Der Geist ist Geber aller Gaben

Ansprache bei der Generalaudienz am 3. Oktober 1990

1. Bekannt sind die Worte, mit denen der heilige Paulus den zweiten Brief an die Korinther schließt: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes [des Vaters] und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen" (2 Kor 13,13). Diesen Gruß legt die Liturgie dem Priester zu Beginn der Meßfeier in den Mund. Mit diesem Zitat von offensichtlicher trinitarischer Bedeutung beginnen wir die Untersuchung über das, was die Briefe des Apostels Paulus uns vom Heiligen Geist als Person in der Einheit der Dreifaltigkeit mit dem Vater und dem Sohn sagen. Der Text des Korintherbriefes scheint der Ausdrucksweise der christlichen Urgemeinden und vielleicht ihren Liturgiefeiern zu entspringen. Der Apostel drückt mit diesen Worten die Einheit der Dreifaltigkeit aus, ausgehend von Christus, der als Urheber der Heilsgnade der Menschheit die Liebe Gottes des Vaters offenbart und sie den Gläubigen in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes mitteilt. Daraus geht hervor, daß gemäß dem hl. Paulus der Heilige Geist die göttliche Person ist, die die Gemeinschaft des Menschen — und der Kirche — mit Gott bewirkt.

Die paulinische Formulierung spricht klar von dem einen und dreifaltigen Gott, wenn auch mit anderen Worten als denen, die Matthäus für die Taufformel angibt: „Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" (Mt 28,19). Sie läßt uns den Heiligen Geist so erkennen, wie er in der Lehre der Apostel dargestellt und im Leben der Christengemeinden aufgefaßt wurde.

2. Ein anderer Text des hl. Paulus hat als Grundlage der Lehre über den Heiligen Geist den Reichtum der Charismen, die mit Vielfalt und gemäß der Ordnung der Einheit in den Gemeinschaften verteilt sind: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen" (1 Kor 12,4-6). Der Apostel schreibt dem Heiligen Geist die Gnadengaben (Charismen) zu; dem Sohn — als dem Haupt der Kirche — die Dienste (ministeria); Gott dem Vater, der alles in allen bewirkt, die „Werke".

Die in diesem Abschnitt ausgedrückte Parallele zwischen dem Geist, Jesus dem Herrn und Gott dem Vater ist sehr bedeutsam. Sie beweist, daß auch der Geist als göttliche Person erkannt wird. Es wäre nicht folgerichtig, die zwei göttlichen Personen, die des Vaters und des Sohnes, durch eine nichtpersonale Kraft in Beziehung zu setzen. Ebenso bedeutsam ist es, daß dem Heiligen Geist in besonderer Weise das Geschenk der Charismen und jeder göttlichen Ausspendung an den Menschen und die Kirche zugeschrieben wird.

3. Das wird noch stärker im unmittelbaren Zusammenhang des ersten Korintherbriefes betont: „Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu wie er will" (1 Kor 12,11). Der Heilige Geist offenbart sich als ein freier und „spontaner" Geber des Guten in der Ordnung der Charismen und der Gnade — wie eine göttliche Person, die die Empfänger der verschiedenen Gaben auswählt und sie ihnen schenkt: „Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, dem andern durch den gleichen Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln, dem dritten im gleichen Geist Glaubenskraft" (1 Kor 12,8-9). Und weiter: „die Gabe, Krankheiten zu heilen ... prophetisches Reden ... die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden ... verschiedene Arten von Zungenrede ... schließlich die Gabe, sie zu deuten" (ebd., 9-10). Wir sehen hier: „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt" (1 Kor 12,7). Vom Heiligen Geist kommt also die Vielfalt der Gaben wie auch ihre Einheit, ihr Zusammenhalt. All das zeigt den Heiligen Geist als Person, die in der göttlichen Einheit, in der Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater, lebt und wirkt.

4. Auch andere Abschnitte der paulinischen Briefe bringen dieselbe Wahrheit des Heiligen Geistes als Person in der Einheit der Dreifaltigkeit zum Ausdruck, ausgehend von der Heilsökonomie. „Wir müssen Gott zu jeder Zeit euretwegen danken . .., weil Gott euch als Erstlingsgabe dazu auserwählt hat, aufgrund der Heiligung durch den Geist und aufgrund eures Glaubens an die Wahrheit gerettet zu werden ... ihr sollt nämlich die Herrlichkeit Jesu Christi, unseres Herrn, erlangen", schreibt der Apostel im zweiten Brief an die Thessalonicher (2 Thess 2,13-14), um sie auf das Ziel des von ihm verkündeten Evangeliums hinzuweisen. Und an die Korinther: „Ihr seid reingewaschen, seid geheiligt, seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes" (1 Kor 6,11).

Gott, der Vater, ist nach dem Apostel der Ursprung der Heiligung, die vom Heiligen Geist demjenigen mitgeteilt wird, der „an den Namen" Christi glaubt. Die Heiligung im Innern des Menschen kommt also vom Heiligen Geist, der göttlichen Person, die in der Einheit mit dem Vater und dem Sohn lebt und wirkt.

In einem andern Abschnitt spricht der Apostel denselben Gedankengang in sehr eindrucksvoller Weise aus: „Gott aber, der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und der uns alle gesalbt hat, er ist es auch, der uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat" (2 Kor 1,2 1-22). Die Worte „in unser Herz" zeigen die Intimität des heiligenden Wirkens des Heiligen Geistes.

Dieselbe Wahrheit, noch stärker ausgeprägt, findet sich im Brief an die Epheser: „Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus ... hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel" (Eph 1,3). Und kurz danach sagt der Autor zu den Gläubigen: „Ihr habt das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen" (Eph 1,13-14).

5. Ein weiterer großartiger Ausdruck des Denkens und Wollens des hl. Paulus ist der Brief an die Römer, wo er den Zweck seines Dienstes am Evangelium beschreibt: „die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott gefällt, geheiligt im Heiligen Geist" (Röm 15,16). Für diesen Dienst bittet er die Empfänger des Briefes, zu Gott zu beten, und der tut es im Namen Jesu Christi und „bei der Liebe des Geistes" (Röm 15,30). Die „Liebe" ist eine besondere Eigenschaft des Heiligen Geistes (vgl. Röm 5,5), ebenso die „Gemeinschaft" (vgl. 2 Kor 13,13). Von dieser Liebe kommt die Heiligkeit, die das Geschenk wohlgefällig macht. Auch das ist ein Werk des Heiligen Geistes.

6. Nach dem Galaterbrief teilt der Heilige Geist den Menschen das Geschenk der Annahme an Kindes Statt mit, indem er sie zum eigenen Gebet des Sohnes antreibt. „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater" (Gal 4,6). Der Geist „ruft" und offenbart sich so als eine Person, die sich sehr intensiv ausdrückt. Er läßt in den Herzen der Christen das Gebet widerhallen, das Jesus selbst mit Sohnesliebe an den Vater richtete (vgl. Mk 14,36). Der Heilige Geist ist derjenige, der die Annahme an Kindes Statt bewirkt und die Fähigkeit zum kindlichen Gebet schenkt.

7. Die Lehre des hl. Paulus über diesen Punkt ist so reichhaltig, daß sie in der nächsten Katechese weitergeführt werden muß. Für heute können wir abschließend sagen, daß der Heiligen Geist auch in den paulinischen Briefen als eine göttliche Person erscheint, die in der Einheit der Dreifaltigkeit mit dem Vater und mit dem Sohn lebt. Der Apostel schreibt ihm in besonderer Weise das Werk der Heiligung zu. Er ist der unmittelbare Urheber der Heiligkeit der Seelen. Er ist die Quelle der Liebe und des Gebets, worin sich das göttliche Geschenk der „Annahme an Kindes Statt" des Menschen ausdrückt. Seine Gegenwart in den Herzen ist Unterpfand und Beginn des ewigen Lebens.

In deutscher Sprache sagte der Papst:

Liebe Schwestern und Brüder!

In den Briefen des Apostels Paulus begegnet uns an zahlreichen Stellen der Heilige Geist als die dritte göttliche Person in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. So schließt etwa der zweite Korintherbrief mit den Worten, die wir auch aus der Liturgie kennen und mit denen der Priester in die Feier der Eucharistie einführt: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes [des Vaters] und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen" (2 Kor 13,13). Hiermit bringt der Apostel die Einheit der göttlichen Dreifaltigkeit zum Ausdruck, die von Christus ausgeht, der gleichsam als Urheber der heiligenden Gnade der Menschheit die Liebe Gottes des Vaters enthüllt und sie den Gläubigen in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes mitteilt. Die paulinische Formulierung spricht also klar von dem einen und dreifaltigen Gott, wobei Paulus dem Heiligen Geist vor allem das Werk der Heiligung zuweist. Er ist der unmittelbare Urheber der Heiligkeit. Er ist die Quelle der Liebe und des Gebetes, worin sich das göttliche Geschenk der „Annahme an Kindes Statt" des Menschen ausdrückt. Seine Gegenwart in den Herzen ist Unterpfand und Ursprung des ewigen Lebens. Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache sehr herzlich. Ein besonderer Willkommensgruß gilt den Teilnehmern der 11. Pilgerfahrt „Rom im Rollstuhl" aus der Schweiz sowie der Chorgemeinschaft St. Nikomedes aus Borghorst.

Die Begegnung mit Euch, liebe Schwestern und Brüder aus Deutschland, gerade am heutigen Tag ist für mich willkommener Anlaß, gemeinsam mit euch dem Herrn der Zeiten dafür zu danken, daß nach so langen Jahren der gewaltsamen und schmerzlichen Trennung die staatliche Einheit eures Vaterlandes wirksam werden konnte. Die grundlegenden Veränderungen der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in den Ländern Mittel- und Osteuropas durch die Überwindung totalitärer Ideologien, die den Menschen unterjochten und die Freiheit des Geistes unterdrückten, haben auch die Vollendung der Einheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung ermöglicht. An diesem für die Geschichte eures Landes so bedeutsamen Tag hoffe und wünsche ich, daß alle Länder Europas auf dem begonnenen Weg der Verständigung und des vertrauensvollen Miteinanders weiter voranschreiten und euer in seinem christlichen Erbe und seiner geistigen Tradition so reiches Land der ihm zukommenden großen Verantwortung für eine gesicherte und friedliche Zukunft Europas und der ganzen Völkergemeinschaft auch weiterhin gerecht wird.

Euch allen, den deutschsprachigen Pilgern und Besuchern, sowie euren Lieben in der Heimat erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.