Der lebenspendende Geist

Ansprache bei der Generalaudienz am 8. August 1990

1. Der Apostel Petrus versichert in seinem ersten Brief: „Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, er, der Gerechte, für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen; dem Fleisch nach wurde er getötet, dem Geist nach lebendig gemacht" (1 Petr 3,18). Auch der Apostel Paulus bestätigt diese Wahrheit in der Einleitung des Briefes an die Römer, in der er sich als Verkündiger des Evangeliums Gottes vorstellt. Er schreibt das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn" (Röm 1,3-4).

Diesbezüglich habe ich in der Enzyklika Dominum et vivificantem geschrieben: „So kann man sagen, daß die ,Erhöhung‘ Christi als Messias im Heiligen Geist ihren Höhepunkt in der Auferstehung erreicht, in der er sich als Sohn Gottes offenbart, ,voll der Kraft"‘ (Nr. 24).

Die Gelehrten sind der Meinung, dieser Abschnitt des Briefes an die Römer, wie auch jener aus dem Petrusbrief (1 Petr 3,18-4,6) enthalte ein Glaubensbekenntnis, das die beiden Apostel der lebendigen Quelle der Urkirche entnommen haben. Unter den Elementen dieses Glaubensbekenntnisses befindet sich die Aussage, daß der Heilige Geist, der in der Auferstehung am Werk ist, der „Geist der Heiligung" ist. Wir können also sagen, daß Christus, der vom ersten Augenblick seiner Empfängnis durch den Heiligen Geist im Schoß Mamas an der Sohn Gottes war, in der Auferstehung durch eben diesen Heiligen Geist „eingesetzt" wird als Quelle des Lebens und der Heiligkeit — „voll der Kraft der Heiligung".

So offenbart sich die Geste Jesu am Abend des Auferstehungstages, des „ersten Tages der Woche", in ihrer ganzen Bedeutung, als Jesus den Aposteln erscheint, ihnen die Hände und die Seite zeigt, sie anhaucht und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist!" (Joh 20,22).

2. In diesem Zusammenhang verdient der erste Brief des Paulus an die Korinther besondere Aufmerksamkeit. Wir sahen seinerzeit bei den christologischen Katechesen, daß sich in diesem Brief die erste geschichtliche Anmerkung hinsichtlich der Zeugnisse über die Auferstehung Christi befindet, die für den Apostel nun zur Tradition der Kirche gehören.

„Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf, (1 Kor 15,3-5). An diesem Punkt zählt der Apostel verschiedene Erscheinungen Christi auf, die nach der Auferstehung erfolgten, und erinnert am Schluß an jene, die ihm selbst widerfuhr (vgl. ebd., 15,4-11). Es handelt sich um einen sehr wichtigen Text, der nicht nur die Überzeugung der ersten Christen hinsichtlich der Auferstehung Jesu dokumentiert sondern auch die Predigt der Apostel, die sich bildende Überlieferung und den pneumatologischen und eschatologischen Inhalt des Glaubens der Urkirche.

In seinem Brief verbindet der Apostel die Auferstehung Christi mit dem Glauben an die allgemeine „Auferstehung des Leibes" und stellt mit folgenden Worten die Beziehung zwischen Christus und Adam her: „Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendigmachender Geist" (1 Kor 15,45). Wenn er von Adam schreibt, daß er „ein irdisches Lebewesen" wurde, dann zitiert er den Text der Genesis, in welchem es heißt, daß Adam „zu einem lebendigen Wesen" wurde kraft des „Lebensatems", den Gott „in seine Nase blies" (Gen 2,7). Sodann hält Paulus fest, daß Jesus Christus als auferstandener Mensch Adam übertrifft: er besitzt ja die Fülle des Heiligen Geistes, der in einer neuen Weise dem Menschen Leben geben soll, so daß er zu einem geistigen Wesen wird. Wenn der neue Adam zu „lebendigmachendem Geist" wurde, dann bedeutet das nicht, er sei als Person gleichbedeutend geworden mit dem Heiligen Geist, der „lebendig macht" (mit göttlichem Leben), sondern daß er als Mensch, der die Fülle dieses Geistes besitzt, ihn den Aposteln, der Kirche, der Menschheit gibt. Er ist „Geist, der Leben gibt", durch seinen Tod und seine Auferstehung, das heißt durch sein Kreuzesopfer.

3. Die Worte des Apostels gehören zu der Unterweisung, die Paulus über die Bestimmung des menschlichen Leibes gibt, dessen Lebensprinzip die Seele ist (griechisch: psyche, hebräisch: nefesh, vgl. Gen 2,7). Sie ist ein natürliches Prinzip, das den Körper im Augenblick des Todes zu verlassen scheint, in einem Ereignis, angesichts dessen sich als existentielles Problem — noch vor der philosophischen Reflexion — die Frage nach der Unsterblichkeit stellt.

Nach der Auffassung des Apostels antwortet die Auferstehung Christi mit einer Gewißheit des Glaubens auf diese Frage. Der Leib Christi, in der Auferstehung mit Heiligem Geist erfüllt, ist die Quelle des neuen Lebens im Leib der Aufgeweckten: „Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib" (1 Kor 15,44). Der irdische Leib (von der psyche beseelt) ist dazu bestimmt, zu verschwinden, um dem „überirdischen", vom pneuma beseelten, Platz zu machen. Dieser ist von dem Geist beseelt, der schon während dieses irdischen, sterblichen Lebens das Prinzip neuen Lebens ist (vgl. Röm 1,9; 5,5) und nach dem Tod zur vollen Auswirkung kommt. Dann wird er der Urheber der Auferstehung des „irdischen Leibes" sein in der integralen Wirklichkeit des „überirdischen Leibes" durch die Verbindung mit Christus, dem Auferstandenen (vgl. Röm 1,4; 8,11), dem himmlischen Menschen und „lebendigmachenden Geist" (1 Kor 15,45-49).

Die zukünftige Auferstehung ist also an die Vergeistigung des Leibes gebunden, ähnlich dem Leib Christi, lebendig gemacht durch die Kraft des Heiligen Geistes. Das ist die Antwort des Apostels auf die Frage, die er sich selbst stellt: „Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben?" (1 Kor 15,35). „Was für eine törichte Frage!" — ruft Paulus aus —. „Auch das, was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du säst, hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird; es ist nur ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ein Weizenkorn oder ein anderes. Gott gibt ihm die Gestalt, die er vorgesehen hat ... So ist es auch mit der Auferstehung der Toten ... Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib" (1 Kor 15,36-38.42.44).

4. Nach dem Apostel also ist das Leben in Christus zugleich das Leben im Heiligen Geist: „Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt. Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm" (Röm 8,9). Die wahre Freiheit findet sich in Christus und in seinem Geist, „denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes" (Röm 8,2). Die Heiligung in Christus ist zugleich die Heiligung im Heiligen Geist (vgl. z. B. 1 Kor 1,2; Röm 15,16). Wenn Christus „für uns eintritt" (Röm 8,34), dann „tritt auch der Geist selbst für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können ... Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein" (Röm 8,26-27).

Wie sich aus diesen paulinischen Texten ersehen läßt, gießt der Heilige Geist, der in der Auferstehung Christi am Werk war, auch schon dem Christen im eschatologischen Ausblick auf die zukünftige Auferstehung das neue Leben ein. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Auferstehung Christi, dem neuen Leben des von der Sünde befreiten und des Ostergeheimnisses teilhaftig gewordenen Christen und der zukünftigen Wiederherstellung der Einheit von Leib und Seele in der Auferstehung vom Tod: der Urheber der ganzen Entfaltung des neuen Lebens in Christus ist der Heilige Geist.

5. Man kann sagen, daß die Sendung Christi im Ostergeheimnis wirklich ihren Höhepunkt erreicht. Dort eröffnet sich vor dem Blick des Gläubigen und der Forschung des Theologen die enge Beziehung zwischen der Christologie und der Pneumatologie vor dem eschatologischen Horizont. Aber dieser Blick schließt auch die ekklesiologische Ebene ein: „Die Kirche verkündet denjenigen, der dieses Leben schenkt: den Geist, den Lebensspender; sie verkündet ihn und wirkt mit ihm zusammen in der Vermittlung des Lebens. Denn wenn ,der Leib tot ist aufgrund der Sünde, ist der Geist Leben aufgrund der Gerechtigkeit, (Röm 8,10), die von dem gekreuzigten und auferstandenen Christus gewirkt worden ist. Im Namen der Auferstehung Christi dient die Kirche dem Leben, das aus Gott selbst hervorgeht, in enger Einheit und demütigem Dienst mit dem Geist" (Dominum et vivificantem, Nr. 58).

6. Im Mittelpunkt dieses Dienstes steht die Eucharistie. Dieses Sakrament, in dem sich unaufhörlich das Erlösungsgeschenk Christi fortsetzt, enthält gleichzeitig die lebenspendende Kraft des Heiligen Geistes. Die Eucharistie ist also das Sakrament, in welchem der Geist sein Wirken fortsetzt und sich als Lebensprinzip des Menschen in der Zeit und in der Ewigkeit offenbart. Er ist Quelle des Lichtes für den Verstand und Quelle der Kraft für die Lebensführung, nach dem Wort Jesu in Kafarnaum: „Der Geist ist es, der lebendig macht ... Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe [über „das Brot, das vom Himmel herabkommt"] sind Geist und sind Leben" (Joh 6,63).

In deutscher Sprache sagte der Papst:

Liebe Schwestern und Brüder!

Sendung und Auftrag Jesu finden ihren letzten und eigentlichen Höhepunkt in der Auferstehung. Der Sohn des lebendigen Gottes, dessen ganzes Dasein begründet und begleitet ist vom Wirken des heiligen Geistes, erweist sich im Geschehen der Auferstehung aus der Kraft des Geistes als Quelle des Lebens und der Heiligkeit. Christus, „der dem Fleische nach geboren ist als Nachkomme Davids", ist „dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten" (Röm 1,4). Den lebenspendenden Geist spricht der Herr am Abend des Tages der Auferstehung den „bei verschlossenen Türen" versammelten Jüngern zu, denen er seine Hände und seine Seite zeigt: „Empfangt den heiligen Geist" (Joh 20,22).

Der individuelle Lebensweg Jesu und das Schicksal der Menschheit sind im Auferstandenen engstens miteinander verknüpft. „Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendigmachender Geist" (1 Kor 15,45). Der „neue Adam" besitzt also die Fülle des heiligen Geistes und gibt ihn an die Apostel, an die Kirche und an die Menschheit weiter. Er ist durch das Opfer am Kreuz, durch seinen Tod und seine Auferstehung zum lebenspendenden Geist geworden. Hier nun setzt das Zeugnis und die Verkündigung der Kirche an, die „im Namen der Auferstehung Christi ... dem Leben dient, das aus Gott selbst hervorgeht, in enger Einheit und demütigem Dienst mit dem Geist" (Dominum et vivificantem, Nr. 58).

Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache sehr herzlich. Mein besonderer Gruß gilt der Pilgergruppe aus Kallmünz und den zahlreichen Jugendgruppen. Eure Reise nach Rom möge auch der inneren Bereicherung und der Stärkung der Einheit mit dem Nachfolger des Apostels Petrus dienen. Zugleich wünsche ich euch noch einen angenehmen Urlaub. Euch allen und euren Lieben in der Heimat sowie den mit uns über Radio Vatikan verbundenen Hörerinnen und Hörern erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.