SCHREIBEN VON PAPST
BENEDIKT XVI.
ZUM BEGINN DES PRIESTERJAHRES
ANLÄSSLICH DES 150. JAHRESTAGES DES "DIES NATALIS"
VON JOHANNES MARIA VIANNEY
Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst,
am
kommenden Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu, Freitag, dem 19. Juni 2009 –
dem Tag, der traditionsgemäß dem Gebet um die Heiligung der Priester gewidmet
ist – möchte ich anläßlich des 150. Jahrestags des „dies natalis“ von Johannes Maria Vianney, dem Schutzheiligen aller
Pfarrer der Welt[1], offiziell
ein „Jahr der Priester“ ausrufen. Dieses Jahr, das dazu beitragen möchte, das
Engagement einer inneren Erneuerung aller Priester für ein noch stärkeres und
wirksameres Zeugnis für das Evangelium in der Welt von heute zu fördern, wird
2010 wiederum an diesem Hochfest seinen Abschluß finden. „Das Priestertum ist die Liebe des Herzens Jesu“, pflegte der
heilige Pfarrer von Ars zu sagen.[2]
Diese bewegende Formulierung veranlaßt uns vor allem, uns innerlich angerührt
und dankbar bewußt zu werden, welch unermeßliches Geschenk die Priester nicht
nur für die Kirche, sondern auch für die Menschheit überhaupt sind. Ich denke
an all die Priester, die in Demut Tag für Tag den Christgläubigen und der
ganzen Welt die Worte und Taten Christi nahebringen, indem sie versuchen, mit
ihren Gedanken, ihrem Willen, ihren Gefühlen und ihrem gesamten Lebensstil mit
ihm übereinzustimmen. Wie könnte man es versäumen, ihre apostolischen Mühen,
ihren unermüdlichen und verborgenen Dienst und ihre im Grunde allumfassende
Liebe zu unterstreichen? Und was soll man zu der mutigen Treue so vieler
Priester sagen, die – wenn auch inmitten von Schwierigkeiten und Unverständnis
– ihrer Berufung treu bleiben, „Freunde Christi“ zu sein, die von ihm in
besonderer Weise gerufen, erwählt und ausgesandt sind?
Ich selbst trage noch die Erinnerung an
den ersten Pfarrer im Herzen, an dessen Seite ich meinen Dienst als junger
Priester ausübte: Er hinterließ mir das Beispiel einer rückhaltlosen Hingabe an
seine seelsorgliche Aufgabe bis zu seinem Tod, der ihn ereilte, als er einem
Schwerkranken das Sakrament der Wegzehrung brachte. Und dann kommen mir die
unzähligen Mitbrüder in den Sinn, denen ich begegnet bin und immer noch
begegne, auch während meiner Pastoralreisen in die verschiedenen Nationen –
Mitbrüder, die großherzig in der täglichen Ausübung ihres priesterlichen
Dienstes aufgehen. Aber die vom heiligen Pfarrer von Ars gebrauchte
Formulierung ruft auch die Erinnerung an das durchbohrte Herz Christi und an
die Dornenkrone auf seinem Haupt wach. Folglich gehen die Gedanken zu den
unzähligen Situationen des Leidens, in die viele Priester hineingezogen sind,
sei es weil sie Anteil nehmen an den menschlichen Erfahrungen von Schmerz in
der Vielfalt seiner Ausdrucksformen, sei es weil sie bei denjenigen, denen ihr
Dienst gilt, auf Unverständnis stoßen: Wie könnte man die vielen Priester
vergessen, die in ihrer Würde verletzt, in ihrer Sendung behindert, manchmal
sogar bis hin zum extremen Zeugnis der Hingabe des eigenen Lebens verfolgt
werden?
Leider gibt es auch Situationen, die nie
genug beklagt werden können, in denen es die Kirche selber ist, die leidet, und
zwar wegen der Untreue einiger ihrer Diener. Die Welt findet dann darin Grund
zu Anstoß und Ablehnung. Was in solchen Fällen der Kirche am hilfreichsten sein
kann, ist weniger die eigensinnige Aufdeckung der Schwächen ihrer Diener, als
vielmehr das erneute und frohe Bewußtsein der Größe des Geschenkes Gottes, das
in leuchtender Weise Gestalt angenommen hat in großherzigen Hirten, in von
brennender Liebe zu Gott und den Menschen erfüllten Ordensleuten, in
erleuchteten und geduldigen geistlichen Führern. In diesem Zusammenhang können
die Lehren und die Beispiele des heiligen Johannes Maria Vianney allen einen
bedeutsamen Anhaltspunkt bieten: Der Pfarrer von Ars war äußerst demütig, doch
er wußte, daß er als Priester ein unermeßliches Geschenk für seine Leute war:
„Ein guter Hirte, ein Hirte nach dem Herzen Gottes, ist der größte Schatz, den
der liebe Gott einer Pfarrei gewähren kann, und eines der wertvollsten
Geschenke der göttlichen Barmherzigkeit.“[3]
Er sprach vom Priestertum, als könne er die Größe der dem Geschöpf Mensch
anvertrauten Gabe und Aufgabe einfach nicht fassen: „Oh, wie
groß ist der Priester! … Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben … Gott
gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr
vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein…“[4]
Und als er seinen Gläubigen die Bedeutsamkeit der Sakramente erklärte, sagte
er: „Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht. Wer hat ihn da in
den Tabernakel gesetzt? Der Priester. Wer hat Eure Seele beim ersten Eintritt
in das Leben aufgenommen? Der Priester. Wer nährt sie, um ihr die Kraft zu
geben, ihre Pilgerschaft zu vollenden? Der Priester. Wer wird sie darauf
vorbereiten, vor Gott zu erscheinen, indem er sie zum letzten Mal im Blut Jesu
Christi wäscht? Der Priester, immer der Priester. Und wenn diese Seele [durch
die Sünde] stirbt, wer wird sie auferwecken, wer wird ihr die Ruhe und den
Frieden geben? Wieder der Priester … Nach Gott ist der Priester alles! … Erst
im Himmel wird er sich selbst recht verstehen.“[5]
Diese Aussagen, die aus dem priesterlichen Herzen eines heiligen Priesters
hervorgegangen sind, mögen übertrieben erscheinen. Doch in ihnen offenbart sich
die außerordentliche Achtung, die er dem Sakrament des Priestertums
entgegenbrachte. Er schien überwältigt von einem grenzenlosen
Verantwortungsbewußtsein: „Wenn wir recht begreifen würden, was ein Priester
auf Erden ist, würden wir sterben: nicht vor Schreck, sondern aus Liebe … Ohne
den Priester würden der Tod und das Leiden unseres Herrn zu nichts nützen. Der
Priester ist es, der das Werk der Erlösung auf Erden fortführt … Was nützte uns
ein Haus voller Gold, wenn es niemanden gäbe, der uns die Tür dazu öffnet? Der
Priester besitzt den Schlüssel zu den himmlischen Schätzen: Er ist es, der die
Tür öffnet; er ist der Haushälter des lieben Gottes; der Verwalter seiner
Güter … Laßt eine Pfarrei zwanzig Jahre
lang ohne Priester, und man wird dort die Tiere anbeten … Der Priester ist
nicht Priester für sich selbst, er ist es für euch.“[6]
Als er nach Ars, einem kleinen Dorf mit
230 Einwohnern, kam, war er vom Bischof bereits vorgewarnt worden, daß er eine
religiös prekäre Situation vorfinden werde: „Es gibt in dieser Pfarrei nicht
viel Liebe zu Gott; Sie werden sie dort einführen.“ Folglich war er sich völlig
bewußt, daß er dorthin gehen mußte, um die Gegenwart Christi zu verkörpern,
indem er dessen heilbringende Sanftmut bezeugte. „[Mein Gott,] gewährt mir die
Bekehrung meiner Pfarrei; ich will dafür alles erleiden, was Ihr wollt, mein
ganzes Leben lang!“ – mit diesem Gebet begann er seine Mission.[7]
Der Bekehrung seiner Pfarrei widmete sich der heilige Pfarrer mit all seinen
Kräften und stellte die christliche Bildung des ihm anvertrauten Volkes in all
seinem Denken an erste Stelle. Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst,
erbitten wir vom Herrn Jesus die Gnade, daß auch wir die pastorale Methode des
Johannes Maria Vianney erlernen können! Was wir als erstes lernen müssen, ist
die völlige Identifizierung mit der eigenen Aufgabe. In Jesus fallen Person und
Sendung im Grunde zusammen: Sein gesamtes Heilshandeln war und ist Ausdruck
seines „Sohn-Ich“, das von Ewigkeit her vor dem Vater steht in einer Haltung
liebevoller Unterwerfung unter dessen Willen. In bescheidener und doch wahrer
Analogie muß auch der Priester diese Identifizierung anstreben. Natürlich geht
es nicht darum zu vergessen, daß die substanzielle Wirksamkeit des Dienstes von
der Heiligkeit des Priesters unabhängig bleibt; doch man darf auch die
außerordentliche Fruchtbarkeit nicht außer Acht lassen, die aus dem
Zusammentreffen der objektiven Heiligkeit des Dienstes und der subjektiven des
Priesters hervorgeht. Der Pfarrer von Ars begann sofort mit dieser demütigen
und geduldigen Arbeit, sein Leben als Priester mit der Heiligkeit des ihm
anvertrauten Dienstes in Einklang zu bringen und sagte, daß er sogar materiell
in seiner Pfarrkirche „wohne“: „Kaum
war er angekommen, wählte er die Kirche zu seinem Wohnsitz … Vor dem Morgenrot
betrat er die Kirche und kam erst nach dem abendlichen Angelus wieder heraus.
Dort mußte man ihn suchen, wenn man ihn brauchte“, heißt es in seiner ersten
Biographie.[8]
Die fromme Übertreibung des
ehrfurchtsvollen Hagiographen darf uns nicht veranlassen zu übersehen, daß der
heilige Pfarrer auch aktiv im gesamten Gebiet seiner Pfarrei zu „wohnen“
verstand: Er besuchte systematisch die Kranken und die Familien; er
organisierte Volksmissionen und Patronatsfeste; er sammelte und verwaltete Geld
für seine karitativen und missionarischen Werke; er verschönerte seine Kirche
und stattete sie mit Kirchengerät aus; er kümmerte sich um die Waisenmädchen
der „Providence“ (einer von ihm
gegründeten Einrichtung) und ihre Erzieherinnen; er kümmerte sich um die
Schulausbildung der Kinder; er gründete Bruderschaften und forderte die Laien
zur Zusammenarbeit mit ihm auf.
Sein Beispiel veranlaßt mich, das Feld der
Zusammenarbeit zu betonen, das immer mehr auf die gläubigen Laien auszudehnen
ist, mit denen die Priester das eine priesterliche Volk bilden[9]
und in deren Mitte sie leben, um kraft des Weihepriestertums „alle zur Einheit
in der Liebe zu führen, 'indem sie in Bruderliebe einander herzlich zugetan
sind, in Ehrerbietung einander übertreffen' (Röm 12, 10)“.[10]
In diesem Zusammenhang ist an die lebhafte Aufforderung zu erinnern, mit der
das Zweite Vatikanische Konzil die Priester ermutigt, „die Würde der Laien und
die bestimmte Funktion, die den Laien für die Sendung der Kirche zukommt,
wahrhaft [zu] erkennen und [zu] fördern … Sie sollen gern auf die Laien hören,
ihre Wünsche brüderlich erwägen und ihre Erfahrung und Zuständigkeit in den
verschiedenen Bereichen des menschlichen Wirkens anerkennen, damit sie
gemeinsam mit ihnen die Zeichen der Zeit erkennen können.“[11]
Seine Pfarreimitglieder belehrte der
heilige Pfarrer vor allem mit dem Zeugnis seines Lebens. Durch sein Vorbild
lernten die Gläubigen zu beten und für einen Besuch beim eucharistischen Jesus
gern vor dem Tabernakel zu verharren.[12]
„Es ist nicht nötig, viel zu sprechen, um gut zu beten“, erklärte ihnen der
Pfarrer. „Man weiß, daß Jesus dort ist, im heiligen Tabernakel: Öffnen wir ihm
unser Herz, freuen wir uns über seine heilige Gegenwart. Das ist das beste
Gebet.“[13]
Und er ermunterte sie: „Kommt zur Kommunion, meine Brüder, kommt zu Jesus.
Kommt, um von ihm zu leben, damit ihr mit ihm leben könnt…“[14]
„Es stimmt, daß ihr dessen nicht würdig seid, aber ihr habt es nötig!“[15]
Diese Erziehung der Gläubigen zur
eucharistischen Gegenwart und zum Kommunionempfang wurde besonders
wirkkräftig, wenn die Gläubigen ihn das heilige Meßopfer zelebrieren sahen. Wer
ihm beiwohnte, sagte, daß „es nicht möglich war, eine Gestalt zu finden, welche
die Anbetung besser ausgedrückt hätte … Er betrachtete die Hostie liebevoll“.[16]
„Alle guten Werke zusammen wiegen das Meßopfer nicht auf, denn sie sind Werke
von Menschen, während die heilige Messe Werk Gottes ist“[17],
sagte er. Er war überzeugt, daß von der Messe der ganze Eifer eines
Priesterlebens abhängt: „Die Ursache der Erschlaffung des Priesters liegt
darin, daß er bei der Messe nicht aufmerksam ist! Mein Gott, wie ist ein
Priester zu beklagen, der so zelebriert, als ob er etwas Gewöhnliches täte!“[18]
Und er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, bei der Zelebration immer auch das
eigene Leben aufzuopfern: „Wie gut tut ein Priester, wenn er Gott
allmorgendlich sich selbst als Opfer darbringt!“[19]
Dieses persönliche Sicheinfühlen in das
Kreuzesopfer führte ihn – in einer einzigen inneren Bewegung – vom Altar zum
Beichtstuhl. Die Priester dürften niemals resignieren, wenn sie ihre
Beichtstühle verlassen sehen, noch sich darauf beschränken, die Abneigung der
Gläubigen gegenüber diesem Sakrament festzustellen. Zur Zeit des heiligen
Pfarrers war in Frankreich die Beichte weder einfacher, noch häufiger als in
unseren Tagen, da der eisige Sturm der Revolution die religiöse Praxis auf
lange Zeit erstickt hatte. Doch er versuchte auf alle Arten, durch Predigt und
überzeugenden Ratschlag, die Mitglieder seiner Pfarrei die Bedeutung und die
Schönheit der sakramentalen Buße neu entdecken zu lassen, indem er sie als eine
mit der eucharistischen Gegenwart innerlich verbundene Notwendigkeit
darstellte. Auf diese Weise verstand er, einen Kreislauf der Tugend in Gang zu setzen. Durch seine langen
Aufenthalte in der Kirche vor dem Tabernakel erreichte er, daß die Gläubigen
begannen, es ihm nachzutun; sie begaben sich dorthin, um Jesus zu besuchen, und
waren zugleich sicher, den Pfarrer anzutreffen, der bereit war zum Hören und
zum Vergeben. Später war es dann die wachsende Menge der Bußfertigen aus ganz
Frankreich, die ihn bis zu 16 Stunden täglich im Beichtstuhl hielt. Man sagte
damals, Ars sei „das große Krankenhaus der Seelen“[20] geworden. „Die Gnade, die er empfing [für
die Bekehrung der Sünder], war so stark, daß sie ihnen nachging, ohne ihnen
einen Moment der Ruhe zu lassen“, sagt der erste Biograph.[21]
Der heilige Pfarrer sah das nicht anders, wenn er sagte: „Nicht der Sünder ist
es, der zu Gott zurückkehrt, um ihn um Vergebung zu bitten, sondern Gott selbst
läuft dem Sünder nach und läßt ihn zu sich zurückkehren.“[22]
„Dieser gute Heiland ist so von Liebe erfüllt, daß er uns überall sucht.“[23]
Wir Priester müßten alle spüren, daß jene
Worte, die er Christus in den Mund legte, uns persönlich angehen: „Ich
beauftrage meine Diener, den Sündern zu verkünden, daß ich immer bereit bin,
sie zu empfangen, daß meine Barmherzigkeit unbegrenzt ist.“[24]
Vom heiligen Pfarrer von Ars können wir Priester nicht nur ein unerschöpfliches
Vertrauen in das Bußsakrament lernen, das uns drängt, es wieder ins Zentrum
unserer pastoralen Sorge zu setzen, sondern auch die Methode des „Dialogs des
Heils“, der sich darin vollziehen muß. Der Pfarrer von Ars hatte gegenüber den
verschiedenen Büßern eine jeweils unterschiedliche Verhaltensweise. Wer zu
seinem Beichtstuhl kam, weil er von einem inneren und demütigen Bedürfnis nach
der Vergebung Gottes angezogen war, fand bei ihm die Ermutigung, in den „Strom
der göttlichen Barmherzigkeit“ einzutauchen, der in seiner Wucht alles mit sich
fortreißt. Und wenn jemand niedergeschlagen war beim Gedanken an seine Schwäche
und Unbeständigkeit und sich vor zukünftigen Rückfällen fürchtete, offenbarte
der Pfarrer ihm das Geheimnis Gottes mit einem Ausspruch von rührender
Schönheit: „Der liebe Gott weiß alles. Noch bevor ihr sündigt, weiß er schon,
daß ihr wieder sündigen werdet, und trotzdem vergibt er euch. Wie groß ist die
Liebe unseres Gottes, der so weit geht,
freiwillig die Zukunft zu vergessen, nur damit er uns vergeben kann!“[25]
Wer sich dagegen lau und fast gleichgültig anklagte, dem bot er durch seine
eigenen Tränen die ernste und erlittene deutliche Einsicht, wie „abscheulich“
diese Haltung sei: „Ich weine, weil ihr nicht weint“[26],
sagte er. „Wenn der Herr bloß nicht so gut wäre! Aber er ist so gut! Man muß ein Barbar sei, um sich einem so guten
Vater gegenüber so zu verhalten!“[27]
Er ließ die Reue im Herzen der Lauen aufkommen, indem er sie zwang, das im
Gesicht des Beichtvaters gleichsam „verkörperte“ Leiden Gottes wegen der Sünden
mit eigenen Augen zu sehen. Wer sich dagegen voll Verlangen und fähig zu einem
tieferen geistlichen Leben zeigte, dem öffnete er weit die Tiefen der Liebe,
indem er ihm erklärte, wie unbeschreiblich schön es ist, mit Gott vereint und
in seiner Gegenwart zu leben: „Alles unter den Augen Gottes, alles mit Gott,
alles, um Gott zu gefallen … Wie schön ist das!“[28]
Und er lehrte sie zu beten: „Mein Gott, erweise mir die Gnade, dich so sehr wie
nur möglich zu lieben.“[29]
Der Pfarrer von Ars hat in seiner Zeit das
Herz und das Leben so vieler Menschen zu verwandeln vermocht, weil es ihm
gelungen ist, sie die barmherzige Liebe des Herrn wahrnehmen zu lassen. Auch in
unserer Zeit ist eine solche Verkündigung und ein solches Zeugnis der Wahrheit
der Liebe dringend: Deus caritas est
(1 Joh 4, 8). Mit dem Wort und den
Sakramenten seines Jesus wußte Johannes Maria Vianney sein Volk aufzubauen,
auch wenn er, überzeugt von seiner persönlichen Unzulänglichkeit, oft
schauderte, so daß er mehrmals wünschte, sich der Verantwortung des Dienstes in
der Pfarrei zu entziehen, dessen er sich unwürdig fühlte. Trotzdem blieb er in
vorbildlichem Gehorsam stets an seinem Posten, denn die apostolische
Leidenschaft für das Heil der Seelen verzehrte ihn. Durch eine strenge Askese
versuchte er, seiner Berufung völlig nachzukommen: „Das große Unglück für uns
Pfarrer“, beklagte der Heilige, „besteht darin, daß die Seele abstumpft“[30],
und er meinte damit ein gefährliches Sich-Gewöhnen des Hirten an den Zustand
der Sünde oder der Gleichgültigkeit, in der viele seiner Schafe leben. Mit
Wachen und Fasten zügelte er den Leib, um zu vermeiden, daß dieser sich seiner
priesterlichen Seele widersetzte. Und er schreckte nicht davor zurück, sich
selbst zu kasteien zum Wohl der ihm anvertrauten Seelen und um zur Sühne all
der Sünden beizutragen, die er in der Beichte gehört hatte. Einem
priesterlichen Mitbruder erklärte er: „Ich verrate Euch mein Rezept: Ich gebe
den Sündern eine kleine Buße auf, und den Rest tue ich an ihrer Stelle.“[31]
Jenseits der konkreten Bußübungen, denen der Pfarrer von Ars sich unterzog,
bleibt in jedem Fall der Kern seiner Lehre für alle gültig: die Seelen sind mit
dem Blut Jesu erkauft, und der Priester kann sich nicht ihrer Rettung widmen,
wenn er sich weigert, sich persönlich an dem „teuren Preis“ ihrer Erlösung zu
beteiligen.
In der Welt von heute ist es ebenso nötig
wie in den schwierigen Zeiten des Pfarrers von Ars, daß die Priester sich in
ihrem Leben und Handeln durch ein starkes
Zeugnis für das Evangelium auszeichnen. Paul VI. hat zu Recht bemerkt: „Der
heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf
Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind.“[32]
Damit in uns nicht eine existenzielle Leere entsteht und die Wirksamkeit
unseres Dienstes nicht gefährdet wird, müssen wir uns immer neu fragen: „Sind wir wirklich durchtränkt vom Wort
Gottes? Ist es wirklich die Nahrung, von der wir leben, mehr als vom Brot und
von den Dingen dieser Welt? Kennen wir es wirklich? Lieben wir es? Gehen wir
innerlich damit um, so daß es wirklich unser Leben prägt, unser Denken formt?“[33]
Wie Jesus die Zwölf rief, damit sie bei ihm sein sollten (vgl. Mk 3, 14), und sie erst danach zum
Predigen aussandte, so sind auch in unseren Tagen die Priester berufen, jenen
„neuen Lebensstil“ anzunehmen, den Jesus, der Herr, eingeführt hat und den die
Apostel sich zu eigen gemacht haben.[34]
Gerade die rückhaltlose Annahme dieses
„neuen Lebensstils“ war ein Merkmal des priesterlichen Einsatzes des Pfarrers
von Ars. In der Enzyklika Sacerdotii
nostri primordia, die 1959, hundert Jahre nach dem Tod von Johannes Maria
Vianney, publiziert wurde, stellte Johannes XXIII. dessen asketische Wesensart
unter besonderer Bezugnahme auf das Thema der „drei evangelischen Räte“ dar,
die er auch für die Priester als notwendig erachtete: „Auch wenn dem Priester
zur Erlangung dieser Heiligkeit des Lebens die Verwirklichung der evangelischen
Räte nicht aufgrund seines klerikalen Standes auferlegt ist, bietet sie sich
ihm wie allen Jüngern des Herrn doch als der normale Weg der christlichen
Heiligung an.“[35] Der Pfarrer
von Ars verstand es, die „evangelischen Räte“ in der seiner Situation als
Priester angemessenen Weise zu leben. Seine Armut
war nämlich nicht die eines Ordensmannes bzw. eines Mönches, sondern die,
welche von einem Weltpriester erwartet wird: Obwohl er mit viel Geld
wirtschaftete (da die wohlhabenderen Pilger nicht versäumten, sich seiner
karitativen Werke anzunehmen), wußte er, daß alles seiner Kirche, seinen Armen,
seinen Waisen, den Mädchen seiner „Providence“[36],
den am meisten notleidenden Familien zugedacht war. Darum war er „reich, um den
anderen zu geben, und sehr arm für sich selbst“.[37]
Er erklärte: „Mein Geheimnis ist einfach: Alles geben und nichts behalten.“[38]
Wenn er mit leeren Händen dastand, sagte er zufrieden zu den Armen, die sich an
ihn wendeten: „Heute bin ich arm wie ihr, bin einer von euch.“[39]
So konnte er am Ende seines Lebens in aller Ruhe sagen: „Ich habe nichts mehr.
Nun kann der liebe Gott mich rufen, wann er will!“[40]
Auch seine Keuschheit war so, wie sie
für den Dienst eines Priesters nötig ist. Man kann sagen, es war die
angemessene Keuschheit dessen, der gewöhnlich die Eucharistie berühren muß und
der sie gewöhnlich mit der ganzen Begeisterung seines Herzens betrachtet und
sie mit derselben Begeisterung seinen Gläubigen reicht. Man sagte von ihm, „die
Keuschheit strahle in seinem Blick“, und die Gläubigen bemerkten es, wenn er
mit den Augen eines Verliebten zum Tabernakel schaute.[41]
Auch der Gehorsam von Johannes Maria
Vianney war ganz und gar verkörpert in der leidvoll errungenen inneren
Einwilligung in die täglichen Anforderungen seines Amtes. Es ist bekannt, wie
sehr ihn der Gedanke an seine Unzulänglichkeit für den Dienst des Pfarrers
quälte und wie sehr ihn der Wunsch umtrieb, zu fliehen „um in Einsamkeit sein
armes Leben zu beweinen“.[42]
Nur der Gehorsam und seine Leidenschaft für die Seelen konnten ihn überzeugen,
an seinem Platz zu bleiben. Sich selbst und seinen Gläubigen erklärte er: „Es
gibt nicht zwei gute Arten, Gott zu dienen. Es gibt nur eine einzige: ihm so zu
dienen, wie er es will.“[43]
Die goldene Regel für ein Leben im Gehorsam schien ihm diese zu sein: „Nur das
tun, was dem lieben Gott dargebracht werden kann.“[44]
Im Zusammenhang mit der Spiritualität, die
durch die Übung der evangelischen Räte gefördert wird, möchte ich die Priester
in diesem ihnen gewidmeten Jahr gern ganz besonders dazu aufrufen, den neuen
Frühling zu nutzen, den der Geist in unseren Tagen in der Kirche hervorbringt,
nicht zuletzt durch die kirchlichen Bewegungen und die neuen Gemeinschaften.
„Der Geist ist vielfältig in seinen Gaben … Er weht, wo er will. Er tut es auf
unerwartete Weise, an unerwarteten Orten und in vorher nicht ausgedachten
Formen … aber er zeigt uns auch, daß er auf den einen Leib hin und in der
Einheit des einen Leibes wirkt.“[45]
In diesem Zusammenhang gilt die Anweisung des Dekretes Presbyterorum ordinis: „Sie [die Priester] sollen die Geister
prüfen, ob sie aus Gott sind, und die vielfältigen Charismen der Laien,
schlichte und bedeutendere, mit Glaubenssinn aufspüren, freudig anerkennen und
mit Sorgfalt hegen.“[46]
Diese Gaben, die viele zu einem höheren geistlichen Leben drängen, können nicht
nur den gläubigen Laien, sondern den Priestern selbst hilfreich sein. Aus dem
Miteinander von geweihten Amtsträgern und Charismen kann nämlich „ein gesunder
Impuls für ein neues Engagement der Kirche in der Verkündigung und im Zeugnis
des Evangeliums der Hoffnung und der Liebe in allen Teilen der Welt“
entspringen.[47] Außerdem
möchte ich in Bezugnahme auf das Apostolische Schreiben Pastores dabo vobis von Papst Johannes Paul II. ergänzen, daß das
geweihte Amt eine radikale „Gemeinschaftsform“
hat und nur in der Gemeinschaft der Presbyter mit ihrem Bischof erfüllt werden
kann.[48]
Es ist nötig, daß diese im Weihesakrament begründete und in der Konzelebration
ausgedrückte Gemeinschaft der Priester untereinander und mit ihrem Bischof sich
in den verschiedenen konkreten Formen einer effektiven und affektiven
priesterlichen Brüderlichkeit verwirklicht.[49]
Nur so können die Priester die Gabe des Zölibats vollends leben und sind fähig,
christliche Gemeinschaften aufblühen zu lassen, in denen sich die Wunder der
ersten Verkündigung des Evangeliums wiederholen.
Das Paulusjahr, das sich seinem Ende
zuneigt, richtet unsere Gedanken auch auf den Völkerapostel, in dem vor unseren
Augen ein glänzendes Beispiel eines ganz und gar seinem Dienst „hingegebenen“
Priesters aufleuchtet. „Die Liebe Christi hat uns in Besitz genommen“, schreibt
er, „da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle
gestorben“ (vgl. 2 Kor 5, 14). Und er
fügt hinzu: „Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für
sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5, 15). Gibt es ein besseres
Programm, das man einem Priester vorschlagen könnte, der damit beschäftigt ist,
auf dem Weg der christlichen Vollkommenheit voranzuschreiten?
Liebe Priester, die Feier des 150.
Todestags des heiligen Johannes Maria Vianney (1859) schließt sich unmittelbar
an die kaum abgeschlossenen Feiern zum 150. Jahrestag der Erscheinungen von
Lourdes (1858) an. Schon 1959 hatte der selige Papst Johannes XXIII. bemerkt:
„Kurz bevor der Pfarrer von Ars seine lange verdienstvolle Laufbahn beendet
hatte, war in einem anderen Teil Franreichs die Unbefleckte Jungfrau einem
demütigen und reinen Mädchen erschienen, um ihm eine Botschaft des Gebetes und
der Buße zu übermitteln, deren enorme geistliche Resonanz seit einem
Jahrhundert wohlbekannt ist. Tatsächlich war das Leben des heiligen Priesters, dessen
Gedenken wir feiern, im voraus eine lebendige Darstellung der großen
übernatürlichen Wahrheiten, die der Seherin von Massabielle vermittelt wurden.
Er selbst hegte für die Unbefleckte Empfängnis der Allerseligsten Jungfrau eine
glühende Verehrung – er, der 1836 seine Pfarrei der ohne Sünde empfangenen
Maria geweiht hatte und dann die dogmatische Definition von 1854 mit so viel
Glauben und Freude aufnehmen sollte.“[50]
Der heilige Pfarrer erinnerte seine Gläubigen immer daran, daß „Jesus Christus,
nachdem er uns alles gegeben hatte, was er uns geben konnte, uns noch das
Wertvollste als Erbe hinterlassen wollte, das er besitzt, nämlich seine Mutter“[51].
Der Allerseligsten Jungfrau vertraue ich
dieses Jahr der Priester an und bitte sie, im Innern jedes Priesters eine
großherzige Wiederbelebung jener Ideale der völligen Hingabe an Christus und an
die Kirche auszulösen, die das Denken und Handeln des heiligen Pfarrers von Ars
bestimmten. Mit seinem eifrigen Gebetsleben und seiner leidenschaftlichen Liebe
zum gekreuzigten Jesus nährte Johannes Maria Vianney seine tägliche
rückhaltlose Hingabe an Gott und an die Kirche. Möge sein Beispiel die Priester
zu jenem Zeugnis der Einheit mit dem Bischof, untereinander und mit den Laien
bewegen, das heute wie immer so notwendig ist. Trotz des Übels, das es in der
Welt gibt, sind die Worte Christi an seine Apostel im Abendmahlssaal stets
aktuell: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt
besiegt“ (Joh 16, 33). Der Glaube an
den göttlichen Meister gibt uns die Kraft, vertrauensvoll in die Zukunft zu
schauen. Liebe Priester, Christus rechnet mit euch. Nach dem Beispiel des
heiligen Pfarrers von Ars laßt euch von ihm vereinnahmen, dann seid in der Welt
von heute auch ihr Boten der Hoffnung, der Versöhnung und des Friedens!
Von Herzen erteile ich euch meinen Segen.
Aus dem Vatikan, am 16. Juni 2009
[1] Dazu hat Papst Pius XI. ihn 1929 erklärt.
[2] Le
Sacerdoce, c’est l’amour du cœur de Jésus” (in Le
curé d’Ars. Sa pensée – Son cœur. Présantés par l’Abbé Bernard Nodet, éd.
Xavier Mappus, Foi Vivante, 1966, S. 98). In der Folge: Nodet.
Dieser Satz
ist unter der Nummer 1589 auch im Katechismus
der Katholischen Kirche zitiert.
[3] Nodet, S. 101.
[4] Ebd., S. 97.
[5] Ebd., S. 98–99.
[6] Ebd., S. 98–100.
[7] Ebd., 183.
[8] Monnin A., Il curato d’Ars. Vita di Gian-Battista-Maria Vianney, Bd. I, ed. Marietti, Turin 1870, S. 122.
[9] Vgl. Lumen
gentium, 10.
[10] Presbyterorum
ordinis, 9.
[11] Ebd.
[12] „Die Beschauung [ Kontemplation] ist
gläubiges Hinschauen auf Jesus. 'Ich
schaue ihn an, und er schaut mich an', sagte zur Zeit seines heiligen
Pfarrers ein Bauer von Ars, der vor dem Tabernakel betete“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr.
2715).
[13] Nodet, S. 85.
[14] Ebd., S. 114.
[15] Ebd., S. 119.
[16] Monnin
A., a.a.O., II, S. 430ff.
[17] Nodet, S. 105.
[18] Ebd.
[19] Ebd., S. 104.
[20] Monnin
A., a.a.O., II, S. 293.
[21] Ebd., S. 10.
[22] Nodet, S. 128.
[23] Ebd., S. 50.
[24] Ebd., S. 131.
[25] Ebd., S. 130.
[26] Ebd., S. 27.
[27] Ebd., S. 139.
[28] Ebd., S. 28.
[29] Ebd., S. 77.
[30] Ebd., S. 102.
[31] Ebd., S. 189.
[32] Evangelii
nuntiandi, 41.
[33] Benedikt
XVI., Homilie in der
Chrisam-Messe, 9.4.2009.
[34] Vgl. Benedikt
XVI., Ansprache an die Teilnehmer
der Vollversammlung der Kongregation für den Klerus, 16.3.2009.
[35] Teil I.
[36] Diesen Namen gab er dem Haus, in dem er
über 60 verlassene Mädchen aufnehmen und erziehen ließ. Um es zu erhalten, war
er zum äußersten bereit: „J’ai fait tous
les commerces imaginables – Ich habe dafür alle Geschäfte gemacht, die man
sich nur vorstellen kann“, sagte er lachend (Nodet,
S. 214).
[37] Nodet, S. 216.
[38] Ebd., S. 215.
[39] Ebd., S. 216.
[40] Ebd., S. 214.
[41] Vgl. Ebd., S. 112.
[42] Vgl. Ebd.,
S. 82-84; 102-103.
[43] Ebd., S. 75.
[44] Ebd., S. 76.
[45] Benedikt
XVI., Homilie zur
Pfingstvigil, 3.6.2006.
[46] Nr. 9.
[47] Benedikt
XVI., Ansprache an
die Bischöfe, die der Fokolarbewegung und der Gemeinschaft „Sant’Egidio“
nahestehen, 8.2.2007.
[48] Vgl. Nr. 17.
[49] Vgl. Johannes
Paul II., Apostolisches Schreiben Pastores
dabo vobis, 74.
[50] Enzyklika Sacerdotii nostri primordia, Teil III.
[51] Nodet, S. 244.