GEBETSWACHE ANLÄSSLICH
DES INTERNATIONALEN PRIESTERTREFFENS
GESPRÄCH VON PAPST BENEDIKT XVI.
MIT DEN PRIESTERN
Petersplatz
Donnerstag 10. Juni 2010
Amerika:
Heiliger Vater, mein Name ist Don
José Eduardo Oliveira y Silva, und ich komme aus Amerika, genauer aus
Brasilien. Die Mehrheit von uns, die wir hier anwesend sind, ist in der
Gemeindepastoral eingesetzt, in der Pfarrei, und nicht nur in einer Gemeinde,
manchmal sind wir Pfarrer von mehreren Pfarreien oder flächenmäßig besonders
ausgedehnten Gemeinden. Mit allem guten Willen bemühen wir uns, Sorge zu tragen
für die Bedürfnisse einer stark veränderten Gesellschaft, die nicht mehr als
ganze christlich ist. Aber wir merken, daß unser »Tun« nicht ausreicht. Wohin
sollen wir gehen, Heiligkeit? In welche Richtung?
Benedikt XVI.: Liebe Freunde, vor allem
möchte ich meiner großen Freude Ausdruck verleihen, weil hier Priester aus
allen Teilen der Welt versammelt sind, in der Freude über unsere Berufung und
in der Bereitschaft, dem Herrn in dieser unserer Zeit mit all unseren Kräften
zu dienen. Nun aber zu Ihrer Frage: Ich weiß, daß es heute sehr schwer ist,
Pfarrer zu sein, auch und vor allem in Ländern, in denen das Christentum seit
früher Zeit verbreitet ist; die Pfarreien werden immer größer,
Seelsorgeeinheiten… Es ist unmöglich, alle zu kennen; es ist unmöglich all die Arbeit
zu tun, die man von einem Pfarrer erwartet.
Und so fragen wir uns wirklich,
wohin wir gehen sollen, wie Sie gesagt haben. Vor allem aber möchte ich sagen:
Ich weiß, daß es in der Welt sehr viele Pfarrer gibt, die wirklich ihre ganze
Kraft für die Evangelisierung einsetzen, für die Gegenwart des Herrn und seine
Sakramente. Und diesen treuen Pfarrern, die mit der ganzen Kraft ihres Lebens
arbeiten, damit wir von der Leidenschaft zu Christus erfüllt sind, möchte ich
in diesem Augenblick von Herzen »Danke« sagen. Ich habe gesagt, daß es nicht
möglich ist, alles zu tun, was man möchte, was man vielleicht tun sollte, weil
unsere Kräfte begrenzt sind und weil die Situation in einer immer
diversifizierteren und komplexeren Gesellschaft schwierig ist. Ich denke, daß
es vor allem wichtig ist, daß die Gläubigen sehen können, daß der Priester
nicht nur einen »Job« erfüllt, eine Arbeitszeit, und dann hat er frei und lebt
nur für sich selbst, sondern daß er ein von der Leidenschaft für Christus
geprägter Mann ist, der das Feuer der Liebe Christi in sich trägt.
Wenn die Gläubigen sehen, daß er
ganz von der Freude des Herrn erfüllt ist, verstehen sie auch, daß er nicht
alles tun kann, sie akzeptieren seine Grenzen, und sie helfen dem Pfarrer. Das
scheint mir der wichtigste Punkt zu sein: daß man sehen und spüren kann, daß
der Pfarrer sich wirklich als ein vom Herrn Berufener fühlt, daß er ganz von
der Liebe zum Herrn und zu den Seinen erfüllt ist. Wenn das der Fall ist,
versteht man die Unmöglichkeit, alles zu tun, und sieht das auch. Ganz, mit
unserem ganzen Sein von der Freude des Evangeliums erfüllt zu sein ist also die
erste Bedingung. Dann muß man wählen, Prioritäten setzen, sehen, was möglich
ist und was nicht. Ich denke, daß wir die drei grundlegenden Prioritäten
kennen: es sind die drei Säulen unseres Priesterseins. Zuerst die Eucharistie,
die Sakramente: die Eucharistie möglich und gegenwärtig machen, vor allem am
Sonntag, soweit möglich für alle, und sie so zu feiern, daß sie wirklich der
sichtbare Akt der Liebe des Herrn zu uns wird. Dann die Verkündigung des Wortes
in all ihren Dimensionen: vom persönlichen Gespräch bis hin zur Predigt. Der
dritte Punkt ist die »caritas «, die Liebe Christi: für die Leidenden da zu
sein, für die Kleinen, die Kinder, die Menschen in Schwierigkeiten, für die
Ausgegrenzten; wirklich die Liebe des Guten Hirten gegenwärtig zu machen.
Und dann ist auch die persönliche
Beziehung zu Christus eine sehr wichtige Priorität. Im Brevier lesen wir am 4.
November einen schönen Text des hl. Karl Borromäus, eines großen Hirten, der
sich wirklich ganz hingegeben hat, und er sagt zu uns, zu allen Priestern:
»Vernachlässige nicht deine eigene Seele: Wenn deine Seele vernachlässigt wird,
kannst du auch den anderen nicht das geben, was du ihnen geben müßtest. Deshalb
mußt du auch für dich selbst, für deine Seele Zeit haben«, oder mit anderen
Worten: Die Beziehung zu Christus, der persönliche Dialog mit Christus ist eine
grundlegende pastorale Priorität, sie ist die Bedingung für unsere Arbeit für die
anderen! Und das Gebet ist nichts Nebensächliches: Beten ist der »Beruf« des
Priesters, auch stellvertretend für die Menschen, die nicht wissen, wie man
betet, oder die keine Zeit zum Beten finden. Das persönliche Gebet, besonders
das Stundengebet, ist grundlegende Nahrung für unsere Seele, für all unser Tun.
Und schließlich: unsere Grenzen erkennen, uns auch für diese Demut zu öffnen.
Erinnern wir uns an eine Szene im Markusevangelium, Kapitel 6, wo die Jünger
»gestreßt« sind, wo sie alles tun wollen, und der Herr sagt: »Gehen wir weg,
ruht ein wenig aus« (vgl. Mk 6,31).
Auch das ist pastorale Arbeit,
würde ich sagen: die Demut zu finden und zu haben, den Mut zu haben auszuruhen.
Ich denke, daß die Leidenschaft für den Herrn, die Liebe zum Herrn uns die Prioritäten,
die Entscheidungen zeigt und uns hilft, den Weg zu finden. Der Herr wird uns
helfen! Ich danke euch allen!
Afrika:
Heiliger Vater, ich bin Mathias
Agnero und komme aus Afrika, genauer gesagt von der Elfenbeinküste. Sie sind
Papst und Theologe, während wir, wenn wir es schaffen, für unsere Ausbildung
nur einige wenige theologische Bücher lesen. Uns scheint aber, daß zwischen
Theologie und Lehre ein Bruch entstanden ist und noch mehr zwischen Theologie
und Spiritualität. Man spürt die Notwendigkeit, daß das Studium nicht nur rein
akademisch sein, sondern unserer Spiritualität Nahrung geben soll. Dieses
Bedürfnis spüren wir auch im pastoralen Dienst selbst. Manchmal scheint im
Zentrum der Theologie nicht Gott zu stehen und Jesus Christus nicht der erste
»theologische Ort« zu sein, sondern sie scheint den verbreiteten Geschmäckern
und Tendenzen zu entsprechen; und die Folge ist die Ausbreitung von subjektiven
Meinungen, die es zulassen, daß sich auch in die Kirche ein nicht-katholisches
Gedankengut einschleicht. Wie sollen wir in unserem Leben und unserem Dienst
nicht die Orientierung verlieren, wenn die Welt es ist, die den Glauben
richtet, und nicht umgekehrt? Wir fühlen uns »dezentriert«!
Benedikt XVI.: Danke. Sie sprechen ein
sehr schwieriges und schmerzhaftes Problem an. Es gibt wirklich eine Theologie,
die vor allem akademisch sein, wissenschaftlich erscheinen will und dabei die
lebensnotwendige Wirklichkeit vergißt, die Gegenwart Gottes, seine Gegenwart
unter uns, sein Sprechen heute, nicht nur in der Vergangenheit. Schon
Bonaventura hat zu seiner Zeit zwei Formen von Theologie unterschieden. Er hat
gesagt: »Es gibt eine Theologie, die aus der Arroganz der Vernunft stammt, die
alles beherrschen will, die Gott vom Subjekt zum Objekt macht, das wir
studieren, während er das Subjekt sein müßte, das zu uns spricht und uns
führt.« Es gibt wirklich diesen Mißbrauch in der Theologie, der Arroganz der
Vernunft ist und den Glauben nicht nährt, sondern die Gegenwart Gottes in der
Welt verdunkelt.
Dann gibt es eine Theologie, die
eine größere Kenntnis anstrebt aus Liebe zum Geliebten, sie wird angeregt von
der Liebe und geleitet von der Liebe, sie will den Geliebten besser
kennenlernen. Und das ist die wahre Theologie, die aus der Liebe Gottes, der
Liebe Christi kommt und in tiefere Gemeinschaft mit Christus eintreten will.
Die Versuchungen der heutigen Zeit sind wirklich groß; vor allem setzt sich das
sogenannte »moderne Weltbild« (Bultmann) durch, das zu einem Kriterium wird für
das, was möglich ist oder nicht möglich ist. Und gerade mit diesem Kriterium,
daß alles so wie immer ist, daß alle historischen Ereignisse von derselben Art
sind, schließt man die Neuheit des Evangeliums aus, man schließt das Einbrechen
Gottes in diese Welt aus, die wahre Neuheit, die die Freude unseres Glaubens
ist. Was soll man tun? Ich würde vor allem den Theologen sagen: Habt Mut! Und
ich möchte auch den vielen Theologen, die gute Arbeit leisten, Dank sagen.
Es gibt Mißbräuche, das wissen
wir, aber in allen Teilen der Welt gibt es viele Theologen, die wirklich vom
Wort Gottes leben, die sich von der Meditation nähren, den Glauben der Kirche
leben und helfen wollen, damit der Glaube in unserem Heute gegenwärtig wird.
Diesen Theologen möchte ich meinen tiefen Dank aussprechen. Und den Theologen
im allgemeinen möchte ich sagen: »Habt keine Angst vor diesem Phantom der
Wissenschaftlichkeit!« Ich verfolge die Theologie seit 1946: Ich habe im Januar
1946 begonnen, Theologie zu studieren und habe daher fast drei Generationen von
Theologen erlebt, und ich kann sagen: Die Thesen, die zu jener Zeit und dann in
den 60er und 80er Jahren ganz neu waren, absolut wissenschaftlich, fast absolut
dogmatisch, sie sind in der Zwischenzeit veraltet und gelten nicht mehr! Viele
von ihnen erscheinen fast lächerlich. Das heißt, den Mut haben, der scheinbaren
Wissenschaftlichkeit Widerstand zu leisten, sich nicht allen Thesen des
Augenblicks unterwerfen, sondern wirklich ausgehend vom großen Glauben der
Kirche zu denken, der zu allen Zeiten gegenwärtig ist und uns den Zugang zur
Wahrheit öffnet. Vor allem auch nicht zu denken, daß die positivistische
Vernunft, die die Transzendenz ausschließt – die unzugänglich ist –, die wahre
Vernunft ist! Diese schwache Vernunft, die nur das Erfahrbare zeigt, ist in Wirklichkeit
eine unzureichende Vernunft. Wir Theologen müssen die umfassende Vernunft
gebrauchen, die für die Größe Gottes offen ist. Wir müssen den Mut haben, über
den Positivismus hinauszugehen bis zu der Frage der Wurzeln des Seins. Das
scheint mir sehr wichtig zu sein.
Man muß also den Mut haben, zur
großen, umfassenden Vernunft, man muß die Demut haben, sich nicht allen
Hypothesen des Augenblicks zu unterwerfen, aus dem großen Glauben der Kirche
aller Zeiten zu leben. Es gibt keine Mehrheit gegen die Mehrheit der Heiligen:
Die wahre Mehrheit sind die Heiligen in der Kirche, und an den Heiligen müssen
wir uns orientieren! Und dann sage ich dasselbe zu den Seminaristen und
Priestern: Denkt daran, daß die Heilige Schrift kein isoliert dastehendes Buch
ist, sondern in der lebendigen Gemeinschaft der Kirche lebt, die in allen
Jahrhunderten dasselbe Subjekt ist und die Gegenwart des Wortes Gottes
garantiert. Der Herr hat uns die Kirche als lebendiges Subjekt gegeben, mit der
Struktur der Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Papst, und diese großartige
Realität der Bischöfe in der Welt in Gemeinschaft mit dem Papst ist uns Garant
für das Zeugnis der bleibenden Wahrheit. Haben wir Vertrauen in dieses
bleibende Lehramt der Gemeinschaft der Bischöfe mit dem Papst, die für uns die
Gegenwart des Wortes darstellt. Und haben wir dann auch Vertrauen in das Leben
der Kirche, und vor allem müssen wir kritisch sein. Sicher ist die theologische
Ausbildung – das möchte ich vor allem den Seminaristen sagen – sehr wichtig. In
unserer Zeit müssen wir die Heilige Schrift gut kennen, auch gerade gegen die
Angriffe der Sekten; wir müssen wirklich Freunde des Wortes Gottes sein. Wir
müssen auch die Strömungen unserer Zeit kennen, um begründete Antworten geben
zu können, um, wie der hl. Petrus sagt, »Rede und Antwort zu stehen« für
unseren Glauben. Die Ausbildung ist sehr wichtig. Aber wir müssen auch kritisch
sein: das Kriterium des Glaubens ist das Kriterium, nach dem auch die Theologen
und die Theologien zu beurteilen sind.
Papst Johannes Paul II. hat uns mit dem
Katechismus der Katholischen Kirche ein absolut sicheres Kriterium geschenkt:
hier finden wir die Zusammenfassung unseres Glaubens, und dieser Katechismus
ist wirklich das Kriterium, um zu sehen, wohin eine akzeptable oder
inakzeptable Theologie führt. Ich empfehle also die Lektüre, das Studium dieses
Textes, und so können wir vorangehen mit einer im positiven Sinn kritischen
Theologie, das heißt kritisch gegenüber den modischen Tendenzen und offen für
wahre Neuheiten, für die unerschöpfliche Tiefe des Wortes Gottes, das sich zu
allen Zeiten als neu erweist, auch in unserer Zeit.
Europa:
Heiliger Vater, ich heiße Don
Karol Miklosko und komme aus Europa, das heißt aus der Slowakei, und ich bin
Missionar in Rußland. Wenn ich die heilige Messe feiere, finde ich mich selbst
und verstehe, daß ich dort meine Identität finde und die Wurzel und Energie für
meinen Dienst. Das Kreuzesopfer offenbart mir den Guten Hirten, der alles für
seine Herde, für jedes einzelne Schaf hingibt. Und wenn ich sage: »Das ist mein
Leib … das ist mein Blut«, das für euch hingegeben und vergossen worden ist,
dann verstehe ich die Schönheit des Zölibats und des Gehorsams, die ich im Augenblick
der Weihe aus freiem Willen versprochen habe. Auch mit den natürlichen
Schwierigkeiten scheint mir der Zölibat einleuchtend zu sein, wenn ich auf
Christus schaue, aber ich fühle mich ganz verwirrt, wenn ich die vielen
weltlichen Kritiken an dieser Gabe lese. Ich bitte Sie demütig, Heiliger Vater,
uns die Tiefe und den echten Sinn des Zölibats des Klerus zu erhellen.
Benedikt XVI.: Danke für die beiden
Teile Ihrer Frage. Den ersten, wo Sie die beständige und vitale Grundlage
unseres Zölibats aufzeigen; den zweiten, der alle Schwierigkeiten sichtbar
werden läßt, in denen wir uns in unserer Zeit befinden. Wichtig ist der erste
Teil, das heißt: das Zentrum unseres Lebens muß wirklich die tägliche
Eucharistiefeier sein; und hier sind die Wandlungsworte zentral: »Das ist mein
Leib, das ist mein Blut«, das heißt wir sprechen »in persona Christi«. Christus
erlaubt es uns, sein »Ich« zu benutzen, wir sprechen im »Ich« Christi, Christus
zieht uns in sich hinein und erlaubt uns die Vereinigung mit ihm, er vereint
uns mit seinem »Ich«. Und so, durch sein Handeln, durch diese Tatsache, daß er
uns in sich »hineinzieht«, so daß unser »Ich« mit seinem »Ich« vereint wird,
verwirklicht er das Andauern, die Einzigartigkeit seines Priestertums; so ist
er wahrhaft immer der einzige Priester, und dennoch sehr gegenwärtig in der
Welt, weil er uns in sich hineinzieht und so seine priesterliche Sendung
gegenwärtig macht. Das bedeutet, daß wir in den Gott Jesu Christi
»hineingezogen« werden: Es ist diese Einheit mit seinem »Ich«, die in den
Worten der Wandlung Wirklichkeit wird. Auch im »Ich spreche dich los« – denn
keiner von uns könnte von Sünden lossprechen – ist es das »Ich« Christi,
Gottes, das allein die Lossprechung erteilen kann. Diese Vereinigung seines
»Ichs« mit dem unseren beinhaltet, daß wir auch in seine Wirklichkeit als
Auferstandener »hineingezogen« werden, daß wir vorangehen auf das volle Leben
der Auferstehung zu, von dem Jesus im 22. Kapitel des Matthäusevangeliums zu
den Sadduzäern spricht: es ist ein »neues« Leben, in dem es keine Ehe mehr gibt
(vgl. Mt 22,23–23).
Es ist wichtig, daß wir uns immer
von neuem von dieser Identifikation des »Ichs« Christi mit uns durchdringen
lassen, von diesem »Hinausgezogen werden« in die Welt der Auferstehung. In
dieser Hinsicht ist der Zölibat eine Vorwegnahme. Wir übersteigen diese Zeit
und gehen weiter, und so »ziehen« wir uns selbst und unsere Zeit auf die Welt
der Auferstehung hin, auf die Neuheit Christi, das neue und wahre Leben zu. Das
heißt, der Zölibat ist eine Vorwegnahme, die möglich wird durch die Gnade des
Herrn, der uns zu sich »zieht«, zur Welt der Auferstehung hin; er lädt uns
immer von neuem ein, uns selbst zu übersteigen, diese Gegenwart, hin auf die
wahre Gegenwart der Zukunft, die heute Gegenwart wird. Und hier sind wir an
einem sehr wichtigen Punkt angelangt. Ein großes Problem des Christentums der
heutigen Welt ist, daß man nicht mehr an die Zukunft Gottes denkt: die bloße
Gegenwart dieser Welt scheint ausreichend zu sein. Wir wollen nur diese Welt
haben, nur in dieser Welt leben. So schließen wir die Tür für die wahre Größe
unseres Lebens. Der Sinn des Zölibats als Vorwegnahme der Zukunft ist gerade
das Öffnen dieser Türen, die Welt größer werden zu lassen, die Wirklichkeit der
Zukunft zu zeigen, die von uns schon jetzt als Gegenwart gelebt werden muß. So
leben wir im Zeugnis des Glaubens: Wir glauben wirklich, daß es Gott gibt, daß
Gott in meinem Leben eine Rolle spielt, daß ich mein Leben auf Christus bauen
kann, auf das zukünftige Leben.
Und jetzt erkennen wir die
weltliche Kritik, von der Sie gesprochen haben. Es ist wahr, daß für die
agnostische Welt, die Welt, in der Gott keine Rolle spielt, der Zölibat etwas
ist, das großen Anstoß erregt, weil gerade er zeigt, daß Gott als Wirklichkeit
betrachtet und erlebt wird. Mit dem eschatologischen Leben des Zölibats tritt
die zukünftige Welt Gottes in die Wirklichkeiten unserer Zeit. Und das soll
beseitigt werden! In gewisser Hinsicht mag diese beständige Kritik am Zölibat
überraschen, in einer Zeit, in der es immer mehr Mode wird, nicht zu heiraten.
Aber dieses Nicht-Heiraten ist etwas vollständig und grundlegend anderes als
der Zölibat, denn das Nicht-Heiraten ist auf den Willen gegründet, nur für sich
selbst zu leben, keine endgültige Bindung zu akzeptieren, das Leben zu jedem
Zeitpunkt in vollkommener Autonomie zu leben, jeden Augenblick zu entscheiden,
was zu tun ist, was man vom Leben nimmt; es ist daher ein »Nein« zur Bindung,
ein »Nein« zur Endgültigkeit, es bedeutet, das Leben nur für sich allein zu haben.
Der Zölibat dagegen ist genau das Gegenteil: er ist ein endgültiges »Ja«, ein
sich von den Händen Gottes Ergreifenlassen, ein sich in die Hände Gottes, in
sein »Ich« Hineinlegen, das heißt es ist ein Akt der Treue und des Vertrauens,
ein Akt, der auch Voraussetzung ist für die Treue in der Ehe. Es ist genau das
Gegenteil dieses »Nein«, dieser Autonomie, die sich nicht verpflichten will,
die keine Bindung eingehen will. Es ist das endgültige »Ja«, das das endgültige
»Ja« der Ehe voraussetzt und bestätigt. Und diese Ehe ist die biblische Form,
die natürliche Form des Mann- und Frau-Seins, die Grundlage der großen
christlichen Kultur und großer Kulturen der Welt. Und wenn das verschwindet,
wird die Wurzel unserer Kultur zerstört. Deshalb bestätigt der Zölibat das »Ja«
der Ehe mit seinem »Ja« zur zukünftigen Welt, und so wollen wir weitergehen und
diesen Anstoß eines Glaubens gegenwärtig machen, der sein ganzes Leben auf Gott
setzt. Wir wissen, daß es neben diesem großen Ärgernis, das die Welt nicht
sehen will, auch die zweitrangigen Skandale unserer Unzulänglichkeiten, unserer
Sünden gibt, die das große Ärgernis verdunkeln und denken lassen: »Aber sie
gründen ihr Leben nicht wirklich auf Gott!« Aber es gibt sehr viel Treue! Der
Zölibat, das zeigt gerade die Kritik, ist ein großes Zeichen des Glaubens, der
Gegenwart Gottes in der Welt. Bitten wir den Herrn, daß er uns hilft, uns von
den zweitrangigen Skandalen zu befreien, daß er das große »Ärgernis« unseres
Glaubens gegenwärtig macht: das Vertrauen, die Kraft unseres Lebens, das auf
Gott und Jesus Christus gegründet ist!
Asien:
Heiliger Vater, ich bin Don
Atsushi Yamashita und komme aus Asien, genauer gesagt aus Japan. Das
priesterliche Vorbild, das Sie, Heiliger Vater, uns in diesem Jahr
vorgeschlagen haben, nämlich der Pfarrer von Ars, stellt in den Mittelpunkt des
Lebens und Dienstes die Eucharistie, die sakramentale und persönliche Beichte
und die Liebe zu einem würdig gefeierten Gottesdienst. Ich habe die strenge
Armut des hl. Johannes Maria Vianney vor Augen und zugleich seine Leidenschaft
für kostbares liturgisches Gerät. Wie können wir diese grundlegenden
Dimensionen unserer priesterlichen Existenz leben, ohne in einen Klerikalismus
oder eine Realitätsferne zu verfallen, an der die Welt von heute Anstoß nehmen
würde?
Benedikt XVI.: Danke! Nun, Sie fragen,
wie man die zentrale Stellung der Eucharistie leben kann, ohne sich in einem
rein kultischen Leben zu verlieren, das dem alltäglichen Leben der anderen
fremd wäre. Wir wissen, daß der Klerikalismus in allen Jahrhunderten und auch
heutzutage eine Versuchung für die Priester war und ist; um so wichtiger ist
es, die rechte Weise für die Feier der Eucharistie zu finden, die sich nicht
vor der Welt verschließt, sondern vielmehr für die Bedürfnisse der Welt offen
ist. Wir müssen uns vor Augen halten, daß sich in der Eucharistie dieses große
Drama Gottes vollzieht, der aus sich heraustritt, und – wie es im Brief an die
Philipper heißt – sich erniedrigte, den Menschen gleich wurde und gehorsam war
bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2).
Das Abenteuer der Liebe Gottes,
der aus sich heraustritt, sich entäußert, um bei uns zu sein, wird in der
Eucharistie vergegenwärtigt. Die große Tat, das große Abenteuer der Liebe
Gottes besteht in der Demut Gottes, der sich für uns hingibt. In diesem Sinn
kann die Eucharistie als Eingangstor zu diesem Weg Gottes angesehen werden. Der
hl. Augustinus sagt im 10. Buch von De Civitate Dei: »Hoc est
sacrificium Christianorum: multi unum corpus in Christo«, was soviel bedeutet
wie: das Opfer der Christen besteht darin, durch die Liebe Christi in der
Einheit des einen Leibes Christi vereint zu sein. Das Opfer besteht eben darin,
aus sich herauszugehen, sich in die Gemeinschaft des einen Brotes, des einen
Leibes hineinnehmen zu lassen und so in das große Abenteuer der Liebe Gottes
einzutreten. Wir sollen die Eucharistie immer so feiern, leben und meditieren,
daß sie diese Schule der Befreiung vom eigenen »Ich« wird: in das eine Brot
eingehen, das das Brot aller ist und das uns im einen Leib Christi vereint. Und
daher ist die Eucharistie wesensmäßig ein Akt der Liebe, der uns zu jener
Wirklichkeit der Liebe gegenüber den anderen verpflichtet: daß nämlich das
Opfer Christi die Gemeinschaft aller in seinem Leib ist. Auf diese Weise sollen
wir also die Eucharistie verstehen lernen, was das genaue Gegenteil von
Klerikalismus und Ichverschlossenheit ist. Denken wir dabei auch an Mutter
Teresa, die in diesem Jahrhundert, in unserer Zeit wirklich ein großartiges
Vorbild für eine Liebe war, die aus sich herausgeht, die jede Art von
Klerikalismus und Weltfremdheit übersteigt, die auf die am stärksten
ausgegrenzten Menschen, die Armen und Sterbenden zugeht und sich ganz in der
Liebe zu den Armen und Ausgegrenzten hinschenkt. Aber Mutter Teresa, die uns dieses
Beispiel vorgelebt hat und die Gemeinschaft, die ihren Spuren folgt, sah stets
als wichtigste Voraussetzung für deren Gründung die Anwesenheit eines
Tabernakels an.
Ohne die Gegenwart der Liebe
Gottes, der sich hinschenkt, wäre die Verwirklichung dieses Apostolats nicht
möglich gewesen, und es wäre auch nicht möglich gewesen, in dieser
Selbstentäußerung zu leben; nur wenn sie sich auf diese Selbsthingabe an Gott,
auf dieses Abenteuer Gottes, diese Demut Gottes einlassen, konnten und können
sie auch heute diesen großen Akt der Liebe, der Offenheit für alle vollbringen.
In diesem Sinn würde ich sagen: Die Eucharistie in ihrem ursprünglichen Sinn,
in ihrer wahren Tiefe zu leben, ist eine Schule des Lebens, es ist der
sicherste Schutz vor jeder Versuchung des Klerikalismus.
Ozeanien:
Heiliger Vater, ich bin Don
Anthony Denton und komme aus Ozeanien, aus Australien. Heute abend sind sehr
viele Priester hier versammelt. Wir wissen aber, daß unsere Seminare nicht so
voll sind und daß uns in Zukunft in verschiedenen Teilen der Welt ein
deutlicher zahlenmäßiger Einbruch erwartet. Was können wir für die Förderung
der Berufungen tun? Wie können wir unser Leben mit all dem Großen und Schönen,
das es in sich trägt, einem jungen Menschen von heute nahebringen?
Benedikt XVI.: Danke! Sie sprechen
erneut ein sehr großes und schmerzliches Problem unserer Zeit an: den Mangel an
Berufungen, aufgrund dessen einige Ortskirchen Gefahr laufen zu versiegen, da
das Wort des Lebens fehlt, es fehlt die Gegenwart des Sakraments der
Eucharistie und der anderen Sakramente. Was kann man dagegen tun? Die
Versuchung ist groß, daß wir die Sache selbst in die Hand nehmen und das
Priestertum – das Sakrament Christi, die Erwählung durch Ihn – in einen
normalen Beruf verwandeln, in einen »Job« mit seinen festen Arbeitszeiten, und
außerhalb dieser Zeiten gehört einer dann ganz sich selbst; und so machen wir
das Priestertum zur einer von vielen Berufungen: wir machen es leichter
zugänglich. Doch es handelt sich dabei um eine Versuchung, die das Problem
nicht löst.
Ich denke dabei an die Geschichte
von Saul, dem König von Israel, der vor der Schlacht gegen die Philister auf
Samuel wartete, um das erforderliche Brandopfer darzubringen. Als Samuel zum
erwarteten Zeitpunkt nicht kommt, bringt er selbst das Opfer dar, obwohl er
kein Priester ist (vgl. 1 Sam 13); er glaubt, das Problem auf diese
Weise zu lösen, was ihm natürlich nicht gelingt, denn er nimmt selbst in die
Hand, was er nicht tun kann, er macht sich selbst gewissermaßen zu Gott und
kann nicht erwarten, daß die Dinge wirklich so laufen, wie Gott es will. Und
auch wir könnten nichts ausrichten, wenn wir nur einen Beruf wie jeden anderen
ausführen und dabei auf die Sakralität verzichten würden, auf die Neuheit, die
Andersartigkeit des Sakraments, das allein Gott geben und das allein seinem Ruf
und nicht unserem »Tun« entspringen kann. Um so mehr müssen wir – wie uns der
Herr einlädt – Gott bitten und an seiner Tür, am Herzen Gottes anklopfen, daß
er uns Berufungen schenke; wir müssen mit großer Ausdauer, mit großer
Entschlossenheit, mit tiefer Überzeugung beten, da sich Gott vor einem
inständigen, beharrlichen, vertrauensvollen Gebet nicht verschließt, auch wenn
er uns – wie er es bei Saul tat – gewähren läßt und uns über die erwartete Zeit
hinaus warten läßt. Dies scheint mir der erste Aspekt zu sein: die Gläubigen
dazu ermutigen, die Demut zu haben, die Zuversicht, den Mut, inständig um
Berufungen zu beten, ans Herz Gottes zu klopfen, damit er uns Priester schenke.
Darüber hinaus möchte ich drei
weitere Punkte ansprechen. Erstens: Ein jeder von uns sollte alles ihm Mögliche
tun, um sein Priestertum auf überzeugende Weise zu leben, so daß die jungen
Menschen sagen können: das ist eine wahre Berufung, so kann man leben, so
leistet man etwas Wesentliches für die Welt. Ich glaube, niemand von uns wäre
Priester geworden, wenn er nicht überzeugende Priester kennengelernt hätte, in
denen das Feuer der Liebe Christi brannte. Dies ist also der erste Punkt:
Versuchen wir, überzeugende Priester zu sein. Zweitens müssen wir, wie ich
bereits erwähnt habe, zur Initiative des Gebets einladen, und die Demut und das
Vertrauen haben, mit Kraft und Entschlossenheit mit Gott zu sprechen. Drittens:
Wir müssen den Mut haben, mit den jungen Menschen zu reden, wenn sie glauben,
daß Gott sie beruft, denn oft ist ein menschliches Wort nötig, um unsere Ohren
für den Ruf Gottes zu öffnen; wir müssen mit den Jugendlichen reden und ihnen
vor allem helfen, einen vitalen Kontext zu finden, in dem sie leben können. In
der Welt von heute scheint es fast ausgeschlossen zu sein, eine Berufung zum
Priestertum heranreifen zu lassen. Die jungen Menschen brauchen ein Umfeld, in
dem sie den Glauben leben können, in dem die Schönheit des Glaubens erstrahlt,
in dem es scheint, daß dies ein mögliches Lebensmodell ist, »das« Lebensmodell.
Und somit muß man ihnen helfen, Bewegungen oder Pfarreien zu finden – eine
Gemeinschaft in der Pfarrei – oder andere Bereiche, in denen sie wirklich vom
Glauben, von der Liebe Gottes umgeben sind und sich öffnen können, damit der
Ruf Gottes sie erreiche und ihnen helfe. Und schließlich wollen wir Gott danken
für alle Seminaristen in unserer Zeit, für die jungen Priester, und wir wollen
beten. Der Herr möge uns dabei helfen! Danke euch allen!
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