Leo XIII.
Epistula Enzyklika "Superiore anno"
1884

 

Der Rosenkranz und die Beharrlichkeit des Gebetes

 

I.

Den Rosenkranz mit Ausdauer beten

 

Im verflossenen Jahre haben Wir, wie schon betont, durch Unser Rundschreiben vefügt, daß während des ganzen Monats Oktober in allen Teilen der katholischen Welt das heilige Rosenkranzgebet der erhabenen Gottesmutter zur Ehre verrichtet werde, um in den Bedrängnissen der Kirche von oben Hilfe zu erflehen. Unsere eigenen Überlegungen sowie das Beispiel Unserer Vorgänger, die in Zeiten des Krieges ihre frommen Übungen verdoppelten und ihre Zuflucht zur Allerseligsten Jungfrau nahmen, um von ihr Hilfe zu erbitten, veranlaßten uns dazu.

Man kam überall Unserem Wunsche geschlossen und bereitwillig nach. Es wurde offenbar, wie sehr unser christliches Volk von religiösem Sinn und Frömmigkeit wirklich durchdrungen ist und wie groß sein Vertrauen auf den himmlischen Schutz der Jungfrau Maria ist. Wir bekennen es gerne, welch wahren Trost diese hochherzigen Beweise der Pietät und des Glaubens Uns in dieser Flut von Widerwärtigkeiten und Bedrängnissen gebracht haben. Wir gestehen es ein, daß Wir dadurch ermutigt wurden, noch Schwereres zu ertragen, wenn es so Gottes Wille sein sollte. Solange nämlich der Geist des Gebetes über das Haus Davids und die Einwohner von Jerusalem ausgegossen ist, haben Wir das feste Vertrauen, Gott werde sich versöhnen lassen und sich seiner Kirche erbarmen. Er wird sein Ohr nicht den Bitten derer verschließen, die zu ihm flehen durch die, die er selbst als Ausspenderin der Gnaden bestellt hat.

Weil die Beweggründe fortbestehen, die - wie bereits erwähnt - Uns im vergangenen Jahr bestimmten, an die fromme Gesinnung des katholischen Volkes zu appellieren, halten Wir, ehrwürdige Brüder, es für Unsere Pflicht, in diesem Jahre erneut eine Mahnung an das christliche Volk ergehen zu lassen und von neuem aufzurufen zum Gebet des marianischen Rosenkranzes, um so den machtvollen Schutz der erhabenen Gottesgebärerin sicher zu erhalten. Weil auch die Feinde der Christenheit ihr Vorhaben mit Zähigkeit weiterführen, muß die Verteidigung mit ebenso unbeirrbarer Festigkeit geführt werden. Hilfe und Gnade von oben sind nicht selten die Frucht unseres beharrlichen Ausharrens. Wir weisen an dieser Stelle hin auf das Beispiel jener großen Frau, der Judith, die ein Vorbild der Heiligen Jungfrau ist. Sie ließ sich nicht verwirren durch die Ungeduld der Jugend, als sie Gott einen Termin festsetzen wollten, bis wann er ihrer Meinung nach ihrer belagerten Stadt Hilfe senden müsse. Auch könnte ein Ausblick auf die Apostel nüztlich sein. Die Erwartung des Heiligen Geistes, des größten Geschenkes, das ihnen versprochen war, war bei ihnen begleitet von einem gemeinsamen Ausharren im Gebet zusammen mit Maria, der Mutter Jesu.

 

II.

Maria bringt Heil und Hilfe

 

Auch heute geht es um eine ganz entscheidende Sache. Es handelt sich um den alten, hinterlistigen Feind und sein vom Stolz aufgeblasenes Heer, das gedemütigt werden soll. Es geht um die Freiheit der Kirche und ihres Oberhauptes, die erkämpft werden muß. Es geht sogar um die Sicherung und Erhaltung all der Bollwerke und Stellungen, auf die das Wohl und Wehe der menschlichen Gemeinschaft gestellt ist. Muß es da nicht unsere Sorge sein, in dieser für die Kirche so schwierigen Zeit ganz besonders das Rosenkranzgebet zu einer lieben und frommen Gewohnheit zu machen? Der Vorzug dieses Gebetes besteht gerade darin, daß echte Frömmigkeit geweckt wird in der Betrachtung aller Heilsgeheimnisse.

Ein anderer Gesichtspunkt, der Italien betrifft, kommt noch hinzu und zeigt die beosondere Notwendigkeit des Rosenkranzgebetes und den besonderen Schutz der mächtigen Jungfrau. Eine ganz und gar unerwartete Heimsuchung steht uns bevor. Vielleicht hat sie uns schon erreicht. Wir denken an jene Seuche, die wir auf Asien beschränkt glaubten, die aber nun nach Gottes Zulassung ihre Grenzen überschritten hat, in manchen Häfen Frankreichs auftauchte und von dort aus auf das benachbarte Italien übergehen kann. Ist das nicht ein Grund, daß wir jetzt erst recht unsere Zuflucht zu Maria nehmen? Mit Recht nennt die Kirche sie die Heil- und Hilfebringende, unseren Schutz und Schirm. Sie möge unser Flehen gnädig erhören und uns die heißersehnte Hilfe gnädig bringen, auf daß weit von uns weiche diese entsetzliche und entstellende Pest!

Wieder naht der Oktober, jener Monat, in dem die katholische Welt das Rosenkranzgebet feiert. Es ist Unser Wunsch, daß alles, was Wir im verflossenen Jahre diesbezüglich angeordnet haben, auch jetzt in Geltung bleibe. Wir geben die Weisung, daß vom ersten Tag des Oktober bis zum zweiten Tag des darauffolgenden November in allen Pfarrkirchen und öffentlichen, der Allerseligsten Jungfrau geweihten Heiligtümern oder auch in anderen Kirchen nach der Anordnung des Oberhirten wenigstens fünf Gesetze des Rosenkranzes und die Litanei täglich gebetet werden. Wenn die Andacht vormittags stattfindet, soll sie mit der heiligen Messe verbunden werden; findet sie nachmittags statt, so ist das Allerheiligste zur Anbetung auszusetzen und am Schluß der sakramentale Segen zu geben. Ferner wünschen Wir, daß die Rosenkranzbruderschaften, wo die staatlichen Gesetze es erlauben, zum öffentlichen Zeugnis der Religion in feierlicher Prozession durch die Straßen gehen.

Weil Wir die himmlischen Schätze der Kirche der christlichen Frömmigkeit nicht vorenthalten wollen, erneuern Wir alle Ablässe, die Wir im vorhergehenden Jahre verliehen haben. Allen, die an den bestimmten Tagen dem öffentlichen Rosenkranz beiwohnen und Gebete nach Unserer Meinung verrichten, aber auch denen, die, aus einem triftigen Grund verhindert, privat den Rosenkranz beten, gewähren wir jedesmal einen Ablaß von sieben Jahren und sieben Quadragenen. Denen aber, die in der erwähnten Zeit wenigstens zehnmal öffentlich in der Kirche oder aus einem wichtigen Grund zu Hause diesen Bedingungen nachkommen, gewähren Wir nach dem Empfang der heiligen Sakramente der Buße und des Altars einen vollkommenen Ablaß aus dem Schatz der Kirche. Diesen vollkommenen Ablaß und Nachlaß der Sündenstrafen gewähren Wir auch all denen, die am Rosenkranzfest selbst oder an einem der nachfolgenden Tage beichten, kommunizieren und gleichfalls in einer Kirche nach Unserer Meinung zu Gott und seiner allerseligsten Mutter beten.

Unsere väterliche Sorge wollen Wir auch der Landbevölkerung zuwenden, die gerade im Oktober landwirtschaftliche Arbeiten zu verrichten hat. Wir gestatten deshalb, daß alles, was Wir eben angeordnet haben, zusammen mit den im Oktober zu gewinnenden Ablässen auf die folgenden Monate November und Dezember übertragen werden könne, je nachdem die Oberhirten dies für gut halten.

 

III.

Hoffnung auf Maria

 

Wir bezweifeln nicht, ehrwürdige Brüder, daß Unseren Sorgen reiche und vielfache Früchte folgen werden, besonders, wenn Gott durch seine Gnadenverleihung all dem das Gedeihen gibt, was wir pflanzen und was Ihr sorgfältig begießet. Wir hegen die feste Überzeugung, daß das christliche Volk auf das Wort Unserer apostolischen Autorität hören wird mit jenem gläubigen und frommen Sinn, den es schon im vorhergehenden Jahre so herrlich bewiesen hat. Die himmlische Schirmfrau, die wir im Rosenkranzgebet anflehen, möge uns gnädig sein. Durch ihre Fürsprache und unser Gebet möge wieder Einheit der Anschauungen und Ansichten erstehen. In allen Teilen der Welt möge das Christentum wieder aufblühen und der Kirche der ersehnte Friede von Gott geschenkt werden. Zum Zeichen dieser Gnaden erteilen Wir Euch, Eurem Klerus und den Eurer Obsorge anvertrauten Gläubigen den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom bei Sankt Peter, am 30. August 1884, im siebten Jahre Unseres Pontifikates.