Der
Priester und die Sakrale Kunst
Mons.
Timothy Verdon*
Die Sakrale Kunst dient
dem Priester in seinem Leben als Mensch und als Christ, wie auch bei seinem
priesterlichen Dienst. Auf den einen wie auf den anderen Bereich ihres Nutzens
hat in der Tat der Heilige Vater, Benedikt XVI. in seinem Nachsynodalen
Apostolischen Schreiben Sacramentum
Caritatis aus dem Jahr 2007 hingewiesen, indem er die künstlerische
Schönheit als „eine Art und Weise” bezeichnete, „wie die Wahrheit der Liebe
Gottes in Christus uns erreicht (Abschnitt 35)” und indem er „die innere
Verbindung von Schönheit und Liturgie” unterstrich. In diesem Zusammenhang
schreibt der Papst: „darum ist es unverzichtbar, daß zur Ausbildung der
Seminaristen und der Priester als wichtige Disziplin die Kunstgeschichte
gehört, mit einem besonderen Verweis auf die kultischen Bauten im Licht der
liturgischen Vorschriften.“ (Abschnitt 41).
Diese Worte sind Teil der tausendjährigen
katholischen Tradition, die stets die Funktion der Kunst beim spirituellen Wachstum
der Gläubigen und bei der pastoralen Sendung der Kirche gefördert, erklärt und
gelegentlich, wenn nötig, verteidigt hat. Bereits am Ende der patristischen Ära
hat Gregor der Große die Erfahrung der ersten Christen in Begriffen, die die
Tradition mit dem Ausdruck ‘Biblia
pauperum’, ´Bibel der Armen,’ zusammengefaßt hat, wieder aufgegriffen; in
einem Brief an einen ikonoklastischen Bischof unterstrich er den eigentlichen
spirituellen Zweck sakraler Bilder. „Eine Sache ist es, ein Gemälde anzubeten,
eine andere, aus einer in einem Gemälde dargestellten Szene, die zur Anbetung
inspiriert, zu lernen“, schrieb er und fügte hinzu, „die brüderliche
Gemeinschaft der Priester ist dazu angehalten, die Gläubigen zu ermahnen, damit
diese sich so, angesichts des in der Szene dargestellten Geschehens voller
Zerknirschung demütig anbetend vor der einzigen Heiligsten Dreifaltigkeit
niederwerfen“ (Brief an Serenus, Bischof von Marseilles (Epistola Sereno episcopo massiliensi, 2,10). In demselben Geist hat
in unsrer Zeit Papst Paul VI. auf die enge Verwandtschaft/Affinität zwischen
der Arbeit des Priesters und der des Künstlers hingewiesen: „Wir haben eine
große Hochachtung vor dem Künstler“, sagte er bei einer Audienz am 7. Mai 1964.
„Er erfüllt einen Dienst, der den des Priesters begleitet. Unser Dienst ist der
Dienst an den Geheimnissen Gottes, sein Dienst besteht in dem menschlichen
Zusammenwirken, das diese Geheimnisse vergegenwärtigt und zugänglich macht.“
Und in dem Dokument, das das bei weitem wichtigste auf diesem Gebiet ist, dem Brief an die Künstler von Johannes Paul
dem II. aus dem Jahr 1999, wird das Thema mit der Bekräftigung ins Gedächtnis
gerufen, daß „die Kirche die Kunst braucht, um die Botschaft weiterzugeben, die
ihr von Christus anvertraut wurde. Denn die Kirche soll die Welt des Geistes,
des Unsichtbaren, die Welt Gottes wahrnehmbar, ja, so weit als möglich
faszinierend machen.“ (Abschnitt 12).
Diese lehramtlichen Texte bilden den Hintergrund
der Wertschätzung des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Joseph
Ratzinger, die dieser in Abschnitt 5 der Einleitung zum Kompendium des
Katechismus der Katholischen Kirche zum Ausdruck gebracht und
das er selbst mit einer Auswahl von Bildern verschiedener Epochen und
Kulturen ausgestattet hat. Der jetzige Papst bemerkte: „Die Künstler jeder Zeit
haben die herausragenden Ereignisse des Heilsmysteriums den Gläubigen zum
Betrachten und Bestaunen dargeboten und sie im Glanz der Farbe und in der
Vollkommenheit der Schönheit zur Darstellung gebracht”, und er schließt im Ton
des Seelsorgers, indem er die Rolle der Kunst in der Vergangenheit beschreibt:
„Dies ist ein Zeichen dafür, dass das sakrale Bild in der visuellen Kultur von
heute viel mehr als das Wort auszudrücken vermag, weil es in seiner
Lebendigkeit die Botschaft des Evangeliums äußerst wirksam zur Sprache bringt
und weitergibt.“
Der Priester, dessen persönliche und von seiner
Berufung bestimmte Spiritualität mit den sakramentalen Zeichen, die er
vollführt, verbunden ist, erfaßt leicht den Zusammenhang zwischen der
sichtbaren Kunst und dem christlichen Glauben. Er weiß, daß sich in Jesus
Christus das Wort Gottes sichtbar gemacht hat, indem Er selbst das „Bild des
unsichtbaren Gottes“ wurde (Kolosser 1,15), und er versteht daher, daß die
Rolle der menschlichen Bilder im Leben der Christen in gewisser Analogie zu der
des menschgewordenen Wortes in der Geschichte steht. „Es gab eine Zeit, in der
man sich kein Bild von einem Gott ohne Körper und ohne leiblichen Umriß machen
konnte“, bemerkt der Heilige Johannes Damascenus, indem er an das
alttestamentliche Verbot jeglicher Darstellung der Gottheit erinnert. „Aber
jetzt [so fährt er fort] ist Gott im Fleische sichtbar geworden und hat sich
mit dem Leben der Menschen vermischt, so daß es erlaubt ist, von Gott in dem
Maße, wie er sichtbar geworden ist, ein Bild zu machen” (Diskurs über die Bilder 1,16). Aus diesem Werk des 8. Jahrhunderts
zitierend schreibt Johannes Paul II. im Jahr 1987: “Die Kunst der Kirche muß
darauf bedacht sein, mit den Elementen der Materie in der Sprache der
Inkarnation zu sprechen und den darzustellen, der sich herabgelassen hat, in
der Materie zu wohnen und durch die Materie unsere Erlösung zu wirken.” (Duodecimum saeculum, Abschnitt. 12).
Auch wenn wir noch den Begriff ‘Bibel der Armen’
verwenden, handelt es sich nicht nur um eine Frage didaktischer Bilder, die
unter besonderen Umständen den geschriebenen Text ersetzen. Vielmehr kann das
Bild, nach katholischer Auffassung, die innerste ethische und spirituelle
Wirklichkeit der Person anrühren. „Unsere authentischste Tradition, die wir
vollkommen mit den orthodoxen Brüdern teilen,” schrieb Johannes Paul II.
weiter, “lehrt uns, daß die Sprache der Schönheit, wenn sie in den Dienst des
Glaubens gestellt wird, das Herz der Menschen dazu gewinnen kann, den, den wir
in den Bildern darzustellen wagen, von innen her kennenzulernen, Jesus
Christus” (Ibid. Abschnitt 11). In
einem parallelen Dokument, das ebenfalls aus dem Jahr 1987 stammt, stellt der
Patriarch Dimitrios I. von Konstantinopel fest, daß „das Bild in der orthodoxen
Tradition (...) zur mächtigsten Form
wird, die sich die Dogmen und die Predigten zu Hilfe nehmen“ (Enzyklika über die theologische Bedeutung
der Ikone, 14.9.1987).
So hat in der Tat in der einen und der anderen
Tradition – in der Kirche des Ostens und der des Westens –
die Verwendung sakraler Bilder in Verbindung mit der Liturgie
Jahrhunderte hindurch dazu gedient, die besondere Beziehung auszudrücken, die,
dank der Menschwerdung Christi, zwischen „Zeichen“ und „Wirklichkeit“ im
Inneren der sakramentalen Ökonomie besteht. Eine solche Beziehung scheint in
der Tat in jedem Werk auf, das der Mensch mit der Liturgie, dem cultus divinus,
in Verbindung bringt: angefangen von den sakralen Gefäßen und Gewändern bis hin
zu den monumentalsten architektonischen Konstruktionen; denn die Verwendung der
Dinge in der Liturgie der Kirche enthüllt und aktualisiert stets die Berufung
der infrahumanen Welt, der Welt unterhalb des Menschen (also der Tiere,
Pflanzen und Dinge), die berufen ist, durch die Vermittlung des Menschen Gott
die Ehre zu geben. Noch mehr jedoch als von den Dingen spricht die Kunst von
den Männern und Frauen, die sie (die Kunst) geschaffen haben; denn - wie die
toskanischen Bischöfe in einer Pastoralnote aus dem Jahr 1997 feststellen - in
der Art, wie sie die Materie ‘verwandeln’, „enthüllen die Künstler mit Hilfe
der Analogie (per analogiam) die Struktur ihrer persönlichen Kreativität, die
Art wie jeder Mann und jede Frau das eigene Leben projiziert, modelliert und
färbt, um Gott und dem Nächsten besser zu dienen” (Das göttliche Leben hat sich sichtbar gemacht. Die Kommunikation
zwischen Glaube und Kunst, Abschnitt 12). Johannes Paul II. wird diese
Beobachtungen unter dem ethischem Blickwinkel des einzelnen Künstlers
betrachten, indem er schreibt: „wer in
sich diesen göttlichen Funken der künstlerischen Berufung …spürt, nimmt
gleichzeitig die Verpflichtung wahr,
dieses Talent nicht zu vergeuden sondern zu entfalten, um es in den Dienst
des Nächsten und der ganzen Menschheit zu stellen (Brief an die Künstler Abschnitt 3). Mit silbernen Tonnuancen und
leuchtenden Farben erquickt die Erfahrung des Künstlers, in dem „das Bestreben,
seinem Leben einen Sinn zu geben, einhergeht mit der flüchtigen Wahrnehmung der
Schönheit und der geheimnisvollen Einheit der Dinge“. Er (Johannes Paul II.)
sieht durchaus die von allen Künstlern geteilte Frustration angesichts „des
unüberwindlichen Unterschieds, der zwischen dem noch so gelungenen Werk ihrer Hände und der am Höhepunkt des
schöpferischen Aktes wahrgenommenen überwältigenden Vollkommenheit der
Schönheit besteht“, von deren Glanz das tatsächlich gemalte oder gemeißelte
Werk nur ein Schimmer ist. Aber er teilt auch die Verzückung des Glaubenden
angesichts eines Meisterwerks der Kunst, wenn er erklärt: „Er (der gläubige
Künstler) weiß, dass er für einen Augenblick an jenem Abgrund an Licht stehen
durfte, der in Gott seine Urquelle hat” (Abschnitt 6).
So konnte bereits Paul VI. – in seiner Ansprache
an die Dichter, Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten, Musiker,
Schauspieler auf der Bühne und im Film am Schluss des Zweiten Vatikanischen
Konzils sagen: “Die Kirche hat sich seit langem mit euch verbündet. Ihr habt
ihre Tempel erbaut und ausgeschmückt, ihre Dogmen gefeiert, ihre Liturgie bereichert.
Ihr habt ihr dabei geholfen, ihre göttliche Botschaft in die Sprache der Formen
und Gestalten zu übersetzen, um die unsichtbare Welt wahrnehmbar zu machen. Die
Kirche braucht euch, heute wie gestern, und sie wendet sich euch zu. Sie sagt
euch durch unsere Stimme: lasst nicht zu, dass ein Bündnis, das so fruchtbar
wie kein anderes ist, zerbricht! Weigert euch nicht, eure Talente in den Dienst
der göttlichen Wahrheit zu stellen. Verschließt euren Geist nicht vor dem Atem
des Göttlichen Geistes! Diese Welt, in der wir leben, braucht die Schönheit, um
nicht in der Verzweiflung zu versinken. Es ist die Schönheit, die, wie die
Wahrheit, Freude in das Herz der Menschen bringt, und sie ist die kostbare
Frucht, die der Abnutzung durch die Zeit Widerstand leistet, die Generationen
vereinigt und sie in gemeinsamem Staunen verbindet…” (Botschaften des Konzils an die Menschheit, den 8. Dezember 1965).
Der Priester soll also auf die Künstler zugehen,
sie kennen lernen und von ihnen lernen. Auf ihre eigene Weise sind sie immer
Männer und Frauen ‚des Glaubens’ – auch wenn sie so tun, als wären sie es nicht
– sie sind es, weil sie Dinge schaffen. Der
Glaube ist schöpferisch, er bringt Werke hervor, und „wenn er keine Werke
hervorbringt, ist er in sich selbst tot“ (vgl. Gen. 2,17), wie eine geniale
Idee, die der Künstler nicht in ein Gemälde oder eine Statue umsetzt. Auch ist
der Glaube für die Künstler vertrautes Terrain, wo sie doch Tag für Tag
Strapazen auf sich nehmen, um Intuitionen und Ideen, Eindrücke und Beobachtungen
umzusetzen, indem sie sie in ‚Werken’ konkret werden lassen. Sie wissen wohl,
daß die einzige Art, sich zu vervollkommnen darin besteht, sich zu plagen, sich
ganz einzubringen, auf die Gefahr hin zu scheitern — Zeit, Materialien, Energie
zu vergeuden: ja bis hin zum Risiko, sich lächerlich zu machen. Besser als die
anderen verstehen sie, wie bei Abraham “der Glaube mit den Werken zusammen
arbeitete” und “durch die Werke vollkommen wurde“ (vgl. Gen. 22 1-18 ).
Aber die Künstler verstehen die Dynamik des
Glaubens auf einer noch viel wesentlicheren Ebene, indem sie sich mit dem „Risiko“ und „Leiden“ des
Urheber-Künstlers Gott selbst identifizieren. Sie erleben in der Form
innerlicher Hoffnung und Not und Leiden die Sehnsucht danach, eine flüchtige
Idee, eine einzigartige, mannigfaltige, feine, bewegliche, durchdringende
Vorstellung zum Ausdruck bringen zu können” ( vgl. Weisheit 7, 21 und 22), die
möglicherweise alles zusammenzufassen scheint, von dem der Künstler weiß, daß
er es in sich hat, und was er mit den anderen teilen will, ja muß, um sie mit
ihren Augen etwas sehen und betrachten und mit ihren Händen berühren zu lassen,
was in ihm „von Anfang an war“ (vgl.
Genesis 1,1). Es gibt wohl keinen Künstler, der sich nicht mit dem Schöpfer
identifiziert, der alles riskiert, um den Menschen das eigene „sichtbare Leben“
zu geben (vgl. 1. Johannesbrief 1,1-2).
Von den Künstlern kann der Priester
lernen, daß der Glaube in sich Kunst ist. Sicher, in erster Linie ist er Geschenk, aber ein Geschenk, das derjenige,
der es empfängt, wie jedes menschliche Talent entfalten muß. Ich spreche hier
nicht von ‚dem Glauben’ verstanden als System, als staunenswerte Summe der
Glaubenswahrheiten und Traditionen, sondern von dem Glaubensakt, dem Glaubenssprung, von dem Risiko, durch das man von einem aus Ursachen und
Wirkungen bestehenden Dasein, zu einem Leben gelangt, das als Kunst ausprobiert
wird, gelebt als inspiriertes Werk, offen für das ungeschuldet, spontan
Geschenkte, geleitet von der Gnade. Ursachen und Wirkungen können, leider,
Racheakte und Kriege fördern, indem sie den Menschen gefangen halten; die
Gnade, die ungeschuldet geschenkte Wahrheit ist, verzeiht und macht frei.
Diese Dinge sollte der Priester
wissen, wenn er betet, wenn er die Messe feiert, wenn er die Sünder mit Gott
versöhnt. Und, wenn Gott will, kann er sie auch von der Kunst und von den
Künstlern lernen.
·
Mons.
Timothy Verdon, Kanonikus der Metropolitana Fiorentina und Direktor des Ufficio
per la Catechesi attraverso l’Arte (Sekretariat für die Katechese mit Hilfe der
Kunst) der Erzdiözese Florenz, Konsultor der Päpstlichen Kommission für die
Kulturgüter.