Die Identität und die Sendung des Priesters in Pastores Dabo Vobis

Prof. Julian Porteous, Sydney

Die Bischofssynode des Jahres 1990 beschäftigte sich mit der Frage der Priesterberufung „im Kontext der Gegenwart". Das Thema der Natur des Priestertums erschien selbst in dem relativ kurzen fünfundzwanzigjährigen Zeitraum nach dem Konzil der weiteren Vertiefung würdig: Im dritten Abschnitt 3 von Pastores Dabo Vobis konstatiert der Papst, dass sich während dieses Zeitraums viel geändert habe und die Ausbildung der Priester daher einer gewissen Anpassung bedürfe:

„In den allerletzten Jahren ist man sich nun vielerorts der Notwendigkeit bewußt geworden, auf das Thema Priestertum zurückzukommen, und zwar so, daß man sich damit von einem Standpunkt her neu auseinandersetzt, der der heutigen kirchlichen wie kulturellen Situation angemessen ist… In der Tat weisen die neuen Generationen der zum Priesteramt Berufenen ganz andere Wesensmerkmale auf als ihre unmittelbaren Vorgänger, und sie leben in einer in vieler Hinsicht neuen Welt, die in ständiger und rascher Entwicklung begriffen ist."

In seinem Dekret über das Dienstamt und das Leben der Priester sowie im Dekret über die Ausbildung der Priester befasste sich das II. Vatikanische Konzil mit dem das Dienstamt und der Ausbildung der Priester und erkundete im Abschnitt 28 der dogmatischen Konstitution über die Kirche die Natur des geistlichen Dienstamts.

In den darauffolgenden Jahren setzte sich die Kirchen mehrfach mit dem Leben, dem Amt und der Ausbildung der Priester auseinander. Beispielweise stellte die Kongregation für das Katholische Bildungswesen 1970 mit der Veröffentlichung der Ratio Fundamentalis die Richtlinien der Priesterausbildung auf.

Die Synode vom Jahr 1990 war sich ins besondere des Umstands bewusst, dass der „Kontext der Gegenwart" besonderer Aufmerksamkeit bedurfte. Am Ende des zweiten Jahrtausends und mit dem Anbruch des neuen Millenniums forderte die Synode dazu auf, die Natur des Priestertums im Kontext der „heutigen Situation der Gesellschaft und der Kirche" zu überdenken (PDV, Nr. 5)

Das Priestertum selbst hat sich natürlich nicht geändert: Es ist noch immer das geweihte Dienstamt Jesu Christi. Die Rahmenbedingungen allerdings haben sich geändert. Ich möchte an dieser Stelle auf die wichtigsten Aspekte des heutigen kulturellen und kirchlichen Kontextes eingehen. Die Kirche des neuen Millenniums muss sich die Frage stellen: Welche Art von Priester wird heute gebraucht?

Die Kultur der Gegenwart

Zunächst einmal werden wir die Hauptkennzeichen der heutigen Kultur und deren Entwicklungen in der ersten Welt betrachten. Von großer Bedeutung ist der starke Einfluss des Säkularisierungsprozesses, welcher sich ausgehend von den Industrieländern in allen Kulturen ausbreitet. Diese Säkularisierung hat dazu geführt, dass große Teile der Gesellschaft so leben, als gebe es nichts Transzendentes. Moralisches Denken leitet heutzutage nicht mehr die Handlungen der Menschen. In einer säkularisierten Gesellschaft stößt der Priester einerseits auf Trägheit und andererseits auf Feindschaft, wenn er den Status quo in Frage stellt. Manche messen dem Priester keinerlei Bedeutung bei; andere sehen ihn als eine Bedrohung für ihre eigenen Überzeugungen an.

Pastores Dabo Vobis führt dies unter anderem auf den weit verbreiteten Rationalismus zurück, welcher „im Namen eines reduktiven Wissenschaftsverständnisses die menschliche Vernunft für die Begegnung mit der Offenbarung und mit der göttlichen Transzendenz unempfänglich macht" (PDV, Nr. 7). Hinzu kommt der Individualismus in der Form „einer augedehnten Verteidigung der personalen Subjektivität" (ibid.). Diese beeinträchtige wiederum die Fähigkeit, ein gesundes Verhältnis zu anderen Mitmenschen aufzubauen. Abschnitt 7 besagt:

„So versuchen viele, vor allem Kinder und Jugendliche, diese Einsamkeit durch verschiedene Ersatzmittel, durch mehr oder weniger ausgeprägte Formen von Genußsucht und Flucht aus der Verantwortung zu kompensieren; als Gefangene des flüchtigen Augenblicks versuchen sie, möglichst starke und befriedigende individuelle Erlebnisse im Bereich direkter Emotionen und Gefühle zu ‚konsumieren’, was unweigerlich zur Folge hat, dass sie dem Aufruf zu einem Lebensentwurf, der eine geistliche und religiöse Dimension und ein Bemühen um Solidarität einschließt, gleichgültig, ja wie gelähmt gegenüberstehen."

Außerdem werden die Werte der liberalen Demokratie sehr hoch geschätzt. Diese stellen die Rolle des Priesters im Rahmen der Glaubensgemeinschaft potentiell in Frage, da manche Mitglieder der Gemeinschaft einen eher kongregationalen Führungsstil erwarten könnten. Und in der Tat kommt es durchaus vor, dass die Autorität und die Führung des Priesters von einigen besser gebildeten und artikulierten Mitgliedern der Pfarreien im Namen einer „kollaborativen" Gemeinschaftsführung in Frage gestellt werden.

Auch die Förderung der „politischen Korrektheit" kann für das männlich geprägte Amt des Priesters problematisch werden. Die jungen Seminaristen oder potentiellen Seminaristen könnten denken, das Priestertum stelle ein überaltertes patriarchalisches System dar. Manchmal könnten sie sogar eine gewisse Feindseligkeit seitens ihrer Altersgenossen verspüren.

Das sind allesamt Beispiele der kulturellen und kirchlichen Entwicklungen, welche das Verständnis der priesterlichen Identität sowie die Rolle und die Aufgabe des Priesters in Gesellschaft und Kirche gefährden könnten. Im Folgenden werden wir uns damit beschäftigen, wie die Identität des Priesters in Pastores Dabo Vobis definiert wird.

Die Identität des Priesters

Wie können wir die Natur des Priestertums in der Katholischen Kirche definieren? Jede Reflexion über die Natur des Priestertums sollte immer von Christus dem Priester ausgehen. „Der Priester findet die volle Wahrheit seiner Identität darin, sich von Christus herzuleiten, in besonderer Weise an Christus teilzuhaben und eine Weiterführung Christi, des einzigen Hohenpriesters des Neuen und Ewigen Bundes, zu sein." (PDV, Nr. 12) Das Priestertum gehört Christus, und der Priester handelt im Namen Christi – in persona Christi capitis. Anlässlich der Bischofssynode erkannte Papst Johannes Paul II. die grundlegende Bedeutung des Themas der priesterlichen Identität an:

„Diese Krise war in den Jahren unmittelbar nach dem Konzil entstanden. Sie hatte ihren Grund in einem irrigen, zuweilen sogar bewußt tendenziösen Verständnis der Lehre des Konzils. Hier liegt ohne Zweifel auch eine der Ursachen für die große Zahl von Verlusten, die die Kirche damals erlitt, Verluste, die den pastoralen Dienst un die Berufungen zum Priestertum, besonders die missionarischen Berufungen, schwer getroffen haben. Es scheint, als wäre es der Synode von 1990 gelungen, nach diesen schweren Verlusten neue Hoffnung einzuflößen, indem sie durch so viele Beiträge, die wir in dieser Aula gehört haben, die priesterliche Identität in ihrer ganzen Tiefe wiederentdecken half. Diese Beiträge haben das Bewußtsein von der spezifischen ontologischen Verbundenheit des Priesters mit Christus, dem Hohenpriester und Guten Hirten, deutlich gemacht. Diese Identität liegt dem Wesen der Ausbilgung zugrunde, die im Blick auf das Priestertum und damit das ganze Priesterleben hindurch erfolgen muss. Das war der eigentliche Zweck der Synode." (Zitat aus PDV, Nr. 11)

Das Ministerium eines Priesters ist etwas Sakrales. Da der Priester das Wort Gottes verkündet und dem Volk die Sakramente erteilt, widmet er sein Leben dem Heilswerk Gottes in Christus. So das Dekret:

„Die Beziehung des Priesters zu Jesus Christus und in ihm zu seiner Kirche liegt in der Existenz des Priesters selbst auf Grund seiner sakramentalen Weihe bzw. Salbung und in seinem Tun, das heißt in seiner Sendung bzw. in seinem Dienst. Im Besonderen ist der Priester Diener des in der Kirche – in Form von Mysterium, Communio und Missio – gegenwärtigen Christus. Dadurch, dass er Anteil erhalten hat an der ‚Salbung’ und ‚Sendung’ Christi, kann er dessen Gebet, Wort, Opfer und Heilswirken in der Kirche hinein übersetzen." (PDV, Nr. 16)

Das bedeutet, dass der Priester ein Mann des Gebets zu sein hat, d.h. jemand, der Gott geweiht wurde und sich vorrangig den „göttlichen Dingen" hingibt. Sein Leben und sein Amt fußen auf einer persönlichen und tiefen Union mit Gott. Durch sein Keuschheitsgelübde beweist er einmal mehr, dass er für den Herrn lebt (vgl. I Kor 7,32).

Die Enzyklika wurde nach dem Satz in Jeremiah 3,15 – „Ich werde euch Hirten nach meinem Herzen geben" betitelt. Das Bild des Hirten gibt perfekt wieder, was das Priestertum für die heutige Welt zu sein hat: Der Priester ist ein Hirte nach dem Abbild Christi, den Guten Hirten (Jo 10). Der Priester hat Tugenden zu pflegen, die seinem Amt eigen sind, wie der Hirte nach dem Herzen Gottes (vgl. Jer. 3,15): Mitgefühl, Demut, Frohmut, Gehorsam und Dienstbereitschaft sind Tugenden, die zum Priesteramt in der Pfarrei gehören. Dieses Thema wurde auch in der Instruktion der Kongregation für den Klerus „Der Priester, Hirte und Leiter der Gemeinde" (4. August, 2002) behandelt.

Die Ausbildung der Priester

In Pastores Dabo Vobis schrieb der Heilige Vater, die konkreten Rahmenbedingungen der priesterlichen Sendung und Ausbildung in der gegenwärtigen Welt hätten sich zwar gewandelt, aber die Aufgabe der Kirche sei immer noch dieselbe: „Der Geist, der sie beseeln und stärken muss, bleibt derselbe: Es geht darum, nur diejenigen zum Priestertum zu führen, die berufen sind, und sie erst nach angemessener Ausbildung zuzulassen." (PDV, Nr. 42) Der Heilige Vater nahm damit die „heutige Situation der Gesellschaft und der Kirche" (PDV Nr. 5) zur Kenntnis und erschloss vier Hauptbereiche der priesterlichen Ausbildung:

Die menschliche Bildung ist ein Schlüsselelement einer vollkommenen Priesterausbildung, denn der Priester verbringt sein Leben „im Weingarten" der Menschen. Die menschliche Bildung ist die Grundlage der spirituellen, seelsorgerischen und intellektuellen Ausbildung des Priesters, denn der Priester ist zu allererst ein Mensch und er bleibt ein Mensch, selbst wenn er von der Gnade des Herrn gewandelt wird. Der Hl. Paulus sagte über sich selbst: „Soweit ich jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat" (Gal. 2:20) Der Heilige Vater nennt daneben zwei Gründe, bei der Ausbildung auch auf die menschliche Kompetenz zu achten (PDV Nr. 43): Der Priester ist das „lebende Abbild" Jesu, deshalb sollte die „menschliche Vollkommenheit, die im menschgewordenen Sohn Gottes aufleuchtet," auch im Priester widergespiegelt werden. Zweitens richtet sich das Amt des Priesters an seine Mitmenschen, deshalb kann seine Arbeit nur dann etwas bewirken, wenn der Priester seine Menschlichkeit als Brücke zwischen Gott und Mensch einsetzt. Der Priester muss „menschlich möglichst glaubwürdig und annehmbar sein". Der Heilige Vater merkt weiterhin an: „Ohne eine angemessene menschliche Bildung entbehrte die ganze Priesterausbildung ihrer notwendigen Grundlage." (PDV, Nr. 43). Der Priesterkandidat muss unter anderem persönliche Reife und großes Engagement für das Charisma des Zölibats zeigen.

Die spirituelle Bildung ist von wesentlicher Bedeutung wenn, wie der Heilige Vater betont, der künftige Priester ein Priester sein und nicht nur wie ein Priester aussehen will. Die Pflege des spirituellen Lebens ist eine Priorität im Bildungsprozess des Seminaristen. Dadurch soll der Seminarist in die Lage versetzt werden, in seinem persönlichen Verhältnis zu Christus und seinem Engagement für die Kirche und seine Sendung ständig zu wachsen. Die spirituelle Ausbildung ist ein unabdingbarer Baustein des Verhaltens, der Gewohnheiten und des spirituellen Lebens des Priesters. Ohne eine solide geistliche Formung, welche tief in die althergebrachte Tradition der Kirche zu reichen hat, „würde die pastorale Ausbildung ohne Grundlage vorgenommen". (PDV, Nr. 45)

Die intellektuelle Bildung muss sich gemäß dem Heiligen Vater auf die Philosophie stützen. Die Philosophie bildet die Grundlage der intellektuellen Ausbildung eines Priesters, weil sie ihn lehrt, die Wahrheit liebend zu verehren (vgl. Ps. 26:7; 41:2). Auf dieser Grundlage kann eine komplexe und anspruchsvolle Bildung ausgebaut werden (vgl. PDV, Nr. 54), welche den Priesterkandidaten zu einer vollkommenen und einheitlichen Vision der Wahrheiten führen kann, die Gott in Jesus Christus offenbart und der Kirche anvertraut hat.

Die pastorale Bildung ist die wahre Bewährungsprobe für die Berufung des Seminaristen. Durch die direkte Erfahrung der pastoralen Arbeit kann der Seminarist das Apostolat besser begreifen und sich darauf vorbeireten, eine reifere und sachgerechte Entscheidung für das Priestertum Christi zu treffen. Dieses Element der Ausbildung macht den Seminaristen für die Bedürfnisse der Mitmenschen empfänglicher und konfrontiert ihn mit verschiedenen Lebensstilen und den entsprechenden Problemen. Er kann dadurch auch durch die Arbeit innerhalb der Kirchenstruktur Erfahrung sammeln und ihre Missions- und Befugnishierarchie kennen lernen.

Hirten nach dem Herzen Gottes

Der Heilige Vater sagt: „Gott verpricht der Kirche nicht irgendeine Art von Hirten, sondern Hirten ‚nach seinem Herzen’. Und das Herz Gottes hat sich uns vollkommen im Herzen Christi, des guten Hirten, offenbart." (PDV, Nr. 82) Das ist unsere Aufgabe für das neue Jahrtausend! Das Seminar dient dazu, Männer zu Priestern auszubilden. In der gegenwärtigen Gesellschaft hat das Thema der priesterlichen Identität eine besondere Brisanz. Wenn sich ein Priester der eigenen Identität bewusst und in der Lage ist, in Kommunion mit der Kirche sein Dienstamt nach Christus zu richten, dann wird er auch ein Hirte „nach dem Herzen Gottes" sein (Jer 3,15).