Als Pilger beim hl. Karl
Liebe Brüder und
Schwestern!
1. Dieses gigantische Monument, allgemein unter dem Namen „San Carlone“
bekannt, das seit 300 Jahren zu Ehren eines Gestirns von außerordentlicher
Größe in der Kirchengeschichte in den Himmel von Arona emporragt, wird heute
zum „Fenster“ meiner sonntäglichen Mittagsbegegnung.
Der hl. Karl freut sich darüber, denn er liebte die Stunde des Angelusgebets.
Beim Glockenschlag unterbrach er sogleich jede Tätigkeit, kniete sich nieder
und betete, in tiefe Sammlung versunken, das schöne Mariengebet. Er kniete
sich auf der nackten Erde nieder, wo er sich gerade befand, selbst im Schmutz
der Straßen, auf denen sich seine mühsame und ununterbrochene Wanderschaft als
Bischof großenteils abspielte.
In dieser demütigen und zugleich großen Geste können wir eine ausdrucksvolle
Zusammenfassung der Frömmigkeit erkennen, die er für die seligste Jungfrau
hegte. Eine solide Frömmigkeit, die verbunden war mit der Betrachtung des
Erlösungsmysteriums, Säule seiner persönlichen Frömmigkeit und
Ausstrahlungskraft seines so wirksamen Dienstes. Eine innige Frömmigkeit als
liebevoller Ausdruck der reichen Empfindungsskala seines glühenden Herzens.
Eine kindliche Frömmigkeit, der die Höhenflüge vertraut waren, auf die sich
seine Seele in strenger und bußfertiger Askese eingeübt hatte.
Er schreibt: „Wenn wir die Menschwerdung Gottes betrachten, nehmen wir an
der unermeßlichen Freude teil, von der die seligste Jungfrau und Gottesmutter
erfüllt war. Jeder meditiere und sage für sich: Das Wort ist
Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, damit der Mensch an der göttlichen Natur teilhabe, damit er seine Wohnung im Himmel habe, damit die göttliche Gerechtigkeit vollfüllt und dem menschlichen Hochmut Abhilfe geschaffen werde“ (Carolus Borromeus, Ordo Tractationis de oratione, lib. II, XXII, Mailand 1983).
2. Die marianische Dimension durchzieht sein vielfältiges Werk als Apostel
des Konzils von Trient, als genialer und sorgfältiger Gesetzgeber, als
weitblickender und unerschütterlicher Reformator. Indem der hl. Karl die
Frömmigkeit des Volkes, das Maria als Unsere Liebe Frau von Mailand verehrte,
bekräftigte, bemühte er sich darum, daß die Verehrung der Jungfrau immer tiefer
in die Frömmigkeit des einzelnen und in den allgemeinen Gottesdienst eindringe.
Zu diesem Zweck erläßt er zahlreiche Verfügungen, die die Verbreitung des
Rosenkranzgebetes, das Stundengebet der seligsten Jungfrau, die Meßfeier und
besondere Andachten zu Ehren Mariens betreffen.
An die Muttergottes — die Miterlöserin — wendet sich der hl. Karl mit
einzigartigen Offenbarungsakzenten. Als er die Begegenheit der Wiederfindung
des zwölfjährigen Jesus im Tempel kommentiert, rekonstruiert er das innerliche
Gespräch zwischen der Mutter und dem Sohn und fügt hinzu:
„Du wirst noch viel größere Schmerzen ertragen, o gesegnete Mutter, und
wirst weiterleben; aber das Leben wird für Dich tausendmal bitterer als der Tod
sein. Du wirst Deinen unschuldigen Sohn den Händen der Sünder ausgeliefert
sehen . . . Du wirst ihn sehen, wie er zwischen den Räubern brutal gekreuzigt
wird; Du wirst seine heilige Seite von einem grausamen Lanzenstich durchbohrt
sehen; Du wirst schließlich das Blut hervorströmen sehen, das Du ihm gegeben
hast. Und trotzdem wirst Du nicht sterben!“ (Predigt im Mailänder Dom am
Sonntag nach der Erscheinung des Herrn, 1584).
3. Gemeinsam mit dem hl. Karl, der seit meiner Taufe mein himmlischer
Patron ist, rufe ich hier als Pilger in seinem Geburtsort die Mutter der Kirche
an. Mit ihm bitte ich sie für das Volk Gottes und für die ganze
Menschheitsfamilie. Ich bitte darum, daß er seine liebevolle Fürsprache
einsetze, damit am Ausgang des 20. Jahrhunderts, das seiner Zeit ähnelt, der
Weg der kirchlichen Erneuerung von dem starken und getreuen Rhythmus geprägt
sei, durch den er im Herzen des lombardischen Volkes und der Universalkirche
gegenwärtig geblieben ist.
An der Schwelle zum dritten Jahrtausend möge seine gewaltige Persönlichkeit
den Bischöfen die Weisheit und die Glut, die Demut und den Mut einflößen, die
seine eiligen Schritte leiteten. Möge sie allen ein Ansporn sein, die Wahrheit
zu verkünden, die allgemeinen Sitten zu heben, die Eintracht, den Frieden und
jeden echten Wert, auf dem der Fortschritt der Gesellschaft beruht, zu fördern.
Nach dem Angelus sagte der Papst:
Ich möchte nun meine Gedanken den anderen Orten zuwenden, wo der hl. Karl
unauslöschliche Spuren seiner Anwesenheit hinterlassen hat und die ich auf
dieser Pilgerfahrt leider nicht berühren kann.
Ich blicke zum anderen Ufer des Lago Maggiore und komme im Geist in die
Schweizer Täler und Ortschaften des ambrosianischen Ritus, die der unermüdliche
Bischof mehrmals besucht hat. Ich denke besonders an das freundliche Städtchen
Ascona, Sitz des Kollegs Bartolomeo Papio, das er am 30. Oktober 1584, also
vier Tage vor seinem heiligmäßigen Tod, errichtet hat.
Das Gedenken an den großen Karl Borromäus, das, wie ich weiß, in jenen
christlichen Gemeinden immer lebendig geblieben ist, möge Quelle ständiger
Kraft sein im Ja zum Glauben, in einem konsequenten Leben, in der kirchlichen
Gemeinschaft.
Und nun gehen meine Gedanken zu einer weitentfernten Nation; einer Nation,
die geographisch weitentfernt, geistig mir aber sehr nahe ist; die große
indische Nation. Ich lade euch ein, euch mit mir im Gebet zu vereinen, um Gott
zu bitten, daß die tragische Situation, die, wie alle wissen, in jenem Land
entstanden ist, überwunden werden kann und jenes edle Volk, während es aus
seinen alten Traditionen der Kultur und Weisheit schöpft, wieder zurückfindet
auf die Wege eines sicheren Zusammenlebens in gegenseitiger Achtung in
wirksamer Eintracht, im bürgerlichen Frieden.