Der Heilige Enrique de Ossó

 

“ES LEBE JESUS, ALLES FÜR JESUS“

 

“Ich hatte das Glück, eine gute Seele zu haben“.

Damit bezieht sich Enrique de Ossó auf sich selber,  in kurzen, autobiographischen Notizen, die er mit fliegender Feder, im Gehorsam schreibt, als er noch sehr jung war. Und er hatte Recht, das so zu sagen. Gott gab ihm eine gute Seele, ein gutes Herz, gute Eltern…und Heinrich hat diese ihm geschenkten Gaben zum Reifen und Fruchtbringen gebracht. Er hatte kein leichtes Leben, aber er bewältigte die Enttäuschungen der  Jugendjahre wie auch die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Weiterführung der apostolischen Werke, die er, bereits Priester, begonnen hatte; damit verbunden erfährt er Neid, Verleumdungen und  Ungerechtigkeiten von Seiten der Vertreter der Kirche auch noch im reifen Alter, ja sogar bis zu seinem Sterben. Von all dem ging er im Glauben gestärkt hervor, die Hoffnung einzig auf Gott gerichtet, immer bereit, die Liebe zu leben und sie zu allen zu bringen, sogar zu seinen Gegnern und Kritikern. So werden Heilige geschmiedet.

 

In den  55 Jahren seines Lebens war er Lehrer und Katechist und vor allem Priester.  Ein Diözesanpriester, der sich verpflichtet wusste mit seiner Zeit und seinem nächsten Umfeld, aber immer auch mit einer weltweiten Vision, die, so ist man versucht zu sagen, sogar noch zu klein war für seinen sehnsüchtigen Wunsch, Jesus und seine Liebe bekannt zu machen.

Er hatte eine Lehrmeisterin für sein geistliches und apostolisches Leben: Teresa von Jesus. Man könnte sagen, dass ein Teil der gossen Heiligen von Avila sich in Enrique de Ossó  verkörpert hat und ihm den Gebetsgeist, die Liebe zu Jesus Christus und gleichsam als Frucht aus beidem, eine Menge von apostolischen Werken eingeflößt hat, die er im Laufe seines Lebens schaffen konnte.

 

Kindheit und Berufung

 

Der Geburtsort von Enrique de Ossó y Cervello ist Vinebre. Dieses winzige Dorf in der Provinz Tarragona / Spanien, liegt am Ufer des größten Flusses der iberischen Halbinsel, dem Ebro. Dieser bestimmt in gewisser Weise das Leben in der Umgebung, vor allem der Dörfer die, wie Vinebre, in der Nähe seiner Mündung liegen. Von seiner Familie sagt Heinrich: „Ich hatte gute Eltern und heilige Großeltern“.

Eine wertvolle Bemerkung.

 

Als er vierzehn Jahre war, starb seine Mutter an der Cholera. Enrique war am Boden zerstört. Seine Mutter hatte oft zu ihm gesagt: "Mein Sohn, wie glücklich wäre ich, wenn du Priester werden würdest“. Aber er antwortete immer gleich: „Nein! Ich will Lehrer werden!” Kurze Zeit später schickte ihn sein Vater nach Reus, wo er im größten Stoffkonzern der Stadt arbeiten sollte. Aber während Enrique hinter der Theke steht und Stoffe verkauft, denkt  er darüber nach, seinem Lebensweg eine andere Richtung zu geben. Eines schönen Tages übergibt er sein Kündigungsschreiben und macht sich auf den Weg zum Marienheiligtum Montserrat.             Dort, zu Füßen der “Virgen Morenita”, beschließt er seine Zukunft: "Ich habe meine Berufung gefunden… Ich will für immer Jesus gehören als sein Minister, sein Apostel, sein Missionär des Friedens und der Liebe!“

Und hier, in Montserrat, trifft er ein paar Tage später seinen Bruder, der zwischen ihm und seinem Vater vermittelt, damit ihm dieser erlaube, in das Seminar in Tortosa einzutreten.

 

Seminarist und Priester.

 

Um 1854 sind in Spanien die Gegebenheiten für jene, die sich der Sache Jesu Christi widmen wollen, nicht gerade gut. Die Seminare haben weder angemessene Strukturen noch erfüllen sie die Voraussetzungen für eine gediegene Ausbildung im spirituellen und theologischen Bereich. Enrique wohnt im Hause von Mosén Alabart, einem Diözesanpriester. Er hat einen ständigen Beichtvater in der Kathedrale, zu dem er regelmäßig kommt. Er studiert eifrig unter der Leitung von Dómine Sena. Dieser unterrichtet  ihn in der lateinischen Sprache und eröffnet ihm den Weg zu etwas noch viel Wichtigerem: die Kenntnis der heiligen Theresia von Jesus.

Im Jahre 1856 beginnt er mit dem Studium der Geisteswissenschaften. Zum Jahresabschluss scheint der Name Enrique de Ossó in Philosophie und Theologie jeweils mit der Note  MERITISSIMUS auf.

 

Enrique hat Talent zum Zeichnen; mit einer einfachen Rasierklinge schnitzt er hübsche Figuren in Holz. Er verfügt außerdem über eine hervorragende Singstimme. Damit nicht genug, gehört er zum Kreis der Konferenzen des heiligen Vinzenz von Paul, mit allen Verpflichtungen, die damit verbunden sind: Wöchentliche Konferenz, monatlicher Einkehrtag und Besuch bei den Armen, Woche für Woche. Damit kommt er mit den ganz Elenden von Tortosa in Berührung.

In den Sommerferien kehrt er nach Vinebre zurück, kommt heim in das wunderschöne Haus seines Vaters.  Dort betet er, hilft bei der Feldarbeit und während der Zeit, in der die anderen Siesta halten, versammelt er in den geräumigen, kühlen Kellern des Hauses die Kinder des Dorfes, um ihnen Katechismusunterricht zu geben. Auf diese Weise beginnt er sein Apostolat als Katechist und Lehrer. An den Nachmittagen geht er dann mit der Gruppe in der Nähe des Dorfes spazieren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihm die Kinder von Vinebre nachlaufen und Sommer für Sommer sehnsüchtig darauf warten, dass Enrique auf Ferien ins Dorf kommt.

 

Am Ende des dreijährigen Philosophiestudiums wünschen sowohl seine Vorgesetzten wie auch seine Familie, dass er das Studium im Seminar in Barcelona fortsetze. Dort immatrikuliert er sich denn für das Studienjahr 1860/1861 in Physik und Chemie bei einem außerordentlichen Professor: Dr. Jaime Arbós. Zwischen Enrique und Arbós entwickelt sich eine exzellente Freundschaft; Prof. Arbós ernennt den geschätzten Freund für einige Zeit zu seinem Assistenten. Die Familie des Studenten  hofft, dass er Karriere mache und  auf der Leiter der akademischen Ehren voranschreite. Doch Enriques einziges Interesse ist, sich gut auf das Priestertum vorzubereiten; nicht um selber zu glänzen, sondern um Jesus Christus zum Leuchten zu bringen.

 

Im Sommer geht er nach Benicasim, ein Dorf an der Küste in der nahe gelegenen Provinz Castellón, wo seine Onkel leben. Da kommt er nach dem anstrengenden Schuljahr wieder zu Kräften. Von Benicasim wandert er zu den nahen Bergen des Desierto de las Palmas“, wo die Karmeliter ein Kloster haben. In der

Gemeinschaft dieser Patres kann er neue geistige Kraft schöpfen. Er verbringt viele Tage in Gebet und Meditation in der Einsiedelei der heiligen Theresia. Diese befindet sich auf einer Berghöhe, von wo aus er in der Ferne das Meer sehen kann und einen Horizont, der so weit ist wie seine apostolischen Träume. Immer wieder zieht es ihn im Laufe seines Lebens dorthin.

 

Im September des Jahres 1861 ist Enrique wieder in Tortosa und studiert als Schüler im Seminar das erste Jahr Theologie. Einige Monate später wird in der Diözese ein neuer Bischof installiert: Don Benito Vilamitjana y Vila. Bald schon ist Enrique de Ossó für den Bischof nicht mehr einer unter vielen, sondern der Seminarist, dem er persönlich mit Freude und Hoffnung begegnet. Doch nach einigen Jahren ändert sich die Situation von Grund auf; es kommen Verleumdungen und das Kreuz.

 

Drei Jahre später kehrt Enrique nach Barcelona zurück, um dort, als interner Schüler, das dritte Jahr Theologie zu absolvieren. Das Seminar wird von Jesuiten, die sehr gute Mitarbeiter haben, hervorragend geleitet. Enrique bewundert den Rektor, P. Fermín Costa, aber ganz besonders  ist er beeindruckt von P. Joaquín Forn, ein bekannter Gelehrter, anerkannter Professor und guter geistlicher Vater; Enrique vertraut sich seiner Leitung an. Zusammenfassend kann man das dreijährige Theologiestudium, das er in Barcelona abgeschlossen hat, wie auch sein moralisches Befinden und seine Disziplin, als brillant bezeichnen. Wichtig für diesen Zeitraum ist auch die Stärkung der Freundschaften, die ein Leben lang währten: Sarda und Salvany,  Andrés Martorell, Casanovas, Manuel Domingo y Sol, Juan Bautista Altés…

 

Im Jahre 1866, nach dem Abschluss des Studiums in Barcelona, verlangt  Bischof Vilamitjana, dass de Ossó nach Tortosa zurückkomme. Er will vermeiden, dass Barcelona ihm den Seminaristen abspenstig macht, der  - der Bischof weiß das sehr wohl – außergewöhnlich ist. Am 26. Mai empfängt Enrique de Ossó in Tortosa die Subdiakonatsweihe und den bischöflichen Auftrag für die Professur in Physik im dortigen Seminar. Gleichzeitig setzt er das Studium der Theologie fort. Er schließt das Studienjahr mit den  höchsten Noten ab. In Barcelona, wo er sich der Prüfung in einer staatlichen Fakultät stellt, erwirbt den Titel “Bachelor of Arts”.

 

 

Schließlich, am 21.September 1867, weiht ihn der Bischof Vilamitjana in Tortosa zum Priester. Seine erste heilige Messe feiert er am 6.Oktober in Montserrat. Nun ist er Priester auf ewig.

 

Priester in Tortosa

 

Nach einigen Monaten, im September 1868, bricht in Spanien die Revolution aus, von den einen “Septemberrevolution” genannt, von den anderen “die Glorreiche”. Sie zwingt Königin Isabella ins Exil nach Frankreich zu gehen. Der Triumph  des Militärs, ganz offen antiklerikal, stellt neue Normen auf. Das Seminar in Tortosa wird beschlagnahmt und geschlossen, die Seminaristen werden nach Hause geschickt. Heinrich bleibt das ganze Jahr über in Vinebre. Sobald die Situation sich normalisiert, kommt er nach Tortosa zurück. Die Folgen der Revolution sind weiterhin spürbar, vor allem für die Kinder. Sie sind “wie Schafe ohne Hirten” und machen alles, was sie während des Jahres, ohne  Religion und ohne Ziel, gesehen und gehört haben. Man muss mit dem Religionsunterricht von neuem anfangen, Katecheten suchen und ihnen eine gediegene Ausbildung geben.

Der Bischof ernennt Enrique zum Hauptverantwortlichen für die Katechese in der Diözese.  Der Erfolg der Bemühungen ist sensationell. Dieselben Kinder, die vorher sangen “Es lebe die nationale Unabhängigkeit“, singen nun auf den Straßen von Tortosa das “Ave Maria”. In kurzer Zeit sind es schon mehr als 1200. Ossó ist ein guter Stratege, er weiß, dass die Kinder ihre Eltern leicht überzeugen: – “Durch die Kinder gewinnen wir die Männer“ –. So  gründet er einen Verein für die Unterweisung in der christlichen Glaubenslehre, den er selber leitet und motiviert; er organisiert. Er bildet dazu Gruppen, in denen Priester, Seminaristen und Laien zusammenarbeiten. Voraussetzung für alle ist, die Katechesen jederzeit und überall mit den Worten zu beginnen, die für immer das “Leitmotiv” in Enriques Apostolat sein werden: ES LEBE JESUS.

 

 

Mit einigen Seminaristen haben wir dieses heilige Werk begonnen und schon nach wenigen Tagen waren wir bei der Versammlung auf etwa fünfhundert Buben und Mädchen angewachsen. Der Erfolg dauerte weiter an, sodass bis zu Beginn der Ferien Organisation  rund achthundert Mitglieder zählte.

 

Im darauf folgenden Schuljahr, 1870/71, war die Teilnehmerzahl noch größer, denn die Organisation hatte sich gebessert. So kam es, dass beim Treffen anlässlich des Festes des heiligen Josef, wo alle acht Gruppen beim gemeinsamen Besuch zusammen kamen, um ihre Kinderherzen dem glorreichen Heiligen zu weihen, die Anwesenden schon an die 1200 zählten.[1]

 

Hier das einzige, unfehlbare Geheimnis, um in der heutigen Zeit die Erneuerung der Gesellschaft zu erreichen: in den Kindern die Unschuld  zu erhalten sowie den Glauben und die Liebe zur Religion zu stärken. Diese Kinder,  “Priester”, die ihr jetzt vernachlässigt und gleichgültig zuschaut, wie sie auf Straßen und Plätzen herumstrolchen und nur Lästerungen und perverse Lehren hören, wie sie das skandalös Beispiel sehen, sie werden einmal Eltern sein, sie werden die Geschicke einer Stadt, eines Volkes und  vielleicht sogar einer ganzen Nation in der Hand haben; und wenn sie in der Gottesfurcht erzogen werden, werden sie die Religion und die dafür Verantwortlichen lieben; sie werden ihre Kinder zur Ehrfurcht erziehen und die Ausübung des religiösen Leben wird neu aufblühen.[2]

 

Jahre später, im März 1876, beginnt er ein Apostolat für Kinder als Fortsetzung nach dem  Religionsunterricht; er gibt diesem kleinen Werk den Namen Kleine Herde des Jesuskindes.

 

Sein katechetisches Wirken, sein Buch Praktische Anleitung für den Religionslehrer, seine transzendente Vision bezüglich der Bedeutung des Religionsunterrichtes führten dazu, dass die Heilige Kongregation  im November 1998 San Enrique de Ossó y Cervelló zum Patron der Religionslehrer Spaniens ernannte. Verdienter Weise.  

 

Es ist überaus schwierig, das apostolische Werk des Priesters Ossó chronologisch zusammenzufassen. Es handelt sich um ein sehr weit gespanntes Wirken, um Arbeiten, die gleichzeitig und nebeneinander durchgeführt wurden und dermaßen umfangreich sind, dass sie sich nicht in der Kürze einiger weniger Seiten wiedergeben lassen.

 

Im Jahre 1870 gründet er einen kirchlichen Verein für die bäuerliche Jugend. 1871 erscheint eine Wochenzeitung mit dem Titel „Dorffreund“, als Antwort auf eine andere, antiklerikale mit dem Namen „Der Mensch“.

 

Im Oktober des Jahres 1872 erscheint die erste Nummer der Monats-Zeitschrift  “Theresia von Jesus”, die Enrique gründet und sein Leben lang redigiert. Nach   seinem Tod führt die Gemeinschaft der hl. Theresia  die Zeitschrift bis zum Jahre 2005 weiter unter dem Namen “Jesus Maestro”. Im gleichen Jahr 1872 veröffentlicht er die Bücher: Praktisches Handbuch des Religionslehrers; Der Geist der hl. Theresia und  Novene zum hl. Josef.

 

1873 ist eines seiner umfassendsten Jahre. Enrique gründet die Gemeinschaft der Töchter der Unbefleckten Empfängnis und der hl. Theresia von Jesus, um Frauen nach dem Vorbild Marias zu schulen; Frauen, die sich vom Geist und der Lehre der hl. Theresia von Jesus inspirieren lassen. Diese Frauen werden fähig sein,  „eine Welt der Heiligen“ aufzubauen.

Eine neue Charaktereigenschaft von Ossó beginnt sich zu zeigen: Sein Vertrauen in die Frau als  „Transformator“ der Gesellschaft.  Der Verein wächst und breitet sich in Cataluña, Valencia und Aragón aus wie Feuer. In einigen Monaten zählt er schon 700 Mitglieder.

Im Juli 1874 unterzeichnet er die Widmung seines Bestsellers: Eine Viertelstunde Gebet, eine Schule des Gebetes. Schon zu Lebzeiten des Autors hatte das Buch 15 Auflagen, in der Gegenwart wird es immer wieder neu aufgelegt, sodass es bereits 58 Auflagen erreicht hat. Im Jahre 1875 veröffentlicht de Ossó ein kleines Meditationsbuch für Kinder mit dem Titel ES LEBE JESUS.

 

1876 ist ein besonderes Jahr im Leben von Enrique de Ossó: Der Besuch der  Stätten, wo Theresia von Jesus gelebt hat und gestorben ist, ein Jahr vorher, hat seiner unerschöpflichen Kreativität neue Inspiration und Impulse  gegeben.

 

Im März unterschreibt er die Statuten für die Bruderschaft des hl. Josef, die er gegründet hat, „um die Männer zu Christus zu führen“. Zu gleicher Zeit gründet er für Kinder die Kleine Herde des Jesuskindes. Am 2.April - damals war es der Passions-Sonntag -  überwältigte ihn die Eingebung, dass er die Gesellschaft der hl. Theresia von  Jesus gründen müsse mit der Aufgabe, die Lehre und Liebe Jesu über die ganzen Welt auszubreiten durch Gebet, christliche Erziehung und  das Opfer des eigenen Lebens. Im gleichen Jahr schon verpflichten sich neun junge Frauen, diesen vom Gründer angegebenen Weg zu gehen. Sie kommen aus den Reihen des Vereins der Unbefleckten Mutter Gottes und Theresia von Jesus”. Die Gemeinschaft breitet sich noch zu Lebzeiten von Don Enrique in Spanien, Portugal, Amerika und Algier schnell aus. In den folgenden Jahren hat sie sich noch weiter ausdehnt.

 

1877 leitete Enrique de Ossó eine Wallfahrt mit überaus zahlreicher Beteiligung zu den Stätten der Theresia von Avila. Über 4.000 Pilger besuchen Avila und Alba de Tormes. In Salamanca legt er, in Zusammenarbeit mit anderen bedeutenden Mitgliedern der Bruderschaft, den Grund für die Universelle Theresianische Bruderschaft, um Tage später in Montserrat die Statuten für die Missionare der Heiligen Theresia von Jesus zu schreiben, die im Jahre 1882 veröffentlicht werden.

 

Im Jahre 1879  legen die ersten Schwestern der Gemeinschaft der Heiligen Theresa die einfachen Gelübde ab. Enrique widmet sich mit Leib und Seele der Schulung dieser Frauen, von denen er erwartet, dass sie die Welt verändern werden. Oft und oft geht er von Tortosa nach Tarragona, wo die erste Niederlassung ist. Er predigt, gibt geistliche Exerzitienkurse für die Jugend in verschiedenen Dörfern, begleitet die diversen religiösen Gruppen und schreibt unermüdlich für die Zeitschrift „Die Heilige Theresa von Jesus“. Er reist nach Portugal und nach Orán, um dort ebenfalls eine Gemeinschaft zu gründen. Zugleich arbeitet er, mit einigen kirchlichen Persönlichkeiten Spaniens,  an der Vorbereitung der „dreihundert Jahr Feier“ des Todes der heiligen Theresia.

 

Der unermüdliche Arbeitseifer von Enrique de Ossó hat seinen Sitz in einem mit Jesus Christus innig verbundenem Leben, auf dem er gegründet ist, und in der Lehre der Heiligen Theresa von Jesus.

 

Wie oft habe ich mich gefragt: Was tut sich in meinem Innern? Was spüre ich in meinem Herzen? Woher bekomme ich diese unwiderstehliche Kraft, die ich nie wahrgenommen hatte, die mich mit Gewalt antreibt, den Weg der Tugend zu erforschen und ihm, fest gestützt auf die starke Säule des Gebetes, zu folgen? Woher kommt es, dass ich mich angetrieben fühle zu größerer Zuneigung zu allem, was schön und groß ist in unserer Heimat, dass sie  ein nationales, religiöses Juwel sei? Was ist das? Woher kommt das? Nach einigem Überlegen antworte ich mir selber: All das ist das Werk der Mutter Theresia von Avila..[3]

 

Das tägliche Gebet, die geistlichen Exerzitien jeden Sommer, die ruhigen Einkehrtage in dem von ihm sehr verehrten Heiligtum Montserrat …. sind für ihn  eine unerschöpfliche Quelle des inneren Reichtums, der Erfahrung der gelebten Liebe Gottes, die in  apostolischen Werken zur Ausbreitung des Reiches Gottes ihren Ausdruck findet. Nur aus der Sicht des Gebetes kann man sich seine  unermüdliche Tätigkeit und seine tiefe Spiritualität erklären.

 

Das Kreuz …

Das Leben ist nie leicht. Aber im Leben der Auserwählten Gottes erscheint das Kreuz ganz sicher. Wohl wegen: „der Schüler ist nicht größer  als sein Meister“..

Enrique de Ossó hat das Kreuz in siebzehn langen Jahren erfahren, und in der Tat ist er gekreuzigt gestorben. Die Geschichte beginnt am 12. Oktober 1877, bei der Eröffnung des Klosters der Unbeschuhten Karmelitinnen, die auf Bitten von Enrique de Ossó nach Tortosa gekommen waren. 

 

Den Bauplatz für das geplante Kloster war von einer Frau  Don Enrique de Ossó und anderen befreundeten Priestern überlassen worden; der Konvent  wurde mit Geldbeträgen gebaut, die durch die Zeitschrift Santa Teresa de Avila  und den Fleiß Enriques zusammengekommen waren. Ein Jahr darauf, 1878, wird zur großen Freude des Bischofs, der befreundeten Priester und der Schwestern der „Gesellschaft der Heiligen Theresa“ neben dem Kloster der Grundstein gelegt zum Bau ihres Mutterhauses und des Noviziats.

 

Am 12 Oktober 1879, genau ein Jahr nachher, nimmt die Gemeinschaft der Schwestern das Gebäude, das noch im Bau ist, in Besitz  und beginnt, darin zu wohnen. Am darauf folgenden Tag präsentieren die Unbeschuhten Karmelitinnen einen Appell an das Vikariat von Tortosa wegen „schwerem Schaden,  den das Mutterhaus der Gesellschaft verursacht“. Damit beginnt ein lange währender Rechtsstreit, der sogar bis über den Tod von Enrique de Ossó hinaus andauert. Er geht erst zu Ende, nachdem das Mutterhaus niedergerissen und das Grundstück zurückgegeben wird.

 

Was ist passiert? Wie ging es nachher weiter? Die Vernunft und die Erfahrung beweisen, dass manche Menschen in ihren Neigungen sehr unbeständig sind und sich in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen. Andere wieder geben den Gefühlen des Neides nach, dem Schmerz über die Erfolge der anderen, dem Wunsch, den ersten Platz einzunehmen oder mehr Achtung zu genießen….

Manche sind feige und haben Angst, sich für die Menschen einzusetzen, die am Boden liegen; sie geben angesichts der Macht der Stärkeren nach. Oder aber sie pochen auf ihre Autorität, sogar im Widerspruch zu den fundamentalsten Prinzipien der Gerechtigkeit…. Einige Wenige, unehrlich und falsch, lassen Beweise verschwinden, fälschen Dokumente und tun unglaubliche Dinge, damit nicht die Gerechtigkeit, sondern ihre eigenen Interessen den Gewinn davon tragen.

 

Dies alles hat beim Prozess, besser gesagt, bei den Prozessen mitgespielt, die Enrique de Ossó im Laufe seiner letzten  sechzehn Lebensjahre geführt hat. Zuerst in der Diözese von Tortosa. Dann vor dem kirchlichen Gericht in Tarragona, anschließend vor dem Gericht in Madrid. Schließlich in der Rota in Rom.

 

Es klagen ihn die Karmelitinnen an, es klagen ihn einige von seinen Freunden an, sogar der Bischof klagt ihn an, sich angeeignet zu haben, was ihm nicht gehöre: das sehr umfangreiche Grundstück, auf dem sich das Kloster der Karmelitinnen, sowie das Mutterhaus und das Noviziat der Gesellschaft der Heiligen Theresia  befindet. Etwas völlig Unerklärliches.

Ossó legt immer wieder Berufung ein gegen die sich wiederholenden Urteilssprüche; nicht aus Sturheit, sondern weil er der Überzeugung ist, fremde Interessen und fremdes Gut verteidigen zu müssen: Das Recht, auf dem Grundstück bauen zu können (auf dem er persönlich seinerzeit gar nicht bauen wollte), und  die Beiträge der Schwestern der Gesellschaft, die man für die Errichtung des Gebäudes verwendet hatte.

Die Gegenseite hat die Macht in der Hand  und missbraucht sie. Sie beginnt,  Enrique und die Gesellschaft der Schwestern der hl. Theresia zu hassen. Ihre Wut bricht immer wieder durch, sowohl in verbalen Äußerungen wie in der Vorgangsweise, die ganz offensichtlich ungerecht ist, wie das Interdikt, dem das Mutterhaus und das Noviziat zwei Jahre lang unterstellt werden, zeigt. Bischof Vilamitjana, ein langjähriger Freund, der das apostolische Wirken von Enrique kennt und es immer gesegnet hat, der ihn ermutigt hatte weiter zu machen, wendet sich gegen ihn und geht so weit, die Sentenz des Gerichtes von Tarragona zugunsten von Don Enrique in betrügerischer Weise zu ändern, um sie gegen ihn zu verwenden. Kurz darauf verschwinden die Dokumente, die sowohl die Ehrlichkeit von Don Enrique und seine  Rechtschaffenheit, aber auch die Ungerechtigkeit seiner Ankläger  beweisen, in mysteriöser Weise bei den hohen Instanzen des Vatikans. Eine „schwarze Hand“ hinterlegt sie dort, wo niemand sie finden kann; sie werden erst ein knappes Jahrhundert später wieder entdeckt.

Die Rechtsanwälte verteidigen Enrique de Ossó und raten ihm, den Rechtsstreit vor das Zivilgericht zu bringen, wo er ihn ganz sicher gewinnen würde. Doch er tut das nie. Er kann die Kirche, die er von ganzem Herzen liebt, nicht vor der Öffentlichkeit bloßstellen.

Ein fast noch größeres Kreuz kommt dazu: Seine von ihm gegründete Gesellschaft der Heiligen Theresia von Jesus, die er über alles liebt, für die er alles gegeben hat,  in persönlicher Hinsicht und auch bezüglich seines Besitzes, will sich selbständig machen, und, da sie nicht die erforderlichen Voraussetzungen hat, erniedrigt sie sich zu völliger Ablehnung und geht in Opposition zu ihrem Vater und Gründer.

Enrique de Ossó hat ein paar Redeweisen, die nicht nur Phrasen sind, sondern die er gelebt hat, während das Kreuz auf seinen Schultern lastete: „Das alles ist der Widerspruch der Guten“. Und: „Kein Unglück kann uns schaden, solange wir uns nicht von der Sünde beherrschen lassen“. Er macht nicht die Erfahrung der Sünde, aber er fühlt großen Schmerz verbunden mit tiefem, innerem Frieden. Abgelehnt, vor das Gericht gestellt und verurteilt durch jemanden, den er über alles liebt: die Kirche und die Gesellschaft der Schwestern der hl. Theresia von Jesus.

In dieser Situation überrascht ihn 1896 der Tod. In diesen Jahren hat er sehr  viel geschrieben.  Außer den Beiträgen für die Zeitschrift Santa Teresa von Jesus, schreibt er: Andacht zu den sieben Sonntagen des hl. Josef; der Monat der hl. Theresia von Jesus; Novene zur hl. Theresia von Jesus; die Konstitutionen; Vorläufiger Studienplan und andere Schriften für die Gesellschaft der hl. Theresia von Jesus. Triduum zu Ehren der hl. Theresia von Jesus; Der 15.Tag jeden Monats zu Ehren der hl. Theresia; Richtlinien für die Töchter der Unbefleckten Empfängnis und Theresia von Jesus; Jugendschatz, ein Andachtsbüchlein; Drei Blumen für die Jungfrau von Montserrat; Katechismus der Arbeiter und der Reichen, entnommen dem Schreiben der Enzyklika von Leo XIII „De opificum conditione“; „Devoto Josefino“; Blumenstrauß des Christen; Der Schatz der Kindheit; Ein Monat in der Schule des Herzens Jesu; Normen f³r die Kleine Herde Jesu; Sieben Wohnungen im Herzen Jesu; Liebevolle Gabe an den hl. Franziskus von Sales; Maria an das Herz ihrer Kinder; Notizen oder Kleine Abhandlung des mystischen Lebens nach der Lehre der hl. Theresia von Jesus; Novene zum Heiligen Geist… 

Die Liste ist nicht vollständig; es fehlen noch einige kleine Broschüren, die ich nicht aufzähle, um nicht zu ermüden.

Am Ende seiner Kraft, in physischer und spiritueller Hinsicht, aber nie besiegt, zieht er sich im Jänner 1896 in den Konvent der Franziskaner in Gilet (Valencia) zurück.

In seinem Kopf und im Herzen hegt er noch eine Unmenge Projekte, die er  ausführen will, um den Leitspruch, der allen seinen Werken vorausging, lebendig zu erhalten: „ES LEBE JESUS. ALLES FÜR JESUS!“  Er ist sich dessen nicht bewusst , aber er hat schon alles für Jesus gegeben.  Das ALLES wird zur Wirklichkeit in der Nacht zum 27. Jänner. Erst kurze Zeit vorher hat er bei einem Franziskaner eine ausführliche, von Herzen kommende Beichte abgelegt. Ehe er sich zur Nachtruhe zurückzog, sagte er: „Welch ein herrlicher Himmel, lieber Mitbruder! Wenn er von außen schon so schön ist, wie wird er erst von innen sein?“  Wenige Stunden später holt ihn Gott, damit er den so schönen Himmel, nach dem er sich sehnte, schauen kann.

Wie ein Ordenspriester wird er im Friedhof der Franziskaner zur Ruhe gelegt: ohne Eigentum, „ohne nichts“. Auf die Nachricht hin kommen am nächsten Tag die Schwestern der Gesellschaft. 

Nach Jahren, als das Mutterhaus schon niedergerissen war und die Gesellschaft das neue Noviziat in Tortosa errichtet hat, überführen die Schwestern die sterblichen Reste ihres Gründervaters in die Kapelle des Hauses, wo sie heute ruhen.

Nach einem langen Selig- und Heiligsprechungsprozess, bei dem, wie durch ein Wunder, endlich die Dokumente zum Vorschein kommen, das Beweismaterial seiner absoluten Integrität, seiner selbstlosen Treue zur Gerechtigkeit und seine Liebe zur Kirche, wird Enrique de Ossó y Cervelló am 16. Juni 1993 von Papst Johannes Paul II.  in Madrid heilig gesprochen.

“Selig der Mann, der den Herrn fürchtet“.

Pilar Rodríguez Briz, stj

 

 

 

 



[1]Guía práctica del catequista, EEO I, pág. 30

[2]Guía práctica del catequista, EEO I, pág. 81

[3] RT nº 38 (1875) pág. 35