Theologischer Studientag
Aula Magna
Päpstliche
Lateran-Universität
Donnerstag,
11., und Freitag, 12. März 2010
» Treue Christi, Treue des Priesters «
Kultur ist
Ausdruck der Geschöpflichkeit und der Freiheit
Das
Zweite Vatikanische Konzil beschäftigt sich ausführlich mit der
Verhältnisbestimmung von Theologie und Kultur. In der Pastoralkonstitution über
die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spes, spricht sich das
Lehramt der Kirche für die richtige Förderung des kulturellen Fortschritts aus.
Greifen
die Konzilsväter damit den aufklärerischen Kulturbegriff auf, der in der Kultur
das Ideal einer voranschreitenden Entwicklung des Menschen sieht, die ihm
endlich zur Durchsetzung seiner so lange unterdrückten Selbstbestimmung
verhilft? Schließlich ist der Mensch das einzige Lebewesen in dieser Welt, das
seine Handlungen selbst bestimmen, sich an Zielen, Zwecken und Werten
orientieren kann. Er ist also von Natur aus auf Kultur abgestimmt, die ihn in
seiner Entwicklung weiterführt, um ihn aber gleichzeitig von der Natur
wegzuführen.[1]
Die
gefährlichen Konsequenzen einer isolierten „Erfolgskultur“ hat uns Darwins
Evolutionstheorie vor Augen gestellt. Gemeint ist dabei die Weltanschauung des
Evolutionismus als materialistisch-monistisches Weltbild und nicht die
empirische Wissenschaft von der Entstehung und Entwicklung des Lebens und
seiner Formen.[2] Der Mensch
ist auf Materie und Biologie reduziert, seine Entwicklung hängt vom Grad
technischer und kultureller Fertigkeiten ab. Jede Form einer metaphysischen und
transzendenten Rückbindung des Menschen an eine ihm übergeordnete Instanz ist
damit verloren gegangen. Kultur und technischer Fortschritt als anthropologische
Wertvorgabe?
Kultur
setzt Freiheit voraus. Sie stellt den Gestaltungsraum des Menschen dar, in dem
er seine bereits reflektierten geistigen Entschlüsse umsetzt. Diese Freiheit
ist spätestens seit der populären Aufklärung ein eigenständiger Sinnmechanismus,
ein individuell-subjektiver Gestaltungswille, der ein geschlossenes Weltbild
und eine bindende Norm, jenseits menschlicher Machbarkeit, ausschließt.
Es ist
aber gerade die Freiheit, die den Menschen zum kulturellen Wesen macht. Sie
darf den Menschen nicht zu der Meinung verführen, dass er ein Wesen ist ohne
Bindung und Verpflichtung oder ein Wesen ohne die Erkenntnis, dass seine
Grunddisposition in der Geschöpflichkeit liegt, die ihn immer wieder auf den
Ursprung und das Ziel allen Lebens, auf Gott verweist. Der geistigen Natur des
Menschen eignet der Bezug auf eine die Welt übersteigende Unendlichkeit. Liebe
will Ewigkeit. Darum wäre eine Beschränkung auf die Immanenz eine Destruktion
des Menschen. Der Mensch hat eine umfassende Berufung: die göttliche.[3]
Die
Freiheit ermöglicht es aber dem Menschen, Eindrücke, Sichtweisen und
Erfahrungen mit eigenen Augen zu sehen und einzuordnen und ihnen in der
Verarbeitung und geistigen Erschließung Gestalt zu geben: „Unter Kultur im allgemeinen versteht man alles, wodurch der Mensch
seine vielfältigen geistigen und körperlichen Anlagen ausbildet und entfaltet;
wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis und Arbeit zu unterwerfen sucht;
wodurch er das gesellschaftliche Leben in der Familie und in der ganzen bürgerlichen
Gesellschaft im moralischen und institutionellen Fortschritt menschlicher
gestaltet; wodurch er endlich seine großen geistigen Erfahrungen und Strebungen
im Lauf der Zeit in seinen Werken vergegenständlicht, mitteilt und ihnen Dauer
verleiht – zum Segen vieler, ja der ganzen Menschheit“ (GS 53).
Damit
ist zugleich ausgesagt, dass es gesellschaftliche
und ethnische Komponenten gibt, die
eine eigenständige ethnische und politische, künstlerische und literarische
Kultur herausbilden. Die individuellen Erfahrungen des Menschen sind ja
abhängig von seinen Lebensumständen, der Natur, der Geschichte des Landes und
des Volkes sowie der Religion: „So bildet
sich aus den überlieferten Einrichtungen ein jeder menschlichen Gemeinschaft
eigentümliches Erbe“ (GS 53).
Die Grenzen
der Kultur werden verwischt – Antinomien kultureller Vernetzung
Unter dem politischen – meist unter rein
wirtschaftlichen Aspekten geltenden - Stichwort „Globalisierung“ verbirgt sich
auch die Erkenntnis, dass die Kultur eines Landes nicht mehr geographisch
begrenzt bleibt. Der Austausch von Informationen, die hohe Mobilität und die
Vergemeinschaftung des Lebens fördern einen regen Austausch der kulturellen
Identitäten einzelner Regionen und Völker der Erde. Schaffen die jeweiligen
Kulturen Identität für den je eigenen Kulturraum, so sind diese zugleich
Botschafter und Kommunikationsrahmen mit der Welt. Der Kulturbegriff
besitzt die Möglichkeit gegenüber einer sozialen Segmentierung, politischer
Fraktionierung und kognitiver Pluralisierung eine integrierende Gesamtdeutung
menschlicher Wirklichkeit entfalten zu können.[4]
Die Gefahr bei einer Verschmelzung der Kulturen
liegt in der Auflösung spezifischer Elemente des Kulturraumes sowie in der
Aufgabe der kulturellen Identität. Regionale Kultur wird – oftmals zum Schaden
bestehender kultureller Charakteristika einer uniformen Massenkultur mit
synkretistischen Zügen geopfert. Exemplarisch seien hier die Anglizismen in den
europäischen Sprachen genannt. Überspitzt formuliert, kann Kultur zum Kampfbegriff
werden, mit dem die Repräsentanten einzelner Gruppen jeweils den Anspruch
erheben, die für die Gesellschaft insgesamt verbindlichen Normen zu
formulieren.
Andererseits bildet sich eine Art Identität der
ganzen Menschheit heraus, die in der Vielfalt kultureller Welten und
Lebensräume eine gemeinsame Grundlage für ein gelingendes Miteinander erkennt:
„So bildet sich allmählich eine universalere Form der menschlichen Kultur,
die die Einheit der Menschheit um so mehr fördert und zum Ausdruck bringt, je
besser sie die Besonderheiten der verschiedenen Kulturen achtet“ (GS 54).
Dem Kulturbegriff ist eigen, dass er gegenüber der
zunehmenden sozialen Segmentierung, der politischen Fraktionierung und der
kognitiven Pluralisierung eine integrierende Gesamtdeutung menschlicher
Wirklichkeit entfalten kann.
Interessant wird das zukünftige Nebeneinander (oder
Gegeneinander) einer sich zur Menschheitskultur emporschwingenden „neuen
Kultur“, die sich bestehendem kulturellen „Erbgut“ einzelner Völker und
Vergangenheiten gegenübersieht. Gerade in einem sich neu formierenden Europa
wird die Konkurrenz vorhandenen kulturellen Erbes (Traditionen, Geschichte,
Geisteskultur) der einzelnen europäischen Staaten mit einer europäischen
Gesamtkultur zum wohl spannendesten Kapitel der europäischen Einigung werden.
Freiheit
und Person
Freiheit
ist ein personales Moment im Menschen. Seinem Personsein ist es eigen, in
Freiheit sich für Gott zu entscheiden, sein Leben als Dienst an der Schöpfung
zu sehen und sich so als Mitarbeiter der Wahrheit zu verstehen. Die
Geschöpflichkeit ist die Grundlage der Fähigkeit der Selbstreflexion und der
geistig-rationalen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die den Menschen
umgibt. So erinnert gerade die Theologie daran, dass die Kultur auf die Gesamtentfaltung
der menschlichen Person, das Wohl der Gemeinschaft und die Realität der
gesamten menschlichen Gesellschaft ausgerichtet ist. Gerade der Priester kann
einen Beitrag dazu leisten, die Kulturen der verschiedenen Völker zu reinigen,
d.h. gegenüber drohenden Verführungen einer Unkultur
(etwa mangelnder Lebensschutz, Einschränkung von Rechten, Vergehen gegen die
Menschenrechte und die Würde der Person), die das Person-Sein des Menschen
einschränken, gefährden oder missachten:
„In der Person des Menschen selbst liegt
es begründet, dass sie nur durch Kultur, das heißt durch die entfaltende Pflege
der Güter und Werte der Natur, zur wahren und vollen Verwirklichung des
menschlichen Wesens gelangt.“
(GS 53)
Ebenso
sind heutige Kulturen in der Lage, Hilfestellungen zu geben, die bei der
Erkenntnis des Heils dienlich sein können, das in Jesus Christus geschichtlich
greifbar geworden ist und in die Welt gekommen ist. Die Pflege der
Naturwissenschaften, die unbedingte Sachlichkeit gegenüber der Wahrheit, den internationalen
Austausch, Verbesserung der medizinischen Situation und nicht zuletzt die
künstlerischen Arbeiten sind – wenn sie richtig gedeutet werden – bereits
Verweise auf die in Christus gerettete und erlöste Welt, insofern sie nicht zu
einer säkularen Autonomie des Menschen führen, die Gott ausblendet und wo sich
der Mensch selbst genügt.
Deshalb
ist es wichtig, dass die Priester den Gefahren eines reinen Phänomenalismus und
des Agnostizismus, wie sie oftmals der Methode der modernen Naturwissenschaften
und den Kulturwissenschaften eigen sind, mit dem unhintergehbaren Hinweis auf
die Personalität und der damit einhergehenden Unverfügbarkeit des Menschen
entgegnen.
Die Kirche
bewahrt und schafft Kultur
Immer
hat die Kirche, die Priester und die Theologie um die gestalterischen und
kulturschaffenden Elemente des Menschen gewusst. Über Jahrhunderte hinweg wurde
die Christianitas als eine Symbiose
von Kirche und Welt verstanden. Es ist ureigenste Aufgabe der Kirche, das
überlieferte kulturelle Erbe zu bewahren und zugleiche eine eigenständige
Kultur zu schaffen. Der vorbildliche Ausbau eines Schul- und Bildungswesens,
das schließlich in den Gründungen der mittelalterlichen Universitäten
gipfelte, sind sprechende Zeugen für den kulturellen Eifer der Kirche. Der
große John Henry Newman (1801-1890), den Papst Benedikt XVI. bald selig
sprechen wird, hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Theologie an den
Universitäten dem universalen Wissen verpflichtet ist. Gerade der
Nichtglaubende kann zudem einsehen, dass die Theologie eine große Menge von
historischem und kulturellen Wissensstoff enthält, einen außerordentlichen
Tiefgang der philosophischen Reflexion anbietet, so dass auch schon deshalb das
Ziel der Universität, nämlich ihre Ausrichtung auf die Gesamtheit des Wissens,
verfehlt wäre, wenn man die Theologie aus dem Fächerkanon der Universitäten
herausnehmen würde. Es wird aber auch bewusst, dass Kultur nicht nur auf
künstlerische Akzente basiert, sondern im Letzten getragen ist von der Bildung
und dem lebendig tradierten Wissen.[5]
Hier
ist auch das Thema Liturgie von
Bedeutung. Ohne Zweifel ist die Liturgie der Kirche (auch als Bestandteil der
theologischen Disziplinen) eine kulturschaffende Größe. Ihre Ausdrucksformen,
ihr Gesang, ihre Gebete und der Vollzug der liturgischen Handlungen sind, wenn
auch zunächst nur äußerlich betrachtet, Kultur.
Spezielle
musikalische Formen haben sich seit Jahrhunderten entwickelt (Gregorianik),
Gesten und Riten wurden zum Bestandteil zunächst der europäischen später dann
zu einer weltumspannenden Kultur. Aber der Ritus, der äußere Vollzug spiegelt
die inhaltliche Bestimmung wider. Der Gebetsschatz der Kirche, ihre
Gotteshäuser wurden zu sichtbaren Zeichen der Gegenwart Gottes unter den
Menschen. Ihre Existenz und ihr Leben ist Kultur in höchster Vollendung. Sie
drücken den Glauben auf sichtbare Weise aus in Wahrheit: „Geist in Welt“. Hier
ist die besondere Verantwortung des Priesters angesprochen. Die Liturgie ist
dem Priester vorgegeben und nicht der subjektiven Phantasie überlassen. Der
Schatz der Liturgie ist vorgegeben wie ein Geschenk des sich offenbarenden
Gottes im Mysterium, obliegt dem kirchlichen Lehramt und schafft gerade dadurch
Formen kultureller Sprache und künstlerischer Gestaltung.
Zu
einer gelingenden Kultur gehört auch der Umgang
mit den kranken und alten Menschen. Dient eine kulturelle Expansion dem
Wohlergehen der ganzen Menschheit, so ist es auch Pflicht die sittlichen
Maßstäbe im Umgang mit dem Einzelnen hervorzuheben. Zeichnet sich eine
Gesellschaft nicht gerade darin aus, wie sie mit den Unmündigen, den Kranken,
den Sterbenden umgeht? Werden diese Fragen nicht zur Richtschnur einer echten
Kultur – im Gegenüber zu einer Verrohung, bei der Leben nur dem zugesprochen
wird, der sich einer vorherrschenden Ideologie anpasst? (vgl.
Nationalsozialismus, Kommunismus)
Hier
sich der „Kultur des Todes“ entgegenzustellen, wie Papst Johannes Paul II. in
seiner Enzyklika Evangelium vitae, entspricht einer moralisch und
sittlich hochgestellten Kultur. Kultur
ist eben nicht nur greifbar in den architektonischen Monumenten vergangener und
gegenwärtiger Kunst, sondern muss sich messen lassen am Umgang der Menschen
miteinander.
So
kann die Pastoralkonstitution durchaus von der „Geburt eines neuen Humanismus“
(GS 55) sprechen.
Immer
wird der Mensch sich seiner Rolle als Gestalter und Schöpfer der Kultur seiner
Gemeinschaft bewusst. Verantwortlichkeit für die Belange des Menschen, seine
sittliche und geistige Reifung sind zu Schlüsselbegriffen in einer immer noch
gefahrvollen und kriegerischen Welt geworden. Der neue Humanismus, von dem die
Konstitution spricht, zielt auf eben die Verantwortung ab, die der Mensch für
seine Mitmenschen übernommen hat.
Auch
hier steht der Priester im Dienst des Menschen, des Lebens. Die persönliche Begegnung
mit den von der Gesellschaft oft vergessenen Menschen ist die Antwort auf ihre
Missachtung. Sie werden durch den Priester in ihrem Geschöpf-Sein angesprochen
und angenommen. So entsteht durch die seelsorgliche Arbeit mit eine Kultur des
Lebens, des Humanums.
Die kulturelle Vielfalt ist eine
Herausforderung
In der
Weise, wie die Kirche die Errungenschaften der einzelnen Kulturen mit
einbezieht in ihren Verkündigungsauftrag, darf sie selbst nicht ihre über alle
Kultur stehende Identität verlieren. Der Beitrag der Kirche zu einer
Bewältigung der Gegenwart wird oftmals unter dem bloßen Aspekt ihrer Kulturfähigkeit
und ihrer historischen Rolle als Brückenglied zwischen Neuzeit und Antike
gesehen.
Kulturen
eines Landes werden jedoch von der Kirche als Geschenk gesehen, das eingesetzt
wird, um die Botschaft Jesu Christi vom universalen Heilswillen, auch den
fremdesten und eigentümlichsten Kulturen zu vermitteln. Hier überspringt die
Universalität und die Endgültigkeit des Herren der Geschichte jede menschliche
Segmentierung und Isolierung in Nation, Tradition und Brauchtum.
Umgekehrt
stellt die Kirche eine Herausforderung und Bereicherung für fremde Kulturen
dar. Ihr universales – katholisches – Denken kann dadurch die menschliche Enge
des Denkens, das manchen Kulturen eigen ist, zu neuen Dimensionen und
weiterführenden Gedanken verhelfen. Keineswegs ist es so, dass die Kirche
vorgefundene Kulturen gleichsam „überrollt“ hätte. Im Gegenteil, es findet
manche nationale, politische oder kulturelle Partikulation erst ihr
eigentliches Wesen, wenn die Theologie und die Kirche den nötigen Horizont zur
Verfügung stellt. Darin liegt auch die Größe wie die Mühen der missionarischen
Arbeit, die von Priestern und Ordensleuten in der ganzen Welt geleistet wird.
Der Umgang mit dem kulturellen Erbe der Menschheit in den Ländern, wo sie ihren
Dienst verrichten, benötigt diese Weite und Toleranz ebenso wie die
unzerbrüchliche Treue zum Glauben, der verkündet wird.
Geistige
Mobilität durch die Theologie – Transzendenz als Bedingung für Kultur
Aber
gerade die Theologie ist eindrucksvolles Zeichen für die innovative und
überzeugende Kraft des kulturellen Fortschritts. Die geistige Reife und die
spekulative Dichte der Theologie in all ihren Facetten zeigt, dass es ihre
Kraft war, die den menschlichen Geist immer wieder angeregt hat, über seinen
bisher erreichten Stand nachzudenken.
Auch
hier wird deutlich, dass Kultur nicht eine materiell greifbare Konstante ist,
sondern durch vertiefende Reflexion, die geistige Mobilität erzeugt, die den
Menschen befähigt, sich selbst, seinen Glauben und seine Existenz vorwärts zu
führen.
Oder
hätten die Menschen und Völker jeweils eine Kultur, wenn ihnen eine Begegnung
mit Gott, der Transzendenz nicht möglich wäre? In der Konditionierung des Menschen
als Geschöpf und die damit verbundene Fähigkeit, sich auf dieses Angebot
des Heils einzulassen, also seine eigenen immanenten Grenzen zu
überspringen, liegt der Ursprung für jede Kultur.
Durch
die Theologie hat der Mensch mehr Einsicht in seinen Glauben. Die ganze
Geschichte der Theologie hindurch werden Schwerpunkte des Forschens
gesetzt. So sind etwa die ersten Jahrhunderte der theologischen Entwicklung
unumstößlich mit der Frage nach der wahren Gottheit und der wahren Menschheit
in Jesus Christus verknüpft. Die Jahrhunderte der Christologie erhellten das Geheimnis des Sohnes Gottes,
eröffneten neue Zugänge zu Christus und regten die Phantasie der Kunst und
deren kulturellen Ausdruck an. (vgl. die typisierenden Christusdarstellungen
der ersten Jahrhunderte).[6]
Die
Theologie und die Kirche dürfen jedoch nicht in der Kultur aufgehen Sie müssen
die Transzendenz des Menschen ermöglichen. Kultur gehört zur Sakramentalität
der Kirche. Sie ist Zeichen, Ausdruck und Medium der Kommunikation der Menschen
mit Gott aufgrund der Selbstoffenbarung Gottes in der Schöpfung, in der
Menschwerdung und in der eschatologischen Vollendung. Reduziert man die Theologie lediglich auf ein Objekt der
Kulturforschung, wird sie musealisiert und ihr v.a. das Recht abgesprochen
aktiv am kulturellen – und damit gesellschaftlichen und politischen – Leben
teilzunehmen. Die Gefangennahme in der Vergangenheit, ist letztlich eine
Amputation. Bezeichnet man von daher die Theologie als Kulturträger, so redet
man Schopenhauer das Wort, für den mit dem Fortschritt der Kultur das Absterben
der Religion einher geht.
In
dieser Perspektive wird deutlich, dass die Theologie wieder zum dynamischen
Motor der Gesellschaft (evtl. auch Politik) und der Geisteswelt unter den
Menschen werden muss, soll sie nicht zum Objekt der Kulturforscher werden, die
Archäologie und nicht Theologie betreiben.
Theologie
darf auch nicht von Kulturen abhängig gemacht werden. Sicherlich findet eine
gegenseitige Beeinflussung statt, die aber nicht zu einer Auflösung der Theologie
in die jeweilige Kultur hinein führen darf. Von der Kultur eines Landes
geprägte „Theologien“ soll es geben. Sie muss letztlich die Sprache der
angesprochenen Menschen sprechen, um sie zu erreichen. Damit würde sich ein
erneuter Themenkreis öffnen, der mit dem Stichwort Inkulturation verbunden ist, die aber immer die Universalität des
Heilswillens Gottes Rechnung tragen muss. Glaube, Wissenschaft und Gesellschaft
zusammenzudenken, ist auch heute noch die Aufgabe der Priester und aller
Theologen, die sich an den Instituten, Akademien und Universitäten der
Erkenntnis des Glaubens widmen.
Konsequenzen
(1)Die Priester müssen darauf
achten, dass sie für den Menschen das Recht auf Kultur bewahren. Diktatorische
Regime („Steinzeitkommunismus“ oder laizistische, sozialistische
Gesellschaftsmodelle) haben, um die Menschen – buchstäblich - zu brechen, ihnen
Literatur, Musik und Bildung genommen und ihnen damit einen wesentlichen Teil
ihres Mensch-Seins genommen. Gaudium et spes hat dies so formuliert: „Da jetzt die Möglichkeit gegeben ist, die
meisten Menschen aus dem Elend der Unwissenheit zu befreien, ist es heute eine
höchste Pflicht, vor allem für die Christen, tatkräftig darauf hinzuarbeiten,
dass in der Wirtschaft wie in der Politik, auf nationaler wie auf
internationaler Ebene Grundentscheidungen getroffen werden, durch die das Recht
aller auf menschliche und mitmenschliche Kultur auf der ganzen Welt anerkannt
wird und zur Verwirklichung kommt, ein Recht, das entsprechend der Würde der
menschlichen Person allen ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der
Nation, der Religion oder der sozialen Stellung zukommt.“ (GS 60) Theologie
und Kirche präsentieren sich dadurch in der Welt als Anwalt einer allen
Menschen eigenen Grundkultur.
(2)Die Zunahme der inhaltlichen
Erkenntnisse in den einzelnen Disziplinen kultureller Fertigkeiten macht eine
organische Gesamtschau aller Wissensgebiete unmöglich. Die Theologie kann von
daher auf die elementarste Vermittlung, auf die grundlegendste Ordnung der
Wirklichkeit verweisen: Die Familie ist der unmittelbarste Ort kultureller
Wertebeschreibung. In der Familie lernen die Kinder durch die liebende
Erziehung die erprobten Formen menschlicher Kultur. Hier liegen die
hoffnungsvollen Wurzeln einer gelingenden Kultur. Hier – in der Familie – wird
das grundgelegt, was später den Einsatz für die Kultur fördert. Die Erfahrung
von liebe ist das Herz aller Kultur und Humanität.
(3)Die Priester müssen sich mit
allen Feldern der Wissenschaft intensiv auseinandersetzen. Information, wissenschaftliche
Begegnung und persönliche Bekanntschaft sind tragfähige Säulen für die
Vermittlung der christlichen Werte für eine an der Botschaft Christi
orientierten Zukunft.
(4)Die Priester müssen sich am
kulturellen Leben einer Gesellschaft beteiligen, um ihre Vorstellungen einer
gelingenden Werte-, Bildungs,- und Kulturgesellschaft mit Nachdruck einbringen
zu können. Der Verweis auf die Transzendenz als Quelle aller Kultur hebt das
vollendete Werk über die konstruierten Grenzen menschlicher Enge.
(5)V.a. ist es Aufgabe der Theologie
den Begriff der Kultur mit dem Begriff der Person in Verbindung zu bringen.
Kultur findet nicht außerhalb der personalen Existenz des Menschen statt,
sondern ist Ausdruck seiner Freiheit, seiner Personalität und seines
Gottesbezugs. Dies kann nur gelingen, wenn eine Anthropologie entwickelt wird,
die sich klar als der Nährboden der wahren Kultur der Menschheit beschreiben
lässt.
(6)Kultur erwächst aus der
Lebensgemeinschaft des Menschen mit Gott. Von der Kreatürlichkeit her gestaltet
sich die personale Identität sowie die dem Menschen wesentlich zukommende
Eigenwirklichkeit, Eigenwertigkeit und seine Eigentätigkeit. Aber diese Kreatürlichkeit ist von Anfang nicht eine ins
Leere laufende Dynamik, der gegenüber sich Gott in einem zweiten, nur äußerlich
mit der Schöpfung verbundenen Akt rein positivistisch als Erfüllung gesetzt
hätte. Der Mensch wurde vielmehr von Gott geschaffen, indem er zugleich die
ursprüngliche Gerechtigkeit und Heiligkeit empfing und so schon in der Präsenz
Gottes auf den Weg einer geschichtlichen Verwirklichung seines Wesens verwiesen
war. Da der Mensch sein Wesen nur im Horizont von Zeit und Kontingenz gewinnen
oder verspielen kann, ist seine geschichtliche Verfassung auch der
ursprüngliche Ort der Annahme von Gnade in kreatürlicher Freiheit. Dadurch wird
die Welt als von Gott erschaffen zum Raum einer Kultur, die Gott als den
Urheber und Schöpfer aller Kreativität erkennen kann.
(7)Kultur erwächst aus dem
Schöpfungsauftrag, die Erde zu bebauen und zu pflegen. Höchste Form der Kultur
ereignet sich, wenn die Menschen versammelt in der Kirche Gottes Brot und Wein
zu Gott erheben, der sie uns verwandelt schenkt im Sakrament des Fleisches und
Blutes Jesu Christi als Speise und Trank zum ewigen Leben. Das eucharistische
Opfer, dargebracht durch den Dienst der Priester für das Volk und mit ihm, ist
höchste Erfüllung des Kulturauftrags an den Menschen. Das Sakrament der Kirche
ist Gipfel menschlicher Kultur und zugleich die Quelle aus der sie entspringt.
[1] Zum Themenkomplex Neuzeit, Moderne vgl. Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Basel 91965.
[2] Vgl. Mohammed Rassem, Heinrich Fries, Kultur, in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon Bd 3, Freiburg 71987, 746-757.
[3] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 22; Gerhard Ludwig Müller, Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg 82010, 126.
[4] Vgl. Christoph Schwöbel, Christlicher Glaube im Pluralismus. Studien zu einer Theologie der Kultur, Tübingen 2003.
[5] Vgl. John Henry Newman, Vom Wesen der Universität. Werke von John Henry Newman V, hrg. Von Matthias Laros, Werner Becker, Johannes Artz; dazu vgl. Gerhard Ludwig Müller, John Henry Newman. Vorzugsausgabe, Augsburg 2010, 80-101.
[6] Vgl. Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche 3 Bde, Freiburg 1979-1990; Louis Bouyer, Le fils
eternel. Théologie de la Parole de Dieu et christologie, Paris 1974.