Apostolat der Laien - Berufung und Sendung

Ansprache bei der Generalaudienz am 2. März 1994

 

1. Die Teilhabe der Laien an der Entfaltung des Reiches Christi ist schon immer eine geschichtliche Wirklichkeit: Angefangen von den Versammlungen zur Zeit der Apostel und den Christengemeinden der ersten Jahrhunderte bis zu den Gruppen, Bewegungen, Vereinigungen, Bruderschaften und Gesellschaften des Mittelalters und der Neuzeit sowie den Aktivitäten von Einzelpersonen und Verbänden, die im vergangenen und in unserem Jahrhundert die Hirten der Kirche in der Verteidigung des Glaubens und der Sitte in Familie und Gesellschaft sowie in den sozialen Bereichen und Schichten unterstützt haben, wobei sie zuweilen auch ihr Zeugnis mit dem Tod bezahlten. Die Erfahrungen dieser oft von Heiligen geförderten und von den Bischöfen unterstützten Tätigkeiten zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert führten nicht nur zu einem lebendigeren Bewußtsein der Sendung der Laien, sondern auch zu einer immer klareren und überlegteren Auffassung dieser Mission als ein wahres, echtes „Apostolat".

Es war Pius XI., der vom „Mitwirken der Laien am hierarchischen Apostolat" im Hinblick auf die Katholische Aktion sprach: Und das war ein entscheidender Augenblick im Leben der Kirche. Daraus entfaltete sich eine bemerkenswerte Entwicklung in zweifacher Richtung: in organisatorischer, die besonders in der Katholischen Aktion verwirklicht wurde, und in der Vertiefung der Begriffe und der Lehre, die in der Aussage des II. Vatikanischen Konzils gipfelte, die das Laienapostolat als „Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst" darstellt (Lumen Gentium, Nr. 33).

2. Man kann sagen, daß das Konzil eine klarere Lehraussage über die kirchliche Erfahrung gegeben hat, die schon am Pfingsttag begann, als alle, die den Heiligen Geist empfingen, sich beauftragt fühlten mit einer Sendung zur Verkündigung des Evangeliums, zur Gründung und zur Entfaltung der Kirche. In den nachfolgenden Jahrhunderten stellte dann die theologische Lehre von den Sakramenten klar, daß alle, die durch die Taufe der Kirche eingegliedert werden, mit Hilfe des Heiligen Geistes Zeugnis geben vom Glauben und von der Ausbreitung des Reiches Christi:

ein Einsatz, der durch das Sakrament der Firmung bekräftigt wird, wonach „sie in strengerer Weise verpflichtet sind, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat zugleich zu verbreiten und zu verteidigen" (Lumen Gentium, Nr. 11). In jüngster Zeit hat die Entwicklung der Ekklesiologie zur Herausarbeitung des Begriffs des Laieneinsatzes geführt, nicht nur in bezug auf die beiden Sakramente der christlichen Initiation, sondern auch als Ausdruck einer bewußten Teilhabe am Geheimnis der Kirche gemäß dem Geist von Pfingsten. Das ist ein weiterer Grundstein der Theologie des Laientums.

3. Das theologische Prinzip, nach dem „das Apostolat der Laien in deren christlicher Berufung selbst seinen Ursprung hat und in der Kirche niemals fehlen kann" (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. l), macht die Notwendigkeit des Laieneinsatzes in unserer Zeit immer deutlicher und sichtbarer. Diese Notwendigkeit wird außerdem unterstrichen von einigen Umständen, welche die heutige Zeit kennzeichnen. Das sind zum Beispiel das Bevölkerungswachstum in den städtischen Ballungsgebieten, wo die Anzahl der Priester immer geringer wird; die Mobilität aufgrund von Arbeit, Schule oder Freizeit usw., die der modernen Gesellschaft eigen ist; die Autonomie vieler Gesellschaftsgruppen, die die Bedingungen ethischer und religiöser Ordnung erschweren und damit das Wirken von innen heraus notwendiger machen; die gesellschaftliche Nichtbeteiligung der Priester in vielen Kultur- und Arbeitsbereichen. Diese und andere Gründe erfordern einen neuen Evangelisierungseinsatz von selten der Laien. Andrerseits hat die Entwicklung der Institutionen und der demokratischen Mentalität selbst die Laien für die Anforderungen des kirchlichen Einsatzes empfänglicher gemacht und macht es noch. Die Verbreitung und Hebung des kulturellen Durchschnittsniveaus befähigt viele in größerem Maß, für das Wohl der Gesellschaft und der Kirche zu wirken.

 

4. Vom geschichtlichen Gesichtspunkt aus sind daher die neuen Formen, welche die Tätigkeit der Laien angenommen hat, nicht verwunderlich. Unter dem Antrieb der modernen soziokulturellen Bedingungen hat man außerdem mit verstärkter Aufmerksamkeit über ein ekklesiologisches Prinzip nachgedacht, das zuvor ein wenig im Schatten geblieben war: Die Vielfalt der Dienste in der Kirche ist ein lebendiges Erfordernis des mystischen Leibes, der alle seine Glieder braucht, um sich zu entwickeln, und den Beitrag aller den verschiedenen Begabungen jedes einzelnen entsprechend verlangt. Jedes Glied „trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut" (£p/i4,16). Es ist ein „Selbstaufbauen", das vom Haupt des Leibes, Christus (vgl. ebd.), abhängt, aber die Mitarbeit jedes Gliedes erfordert. Es besteht also in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung (vgl. Apostolicam aktuositatem, Nr. 2). Die Verschiedenheit schadet der Einheit nicht, sondern bereichert sie.

5. Ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen den geweihten Ämtern und den nichtgeweihten Ämtern, wie ich Gelegenheit hatte, in der Katechese über das Prie-stertum zu darzulegen. Das Konzil lehrt, daß das allgemeine Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes oder das hierarchische Priestertum sich dem Wesen und nicht bloß dem Grad nach unterscheiden (vgl. Lumen Gentium, Nr. 10). Das Apostolische Schreiben Christifideles laici weist darauf hin, daß die geweihten Ämter kraft des Sakramentes des Ordo ausgeübt werden, während die nichtgeweihten Ämter, die Dienste, Aufgaben und Funktionen der Laien, „ihre sakramentale Grundlage in Taufe und Firmung und vielfach auch in der Ehe" haben (Christifideles laici, Nr. 23). Letztere Bekräftigung ist besonders wertvoll für die Eheleute und Eltern, die berufen sind, auch und vor allem in ihrer Familie ein christliches Apostolat auszuüben (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 902).

Das gleiche Apostolische Schreiben betont, daß „die Hirten die Dienste, Aufgaben und Funktionen der Laien anerkennen und fördern" müssen (Christifideles laici, Nr. 23). Ein Seelsorger kann sich nicht einbilden, alles in der ihm anvertrauten Gemeinde zu tun. Er muß soweit als möglich die Tätigkeit der Laien mit aufrichtiger Hochschätzung für ihre Sachkenntnis und ihre Bereitschaft aufwerten. Wenn wahr ist, daß ein Laie den Hirten in den Ämtern, welche durch das Sakrament des Ordo verliehene Vollmachten erfordern, nicht ersetzen kann, dann ist auch wahr, daß der Hirt die Laien in den Bereichen, wo sie sachkundiger sind als er, nicht vertreten kann. Deshalb soll er ihre Rolle fördern und ihre Teilhabe an der Sendung der Kirche anregen.

6. Diesbezüglich ist festzuhalten, was der Codex des kanonischen Rechts verfügt, nach dem den Laien bestimmte Aufgaben des Klerus anvertraut werden, „wo es ein Bedarf der Kirche nahelegt" (CIC, can. 230, § 3); aber wir lesen im Apostolischen Schreiben Christifideles laici: „Die Erfüllung einer solchen Aufgabe macht den Laien aber nicht zum Hirten ... Die in Vertretung erfüllte Aufgabe leitet ihre Legitimität formell und unmittelbar von der offiziellen Beauftragung durch die Hirten ab. Ihre konkrete Erfüllung untersteht der Leitung der kirchlichen Autorität" (Christifideles laici, Nr. 23).

Aber man muß sogleich hinzurügen, daß sich die Tätigkeit der Laien nicht auf eine Vertretung „in Situationen akuter oder dauernder Not" beschränkt. Es gibt Bereiche des kirchlichen Lebens, wo neben den Aufgaben der Hierarchie die aktive Beteiligung auch der Laien gewünscht ist. Die erste Aufgabe ist die der liturgischen Versammlung. Zweifellos verlangt die Eucharistiefeier die Mitwirkung dessen, der vom Sakrament des Ordo die Vollmacht empfangen hat, das Opfer an Christi Statt darzubringen: der Priester. Aber sie ist, gemäß dem Apostolischen Schreiben Christifideles laici, „eine heilige Handlung, die nicht nur vom Klerus, sondern von der gesamten Versammlung vollzogen wird". Eine gemeinschaftliche Handlung. „Es ist darum selbstverständlich, daß die Aufgaben, die nicht spezifisch den geweihten Amtsträgem zukommen, von den Laien übernommen werden" (Christifideles laici, Nr. 23). Und wie viele Laien, große und kleine, junge und alte, erfüllen vortrefflich diese Aufgaben in unseren Kirchen durch die Gebete, Lesungen, Gesänge und anderen Dienste innerhalb und außerhalb des Gotteshauses! Wir danken dem Herrn für diese Wirklichkeit unserer Zeit. Man muß darum beten, daß er ihre Anzahl und Qualität immer mehr wachsen lasse.

17. Auch außerhalb des liturgischen Bereiches haben die Laien eine eigene Aufgabe in der Verkündigung des Wortes Gottes, weil sie im Prophetenamt Christi eingesetzt sind, und damit eine Verantwortung in der Evangelisierung. Zu diesem Zweck können sie besondere Aufgaben und auch ständige Aufträge erhalten, zum Beispiel in der Katechese, in der Schule, in der Leitung und Redaktion religiöser Schriften, im katholischen Verlagswesen, in den verschiedenen Initiativen und Werken, welche die Kirche zur Glaubensverbreitung fördert (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 906).

In jedem Fall handelt es sich um eine Teilhabe an der Sendung der Kirche, an dem immer neuen Pfingsten, das in die ganze Welt die Gnade des Geistes tragen will, die im Abendmahlssaal von Jerusalem herabgekommen ist, um allen Völkern die großen Taten Gottes verkünden zu lassen.

 

In deutscher Sprache sagte der Papst:

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Ich grüße alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Gruß gilt den Studenten der Katholischen Universität Eichstätt sowie den Teilnehmern an der von der Volkshochschule Coesfeld organisierten Studienreise. Mit meinem Wunsch, die Fastenzeit möge uns fruchtbringend zu innerer Umkehr verhelfen, erteile ich Euch allen. Euren Angehörigen zu Hause sowie allen mit uns über Radio und Femsehen verbundenen Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.