Zeit, die Gewissen wachzurufen

Vor dem Angelus am 14. März 1982

 

1. Wenden wir uns mit Herz und Sinn dem Wort zu, das durch das Wirken des Heiligen Geistes unter dem Herzen der Jungfrau aus Nazaret Mensch geworden ist dazu sind wir zum Gebet des „Engel des Herrn” zusammengekommen.

Zugleich wollen wir — dem Gedanken der österlichen Bußzeit folgend — über das Thema der kommenden Bischofssynode nachdenken: „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche.” Im Zusammenhang mit diesem Thema erkennen wir die Notwendigkeit, die Bedeutung des Gewissens hervorzuheben, das aufgrund seiner Beziehung zur Wahrheit eng an die Freiheit des Menschen gebunden ist, von der vor einer Woche die Rede war. Deshalb ist das Gewissen die erste Grundlage der inneren Würde des Menschen und damit seiner Beziehung zu Gott.

 

2. Lesen wir noch einmal die bündige Aussage über das Gewissen in der Konzilskonstitution Gaudium et spes: „Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft und, wo nötig, in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist. Im Gewissen erkennt man in wunderbarer Weise jenes Gesetz, das in der Liebe zu Gott und dem Nächsten seine Erfüllung hat (vgl. Mt22, 37-40); Gal 5, 14). Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.

Je mehr also das rechte Gewissen sich durchsetzt, desto mehr lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten. Nicht selten jedoch geschieht es, daß das Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne daß es dadurch seine Würde verliert. Das kann man aber nicht sagen, wenn der Mensch sich zuwenig darum bemüht, nach dem Wahren und Guten zu suchen und das Gewissen durch Gewöhnung an die Sunde allmählich fast blind wird” (Nr. 16).

 

3. Es ist angebracht, in der österlichen Bußzeit über diese Worte wieder nachzudenken, in einer Zeit, die besonders geeignet ist, das Gewissen wachzurufen und zu pflegen. Haben wir eine richtige Vorstellung vom Gewissen? Wollen wir ehrlich seine Freiheit? Lassen wir uns in unserem persönlichen Leben, in der Familie und im sozialen Leben von einem wahren und rechten Gewissen leiten? Lebt der moderne Mensch nicht unter der Bedrohung einer Verdunkelung des Gewissens? Einer Verfälschung des Gewissens? Einer Verflachung oder Betäubung des Gewissens?

Solche und ähnliche Fragen sollte man sich in der österlichen Bußzeit stellen, wahrend man gleichzeitig mit ihrer Hilfe über das Thema „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche” nachdenkt.

Beten wir heute für jedes menschliche und für jedes christliche Gewissen, indem wir den Heiligen Geist, das menschgewordene Wort und die Magd des Herrn, Maria von Nazaret, anrufen.