Päpstlicher Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel

 

Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (Auszug)

(Paul VI., 8. Dezember 1975 - über die Evangelisierung in der modernen Welt)

Auf der Suche nach geeigneten Wegen

 

40. Die offenkundige Bedeutung des Inhalts der Evangelisierung darf jedoch nicht die Bedeutung ihrer Wege und Mittel verdecken.

Auch diese Frage bleibt stets aktuell, denn die Weisen der Evangelisierung sind verschieden je nach den unterschiedlichen Umständen der Zeit, des Ortes und der Kultur. Diese Unterschiede sind eine ganz bestimmte Herausforderung an unsere Entdeckungs- und Anpassungsfähigkeit.

Insbesondere uns, den Hirten in der Kirche, ist die Sorge aufgetragen, kühn und umsichtig und zugleich in unbedingter Treue zum Inhalt die geeignetsten und wirksamsten Weisen zur Mitteilung der Botschaft des Evangeliums an die Menschen unserer Zeit neu zu entdecken und in die Tat umzusetzen.

Bei diesen Überlegungen hier soll es uns genügen, auf einige Wege aufmerksam zu machen, die aus dem einen oder anderen Grund von entscheidender Bedeutung sind.

 

Das Zeugnis des Lebens

 

41. Ohne alles zu wiederholen, was wir schon vorher gesagt haben, ist es doch gut, folgendes hervorzuheben. Für die Kirche ist das Zeugnis eines echt christlichen Lebens mit seiner Hingabe an Gott in einer Gemeinschaft, die durch nichts zerstört werden darf, und gleichzeitig mit einer Hingabe an den Nächsten in grenzenloser Einsatzbereitschaft der erste Weg der Evangelisierung. "Der heutige Mensch", so sagten wir kürzlich zu einer Gruppe von Laien, "hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind".67 Als der hl. Petrus das Bild eines reinen und ehrbaren Lebens zeichnete, brachte er das deutlich zum Ausdruck: "Ohne zu reden, gewannen sie diejenigen, welche sich weigerten, an das Wort zu glauben".68 Die Evangelisierung der Welt geschieht also vor allem durch das Verhalten, durch das Leben der Kirche, das heißt durch das gelebte Zeugnis der Treue zu Jesus, dem Herrn, durch das gelebte Zeugnis der Armut und inneren Loslösung und der Freiheit gegenüber den Mächten dieser Welt - kurz, der Heiligkeit.

 

Eine lebendige Predigt

 

42. Sodann ist es nicht überflüssig, auf die Bedeutung und Notwendigkeit der Verkündigung hinzuweisen. "Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündet? (...) So gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft im Wort Christi".69 Dieses Gesetz, einst vom Apostel Paulus aufgestellt, behält auch heute noch seine ganze Kraft.

Ja, die Verkündigung, diese mündliche Proklamation einer Botschaft, ist nach wie vor unverzichtbar. Wir wissen sehr wohl, daß der Mensch angesichts der Wortflut in unserer Zeit oft des Hörens müde wird und schlimmer noch, dem Wort gegenüber abstumpft. Wir kennen auch die Gedanken zahlreicher Psychologen und Soziologen, die behaupten, der moderne Mensch habe die Zivilisation des Wortes, die nun unwirksam und "überflüssig" geworden sei, hinter sich gelassen und lebe nun in einer Zivilisation des Bildes. Das müßte uns gewiß anspornen, die von dieser Zivilisation hervorgebrachten modernen Mittel für die Vermittlung der Botschaft des Evangeliums einzusetzen. Übrigens sind in dieser Richtung schon beachtliche Anstrengungen unternommen worden. Wir können das nur loben und dazu ermutigen, diese Bemühungen noch weiter zu verstärken und zu entfalten. Die Müdigkeit, die sich heute angesichts einer solchen Flut leerer Worte und der Aktualität ganz anderer Kommunikationsformen einstellt, darf indes die bleibende Kraft des Wortes nicht schwächen oder das Vertrauen zum Wort verlorengehen lassen. Das Wort bleibt immer aktuell, zumal wenn es die Macht Gottes in sich trägt.70 Darum bleibt auch heute der Grundsatz des hl. Paulus gültig: "Der Glaube gründet in der Botschaft".71 Es ist also das vernommene Wort, das zum Glauben führt.

 

Wortliturgie

 

43. Diese Verkündigung, die Evangelisierung bedeutet, nimmt, vom Eifer angetrieben, fast unbegrenzt vielfältige Formen an. In der Tat: unzählbar sind die Ereignisse des Lebens und die menschlichen Situationen, die Gelegenheit bieten, still und doch sehr wirksam vernehmbar zu machen, was der Herr uns in der jeweiligen konkreten Situation zu sagen hat. Es genügt echte innere Wachsamkeit, um die Botschaft Gottes aus den Ereignissen herauszulesen. Da die vom Konzil erneuerte Liturgie großen Wert auf die "Liturgie des Wortes" legt, wäre es ein Irrtum, die Homilie nicht mehr als ein gültiges und durchaus geeignetes Mittel zur Evangelisierung zu betrachten. Die Bedingungen und Möglichkeiten der Homilie muß man gut kennen und tief ausschöpfen, damit sie ihre ganze pastorale Wirksamkeit erlangen. Vor allem muß man jedoch von ihrer Bedeutung überzeugt sein und sich ihr mit Liebe widmen. Diese Verkündigung, die in besonderer Weise in die eucharistische Feier eingefügt ist - von der sie selbst verstärkte Macht und Kraft erhält - nimmt in der Evangelisierung ganz sicher einen vorrangigen Platz ein, und zwar insoweit als sie den tiefen Glauben des Priesters selbst zum Ausdruck bringt und von Liebe durchdrungen ist. Damit die versammelte Gemeinde der Gläubigen eine österliche Kirche sei, welche das Fest des mitten unter ihnen anwesenden Herrn feiert, erwartet und empfängt sie sehr viel von dieser Predigt: sie soll einfach sein, klar, direkt, auf die Menschen bezogen, tief in den Lehren des Evangeliums verwurzelt und treu dem Lehramt der Kirche, beseelt von einem gesunden apostolischen Eifer der aus ihrem besonderen Charakter erwächst, voller Hoffnung, den Glauben stärkend, Frieden und Einheit stiftend. Viele Gemeinden leben und festigen sich dank der Predigt an jedem Sonntag, weil sie diese Eigenschaften aufweist.

Fügen wir noch hinzu, daß dank der liturgischen Erneuerung die Feier der Eucharistie nicht der einzige geeignete Ort für die Homilie ist. Sie gehört auch - und das sollte nicht vernachlässigt werden - in die Feier aller Sakramente, ferner in die Wortgottesdienste, zu denen sich die Gläubigen versammeln. Immer wird die Homilie eine bevorzugte Gelegenheit sein, das Wort des Herrn anderen mitzuteilen.

 

Die Katechese

 

44. Ein Weg, der bei der Evangelisierung nicht vernachlässigt werden darf, ist der der katechetischen Unterweisung. Der menschliche Verstand, vor allem der der Kinder und Jugendlichen, muß durch eine systematische religiöse Unterweisung die fundamentalen Gegebenheiten und den lebenspendenden Inhalt der Wahrheit zu erfassen lernen, die Gott uns überliefert hat und die die Kirche im Laufe ihrer langen Geschichte auf immer vielfältigere Art auszudrücken suchte. Daß diese Unterweisung dazu dienen soll, christliche Lebensgewohnheiten zu formen und nicht nur Sache des Verstandes zu bleiben, ist unbestritten. Sicherlich wird die Bemühung um die Evangelisierung großen Nutzen bringen im Bereich der der Kirche anvertrauten katechetischen Unterweisung, und zwar in den Schulen, wo dies möglich ist, und auf jeden Fall in den christlichen Familien, wenn die Katecheten über geeignetes Lehrmaterial verfügen, das mit Sachverstand und unter der verantwortlichen Leitung der Bischöfe den heutigen Erfordernissen angepaßt ist. Die Unterrichtsmethoden müssen dem Alter, dem Bildungsstand und der Aufnahmefähigkeit der einzelnen entsprechen, um stets die wesentlichen Wahrheiten dem Gedächtnis, dem Verstand und dem Herzen einzuprägen, die unser ganzes Leben durchformen sollen. Es ist notwendig, gute Katecheten - Pfarrkatecheten, Lehrer und Eltern - auszubilden, die sich um eine Vervollkommnung in dieser hohen und unerläßlich notwendigen Kunst der religiösen Unterweisung bemühen. Andererseits stellt man fest, daß unter den gegenwärtigen Umständen die katechetische Unterweisung in der Form eines Katechumenats immer dringlicher wird; denn zahlreiche Jugendliche und Erwachsene entdecken nach und nach, von der Gnade berührt, das Antlitz Christi und empfinden das Bedürfnis, sich ihm zu schenken. Dabei soll jedoch die religiöse Erziehung der Kinder nicht vernachlässigt werden.

 

Benützung der Massenmedien

 

45. Wie wir bereits gesagt haben, kann in unserer Zeit, die von den Massenmedien oder Sozialen Kommunikationsmitteln geprägt ist, bei der ersten Bekanntmachung mit dem Glauben, bei der katechetischen Unterweisung und bei der weiteren Vertiefung des Glaubens auf diese Mittel nicht verzichtet werden.

In den Dienst des Evangeliums gestellt, vermögen diese Mittel den Bereich der Vernehmbarkeit des Wortes Gottes fast unbegrenzt auszuweiten; sie bringen die Frohbotschaft zu Millionen von Menschen. Die Kirche würde vor ihrem Herrn schuldig, wenn sie nicht diese machtvollen Mittel nutzen würde, die der menschliche Verstand immer noch weiter vervollkommnet. Dank dieser Mittel verkündet die Kirche die ihr anvertraute Botschaft "von den Dächern".72 In ihnen findet sie eine moderne, wirksame Form der Kanzel. Durch sie vermag sie zur Masse des Volkes zu sprechen.

Indes stellt die Nutzung der Sozialen Kommunikationsmittel für die Evangelisierung heute eine Herausforderung dar. Die Botschaft des Evangeliums müßte über sie zu vielen gelangen, aber doch so, daß sie immer den einzelnen innerlich zu treffen vermag, sich in das Herz eines jeden einsenkt, als wäre er allein, in seiner ganzen persönlichen Einmaligkeit und ganz persönliche Zustimmung und Einsatzbereitschaft angesprochen.

 

Unerläßlicher persönlicher Kontakt

 

46. Darum bleibt neben dieser Verkündigung des Evangeliums in umfassendster Weise die andere Form seiner Vermittlung, nämlich von Person zu Person, weiterhin gültig und bedeutsam. Der Herr hat sich ihrer oft bedient - seine Gespräche mit Nikodemus, Zachäus, der Samariterin, Simon dem Pharisaer und anderen bezeugen es. Dasselbe sehen wir bei den Aposteln. Wird es im Grunde je eine andere Form der Mitteilung des Evangeliums geben als die, in der man einem anderen seine eigene Glaubenserfahrung mitteilt? Die Dringlichkeit, die Frohbotschaft zu verkünden, darf nicht jene Form des Mitteilens übersehen lassen, in welcher das ganz persönliche Innere des Menschen angesprochen wird, berührt von einem ganz besonderen Wort, das er von einem anderen empfängt. Wir können nicht genug jene Priester loben, die sich im Sakrament der Buße oder im pastoralen Gespräch als Führer der Menschen zum Weg des Evangeliums erweisen, sie in ihrem Bemühen stärken, sie aufrichten, wenn sie gefallen sind und ihnen immer mit Klugheit und steter Verfügbarkeit beistehen.

 

47. Man wird jedoch nicht nachdrücklich genug darauf hinweisen können, daß sich die Evangelisierung nicht in der Verkündigung und der Erklärung einer Lehre erschöpft. Denn die Evangelisierung muß das Leben erreichen - das natürliche Leben, dem sie vom Horizont des Evangeliums her einen neuen Sinn verleiht - und dann das übernatürliche Leben, welches nicht die Verneinung, sondern die Läuterung und Erhöhung des natürlichen Lebens ist.

Dieses übernatürliche Leben kommt lebendig zum Ausdruck in den sieben Sakramenten und der ihnen eigenen wunderbaren Ausstrahlung der Gnade und Heiligkeit. Die Evangelisierung kommt zu ihrer ganzen Fülle, wenn in ihr die innige Verbindung oder besser noch, eine ununterbrochene Wechselwirkung zwischen Wort und Sakramenten hergestellt wird. In einem bestimmten Sinn ist es irreführend, Verkündigung und Sakramente als Gegensätze zu sehen, wie es manchmal geschieht. Doch ist es durchaus wahr, daß ein Sakrament einen großen Teil seiner Wirkung verliert, wenn seiner Spendung nicht eine gründliche Unterweisung über die Sakramente und eine umfassende Katechese vorausgeht. Die Aufgabe der Evangelisierung besteht eben darin, den Glauben so zu lehren, daß jeder Christ dahingeführt wird, die Sakramente - statt sie passiv zu empfangen oder über sich ergehen zu lassen - als wahrhafte Gnadenmittel des Glaubens zu leben.

 

Die Volksfrömmigkeit

 

48. Damit berühren wir auch einen Aspekt der Evangelisierung, den man nicht unbeachtet lassen kann. Wir möchten etwas sagen zu jener Wirklichkeit, die man heute oft als Volksfrömmigkeit bezeichnet.

Sowohl in jenen Gebieten, in denen die Kirche seit Jahrhunderten eingewurzelt ist, als auch dort, wo sie im Begriff ist, Wurzel zu fassen, findet man beim Volk besondere Ausdrucksformen des Glaubens und der Suche nach Gott.

Lange Zeit wurden sie für minderwertig gehalten und abfällig beurteilt, doch werden sie heute vielerorts neu entdeckt. Bei der letzten Synode haben die Bischöfe mit pastoralem Realismus und bemerkenswerter Eindringlichkeit deren tieferen Sinn deutlich gemacht.

Die Volksfrömmigkeit, so kann man sagen, hat gewiß ihre Grenzen. Oft ist sie dem Eindringen von so manchen religiösen Fehlformen ausgesetzt, auch dem Aberglauben. Häufig bleibt sie auf der Ebene kultischer Handlungen, ohne zu einem echten Akt des Glaubens zu führen. Sie kann sogar zur Bildung von Sekten führen und die wahre kirchliche Gemeinschaft gefährden.

Ist sie aber in der rechten Weise ausgerichtet, vor allem durch hinführende und begleitende Evangelisierung, dann birgt sie wertvolle Reichtümer in sich. In ihr kommt ein Hunger nach Gott zum Ausdruck, wie ihn nur die Einfachen und Armen kennen. Sie befähigt zur Großmut und zum Opfer, ja zum Heroismus, wenn es gilt, den Glauben zu bekunden. In ihr zeigt sich ein feines Gespür für tiefe Eigenschaften Gottes: seine Vaterschaft, seine Vorsehung, seine ständige, liebende Gegenwart. Sie führt zu inneren Haltungen, die man sonst kaum in diesem Maße findet: Geduld, das Wissen um die Notwendigkeit, das Kreuz im täglichen Leben zu tragen, Entsagung, Wohlwollen für andere, Respekt. Darum nennen wir sie gern Volksfrömmigkeit, das heißt Religion des Volkes, anstatt Religiosität.

Allen, welche der Herr zu Leitern kirchlicher Gemeinschaften bestellt hat, muß die pastorale Liebe die Normen des Verhaltens gegenüber dieser Wirklichkeit eingeben, die reich und gefährdet zugleich ist. Vor allem muß man einfühlsam genug sein, ihre innere Vielfalt und ihre unleugbaren Werte erkennen zu können, und bereit sein, dabei zu helfen, drohendes Abweichen vom Weg zu vermeiden. Gut ausgerichtet, kann die Volksfrömmigkeit mehr und mehr für die vielen im Volk zu einer echten Begegnung mit Gott in Jesus Christus werden.

 

Anmerkungen

 

67 Papst Paul Vl., Ansprache an die Mitglieder des Laienrates am 2. Oktober 1974: AAS 66, 1974, S. 568.

68 Vgl. 1 Petr 3, 1.

69 Röm 10, 14; 17.

70 Vgl.1 Kor 2, 15.

71 Röm 10, 17.

72 Vgl. Mt 10, 27; Lk 12, 3.