„Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt"

Welttag des Friedens 2000

 

 

 

1. Januar 2000

 

Geleitwort des Vorsitzenden

der Deutschen Bischofskonferenz

 

Im nächsten Jahr feiern wir Christen das Jubiläum der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus vor 2000 Jahren. So ist es geradezu selbstverständlich, dass Papst Johannes Paul II. auch das Motto des 33. Welttags des Friedens auf dieses Ereignis ausrichtet Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt". Der Schöpfer allen Lebens nimmt ein menschliches Gesicht an und in Jesus von Nazareth liebt er jeden Menschen, besonders die Armen, Unterdrückten, Vergewaltigten und Geschundenen dieser Welt. Deshalb ist die Bitte um den Frieden die notwendige Konsequenz, die sich aus dem Geheimnis der Menschwerdung ergibt Gott wird Mensch um des Friedens willen für alle Menschen und zum Heil der ganzen Schöpfung. Und dieser Friede ist nicht nur ein Schweigen von Waffen sondern ein umfassender Friede der Gerechtigkeit Freiheit und Menschenwürde einschließt Mit seiner Botschaft zum Welttag des Friedens, den die katholische Kirche am 1. Januar überall auf der Welt begeht, will der Papst allen Menschen den Frieden wünschen und sie einladen, bereits vom Beginn des großen Jubiläumsjahres an zum Aufbau des Friedens beizutragen.

An der Schwelle zum dritten christlichen Jahrtausend ist der christliche Friedensdienst in besonderer Weise gefordert. Die Friedenshoffnungen, die sich an das Ende der ost-westlichen Blockkonfrontation und den Niedergang des totalitären Kommunismus geknüpft hatten, haben sich bisher nicht erfüllt. Alte Auseinandersetzungen werden wieder aufgegriffen, neue Konflikte sind entstanden. Macht und Gewinnstreben, schrankenloser Egoismus oder übertriebener Nationalismus sind die Gründe — um nur einige wenige zu nennen —‚ die zu Zwietracht, Hass, Krieg oder Bürgerkrieg führen. In manchen Ländern konnte die offene Gewaltanwendung zwar überwunden werden Doch ist auch hier der Frieden oft noch brüchig.

Der Papst ruft uns alle zum Gebet und zum tätigen Einsatz auf. Wir dürfen die Opfer der Gewalt nicht alleinlassen. Wo immer es möglich ist, wird die Kirche sich um eine Versöhnung der streitenden Parteien bemühen. Und wir müssen von der internationalen Politik energische Anstrengungen einfordern, um den Frieden weltweit zu sichern und da, wo er gebrochen wurde, wieder herzustellen. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, Krieg und Gewaltanwendung als Instrument zur Lösung von Konflikten zu überwinden.

Mit seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2000 lenkt Papst Johannes Paul II. zu Beginn des neuen Jahrtausends noch einmal den Blick auf die eindrucksvolle Summe des christlichen Friedensethos und der mit ihm zusammenhängenden Erziehung, die er und sein Vorgänger Papst Paul VI. in den vergangenen 33 Jahren der Kirche und der ganzen Welt geschenkt haben. Gleichzeitig will er im Blick auf die vor uns liegende Zeit Hoffnung machen: Friede ist möglich, weil Gott ihn will.

Die in dieser Arbeitshilfe zum Weltfriedenstag 2000 vorgelegten Texte und Anregungen sollen dazu helfen, dass die Pfarrgemeinden und alle Interessierten sich das Anliegen des Papstes zu eigen machen und sich den Fragen der Erhaltung und Förderung des Friedens unter den Völkern widmen. Für die Diskussion empfehle ich in diesem Jahr in besonderer Weise das Wort der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft „Wahrheit, Erinnerung und Solidarität", aus dem Jahr 1999, das im Abschnitt Materialien für die Arbeit in der Pfarrgemeinde abgedruckt ist.

Die Deutsche Bischofskonferenz prüft zur Zeit ob sie nach ihrem Wort „Gerechtigkeit schafft Frieden" aus dem Jahr 1983 mit einer neuen Erklärung auf die Erfahrungen unserer jüngsten Geschichte zurückblicken und genauer bestimmen soll, vor welche Herausforderungen uns zu Beginn des neuen Jahrtausends die Aufgabe stellt, Frieden zu bewahren und ihn so zu gestalten, wie es der Würde des Menschen entspricht.

 

Bonn/Mainz im November 1999

Bischof Karl Lehmann

Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

 

 

Zum Leitmotiv des Weltfriedenstages 2000

 

Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt

Die letzten Monate des zweiten Millenniums sind leider gekennzeichnet durch tragische und blutige Konflikte in verschiedenen Teilen der Welt, in denen die Opfer größtenteils die unschuldige Zivilbevölkerung und Brudervölker sind. Das Große Jubiläum soll Gelegenheit geben zu inständigem Gebet und wiederholtem Einsatz, um den Krieg als Instrument zur Lösung von Unstimmigkeiten zu überwinden. Die Waffen erweisen sich als ungeeignet, um den Frieden zu schaffen. Es wird jeden Tag dringender, andere Mittel zu finden, um Konflikte abzuwenden und friedvolle Beziehungen zwischen den Völkern zu garantieren. Am 27. April hatte der Heilige Vater schon unterstrichen, wie dringlich es ist, auf diesem Weg fortzuschreiten, indem er sagte: „Der Krieg treibt nur in die Tragödie und die Hoffnungslosigkeit, indem er unschuldige Opfer dahinrafft und Leben, Häuser, Familien und Völker zerstört. Ich wiederhole mit Dringlichkeit, was ich viele Male in der Vergangenheit gesagt habe: man muß jede Alternative zum Krieg verfolgen."

Die große Herausforderung für den Frieden stellt sich heute im Zusammenhang einer Welt, die sich derzeit einerseits im Prozeß der Globalisierung, andererseits paradoxerweise in einer allgemeinen Zersplitterung befindet, die die Gesellschaft in die Instabilität und Unsicherheit treibt. Es reicht nicht mehr, die Waffen schweigen zu lassen, damit Friede herrscht. Der Friede umfaßt jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens: Entwicklung, Wirtschaft, Menschenrechte, Bewahrung der Schöpfung. Um sich den modernen Herausforderungen zu stellen, braucht es neue Friedensprogramme und Strukturen, die dem neuen Weltgefüge angepaßt sind. Darüber hinaus: ohne die Beseitigung der Armut, ohne eine Entwicklung, die alle Völker einschließt, wird der Friede immer zerbrechlich bleiben. Der Friede gründet auf die menschliche Person, die mit der unveräußerlichen Würde der Person ausgestattet und dazu aufgerufen ist, mit den anderen in einer Gesellschaft zusammenzuleben, die offen ist für das friedvolle Miteinander in aller Verschiedenheit.

Mit seiner ersten Botschaft des Jahres 2000 will der Heilige Vater allen seine tiefe Überzeugung bekunden: Der Friede ist möglich, wenn die Menschheit Gott sucht und ihn, den Gott des Friedens, findet. Gott will den Frieden; der Friede ist also möglich.

(entnommen aus: L‘Osservatore Romano, italienische Ausgabe, 21./22.06.1999, S. 1, zum Welttag des Friedens 2000, deutsche Übersetzung: Zentralstelle Weltkirche)

 

 

Gedanken zum Thema

Gewalt als Instrument zur Lösung

von Gegensätzen überwinden

von Thomas Hoppe

 

In einer Zeit, in der — entgegen manchen Hoffnungen, die mit der historischen Zäsur am Ende der achtziger Jahre verbunden waren — die Allgegenwart von Krieg und Gewalt unverändert die politische Realität bestimmt, stellen viele Menschen die Frage, ob und wie eine Überwindung dieser Gewaltverhältnisse möglich ist Es bereitet wenig Muhe die Zweifel daran, ob ein solches Vorhaben überhaupt gelingen könne, zu begründen. Zeigen nicht die jüngsten Entwicklungen im Kosovo, auf Osttimor und anderenorts, dass selbst dort, wo es um die Veränderung von gewaltträchtigen Strukturen geht — etwa um die Ablösung von Fremdherrschaft und Unterdrückung durch Regierungsformen, die zu demokratischer Entscheidungsfindung und Selbstbestimmung führen —‚ der Rückgriff auf die Anwendung von Gewalt immer wieder durch ebenfalls gewaltsamen Widerstand unterbunden oder beendet werden muss? Gibt es eine Alternative dazu sich für solche und ähnliche Situationen die in den vergangenen Jahren erschreckend häufig die Schlagzeilen bestimmten, letztlich durch die eigene Bereitschaft zu gewaltförmigem Eingreifen zu wappnen? Bleibt also nicht doch der Griff zur Gewalt die „ultima ratio" — wenn auch unter genau definierten Bedingungen und im Rahmen deutlicher ethischer Grenzziehungen?

Diese Vermutung sieht etwas Richtiges und verfehlt zugleich die daraus zu ziehende vorrangige ethische Konsequenz:

(1) Des Problems der Gewalt kann man sich nicht dadurch entledigen, dass man die in der Wirklichkeit tatsächlich anzutreffenden moralischen Dilemmasituationen und Zielkonflikte — z.B. zwischen der Option für Gewaltlosigkeit als Handlungsprinzip und der Verpflichtung zum Schutz potentieller oder aktueller Opfer von (fremder) Gewalt — einfach leugnet. In solchen Situationen bleibt die Entscheidung zum Verzicht auf eine Anwendung von Gegengewalt ebenso der moralischen Befragung, ja unter Umständen der Kritik ausgesetzt wie der Entschluss zu gewaltsamem Eingreifen. In Ruanda wurde im Frühjahr 1994 ein Genozid an Hunderttausenden von Tutsi möglich — auch deswegen, weil die durchaus vorgewarnte internationale Staatengemeinschaft sich entschlossen hatte, auf ein Eingreifen zu verzichten. Angesichts der Opfer, die dieser Genozid forderte, hält heute kaum jemand das damalige Entscheidungsverhalten der Staatengemeinschaft für gerechtfertigt.

(2) Andererseits bleiben auch für diejenigen bewaffneten Interventionen, die zum Schutz Dritter durchgeführt werden, die eigentümlichen Merkmale jeder Gewalthandlung charakteristisch: Sie bringen selbst dann, wenn man sich nach Kräften um die Begrenzung des Gewalteinsatzes bemüht, oft ebenfalls für Tausende von Menschen Verwundung und Tod, jedenfalls aber das Leiden unter den vielfältigen zerstörerischen Folgen dieses Einsatzes mit sich. Zudem erweist sich immer wieder, wie schnell in eskalierenden oder sich längere Zeit hinziehenden bewaffneten Auseinandersetzungen das dringende Gebot der Gewaltminimierung verletzt wird, und dass gerade unter der Zivilbevölkerung, die es in erster Linie zu schützen gelte, in Wirklichkeit fast regelmäßig besonders viele Opfer zu beklagen sind. Selbst militärische Interventionen, die in bester Absicht geschehen, fordern allzu rasch einen humanitären Preis, der höher und höher zu werden droht. Auch angesichts ausgefeilter moderner militärischer Instrumente und Strategien ist es bislang nicht möglich, die bedrängenden Gewissensfragen, die mit dem Problem der Gewaltanwendung verbunden sind, ethisch befriedigend zu beantworten.

(3) Es trifft also zu, dass auf absehbare Zeit immer wieder Zielkonflikte zwischen Gewaltlosigkeit und dem notwendigen Eintreten für Bedrängte und Verfolgte auftreten können — und zugleich gilt, dass gerade im Griff zur Gewalt die Gefahr, schwere Schuld auf sich zu laden, besonders groß wird. In seiner Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" formulierte das Zweite Vatikanische Konzil in diesem Zusammenhang: „Gewarnt vor Katastrophen, die das Menschengeschlecht heute möglich macht, wollen wir die Frist, die uns noch von oben gewährt wurde, nützen, um mit geschärftem Verantwortungsbewußtsein Methoden zu finden, unsere Meinungsverschiedenheiten auf eine Art und Weise zu lösen, die des Menschen würdiger ist. Die göttliche Vorsehung fordert dringend von uns, dass wir uns von der alten Knechtschaft des Krieges befreien. Wohin uns der verhängnisvolle Weg, den wir beschritten haben, führen mag, falls wir nicht diesen Versuch zur Umkehr machen, das wissen wir nicht" (Nr. 81).

Diese Passage skizziert, auf welchem Weg die Überwindung von Krieg und Gewalt anzustreben ist: Weil das moralische Dilemma der Gewalt letzten Endes prinzipieller Art ist und durch noch so weitgehende Verfeinerungen der Waffentechnik oder der Einsatzformen nicht wirklich aufgelöst werden kann, kommt es entscheidend darauf an, derartige Situationen, in denen man nur noch die Wahl zwischen ethisch fragwürdigen Alternativen hat, durch vorausschauende Politik so weit wie möglich zu vermeiden. Anders formuliert: Die Option für Gewaltlosigkeit als Handlungsprinzip hat ihren „Sitz im Leben" in der Entschlossenheit, mit der nach Möglichkeiten der gewaltpräventiven Bearbeitung von Konflikten gesucht wird. Sicher lässt sich auch zukünftig nicht garantieren, dass es in allen Fällen gelingt, Gewaltanwendung zu vermeiden. Aber auf die Häufigkeit, mit der solche Situationen eintreten, kann man Einfluss nehmen —und zwar besonders durch Politik.

Dabei meint „Politik" nicht nur das Verantwortungsfeld staatlicher Repräsentanten, sondern umschließt ebenso den Bereich derjenigen Aktions- und Artikulationsformen, die im zivilgesellschaftlichen Bereich zur Verfügung stehen Gerade in demokratischen Staaten wird der Spielraum dessen, was außen- und sicherheitspolitisch möglich ist, wesentlich von der Bereitschaft der Öffentlichkeit bestimmt, konkrete Verpflichtungen mitzutragen oder nicht mitzutragen. Eine demokratische Öffentlichkeit entscheidet also zu einem nicht unerheblichen Teil darüber mit, welche Chance und Reichweite das Bemühen um einen gewaltvermeidenden Umgang mit Konflikten wirklich erhält. Mehr noch: Besonders auf dem Gebiet der Krisenprävention, aber auch nach dem Ende gewaltsamer Auseinandersetzungen können zivilgesellschaftliche Kräfte auf solchen Ebenen zur Veränderung der konfliktiven Grundsituation beitragen die von der offiziellen staatlichen, oder internationalen Politik nur schwer oder überhaupt nicht erreichbar sind. Sie nehmen auf diese Weise eine komplementäre friedenspolitische Aufgabe wahr, deren Bedeutung überdies zunehmend ins Bewusstsein der verantwortlichen politischen Entscheidungsträger tritt. Der Erfolg beiderlei Handelns — desjenigen von staatlichen Amtsträgern wie desjenigen von zivilgesellschaftlichen Akteuren — hängt dabei wesentlich davon ab, dass es sich jeweils der gleichen Zielrichtung, der gleichen friedenspolitischen, auf Gewaltprävention gerichteten „Grundphilosophie" verpflichtet weiß.

Aus dieser prinzipiellen Orientierung ergibt sich ein breites Spektrum von konkreten Handlungsperspektiven:

(1) Auf der politisch-rechtlichen Ebene kommt es entscheidend darauf an, dass die Methoden und Instrumente friedlicher Streitbeilegung bzw. gewaltfreier Konfliktbearbeitung fortentwickelt und erweitert werden. Dies beginnt bei Anstrengungen zu verstärkter Konflikt- und Krisenprävention, betrifft jedoch nicht minder den Bereich der Frühwarnung und zielt vor allem auf die Schaffung von Voraussetzungen dafür, dass in krisenhaft eskalierenden Konflikten zeitgerechte Schritte des politischen Krisenmanagements erfolgen können. Denn häufig ergeben sich aus bereits vorliegenden frühzeitigen Warnungen erst viel zu spät politische Reaktionen, die dann der Tendenz zur gewaltförmigen Eskalation nur noch unzureichend entgegenwirken können. Ist aber die Gewaltschwelle erst einmal überschritten, verschlechtern sich erfahrungsgemäß die Aussichten auf eine rasche Beendigung dieses Zustands und auf die Eindämmung seiner verhängnisvollen humanitären wie politischen Konsequenzen rapide.

(2) Damit solche gewaltpräventiven Vorkehrungen im Ernstfall greifen bedarf es geeigneter Institutionen und Strukturen des internationalen Krisenmanagements Unter diesem Blickwinkel besteht Reformbedarf im Bereich des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen aber auch regionale Abmachungen wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) waren daraufhin zu überprüfen ob ihre Fähigkeiten zur gewaltvermeidenden Konfliktbearbeitung weiter ausgebaut werden mussten Insbesondere dürfen jene Institutionen denen die Wahrung eines übernationalen Gemeinwohls auf zentralen Verantwortungsfeldern wie dem Weltfrieden vorrangig übertragen ist in intensiven Krisen nicht durch eine Blockadepolitik einzelner Mitgliedsstaaten gerade dann gelahmt werden wenn ihre Handlungsfähigkeit ausschlaggebend für die Wirksamkeit aller Bemühungen um eine Abwendung weiterer Eskalationen wird Wer die Substitution völkerrechtlich verbindlicher Verfahren durch den Rückgriff einzelner Nationalstaaten zur (auch militärischen) Selbsthilfe ebenso verhindern will wie schlichtes Beiseite stehen angesichts schlimmster humanitärer Notsituationen muss sich mit Nachdruck für diese Fortentwicklung wirksamer Institutionen und Mechanismen im Bereich internationaler Organisationen engagieren.

(3) Nach der vorläufigen Beendigung eines Krieges oder eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts durch einen Waffenstillstand hängen die Chancen dafür, ob künftige Gewalt verhindert werden kann, wesentlich von der rechtlichen, politischen und auch moralischen Qualität der zivilen Ordnung ab, die nun errichtet werden muss. Dies kann so weit gehen, dass sich grundlegende Wandlungen gegenüber den vor der Gewaltphase herrschenden Strukturen als notwendig erweisen. Wo der Griff zur Gewalt letzten Endes eine Reaktion auf vorgängige, langandauernde und systematischen Unterdrückung war, darf nicht der ehemalige status quo wiederhergestellt werden; er ist vielmehr abzulösen, indem neue politische und rechtliche Strukturen geschaffen werden, die Aussicht auf einen gerechten, dauerhaften Frieden eröffnen. Wer Krieg und Gewalt überwinden will, muss sich um die primären Ursachen kümmern, aus denen immer wieder beides erwächst. Zwischen den Staaten ist Sicherheit so zu organisieren, dass sie wirklich wechselseitig verlässlich ist, anstatt den bereits Starken auf Kosten des Schwachen zu begünstigen; vor allem muss so weit wie irgend möglich vermieden werden, dass durch sicherheitspolitische Arrangements die Ergebnisse vorgängiger Gewaltpolitik mitsamt ihren Folgen (Flüchtlingselend, Vertreibungen) im nachhinein faktisch gebilligt werden. Innerhalb von Staaten bedarf es partizipativer, demokratischer Herrschaftssysteme und eines wirksamen Minderheitenschutzes, so dass sich verhindern lässt, dass eine einmal an die Macht gekommene politische, gesellschaftliche oder ethnische Gruppierung allen anderen Gruppen eine Teilhabe an der Gesamtverantwortung für das Wohl des Volkes und Staates verwehrt.

(4) Schließlich ist bewusst zu halten, dass auf Dauer nur solche Staats- und Regierungsformen akzeptiert werden, die von hinreichend vielen Bürgern als zumindest annäherungsweise gerecht wahrgenommen werden. Kritisch sind Situationen, in denen der Verdacht besteht und durch konkrete politische Entscheidungen genährt wird, dass sich das Demokratieprinzip auf weitgehend formale Verfahrensweisen beschränkt, ohne dass ihm vor allem auf den Gebieten der Sozialpolitik und des Schutzes von Schwachen und Benachteiligten ein Konzept entspräche, das sich einer Wertorientierung am Prinzip der Gerechtigkeit und einem demokratischen Ethos verdankt. Unter solchen Verhältnissen gerät über Zeit die Zustimmung auch zu solchen Institutionen in Gefahr, die es nicht abzuschaffen, sondern deren soziale Zuträglichkeit es zu steigern gilt. Derartige Prozesse können, wie Entwicklungen in etlichen Ländern der sogenannten Dritten Welt gezeigt haben, schwere politische Krisen und innere Konflikte nach sich ziehen. An deren Ende steht nicht selten die Errichtung eines autoritären Regimes — mit einer neuen Kette von Gewalt und schwersten Menschenrechtsverletzungen im Gefolge.

(5) Parallel zum breiten Spektrum an Strategien, im Feld der internationalen und nationalen Politik „Friedensursachen" zu schaffen, bestehen im Raum der zivilen Gesellschaft vielfältige Handlungs- und Gestaltungsoptionen, die diesen Prozess fördern und unterstützen können. Zu denken ist dabei vorrangig an die Möglichkeiten von Erziehungs- und Bildungsinstitutionen: Wo, wenn nicht dort, bestehen Chancen, die schleichende Gewöhnung der „Erwachsenen-" und zunehmend auch der „Kinder-Gesellschaft" an Gewalt in ihren vielen Erscheinungsformen und an die damit einhergehende, immer lebensfeindlichere und menschenverachtendere Mentalität eindringlich zu problematisieren, auf die Folgen dieser Gewöhnung hinzuweisen und die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandels zu vermitteln? Angesichts der alltäglichen Wahrnehmung von Gewalt wäre in Programmen der Friedens- und Menschenrechtserziehung eine Alternative aufzuzeigen, indem herausgearbeitet wird, auf welchen Grundpfeilern eine friedensfähige nationale und internationale Gesellschaft errichtet werden kann. Wer politische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht nach dem partikularen, oft rein individuellen Nutzenkalkül, sondern anhand des Maßstabs der Personwürde jedes Menschen und eines darauf gründenden nationenübergreifenden Gemeinwohls bewertet, wird kritik- und veränderungsfähig gegenüber vielen Trends, die sonst ungehindert ihre ethosfeindliche Eigenlogik entfalten können. Wer in Schulen, Akademien und anderen Bildungseinrichtungen darüber aufgeklärt wurde, wie der Mechanismus funktioniert, nach dem sich Feindbilder, nationalistische Ideologien, Klischees vorgeblicher ethnischer Überlegenheit und ähnliche Einstellungsmuster herausbilden, wird widerstandsfähig gegen neuerliche Versuche, solche Haltungen durch Propaganda zu wecken oder entsprechende Dispositionen zur ideologischen Verführung zu nutzen. Auch Kirchen und Religionsgemeinschaften können hier einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie sich auf eine Interpretation ihrer religiösen Traditionen verständigen, die Aufrufen zu Feindschaft und Hass ihre vordergründige Legitimation entziehen und statt dessen das interkonfessionelle bzw. religiöse Verhältnis auf gegenseitige Achtung gründen.

(6) Zivilgesellschaftliche Akteure können jedoch auch in Situationen, in denen Konflikte bereits gewaltsam ausgetragen wurden, durch ihren spezifischen Beitrag dazu helfen, dass die betroffenen Menschen und die Gesellschaften, in denen sie leben, zum Frieden finden. Friedensdienste, gerade auch solche in kirchlicher Trägerschaft, müssten darauf abzielen, in kritischen Situationen vor Ort zu vermitteln, allmähliche Entfeindungsprozesse einzuleiten und sie zu begleiten. Auf diese Weise lassen sich wesentliche Voraussetzungen dafür schaffen, dass ziviles Zusammenleben

wieder möglich wird und die Hemmschwellen gegen erneute Gewaltanwendung höher werden. Ein wesentlicher Beitrag auf dieses Ziel hin liegt schon darin, dass auf allen Seiten die Empathiefähigkeit gestärkt wird: Es gilt nicht nur das Leid wahrzunehmen, das der eigenen Gruppe angetan wurde, sondern auch jenes, das diese Gruppe oder einzelne ihrer Vertreter anderen zugefügt haben. Ohne eine grundlegende Bereitschaft, die Situation auch mit den Augen des Konfliktgegners zu betrachten, einseitige Schuldzuweisungen zu relativieren und kritisch nach der eigenen Mitverantwortung für die Entstehung und den Verlauf von Gewalteskalationen zu fragen, sind Prozesse einer konstruktiven Auseinandersetzung mit belasteter Vergangenheit prinzipiell unmöglich. Über das Wecken von Empathie hinaus aber bedarf es konkreter Hilfsangebote für solche Menschen, die durch die erlittene Gewalt oft schwer traumatisiert wurden. Fehlen solche Angebote, ist es kaum möglich, die betroffenen Menschen in eine neue Lebenssituation nach dem Ende der Gewalt zu integrieren. Die Folgen bestehen nicht nur in einer grundlegenden Trennung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in die Lebenssituationen der Täter und der Opfer und in schwerstem individuellen Leid; es besteht auch die Gefahr, dass fortdauernde, vor allem kollektiv wirksame Traumatisierungen einen Wurzelgrund für das Entstehen neuer Gewaltverhältnisse bilden. Solchen Prozessen entgegenzuarbeiten, ist eine Leistung, die durch Politik zwar vorbereitet und erleichtert, aber nur im Rahmen der Zivilgesellschaft tatsächlich erbracht werden kann.

(7) Auch dort, wo solche positiven Entwicklungen beginnen, führen sie nicht zwangsläufig oder gar auf schnellem Wege zur Aussöhnung; viel ist schon erreicht, wenn Formen der Verständigung gefunden werden können, die die Wiederholung der leidvollen Geschichte verhindern lassen. Ausgleich und Verständigung sind Schritte auf dem Weg zur Versöhnung, doch keineswegs mit ihr identisch. Da sich Versöhnung gerade von den Opfern einer unversöhnten Situation nicht einklagen lässt wie eine moralische oder rechtliche Forderung, sollte die Rede von Versöhnung eher leise und zurückhaltend erfolgen — als die Vorwegnahme einer hoffnungsvollen Möglichkeit, deren Verwirklichung sich aber nicht durch Strategien oder Maßnahmen gewissermaßen herstellen lässt und an der sich deswegen nicht abschließend entscheiden kann, ob die ihr vorausliegenden Schritte sinnvoll genannt werden dürfen. Auch dort, wo Versöhnung letzten Endes aussteht, haben Bemühungen um die Verhinderung neuer Gewalt einen friedensethischen und politischen Eigenwert, wenn sie in wechselseitigen Ausgleich und in die Verständigung über das gemeinsame Interesse an einem Leben in Strukturen eines gerechten Friedens münden. Der notwendige Auseinandersetzungsprozess über die Vergangenheit darf dabei freilich nicht ausgespart werden; vielmehr gilt es eine Kultur der authentischen — d. h. partikular verengte Sichtweisen überschreitenden — kollektiven Erinnerung an die historische Genese von Konflikten, Unrecht und Gewalt zu begründen. Hierin liegt der einzige Weg, der Ausbildung eines gruppenspezifischen „selektiven Gedächtnisses" entgegenzuwirken, das nicht nur Empathie verhindert, sondern zugleich politisch dazu instrumentalisiert werden kann, Vorurteile, Antipathien und Feindbilder am Leben zu erhalten. Eine Kultur und Pädagogik des sorgfältigen, um die notwendigen Differenzierungen bemühten historischen Erinnerns kann demgegenüber einen Raum eröffnen, in dem die belastete Geschichte weder verdrängt noch verklärt, sondern allen Beteiligten durch die Auseinandersetzung mit ihr der Weg in eine bessere gemeinsame Zukunft freigegeben wird.

(8) Auch Medienarbeit ist ein wichtiger Sektor zivilgesellschaftlichen Engagements. Medien können — im Guten wie im Schlechten — auf die Entstehung und den Verlauf kritischer, gewaltträchtiger Prozesse überaus wirksam Einfluss nehmen. Sollen sie imstande sein, einer auf Gewaltlegitimierung zielenden öffentlichen Ideologiebildung Widerstand entgegenzusetzen, so bedarf es dafür vor allem einer hinreichenden Unabhängigkeit von partikularen Interessenlagen — politisch, aber auch finanziell. Eine wichtige zweite Voraussetzung dafür, dass die Rolle der Medien konstruktiver Konfliktbearbeitung förderlich ist liegt in der Seriosität ihrer Berichterstattung sie muss durch sorgfältige Information die Sensibilisierung der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit erreichen und darf nicht in den Verdacht vordergründiger Sensationsberichterstattung geraten Drittens hängen auch die Chancen für zeitgerechtes Krisen management auf politischer Ebene davon ab auf welche Krisenherde sich das durch die Medien vermittelte und kanalisierte öffentliche Interesse richtet und wie groß die Erwartung der nationalen und internationalen gesellschaftlichen Akteure ist dass rasch durch die politisch und rechtlich autorisierten Gremien auf solche Krisen reagiert wird.

***

 

Damit schließt sich der Bogen, der vom Auftrag der Gewaltprävention im Feld von Politik und internationalem Recht hin zu einem gleichgerichteten, facettenreichen Aufgabenspektrum im zivilgesellschaftlichen Bereich geschlagen wurde. Deutlich wird dabei, dass sich beides nicht voneinander trennen lässt, sondern dass sich angesichts der Herausforderung, Gewalt und Krieg zu überwinden, die Staaten- und Gesellschaftswelt des beginnenden Jahrtausends zusammenfinden müssen. Es ist nicht die einzige Aufgabe, die eine solche Konzertierung der Kräfte und Integration der Handlungskonzepte auf unterschiedlichsten Ebenen verlangt; aber ohne Zweifel entscheidet das Ausmaß, in dem die Überwindung von Gewaltverhältnissen gelingt, zugleich direkt über die Erfolgschancen allen Handelns, das darüber hinaus in der Ziellinie eines gerechten Friedens gefordert bleibt.

(Prof. Dr. Thomas Hoppe lehrt Katholische Theologie u. b. B. der Sozialwissenschaften und der Sozialethik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg)

 

 

„Wahrheit, Erinnerung und Solidarität Schlüssel zu Frieden und Versöhnung"

Wort der Kommission der Bischofskonferenzen

der Europäischen Gemeinschaft (ComECE)

zum Frieden vom 11. März 1999

 

Präambel

1. Die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union nimmt die näherrückende Jahrtausendwende zum Anlass, sich zu Fragen des Friedenserhalts und der Friedensgestaltung zu äußern. Wir Bischöfe betrachten die Stellungnahme zu politischen und sozialen Prozessen die für das Leben der Menschen und Völker in Europa und darüber hinaus von großer Bedeutung sind als einen wichtigen Teil unserer Verantwortung. Deswegen sprechen wir, als Vertreter der verschiedenen Bischofskonferenzen aus den Ländern der Europäischen Union, zu allen Menschen Europas — zu jenen, die mit uns denselben Glauben teilen, aber auch zu allen anderen Menschen guten Willens. Besonders wenden wir uns an jene, deren Handeln in Politik und Gesellschaft eine besondere Bedeutung zukommt.

2. Schon die Bibel legt uns die Sorge um den Frieden ans Herz; immer wieder weisen die alttestamentlichen Propheten auf den untrennbaren Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden hin, und die Bergpredigt im Neuen Testament preist jene selig, die Frieden stiften (vgl. Mt 5,9). In der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und in den Verlautbarungen der Päpste dieses Jahrhunderts liegt auf Fragen einer Ethik des Friedens besonderes Gewicht. Papst Johannes XXIII. machte sie zum Gegenstand einer eigenen Enzyklika, und im gleichen Geist hob Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Centesimus Annus" hervor:

„Der wahre Friede ... ist niemals das Ergebnis eines errungenen militärischen Sieges, sondern besteht in der Überwindung der Kriegsursachen und in der echten Aussöhnung unter den Völkern" (CA 18). In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1999 betont der Papst, dass nur dort Friede möglich wird, wo die Würde und die Rechte des Menschen geachtet und geschützt werden.

3. Auch die Bischofskonferenzen in einzelnen Ländern haben sich wiederholt und in verschiedener Weise zu Fragen des Friedens geäußert. Dies unterstreicht die fundamentale Bedeutung dieser Thematik. Uns ist dabei bewusst, dass die Idee eines vereinigten Europas und der Gedanke des Friedens eng miteinander verbunden sind. Nach der Katastrophe zweier verheerender Kriege in diesem Jahrhundert haben Staatsmänner in verschiedenen Ländern unseres Kontinents damit begonnen, schrittweise ein gemeinsames Europa aufzubauen. Sie suchten nach politischen und gesellschaftlichen Strukturen, die die Institution des Krieges in dieser Region der Welt überwindbar machen und die Völker und Nationen friedens- fähig werden lassen. Dieses Anliegen bleibt — trotz aller Fortschritte, die wir dankbar verzeichnen dürfen — auch heute aktuell. Mehr noch: es ist ein wichtiger Maßstab für die Bewertung des europäischen Integrationsprozesses, ob auf diesem Weg ein Beitrag zur Friedensfähigkeit der europäischen Staatengemeinschaft geleistet werden kann.

4. Für die politischen Entscheidungsträger, aber auch für jene, die im Raum der Gesellschaft in unterschiedlicher Weise an öffentlicher Verantwortung teilhaben, kommt es heute darauf an, gemeinsam nach den Möglichkeitsbedingungen eines gerechten Friedens zu suchen, der allein den Kriegen vorzubeugen vermag. Dabei verkennen wir nicht, dass die Auffassungen der Verantwortlichen über die Wege, wie die Voraussetzungen für einen gerechten Frieden herbeigeführt werden können, von einer Vielfalt verschiedener Weltsichten und normativer Orientierungen beeinflusst sind. Das Finden eines übergreifenden Grundkonsenses erweist sich so als eine ebenso anspruchsvolle wie dringliche Aufgabe. Im Geist christlicher Friedensspiritualität wollen wir daran mitwirken, dass sie bewältigt werden kann. Dabei orientieren wir uns an der Aufforderung Jesu, die jeweiligen Zeichen der Zeit zu verstehen (vgl. Lk 21,5-28) — aufmerksam zu sein für die tatsächlichen Leiden und Opfer der Menschen und die Notwendigkeit, sie zu überwinden, anstatt sich dem ethischen Anspruch, der von ihnen ausgeht, durch eine Flucht in ideologische Rechtfertigungsversuche zu entziehen. Wir bekräftigen, dass Gottes- und Nächstenliebe eine unauflösliche Einheit bilden — nicht nur im Bereich der privaten Lebensführung, sondern auch im Raum der Politik, ja sogar im Feld der internationalen Beziehungen. Trotz allen Realismus über die Grenzen, an die das Bemühen um eine ethisch annehmbare Außenpolitik auch gegenwärtig häufig stößt, halten wir daran fest, dass es alles zu tun gilt, die Chancen und Möglichkeiten einer solchen Politik auszureizen, ja immer mehr zu erweitern.

 

Positive Entwicklungen

5. Zunächst möchten wir unserer Freude darüber Ausdruck geben, dass die Herausforderungen der politischen Wende in Europa Ende der achtziger Jahre angenommen wurden und ihre Bewältigung auf vielen Gebieten voranschreitet.

6. Überwiegend haben die Grenzen ihren trennenden Charakter für die Menschen verloren. Die Spaltung Europas in zwei hochgerüstete Militärblöcke wurde gewaltfrei überwunden. Die Gefahr eines großen, zerstörerischen Krieges unter Einsatz von Atomwaffen erscheint erheblich verringert. Internationale Organisationen und Institutionen (z. B. der Europarat, die Europäische Union, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) wurden weiterentwickelt. Sie haben dazu beigetragen, ein immer dichteres Netz von Strukturen kooperativer Sicherheit entstehen zu lassen. Auch das atlantische Bündnis formuliert seine Aufgaben im Hinblick auf die Kooperation mit den Staaten Mittel- und Osteuropas in umfassenderer Weise. In Ländern, die sich unter den Voraussetzungen der Ost-West-Konfrontation auf die Position der Neutralität verwiesen sahen, wird nun neu darüber diskutiert, in welcher Weise die eigene außenpolitische Mitverantwortung für die Konsolidierung einer Friedensordnung künftig wahrgenommen werden soll.

7. Die Überwindung der kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa gelang auf unblutige Weise. In vielen dieser Länder wurden jene Rechtssysteme abgeschafft, in denen sich vor allem der umfassende Herrschaftsanspruch einer einzigen Partei spiegelte Nunmehr sind fast überall demokratische Verfassungsordnungen eingeführt in denen grundlegende Menschenrechte und persönliche Freiheiten wirksam vor staatlichem Zugriff geschützt sind Wo solche grundlegenden Reformen gelungen sind erscheinen die vormals vertrauten Instrumente politischer Repression nicht länger als eine unabänderliche, wenngleich für unzählige Menschen leidvolle Wirklichkeit.

8. Vorsichtig und allmählich kommt selbst die Suche nach Wegen voran, wie mit den „Schatten der Vergangenheit" umzugehen ist und der Schmerz der Wunden, die z. T. weit zurückliegendes Handeln den Opfern zufügte, gelindert werden kann. Dies ist besonders in den Ländern Zentral- und Osteuropas dringlich, und es ist — wenngleich in verschiedenem Grad und auf unterschiedliche Weise — spürbar geworden, dass die Bedeutung dieser Aufgabe anerkannt wird. Die bisherigen mutigen Schritte zur friedlichen Überwindung der Apartheid in Südafrika zeigen stellvertretend für manch andere Entwicklungen, dass Prozesse der inneren Aussöhnung nicht auf den europäischen Zusammenhang beschränkt bleiben. Das Modell der südafrikanischen „Wahrheits- und Versöhnungskommission" macht dabei deutlich, dass der innere Frieden einer Gesellschaft nicht gefunden und erhalten werden kann, solange man der Frage nach einem angemessenen Umgang mit der Last der Erinnerung auszuweichen sucht. In ähnlicher Weise hat sich nach dem über dreißigjährigen Bürgerkrieg in Guatemala unser grausam ermordeter Mitbruder, Bischof Gerardi, darum verdient gemacht, dass das Projekt einer „Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses" erfolgreich durchgeführt werden konnte. Auf diese Weise wurde eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür geschaffen, sich jüngster Geschichte unter dem Anspruch der Wahrhaftigkeit zu erinnern. Nur so lässt sich verhindern, dass das Leid derer, die zu Opfern von Unrecht und Gewalt wurden, im nachhinein beschönigt und verharmlost werden kann.

 

Gründe für Scham und Trauer

9. Gleichwohl stehen neben diesen Fortschritten andere Ereignisse und Entwicklungen die uns besorgt machen ja denen gegenüber wir Trauer empfinden und Scham.

10. Es ist nicht gelungen, die Rückkehr des Krieges nach Europa zu verhindern. Das ehemalige Jugoslawien brach unter furchtbaren Gewaltexzessen auseinander, deren Opfer vor allem die Zivilbevölkerung geworden ist. Die Eskalation der Gewalt auf dem Balkan hat vor Augen geführt, wie zerbrechlich viele Errungenschaften zivilen Zusammenlebens sind. Sie hat auch offenbart, wie wenig wir damit rechnen können, dass politische Verhältnisse, die vor allem durch äußeren Druck oder innere Repression erzwungen wurden, auf längere Sicht bestehen bleiben.

11. Die Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien stehen überdies für einen neuen Typ von Konflikten. Sie beruhen nicht auf zwischenstaatlichen Streitigkeiten, sondern gehen auf Verhältnisse innerhalb von Staaten zurück, die schwere Defizite an politischer und sozialer Gerechtigkeit aufweisen. Vor allem in der Eskalation solcher Konflikte und in der latenten Gefahr ihres Übergreifens auf Nachbarstaaten liegen die friedenspolitischen Herausforderungen nach dem Ende des Kalten Krieges. In derartigen Konflikten offenbart sich zudem die Gefahr nationalistischer Ideologien. Sie suchen die unbewältigten Erinnerungen an erlittenes Leid und Unrecht in der Vergangenheit neu zu beleben, um Menschen zur Gewalt gegen ihre Mitmenschen bereit zu machen.

12. Innerstaatliche Konflikte beschränken sich nicht auf den mittel- und osteuropäischen Raum. Wenngleich uns bewusst ist, dass jede Krisen- und Konfliktsituation ihre eigenen Konturen aufweist, gilt doch auch für Westeuropa, dass bis in die jüngste Vergangenheit manche Regionen — z. B. Korsika, das Baskenland, Nordirland — immer wieder von Gewalt und Terror erschüttert wurden. Auch dort sind Friedensprozesse nur unter vielfältigen Rückschlägen mühsam voranzubringen.

13. Bisher ist es nicht gelungen, die Proliferation konventioneller Rüstung wie die Weiterverbreitung von Nukleartechnologie, die militärischen Zwecken dienen soll, hinreichend zu kontrollieren und einzudämmen. Die Atomwaffenversuche in Indien und Pakistan vom Frühjahr 1998 haben die ernsten Gefahren, die in einer ungehemmten Fortsetzung solcher Trends liegen, sehr deutlich werden lassen. Doch ist ebenso daran zu erinnern, dass die großen Nuklearmächte ihrer vertraglichen Verpflichtung zu einschneidender Abrüstung noch immer nicht entsprechen, und dass den Ursachen der politischen Konflikte, die hinter dem Streben nach moderner Bewaffnung aller Art sichtbar werden, auch gegenwärtig nicht entschlossen genug entgegengewirkt wird.

14. In vielen Ländern Mittel- und Osteuropas haben die Menschen das Ende der Ost-West-Konfrontation als Befreiung, aber auch als den Beginn neuer Ungewissheiten über ihre persönliche Zukunft erfahren. Vertraute, wenngleich in ihrer konkreten Form häufig abgelehnte politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen wurden infolge dieser epochalen Zäsur zerstört. Für viele brachte dies Desorientierung und nicht selten den Verlust dessen mit sich, was sie sicher erreicht zu haben hofften und worauf sie stolz waren. Sie begannen alsbald zu fragen, wie sich neugewonnene Freiheiten und Maßstäbe der sozialen Gerechtigkeit künftig würden vereinbaren lassen.

15. Auch für die Staaten Westeuropas stellen sich Fragen politischer und sozialer Gerechtigkeit immer dringlicher. Zunehmende Arbeitslosigkeit (besonders unter Jugendlichen), Drogenkonsum, Kriminalität und ein Klima wachsender Intoleranz und Gewaltbereitschaft gegenüber Minderheiten im eigenen Land, Ausländern und Migranten drohen den innergesellschaftlichen Frieden zu untergraben. Diese Entwicklungen, deren Wurzeln teilweise den nationalen Rahmen überschreiten, zeigen an, dass auch der Zusammenhalt westlicher Gesellschaften durch Ungerechtigkeiten und Spaltungen gefährdet ist. Sie wecken den Ruf nach einer Erneuerung grundlegender Übereinstimmungen in Fragen der nationalen wie internationalen Solidarität und des Schutzes der individuellen Menschenwürde.

16. Grenzüberschreitend sind die Stabilität auch demokratisch legitimierter politischer Ordnungen und die persönliche Sicherheit ihrer Bürger durch Terrorismus und organisierte Kriminalität bedroht. Die Schwierigkeiten ihrer Bekämpfung im Rahmen rechtsstaatlicher Grundsätze tragen dazu bei, dass die Zustimmung zur freiheitlichen und demokratischen Verfassung von Staat und Gesellschaft unterhöhlt wird. Wir sind über diese gesellschaftlich-politischen Folgewirkungen nicht weniger besorgt als über deren verursachende Faktoren selbst.

 

Aktuelle Herausforderungen

17. Gerade denjenigen Kräften in Politik und Gesellschaft, die die Chancen einer Vergewisserung über solche grundlegenden Konsense wesentlich beeinflussen können, kommt in dieser Situation besondere Verantwortung zu. Dies gilt auch für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Nicht selten waren sie an der Entstehung und dem Verlauf bewaffneter Konflikte beteiligt. Sie können aber heute darauf einwirken, welche Chancen der Bewahrung und Förderung des Friedens eröffnet werden.

18. Als Bischöfe wenden wir uns daher nicht nur an diejenigen, die mit uns denselben Glauben teilen, sondern — wie wir es in den einleitenden Sätzen formuliert haben — an alle Menschen guten Willens, die am Aufbau einer friedens- und zukunftsfähigen Gemeinschaft der Völker mitwirken können. Wir stellen fest, dass die gegenwärtige politische Landkarte Europas und der Welt weniger denn je eine strikte Trennung zulässt zwischen Problemen, die die Friedensverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft betreffen, und solchen, die herkömmlich als Fragen innerstaatlich herzustellender Gerechtigkeit aufgefasst wurden.

 

Wir brauchen eine neue Kultur internationaler Solidarität und Zusammenarbeit

Ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes, das heute besonders nötig ist, stellt die Liebe dar, die uns die Augen für die Bedürfnisse derer öffnet, die in Armut und am Rande der Gesellschaft leben. Diese Zustände erfassen heute weite gesellschaftliche Räume und bedecken mit ihren Todesschatten ganze Völker. Die Menschheit steht neuen und subtileren Formen von Sklaverei gegenüber, als wir sie aus der Vergangenheit kennen; für allzu viele Menschen bleibt Freiheit weiterhin ein Wort ohne Inhalt. Nicht wenige Nationen, besonders die ärmsten, werden von einer Schuldenlast förmlich erdrückt, die solche Ausmaße angenommen hat, dass eine Rückzahlung praktisch unmöglich ist. Es ist allerdings klar, dass ohne die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Völkern aller Sprachen, Rassen, Nationalitäten und Religionen kein wirklicher Fortschritt erreicht werden kann. Es müssen Formen der Unterdrückung beseitigt werden, die zur Vorherrschaft der einen über die anderen führen: wir haben es dabei mit Sünde und Ungerechtigkeit zu tun. Wem es darum geht, nur hier auf der Erde Schätze anzuhäufen (vgl. Mt 6,19), der „ist vor Gott nicht reich" (Lk 12,21).

Außerdem muss man eine neue Kultur internationaler Solidarität und Zusammenarbeit schaffen, in der alle — besonders die reichen Länder und der private Bereich — ihre Verantwortung für ein Wirtschaftsmodell übernehmen, das jedem Menschen dient. Es darf der Zeitpunkt nicht weiter hinausgezögert werden, an dem sich auch der arme Lazarus neben den reichen Mann setzen kann, um an demselben Mahl teilzunehmen, und nicht mehr gezwungen ist, sich von dem zu ernähren, was vom Tisch des Reichen herunterfällt (vgl. Lk 16, 19-31). Die extreme Armut ist Quelle von Gewalt, Groll und Skandalen. Abhilfe schaffen kann man hier nur durch aktiven Einsatz für die Gerechtigkeit und damit für den Frieden.

Das Jubeljahr ist ein weiterer Aufruf zur Umkehr des Herzens durch die Änderung der Lebensweise. Es erinnert alle daran, dass sie weder die Güter der Erde absolut setzen dürfen, weil sie nicht Gott sind, noch die Herrschaft oder den Herrschaftsanspruch des Menschen, weil die Erde Gott und nur ihm allein gehört:„Das Land gehört mir, und ihr seid nur Fremde und Halbbürger bei mir (Lev 25,23). Möge dieses Gnadenjahr das Herz derer berühren, die das Schicksal der Völker in Händen haben!

(aus: „Incarnationis mysterium", Verkündigungsbulle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 vom 29. November 1998, Nr. 12)

 

19. Haben die von uns beklagten Entwicklungen nicht eine gemeinsame Wurzel, die in einer übermäßigen Betonung unterschiedlicher Formen von Eigeninteressen zu Lasten jenes umfassenden Gemeinwohls liegt, auf das solidarisches Handeln auch in gesellschaftlichen und politischen Systemen gerichtet sein muss? Ist nicht die Verfolgung solcher Eigeninteressen mit den Mitteln der Machtkonkurrenz auf nahezu allen Ebenen zum bestimmenden Prinzip des Handelns geworden? Bewirkt dies nicht zwangsläufig, dass auch in den Strukturen, in denen dieses Handeln sich vollzieht Maßstäbe überparteilicher politischer Gerechtigkeit nicht mehr hinreichend zur Geltung gebracht werden können? Gerade weil wir anerkennen, welche Fortschritte im weiteren Aufbau von Instrumenten der Friedenssicherung in den vergangenen Jahren gemacht werden konnten, sind wir besorgt, dass diese Strukturen hinter ihrer möglichen Leistungsfähigkeit zurückbleiben konnten weil sie zu wenig vom Geist der internationalen Solidarität getragen werden. Gewiss hat auch das zögerliche Vorankommen auf dem Weg hin zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik hier eine seiner tiefreichendsten Wurzeln.

20. Dabei erinnern wir an die großen Fortschritte in den Beziehungen der Völker und Staaten, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg aus einem allseits geteilten Interesse an mehr Frieden und Gerechtigkeit heraus möglich wurden. Das Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen mag hier als ein Beispiel dienen. Traditionelles Denken, das im anderen vor allem den politischen Gegner und Rivalen, wenn nicht gar den Feind zu erkennen glaubte, konnte überwunden werden. Dies ist dem Friedenswillen maßgeblicher Akteure auf allen Seiten zu danken, die den Mut und die Bereitschaft zu politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf brachten. Erst dadurch konnten herkömmliche Denkweisen und Verhaltensmuster in Frage gestellt und der Blick auf diejenigen Herausforderungen geschärft werden, von denen die Völker Europas und der Welt zunehmend gemeinsam betroffen sind.

21. Deswegen rufen wir dazu auf, dass die dringend notwendige Anpassung der politischen Systeme an die Aufgaben, die es zur Friedenserhaltung heute zu bewältigen gilt, von einer Bekehrung der Herzen begleitet sein möge. In einem erneuerten Geist, der solcher Umkehr entspricht, wird es möglich werden, jede Engführung der Friedensverantwortung auf die besonderen Interessen nur des jeweils eigenen Staates und Volkes zu korrigieren. Sie sind ja, bei Licht besehen, nur Teil jenes übergreifenden Gesamtinteresses der Menschheit, das sich als Weltgemeinwohl bezeichnen lässt. Erst die Perspektive eines solchen übernationalen Gemeinwohls lässt uns erkennen, wo nationalstaatliche Interessenverfolgung ihre Legitimität einbüßt, weil sie elementare Rechte und Interessen anderer verletzt und so leicht zu neuer Ungerechtigkeit oder zur Festschreibung überkommener Unrechtsverhältnisse führt.

22. Solche Erkenntnisse haben ihre Konsequenzen in allen Bereichen des politischen und sozialen Lebens; sie erstrecken sich auf Fragen der Friedenssicherung mit den Mitteln der klassischen Außenpolitik auf die Fortentwicklung des internationalen Rechts aber ebenso auf die komplexen Probleme einer Beherrschung der großen wirtschaftlichen sozialen und ökologischen Trends die häufig mit dem Schlagwort der Globalisierung markiert werden In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Ausbau von Strukturen eines einigen Europas eine neue Bedeutung Denn er tragt dazu bei dass sich zwischen dem Wohl der Personen der Gruppen der Nationen und der gesamten Völkergemeinschaft Brücken schlagen lassen. Aus der Perspektive des Weltgemeinwohls erscheinen uns die nachfolgend genannten Aufgaben besonders dringlich.

 

Die Zukunft Europas auf Solidarität und

Gerechtigkeit gründen

23. Bisher haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in konkreten Fragen ihre je eigenen Optionen gewählt auch wenn sie sich im Interesse an einem weiteren Ausbau der europäischen Institutionen zusammenfinden. Dies gilt auf sicherheitspolitischem Gebiet aber nicht minder in wesentlichen Fragen der Wirtschafts und Sozialpolitik Bei der Fortentwicklung solcher Institutionen wie im Prozess der Öffnung der Europäischen Union für weitere europäische Teilnehmerstaaten kommt es deswegen wesentlich darauf an Absprachen und Regelungen vom Gedanken eines Interessenausgleichs her zu treffen der im Hinblick auf alle von der jeweiligen Regelung Betroffenen gerecht, ja solidarisch genannt werden kann. Dies erfordert auf seiten der wirtschaftlich und politisch starken Akteure die Bereitschaft dort auch substanziellen Verzicht auf eigene Vorteile zu leisten wo sich nur auf diese Weise Armut Verelendung und politische Destabilisierung in den Ländern des Ostens wirksam bekämpfen lassen und — wie es im Frühjahr 1998 Papst Johannes Paul II in Wien formulierte — das „unmenschliche Wohlstandsgefälle innerhalb Europas" allmählich abgeflacht werden kann.

24. Das Fehlen einer Politik, die sich allseits an diesem Prinzip orientiert, zeigt sich gegenwärtig besonders im binneneuropäischen Umgang mit Fragen der internationalen Migration. Wir sind besorgt darüber, dass in aktuellen Vorschlägen zu einer Weiterentwicklung des Asyl- und Flüchtlingsrechts — in einzelnen Mitgliedsstaaten, aber auch auf der Ebene der europäischen Institutionen — der Gedanke der notwendigen Solidarität mit Flüchtlingen und Asylsuchenden kaum mehr spürbar ist. Stattdessen erscheinen die Abwehrmöglichkeiten der potentiellen Aufnahmestaaten gegenüber einer unbegründeten Inanspruchnahme ihres Schutzes und Fragen der inneren Sicherheit dieser Staaten als fast allein ausschlaggebender Maßstab der Flüchtlingspolitik. Besonders problematisch ist dies in bezug auf die wachsende Zahl von Menschen, die vor interethnischen Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnlichen Konflikten auf der Flucht sind. Die Frage, welche Mitverantwortung für ihr Schicksal uns die Achtung vor der personalen Würde dieser Menschen abverlangt, droht demgegenüber zunehmend in Vergessenheit zu geraten.

25. Jede Rücksicht auf partikulare nationale Interessenlagen muss mit der Zielbestimmung vereinbar bleiben, Flüchtlingen und Verfolgten Schutz zu gewähren und ihre grundlegenden Menschenrechte zu garantieren. Insbesondere darf niemand dorthin abgeschoben werden, wo er zum Opfer von Folter oder anderen Formen grausamer und unmenschlicher Behandlung zu werden droht. Vor einer Rückführung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen in ihre Herkunftsländer ist sorgsam zu prüfen, ob die Situation vor Ort es ermöglicht, die Heimkehrenden vor neuer Gewalt wirksam zu schützen und sie in die dortige Gesellschaft schrittweise wieder einzugliedern. Darüber hinaus stellt die Bereitschaft zu einer europäischen Lastenteilung gerade auf dem Feld der Migrationspolitik eine der wichtigsten Herausforderungen auf dem Weg zur weiteren Integration Europas dar. Wir betonen dies mit Nachdruck, denn wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass es gerade in dieser Frage weithin an der politischen Bereitschaft fehlt, notwendige und zumutbare Entscheidungen im europäischen Rahmen zu treffen und durchzusetzen.

 

Die Bereitschaft zum Teilen als Weg zum Frieden

Mit großen Schritten naht das Jubiläum des Jahres 2000, eine Zeit, die besonders Gott, dem Herrn der Geschichte, gewidmet wird; ein Anruf für alle im Hinblick auf die vollkommene Abhängigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer. Aber in der biblischen Tradition war es auch eine Zeit der Sklavenbefreiung, der Landrückgabe an den rechtmäßigen Eigentümer, des Schuldenerlasses und der konsequenten Wiederherstellung der Formen von Gleichheit unter allen Volksangehörigen. Es ist deshalb eine günstige Zeit, um jene Gerechtigkeit zu verwirklichen, die zum Frieden führt.

Kraft des Glaubens an Gott, der die Liebe ist, und der Teilhabe an der universalen Erlösung Christi sind die Christen gerufen, sich gerecht zu verhalten und mit allen in Frieden zu leben, weil "Jesus uns nicht einfach den Frieden geschenkt hat. Er hat uns seinen Frieden zusammen mit seiner Gerechtigkeit gegeben. Weil er Frieden und Gerechtigkeit ist, kann er unser Frieden und unsere Gerechtigkeit werden".[Johannes Paul II. Homilie im Yankee Stadium von New York (2. Oktober 1979), 1: AAS 71 (1979), 1169.] Ich habe diese Worte vor fast zwanzig Jahren gesprochen, aber vor dem Hintergrund der derzeitigen tiefgreifenden Wandlungen wird ihr Sinn noch konkreter und aktueller.

Das Zeugnis des Christen, die Liebe zu den Armen, Schwachen und Leidenden ist heute mehr denn je gefragt. Diesen anspruchsvollen Auftrag zu erfüllen, erfordert eine totale Umkehrung der scheinbaren Werte, die dazu verleiten, das eigene Wohl zu suchen: Die Macht, das Vergnügen, die skrupellose Bereicherung. Ja, gerade zu dieser radikalen Umkehr sind die Jünger Christi aufgerufen. Diejenigen, die sich diesen Weg zu gehen bemühen, werden wahrhaftig "Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" (Röm 14,17) erfahren und "als Frucht den Frieden und die Gerechtigkeit" kosten (Hebr 12,11).

Für die Christen in aller Welt möchte ich die Mahnung des II. Vatikanisches Konzil wiederholen: "Zuerst muß man den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge tu, und man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist".[Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, 8.] Eine wirklich solidarische Gesellschaft wird dadurch aufgebaut, dass sich die Wohlhabenden nicht darauf beschränken, von ihrem Überfluß zu geben, um den Armen zu helfen. Es genügt auch nicht, materielle Güter anzubieten: Gefordert wird Bereitschaft zum Teilen, so dass die Möglichkeit, den Brüdern und Schwestern in Not eigene Hilfe und Aufmerksamkeit zu widmen, als Ehrensache betrachtet werden kann. Sowohl die Christen als auch die Anhänger anderer Religionen und vieler Männer und Frauen guten Willens erhebt sich heute der Ruf zu einem einfacher Lebensstil als Voraussetzung dazu, dass die gerechte Verteilung der Güter der Schöpfung Gottes Wirklichkeit werden kann. Wer in Not lebt, kann nicht länger warten: Jetzt braucht er das Lebensnotwendige und hat deshalb ein Recht darauf, es sofort zu bekommen.

(aus: Aus der Gerechtigkeit des einzelnen erwächst der Frieden für alle, Botschaft von Papst Johannes Paul II. zum Weltfriedenstag, 1. Januar 1998, 8)

 

26. Das Prinzip eines gerechten Interessenausgleichs verdient auch in den Beziehungen mit solchen Staaten Beachtung, die auf absehbare Zeit den sich erweiternden europäischen Institutionen nicht angehören werden. Die Beziehungen auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik wie auf der Ebene der wirtschaftlichen Kooperation müssen so gestaltet werden, dass nicht der Eindruck entsteht, Europa suche seine ökonomische Prosperität und außenpolitische Stabilität zu Lasten anderer internationaler Partner zu wahren. Vielmehr obliegt es gerade einem wirtschaftlich starken, einflussreichen und hochintegrierten Europa, sich nach Kräften für gerechtere Strukturen auch in der Weltwirtschaft einzusetzen. Ebenso ist grundlegend für ein Verständnis von Sicherheit, das die geforderte Orientierung am übergreifenden Gesamtinteresse der Völkergemeinschaft ernst nimmt, die Entfaltung des Sicherheitskonzepts in einer universellen Perspektive: als gemeinsame Sicherheit nicht nur für die wohlhabenden Staaten des westeuropäischen bzw. nordatlantischen Raumes, sondern auch für jene Staaten und mit ihnen, die den vorhandenen Strukturen und Institutionen multilateraler Sicherheitspolitik aus unterschiedlichen Gründen nicht angehören. In gesamteuropäischer Sicht ist insbesondere festzuhalten, dass die Menschen in allen Ländern Mittel- und Osteuropas nicht weniger als diejenigen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. der NATO legitime Sicherheitsinteressen haben, denen es beim Auf- und Ausbau einer Friedensordnung Rechnung zu tragen gilt. Schließlich erinnern wir daran, dass der entscheidende Maßstab für die politische Qualität und die ethische Legitimität auch von Konzepten zur Gewährleistung europäischer oder globaler Sicherheit darin liegt, wie weit diese Konzepte den von Not, Gewalt und Unfreiheit am meisten Bedrohten zugute kommen, d.h. wie sie sich auf die Situation der Schwachen und Verletzbaren, der Flüchtlinge und der aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen Verfolgten konkret auswirken.

 

Die Möglichkeiten der Gewaltprävention erweitern

27. Die blutigen Ereignisse der vergangenen Jahre — im ehemaligen Jugoslawien aber auch in Zentral und Ostafrika — lehren uns ohne konsequente Nutzung und planmäßigen Ausbau der Mittel und Methoden zur Früherkennung von Konflikten und ohne rechtzeitiges politisches Einwirken auf Krisensituationen werden entscheidende Chancen vergeben der Eskalation in Gewaltanwendung entgegenzuwirken. Vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen wird an Konzepten friedlicher Konfliktbewältigung gearbeitet, und wir unterstützen diese Bemühungen mit Nachdruck. In der Tradition der kirchlichen Friedenslehre betonen wir dass stets mit Vorrang eine Politik der Gewaltvermeidung verfolgt werden muss. Nur unter dieser Voraussetzung kann es in extremen Fallen in denen eine auf Gewaltvermeidung gerichtete Politik erfolglos bleibt legitim sein nach ethischen Kriterien möglicher Gewaltanwendung zu fragen.

28. Der Ruf nach militärischen Interventionen kommt angesichts von Berichten über schon geschehene Greueltaten nicht nur häufig zu spät. Er ist ebenso oft ein Beleg für schwere Versäumnisse in den unmittelbaren Vorphasen der bewaffneten Auseinandersetzungen Wer vermeiden will dass militärische Interventionen von seiten der internationalen Staatengemeinschaft zum äußersten Mittel der Politik werden muss sich dafür einsetzen dass das im Prinzip verfügbare Instrumentarium präventiver Konfliktbearbeitung und frühzeitigen Krisenmanagements weitaus entschlossener genutzt wird als es regelmäßig geschieht. Wir unterstreichen dies auch deswegen weil bewaffnete Interventionen vielfach ihre eigene Problematik haben gerade wenn man sie unter den ethischen Kriterien betrachtet die die christliche Tradition für die Eindämmung und Begrenzung von Gewalt entwickelt hat.

29. Ein positives Beispiel für präventive Konfliktbearbeitung bieten demgegenüber die Langzeitmissionen der OSZE in einigen Staaten Ost und Südosteuropas, deren Mandate sich vor allem darauf richten bei drohenden Auseinandersetzungen zwischen Titularnation und ethnischen Minderheiten zu vermitteln die Gewährleistung von Menschen und Minderheitenrechten zu beobachten und den Prozess der Demokratisierung zu unterstützen. Es kommt darauf an die dort gemachten Erfahrungen auszuwerten und in ein umfassendes Konzept praventiver Politik zu integrieren Ein solches Konzept musste nicht zuletzt der Tatsache Rechnung tragen, dass gelungene Prozesse der Konfliktnachsorge bereits einen Beitrag zur Verhinderung neuer Spannungen und ihrer gewaltsamen Eskalation darstellen.

30. Für den Erfolg solcher Bemühungen tragen Kirchen und Religionsgemeinschaften eine Mitverantwortung. Wir bitten deswegen ihre Repräsentanten, sich an den vielfältigen, keineswegs nur politischen Aufgabenstellungen innerhalb von Konzepten der Konfliktprävention und -nach- sorge zu beteiligen, wo und wann immer dies möglich ist.

 

Die legitimen Interessen von Minderheiten schützen

31. Im Schutz der legitimen Interessen von Minderheiten eröffnet sich ein Weg, auf dem viele innerstaatliche Konflikte politisch bearbeitet und vielleicht gelöst werden können, die anderenfalls rasch eine immer schwerer beherrschbare Eigendynamik entfalten können Unzureichender Minderheitenschutz ist einer der wichtigsten Grunde warum Bestrebungen nach Sezession aus bestehenden staatlichen Einheiten politische Resonanz finden Der Ruf nach Grenzrevisionen der mit solchen Bestrebungen häufig verbunden ist zeigt an dass aus der ungenügenden Berücksichtigung von Minderheiteninteressen eine Gefährdung nicht nur des innerstaatlichen sondern auch des internationalen Friedens erwachsen kann

32. So entspricht es durchaus dem längerfristigen Eigeninteresse der heutigen Nationalstaaten und ihrer Zentralregierungen durch Demokratisierung und Erweiterung der Möglichkeiten zur Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen durch föderalistische Regierungsformen und großzügige Autonomieregelungen jene Grunde zu beseitigen die den Angehörigen der Minderheiten das Streben nach Sezession und Grenzrevisionen geraten scheinen lassen. Auch wenn einer solchen Politik im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen erscheint sie doch als einzige Alternative zu einer Verlängerung und Intensivierung von absehbaren schweren Konflikten die den Fortbestand von Staaten in ihrer Substanz bedrohen können Allerdings kann die Einführung demokratischer Verfahren und Organisationsformen nicht bereits von sich aus garantieren, dass sachgemäße und ethisch zustimmungsfähige Entscheidungen getroffen werden. Für eine lebendige Demokratie, die tatsächlich dem Wohl einer Gesellschaft dient, weil sie vorhandene Gegensätze und Konflikte politisch bearbeitbar macht und gewaltfrei bleiben lässt, ist ein sie tragendes Ethos der Bürger dieser Gesellschaft unerlässlich. Dieses Ethos wird besonders dort spürbar, wo nicht lediglich Ansprüche geltend gemacht, sondern ebenso Solidaritätspflichten bejaht werden.

33. Die Verantwortlichkeit der jeweiligen Nationalstaaten für eine angemessene rechtliche und politische Stellung der in ihnen lebenden Minderheiten sollte durch eine wirksamere Ausgestaltung internationaler Instrumente des Schutzes von Menschen- und Minderheitenrechten ergänzt werden. Wir verweisen daher auf die politische Bedeutung, die dem Aufgabenbereich des Hohen Kommissars für Nationale Minderheiten der OSZE zukommt, und bitten die Verantwortlichen, dafür Sorge zu tragen, dass dieses Amt so ausgestattet wird wie es seiner Funktion für die friedliche Bearbeitung latenter oder aktueller Minderheitenkonflikte entspricht.

 

Den Fundamentalismen durch nachhaltige Entwicklung entgegenwirken

34. Nicht nur aus Gründen der Humanität und der Gerechtigkeit, sondern auch aufgrund eigener Interessenlagen sind die reichen Länder des Globus gehalten, durch Entwicklungskooperation den Frieden in und zwischen denjenigen Ländern zu fordern die noch immer in vielfältiger Hinsicht benachteiligt sind. Denn bei zunehmender globaler Verflechtung wird es keinem Einzelstaat mehr möglich sein, längerfristig eigene Interessen zu wahren, indem er gegen grundlegende Erfordernisse der internationalen Gerechtigkeit und damit des weltweiten Gemeinwohls verstoßt Die immensen sozialökonomischen Disparitäten nicht nur zwischen sondern vor allem innerhalb von Staaten beinhalten ein eigenes friedensgefährdendes Potential In einer Zeit in der Finanzkapital hochmobil ist und in der die Standortentscheidungen von Unternehmen zunehmend global ausgerichtet sind, kommt der friedenserhaltenden Funktion einer gerechten Gestaltung der Welthandelsordnung und einer konsequenteren Ausrichtung der Entscheidungen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf die Bedürfnisse der Armen und Benachteiligten eine wachsende Bedeutung zu.

35. In diesem Zusammenhang erweist es sich auch als notwendig, für die teilweise gigantische Verschuldung gerade gering entwickelter Länder eine Lösung zu suchen, die nicht zu Lasten der ärmsten und schwächsten Mitglieder der dortigen Gesellschaften geht. Denn nicht sie sind es, die für die Verschuldungssituation verantwortlich zu machen wären; ihnen die Hauptlast der Folgen dieser Situation aufzubürden, ist eine schwerwiegende Ungerechtigkeit. Neben Modellen großzügiger Umschuldungsabkommen ist deswegen auch die Möglichkeit eines erheblichen Schuldenerlasses ernsthaft zu erwägen, wie ihn der Internationale Währungsfonds gegenüber mehreren Ländern Mittelamerikas, die unter den verheerenden Folgen eines Wirbelsturms leiden, kürzlich beschlossen hat. Voraussetzung für den Erfolg solcher Schritte sind institutionelle Vorkehrungen in den verschuldeten Ländern die sicherstellen dass Erleichterungen der Schuldenlast tatsächlich den Armen zu gute kommen.

36. Eine sozial und ökologisch vertragliche längerfristig durchhaltbare Politik der Entwicklungszusammenarbeit leistet jedoch nicht nur einen unmittelbaren Beitrag dazu das Los der Ärmsten dieser Welt zu verbessern In ihr liegt zudem eine bedeutende Chance den zunehmend als bedrohlich wahrgenommenen Fundamentalismen gegenzusteuern Zwar speisen sich fundamentalistische Bewegungen regelmäßig auch aus politischen und ideologischen Motivlagen Doch es bestehen enge Beziehungen zwischen der gesellschaftlichen Akzeptanz die fundamentalistische Bestrebungen finden und dem Ausmaß in dem individuelle Lebenssituationen als perspektivlos empfunden werden.

37. Das Hauptaugenmerk bei dem Versuch unterschiedlichen Spielarten fundamentalistischer Bestrebungen entgegenzuwirken muss deswegen darauf gerichtet sein den gesellschaftlich politischen und sozialen Wurzeln der Fundamentalismen den Nährboden zu entziehen. Nur so lässt sich vermeiden dass in politischen und militärischen Sicherheitskonzepten an die Stelle einer differenzierten Ursachenanalyse des Fundamentalismus und seiner radikalen terroristischen Extremformen eine pauschalierende Feindbild Konstruktion tritt die insbesondere die Beziehungen zur islamischen Welt zu vergiften droht.

38. Entwicklung ist jedoch nicht nur eine Sache der Ökonomie und geeigneter politisch-rechtlicher Strukturen. Vielmehr sind parallele Anstrengungen seitens kulturprägender Institutionen und Organisationen —unter ihnen auch der Kirchen und Religionsgemeinschaften — erforderlich. Nur so kann sich jenes gesellschaftliche Klima der Toleranz und der Dialogbereitschaft entfalten, in dem ein entschlossenes Engagement unterschiedlicher Gruppierungen für eine bessere gemeinsame Zukunft erst möglich wird. Kirchen und Religionsgemeinschaften nehmen, indem sie sich auf diesem Feld engagieren, eine genuine Aufgabe der Friedenserziehung angesichts der interkulturellen Herausforderungen auf der Schwelle zum nächsten Jahrtausend wahr.

 

In den Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung nicht nachlassen

39. Neben Versäumnissen auf dem Feld nachhaltiger Entwicklung untergräbt vor allem die Weiterverbreitung von Rüstungsgütern aller Art Frieden und Stabilität in vielen Regionen der Welt. Die leichte Verfügbarkeit solcher Güter kann nicht nur den kriegerischen Austrag politischer Konflikte entscheidend begünstigen. Sie schafft auch die Voraussetzungen dafür, dass sich eine wechselseitige Rüstungsdynamik entwickeln kann, in der jede eigene Rüstungsmaßnahme mit einem tatsächlichen oder vermeintlichen Vorsprung von solchen Staaten gerechtfertigt wird, die man als Gegner betrachtet. Zudem werden vielfältige Formen innenpolitischer Repression, die mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einhergehen, durch die Weitergabe moderner Waffentechnologien erheblich erleichtert.

 

Religion und Frieden gehen Hand in Hand

Stets war ich der Ansicht, dass Religionsführer eine lebenswichtige Rolle spielen, wenn es gilt, die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden zu hegen, ohne die es keine menschenwürdige Zukunft geben wird. Da die Welt ein zu Ende gehendes Jahrtausend und den Beginn eines neuen begeht, ist es angebracht, dass wir uns die Zeit nehmen, um Rückschau zu halten, damit wir über die gegenwärtige Situation Bilanz ziehen und gemeinsam voll Hoffnung der Zukunft entgegengehen können.

Ist es bei unserem Überblick über die Situation der Menschheit übertrieben, wenn wir von einer Krise der Zivilisation sprechen? Wir erleben große technische Fortschritte, die jedoch nicht immer von großem spirituellen und moralischen Fortschritt begleitet werden. Auch erleben wir eine wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen sowohl was den einzelnen anbelangt als auch auf internationalem Niveau. Viele Menschen bringen große Opfer, um sich mit den Notleidenden, Hungernden oder Kranken solidarisch zu erweisen, aber es fehlt immer noch am kollektiven Willen, die skandalösen Ungleichheiten zu überwinden und neue Strukturen zu schaffen, die eine gerechte Verteilung der Ressourcen der Welt unter allen Völkern ermöglichen.

Dann sind da die vielen Konflikte, die ständig rund um den ganzen Erdball ausbrechen: Kriege zwischen Völkern, bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb der Nationen, Konflikte, die wie eiternde Geschwüre wuchern und nach einer Heilung schreien, die nicht einzutreten scheint. Unvermeidbar leiden die Schwächsten am meisten unter diesen Konflikten, besonders, wenn sie aus ihrer Heimat herausgerissen werden und gezwungen sind, zu fliehen.

Das ist sicherlich nicht die Art und Weise, wie die Menschheit leben soll. Ist er daher nicht richtig, zu sagen, dass es tatsächlich eine Krise der Zivilisation gibt, der nur durch eine neue Zivilisation der Liebe zu begegnen ist, gegründet auf den universalen Werten wie des Friedens, der Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit (vgl. Tertio Millennio Adveniente, 52)?

Es gibt Leute, die behaupten, dass die Religion ihren Teil zu diesem Problem beiträgt, indem sie der Menschheit den Weg zum wahren Frieden und Wohlstand versperrt. Als religiöse Menschen haben wir die Pflicht, zu zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Sich der Religion zu bedienen, um Gewaltanwendung zu unterstützen, ist Mißbrauch der Religion. Religion ist kein Vorwand für Konflikte und darf es auch nicht werden, besonders dann, wenn religiöse, kulturelle und ethnische Identität zusammenfallen. Religion und Frieden gehen Hand in Hand: Krieg im Namen der Religion zu führen ist ein eklatanter Widerspruch (vgl. Ansprache an die Teilnehmer der 6. Versammlung der Weltkonferenz über Religion und Frieden, 3. November 1994, 2.) Religiöse Führer müssen klar und deutlich zeigen, dass sie wegen ihres religiösen Bekenntnisses dazu verpflichtet sind, den Frieden zu fördern.

Die Aufgabe, die sich uns also stellt, ist, eine Kultur des Dialogs zu fördern. Einzeln und gemeinsam müssen wir zeigen, dass religiöser Glaube zum Frieden inspiriert, zur Solidarität ermutigt, Gerechtigkeit fördert und Freiheit unterstützt. Aber das Lehren allein genügt nicht, so unentbehrlich es auch sein mag. Es muss auch in die Tat umgesetzt werden. Mein verehrten Vorgänger, Papst Paul VI., erwähnte einmal, dass in unserer Zeit die Menschen eher den Zeugen als den Lehrern Aufmerksamkeit schenken und dass sie auf Lehrer hören, wenn diese auch gleichzeitig Zeugen sind (vgl. Evangelii nuntiandi, 41). Man denke nur an das unvergessliche Zeugnis von Menschen wie Mahatma Ghandi oder Mutter Teresa von Kalkutta, um nur zwei Personen zu erwähnen, die einen solchen Einfluss auf die Welt hatten.

(aus der Ansprache von Papst Johannes Paul II. bei der Schlussveranstaltung der Interreligiösen Begegnung am 28. Oktober 1999 in Rom; in: L'OSSERVATORE ROMANO, deutschsprachige Wochenausgabe, Nr. 46 vom 12. 11. 1999, S. 7).

 

40. Deswegen gilt es politische und wirtschaftliche Partner auf dem Gebiet der Rüstungsproduktion von der Bedeutung restriktiver Standards für entsprechende Exporte zu überzeugen und so bald wie möglich bindende Absprachen hierüber zu vereinbaren. Wir erwähnen in diesem Zusammenhang besonders die Bemühungen um einen europäischen Kodex von Exportregeln für Rüstungsguter und begrüßen die entsprechende Beschlussfassung des Ministerrats der Europäischen Union vom Mai 1998 als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir regen weiter an, durch wirksame Absprachen möglichst sicherzustellen dass Guter die sowohl zivil wie militärisch brauchbar sind zu ausschließlich zivilen Zwecken verwendet werden.

41. Zudem müssen sich alle die in politischer Verantwortung über die Aufrechterhaltung eines hohen Rüstungsniveaus entscheiden bewusst sein, dass vereinbarte Rüstungskontrolle weitergehende Abrüstung nicht überflüssig macht Dieses dringliche Desiderat gilt insbesondere für Nuklearwaffen: es ist eine Glaubwürdigkeitsfrage für diejenigen Staaten, die solche Waffen besitzen dass sie selbst zur Abrüstung bereit sind wenn sie einen Verzicht auf Kernwaffen von denjenigen Staaten einklagen, die diese noch nicht besitzen.

 

Den Umgang mit belasteter Vergangenheit als Friedensaufgabe verstehen

42. Jeder gewaltsam ausgetragene Konflikt fordert Opfer ist mit oft unermesslichem menschlichem Leid verbunden Vergangenes Geschehen lastet freilich nicht nur als Erinnerung an Krieg und Bürgerkrieg auf den Seelen der Menschen. Europa musste erfahren, wie moderne Diktaturen immer effizienter darin wurden, ein Maximum an Repression zu erreichen; wie es ihnen immer wirksamer gelang, die ihnen Unterworfenen in Zwangslagen zu bringen und sie moralisch zu korrumpieren, und wie sie dies zum Prinzip ihrer fast unumschränkten Machtausübung werden ließen. Solche Strukturen haben auch Vertreter der Kirchen schuldig werden lassen.

43. Räume dafür offenzuhalten, dass das von den Opfern Erlittene erinnert werden kann; dass ihnen die Möglichkeit bleibt, Gehör zu finden; dass die gesellschaftlich erfahrbare Zäsur in eine Welt der Täter und eine Welt der Opfer überwunden werden kann — dies sind unmittelbare, unersetzliche Beiträge zur Konsolidierung des gesellschaftlichen Friedens. Solche Schritte zur Auseinandersetzung mit den Schatten der Vergangenheit stehen vielerorts dringend an — nicht nur im ehemaligen Jugoslawien, in Zentral- und Ostafrika, in Lateinamerika. Politisches Handeln und justizielle Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen können sie möglicherweise erleichtern — unter diesem Gesichtspunkt begrüßen wir es, dass es der internationalen Staatengemeinschaft unlängst in Rom gelungen ist, sich auf das Statut eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs zu verständigen.

44. Das Bemühen um einen angemessenen Umgang mit den Schatten der Vergangenheit kann und darf sich jedoch darin nicht erschöpfen. Es bleibt eine originäre Aufgabenstellung für Zivilgesellschaften, die sich ihrer Verantwortung für eine bessere Zukunft ihres Gemeinwesens bewusst sind. Die Mitwirkung an Prozessen, in denen Wege gesucht werden, wie sich mit den Lasten der Vergangenheit menschenwürdig leben lässt, sehen wir als eine Aufgabe besonders für solche christlichen Bewegungen an, die sich für mehr Gerechtigkeit und Frieden engagieren. Auch für die ökumenische Zusammenarbeit der christlichen Kirchen liegt hier ein zentrales Feld gemeinsamer Verantwortung.

 

Durch Erziehungs- und Bildungsarbeit zum Wachsen wechselseitigen Vertrauens beitragen

45. Bildungseinrichtungen und die durch sie gebotenen Programme können großen Einfluss auf das öffentliche Meinungsklima gewinnen. Sie können dazu beitragen, dass politische Strategien gefördert werden, ihnen aber auch wirksam entgegengearbeitet werden kann. Die Herausbildung oder Wiederbelebung von Feindbildern, von nationalistischen Ideologien, von Klischees vorgeblicher ethnischer Überlegenheit bereitet nicht selten erst den Boden für den Erfolg jeder Variante von Gewaltpolitik. Umgekehrt kann durch direkte Begegnungen mit Menschen aus der Gruppe des angeblichen „Feindes", durch Bemühungen um Aufklärung über den tatsächlichen Verlauf gemeinsamer Geschichte, über die Entstehungsgründe unterschiedlicher Geschichtsbilder und Identitätskonzepte und durch ähnliche Vermittlungsformen die Macht solcher gewaltträchtiger Klischees gebrochen werden. Nicht zuletzt für die Arbeit kirchlicher Schulen Akademien und Fakultäten bietet sich hier ein Aufgabenfeld dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann.

 

Schlußwort

46. Viele der in Politik und Gesellschaft Verantwortlichen muhen sich täglich darum, die hier skizzierten Aufgaben zu bearbeiten. Wir wollen ihnen dafür unseren Dank aussprechen. In diesen Dank schließen wir auch alle jene mit ein die als Glieder der Kirche und treu der Botschaft des Evangeliums ihren Beitrag für Gerechtigkeit und Frieden leisten In verschiedenen Ländern dürfen wir freudig feststellen, dass solche Bemühungen Frucht getragen haben. Wir bitten alle, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen, damit sich am -Auf- und Ausbau von Institutionen und Instrumenten gemeinsamer europäischer Politik ablesen lässt, dass ein dauerhafter, gerechter Frieden in dieser Welt keine bloße Utopie bleibt.

47. Möge Gottes Geist die ethischen Orientierungen in uns wachhalten für die wir hier gemeinsam eintreten Wir beten darum dass er uns die Gnade schenke dazu beizutragen dass schon hier und jetzt immer wieder erfahrbar wird Versöhnung ist eine Gabe Gottes sie ist ein Quell neuen Lebens Wir laden alle die mit uns denselben Glauben teilen dazu ein eine Gemeinschaft des Gebetes um Frieden und Versöhnung zu bilden die die Grenzen von Territorien und Sprachen überschreitet. Die Gemeinsamkeit des Gebets möge uns Kraft dazu geben, geduldig und beharrlich unseren Weg zu gehen, auf dem wir bezeugen wollen: weil wir in Christus mit Gott versöhnt sind können wir auch miteinander Versöhnung suchen.

 

Vorschläge für die Gestaltung der

Gottesdienste am Hochfest der

Gottesmutter Maria Weltfriedenstag 2000

(Zusammengestellt vom Deutschen

Liturgischen Institut, Trier)*[Die Vorschläge für die Gottesdienste haben der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz vorgelegen; sie widersprechen nicht den liturgischen Vorschriften.]

 

I. Messfeier

Eröffnung

Zum Einzug

Gotteslob 157 Der du die Zeit in Händen hast

Gotteslob 158 Lobpreiset all zu dieser Zeit

Orgel oder andere Instrumentalmusik

 

 

Einführung

1. Januar 2000 — ein außergewöhnliches Datum! Viele Erwartungen, gute Vorsätze, aber auch Ängste und Befürchtungen haben wir mit in diese Zeit zur Jahrtausendwende genommen. Wir tragen in uns die Hoffnung, dass etwas Neues, etwas Besseres beginnen kann, dass wir neu anfangen können — eine Chance, die wir nicht ungenützt vorübergehen lassen wollen.

In dieser Hoffnung bestärkt uns das Leitmotiv des Weltfriedenstages, das der Papst heute allen Menschen zuruft: „Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt." Diese Zusage verweist uns auch auf das heutige Hochfest der Gottesmutter Maria. Gott liebt die Menschen so sehr, dass er Maria, die junge Frau aus Nazaret, auserwählt hat, seinen Sohn zu gebären, Jesus Christus.

Zu ihm, der mit seinem Frieden bei uns ist, rufen wir:

 

Kyrie-Rufe

V.: Herr Jesus Christus, in dir ist Gott uns nahe.

K.: Herr, erbarme dich.

A.: Herr, erbarme dich.

V.: Durch dich erfahren wir die Liebe Gottes.

K.: Christus, erbarme dich.

A.: Christus, erbarme dich.

V.: Mit dir können wir die Welt verändern.

K.: Herr, erbarme dich.

A.: Herr, erbarme dich.

Oder:

Gotteslob 130 Gelobet seist du, Jesu Christ

Gotteslob 495,3

Gotteslob 129 Licht, das uns erschien

 

Gloria

Gotteslob 426 Ehre sei Gott in der Höhe

Gotteslob 411 Gloria in excelsis Deo

 

Wortgottesdienst

Erste Lesung Num 6,22-26

Auf seinem Zug durch die Wüste erfuhren die Israeliten, das Volk Jahwes, immer wieder von Neuem den Segen Gottes. Auch wir, deren Weg manchmal durch Lebenswüsten führt, bedürfen dieses Segens.

 

Antwortgesang

Gotteslob 732,1 Die Völker sollen dir danken, o Gott + Kantorenbuch 52

Gotteslob 149,4 Der Herr krönt das Jahr mit seinem Segen + Kantorenbuch 18

(Gotteslob 692,2 — Verse 1-2, 3-4, 5-6)

 

Zweite Lesung Gal 4,4-7

Oft bedrückt von Lieblosigkeit und Unfrieden schauen wir Menschen voll Erwartung auf den, der uns erlöst und zu Kindern des einen Vaters gemacht hat, auf Jesus Christus, Gottes Sohn.

 

Ruf vor dem Evangelium

Gotteslob 531,4 + Kantorenbuch 153,7 (Vers)

 

Evangelium Lk 2,16-21

Homilie (s. Predigtentwurf S. ...)

Glaubensbekenntnis

Gotteslob 356 Wir glauben an den einen Gott (Großes Glaubensbekenntnis)

Gotteslob 423 Credo in unum Deum

 

Fürbitten

P.: Mit dem neuen Jahr verbinden sich Hoffnungen und Sorgen. Beides vertrauen wir Jesus Christus an, dem Herrn der Zeit:

V.: Wir beten um Frieden in der Welt, um ein Ende von Hass und Gewalt, um Gerechtigkeit zwischen Armen und Reichen, um Sicherheit für alle aus ihrer Heimat Vertriebenen. — STILLE -

A.: Gotteslob 563 Christus gestern, Christus heute

V.: Wir bitten um das Geschenk des Glaubens in unserer Gesellschaft, in der die Frage nach dem Sinn des Lebens immer drängender wird. - STILLE -

V.: Wir beten um Kraft, Mut, Geduld und Glück für die Menschen, die mit großen Sorgen und Ängsten auf dem Weg in ein neues Jahrtausend sind: für die unheilbar Kranken und ihre Angehörigen, für die Arbeitslosen und sozial Schwachen, für die an den Rand Geratenen und für alle, die bei uns ein neues Zuhause suchen. - STILLE -

V.: Um Hoffnung und Mut zu einem Neuanfang bitten wir für jene, die im vergangenen Jahr von schweren Schicksalsschlägen getroffen wurden oder die gescheitert sind. - STILLE -

V.: Um Gottes Segen im neuen Jahr bitten wir für uns selbst und die Menschen, die uns nahe stehen.

— STILLE —

P.: Gott, unser Vater, du liebst die Menschen. Du lässt uns niemals allein auf unserem Weg und bist immer da für uns. In deine Hände legen wir unser Schicksal. Dir danken wir und preisen dich, heute und unser ganzes Leben lang und in Ewigkeit. Amen.

 

Eucharistiefeier Zur Gabenbereitung

Gotteslob 535 Bringet, ihr Völker, herbei

Gotteslob 534 Herr, wir bringen in Brot und Wein

 

Sanctus

Gotteslob 438 Heilig, heilig, heilig Gott

Gotteslob 412 Sanctus, sanctus, sanctus Dominus

 

Zur Brotbrechung

Gotteslob 439 Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt

Gotteslob 413 Agnus Dei, qui tollis peccata mundi

 

Dankgesang

Gotteslob 139 Hört, es singt und klingt mit Schalle

Gotteslob 137 Tag an Glanz und Freunden groß

Gotteslob 577 Maria, Mutter unsres Herrn

 

II. Gebetswache für den Übergang zum Jahr 2000

Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit *[aus: Das Heilige Jahr 2000. Liturgische Arbeitshilfe für das Jubeljahr, herausgegeben vom Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für das Heilige Jahr 2000, Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke, Bonn 1999.]

Vorbemerkungen

1. Die folgende Feier einer Gebetswache (Vigil) wird den Teilkirchen angeboten, damit sie sich besser auf die Danksagung und die Bitte in jener Nacht vorbereiten können, in der nach dem westlichen Kalender das 20. Jahrhundert zu Ende geht und eine neue Epoche der Geschichte des Christentums beginnt.

2. Während die Gläubigen diesen besonderen Jahreswechsel erleben, sind sie eingeladen, dem Vater für das große Geheimnis der Güte und des Friedens zu danken, das in Jesus Christus, in seinem Leben und in dem von ihm vollbrachten Heilswerk offenbar geworden ist: Das Wort war bei Gott und alles ist durch das Wort geworden (vgl. Joh 1,2-3). In der Fülle der Zeit wurde er durch das Wirken des Heiligen Geistes von einer Jungfrau geboren, und mit seinem Tod und seiner Auferstehung hat er die Verheißungen erfüllt; der in alle Ewigkeit Lebendige gießt seinen Geist über die Kirche aus, die durch diese Zeit der endgültigen Begegnung mit dem Herrn der Welt, am Ende der Zeit, entgegen pilgert.

3. Die Feier will auch die selige Jungfrau Maria, die Mutter des Friedensfürsten, loben. Ihr treues Mitwirken am göttlichen Heilsplan lehrt alle Gläubigen, die sich auf das neue Jahrtausend vorbereiten, durch ihr Leben Ja zu Gottes Willen zu sagen.

4. Die Feier kann auf zweifache Weise eröffnet werden:

— in Form einer Eröffnungsprozession;

— durch einen feierlichen Einzug.

Die erste Form beginnt mit einer Statio in einer Nebenkirche oder an einem sonstigen geeigneten Ort. Sie umfasst folgende Feierelemente:

Eröffnung, Lichtritus (Luzernar), Prozession zum Ort der Wort-Gottes-Feier, Verkündigung des Wortes Gottes, Gebet der Danksagung und Fürbitte.

Die zweite Form der Eröffnung findet innerhalb derselben Kirche oder an einem sonstigen geeigneten Ort statt.

5. Folgendes ist vorzubereiten:

— die liturgischen Gewänder für den Zelebranten und alle, die einen besonderen Dienst ausüben. Der Zelebrant trägt den Chormantel;

— das Prozessionskreuz und zwei Leuchter mit brennenden Kerzen;

— das Evangelienbuch;

— Lichter (Kerzen) für alle, die einen besonderen Dienst ausüben und die übrigen Gläubigen;

— Rauchfass und Schiffchen.

 

Die Feier

6. Um eine fruchtbare Teilnahme der Gläubigen an der Feier zu fördern, empfiehlt es sich, in geeigneter Weise den Ort der Feier herzurichten.

7. Die Gemeinde versammelt sich in einem geeigneten Raum. Meditative Musik erklingt. Der Raum ist nur schwach beleuchtet.

 

Eröffnung

8. Nach dem Einzug in Prozessionsform folgt folgendes Invitatorium oder ein geeigneter Gesang:

Antiphon

V./A.: Dir, Herr Jesus Christus,

Dir, Menschensohn,

der du der Erste und der Letzte bist,

der Kommende, der Lebendige.

Du strahlender Morgenstern,

dir sei die Ehre in Ewigkeit!

V.: Singet dem Herrn ein neues Lied;

alle Enden der Erde

sahen das Heil unseres Gottes

V.: Dir, Herr Jesus Christus

sei die Ehre in Ewigkeit!

Oder:

V./A.: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters. (GL 174).

V.: Spielt dem Herrn auf der Harfe!

Zum Schall der Trompeten und Hörner

jauchzet vor dem Herrn, dem König!

V.: Ein Licht erstrahlt den Gerechten

und Freude den Menschen mit redlichem Herzen.

Er behütet das Leben seiner Frommen!

V.: Dient dem Herrn mit Freude,

erkennt: Der Herr allein ist Gott.

Er hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum.

Liturgischer Gruss

9. Der Priester (Diakon) grüßt die Gemeinde mit folgenden (vgl. Offb 1,4-6) oder ähnlichen Worten:

V.: Gnade sei mit euch und Friede von ihm,

der ist und der war und der kommt,

und von Jesus Christus:

Er ist der treue Zeuge,

der Erstgeborene der Toten,

der Herrscher über die Könige der Erde.

A.: Amen.

V.: Ihm, der uns liebt

und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut,

der uns zu Priestern gemacht hat

vor Gott, seinem Vater,

ihm sei die Herrlichkeit und die Macht

in alle Ewigkeit.

A.: Amen.

 

Lichtfeier

10. Der Zelebrant führt nun mit folgenden oder ähnlichen Worten in die Gebetswache (Vigil) ein:

V.: Wie Pilger gehen wir durch die Zeit dem Reich entgegen.

Am Anfang des dritten Jahrtausends

tröstet und stärkt uns Gottes Wort

und das Zeugnis Jesu Christi, den die Jungfrau Maria uns gebar.

Er, der in alle Ewigkeit Lebendige sagt uns,

wir sollen uns nicht fürchten;

er, der Wahrhaftige, der alles Dunkel in der Kirche erhellt,

gibt Glanz unserem Bitt- und Dankgebet.

Er, das Licht, das wie kein anderes leuchtet,

macht unsere Lampen hell.

Öffnen wir uns hoffnungsvoll seinem Glanz,

in der Gewissheit, dass es einmal keine Nacht mehr geben wird

und wir das Licht einer Lampe nicht mehr brauchen werden,

denn der Herr, unser Gott, wird über uns leuchten,

und wir werden mit Christus herrschen in alle Ewigkeit.

11. Eine(r) der Anwesenden bringt eine brennende Lampe. An dieser Lampe entzündet man die Lichter des Zelebranten und der ganzen Gemeinde. Dann singt der Kantor/die Kantorin den folgenden Hymnus oder es wird ein anderer geeigneter Gesang gesungen.

Hymnus

V.: Christus, Erlöser der Menschen,

von Stille umfangenes Wort,

Licht, das das Geheimnis enthüllt,

Quelle, die des Herzens Verlangen stillt:

Dir huldigen wir.

A.: Dir huldigen wir

V.: Christus, jedes Menschen Bruder,

Glanz der ganzen Schöpfung,

aus Maria entsprossenes Leben,

den Mühseligen Halt und Stütze:

Dir huldigen wir.

V.: Christus, geopfertes Lamm,

Hirte, der seine Herde führt,

Blut, das die Erde Frucht bringen lässt

Heil des gefesselten Menschen:

Dir huldigen wir.

V.: Christus, vom Tode erstanden,

Spender des göttlichen Geistes.

Leben, das den Tod bezwingt,

Krone und Ruhm deiner Heiligen:

Dir huldigen wir.

V.: Ruhm, Lob und Ehre auf ewig

Dem Vater, der Quelle der Gnade,

durch Christus, den Heiland der Welt,

in ewiger Liebe vereint.

Dir huldigen wir.

12. Wenn die Feier mit der Statio begonnen hat, wird an dieser Stelle wie üblich die Prozession angesagt

13. Während der Prozession kann man einige Lobpsalmen oder andere geeignete Gesänge und Lieder singen.

14. Ist die Prozession in der Kirche oder am Ort der Wort-Gottes-Feier angekommen, stellt der Zelebrant seine Lampe auf den Altar und alle anderen stellen ihre Lichter ebenfalls ab.

 

Verkündigung des Wortes Gottes

15. Ist der Prozessionsgesang beendet, setzen sich alle. Die Kirche wird hell beleuchtet. Dann wird das Wort Gottes verkündigt.

16. Der Priester oder sonst jemand, der dazu bestimmt ist, kann in die Lesungen einführen. Er kann die Aufmerksamkeit auf die Präexistenz des Wortes, seine Gegenwart in der eschichte, seine erwartete Wiederkunft lenken.

17. ERSTE LESUNG Sprichwörter 8,22-35 (Spr 8,22-31 = Messlektionar III, 5. 237)

18. ANTWORTGESANG Kol 1,12-20 (Christkönigssonntag, Lesejahr C = Messlektionar III, 5. 390)

V./A.: In dir, Herr, lebt alles, was lebt.

Dir die Herrlichkeit in Ewigkeit!

Oder:

V./A.: Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewigkeit. (GL 564)

 

19. Gebet

V.: Lasset uns beten.

Herr, deine Kirche preist dich,

wenn sie das Geheimnis deiner Weisheit betrachtet.

Du hast die Welt erschaffen und alles geordnet.

Du hast uns durch deinen Sohn mit dir versöhnt

und durch deinen Geist geheiligt.

Gib, dass wir in geduldiger Hoffnung

zur vollkommenen Erkenntnis deiner Größe gelangen,

der du Liebe, Wahrheit und Leben bist.

Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.

A.: Amen.

20. ZWEITE LESUNG Sir 24,1-2. 8-12 (Erste Lesung am Zweiten Sonntag nach Weihnachten = Messlektionar III, 5. 46)

Ich fasste Wurzeln bei einem ruhmreichen Volk, im Eigentum des Herrn.

21. ANTWORTPSALM Ps 147,12-13. 14-15. 19-20 (Zweiter Sonntag nach Weihnachten = Messlektionar III. 5. 47)

V./A.: Das Wort Gottes hat unter uns gewohnt.

Oder:

V.IA.: Das Wort wurde Fleisch und wohnte bei uns. (GL 149,6)

 

22. Gebet

V.: Lasset uns beten.

Gott, Licht der Gläubigen,

erfülle die ganze Welt mit deiner Herrlichkeit,

offenbare dich allen Völkern

und lasse allen Menschen das Licht deiner Wahrheit leuchten.

Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.

A.: Amen

23. DRITTE LESUNG Gal 4,4-7 (Zweite Lesung am 1. Januar = Messlektionar III, 5. 44)

Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau

24. ANTWORTPSALM Ps 104 (105) (GL 253)

V.IA.: Juble laut, Tochter Zion:

Dein König kommt zu dir, der Retter der Welt.

Oder:

V./A.: Hebt euch ihr Tore, unser König kommt. (GL 122).

 

25. Gebet

V.: Lasset uns beten.

Vater,

in der Fülle der Zeit hast du uns deinen Sohn,

den die Jungfrau Maria geboren hat,

als Retter der Welt gesandt.

Erleuchte uns mit deinem Geist,

damit wir das Geheimnis deiner Liebe erkennen

und froh werden in der Hoffnung auf die vollkommene Freude,

die uns als Kinder des Himmelreichs erwartet.

Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.

A.: Amen.

26. Ruf vor dem Evangelium

V./A.: Halleluja, halleluja.

V.: Lebt im Licht, sagt der Herr.

Glaubt an das Licht, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.

A.: Halleluja.

 

27. Verkündigung des Evangeliums

Die Gläubigen hören stehend, mit brennenden Lampen in der Hand, die Verkündigung des Evangeliums. Das Evangelium wird wie üblich verkündet.

Evangelium Joh 12,23-36

Am Ende des Evangeliums kann die Gemeinde den Halleluja-Ruf wiederholen oder eine andere Akklamation singen.

 

28. Betrachtung

Nach einer Pause meditativer Stille können zwei Lektoren / Lektorinnen (I und II) abwechselnd folgende Texte vortragen. (Offb 2 1,1-7, 9-10; 22,3-5)

I. Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen:

II. Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen!

Er wird in ihrer Mitte wohnen

und sie werden sein Volk sein;

und er, Gott, wird bei ihnen sein.

Er wird die Tränen von ihren Augen abwischen:

Der Tod wird nicht mehr sein,

keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.

Denn was früher war, ist vergangen.

I. Er, der auf dem Thron saß, sprach:

II. Seht, ich mache alles neu.

Schreib es auf, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr.

Sie sind in Erfüllung gegangen.

Ich bin das Alpha und das Omega,

der Anfang und das Ende.

Wer durstig ist,

den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen,

aus der das Wasser des Lebens strömt.

Wer siegt wird dies als Anteil erhalten

ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.

I. Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den sieben letzten Plagen getragen hatten. Er sagte zu mir:

II Komm ich will dir die Braut zeigen die Frau des Lammes

I. Da entrückte mich der Engel in der Verzückung auf einen großen, hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm. Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.

II. Es wird nichts mehr geben, was der Fluch Gottes trifft. Der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt stehen, und seine Knechte werden ihm dienen. Sie werden sein Angesicht schauen, und sein Name ist auf ihrer Stirn geschrieben. Es wird keine Nacht mehr geben, und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne.

Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen in alle Ewigkeit.

29. Homilie

Darbringung von Weihrauch

30. Am Schluss der Homilie stehen alle auf Der vor dem Altar stehende Priester (Diakon) legt Weihrauch in das Rauchfass. Er inzensiert während des folgenden Gesanges den Altar. Der Priester (Diakon) kann den Weihrauch auch auf die Kohlen einer vor dem Altar stehenden Schale geben. Die Anwesenden können anschließend ebenfalls Weihrauch auflegen. Unterdessen singt man die folgende Antiphon mit Versen aus dem Psalm 144 (143) oder einen anderen passenden Gesang.

Antiphon

V./A.: Beim Altar steht der heilige Engel,

in seinen Händen die goldene Schale mit Weihrauch.

V Gelobt sei der Herr der mein Fels ist

der meine Hände den Kampf gelehrt hat,

meine Finger den Krieg.

V.: Du bist meine Huld und meine Burg,

meine Festung, mein Retter

mein Schild, dem ich vertraue.

Er macht mir Völker untertan.

V.: Ein neues Lied will ich, o Gott, dir singen,

auf zehnsaitiger Harfe will ich dir spielen,

der du den Königen den Sieg verleihst

und David, deinen Knecht, errettest.

 

Dank- und Bittgebet

31. Der Priester (Diakon) lädt mit folgenden oder ähnlichen Worten zum Gebet ein:

V.: Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn.

A.: Der Himmel und Erde erschaffen hat.

V.: Lasset uns beten.

Gott, allmächtiger Vater,

wie Weihrauch steige unser Lob zu dir empor.

Im Wort, deinem Sohn,

hast du uns vor der Erschaffung der Welt geliebt,

durch deinen Heiligen Geist leben wir

und haben schon jetzt Anteil am ewigen Leben.

V./A.: Dir sei Lob und Ehre in Ewigkeit.

V.: Wir preisen dich, Vater des Lebens:

Im Geheimnis deines Erbarmens,

das wir im Glauben bekennen und feiern,

schenkst du uns die Gabe des Heils,

den Sauerteig für eine neue und erlöste Menschheit,

das Angelt des ewigen Lebens.

V./A.: Dir sei Lob und Ehre in Ewigkeit.

V.: Wir danken dir und stehen fest in der Hoffnung:

Deine Kirche vertraut auf deine Verheißung.

Erleuchte sie mit deinem Geist,

während sie die Ankunft des Bräutigams erbittet und erwartet.

Er wird alles erneuern;

er ist die Quelle ewigen Lebens.

V./A.: Dir sei Lob und Ehre in Ewigkeit.

V.: Wir bitten dich, barmherziger Vater,

durch Jesus Christus, den die Jungfrau gebar,

gib deiner Kirche,

die im Blut des Lammes gereinigt wurde,

die Gnade, ohne Furcht allen Völkern die Botschaft

der Menschenwürde,

der Achtung vor allen Geschöpfen,

der Gerechtigkeit und des Friedens zu verkünden.

V./A.: Wir bitten dich, erhöre uns.

V.: Einmütig bitten wir dich für alle,

die in ihrer Religion und ihrer Kultur nach dir fragen;

auch für die Brüder und Schwestern,

die wie wir Nachkommen Abrahams sind:

nähre in allen die Liebe zur Wahrheit

und erneuere in uns die Gewissheit,

dass auf deinem heiligen Berg

ein einziges Festmahl für alle Völker stattfinden wird.

V./A.: Wir bitten dich, erhöre uns.

V.: Vertrauensvoll bitten wir dich,

in Gemeinschaft mit der Mutter Jesu

und allen heiligen Glaubenszeugen:

Gib, dass das Zeugnis unseres Lebens

die verirrten Herzen tröste,

die Kranken aufrichte,

den glimmenden Docht neu entfiamme

und von dem neuen Lied künde,

das im himmlischen Jerusalem erklingen wird,

wo jede Träne abgewischt

und alles neu werden wird.

V/A Wir bitten dich erhöre uns

V.: Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm

gebühren Lob, Ehre, Herrlichkeit und Macht,

jetzt und in alle Ewigkeit.

A.: Amen, amen, amen.

 

Segen und Entlassung

32. Der Priester (Diakon) segnet die Gemeinde mit folgenden oder ähnlichen Worten:

V.: Der Herr sei mit euch.

A.: Und mit deinem Geist.

V.: Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

A.: Amen.

33. Der Priester (Diakon) entlässt die Gemeinde:

V.: Mit neuer Hoffnung gestärkt,

im Vertrauen auf das Wort unseres Gottes,

der treu ist und rettet,

lebt als neue Menschen vor ihm.

Gehet hin in Frieden.

A.: Dank sei Gott, dem Herrn.

34. Die Gemeinde singt, bevor sie auseinandergeht, ein Lob- und Dank-lied.

 

 

III. Elemente für die Gestaltung eines Gebetsgottesdienstes

Die im Folgenden beschriebene Weihrauchspende kann am Beginn der Feier der Tagzeitenliturgie (Laudes und Vesper) oder der Feier eines Wortgottesdienstes stehen. Die Texte orientieren ich an den Gebeten für den Weltfriedenstag im Ritus der Syrisch maronitischen Kirche.**[A. Heinz, Die Heilige Messe nach dem Ritus der Syrisch-maronitischen Kirche (= Sophia 28), Trier 1996, 161—164.]

 

Eröffnung

L.: Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, jetzt und in Ewigkeit.

A.: Amen.

 

Gebet zur Eröffnung

L.: Herr,

mach uns am Anfang dieses neuen Jahres würdig,

festlich den Welttag des Friedens zu begehen.

Wir glauben an dich und dein Evangelium.

Es ist die gute Botschaft des Friedens.

Mögen wir mit den Engeln dir singen:

Ehre sei Gott in der Höhe,

Friede auf Erden und gute Hoffnung den Menschen.

Herr, unser Gott, dir sei Ehre in Ewigkeit.

A.: Amen.

 

Weihrauch-Spende

GEBET VOR DER WEIHRAUCHSPENDE

L.: Herr, Schöpfer aller Völker.

Du hast ihnen dein Heil geschenkt,

auf dass sie deine Familie seien zum Lob deiner Herrlichkeit.

Wir glauben an dich und danken dir,

dass du uns deinen vielgeliebten Sohn gesandt hast.

Durch das Geheimnis seiner Geburt, seines Todes und seiner

Auferstehung

hast du ihn zur Quelle allen Heils und Friedens gemacht

und zum Band, das uns als Brüder und Schwestern verbindet.

Wir danken dir Herr, für jedes Verlangen,

jedes Bemühen und jedes Vollbringen,

das du durch deinen Geist, den Geist des Friedens, angeregt hast,

auf dass wir in uns die Liebe herrschen lassen anstelle von Hass,

gegenseitiges Verstehen anstelle von Argwohn,

Eintracht anstelle von Streit.

Dann wird in uns der Wunsch,

Frieden zu stiften und ihn in der ganzen Welt aufzurichten,

wachsen und stark werden.

Nun denn, barmherziger Vater, gedenke aller,

die kämpfen, leiden und sterben für die Geburt einer Menschheit,

die die Glieder eines jeden Volkes,

welcher Rasse und Sprache auch immer sie seien,

behandelt wie Brüder und Schwestern.

Dein Reich komme,

das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens,

und möge die Erde erfüllt werden von deiner Herrlichkeit.

Dann werden wir dich verherrlichen und dir danken,

Vater, jetzt und in Ewigkeit.

A.: Amen.

GESANG

Unterwegs 176,2 Wie Weihrauch steige mein Gebet + Psalm 141

Währenddessen hebt der Leiter des Gottesdienstes für alle sichtbar eine Schale mit Weihrauch empor. Die Schale wird auf dem Altar niedergestellt. Mitfeiernde können nach vorne kommen und Weihrauch einlegen.

GEBET ZUR WEIHRAUCHSPENDE

L.: Herr Jesus,

am Anfang dieses neuen Jahres nimm diese Weihrauchgabe entgegen.

Wir bringen sie dar mit der Bitte um den Frieden der ganzen Welt.

Gib uns den Mut und die Kraft,

uns einzusetzen für die Verbreitung des Friedens.

Gewähre, dass wir uns selbst der Großmut,

der Wahrhaftigkeit, der Gerechtigkeit und der Liebe weihen,

um jenen Frieden zu schaffen, ihn zu verteidigen

und alles Erforderliche zu tun,

damit er Wirklichkeit werde in dieser Welt.

Herr, unser Gott, dir sei die Ehre in Ewigkeit.

A.: Amen.

 

Predigtentwurf zum Weltfriedenstag 2000

„Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt" von Weihbischof Prof. Dr. Reinhard Marx (Paderborn)

 

Der Übergang ins neue Jahrtausend zwingt uns geradezu zum Rückblick und läßt uns Hoffnungen und Wünsche ansprechen für die nächsten hundert Jahre. Gerade angesichts des an Kriegen reichen 20. Jahrhunderts ist für viele Menschen der Wunsch nach Frieden, die Sehnsucht nach einem Schweigen der Waffen, nach Gerechtigkeit und Versöhnung der zentrale Wunsch, die tiefste Hoffnung für das Jahrhundert, an dessen Schwelle wir stehen.

Zum zweiten Mal nach dem großen Jahr der Wende 1989 hatte Papst Johannes Paul II. die Bischöfe Europas zu einer Sondersynode nach Rom gerufen und die Bischöfe haben in ihrer Botschaft an das Volk Gottes vor einigen Monaten zum Ausdruck gebracht, wie sehr wir als Kirche trotz aller schrecklichen Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts auf unserem Kontinent das „Evangelium der Hoffnung" zu bezeugen und zu leben haben. Zentrale Pfeiler dieses Evangeliums der Hoffnung sind der Einsatz für den Frieden und die Botschaft von der Liebe Gottes, wie es der Papst in seiner Botschaft zum diesjährigen Weltfriedenstag ausdrückt.

Dass der Friede jeden Einsatz und intensives Engagement aller fordert, ist uns auch am Ende des Jahrhunderts erschreckend deutlich geworden. Trotz aller Neuaufbrüche nach 1989, obwohl überall in Europa Demokratien sich entwickelt haben und neue Formen der Zusammenarbeit gemacht werden, war das Jahr 1999 kein Jahr des Friedens. Deutschland war zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg an kriegerischen Aktionen beteiligt, die dem Kosovo Frieden bringen sollten. Von Frieden kann in diesem Bereich Europas bis jetzt nicht die Rede sein. Rußland führt Krieg gegen einen Teil seiner eigenen Bevölkerung. Und wenn wir über die Grenzen unseres Kontinents hinausschauen, kann von „Frieden auf Erden" sicher auch nicht gesprochen werden. Was können wir als Christen, als Kirche tun, damit Friede in Freiheit und Gerechtigkeit möglich wird?

Das Motto des Weltfriedenstages und auch die Schlußbotschaft der Sondersynode für Europa geben uns den entscheidenden Hinweis. Ausgangspunkt aller Überlegungen, politischen Austragungen und Verhandlungen muß der Mensch sein, dessen Würde unantastbar ist, weil Gott ihn liebt. Diese zentrale Aussage des Evangeliums — so einfach und klar — spornt uns an, jeden Nationalismus, Rassismus, jede Mißachtung der Menschenrechte zu verurteilen und deutlich zu machen, dass Krieg kein menschliches Problem lösen kann, sondern nur den Weg bereitet für neue Gewalt und Unversöhnlichkeit. Wenn die Kirche in all ihren Gemeinden und Gemeinschaften wirklich das „Evangelium der Hoffnung und des Friedens" leben will — und das ist ihr Auftrag —‚ muß sie einerseits jeder Mißachtung der Menschenwürde entgegentreten und andererseits mithelfen, dass die durch Gewalt und Unterdrückung aufgebrochenen Wunden heilen können. Kirche hat also in einem gewissen Sinn sich „präventiv" zu engagieren, dem Frieden den Weg zu bereiten durch die Botschaft von der Liebe Gottes, die jeden Menschen ohne Ausnahme umfaßt. Und sie ist aufgerufen zum Dienst der Versöhnung, damit die Ketten der Gewalt und der Rache zerbrochen werden.

Die Sondersynode für Europa hat unterstrichen, dass dieser Dienst der Versöhnung eng verbunden ist mit der gemeinsamen Erinnerung an die Märtyrer in Ost und West und an alle Opfer der Kriege und totalitären Ideologien des letzten Jahrhunderts. Gerade Europa darf seine Märtyrer nicht vergessen! Sie sind ein Band der Versöhnung und des Friedens. Denn die Erinnerung an sie spornt uns an zum Einsatz für Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden und Versöhnung. Gegen eine Kultur des Vergessens und der Suche nach dem immer Neuen will die Kirche eine Gemeinschaft der Erinnerung sein, die bezeugt, dass letztlich Gott der Herr der Geschichte ist und seine Gerechtigkeit das letzte Wort hat. Ein altes Wort der rabbinischen Tradition sagt: „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung." Die Kirche will die Stimme der Opfer nicht verstummen lassen und damit Zeugnis ablegen für den Gott, der auf der Seite der Unterdrückten, der Verfolgten und Gedemütigten steht. Nur ein solcher Dienst der Versöhnung durch Erinnerung kann in der Geschichte der einzelnen Menschen und der Völker den Frieden möglich machen. Verdrängung und Verschweigen ist nur oberflächlich ein Weg in die Zukunft. Die Kirche mit ihrem Langzeitgedächtnis kann der Gesellschaft mit ihrem Zeugnis der Erinnerung einen unschätzbaren Dienst erweisen. Frieden ist nur dann auf Dauer möglich, wenn die Würde der Menschen, und gerade der Opfer der Geschichte, im Bewußtsein bleibt. Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt! So sagt der Papst zum heutigen Weltfriedenstag. Vom Geheimnis der Menschwerdung her heißt das für uns: Kostbar und heilig ist jeder Mensch, der Bild Gottes ist und wir werden jedes menschliches Leben mit allem Engagement verteidigen. Der Einsatz für den Frieden gehört ins Zentrum unserer Verkündigung des Evangeliums: Jeder Mensch ist von Gott geliebt!