Das Priesterjahr in der Ökonomie der Gnadenablässe

 

 

Das vom Heiligen Vater zum 150. Todestag des heiligen Pfarrers von Ars ausgerufene Priesterjahr und das Dekret Urbis et Orbis (der Stadt und dem Erdkreis) der Apostolischen Pönitentiarie, mit dem «gewisse Frömmigkeitsübungen, die man während des Priesterjahres verrichtet, mit besonderen Ablässen bedacht werden» regt uns Priester dazu an, über die Lehre, die Katechese und die Praxis der Ablässe nachzudenken. „Der Ablass ist Erlass einer zeitlichen Strafe vor Gott für Sünden, die hinsichtlich der Schuld schon getilgt sind. Ihn erlangt der Christgläubige, der recht bereitet ist, unter genau bestimmten Bedingungen durch die Hilfe der Kirche, die als Dienerin der Erlösung den Schatz der Genugtuungen Christi und der Heiligen autoritativ austeilt und zuwendet. Der Ablass ist Teilablass oder vollkommener Ablass, je nachdem er von der zeitlichen Sündenstrafe teilweise oder ganz freimacht.“ Ablässe können den Lebenden und den Verstorbenen zugewendet werden.“[1]

 

Jede Sünde bringt sowohl eine Sündenschuld als auch eine Sündenstrafe mit sich. Diese sind nicht Resultat eines göttlichen Urteils. Vielmehr entspringen sie der Natur der Sünde selbst. Die Sündenschuld ist das moralische Übel, für das der Sünder verantwortlich und zurechnungsfähig ist. Die Sündenstrafe ist der durch die einmal begangene böse Tat zu begleichende Zoll an Bestrafung und Wiedergutmachung. Mit Empfang des Bußsakraments werden die Sündenschuld und die ewige Sündenstrafe (Beraubung des ewigen Lebens) erlassen, nicht jedoch die zeitliche Sündenstrafe.[2] Letztere ist auf negative Folgen der Sünde zurückzuführen, auf den Schaden, den sich der Betroffene in Bezug auf seine Beziehungen zu sich selbst, zum Nächsten und zu seiner Umgebung zugefügt hat, auf welche die Sünde sich insofern auswirkt, als sie andere und anderes mit einbezieht, sowie spalterisch und zerstörerisch wirkt;[3] so bleibt dem Sünder für seine völlige Wiederherstellung ein Zoll zu entrichten,[4] und dieser ist in Form einer Umkehr, einer Versöhnung, einer Wiedererstattung, einer Wiedergutmachung, einer Genugtuung, einer Reinigung, einer Buße, eines Gebets zu bezahlen. Und dies trifft auf unser Dasein zu, „sei es hier auf Erden, sei es nach dem Tod im sogenannten Purgatorium [Läuterungszustand].“ [5] Das Sakrament schafft dieses Soll nicht aus der Welt, vielmehr bringt es dieses zu Bewusstsein und vertraut es der Freiheit des Bußfertigen an, damit dieser sich des Schadens annimmt, der durch die Sünde entstanden ist, indem er Sühne leistet und sich im Geist erneuert. Seine Reue, seine Aufrichtigkeit werden ihm dies abverlangen. Tatsächlich darf der Pönitent seine Augen vor den negativen Auswirkungen der Sünde nicht verschließen; ebenso wenig geht die Gnade der Vergebung einfach an ihnen vorbei, vielmehr nimmt sie den Sünder in die Verantwortung und bewegt ihn zum Einsatz für eine Reaktivierung und einen Wiederaufbau dessen, was die Sünde verhindert und zerstört hat. Es handelt sich um einen Einsatz, der sowohl auf persönlichem wie auch auf gemeinschaftlichem Niveau „durch Werke der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe sowie durch Gebet und verschiedene Bußübungen“ zu leisten ist, „indem man Leiden und Prüfungen jeder Art geduldig erträgt“.[6] Eine solche Läuterung befreit von den zeitlichen Sündenstrafen.[7] Dadurch wird die Sünde auch in ihren Folgen überwunden.

„Eine Bekehrung, die aus glühender Liebe hervorgeht, kann zur völligen Läuterung des Sünders führen, so dass keine Sündenstrafe mehr zu verbüßen bleibt.“ [8] Dies ist aber keine leichte Sache. Wir stehen vor einer Last, die für den Pönitenten keineswegs vernachlässigbar gering ist.[9] Es handelt sich um eine Belastung, die mit jeder einmal begangenen Sünde verbunden ist, um die Sündenstrafe, die jeder mitbringt, ganz gleich, wie leicht oder lässlich seine Sünden gewesen sein mögen. Wir stehen vor einer Last, die von den vielen Sünden herstammt, die jeder, der sein Gewissen aufmerksam und sorgfältig prüft, anerkennen muss, was zum geistlichen Weg der Vervollkommnung gehört (vgl. l Joh 1,8-10).[10] Diese Last an Sündenstrafen erinnert den einzelnen Betroffenen an seine Gebrechlichkeit, Kleinheit und Fehlbarkeit, weswegen er riskiert, in Angst zu geraten und von dieser niedergedrückt zu werden. Aber auch in diesem Falle lässt die Kirche den Sünder nicht allein.[11] Mit dem Leben aller anderen Glieder zusammen ist sein Leben in die übernatürliche Einheit des mystischen Leibes Christi eingefügt, sodass er am Güteraustausch, der der „Gemeinschaft der Heiligen“ eigen ist, teilhat.[12] Hier kommt die lebendige Einheit aller Mitglieder der Kirche aktiv zum Tragen: durch diese „besteht unter den Gläubigen — seien sie bereits in der himmlischen Heimat oder sühnend im Reinigungsort oder noch auf der irdischen Wanderschaft — in der Tat ein dauerhaftes Band der Liebe und ein überreicher Austausch aller Güter.“[13] Bei diesen Gütern handelt es sich um den Reichtum an guten Werken, Gebeten und Verdiensten, den alle Kinder der Kirche, in primis (vor allem aber) die seligste Jungfrau Maria und die Heiligen angesammelt haben; dieser Reichtum leitet seine Gestalt und seinen Wert allein vom Heilswerk Christi und dessen Verdiensten ab, denn durch das Stehen in seiner Nachfolge wurde er erwirkt. Das Gesamt dieser Güter bildet den so genannten „Schatz der Kirche”, [14] den diese wiederum verwaltet und in Liebe zum Wohl der bedürftigen Glieder ausspendet. „In diesem wunderbaren Austausch kommt die Heiligkeit des einen den anderen zugute, und zwar mehr, als die Sünde des einen dem anderen schaden kann. So ermöglicht die Inanspruchnahme der Gemeinschaft der Heiligen dem reuigen Sünder, dass er von den Sündenstrafen früher und wirksamer geläutert wird.“[15]

Das Geschenk der Ablässe weist dem Einzelnen keinen passiven Platz in der Gemeinschaft der Heiligen zu: die persönliche Aufgabe, Buße zu tun und sich zu reinigen, wird dadurch nicht relativiert oder abgeschafft. Mit den Ablässen verteilt die Kirche nämlich nicht nur die Verdienste anderer, gleichzeitig ermutigt sie auch diejenigen, denen die Ablässe zugute kommen, bestärkt sie in ihrem Vorsatz umzukehren und sich zu erneuern und lädt sie schließlich ein, mit ihren Gebeten und Werken selbst Verdienste für andere zu erwerben. [16] Es gibt keinen vollkommenen Ablass, der den Christen von seiner Pflicht zur Wiedergutmachung und Versöhnung entbinden könnte. Jeder Ablass ist ein Unterpfand der Heiligkeit.

In diese Gemeinschaft der Heiligen treten die Priester in diesem Jahr mit neuem Bewusstsein ein. Für sie handelt es sich in erster Linie um eine priesterliche Gemeinschaft, um eine Gemeinschaft im Priestertum Christi. Eine Gemeinschaft, in der es heilige und sündige Priester gibt. Heilige, die sich in patria - in der endgültigen Heimat - befinden (im Reich der Herrlichkeit); Heilige und Sünder, die sich in itinere - auf dem Weg - befinden (auf irdischer Pilgerschaft). Priester, deren Heiligkeit in der Kirche auf Sünder übergreift; und deren Sünde den Verdiensten der Heiligen Abbruch tut. Heiligkeit beugt sich zur Sünde herab, Sünde kann sich auf Heiligkeit verlassen. So dass es keinen Platz für eine Trostlosigkeit gibt, die durch Schuld oder Strafe verursacht wäre. Die Gemeinschaft der Heiligen lässt keinen Priester allein stehen, sie gibt niemanden auf. Der besondere Ablass, den der Papst im Priesterjahr gewährt hat, ist ein großes Zeichen der Hoffnung. Der Priester ist ein Mensch der Hoffnung. Er wird es in dem Maße sein, in dem er innerlich frei ist: frei von Sünde und von deren schwerwiegenden Folgen. Die mit dem Priesterjahr verbundenen besonderen Ablässe erinnern an Wahrheiten und Gnaden, die für uns Priester ein wirksamer Wegweiser zur Freiheit sind, damit wir für alle zu verstehbaren und glaubwürdigen Zeichen der Hoffnung werden.

 

Mauro Cozzoli

Ordinarius für Moraltheologie

an der Päpstlichen Lateranuniversität



[1] Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 1471). Der zitierte Abschnitt stammt von Paul VI., Apost. Konst. Indulgentiarum doctrina (ID), 01. Januar 1967, Normae 1-3.

[2] „Die Sündenvergebung und die Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott bringen den Erlass der ewigen Sündenstrafen mit sich. Zeitliche Sündenstrafen verbleiben jedoch.“ (KKK 1473)

[3] „Jede Sünde verursacht eine Störung der Weltordnung, die von Gott in seiner unaussprechlichen Weisheit und unendlichen Liebe verfügt worden ist. Sie verursacht die Zerstörung unermesslicher Güter sowohl in Bezug auf den Sünder selbst, als auch in Bezug auf die menschliche Gemeinschaft.“ (ID 2)

[4] Es ist erforderlich, dass alle Güter, sowohl persönlicher als auch gesellschaftlicher und die Weltordnung umpannender Art, welche durch die Sünde herabgesetzt oder zerstört wurden, vollkommen wiederhergestellt werden, sei es durch freiwillige Wiedergutmachung, welche nicht schmerzlos sein wird, sei es durch die Annahme der Strafen, die Gott in seiner gerechten und heiligen Weisheit bestimmen mag.“ (ID 3)

[5] Vgl. KKK 1472.

[6] Vgl. KKK 1473.

[7] Vgl. KKK 1472.

[8] KKK 1472. Vgl. Concilio di Trento, Denz. -Schönm., 1712-1713; 1820.

[9] Vgl. ID 9.

[10] Man wächst im geistlichen Leben nicht nur durch die guten Werke, die man verrichtet, sondern auch dadurch, dass man sich vom Bösen abkehrt.

[11] „Der Christ, der sich mit der Gnade Gottes von seiner Sünde zu läutern und sich zu heiligen sucht, steht nicht allein.“ (KKK 1474). Vgl. ID 5

[12] Vgl. ID 5; KKK 1474-1475.

[13] ID 5.

[14] Vgl. KKK 1476

[15] KKK 1475

[16] Vgl. ID 8.1-12.