Christus in die Welt tragen

Ansprache bei der Generalaudienz am 4. Januar 1989

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Heilsplan Gottes tut sich in der Weihnachtszeit, die wir jetzt intensiv erleben, mit einer Reihe liturgischer Feste kund, die mehr als geeignet sind, uns im Laufe weniger Tage einen weiten Gesamtausblick vorzustellen. Von der Betrachtung des Gottessohnes, der für uns Kind wurde in der Grotte von Betlehem, gehen wir über zu dem unnachahmlichen Vorbild der Heiligen Familie und weiter bis zum Ereignis der Taufe des Herrn, dem Beginn seines öffentlichen Wirkens.

Die heutige Mittwochsaudienz fällt in die Mitte zwischen zwei kennzeichnende Feste: der Gottesmutterschaft Marias und der Epiphanie. Zwei hochbedeutsame Geheimnisse, die tief miteinander verbunden sind, worüber es sich nachzudenken lohnt.

2. Das Wort „Epiphanie" bedeutet „Erscheinung". In der Tat feiert man an diesem Tag die erste Erscheinung des neugeborenen Erlösers in der heidnischen Welt.

Inder Geschichte der Kirche ist Epiphanie eines der ältesten Feste mit Spuren bereits im 2. Jahrhundert, und sie wird als der Tag der Theophanie, der „dies sanctus" schlechthin, empfunden. In der ersten Zeit war die Feier hauptsächlich mit der Erinnerung an die Taufe des Herrn verbunden, bei der der himmlische Vater öffentlich Zeugnis für den Sohn auf Erden gegeben und alle eingeladen hatte, auf dessen Wort zuhören. Bald jedoch überwog der Besuch der Sterndeuter, in denen die Vertreter der Völker gesehen werden, die berufen sind, Christus außerhalb der Gemeinschaft Israels zu erkennen.

Der hl. Augustinus, ein aufmerksamer Zeuge der kirchlichen Tradition, erläutert dazu die Gründe von universaler Tragweite und bekräftigt, daß die Sterndeuter, die als erste Heiden den Erlöser erkannten, es verdienten, das Heil aller Völker auszudrücken (vgl. Om 203). In der ursprünglichen christlichen Kunst erlangte das anziehende Bild gelehrter, reicher und mächtiger Männer, die von weither gekommen sind, um vor dem Kind niederzuknien, den Ehrenplatz unter den Darstellungen der Kindheit Jesu.

Später begann man an demselben Festtag auch die Theophanie der Hochzeit von Kana zu feiern, bei der Jesus sein erstes Wunder gewirkt und sich öffentlich als Gott offenbart hatte. Es gibt also viele Epiphanien, denn vielfältig sind die Wege, auf denen sich Gott den Menschen offenbart. Heute möchte ich unterstreichen, daß eine von ihnen, ja die allen anderen zugrundeliegende, die Mutterschaft Marias ist.

3. Im ältesten Glaubensbekenntnis, dem sogenannten Apostolischen Symbolum, verkündet der Christ, daß Jesus „von" der Jungfrau Maria geboren wurde. In diesem Artikel des Credo sind zwei wesentliche Wahrheiten des Evangeliums enthalten.

Die erste ist die, daß Gott von einer Frau geboren wurde (vgl. Gal 4,4). Er wollte empfangen werden, neun Monate im Schoß der Mutter bleiben und von ihr in jungfräulicher Weise geboren werden. All das weist klar daraufhin, daß die Mutterschaft Marias wesentlicher Bestandteil des Geheimnisses Christi im göttlichen Heilsplan ist.

Die zweite ist die, daß die Empfängnis Jesu im Schoß Marias durch den Heiligen Geist geschehen ist, das heißt ohne die Mitwirkung eines menschlichen Vaters. „Ich erkenne keinen Mann" (vgl. Lk 1,34), sagt Maria klar zum Boten des Herrn, und der Erzengel versichert ihr, daß „für Gott nichts unmöglich ist" (Lk 1,37). Maria ist der einzige menschliche Ursprung des menschgewordenen Wortes.

4. In diesem dogmatischen Kontext ist unschwer zu sehen, daß die Mutterschaft Marias eine neue und ganz charakteristische Epiphanie Gottes in der Welt ist.

Dabei hat die von Maria vor der Verkündigung getroffene Wahl immerwährender Jungfräulichkeit bereits offenbarende Bedeutung, weil sie auf die eschatologischen Wirklichkeiten hinweist, die jenseits der Horizonte des irdischen Lebens liegen. Ja, diese Wahl zeigt einen entschiedenen Willen zur Ganzhingabe an Gott und seine Liebe an, die den Erfordernissen eines Menschenherzens allein voll genügen. Die Tatsache der Empfängnis des Sohnes, die jenseits aller natürlichen Lebensgesetze geschah, ist dann eine weitere Erscheinung der wirksamen Gegenwart Gottes. Das frohe Ereignis der Geburt Jesu ist schließlich die Krönung der Offenbarung Gottes an die Welt in und durch Maria.

Das Evangelium stellt bedeutsamerweise Maria auch in den Mittelpunkt beim Besuch der Sterndeuter, wo es heißt: „Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm" (Mt 2,11).

Im Licht des Glaubens erscheint die Mutterschaft der Jungfrau wie ein bedeutsames Zeichen der Gottheit Jesu, der im Schoß einer Frau Mensch wird, ohne die Natur des Gottessohnes abzulegen. Die alten Väter, wie der hl. Johannes von Damaskus, hatten festgestellt, daß die Mutterschaft der heiligen Jungfrau von Nazaret das ganze Heilsgeheimnis beinhaltet, das reines, von Gott kommendes Geschenk ist.

Maria ist die „Gottesgebärerin", wie das Konzil von Ephesus verkündet hat, denn in ihrem jungfräulichen Schoß ist das Wort Fleisch geworden, um sich der Welt zu offenbaren. Sie ist die bevorzugte Stätte, die Gott erwählt hat, um sich unter den Menschen sichtbar zu machen.

Wenn wir in diesen Tagen die seligste Jungfrau betrachten, muß jeder einzelne noch lebhafter die Verpflichtung spüren, wie sie Christus im eigenen Leben annehmen, um ihn dann in die Welt zu tragen. Jeder muß sich bemühen, in seiner Familie und am Arbeitsplatz eine kleine, aber leuchtende „Epiphanie Christi" zu sein.

Das, meine Lieben, wünsche ich euch allen bei der ersten Generalaudienz des neuen Jahres.

In deutscher Sprache sagte der Papst:

Liebe Brüder und Schwestern!

Die Weihnachtszeit ist gekennzeichnet durch eine Reihe von liturgischen Festen. In ihnen betrachten wir die Menschwerdung des Sohnes Gottes in Betlehem, das Geheimnis der Heiligen Familie und auch die Taufe Jesu, mit der er sein öffentliches Wirken beginnt. Heute stehen wir zwischen dem Fest der Gottesmutterschaft Marias und dem Fest Epiphanie. „Epiphanie" bedeutet Erscheinung, Offenbarwerden. Wir gedenken an diesem Fest der Offenbarung Christi als Erlöser der ganzen Menschheit, auch der Heidenvölker.

Es ist verbunden mit der Erinnerung an die Magier, die zur Krippe von Betlehem kommen, um den neugeborenen König anzubeten.

Es gibt eine Vielzahl von Epiphanien, von Geschehnissen, in denen sich Christus als menschgewordener Sohn Gottes offenbart. Unter diesen möchte ich hier noch besonders auf das Geheimnis der Gottesmutterschaft Marias hinweisen. Wie Paulus eigens bemerkt, sandte Gott seinen Sohn, „geboren von einer Frau" (Gal 4,4). Die Geburt Jesu beinhaltet zwei Wahrheiten: Jesus wurde von einer Frau geboren — und dies durch die Kraft des Heiligen Geistes, also ohne das Mitwirken eines menschlichen Vaters. Dadurch ist auch die Mutterschaft Marias eine Epiphanie, ein besonderes Offenbarwerden Gottes. In der jungfräulichen Empfängnis wird die Gegenwart und das Wirken Gottes offenkundig. In der Geburt Jesu findet diese Offenbarung Gottes schließlich ihren vollen Ausdruck.

Mit dieser kurzen Weihnachtsbetrachtung grüße ich bei der heutigen ersten Audienz im neuen Jahr sehr herzlich alle deutschsprachigen Pilger: die Gruppen und auch die einzelnen Besucher. Ich wünsche auch euch Gottes besondere Gegenwart in eurem persönlichen Leben. Wie Maria sind wir alle aufgerufen, Christus in unser Leben Einlaß zu gewähren und ihn den anderen Menschen bekanntzumachen. Ein jeder von uns soll eine kleine, leuchtende „Epiphanie Christi" werden.

Einen besonders herzlichen Willkommensgruß richte ich an die Gruppe der Schönstatt- Mädchenjugend. Ich danke euch für diese Begegnung und eure bekundete Treue zur Kirche und zum Nachfolger des hl. Petrus. Als Schönstatt-Mädchenjugend habt ihr euch in einem besonderen Liebesbündnis Maria, der Mutter der Kirche, anvertraut und wollt von ihrer Person, von ihrem Leben und ihrem freien Mitwirken im Heilsplan Gottes die Sendung der Frau in der „Ordnung der Liebe" ablesen und nach ihrem Vorbild leben.

In unserer liebearmen Welt, in der Menschen oft keine Heimat mehr finden und nach Heil und Geborgenheit suchen, seid ihr als Mädchen und als Frauen von morgen von Gott dazu aufgerufen und befähigt, durch die aufrichtige Hingabe eurer selbst die Ordnung der Liebe präsent und wirksam werden zu lassen. Die Liebe, die Gott jedem Menschen zugedacht hat, müßt ihr ihm schenken. Die Kraft und den Mut zu diesem Weg findet ihr in der unerschöpflichen Gnadenquelle der Sakramente, in der ständigen Begegnung mit Christus, zu dem seine und eure Mutter euch immer tiefer hinführen will. Schenkt der Welt neue Hoffnung durch euer Leben mit Maria und wie Maria!

Von Herzen erteile ich euch und allen anwesenden Pilgern deutscher Sprache für Gottes bleibenden Schutz und Segen im neuen Jahr in der Liebe Jesu Christi meinen besonderen Apostolischen Segen.