Hl. Michael Garicoïts
Gründer der Genossenschaft der Priester des heiligsten Herzen Jesu
von Bétharram
(Bayonne 1797-1863)
Die Erziehung übt normalerweise einen
entscheidenden Einfluss auf die Ausrichtung des ganzen Lebens aus, wie die
Geschichte eines Heiligen aus dem Baskenland zeigt. «Schon im zartesten Alter
hatte der heilige Michael Garicoïts den Ruf des Herrn vernommen, ihm im
Priesteramt zu folgen. Das Heranreifen seiner Berufung und die Folgsamkeit, die
er bewies, lagen mit an der Aufmerksamkeit seiner Eltern, an ihrer Liebe und
der sittlichen und religiösen Erziehung, die er insbesondere dank der wachsamen
Fürsorge seiner Mutter empfangen hatte. In seinem spirituellen Werdegang nimmt
die Familie also einen bedeutenden Platz ein ... Durch sie hat der junge
Michael gelernt, sich dem Herrn zuzuwenden, Christus und seiner Kirche treu zu
sein. In unserer Zeit, in der die Werte der Ehe und Familie oft verspottet
werden, bleibt die Familie Garicoïts ein Vorbild für Paare und Erzieher, die
dafür Verantwortung tragen, den Sinn des Lebens weiterzuvermitteln, auf die
Größe der menschlichen Liebe aufmerksam zu machen sowie den Wunsch wachzurufen,
Christus zu begegnen und nachzufolgen» (Johannes-Paul II., 5. Juli 1997).
Verbrecher oder
Heiliger?
Michael kam am 15. April 1797 als
das Älteste der sechs Kinder von Arnaud Garicoïts und Gratianne Etchéverry in
Ibarra, einem kleinen Dorf in der Diözese Bayonne (im Südwesten Frankreichs),
zur Welt. Der Glaube dieser armen Familie war durch die Prüfungen der
Revolution gestärkt worden. Mehrere von den Anhängern der Revolution gejagte
Priester hatten bei den Garicoïts Zuflucht gefunden, bevor sie von Arnaud nach
Spanien geführt wurden. Michael ist nicht als Heiliger geboren worden; die
Erbsünde lastet auf uns allen. Er sagte später: «Ohne meine Mutter wäre ich ein
Verbrecher geworden.» Von aufbrausendem Temperament und von
überdurchschnittlicher Körperkraft, gab er sich gerne kampflustig und
gewalttätig. Er war erst vier Jahre alt, als er in das Haus eines Nachbarn
ging, mit einem Stein nach einer Frau warf, die er im Verdacht hatte, seiner
Mutter wehgetan zu haben, und dann wie der Blitz davonlief. «Ich war erst
sieben Jahre alt», berichtete er, «da riss ich meinem zwei Jahre jüngeren
Bruder einen schönen Apfel aus der Hand. Ich glaubte gewiss nicht, etwas Böses
getan zu haben; doch auf ihre Vorhaltung hin, 'Wärst du zufrieden, wenn man dir
das angetan hätte?', biss ich mir auf die Lippen, und der Gedanke, wir dürften
nichts tun, was wir nicht selbst von anderen angetan haben wollten, leuchtete
mir so sehr ein, dass weder er noch diese ganzen Umstände je in meiner
Erinnerung verblasst sind.»
Um das schwierige Temperament
ihres Sohnes zu bessern, hielt ihm Gratianne keine langen Predigten, sondern
lenkte sein Augenmerk von der sichtbaren auf die unsichtbare Welt weiter. Vor
den im Küchenherd bullernden Flammen sagte sie ihm: «Mein Sohn, in ein viel
schrecklicheres Feuer wird Gott die Kinder werfen, die eine Todsünde begehen.»
Das Kind zitterte an allen Gliedern, doch es zog daraus eine gesunde Lehre über
die Letzten Dinge sowie einen lebhaften Abscheu vor der Sünde. Viel öfter als
die Hölle kam allerdings in den Bemerkungen seiner Mutter der Himmel vor. Von
dem Wunsch beseelt, so bald wie möglich in den Himmel zu kommen, hatte Michael
eines Tages den Eindruck, er könne vom Gipfel des Hügels, an dem seine Herde
weidete, ganz leicht dorthin gelangen. Nachdem er den steilen Abhang
emporgeklettert war, merkte er, dass der Himmel immer noch so hoch hing wie
zuvor, doch er schien jetzt an einen anderen, höher gelegenen Gipfel zu stoßen;
und schon war er auf dem Wege zu diesem weiter entfernten Hügel. Und so ging er
von Hügel zu Hügel, verlief sich und musste die Nacht unter dem Sternenzelt
zubringen. Am nächsten Tag fand er den Rückweg, konnte seine Herde wieder
zusammentreiben und kehrte heim. Sein Lebenslang blieb die Sehnsucht nach dem
Himmel weiter tief in seinem Herzen verankert.
1806 wurde Michael auf die
Dorfschule geschickt; sein wacher Verstand und sein sicheres Gedächtnis machten
ihn rasch zum Klassenbesten. Doch schon 1809 wurde er von seinem Vater auf
einem Bauernhof als Knecht untergebracht, damit er Geld verdiente. Wenn er
seine Herde hinaustrieb, pflegte Michael stets ein Buch mitzunehmen, um sich
weiterzubilden. So machte er sich mit der Grammatik und dem Katechismus
vertraut. Erst zwei Jahre später erhielt er die Erlaubnis, den Leib Jesu
Christi zu empfangen. Von nun an dürstete es ihn in seiner Seele immer nach der
Eucharistie; als er später Priester geworden war, schrieb er: «Das ist der
starke Gott: Ohne Ihn welkt meine Seele dahin, sie leidet Durst ... Das ist der
lebendige Gott: Ohne Ihn sterbe ich ... Ich weine Tag und Nacht, wenn ich mich
von meinem Gott entfernt sehe... (vgl. Ps 41,4).»
Michael dachte, er könnte berufen
sein. Nach und nach begeisterte er sich für die Vorstellung, Priester zu
werden. 1813 kehrte er zu seinen Eltern zurück und gestand ihnen seine Absicht.
Er stieß damit jedoch auf Ablehnung, da die Armut der Familie eine Beteiligung
an den Studienkosten nicht zuließ. Der junge Mann wandte sich daraufhin an
seine Großmutter, die zunächst die Eltern überzeugte und dann rund zwanzig
Kilometer weit nach Saint-Palais marschierte, wo ein Priester lebte, den sie
gut kannte. Sie überredete ihn, Michael bei sich aufzunehmen und am Unterricht
des Kollegs teilnehmen zu lassen. Der junge Student führte im Pfarrhaus ein
hartes Leben: Er musste neben dem Studium zahlreiche häusliche Pflichten
erledigen. Doch dank seines heroischen Eifers, der in seinem Temperament
begründet war und der ihn ununterbrochen studieren ließ, ob unterwegs, beim
Essen oder auch in einem Teil der Nacht, erzielte er hervorragende Ergebnisse.
Nach drei Jahren in Saint-Palais wurde Michael nach Bayonne geschickt, wo er
neben seinem intensiven Studium an der Schule von Saint-Léon in den Diensten
des Bistums stand. Seine Bemühungen, sein Temperament zu zügeln und sich seinem
Nächsten zu widmen, bewirkten einen bemerkenswerten Wandel in ihm. Er berichtet
selbst von einer Folge seines Betragens: «Im Hause des Bischofs hatte ich oft unter
der schlechten Laune der Köchin zu leiden; ich rächte mich dafür, indem ich die
Töpfe und Pfannen fröhlich reinigte; am Ende verwandte sie ihre Freizeit und
ihre Sorgfalt darauf, meine Taschentücher zu flicken und meine Wäsche zu
waschen.»
Ein langsamer, aber
gründlicher Geist
1818 begann Michael in der
bischöflichen Schule von Aire-sur-l'Adour zu studieren und wechselte im
folgenden Jahr auf das Priesterseminar von Dax über. Seine Lehrer hielten ihn
zunächst für geistig langsam; doch schon bald merkten sie, dass er allen Fragen
auf den Grund ging und stets treffende Antworten gab. Schließlich wurde er am
20. Dezember 1823 zum Priester geweiht.
Zu Beginn des Jahres 1824 wurde
Michael zum Kaplan in Cambo ernannt. Der alte und gelähmte Gemeindepfarrer bürdete
dem jungen Vikar die ganze Last der Seelsorge auf. Dieser sagte mit einem
Lachen: «Wenn man mich ausgesucht hat, um hier zu sein, so lag das sicher an
meinen starken Schultern!» Kaplan Garicoïts gewann in kurzer Zeit die Herzen
seiner Pfarrkinder. Seine klaren und für alle verständlichen Predigten, beseelt
von der Liebe zu Gott und zu den Menschen, lockten mehr als einen seiner
Landsleute in die Kirche, die den Weg dorthin bereits vergessen hatten. Sein
Ruf verbreitete sich im ganzen französischen Baskenland, so dass er ganze Tage
im Beichtstuhl zubringen und mitunter dafür auch auf seine Mahlzeiten
verzichten musste. Er nahm sich persönlich der Unterweisung der Kinder im
Katechismus an, überzeugt, dass die Mission des Priesters darin bestehe, die Grundlagen
der christlichen Lehre zu vermitteln, und dass ein guter Katechismus für viele
Menschen die wichtigste christliche Erinnerung in ihrer Todesstunde bleibt.
Seine kräftige Konstitution gestattete ihm zahlreiche Bußübungen; an Festtagen
schloss er sich allerdings gern den Vergnügungen der Bevölkerung an und nahm an
baskischen Pelotepartien teil. Dann pflegte er sich in die Kirche
zurückzuziehen und lange vor dem Allerheiligsten zu beten.
Ende 1825 wurde Michael Garicoïts
zum Professor für Philosophie am Priesterseminar von Bétharram ernannt; er
wurde dort auch Verwalter. Sowohl der materielle als auch der spirituelle
Zustand des Seminars waren überaus bescheiden. Die an einen Hügel angebauten
Gebäude waren sehr feucht. Die Disziplin, der spirituelle Eifer und der Verlauf
der Studien ließen zu wünschen übrig, da der beinahe achtzigjährige
Seminarleiter nicht mehr die Kraft besaß, das Haus zu lenken. Pfarrer Garicoïts
war nach Bétharram entsandt worden, um eine dringend notwendig gewordene
Erneuerung in die Wege zu leiten. Seine Aufgabe war nicht leicht, doch seine
moralische Stärke sicherte ihm eine bedeutende Gefolgschaft unter den
Seminaristen und ermöglichte so die allmähliche Durchführung einer heilsamen
Reform. 1831 verstarb der Leiter des Seminars, und auf seinen Platz wurde
Michael Garicoïts berufen. Noch im selben Jahr beschloss der Bischof jedoch,
das Seminar nach Bayonne zu verlegen, und ließ zuerst die Philosophiestudenten
dorthin übersiedeln. Bald fand sich der frischgebackene Leiter von Bétharram
allein in den großen leeren Gebäuden wieder. Doch die Freude und sein Humor
verließen ihn nicht ...
Gutes tun und
abwarten
Die Gebäude des Seminars von
Bétharram grenzten an eine Wallfahrtsstätte, die seit dem 16. Jahrhundert der
seligsten Jungfrau Maria geweiht war und in der sich viele Wunder ereignet
hatten (Bétharram ist nur 20 km von Lourdes entfernt). Massenhaft kamen Leute
aus der ganzen Gegend, aber auch Pilger aus entfernteren Regionen, um dort die
Gottesmutter zu verehren. Pfarrer Garicoïts nutzte seine Verfügbarkeit für ein
ausgedehntes und fruchtbares Apostolat mittels der Beichte und der spirituellen
Führung. Seine Seelsorge erstreckte sich auch auf die Nonnen des Klosters Igon,
das er mehrmals pro Woche aufsuchte. Das vier Kilometer von Bétharram entfernte
Kloster beherbergte eine Gemeinschaft der Töchter vom Heiligen Kreuz, die einer
kurz zuvor von der heiligen Elisabeth Bichier des Ages gegründeten, dem
Volksapostolat geweihten Kongregation angehörte. Den Kontakten von Pfarrer
Garicoïts mit den Schwestern war es zu verdanken, dass er die spirituellen
Vorzüge und die apostolische Kraft des Ordenslebens zu schätzen lernte. Voller
Bewunderung für den heiligen Ignatius von Loyola und dessen Geistlichen
Exerzitien, wollte er selbst Jesuit werden. 1832 nahm er in Toulouse an von
Jesuitenpatres geleiteten Exerzitien teil. Als diese zu Ende gingen, sagte der
ihn betreuende Pater: «Gott will mehr von Ihnen, als dass Sie Jesuit werden ...
Sie sollten Ihrer ersten, wie ich glaube, vom Himmel kommenden Eingebung
folgen, und Sie werden der Vater einer mit uns verschwisterten religiösen
Familie werden. Bis es so weit ist, will Gott, dass Sie in Bétharram bleiben
und weiterhin die Ihnen obliegenden Ämter versehen. Tun Sie dort Gutes und
warten Sie ab.»
Pfarrer Garicoïts nahm seine
gewohnte Arbeit wieder auf, ohne den Gedanken an die Gründung einer
Ordensgemeinschaft aufzugeben, die vor allem der Unterweisung, der Erziehung,
der religiösen Bildung der arbeitenden und bäuerlichen Bevölkerung, aber auch
allen anderen Arten der Missionierung gewidmet sein sollte. Zu diesem Zweck
gewann er die Mitarbeit von drei Priestern. Der Bischof gewährte der kleinen
Gemeinschaft die Privilegien der Diözesanmissionare, die es bereits in
Hasparren, am anderen Ende der Diözese, gab. Nach und nach erweiterte sich die
Gemeinschaft um Novizen, die für das Priesteramt kandidierten, sowie um Brüder.
In Bétharram richtete Pater Garicoïts eine ständige «Mission» ein, um die
Betreuung der Wallfahrtskirche zu sichern, die Pilger zu empfangen, ihnen die
Beichte abzunehmen und um Exerzitien abzuhalten. Bei den Exerzitien gab er den
Teilnehmern das Buch der «Geistlichen Übungen» des heiligen Ignatius in die
Hand. Ausgehend von dem durch den heiligen Ignatius formulierten «Prinzip und
Fundament», wonach der Mensch dazu hin geschaffen ist, «Gott Unseren Herrn zu
loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine seine Seele zu retten»,
behauptete er: «Gott ewig zu besitzen, ist das höchste Gut des Menschen. Sein
schlimmstes Übel ist die ewige Verdammnis. Das sind zwei Ewigkeiten. Das
gegenwärtige Leben ist wie ein Weg, den wir in die eine oder in die andere
dieser beiden Ewigkeiten münden lassen können, wie wir möchten.»
«Kann man
befürchten, zu viel zu tun?»
Der heilige Michael Garicoïts
glaubte wie die ganze Kirche an die Existenz der Hölle. «Die Lehre der Kirche
sagt», mahnt uns der Katechismus der Katholischen Kirche, «dass es eine
Hölle gibt und dass sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der
Todsünde sterben, kommen sogleich nach dem Tod in die Unterwelt, wo sie die
Qualen der Hölle erleiden, 'das ewige Feuer'» (Katechismus, 1035). Im
Evangelium warnt uns Jesus des Öfteren vor der Hölle. Am Tage des Letzten
Gerichts wird er zu denen zu seiner Linken sprechen: Weicht vor mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel bereitet ist und seinen Engeln
... Und diese werden eingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das
ewige Leben (Mt 25,41-46). Diese Worte der Wahrheit selbst können uns nicht
täuschen; es wird demnach an jenem Tage Verdammte geben, die aus eigener Schuld
für immer verloren sind. Deswegen gab die eifrige Sorge Pater Garicoïts um das
Heil der Seelen diesem vor Liebe brennende Worte ein: «Am eigenen Heil und an
der eigenen Vervollkommnung zu arbeiten, am Heil und an der Vervollkommnung
unseres Nächsten zu arbeiten, das ist unser Element», sagte er zu seinen
Patres. «Setzen wir uns ganz und gar dafür ein, so heißt das für uns: Leben;
setzen wir uns nachlässig dafür ein, so heißt das: Verkümmern; setzen wir uns
gar nicht dafür ein, heißt das: Sterben. Dafür zu arbeiten, der Hölle zu
entgehen, in den Himmel zu kommen, die Seelen zu retten, die unseren Herrn so
viel gekostet haben, die der Teufel so sehr ins Verderben stürzen will, welche
Aufgabe! Erfordert sie nicht unsere ganze Sorgfalt? Kann man befürchten, zu
viel zu tun? Werden wir jemals genug tun? Niemals werden wir so viel tun, wie
der Teufel und die Welt, um sie zu verderben.»
Doch der «Heilige von Bétharram»
vergass keinen Aspekt der offenbarten Wahrheit. Er kannte die unerschöpfliche
Größe der göttlichen Barmherzigkeit für die, die sie empfangen wollen. Als er
einmal einen zum Tode verurteilten Verbrecher besuchte, sagte er ihm gleich:
«Mein Freund, Sie sind in einer schönen Lage; werfen Sie sich mit vollem
Vertrauen in den Schoß der göttlichen Barmherzigkeit. Sagen Sie: 'Mein Gott,
hab Erbarmen mit mir!' und Sie sind gerettet!» Er fügte hinzu: «Wenn ich eines
schönen Tages zwischen Bétharram und Igon in Todesgefahr geriete und ich mich
mit Todsünden beladen wüsste, ohne Beistand, ohne Beichtvater, so würde ich
mich kopfüber in die Arme der göttlichen Barmherzigkeit stürzen, und ich würde
mich gut aufgehoben wähnen.»
Zärtliche Liebe
überall
Einer seiner Confratres schrieb
über ihn: «Er war ebenso durchdrungen und überzeugt von der Güte Gottes wie vom
Elend des Menschen. Er konnte das Gefühl des Misstrauens Gott gegenüber
ebensowenig begreifen wie den Hochmut im Herzen des Menschen.» Seine Milde
schöpfte Michael Garicoïts in der Betrachtung Jesu: «Was predigt uns unser
Herr? Zärtliche Liebe überall: in seiner Fleischwerdung, in seiner heiligen
Kindheit, in der Passion, in seinem Heiligen Herzen, in seinem ganzen inneren
und äußeren Wesen, in seinen Worten, in seinen Blicken ... Was muss das Hauptmerkmal
unseres spirituellen Lebens sein? Die christliche Liebe. Ohne diese Liebe
werden wir niemals jenen Geist der Großherzigkeit haben, mit dem wir Gott
dienen müssen. Wir brauchen sie ebenso für unser inneres Leben und für unsere
Beziehungen zu Gott wie für unser äußeres Leben und unsere Beziehungen zu den
Menschen. Welche Gabe des Heiligen Geistes zielt besonders darauf ab, diese
Liebe zu vermitteln? Die Gabe der Frömmigkeit.»
Im 19. Jahrhundert setzte sich in
der katholischen Welt Frankreichs immer mehr die Einsicht durch, dass für die
Rechristianisierung des Landes nach der Revolution zunächst die Schule wieder
christlich gestaltet werden müsste. Von dieser Norwendigkeit überzeugt,
eröffnete Pater Garicoïts im November 1837 eine Grundschule in Bétharram,
ungeachtet des Widerstandes seitens einiger Mitglieder seiner Gemeinschaft, die
alle verfügbaren Kräfte der Missionsarbeit vorbehalten wollten. Der Erfolg
stellte sich sofort ein: Bald war die Anzahl der Schüler auf zweihundert
angewachsen. Für unseren Heiligen bedeutete Erziehung, «den Menschen zu formen
und in die Lage zu versetzen, eine in seinem Lebensrahmen nützliche und
ehrenwerte Laufbahn zu absolvieren und so durch die Erhöhung des gegenwärtigen
Lebens das ewige Leben vorzubereiten ... Die intellektuelle, moralische und
religiöse Erziehung ist das höchste menschliche Werk überhaupt; sie ist die
Fortsetzung des göttlichen Werks in seiner edelsten und erhabensten Dimension,
nämlich der Erschaffung der Seelen ... Die Erziehung prägt Schönheit, Vornehmheit,
Höflichkeit und Größe ein. Sie ist ein Weitergeben von Leben, Gnade und Licht.»
Ermutigt durch die wunderbare Verwandlung, die er bei den Schülern feststellte,
eröffnete bzw. übernahm der Ordensgründer mehrere Schulen in der Region.
Da er sich durch Angriffe von
Religionsfeinden verletzt fühlte und den Glauben in Schutz nehmen wollte,
bemühte sich Michael Garicoïts, die Seelen durch eine ernsthafte Unterweisung
in der Doktrin zu erleuchten; besonders viel Zeit verwandte er auf die
Apologetik, die Darlegung der Wahrheiten, auf die sich unser katholische Glaube
stützt. «Der Glaube an den einen Gott, der sich offenbart, findet Unterstützung
in den Schlussfolgerungen unseres Verstandes. Wenn wir überlegen, stellen wir
fest, dass es nicht an Beweisen für die Existenz Gottes mangelt. Diese Beweise
sind als streng logisch abgeleitete philosophische Darlegungen ausgearbeitet
worden. Doch sie können auch eine einfachere Form annehmen und sind als solche
jedem Menschen zugänglich, der verstehen möchte, was die ihn umgebende Welt
bedeutet» (Johannes-Paul II., 10. Juli 1985).
1838 bat Pater Garicoïts seinen
Bischof, mit seinen Gefährten die Verfassung der Jesuiten übernehmen zu dürfen.
Bischof Lacroix stimmte provisorisch zu, gab jedoch dann den Patres, die von da
an «Hilfspriester vom Heiligen Herzen Jesu» genannt wurden, eine neue, von ihm
selbst für sie ausgearbeitete Regel. Doch deren Text war überaus mangelhaft:
Die Gelübde wurden darin nicht in ihrer ganzen Tragweite anerkannt; der Bischof
behielt sich Amtsbefugnisse vor, die eigentlich dem Superior zugestanden hätten
... In seiner tiefen Demut und seinem Gehorsam unterwarf sich Pater Garicoïts
dennoch ohne jeden Vorbehalt. Manche unzulängliche Bestimmung der neuen Regel
führte allerdings innerhalb der Gemeinschaft zu Meinungsverschiedenheiten,
unter denen der Gründer bis zum Ende seines Lebens zu leiden hatte. Mehrmals
schilderte er seinem Bischof die Verworrenheit der Situation, doch ohne Erfolg.
Eines Tages, als er von einer Unterredung mit Bischof Lacroix heimkehrte, sagte
er ergriffen: «Wie schmerzhaft die Geburt einer Kongregation ist!» Erst in den
Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts und nach dem Tode des Gründers konnte
sich die neue Kongregation gemäß den Ansichten von Pater Garicoïts etablieren.
«Vorwärts! Auf in
den Himmel!»
Anlässlich seiner Reisen nach
Bayonne, um seinen Bischof zu treffen, besuchte Pater Garicoïts manchmal auch
seine alten Eltern. Er kam gegen Abend dort an, aß mit ihnen und verbrachte den
größten Teil der Nacht im Gespräch mit seinem Vater, dem er eine sehr lebhafte
Zuneigung entgegenbrachte, und dem zuliebe er sogar eine von dessen Pfeifen
rauchte. Dann kehrte er zu seiner aufreibenden Tätigkeit und seinem Hin- und
Herpendeln zwischen der Kongregation, den Schwestern von Igon, den Schulen, den
Missionsstationen und der Seelsorgerarbeit zurück. 1853 begann seine so robuste
Gesundheit nachzulassen, und er wurde vorübergehend durch einen Anfall von
Lähmung ans Bett gefesselt. 1859 kam es zu einem zweiten Anfall; er konnte sich
auch davon wie durch ein Wunder erholen und versicherte den Seinen: «Seid
beruhigt, es wird noch weitergehen, solange der liebe Gott es will.» In der
Fastenzeit 1863 lässt ein besonders schwerer Anfall auf sein bevorstehendes
Ende schließen. Immer noch voller Begeisterung, rief er den Schwestern von Igon
zu: «Gehen wir! Vorwärts! Auf in den Himmel! Wir müssen ins Paradies kommen!»
Am 14. Mai 1863, dem Himmelfahrtstag, verschied er mit den gemurmelten Worten:
«Hab Mitleid mit mir, Herr, in deiner großen Barmherzigkeit.»
«Vater, hier bin ich!» Dieser Ruf
entsprang dem Herzen des heiligen Michael Garicoïts. «Gott ist ein Vater»,
sagte er, «wir müssen uns letzten Endes seiner Liebe ergeben, wir müssen
antworten: 'Hier bin ich!'. Und er wird sein Kind augenblicklich aus der Wiege
des Elends heben und es überschwänglich in seine Arme schließen.» Um diese
Gnade für Sie und für alle, die Ihnen teuer sind, beten wir zum heiligen Josef
und zum heiligen Michael Garicoïts.
Dom Antoine Marie osb
http://www.clairval.com/lettres/de/2002/12/06/1041202.htm