufe gerade in jenen Diözesen zu vermehren, in denen es an Priestern mangelt. Für jede Situation muß hier der richtige Weg gefunden werden. Notwendig und dringend ist es, daß jede Diözese ein Programm für ihre Berufungspastoral ausarbeitet und Priester für seine Verwirklichung freistellt; daß darüber hinaus die bestehenden Priesterseminare besser qualifiziert und neue, mit gut ausgebildetem Personal versehene errichtet werden.

Viele Teilkirchen in verschiedenen Regionen der Welt wissen sehr wohl, daß es ihnen derzeit an den Kräften fehlt, welche für die erhoffte Förderung der Berufungen erforderlich wären. Das bezeugen zahlreiche Anfragen, die mit entsprechenden Bitten ständig beim Hl. Stuhl eintreffen. Es ist daher unerläßlich, daß die an Priestern reicheren kirchlichen Gemeinden zum „Austausch" bereit sind, um den „bedürftigeren" Teilkirchen Priester für die Berufungspastoral, für die Neubelebung der Seminare und die Organisation von Zentren für Pastoralhelfer zur Verfügung stellen zu können. Auch die Ordensgemeinschaften sind aufgerufen, vordringlich an diesem äußerst wichtigen Dienst der Ausbildung mitzuwirken.

6. Verehrte Mitbruder im priesterlichen und bischöflichen Amt! Wer geben kann, darf nicht gleichgültig bleiben. Die Zukunft der Kirche hängt von dieser Großmut ab, einer Großmut, die nicht nur das Überflüssige in Betracht zieht, sondern alle kirchlichen Gemeinden auffordert, das, was sie besitzen — und sei es auch wenig —, mit anderen zu teilen und dabei auf das Versprechen des Herrn zu vertrauen: „Gebt, dann wird euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken" (Lk 6,38).

Der Rückgang der Berufungen darf nie den missionarischen Eifer bremsen! Gerade diese Aufgeschlossenheit des Herzens, dieses Teilen dessen, was man besitzt veranlaßt Gott, seine Gaben zu vervielfachen.

Der Herr, Hüter und Hirt seines Volkes, möge euren Dienst an der Gemeinschaft der Teilkirchen und an der Verbreitung des Evangeliums fruchtbar machen. Maria, der Morgenstern der Evangelisierung, erleuchte und beschütze euch immer. Ich segne euch aus ganzem Herzen und mit aufrichtiger Dankbarkeit.