Christus als das vollkommene Vorbild

Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Symposions über „Pastores dabo vobis: Der Priester heute" am 28. Mai 1993

Ehrwürdige Bruder im Bischofsamt,

liebe Brüder und Schwestern!

1. „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19).

Mit diesen Worten sandte der Herr die Apostel aus das Evangelium den Menschen aller Zeiten, an jedem Ort und in jeder Kultur zu verkünden. Im Gehorsam gegen dieses Gebot des Herrn sind die Bischöfe und ihre Mitarbeiter, die Priester, berufen, in der ganzen Menschheit ohne jede Einschränkung maßgebende Verkünder des Evangeliums zu sein. Sie werden sich um so glaubwürdiger mit dieser weltweiten Sendung identifizieren je mehr ihr Leben durchlässig wird für die Botschaft des Herrn und je besser sie es verstehen diese Botschaft vollständig und mit Liebe weiterzugeben.

Um diesen so grundlegenden Aspekt von Sein und Leben des Priesters darzulegen und zu vertiefen, wurde dieses euer Internationales Symposion mit dem bezeichnenden Titel: „Pastores dabo vobis: Der Priester heute" veranstaltet. Eingefügt in die Thematik der Vollversammlung der Bischofssynode über die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart war es die Absicht dieses Treffens einen Überblick von Gedanken und Erwägungen zu bieten die geeignet sind die fruchtbare Anwendung des nachsynodalen Apostolischen Schreibens zu fördern.

Darum ist es mir eine Freude, euch in dieser Sonderaudienz z empfangen und euch alle herzlich zu begrüßen. Vor allem begrüße ich Kardinal José Sanchez, den Präfekten, und Erzbischof Crescenzio Sepe, den Sekretär der Kongregation für den Klerus, denen ich dafür danke, daß sie diese Initiative angeregt haben. Ich begrüße die anwesenden Bischöfe und Priester und alle, die an dem Symposion teilgenommen haben, die Rektoren der Päpstlichen Universitäten in Rom, die Vorsitzenden der einzelnen Sektionen, die Referenten und alle, die zum Gelingen des Kongresses beigetragen haben.

2. Die Identität, das Leben und die Bildung der Priester zu vertiefen ist heute eine von der Neuevangelisierung gestellte Forderung.

Die Identität des Priesters ist eingefügt in den Heilswillen Gottes, der in Christus jeden Menschen in seinem sozio-religiösen Kontext erreichen will. Alles muß also von diesem Horizont ausgehen, und alles muß danach trachten, diesen göttlichen zuvorkommenden Heilsratschluß zu verwirklichen. So wird verständlich, warum der Priester seinem Wesen nach durch das Merkmal, das er durch die Auflegung der Hände und das Weihegebet empfangen hat, auch zum „Hirten" wird. Niemand anderem darf diese Bezeichnung in rechter Weise gegeben werden; nur der darf so genannt werden, der in Übereinstimmung und durch Gleichgestaltung mit dem Priestertum Christi geweihter Diener und Ausspender der heiligen Geheimnisse ist.

Wie notwendig ist es, bei einer so bedeutsamen Wahrheit zu verweilen und über das Bewußtsein nachzudenken, das der Priester von sich selbst als Diener Jesu Christi, des Hauptes und Hirten, haben muß (vgl. Pastores dabo vobis, Nr. 25).

Die Identität, das priesterliche Profil und die Befähigung zum Hirtendienst haben ihre Wurzeln in der Christologie Christus er allein ist das vollkommene Vorbild das heute wie auch in den kommenden Zeiten nachgeahmt werden muß; Denn wirklich: „Sacerdos alter Christus"!

Der Priester ist ein Zeichen Christi, des Priesters und Guten Hirten. Er hat Anteil an der Weihe und Sendung des Herrn, so daß er im Namen Christi, des Hauptes der Kirche, handeln (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 2) und sein Wort, sein Opfer, sein Heilswirken und seinen Hirtendienst fortsetzen kann (vgl. Presbyterorum ordinis, Nrn. 4-6). Die Person Jesu bildet daher den wesentlichen Bezugspunkt, um das Leben und den Dienst des Priesters zu verstehen und ihm Sinn zu geben. „Der Bezug auf Christus ist also der absolut notwendige Schussel für das Verständnis aller Dimensionen priesterlicher Wirklichkeit (Pastores dabo vobis Nr. 12)

Auch die „feste Entschlossenheit der Kirche ... an dem Gesetz festzuhalten, das den zur Priesterweihe nach dem lateinischen Ritus ausersehenen Kandidaten den frei gewählten ständigen Zölibat auferlegt (ebd. Nr. 29) ist in diesem christologischen Kontext zu erkennen. Wie euer Kongreß es gut hervorgehoben hat, handelt es sich ja nicht bloß um eine juridische Norm, sondern um eine auf die Ebene des Kirchenrechts übertragene theologische Wirklichkeit, weil ihre Motivierung in jene „Dynamik des Geschenkes" (vgl. ebd., Nr. 50) eingeschrieben ist, die mit der heiligen Weihe und der auf ihr beruhenden sakramentalen Gleichgestaltung mit Christus in engem Zusammenhang steht.

Die eigentlichen Grunde für den Zölibat sind daher nicht auf psychologischem soziologischem, geschichtlichem oder juridischem Gebiet zu suchen, sondern auf dem mehr im eigentlichen Sinn theologischen und pastoralen oder im priesterlichen Charisma als solchem.

3. Zwischen dem Geschenk des allgemeinen Priestertums und dem besonderen Geschenk des hierarchischen Priestertums besteht ein wesentlicher Unterschied, nicht nur ein Unterschied dem Grade nach (vgl. Pius XII; Mediator Dei, AAS 39 [1947]; Ansprache Magnificate Dominum, AAS 46 [1954] 669; Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium, Nr.10; Presbyterorum ordinis, Nr. 2). Es handelt sich nämlich um Gaben von theologisch unterschiedlicher Natur, die durch verschiedene sakramentale Handlungen verliehen werden und auch verschiedenartige Wirkungen in den Empfängern hervorrufen.

Das theologische Verständnis und die Wertschätzung des königlichen Priestertums der Gläubigen muß immer gleichlaufend begleitet sein vom Verständnis und der Wertschätzung für das Amtspriestertum, dessen Würde wirklich einzigartig ist.

Die auf harmonische, richtige und klare Weise vertiefte Sicht dieser beiden Aspekte bildet einen der heikelsten Punkte im Sein und Leben der Kirche unserer Zeit.

Vor allem in diesen letzten Jahrzehnten haben sich gerade auf einem theologisch und christologisch mißverständlichen Gebiet nicht wenige Probleme „priesterlicher Identität" ergeben in bezug auf das tiefe Gleichgewicht, das die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die beiden Modalitäten der Teilhabe am Dienst Christi auszeichnet.

In Pastores dabo vobis wollte ich klarstellen, daß „der Priester die volle Wahrheit seiner Identität darin (findet), sich von Christus herzuleiten, in besonderer Weise an Christus teilzuhaben und eine Weiterführung Christi ... zu sein: Er ist ein lebendiges und transparentes Abbild des Priesters Christus" (Pastores dabo vobis, Nr. 12). Und weiter: „Auf diese Weise wird die Communio-Ekklesiologie entscheidend, um die Identität des Priesters, seine eigenständige Würde, seine Berufung und Sendung im Volk Gottes und in der Welt zu begreifen" (ebd.).

Darum bin ich erfreut, daß einige Referate eures Treffens versucht haben, diese heikle theologische Frage noch eingehender zu untersuchen.

4. Die sakramentale Gleichgestaltung mit Christus erfordert es daß der kirchliche Bildungsweg den Priester zur beständigen Nachfolge des Herrn führe daß er sich mit ihm vereinigt „im Erkennen des väterlichen Willens und in der Hingabe für die Herde (Presbyterorum ordinis Nr. 14). Auf dem Fundament gelehriger Treue gegenüber dem Willen Gottes und der pastoralen Liebe festigen sich das geistliche Leben des Priesters und seine unermüdliche priesterliche Tätigkeit zur Einheit. Die ständige Weiterbildung bei der sich die verschiedenen einzelnen Bildungsaspekte auf dem Fundament der priesterlichen Liebe harmonisch zusammenfügen wird für den Priester das kostbare „Mosaik" der Lebenseinheit bilden müssen (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 14; Pastores dabo vobis, Nr. 72).

Es gilt, in gelehriger Zusammenarbeit mit dem Heiligen Geist einen Bildungsweg zu planen und zu verfolgen, der im Diener des Heiligtums das Wachsen in der Heiligkeit gemäß seiner empfangenen Gabe fördert. So wird er mit all seinen Kräften danach streben, „lebendiges und transparentes Abbild" (Pastores dabo vobis, Nr. 12) der Liebe Jesu Christi, des Priesters, des Hauptes und Hirten, des Bräutigams und des Lehrers, zu sein, der seine Kirche heiligt.

5. Um auf die Herausforderungen einzugehen, die die Neuevangelisierung stellt, wird der Priester heute eine Spiritualität leben müssen, die ständig genährt wird von einem selbstlosen und liebevollen Dienst an den Menschen, in Übereinstimmung mit dem empfangenen apostolischen Auftrag.

Die Hauptrolle im geistlichen Leben und im Bildungsweg muß daher der Feier des heiligen Meßopfers zuerkannt werden, das „die Mitte und die Wurzel" der ganzen priesterlichen Existenz ist; sie findet ihre Ausweitung in einer von Liebe getragenen Verehrung der Gegenwart des Herrn im Tabernakel. Im Meßopfer finden sich die erhabensten Gründe für den Zölibat und für, die Hirtenliebe, die den Priester mit Christus gleichgestalten in der vollkommenen Hingabe seiner selbst an den himmlischen Vater.

Er muß ein Mann sein, der ganz vom Gebetsgeist durchdrungen ist. Je mehr er mit dringenden Dienstaufgaben belastet ist, um so mehr muß er die Kontemplation und den inneren Frieden pflegen in dem Bewußtsein, daß die Seele allen Apostolates in der lebendigen Verbundenheit mit Gott besteht. Die starke, feste und treue Liebe zu Jesus Christus, die transparente und freudige Beobachtung der Disziplin, die Pflege des Gottesdienstes, die Verfügbarkeit zum Dienst, die Verbundenheit mit der Hierarchie wandeln sich in ihm auch zu missionarischem Geist, zu einem Wachstumsferment für die Kirche, zu wahrhaft katholischer Zielsetzung und Garantie für eine echte Evangelisierung.

Verwurzelt in der christozentrischen und kirchlichen Spiritualität, erblüht als ganz besonderes Merkmal die Verehrung der heiligen Jungfrau, der Mutter des Erlösers und Mutter des Priesters als eines „zweiten Christus" - „alter Christus".

Zum Abschluß des Internationalen Symposions fordere ich alle auf, gerade auf Maria zu schauen. Betrachten wir miteinander jene, die durch den Heiligen Geist den Erlöser empfangen und geboren hat. Bitten wir sie, den Samen des Guten zum Wachsen zu bringen, der mit gutem Willen in diesen Tagen ausgestreut wurde, und weiterhin über die Entfaltung der Berufungen und des priesterlichen Lebens in der Kirche zu wachen.

Aus der Heiligkeit des Priesters - davon sind wir alle überzeugt - wird eine mächtige, besonders intensive Welle der Evangelisierung entspringen können, eine wunderbare Kraftquelle für das nahe bevorstehende dritte Jahrtausend.

Mit diesen Wünschen erteile ich euch allen hier Anwesenden und allen Kongreßteilnehmern meinen besonderen Apostolischen Segen.