Das Lehramt des Nachfolgers Petri als Auftrag für die Gesamtkirche

Ansprache bei der Generalaudienz am 10. März 1993

1. Aus den Texten des Neuen Testamentes, die wir in den vorhergegangenen Katechesen wiederholt betrachtet haben, geht hervor, daß Jesus seine Absicht, Petrus die Schlüssel des Himmelreichs zu geben, als Antwort auf ein Bekenntnis des Glaubens gezeigt hat. Dieses legte Petrus im Namen der Zwölf und kraft einer Offenbarung ab, die vom Vater kam. Er brachte seinen Glauben an Jesus als „den Messias, den Sohn des lebendigen Gottes", zum Ausdruck. Diese Glaubensanhänglichkeit an die Person Jesu ist nicht einfach eine Vertrauenshaltung, sondern schließt eindeutig die Bekräftigung einer christologischen Lehre ein. Die Rolle des Grundsteins der Kirche, die Jesus Petrus verliehen hat, ist mit einem Lehraspekt verbunden (vgl. Mt 6,18-19). Der Auftrag, „die Brüder im Glauben zu stärken", den Jesus ihm gleichfalls gegeben hatte (vgl. Lk 22,32), geht in dieselbe Richtung. Petrus hat die Zusicherung eines besonderen Gebetes des Meisters, damit er diese Rolle erfüllen und seinen Brüdern helfen kann zu glauben. Die Worte: „Weide meine Lämmer!", „Weide meine Schafe!" (Joh 21,15-17) drücken nicht eindeutig einen lehramtlichen Auftrag aus, aber sie beinhalten ihn. Die Herde weiden heißt, sie mit einer kräftigen Nahrung des geistlichen Lebens zu versorgen, und in dieser Nahrung ist die Mitteilung der geoffenbarten Lehre zur Stärkung des Glaubens enthalten.

Daraus ist zu schließen, daß gemäß den Texten des Evangeliums der universale Hirtenauftrag des römischen Papstes, des Nachfolgers Petri, einen lehramtlichen Auftrag beinhaltet. Als universaler Hirt hat der Papst den Sendungsauftrag, die geoffenbarte Lehre zu verkünden und in der gesamten Kirche den wahren Glauben an Christus zu fördern. Das ist der volle Sinn des Petrusamtes.

2. Die Bedeutung des Petrus verliehenen lehramtlichen Auftrags folgt aus der Tatsache, daß es sich gemäß den Aussagen des Evangeliums um eine Teilhabe seinerseits an der Hirtensendung Christi handelt. Petrus ist der erste der Apostel, zu denen Jesus gesagt hat: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (Joh 20,21; vgl. 17,18). Als universaler Hirt muß Petrus im Namen Christi und in Übereinstimmung mit ihm im weiten menschlichen Bereich handeln, das heißt in der ganzen Welt, wo nach Jesu Willen sein Evangelium gepredigt werden und die Heilswahrheit Eingang finden soll. Der Nachfolger Petri im universalen Hirtenauftrag ist also der Erbe eines Lehrdienstes, in dem er - zusammen mit Petrus - eng mit der Sendung Jesu verbunden ist.

Dies beschneidet den Hirtendienst der Bischöfe nicht; sie haben gemäß dem II. Vatikanischen Konzil unter ihren Hauptaufgaben die, das Evangelium zu verkünden: Denn sie sind „Glaubensboten, die ... dem ihnen anvertrauten Volk die Botschaft zum Glauben und zur Anwendung auf das sittliche Leben" verkündigen (Lumen Gentium, Nr. 25).

Dennoch ist der Bischof von Rom als Haupt des Bischofskollegiums nach dem Willen Christi der erste Glaubensbote, dem die Aufgabe zusteht, die offenbarte Wahrheit zu lehren und ihre Anwendungen auf das menschliche Verhalten zu zeigen. Er hat die Hauptverantwortung für die Verbreitung des Glaubens in der Welt. Dies bekräftigt das II. Konzil von Lyon (1274) in bezug auf den Primat und die Fülle der Gewalt des Bischofs von Rom, wenn es unterstreicht, daß er „vor allen anderen zur Verteidigung der Glaubenswahrheit verpflichtet ist" und daß „auch alle auftauchenden Fragen über den Glauben" durch sein Urteil „entschieden werden müssen" (DS 861). Auf derselben Linie anerkennt das Konzil von Florenz (1439) den römischen Papst als den „Vater und Lehrer aller Christen" (DS 1307).

3. Diesen lehramtlichen Auftrag erfüllt der Nachfolger Petri durch eine fortlaufende Reihe von gesprochenen oder geschriebenen Aussagen, die die ordentliche Ausübung des Lehramtes bilden als Lehre der Wahrheiten, die zu glauben und ins Leben umzusetzen sind (fidem et mores). Die Äußerungen dieses Lehramtes können mehr oder weniger häufig sein und verschiedene Formen annehmen entsprechend den Zeitumständen, den Anforderungen der konkreten Situationen, den Möglichkeiten und den zur Verfügung stehenden Mitteln sowie der Kommunikationsweise und technik: Aber diese Aussagen — vorausgesetzt, daß sie aus einer ausdrücklichen oder selbstverständlichen Absicht erwachsen, in Sachen des Glaubens und der Sitten sprechen zu wollen — sind an den von Petrus erhaltenen Auftrag gebunden und haben die von Christus verliehene Vollmacht.

Die Ausübung dieses Lehramtes kann auch in außerordentlicher Weise geschehen, wenn der Nachfolger Petri - allein oder mit der Versammlung der Bischöfe als Nachfolger der Apostel - „ex cathedra" über einen bestimmten Punkt der christlichen Lehre oder Moral spricht. Aber darüber sprechen wir in den nächsten Katechesen. Jetzt müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die gewohnte und ordentliche Form des päpstlichen Lehramtes richten, das eine viel weitere Reichweite und eine entscheidende Bedeutung für das Denken und Leben der christlichen Gemeinschaft besitzt.

4. Hervorzuheben ist hier besonders der positive Wert des Sendungsauftrags, die christliche Botschaft zu verkünden und zu verbreiten, die authentische Lehre des Evangeliums bekannt zu machen und auf die alten und neuen Fragen der Menschen angesichts der Grundprobleme des Lebens mit den ewigen Worten der Offenbarung zu antworten. Es wäre eine verkürzende, ja irrtümliche Auffassung, würde man glauben das päpstliche Lehramt bestünde nur in der Verurteilung der Irrtümer gegen den Glauben Dieser in gewisser Weise negative Aspekt besteht zweifellos in der Verantwortung für die Verbreitung des Glaubens weil es auch notwendig ist ihn gegen Irrtümer und Abweichungen zu verteidigen Aber die wesentliche Aufgabe des päpstlichen Lehramtes ist, die Glaubenslehre darzulegen, indem man die Erkenntnis des Geheimnisses Gottes und des Heilswerkes fördert und alle Aspekte des göttlichen Planes beleuchtet, dessen Verwirklichung unter dem Wirken des Heiligen Geistes in der menschlichen Geschichte im Gang ist. Das ist der Dienst an der Wahrheit, der hauptsächlich dem Nachfolger Petri anvertraut wurde; dieser handelt in der ordentlichen Ausübung seines Lehramtes nicht als Privatperson, sondern als höchster Lehrer der Gesamtkirche, gemäß der Klarstellung des II. Vatikanischen Konzils in bezug auf die Aussagen „ex cathedra" (vgl. Lumen Gentium, Nr. 25). Indem er diese Aufgabe erfüllt, spricht der Nachfolger Petri in persönlicher Weise, aber mit institutioneller Vollmacht die „Glaubensregel" aus, an die sich die Glieder der Gesamtkirche - die einfachen Gläubigen, die Katechisten, die Religionslehrer und die Theologen - halten müssen, wenn sie den Sinn der immerwährenden Inhalte des christlichen Glaubens erforschen; dies auch in bezug auf die Diskussionen, die innerhalb oder außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft über verschiedene Punkte oder über die Lehre insgesamt entstehen.

Es ist wahr daß in der Kirche alle und besonders die Theologen berufen sind diese Arbeit ständiger Klärung und Erläuterung zu leisten Aber die Sendung Petri und seiner Nachfolger ist es mit Vollmacht das festzulegen und herauszustellen was die Kirche von Anfang empfangen und geglaubt hat das heißt was die Apostel gelehrt was die Heilige Schrift und christliche Tradition als Glaubensgegenstand und christliche Lebensregel festgelegt haben Auch die anderen Hirten der Kirche die Bischöfe Nachfolger der Apostel werden vom Nachfolger Petri gestärkt in ihrer Gemeinschaft des Glaubens mit Christus und in der guten Erfüllung ihrer Aufgabe. Für alle zeichnet so das Lehramt des Bischofs von Rom eine klare Linie der Einheit die sich besonders in Zeiten intensivster Kommunikation und Diskussion wie der unsrigen als unumgänglich erweist.

5. Der Sendungsauftrag des Nachfolgers Petri wird in drei grundlegenden Weisen ausgeführt: vor allem durch das Wort. Als universaler Hirt wendet sich der Bischof von Rom an alle Christen und an die ganze Welt, indem er die Mission erfüllt, die Christus den Aposteln aufgetragen hat: „Macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19). Heute, wo die Kommunikationsmittel es ihm erlauben, daß sein Wort alle Völker erreicht, erfüllt er diesen göttlichen Auftrag in einer Weise, wie es bisher nicht möglich war.

Er kann auch dank der Verkehrsmittel die ihm gestatten persönlich sogar die entferntesten Orte zu erreichen die Botschaft Christi zu allen Menschen aller Länder bringen und in neuer und zu anderen Zeiten unvorstellbaren Weise den Befehl „Geht!" verwirklichen der zu dem göttlichen Auftrag gehört Darum geht zu allen Völkern.

Der Nachfolger Petri erfüllt zweitens seine Aufgabe durch die Schrift Angefangen von seinen Ansprachen die veröffentlicht werden damit seine Weisungen bekannt und dokumentiert werden bis zu all den anderen Dokumenten die direkt hier denke man in erster Linie an die Enzykliken die auch der Form nach den Wert einer universalen Lehre haben - oder indirekt durch die Dikasterien der Römischen Kurie herausgegeben werden, welche in seinem Auftrag handeln.

Der Papst kommt drittens seinem Hirtenauftrag nach durch maßgebliche Initiativen und Einrichtungen wissenschaftlicher und pastoraler Natur So zum Beispiel indem er Aktivitäten des Studiums der Heiligung der Evangelisierung sowie karitative Hilfswerke in der ganzen Kirche in Gang setzt oder begünstigt indem er für die Glaubenslehre autorisierte und verbürgte Institute fördert (Priesterseminare, Fakultäten der Theologie und Religionswissenschaften, theologische Vereinigungen, Akademien usw.). Das alles sind breitgefächerte Bildungs- und Arbeitsinitiativen, denen der Nachfolger Petri vorsteht.

6. Abschließend können wir sagen, daß der Inhalt des Lehramtes des Nachfolgers Petri (wie der anderen Bischöfe) von seiner Natur her nach ein Zeugnis für Christus ist für das Geschehen der Menschwerdung und der Erlösung für die Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche und in der Geschichte Es kann in seiner Ausdrucksform variieren entsprechend den Personen die es ausüben ihren Auslegungen hinsichtlich der Zeiterfordernisse ihrer Denk und Kommunikationsweise Aber die Beziehung zur lebendigen Wahrheit zu Christus war ist und wird immer ihre Lebenskraft sein Gerade in dieser Beziehung zu Christus liegt die entscheidende Erklärung der Schwierigkeiten und der Widerstände denen das Lehramt der Kirche immer seit den Zeiten Petri bis heute begegnet ist. Für alle Bischöfe und Hirten der Kirche und besonders fur den Nachfolger Petri gelten die Worte Jesu. Ein Junger steht nicht über seinem Meister" (Mt 10,24; Lk 6,40). Jesus selbst entfaltete sein Lehramt inmitten des Kampfes zwischen der Finsternis und dem Licht, welches das Umfeld der Menschwerdung des Wortes bildet (vgl. Joh 1,1-4) Dieser Kampf war zur Zeit der Apostel entbrannt wie der Meister gesagt hatte: „Wenn sie mich verfolgt haben werden sie auch euch verfolgen" (Joh 15 20) Er war leider auch innerhalb einiger Christengemeinden im Gang so daß sich Paulus genötigt fühlte Timotheus seinen Junger aufzufordern: „Verkunde das Wort tritt dafür ein ob man es hören will oder nicht weise zurecht tadle ermahne in unermüdlicher und geduldiger Belehrung ... (auch wenn) man die gesunde Lehre nicht ertragt" (2 Tim 4,2-3).

Was Paulus Timotheus empfahl gilt auch für die Bischöfe von heute und besonders für den römischen Papst er hat den Auftrag das christliche Volk gegen die Irrtümer im Bereich des Glaubens und der Moral zu schützen und die Pflicht den Glaubens schatz (vgl. 2 Tim 4,7) zu hüten. Wehe wenn er sich vor Kritiken und Unverständnis fürchten wurde Seine Aufgabe ist es Zeugnis abzulegen für Christus sein Wort sein Gebot und seine Liebe; Aber neben dem Bewußtsein der eigenen Verantwortung im Bereich der Lehre und Moral muß sich der römische Papst noch bemühen, wie Jesus „gütig und von Herzen demütig" zu sein (Mt 11,29). Betet darum, daß er so ist und immer mehr so wird.

In deutscher Sprache sagte der Papst:

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich grüße alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Gruß gilt der Pilgergruppe der Katholischen Polizeiseelsorge in Bayern. Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.