Das Heilsgeheimnis des christlichen Lebens

Ansprache bei der Generalaudienz am 7. April 1993

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Die Heilige Woche am Ende der Fastenzeit mündet direkt ins Osterfest, und sie wird „heilig" genannt, weil während ihres Ablaufs die grundlegenden Ereignisse der christlichen Religion in Erinnerung gerufen werden: die Einsetzung der Eucharistie, das Leiden und der Tod Jesu am Kreuz sowie die glorreiche Auferstehung des Erlösers.

Während des Heiligen Triduums sind wir deshalb eingeladen, noch eifriger über das „zentrale Heilsgeheimnis" nachzudenken und es zu erleben, indem wir an den Liturgien teilnehmen, die uns die letzten Tage des Lebens Jesu wieder vergegenwärtigen. Sie haben für jeden Menschen ewige, entscheidende Bedeutung.

2. Der Gründonnerstag führt uns zur Einsetzung der Eucharistie, des höchsten Geschenks der Liebe Gottes in seinem Heilsplan. Beim Abendmahl an jenem Abend nahm Jesus den Opfertod auf Golgota mystisch voraus und gab sich unter den Gestalten von Brot und Wein zum Opfer hin, wie er selbst angekündigt hatte (vgl. Joh 6); dabei übertrug er den Aposteln und ihren Nachfolgern die Sendung und Vollmacht, dies zum Gedächtnis weiterzuführen durch die Wiederholung desselben Ritus: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!"

Als der Apostel Paulus um das Jahr 53-56 an die Korinther schrieb, bestärkte er die ersten Christen in der Wahrheit des „eucharistischen Geheimnisses", indem er ihnen das mitteilte, was er selbst gehört hatte: „Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis !" (1 Kor 11,23-26). Worte von grundlegender Bedeutung! Sie erinnern an das, was Jesus wirklich beim letzten Abendmahl getan hat; sie vermitteln uns seine Absicht zum „Opfer" durch die „Konsekration" von Brot und Wein anstelle des Opferlammes der Juden, das heißt seine ausdrückliche Absicht, die Apostel und ihre Nachfolger zu Dienern der Eucharistie zu machen.

Die Eucharistie als wirkliche Anwesenheit Christi und als Sakrament enger Liebes- und Heilsgemeinschaft; das Priestertum als eucharistischer Dienst, der den Aposteln und ihren Nachfolgern vorbehalten ist: Das ist der wesentliche Inhalt des Gründonnerstags. Es handelt sich um ein „Glaubensdogma", das man mit großer, immerwährender Dankbarkeit annehmen soll. Es ist ein Geschenk Christi, das man mit echter und tiefer Verehrung hochschätzen soll.

Der heilige Paulus mahnte die Gläubigen von Korinth: „Wer also unwürdig von dem Brot ißt und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon ißt und trinkt, ohne zu bedenken, daß es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er ißt und trinkt" (1 Kor 11,27-29).

Der Donnerstag, der erste Tag des Heiligen Triduums, bietet auch eine gute Gelegenheit, für die Priester zu beten, daß sie sich immer ihrer hohen Würde bewußt seien, denn ihr Leben ist ganz der Eucharistie geweiht.

3. Der Karfreitag läßt uns das „schmerzhafte Geheimnis" des Leidens und des Kreuzestodes Jesu wieder erleben. Vor dem Gekreuzigten nehmen die Worte, die er beim letzten Abendmahl gesprochen hat, dramatische Gestalt an: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird" (vgl. Mk 14,24; Mt 26,28; Lk 22,20).

Jesus wollte sein Leben hingeben zur Vergebung der Sünden der Menschheit, und er wählte zu diesem Zweck den grausamsten und erniedrigendsten Tod: die Kreuzigung. Der heilige Petrus schreibt in seinem ersten Brief darüber: Jesus „hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben.

Durch seine Wunden seid ihr geheilt" (1 Petr 2,24-25). Und der hl. Paulus betont mehrmals: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift" (1 Kor 15,3); „Christus hat uns geliebt und sich für uns hingegeben als Gabe und als Opfer" (Eph 5,2); „Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle" (1 Tim 2,5-6).

Vor der Eucharistie und dem Leiden und Sterben Jesu am Kreuz wird das Geheimnis für die menschliche Vernunft grenzenlos und unergründlich. Als wahrer Mensch hat der Messias wirklich unsagbar gelitten, von der geistlichen Todesangst am Ölberg bis zu dem langen und qualvollen Sterben am Kreuz. Der Weg nach Golgota war ein unbeschreibliches Leiden, das in die schreckliche Qual der Kreuzigung überging. Was für ein Geheimnis ist das Leiden Christi: Der menschgewordene Gott leidet, um den Menschen zu retten, und nimmt das ganze Drama der Menschheit auf sich.

Deshalb erinnert uns der Karfreitag ständig an die Aneinanderreihung von Prüfungen in der Geschichte, an die menschlichen Schicksale, die vom andauernden Kampf zwischen Gut und Böse gekennzeichnet sind. Das Kreuz ist wirklich die Waage der Geschichte: Man versteht und akzeptiert sie nur, wenn man den Gekreuzigten betrachtet und liebt.

Der Apostel Johannes schrieb: „Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat" (1 Joh 4,10); und auch der hl. Paulus bekräftigte: „Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren" (Röm 5,8).

In seinem Heils- und Heiligungsplan geht Gott nicht unseren Weg: Er geht über das Kreuz, um zur Verherrlichung zu gelangen, und regt uns so zu Geduld und Vertrauen an.

Liebe Brüder und Schwestern, lernen wir vom Karfreitag, Jesus auf dem Leidensweg zu begleiten in Demut, Zuversicht und Fügsamkeit dem Willen Gottes gegenüber, indem wir inmitten der Drangsale des Lebens im Kreuz Christi Stütze und Trost finden.

4. Das Heilige Triduum endet in dem strahlenden „glorreichen Geheimnis" der Auferstehung Christi. Er hatte vorhergesagt: „Am dritten Tag werde ich auferstehen!"

Das ist der endgültige Sieg des Lebens über den Tod. Jesus wird nach seiner Auferstehung Magdalena, den frommen Frauen, den Aposteln und dann den Jüngern erscheinen und ihnen die Wundmale auf seinem Körper zeigen. Er wird ihnen erlauben, seine Person zu berühren; er wird mit den Aposteln essen und sie die wunderbare Neuheit seines verherrlichten Leibes erfahren lassen.

Die Auferstehung ist für die Gläubigen die endgültige und entscheidende Gewähr für die Gottheit Christi, deshalb sind sie berufen, seinem Wort mit absoluter Gewißheit und Sicherheit zu glauben.

In der geheimnisvollen Stille des Karsamstag, während wir uns auf die Osternacht vorbereiten, in der das Einbrechen des Lichtes der Erlösung in die Finsternis gefeiert wird, betrachtet der menschliche Geist die machtvollen Taten Gottes, „magnalia Dei", die im Osterfest gipfeln, dem Mittel- und Kernpunkt des Lebens des christlichen Volkes.

Liebe Brüder und Schwestern, die Gottesmutter Maria, die schmerzerfüllt aber auch gefaßt, sicher und aufrecht unter dem Kreuz stand, während Jesus mit dem Tode rang und starb, begleite uns bei der Betrachtung in den Tagen des Heiligen Triduums und führe uns dahin, daß auch wir die erneuernde Osterfreude verspüren.

Mit meinem Segen und meinen herzlichen Wünschen für alle!

In deutscher Sprache sagte der Papst:

Ich grüße alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Gruß gilt dem Vorstand des Förderkreises „Rettet die Nikolaikirche" aus Hamburg. Euer Engagement hat zu einer wirklichen Solidarität über die Grenzen Eures Landes hinaus geführt, den Frieden und die Freiheit zum obersten Ziel menschlichen Handelns zu erheben. Gern segne ich die von Euch als Zeichen des Friedens mitgebrachte Glocke.

Ferner grüße ich die Priester, Diakone und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst sowie die gehörlosen Pilger aus der Diözese Trier, die Absolventen des Jesuitenkoliegs Kalksburg aus Wien sowie die zahlreichen Schülerinnen und Schüler aus Deutschland und Österreich.

Die seligste Jungfrau Maria möge Euch auf Eurem Weg durch die Kartage begleiten und Euch zur Erfahrung der erneuernden Kraft österlicher Freude führen. Verbunden mit meinen besten Wünschen für ein gesegnetes Osterfest erteile ich Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause und den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.