Der Geist Gottes setzt in Bewegung

Ansprache bei der Generalaudienz am 3. Januar 1990

1. In den Katechesen, die dem Heiligen Geist — seiner Person und Sendung — gewidmet sind, wollten wir vor allem die Ankündigung und Verheißung von seiten Jesu, insbesondere beim letzten Abendmahl, hören, den Bericht über sein Kommen in der Apostelgeschichte wieder lesen und die Texte des Neuen Testamentes prüfen, die die Predigt über ihn und den Glauben an ihn in der Urkirche dokumentieren. Aber bei unserer Textanalyse sind wir mehrmals auf das Alte Testament gestoßen. Es sind die Apostel selbst, die bei der ersten Predigt nach Pfingsten das Kommen des Heiligen Geistes ausdrücklich als die Erfüllung der Verheißungen und der alten Ankündigungen darstellen, weil sie den Alten Bund und die Geschichte Israels als Vorbereitungszeit auf das Empfangen der Fülle der Wahrheit und Gnade sehen, die vom Messias gebracht werden sollte.

Gewiß, Pfingsten war ein auf die Zukunft ausgerichtetes Ereignis, denn es setzte den Anfang für die Zeit des Heiligen Geistes, den Jesus selbst als Protagonisten — zusammen mit dem Vater und dem Sohn — des Heilswerkes genannt hat, das sich vom Kreuz aus über die ganze Welt hin ausbreiten sollte. Um jedoch zu einer vollständigeren Erkenntnis der Offenbarung des Heiligen Geistes zu gelangen, ist es notwendig, auf die Vergangenheit, das heißt das Alte Testament zurückzukommen, um die Zeichen der langen Vorbereitung auf das Geheimnis von Ostern und Pfingsten aufzuspüren.

2. Wir müssen also wieder über die biblischen Angaben hinsichtlich des Heiligen Geistes und über die Entwicklung der Offenbarung nachdenken, die fortschreitend aus dem Hintergrund des Alten Testamentes bis zu den klaren Bekräftigungen des Neuen Testamentes hervortritt und sich zuerst innerhalb der Schöpfung und dann im Erlösungswerk ausdrückt, zuerst in der Geschichte und in der Prophetie Israels und dann im Leben und in der Sendung Jesu, des Messias, vom Augenblick der Menschwerdung bis zu der Auferstehung.

Unter den zu prüfenden Angaben ist vor allem der Name, mit dem der Heilige Geist im Alten Testament angedeutet wird, ebenso die verschiedenen Bedeutungen, die dieser Name zum Ausdruck bringt.

Wir wissen, daß nach der jüdischen Mentalität der Name eine große Bedeutung hat, um die Person darzustellen. Zu erinnern ist dabei an die Wichtigkeit, die beim Exodus und in der ganzen Tradition Israels der Weise zugeschrieben wird, Gott zu benennen. Mose hatte Gott den Herrn gefragt, wie sein Name sei. Die Offenbarung des Namens wurde als Offenbarung der Person selbst betrachtet: der heilige Name setzte das Volk in Beziehung mit dem übernatürlichen, aber gegenwärtigen Sein Gottes selbst (vgl. Ex 3,13-14).

Der Name mit dem im Alten Testament der Heilige Geist bezeichnet wird, hilft uns, dessen Eigenschaften zu verstehen, auch wenn seine Wirklichkeit als göttliche Person, eines Wesens mit dem Vater und dem Sohn, uns erst in der Offenbarung des Neuen Testaments bekannt gemacht wird. Wir können meinen, daß der Terminus von den Verfassern der heiligen Schriften gezielt gewählt wurde, ja, daß der Heilige Geist selbst, der sie inspirierte, den begrifflichen und schriftlichen Entwicklungsprozeß geleitet hat, der bereits im Alten Testament einen angemessenen Ausdruck finden ließ, um seine Person anzudeuten.

3. In der Bibel lautet das jüdische Wort, das den Geist bezeichnet, ruah. Die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes wie auch seiner lateinischen Übersetzung „spiritus" ist „Atem". Der Hauch ist die höchste immaterielle Wirklichkeit, die wir erfassen; man sieht sie nicht, sie ist äußerst fein; man kann sie nicht mit den Händen greifen; sie scheint ein Nichts zu sein und ist doch von lebenswichtiger Bedeutung: Wer nicht atmet, kann nicht leben. Zwischen einem lebenden Menschen und einem Toten besteht dieser Unterschied, daß ersterer den Atem hat, während der andere ihn nicht mehr hat. Das Leben kommt von Gott; der Atem kommt deshalb von Gott, der ihn auch wieder nehmen kann (vgl. Ps 104,29-30). Ausgehend von diesen Überlegungen über den Atem, sind wir dahin gelangt, zu verstehen, daß das Leben von einem geistigen Prinzip abhängig ist, das mit demselben jüdischen Wort ruah bezeichnet wurde.

Der Atem des Menschen steht in Beziehung zu einem viel gewaltigeren äußeren Wehen, dem Wehen des Windes.

Das jüdisches ruah und das lateinische „spiritus" bezeichnen auch das Wehen des Windes. Niemand sieht den Wind, aber seine Wirkungen sind beeindruckend. Der Wind bewegt die Wolken, schüttelt die Bäume. Wenn er heftig ist, türmt er die Meereswogen hoch und reißt die Schiffe in die Tiefe (vgl. Ps 107,25-27). Den Menschen der Antike erschien der Wind wie eine geheimnisvolle Macht, über die Gott verfügte (vgl. Ps 104,3-4). Man nannte ihn das „Wehen Gottes".

Im Buch Exodus heißt es in einer Prosaerzählung: „Der Herr trieb die ganze Nacht das Meer durch einen starken Ostwind fort. Er ließ das Meer austrocknen, und das Wasser spaltete sich. Die Israeliten zogen auf trockenem Boden ins Meer hinein ...„ (Ex 14,2 1-22). Im nachfolgenden Kapitel werden dieselben Geschehnisse in poetischer Form beschrieben, und der Ostwind wird „Schnauben" Gottes genannt. Indem er sich an Gott wendet, sagt der Dichter „Du schnaubtest vor Zorn, da türmte sich Wasser ... Da schnaubtest du Sturm. Das Meer deckte sie zu" (Ex 15,8.10). So wird in sehr eindrucksvoller Weise die Überzeugung ausgedrückt, daß der Wind unter diesen Umständen das Werkzeug Gottes war.

Von den Betrachtungen über den unsichtbaren und gewaltigen Wind gelangt man dahin, die Existenz des „Geistes Gottes" zu erfassen. In den Texten des Alten Testamentes wechselt man leicht von einer Bezeichnung zur anderen und auch im Neuen Testament sehen wir, daß die beiden Bedeutungen vorhanden sind. Um Nikodemus die Wirkweise des Heiligen Geistes verständlich zu machen, verwendet Jesus den Vergleich des Windes, und er verwendet dasselbe Wort zur Bezeichnung des einen wie des andern: „Der Wind weht, wo er will ... so ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist" (Joh 3,8)

4. Der Grundgedanke, der im biblischen Namen des Geistes Ausdruck findet, ist also nicht der einer intellektuellen Macht, sondern der einer dynamischen Kraft, vergleichbar mit dem Antrieb des Windes. In der Bibel ist die erste Funktion des Geistes nicht die, etwas verständlich zu machen, sondern etwas in Bewegung zu setzen; nicht die, zu erleuchten, sondern eine Dynamik mitzuteilen.

Dies ist jedoch nicht der einzige Aspekt. Andere Aspekte kommen zum Ausdruck, die die nachfolgende Offenbarung vorbereiten. Vor allem der Aspekt der Innerlichkeit. Der Hauch dringt in der Tat ins Innere des Menschen. In der Sprache der Bibel kann man diese Feststellung so ausdrücken, daß man sagt, Gott legt einen neuen Geist in die Herzen (vgl. Ez 36,26; Röm 5,5). Die äußerst feine Luft dringt nicht nur in unseren Organismus, sondern in alle Räume und Spalten. Das hilft verstehen, daß „der Geist den Erdkreis erfüllt" (Weish 1,7) und daß er insbesondere alle „Geister durchdringt" (ebd., 7,23) wie das Buch der Weisheit sagt. Mit dem Aspekt der Innerlichkeit verbindet sich der Aspekt der Erkenntnis. „Wer von den Menschen — fragt der heilige Paulus — kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist?" (1 Kor 2,11). Nur unser Geist kennt unsere innersten Reaktionen, unsere Gedanken, die wir den anderen noch nicht mitgeteilt haben. In ähnlicher Weise und in größerem Maß kennt der Geist des Herrn, der im Innern aller Lebewesen des Universums gegenwärtig ist, „jeden Laut" (Weish 1,7). Ja, „der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes ... So erkennt auch keiner Gott — nur der Geist Gottes" (1 Kor 2,10-11).

5. Wenn es sich um das Erkennen und Mitteilen unter den Menschen handelt, hat der Atem eine natürliche Verbindung mit dem Wort. Wenn wir nämlich sprechen, gebrauchen wir unsern Atem. Die Stimmbänder lassen unsern Atem vibrieren, der so den Klang der Worte vermittelt. Indem sie sich an dieser Tatsache inspiriert, setzt die Bibel gern Wort und Hauch (vgl. Jes 11,4) oder Wort und Geist nebeneinander. Dank dem Hauch verbreitet sich das Wort; vom Atem bekommt es Kraft und Dynamik. Psalm 33 wendet diese Parallele auf das Urgeschehen der Schöpfung an und sagt: „Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes" (V. 6).

In solchen Texten können wir eine entfernte Vorbereitung auf die christliche Offenbarung des Geheimnisses der Heiligsten Dreifaltigkeit erkennen: Gott Vater ist das Prinzip der Schöpfung; er hat es durch sein Wort verwirklicht, das heißt durch seinen Sohn, und durch seinen Atem, den Heiligen Geist.

6. Die vielfältigen Bedeutungen des jüdischen Wortes ruah, das in der Bibel verwendet wird, um den Geist zu bezeichnen, scheint Anlaß zu einiger Verwirrung zu geben. Tatsächlich ist es einem bestimmten Text oft nicht möglich, den genauen Sinn des Wortes zu bestimmen; man kann schwanken zwischen Wind und Atem, zwischen Hauch und Geist, zwischen Schöpfergeist und göttlichem Geist.

Diese Vielfältigkeit ist jedoch vor allem ein Reichtum, denn sie setzt so viele Wirklichkeiten in fruchtbare Verbindung zueinander. Hier ist es angebracht, teilweise auf den rationalen Anspruch zu verzichten, der um Präzision bemüht ist, und sich breiteren Perspektiven zu öffnen. Wenn wir an den Heiligen Geist denken, ist es nützlich für uns, gegenwärtig zu halten, daß sein biblischer Name „Atem" bedeutet und in Beziehung steht zu dem mächtigen Wehen des Windes und dem inneren Hauch unseres Atems. Anstatt an einem zu sehr intellektuellen und trockenen Begriff festzuhalten, wird es für uns von Nutzen sein, wenn wir diesen Reichtum von Bildern und Tatsachen aufnehmen. Die Übersetzungen sind leider nicht imstande, ihn uns vollständig zu vermitteln, denn oft sind sie gezwungen, andere Ausdrücke zu wählen. Für das jüdische Wort ruah verwendet die griechische Übersetzung der Septuaginta 24 verschiedene Worte und erlaubt uns deshalb nicht, alle Zusammenhänge wahrzunehmen, die sich unter den Texten der jüdischen Bibel befinden.

7. Zum Abschluß dieser sprachlichen Analyse der Texte des Alten Testamentes über das Wort ruah können wir sagen, daß von ihnen aus der Atem Gottes als die Kraft erscheint, die die Geschöpfe lebendig macht. Er erscheint als eine tiefe Wirklichkeit Gottes, die im Innern des Menschen wirkt. Er erscheint als eine Offenbarung der Dynamik Gottes, die sich den Geschöpfen mitteilt.

Obwohl noch nicht als selbständige Person im Bereich des göttlichen Seins begriffen, unterscheidet sich der „Atem" oder „Geist" Gottes in gewisser Weise von Gott, der ihn sendet, um in den Geschöpfen zu wirken. So wird auch unter dem literarischen Aspekt der menschliche Geist darauf vorbereitet, die Offenbarung der Person des Heiligen Geistes zu empfangen, der als Ausdruck des inneren Lebens Gottes und seiner Allmacht erscheinen wird.

In deutscher Sprache sagte der Papst:

Liebe Brüder und Schwestern!

Unsere bisherigen katechetischen Darlegungen über den Heiligen Geist verweilten vor allem beim Geschehen am Pfingstfest in Jerusalem und bei den diesbezüglichen Schrifttexten des Neuen Testamentes. Diese aber erklären das Kommen des Heiligen Geistes als die Erfüllung von früheren Verheißungen, die uns auch schon das Alte Testament als Zeit der Vorbereitung auf die Fülle der Wahrheit und Gnade erkennen lassen.

Darum besinnen wir uns in der heutigen Katechese auf die vorbereitende Offenbarung des Heiligen Geistes im Alten Bund. In der Bibel heißt das hebräische Wort für Geist ruah. Wir können es mit „Hauch" und „Lebensatem" übersetzen. Dieses Wort bezeichnet eine unmaterielle Wirklichkeit, die ein Nichts zu sein scheint und doch von größter vitaler Bedeutung ist. Wer nicht atmet, kann nicht leben. Wie das Leben selbst, so kommt auch der Lebensatem von Gott. Eine weitere Bedeutung von ruah ist das Wehen des Windes. Der Wind galt den Menschen als eine geheimnisvolle Macht deren Gott sich in der Natur bedient. Schließlich gelangte man aus den Beobachtungen dieser Wirklichkeiten zur Erkenntnis der Existenz des „Geistes Gottes".

Geist bedeutet in der Sprache der Bibel nicht so sehr eine geistige Macht, sondern eine dynamische Kraft, die etwas in Bewegung zu setzen und Energien mitzuteilen vermag. Er ist vor allem auf das Innere im Menschen und in der Schöpfung bezogen. Gott sendet den Geist in die Herzen der Menschen und zugleich „erfüllt der Geist des Herrn den Erdkreis" (Weish 1,7). Ebenso „ergründet der Geist alles, auch die Tiefen Gottes" (1 Kor 2,10). Wenn es um Erkenntnis und Mitteilungen zwischen Personen geht, so ist Geist sehr eng mit dem Wort verbunden, wie es auch der Psalmist andeutet: „Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes" (Ps 33,6). In diesen Aussagen des Alten Testamentes bahnt sich, wenn auch noch unvollkommen, schon die schrittweise Offenbarung des Heiligen Geistes und der Allerheiligsten Dreifaltigkeit an, die dann im Neuen Testament ihre volle Entfaltung findet.

Herzlich grüße ich bei der heutigen Audienz im neuen Jahr alle anwesenden Pilger deutscher Sprache. Von Herzen wünsche ich euch und allen, zu denen meine Worte gelangen, den Beistand des göttlichen Geistes, sein Licht und seine Führung für ein gottwohlgefälliges Leben und Wirken in diesem neuen Jahr des Herrn. Hierbei begleite ich euch in der Liebe Christi mit meinem besonderem Apostolischen Segen.