PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE GESETZESTEXTE

ERLÄUTERUNG

 

VIII. Elemente zur Beschreibung des kanonischen Verantwortungsbereiches des Diözesanbischofs gegenüber den Priestern der eigenen Diözese, sofern sie in derselben ihr Priesteramt ausüben[1]

(Communicationes, 36 [2004] 33–38)

 

I. Ekklesiologische Voraussetzungen

 

Die Diözesanbischöfe leiten die ihnen als Stellvertreter und Gesandte Christi anvertrauten Teilkirchen «durch Rat, Zuspruch, Beispiel, aber auch in Autorität und heiliger Vollmacht».[2]

Kaft des Weihesakramentes sind die Priester zur Verkündigung der Frohbotschaft, zum Hirtendienst an den Gläubigen und zur Feier des Gottesdienstes geweiht und so wirkliche Priester des Neuen Bundes. [3] Dem jeweiligen Grad ihres Dienstamts entsprechend, nehmen sie an der Funktion Christi, des alleinigen Mittlers, teil. Jeder Kleriker muß entweder einer Teilkirche oder einer Personalprälatur oder einem Institut des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft apostolischen Lebens, die diese Befugnis haben, inkardiniert sein (can. 265).[4]  

Zwischen dem Diözesanbischof und seinen Priestern besteht aufgrund des hierarchischen oder Weihepriestertums eine communio sacramentalis, welche Teilnahme am Priesteramt Christi ist.[5]

Vom juridischen Standpunkt aus betrachtet, kann die Beziehung zwischen dem Diözesanbischof und seinen Priestern demzufolge weder als ein hierarchisches Untergebenenverhältnis, wie sie das öffentliche Recht staatlicher Rechtssysteme vorsieht, noch mit einem abhängigen Arbeitsverhältnis, das sich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergibt, verglichen werden.

 

II. Art der Untergebenenbeziehung, die sich für den Priester gegenüber dem Diözesanbischof ergibt

 

Das durch Weihe und Inkardination entstehende Verhältnis zwischen Diözesanbischof und Priester kann nicht mit dem Untergebenenverhältnis verglichen werden, das in der Zivilgesellschaft zwischen dem Arbeitgeber und einem angestelltem Arbeitnehmer besteht.

Das Band der Untergebenheit des Priesters gegenüber seinem Diözesanbischof entsteht aufgrund des Weihesakraments und aufgrund der Inkardination in der Diözese. Es ist also nicht nur eine Konsequenz der von den Geistlichen gegenüber dem eigenen Ordinarius erforderten Gehorsamspflicht (vgl. can. 273)[6] oder der wachsamen Fürsorge seitens des Bischofs (vgl. can. 384).[7]

Diese Obliegenheit der Untergebenseins des Priesters gegenüber dem Bischof ist aber auf den Bereich beschränkt, in dem die Priester den eigenen Dienst in hierarchischer Kommunion mit dem eigenen Bischof ausüben sollen. Der Dienst des Diözesanpriesters reduziert sich jedoch nicht auf die passive Umsetzung der vom Bischof erhaltenen Order. Er besitzt einen legitimen Freiraum für Initiativen und eine angemessene Autonomie.

Was konkret den dienstlichen Gehorsam anbetrifft, so handelt es sich um einen hierarchischen Gehorsam, der auf die Anweisungen beschränkt ist, denen der Priester bei der Ausübung seines Amtes Folge leisten muss. Dieser ist nicht vergleichbar mit jener Art von Gehorsam, die zwischen einem Angestellten und dessen Arbeitgeber zur Anwendung kommt. Mit dem vom Priester in der Diözese ausgeübten Dienst ist eine bleibende und dauerhaften Mitarbeit verbunden, zu der er sich, kraft seiner Inkardination gegenüber der Diözese verpflichtet hat, und nicht gegenüber der physischen Person des Bischofs. Es handelt sich also nicht um ein  problemlos nach Gutdünken des Arbeitgebers widerrufbares Arbeitsverhältnis. Im Gegensatz zum Arbeitgeber im zivilen Bereich, kann der Bischof den Priester nicht einfach „entlassen“, es sei denn genaue Bedingungen sind erfüllt, die nicht der Willkür des Bischofs unterliegen, sondern gesetzlich vorgegeben sind (vgl. im Falle einer Suspension oder der Entlassung aus dem Klerikerstand). Der Priester „arbeitet“ nicht für den Bischof.

Außerdem gibt es auch im zivilen Lebensbereich Untergebenenverhältnisse – wie  zum Beispiel beim Militär oder in der öffentlichen Verwaltung – im Rahmen derer die Vorgesetzten rechtlich nicht ohne Weiteres für Straftaten ihrer Untergebenen zur Verantwortung gezogen werden können.

 

III. Bereich, in dem der Priester dem Diözesanbischof hierarchisch untersteht

 

Das Untergebenheitsverhältnis das den Priester seinem eigenen Bischof kanonisch unterstellt, ist auf den Bereich der Ausübung des priesterlichen Dienstes beschränkt und auf die damit direkt verbundenen Handlungen, sowie auf die allgemeinen Pflichten, die der klerikale Stand mit sich bringt.  

a) Dem  Diözesanbischof obliegt die Pflicht, mit besonderer Fürsorge den Priestern zur Seite zu stehen und sie als Mitarbeiter und Ratgeber anzuhören.  Er muss des weiteren ihre Rechte verteidigen und dafür Sorge tragen, dass die Priester pflichtgemäß die Aufgaben, die mit ihrem Amt verbunden sind, erfüllen sowie sicherstellen, dass ihnen die Mittel und Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, die sie zum Unterhalt ihres spirituellen und intellektuellen Leben brauchen; er muss des weiteren dafür Sorge tragen, dass ihr angemessener Lebensunterhalt und ihre Sozialfürsorge den Rechtsvorschriften gemäß gesichert sind (vgl. can. 384).[8]

Diese Sorge- und Aufsichtspflicht seitens des Bischofs ist auf all jene Angelegenheiten beschränkt, die den priesterlichen Stand als solchen betreffen; es handelt sich hierbei nicht um eine allgemeine Aufsichtspflicht über das gesamte Leben.   

Vor allem vom rein rechtlich-kanonischen Standpunkt aus betrachtet, kann und muss lediglich der Bereich der allgemeinen Standespflichten und der dienstlichen Aufgaben der Priester Gegenstand der Aufsicht seitens des Bischofs sein.

b) Obwohl der in der Diözese inkardinierte Priester sich diesbezüglich nicht auf ein Recht berufen kann, muss der Diözesanbischof dem jeweiligen Kleriker jedoch ein Amt oder eine Aufgabe zuweisen, die er zugunsten jener Teilkirche, für deren Dienst er geweiht worden ist, versehen kann (vgl. can. 266, § l).[9]

In diesem Zusammenhang wird vom Priester der dienstliche Gehorsam gegenüber dem eigenen Ordinarius gefordert (vgl. can. 273)[10]. Hiermit ist auch die Pflicht verbunden, treu all das zu tun, was mit der Erfüllung des Amtes einhergeht (vgl. can. 274, § 2).[11] Direkt verantwortlich für das Amt  ist jedoch der Amtsinhaber selbst und nicht derjenige, der es ihm übertragen hat.

Der Bischof muss seinerseits sicherstellen, dass der Priester seine dienstlichen Pflichten treu ausübt und erfüllt (vgl. cann. 384 e 392).[12] Eine besondere Gelegenheit, bei der der Bischof seine Aufsichtspflicht wahrnimmt, ist der Pastoralbesuch (vgl. cann. 396-397).[13]

c) Dem Bischof obliegt außerdem die Pflicht, zu gewährleisten, dass die dem Priester durch seine Inkardination und die Ausübung des Priesteramtes in der Diözese zukommenden Rechte, geachtet werden; diesbezüglich soll an das Recht auf eine angemessene Vergütung und Sozialfürsorge erinnert werden (vgl. can. 281);[14] an das Recht auf einen angemessenen Urlaub (vgl. can. 283, § 2);[15] an das Recht  auf eine ständige Fortbildung (vgl. can. 279).[16]

d) Hinsichtlich der Pflichten, die sich vom klerikalen Stand herleiten, obliegt es dem Bischof unter anderem, an die Verpflichtung der Priester zur vollkommenen und beständigen Enthaltsamkeit um des Himmelreichs willen zu erinnern und diesbezüglich ein Verhalten einzufordern, das bei zwischenmenschlichen Beziehungen, deren Vertrautheit die Einhaltung dieser Pflicht gefährden oder bei den Gläubigen Ärgernis verursachen könnte, mit der notwendigen Klugheit vorgeht; dem Bischof obliegt die Pflicht, im Einzelfall darüber zu urteilen, ob diese Pflicht eingehalten wurde (vgl. can. 277).[17]  

 

IV. Autonomiebereich des Priesters und eventuelle Verantwortung des Diözesanbischofs

 

Der Diözesanbischof kann rechtlich nicht für die Taten zur Verantwortung gezogen werden, die der Diözesanpriester unter Verletzung kanonischer Vorschriften, universaler und partikularer Art, begeht.

a) Korrektes oder unkorrektes Handeln des Priesters gegenüber den Rechtsvorschriften und den Anweisungen, die der Bischof in Bezug auf den Klerikerstand und den priesterlichen Dienst vorgibt, fällt nicht in den Bereich der juridischen Verantwortung des Bischofs, sondern in jenen des Priesters, welcher persönlich für seine Handlungen Verantwortung übernehmen muss, auch für jene, die zur Ausübung seines Priesteramtes gehören.

Noch weniger kann der Bischof für Handlungen, die sich auf das Privatleben der Priester beziehen, als rechtlich verantwortlich erachtet werden. Hierbei handelt es sich um Fragen, die die Verwaltung der eigenen Güter, der Wohnung und das gesellschaftliches Leben, usw. betreffen.  

b) Der Diözesanbischof trägt insofern Verantwortung, als er eine Aufsichtspflicht hat. In deren Rahmen ist er verantwortlich, dies aber nur unter zwei Bedingungen:

- sofern der Bischof es unterlassen hat, die in den kanonischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen (vgl. can. 384);[18]

- sofern der Bischof, obwohl er über vom Priester begangene Zuwiderhandlungen oder sogar Strafhandlungen unterrichtet ist, nicht die angemessenen pastoralen Maßnahmen ergriffen hat (vgl. can. 1341).

 

Zusammenfassend

 

In Anbetracht der Tatsache,:

a) dass das Untergebenheitsverhältnis das den Priester seinem eigenen Bischof kanonisch unterstellt (vgl. can. 273)[19] nicht zu einer allgemeinen Untergebenheit führt, sondern beschränkt ist auf die Ausübung des Priesteramtes und auf die allgemeinen Pflichten, die sich vom Klerikerstand herleiten;

b) dass die Aufsicht des Diözesanbischofs (vgl. can. 384) [20] demzufolge nicht als eine absolute und undiskriminierte Kontrolle über das gesamte Leben des Priesters zu betrachten ist;

c) dass der Diözesanpriester über Entscheidungsfreiheit verfügt, sei es in der Ausübung des Priesteramtes wie auch in seinem persönlichen und privaten Leben;

d) dass der Diözesanbischof nicht rechtlich verantwortlich ist für Handlungen, die vom Priester unter Missachtung der kanonischen Rechtsvorschriften universaler oder partikularer Art im Rahmen dieser Autonomie ausgeführt werden;

e) dass die besondere Art des vom Priester geforderten, priesterlichen Gehorsams den Bischof nicht zu dessen “Herrn” macht, da der Priester nicht für den Bischof “arbeitet”; es demzufolge also rechtlich nicht korrekt ist, das Priesteramt analog zum „Angestelltenverhältnis“, das in der Zivilgesellschaft zwischen Arbeitgeber und angestellten Arbeitnehmern besteht, zu erachten;

f) dass der kanonische Begriff der Straftat (vgl. cann. 1312 und 1321)[21] sowie jener der Mittäterschaft (vgl. can. 1329)[22], die Möglichkeit ausschließt, dem Diözesanbischof die Schuld für eine Straftat anzulasten, die von einem zu seiner Diözese gehörigen Priesters begangen wurde. Eine Ausnahme bilden die ausdrücklich hierfür vorgesehenen Fälle; (vgl. cann. 384; 1341);[23]

g) dass das Kirchenrecht die so genannte “objektive Verantwortung”, da sie zur Anrechnung einer Straftat als nicht ausreichender Tatbestand erachtet wird, nicht vorsieht, dass dies jedoch für die “Mittäterschaft” der Fall ist, auf welche man sich aber sicher nicht bloß aufgrund der Tatsache berufen kann, dass der Bischof der Vorgesetzte des Verbrechers ist;

ist dieser Päpstliche Rat der Ansicht, dass der Diözesanbischof, im allgemeinen sowie im spezifischen Fall für eine Straftat des Kindesmissbrauchs die von einem seiner Diözese angehörigen Priester begangen worden ist, aufgrund des zwischen ihnen bestehenden kanonischen Untergebenheitsverhältnisses keinerlei rechtliche Verantwortung trägt. Straftaten des Priesters und deren strafrechtlichen Folgen – auch die eventuelle Entschädigung -  müssen dem Priester, der diese begangen hat, angelastet werden und nicht dem Bischof oder der Diözese deren Rechtsvertreter der Bischof ist (vgl. can. 393).[24]

 

Vatikanstadt, 12. Februar 2004

 

 

Julian card. Herranz
Vorsitzender

Bruno Bertagna,
Titularbischof von Drivasto
Sekretär


 


[1] Im Text wird Bezug genommen auf den Codex  Iuris Canonici (CIC), mit Verweis  auf die Angaben in Bezug auf den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO).

[2] Vatikanum II, Cost. dogm. Lumen gentium, 27;  Johannes Paul II., Ap. Exhort. Pastores gregis, 16. Oktober 2003, 43; can. 381 CIC.

[3] Vgl. Cost. dogm. Lumen gentium, 28.

[4] Vgl. can. 357 CCEO.

[5] Vgl. Vatikanum II, Decr.  Presbyterorum ordinis, 7; Ap. Exhort. Pastores gregis, 47.

[6] Vgl. can. 370 CCEO.

[7] Vgl. can. 192, §§ 4-5 CCEO.

[8] Vgl. ibid.

[9] Vgl. can. 358 CCEO.

[10] Vgl. can. 370 CCEO.

[11] Vgl. can. 371 CCEO.

[12] Vgl. cann. 193, §§ 4-5; 201 CCEO.

[13] Vgl. can. 205 CCEO.

[14] Vgl. can. 390 CCEO.

[15] Vgl. can. 392 CCEO.

[16] Vgl. can. 372 CCEO.

[17] Vgl. can. 374 CCEO.

[18] Vgl. can. 192, §§ 4-5 CCEO.

[19] Vgl. can. 370 CCEO.

[20] Vgl. can. 192, §§ 4-5 CCEO.

[21] Vgl. can. 1414 CCEO.

[22] Vgl. can. 1417 CCEO.

[23] Vgl. can. 192, §§ 4-5 CCEO.

[24] Vgl. can. 190 CCEO.