«Versprichst Du mir und meinen Nachfolgern
Ehrfurcht und Gehorsam [filialem oboedientiam et reverentiam]?»
(Pontificale Romanum. De
Ordinatione Episcopi, presbyterorum et diaconorum,
editio typica altera , Typis
Polyglottis Vaticanis 1990)
Aus dem Vatikan, 18. November 2009
Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst!
Obwohl sie hierdurch nicht im Sinne eines feierlichen Gehorsamsgelübdes
gebunden sind, „versprechen“ die Kandidaten bei der Weihe dem eigenen Ordinarius
und seinen Nachfolgern im Amt „Ehrfurcht und Gehorsam“. Vom theologischen
Standpunkt aus betrachtet sind Gelübde und Versprechen nicht gleichzusetzen,
identisch ist aber in ihrer endgültigen und umfassenden Art die moralische
Verpflichtung, die aus ihnen hervorgeht, identisch auch das bereitwillige Stellen
des eigenen Willens unter den eines Anderen: nämlich den göttlichen Willen, der
sich durch die Vermittlung der Kirche offenbart.
In einer Zeit wie der heutigen, beherrscht von relativistischen und demokratischen
Denkmodellen, von verschiedenen Autonomievorstellungen und vom Freiheitsdenken,
wird ein solches Gehorsamsversprechen für die vorherrschende Mentalität immer
weniger verständlich. Nicht selten erscheint es als unter der Würde des
Menschen liegend und der menschlichen Freiheit widersprechend, so als ob man in
veralteten Schemen verharren würde, welche für eine Gesellschaft typisch sind,
die unfähig ist, in authentischem Maße mündig zu sein.
Wir, die wir den authentischen Gehorsam leben, wissen sehr wohl, dass dem
nicht so ist. Der Gehorsam richtet sich in der Kirche niemals gegen die Würde
und die Achtung der Person, er darf nie als ein Entzug der Verantwortung oder
als eine Entfremdung verstanden werden.
Im Ritus findet ein Eigenschaftswort Verwendung, das für das rechte
Verständnis dieses Versprechens von Wichtigkeit ist; der Gehorsam wird erst angesprochen,
nachdem von der Ehrfurcht die Rede war, welche wiederum als „kindlich“
bezeichnet wird. Nun ist der Begriff „Kind“ in allen Sprachen ein Wort, das
eine Beziehung beinhaltet und eben gerade die Beziehung zwischen Vater und Sohn
in sich schließt. Genau in diesem Beziehungszusammenhang ist der Gehorsam, den
wir abgelegt haben, zu verstehen. In diesem Kontext ist der Vater dazu berufen,
wahrhaft Vater zu sein, der Sohn wiederum ist dazu berufen, sein eigenes
Kindsein und die Schönheit der Vaterschaft, die auch ihm geschenkt ist,
anzuerkennen. Ähnlich wie im Bereich der Natur sucht sich auch hier keiner
seinen eigenen Vater aus, keiner wählt seine eigenen Kinder. So sind wir alle,
Vater und Söhne, gerufen, einander mit übernatürlichen Augen zu betrachten, uns
gegenseitig mit großer Barmherzigkeit und Achtung zu begegnen, das heißt mit
der Fähigkeit, im Blick auf den Anderen immer das gute Geheimnis gegenwärtig zu
haben, das ihn gezeugt hat und ihn letztlich stets erhält. Ehrfurcht bedeutet
tatsächlich einfach dies: im Blick auf eine bestimmte Person, einen Anderen
gegenwärtig zu haben!
Nur im Zusammenhang mit einer „kindlichen Ehrfurcht“ ist ein authentischer
Gehorsam möglich, der nicht bloß Anweisungen ausführt, eben gerade noch formell,
sondern leidenschaftlich, ganz und aufmerksam geleistet wird, der in
demjenigen, der ihn lebt, wirklich Früchte der Bekehrung und Früchte „neuen
Lebens“ hervorbringen kann.
Das Versprechen wird sowohl gegenüber dem Ordinarius, der die Priesterweihe
vornimmt, abgelegt, als auch gegenüber seinen „Nachfolgern“, denn die Kirche
scheut stets davor zurück, sich zu sehr auf bestimmte Personen festzulegen: im
Zentrum steht die Person, nicht jedoch deren subjektiver Charakter, welcher
nicht in Zusammenhang mit der historischen und theologischen Kraft und
Schönheit der Institution steht. Ja, auch in der Institution, die göttlichen
Ursprungs ist, wohnt der Geist. Die Institution ist von Natur aus charismatisch
und daher „bleibt man in der Wahrheit“, wenn man über die Zeit hinweg (Nachfolger)
frei an sie gebunden bleibt; man bleibt in Ihm, der in seinem lebendigen Leib,
der Kirche, aktiv und zugegen ist; man bleibt in der Schönheit der ununterbrochenen
Zeitspanne, der Jahrhunderte, die uns auf unzertrennliche Weise mit Christus
und den Aposteln verbindet.
Bitten wir die Magd des Herrn, diejenige, die auf beispielhafteste Weise
gehorsam war, diejenige, die in der Drangsal ihr: „Mir geschehe nach deinem
Wort“ wiederholte, um die Gnade eines frohen, prompten und im vollen Sinne kindlichen
Gehorsams; um einen Gehorsam, der uns von jedem Protagonismus befreit, einen
Gehorsam, der fähig ist, der Welt zu zeigen, das man Christus tatsächlich alles
geben kann und dabei die volle und authentische Selbstverwirklichung als Mensch
erlangt.
X Mauro Piacenza
Titularerzbischof von Victoriana
Sekretär